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ADB:Brinz, Alois Ritter von

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Artikel „Brinz, Alois (v.)“ von Philipp Lotmar in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 241–259, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Brinz,_Alois_Ritter_von&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 13:39 Uhr UTC)
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Brinz: Alois (v.) B., Rechtsgelehrter und Politiker, 25. Februar 1820 bis 13. September 1887, wurde geboren zu Weiler, einem allgäuischen Marktflecken, der zum Bezirksamt Lindau gehört. An seiner Heimath hing er, wie sehr ihn sein Lebensweg von ihr entfernte, mit der gleichen inneren Festigkeit, mit der sie äußerlich ihm anhaftete, indem Aussprache und Vortrag den Sohn der schwäbischen Erde anzeigten. Sein Geburtsort war erst in Folge des Wiener Congresses von Oesterreich an Baiern gekommen. Daß sein väterliches Geschlecht von Alters her in Oesterreich gesessen, im Tirolerkriege unter Oesterreichs Fahnen gefochten, der Großvater als österreichische Geisel in Frankreich hergehalten habe, wußte B., als er zur Mitwirkung an der österreichischen Politik gelangte, theils zu seiner Legitimation, theils zur Erklärung seiner Liebe zu Oesterreich geltend zu machen. Zwei Jahre nach seiner Geburt ward sein Vater Alois B. (der 1812 in Landshut Doctor beider Rechte geworden war) zum Protokollisten am Kreis- und Stadtgerichte im benachbarten Kempten ernannt. Dort verbrachte unser B. die Schuljahre, die Ferien auch in der Folge oft bei den in Weiler wohnhaften Großeltern. Daher wohl seine Neigung zur Landwirthschaft und die Vertrautheit mit ländlichen Verhältnissen, der man in seinen Schriften begegnet. Aus dieser Zeit gibt ein Zeugniß seiner vorurtheilsfreien Hülfsbereitschaft der folgende von seinem Mitschüler Hermann Lingg in dessen Selbstbiographie (Meine Lebensreise, 1899, S. 20) mitgetheilte Zug. Lingg galt als geborener Lindauer im stark katholischen Kempten für einen Protestanten, und als darum beim ersten Kirchgang keiner der Kameraden sich ihm zugesellen wollte, trat B. an seine Seite, womit eine Freundschaft zu dem späteren Dichter anhob, die erst vom Tod gelöst wurde. Zusammen versenkten sie sich in jener Zeit in die Werke Jean Paul’s und Heine’s. Daß aber über diesen Genüssen die Lernpflichten des Gymnasiasten nicht vernachlässigt wurden, so daß B. von Classe zu Classe den ersten Platz behaupten konnte, schrieb B. „nicht besonderen Anlagen“, sondern nur der strengen Aufsicht seiner Mutter zu. Dieser tüchtigen Frau, Katharina Gsell, war mit dem Tode des Vaters im Jahre 1835 die alleinige Sorge für zehn Kinder auferlegt worden. Die dem zweitältesten, unserm B., zugewandte hatte sie, als sie 1862 starb, reichlich belohnt gesehen.

Nach Absolvirung des Kemptner Gymnasiums bezog B. 1837 die Universität in München. Zwar trat er hier in die juristische Facultät ein, fand sich aber, wie er selbst in einem unvollendeten Lebensabriß berichtet, von der ersten juristischen Vorlesung dermaßen abgestoßen, daß er alsbald zur philosophischen Facultät übertrat und sich der classischen Philologie ergab. Später wieder zur Jurisprudenz zurückkehrend, hat er mit seinem Studiengang der Ansicht und Anforderung entsprochen, die er 1877 in der Widmung zu einer Festschrift für Spengel, einem seiner philologischen Lehrer, in die Worte faßte: „Keine Disziplin muß in höherem Grade als die juristische von [242] ihren Jüngern jene gründliche Durchbildung und Schulung des Geistes verlangen, welche nur ein sorgfältiges Studium der classischen Sprachen und eine vertraute Bekanntschaft mit dem Alterthume zu gewähren vermag; nur wenige stehen mit ihren wissenschaftlichen Aufgaben, und zumal mit der gesammten Methode ihres wissenschaftlichen Betriebes so durchaus auf dem Boden der Philologie, wie die unserige.“ Zwar spricht B. selber von seinen damaligen classischen Studien mit geringer Zufriedenheit, und ihr Erfolg mag durch Unterbrechungen beeinträchtigt worden sein, wie sie von außen die Ertheilung von Privatunterricht zum eigenen Unterhalt, oder eine Fußreise nach Venedig und Florenz (1838) und von innen der Drang zur Speculation herbeiführten. Allein da ihm für die Bearbeitung einer Preisaufgabe („Zusammenstellung der solonischen Gesetze“) das Accessit des Preises zuerkannt wurde (der Preis selbst fiel seinem Freunde Karl Prantl zu), und er 1841 die Prüfung für das Gymnasiallehramt bestehen konnte, auch seine juristischen Schriften die philologische Schulung bewähren, so haben ihn diese ersten Studienjahre nicht bloß in reiferem Alter, sondern gewiß auch mit stärkerem Rüstzeug vor seinen Lebensberuf gestellt. Statt die Laufbahn zu betreten, die ihm jenes Examen eröffnet hatte, besuchte er neuerdings die Hörsäle, aber nunmehr die juristischen und philosophischen, und außer denen von München auch die von Berlin. Daß der hierin sich kundgebende Wissenstrieb gerade diesen Ausdruck annahm, ward durch seinen Studienfreund Konrad Maurer veranlaßt, den er darum in der Widmung seines zweiten Pandektenwerkes als den „Urheber dieser seiner Studien“ anspricht. In dem an Mittheilungen und Gedanken reichen Nekrolog, den B. dem Vater seines Freundes, dem Germanisten und Staatsmann G. L. v. Maurer, geschrieben hat (Allgemeine Zeitung. Beilage vom 28. Juni 1872), denkt B. bei „denen im Sohne auch das Commercium mit seinen (des Vaters) Grundsätzen und Strebungen gewährt war“, gewiß nicht zuletzt an sich selber. Man muß danach annehmen, daß die germanistische Richtung, die in seinen juristischen Studien hervortrat, auch von dorther bestimmt war. Was er seinen Münchener Rechtslehrern zu verdanken hatte, ist schwer festzustellen. Nach seinem der Erlanger Facultät eingereichten, curriculum vitae hat er 1841/2 Pandekten bei Dollmann gehört, doch so, daß ihm „seiner lebendigen Deutlichkeit ungeachtet, diese Dinge immer noch nicht eingehen wollten“. „Daß Arndts (dessen Vorlesungen er besuchte) auf die studirende Jugend nicht zündend wirkte“, bekennt B. in seinem Nachruf für Arndts (Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft *) XXI, 7), wobei er hier wie sonst weit davon entfernt ist, das Zündende im Lehrvortrag über alles zu schätzen. Dagegen in seiner einjährigen Berliner Lehrzeit (1842/3) hat er so starke Eindrücke und nachhaltige Förderung empfangen, daß er davon noch nach 30 Jahren in dem Nekrolog auf Rudorff, einen seiner Lehrer (K. V. XV, 323/4), die anschaulichste Schilderung geben konnte. Obwohl sich hierin, dem Anlaß gemäß, das Romanistische besonders betont findet, so wird doch zuverlässig berichtet, daß B. damals eher von der germanistischen Seite her in der Rechtswissenschaft Fuß faßte, mehr als einmal Eichhorn’s deutsche Rechtsgeschichte durchstudirte und mit dem Entschluß nach München zurückkehrte, sich dem deutschen Rechte zu widmen. An dieser Concentrirung hinderten ihn der philosophische Hang, besonders die Hingabe an Hegel’s Rechtsphilosophie, und die Vorbereitung auf das Examen. Nach einem Jahre, 1844, ward es bestanden. Daran schlossen sich ein Jahr juristischer Praxis in München, neben welcher B. die Stelle eines Gesellschafters bei zwei jungen [243] Adligen versah, und ein Jahr Verwaltungspraxis in Kempten. Nach Ablegung der zweiten Prüfung (1846) war B. in München zwei Jahre Concipient bei einem Advocaten, wobei er juristische Erfahrungen sammelte, die er hoch anschlug. Nebenher und in der nächsten Zeit betrieb er eifrig die Vorarbeit für die akademische Laufbahn. Noch schwebte ihm die Docentur des deutschen Rechts als Ziel vor, aber die gründliche Erfassung des römischen schien ihm Vorbedingung oder Mittel zu sein. So versenkte er sich Jahre lang in das Corpus juris und gerieth so sehr in den Bann der römischen Quellen, daß er von jenem Ziele für immer abkam. Dieses selbständige, nicht durch moderne Litteratur vermittelte, naturwüchsige Quellenstudium hat seine Beobachtungsgabe geschärft, sein exegetisches Taktgefühl verfeinert und ihn mit der Ehrerbietung vor diesem Theil der Antike erfüllt, ohne welche romanistische Lehrarbeit nicht gedeihen kann.

Diese Jahre freier, nur durch die praktische Berufsthätigkeit beschränkter Forschung schlossen mit der Promotion, die 1849 (in absentia) zu Erlangen, und mit der Habilitation, die 1850 zu München (wegen des erwähnten Promotionsmangels nicht ohne Schwierigkeit) zu Stande kam. Mit beiden Vorgängen hängen die litterarischen Erstlinge zusammen, nämlich die Inauguraldissertation „Notamina ad usumfructum“ (Monachii 1849, 26 S.) und „Zur Lehre von der Compensation. Eine Habilitationsschrift“ (München 1849, 28 S.). Mehrere Vorzüge seiner bekannteren Werke zeigt schon die Dissertation: die Vorsicht des Interpreten, die Geschicklichkeit des Dialektikers, die Verwendung nächst liegender Argumente, die wegen ihrer Nähe nur dem strengen Beobachter aufgehen. Die Habilitationsschrift bildet, mit geringen Abweichungen in der Fassung und mit einigen, bisweilen großen Zusätzen den zweiten Abschnitt des Buches: „Die Lehre von der Compensation. Eine civilistische Abhandlung“ (Leipzig 1849, X u. 158 S.). Hervorgegangen aus intensiver Befassung mit der stipulatio zeigt es gründliche Kenntniß der Quellen und volle Herrschaft über die Litteratur seines Gegenstandes. Nachdrücklich finden wir die Meinung bekämpft und widerlegt, daß die Compensation als tilgende Aufrechnung jemals von selbst, d. h. ohne menschliches Zuthun eingetreten, und daß jemals mittelst exceptio compensirt worden sei, da exceptio nur klagausschließend, nicht klagmindernd wirke; in der Geschichte der Compensation wird die Neuerung Marc Aurel’s als Einführung der retentio hingestellt und Justinian’s Reform vorzugsweise auf die Retention bezogen. – Mit den Problemen der Compensation, ihrer Entwicklung und der Deutung des ipso jure compensari hat sich B. in der Folge noch mehrmals befaßt: in einem Aufsatz „Ueber den Satz: compensatio fit ipso jure“ (Blätter für Rechtsanwendung 1850. XV. 81–91), in einem ausführlichen Referat über Dernburg’s Monographie (Schletter’s Jahrbücher der deutsch. Rechtswiss. 1855. I, 215–19, anonym, jedoch nach Form und Inhalt nur B. zuzuschreiben), in den Pandekten beider Auflagen (1857, 1879), in zwei Aufsätzen „Noch einmal ipso jure compensari“ (Jahrb. des gemeinen Rechts von Bekker und Muther 1857. I, 24–40) und „Zur Geschichte der Compensation“ (K. V. 1877. XIX, 321–49, unter Besprechung von Eisele, die Compensation). Alle diese Arbeiten bieten nicht bloß Befestigungen seiner ursprünglichen Thesen, sie liefern auch deutlichere Fassungen und eingreifende Aenderungen gemäß fortschreitender Einsicht.

An die Stelle der Praxis trat nach der Habilitation die akademische Lehrthätigkeit, der B. mehr als ein Menschenalter, soweit ihn nicht der Beruf des Volksvertreters in Anspruch nahm, mit all dem Eifer oblag, den er an die einmal ergriffenen Aufgaben setzte. Ueber den angehenden Docenten berichtet [244] anschaulich einer seiner Zuhörer, Felix Dahn, daß sie „für ihn schwärmten“ (Erinnerungen von F. D. Zweites Buch. Leipzig 1892, S. 50–54). Die Vorlesungen der Prager Zeit schildert eingehend aus eigener Erfahrung V. Ruß (S. 11 der hier am Ende verzeichneten Gedächtnißrede). Die Dankbarkeit und Anhänglichkeit zahlreicher Schüler von allen Stationen seiner Lehrthätigkeit bezeugen seine mächtige Lehrgabe. Das Lehren, nicht bloß im Hörsaal war für B. ein Bedürfniß, eine Leidenschaft, weil es ihn in Verkehr mit der Jugend brachte und weil es ihm die Gelegenheit gewährte, sich über die wissenschaftlichen Fragen, die ihn bewegten, auszusprechen, zur Klarheit durchzusprechen. Wie ihn als Forscher der Unterricht förderte, so erblickte er in der litterarischen Arbeit eine „Lebensbedingung für den Lehrer“. Noch im Jahre der Habilitation erscheint (außer einem schon erwähnten) der Aufsatz „Zur Lehre von den Wasserrechten“ (Blätter f. Rechtsanwendung XV, 193 bis 202, 209–215), worin die ältere Meinung verfochten wird, daß der Eigenthümer eines tiefer gelegenen Grundstücks nicht dadurch ein den Eigenthümer eines höher gelegenen beeinträchtigendes Recht an dem auf diesem höheren entsprungenen Wasser erlange, daß das Wasser lange oder unvordenklich lange zum tieferen Grundstück geflossen ist. In der nämlichen Zeitschrift, Bd. 17, S. 49–59, unterm 14. Februar 1852 erörtert B. Hauptfragen aus der Lehre von der condictio indebiti im Anschluß an das hiervon handelnde Buch von Erxleben. Um dieselbe Zeit begann er ein Unternehmen, das ihm die Möglichkeit bot, ungehemmt die reichen Mittel eines schaffenden Kritikers zu entfalten, über die er verfügte. Von den „Kritischen Blättern civilistischen Inhalts, in zwanglosen Heften“ kamen das erste und das zweite 1852, das dritte und das vierte 1853 in Erlangen heraus. Es war dabei nach dem Vorwort auf die Prüfung der Litteratur abgesehen, aber eine genauere, als sie Recensionen zu bieten pflegen. Nr. 1 (S. 1–44) befaßt sich (im Anschluß an Chambon, Beiträge zum Obligationenrecht) mit dem Trödelvertrag, grenzt ihn von benachbarten Contracten ab, untersucht sein Verhältniß zum Unterschied von Real- und Consensualcontracten und behandelt besonders lichtvoll die Frage nach der heutigen Geltung der ersteren. Nr. 2 (S. 1–42) knüpft an Buchka, Lehre von der Stellvertretung an. Hier wie sonst dringt B. tiefer, als der Recensirte. Während dieser, was Stellvertretung sei, als feststehend annimmt, entwickelt B. mit eigener Untersuchung ihr Wesen und setzt damit einen Markstein in ihrer Dogmengeschichte. Nr. 3 und 4 sind veranlaßt durch den ersten Band von Savigny’s Obligationenrecht. Hier führt die Ehrfurcht vor dem alten Meister zu einem Vorwort, das auch dem jungen Ehre macht. Nr. 3 (S. 1–60) behandelt zweierlei: den Begriff der Obligation und die Naturalobligation. Mitten in der privatrechtlichen Polemik gegen Savigny’s Definition der ersteren trifft man (S. 7) auf einen Ausspruch, in dem sich die Parteistellung des künftigen Politikers B. anzukündigen scheint: „Wir wollen wünschen, daß das Recht immer Macht sei, und daß es keine Macht gebe, die nicht Recht sei; daneben aber bleibt wahr, daß das Recht von der Macht verrathen, verlassen, unterdrückt sei, dagegen aber mit aller Wahrheit ausrufen kann: Ich bin dennoch“. Brinz’ eigene Begriffsbestimmung der Obligation gelangt zwar noch nicht zu der späteren Weite und Distinction, aber gegenüber Savigny’s Herrschaft über und Puchta’s Recht an Handlungen war es ein bedeutender Fortschritt, „vor dem Gläubiger den Schuldner, vor dem Rechte die Schuld ins Auge zu fassen“. Von noch nachhaltigerer Wirkung war der zweite, der Naturalobligation geltende Theil des Heftes. Denn nach Anführung der einzelnen Fälle und Widerlegung der Savigny’schen Herleitung der Naturobligation gibt B. eine Theorie dieses Gebildes, [245] die grundlegend, deren eine These: „Die nat. obl. ist zahlbar, nicht klagbar“ zum Kennwort der nat. obl. geworden ist. In Nr. 4 (S. 1–58) wird die Correalobligation und dann das solidarische Schuldverhältniß erörtert. Dort erhebt sich die Frage, warum trotz Einheit der Obligation manche Ereignisse nicht auf alle Gläubiger oder Schuldner wirken, und die Antwort geht auf den Grund und das Wesen jener Einheit ein. Bei den solidarischen Schuldverhältnissen beschäftigen B. vornehmlich die Frage, ob die Schulden mit untheilbarem Gegenstand dazu gehören, und die Frage nach dem Grunde der Solidarität der Haftung. In der Zeit, da B. von den Krit. Blättern das 3. und 4. Heft veröffentlichte, war er auch in den 2. Band der Schriften der römischen Feldmesser, speciell in Rudorff’s „Gromatische Institutionen“ (1852) vertieft. Wüßten wir es nicht aus seiner Besprechung in der Krit. Ueberschau der deutsch. Gesetzgebung (1853. I, 208–30), wir würden es vermuthen aus dem Gebrauch des agrimensorischen Bildes, das uns Krit. Bl. Nr. 4, S. 5 bei der Correalobligation überrascht: so wird dem poesievollen Darsteller auch die Frucht wissenschaftlicher Lectüre zum Mittel künstlerischer Wirkung. An Grund zu gehobener Stimmung hat es ihm in jenen Tagen wahrlich nicht gefehlt. „Die Loose der akademischen Carriere fallen ungleich“, sagt er mit Bezug auf Arndts’ zehnjährige Privatdocentur, die seinige hat nicht viel mehr als ein Jahr gewährt. „Daß Sie einst entscheidend in meine Beförderung zum Lehramt eingegriffen haben“, gedenkt er dem siebzigjährigen Arndts. Im Anfang von 1852 nach Basel und zugleich nach Erlangen berufen, nimmt er den letzteren Ruf an, wird im März 1852 zum Extraordinarius ernannt und führt nach einem halben Jahre seine Braut heim. Fräulein Karoline Zenetti, die seiner würdige Lebensgefährtin, war die Tochter des Mannes, dessen Andenken B. die erste Auflage seiner Pandekten mit Worten gewidmet hat, die diese Affinität verklären und selbst den Fernstehenden ergreifen.

Im Mai 1854 zum Ordinarius befördert, veröffentlicht B. als Einladung zu seiner Rede beim Eintritt in den Senat: „Arbor actionum pro loco in senatu academico rite obtinendo iterum edita“ (Erlangen 1854). Den Anlaß zur Wahl des Themas bot der Umstand, daß die Erlanger Bibliothek zwei glossirte Hss. und ein Exemplar der mangelhaften Druckausgabe (1481) des vom Glossator Joannes Bassianus herrührenden Arbor besitzt, des bedeutendsten seiner Gattung. B. orientirt einleitungsweise über den Gegenstand, kommt mit einleuchtenden Gründen zu der Annahme, daß von Baum hier nur metaphorisch gesprochen worden, arbor actionum stets nur ein tabellarisches Verzeichniß der actiones, nicht Bild eines Baumes gewesen sei, „woran die einzelnen Klagen als Früchte hängen“ (Savigny), und gibt einen berichtigten Abdruck der einen Hs. mit eigenen oder den Glossen entlehnten Noten. In die zwei folgenden Jahre fällt eine Reihe von Recensionen, kleinere „Kritische Blätter“, die, minder ephemer als solche Arbeiten sein dürfen, für die Erkenntniß von Brinz’ Person oder der in den Büchern verhandelten Sachen werthvoll geblieben sind. Sie finden sich theils in der Krit. Ueberschau für Gesetzgebung II (1855), S. 165–68 und S. 169–71 (wo B. die für sein Wesen bezeichnende Aeußerung thut: „wir wünschten, daß der Verf. manchmal weniger Ruhe oder Sicherheit, manchmal etwas mehr Leidenschaft oder Kühnheit gehabt hätte“), theils im Literarischen Centralblatt (1856, Nr. 12, Sp. 189–91. Nr. 33, Sp. 525–27. Nr. 50, Sp. 800/1), theils in den Jahrbüchern der deutsch. Rechtswissenschaft, herausg. v. Schletter, I (1855), S. 10 bis 16, 19, 20, 21, 22, 197, 198, 214–219; die in Bd. II (1857), 132 bis 135 wird gleich hier notirt. Daß noch andere in dieser Zeitschrift von B. herrühren, ist nicht erkennbar. Von besonderer Denkwürdigkeit ist die Einleitung [246] zu ihrem civilrechtlichen Theil, die B. in I, 6–10 gegeben hat. Indem er hier „den gegenwärtigen Stand der civilistischen Litteratur in seinen bloß obersten Eigenthümlichkeiten zu bestimmen“ sucht, stellt er bedeutende Betrachtungen über das Verhältniß der römischen und deutschen Jurisprudenz zum Rechte und über die Beziehungen von Theorie und Praxis an, deren klare Sonderung noth thue. „Wir haben (so ergibt sich), abgesehen von äußerer Praxis, keine der römischen vergleichbare praktische Jurisprudenz; hingegen aber haben wir eine Theorie des röm. Rechts, welche die röm. Juristen selbst nicht hatten“. (Für ein Exempel „praktischer Jurisprudenz“ hat er bald danach das Buch von Bähr über die Anerkennung erklärt: Lit. Centralbl. 1856, Nr. 12.) Den Juristen, der ein Vertreter seines Volkes und seiner Zeit sein müsse, vom Geschichtsforscher, Philologen, Antiquar, Philosophen unterscheidend ruft er aus: „Wer nicht für ein geltendes Recht arbeitet, ist kein Jurist“. Mit gleichem Nachdruck, nur auch noch gegen die Politik hin, hat er über zwanzig Jahre später die für den Juristen geltenden Grenzen hervorgehoben (K. V. XIX, 401), gegen die Tendenz ihrer Ueberschreitung, worin Manche den Fortschritt der Jurisprudenz erblicken. Neben allen jenen kürzeren, aber aus der Tiefe kommenden Arbeiten erwuchs die erste Abtheilung des Hauptwerkes, des Lehrbuchs der Pandekten (XVI u. 650 S.), die anfangs 1857 in Erlangen ans Licht trat. Soweit die lehrreiche Vorrede die inneren und äußeren Eigenthümlichkeiten des Buches anzeigt, erklärt oder begründet, brauchen sie hier nicht angeführt zu werden. Hatte B. nicht lange vorher (Schletter’s Jahrb. I, 198) geschrieben, „daß die Anforderungen, welche wir an ein Lehrbuch stellen dürfen, andere sind, als welche der Weiterbau der Wissenschaft zu erfüllen hat“: so war er selbst zu sehr Forscher, um jemals zu schreiben, ohne auch die letzteren Anforderungen zu erfüllen. „In einem Lehrbuche“, meinte er früher, „thut nicht sowohl Originalität, als Selbständigkeit, nicht sowohl die Aufdeckung neuer Probleme und Dinge, als unbefangene Auffassung und vernünftige Auswahl der vorhandenen noth.“ Er aber leistete nicht bloß was danach in einem Lehrbuch noth thut, sondern schuf nach der Originalität und nach der Zahl neuer Probleme, die es aufdeckte oder löste, ein Werk, das den Begriff des Lehrbuchs wie den des „Lernbuchs“, den er ihm zugedacht, hinter sich ließ. Es wird nicht dadurch herabgesetzt, daß man es außer den Bereich der Schule stellt. Auch als eine Monographie oder eine Sammlung solcher läßt es sich nicht bezeichnen, Es ist einzig in seiner Art und in keiner Kategorie des civilistischen Schriftthums unterzubringen. Trotz innigen Contactes mit den Quellen hat es so individuelles Gepräge und so viel subjective Beweglichkeit, daß man wohl begreift, wie Arndts – in einem Briefe an B. den „rocher de bronce“ daran vermissen konnte (K. V. XXI, 3). Man sehe nur, wie der Autor S. 121 in seiner Entwicklung der in integrum restitutio einen Passus aus Prantl’s eben erschienener Geschichte der Logik wiedergibt und verwerthet, die er unter dem Schreiben erhalten hat. Mit dieser Subjectivität, die dem Buche die unverwelkliche Frische verleiht, hängt wohl auch die trügerische Hoffnung zusammen, die B. sich von der zeitlichen und räumlichen Entfernung des Endes machte, als er die erste Abtheilung hinausgehen ließ: „Die noch übrige kleinere Hälfte“ gedachte er „in ungefähr einem halben Jahre folgen lassen zu können“. Denn die „kleinere Hälfte“ hat sich im Laufe von vierzehn Jahren zum weitaus größeren Theile entfaltet. An dieser Verzögerung hatten freilich auch die Geschicke und Thaten ihren Antheil, die des Verfassers warteten und von ihm ausgingen. Seine Berufung nach München als Nachfolger von Arndts, schon im vergangenen Jahre durch die dortige Facultät vorgeschlagen, war an der [247] Weigerung der Regierung gescheitert. Bald danach, am 3. Mai 1857, wurde er zum Professor der Universität in Prag ernannt. Der weitere neunjährige Abschnitt seiner Lebensbahn ward für ihn und sein neues Vaterland dadurch bedeutungsvoll, daß er als Politiker hervortrat. Vorerst lebte er allein der Wissenschaft und seinen größeren Amtspflichten. Im Spätjahr 1857 erschienen, aber noch der Erlanger Zeit angehörig, ist der Aufsatz „Die Prästation unmöglicher Leistungen“ (Krit. Ueberschau der deutsch. Gesetzgeb. V, 278–302), welcher eine Besprechung von F. Mommsen’s Unmöglichkeit der Leistung mit Hinweis auf Windscheid’s Recension dieses Buches enthält, das B. schon im Lehrbuch berücksichtigt hatte. Er verwirft Mommsen’s Unterscheidung von absoluter und relativer, objectiver und subjectiver Unmöglichkeit und seine Begründung des impossibilium nulla obligatio aus dem Willen der Parteien. Nicht vom Einfluß der Unmöglichkeit, sondern vom praestare oportere der römischen Rechtssprache hätte M. ausgehen sollen. Seine Begründung der Prästation des aus der Ausbedingung der unmöglichen Leistung für den Gläubiger entsprungenen Interesses (non deceptum esse) wird sehr gelobt. – Von Prag aus lieferte B. drei hervorragende Beiträge zu Bluntschli’s und Brater’s deutschem Staatswörterbuch III (1858), S. 403–413, 467–473 und VIII (1864), S. 681–690, nämlich die Artikel „Erbrecht, privatrechtliches“, „Expropriation“ und „Römische Juristen“ – Cabinetstücke, die in jener Galerie zu sehr verborgen sind. Die Abhandlung „Possessionis traditio“ (Jahrbuch des gemeinen Rechts, III, 16–57) verficht (nicht ohne Erfolg) die vor Savigny von den Theoretikern überwiegend gemachte, von B. schon im Lehrbuch S. 60. 61 erneuerte Annahme, daß wo eigens und bloß possessio und nicht res tradirt wird, derivativer Besitzerwerb oder Succession in den Besitz stattfindet, daß daher dieser Erwerb auch fehlschlagen kann. Von umfassenderer Bedeutung als die erwähnten Schriften und von glänzender Dialektik ist die der Rechtsphilosophie angehörige eindringliche Besprechung, der B. die 2. Abtheilung des 2. Theils von Ihering’s Geist des römischen Rechts unterzogen hat: K. V. 1860, II, 1–37. Ihering’s Darstellung des Formalismus im altrömischen Recht erkennt er in vollstem Maße an, greift aber die principiellen Erörterungen, namentlich die Begriffe von „juristischer Analyse“ und „juristischer Construction“ an und verwirft die Unterscheidung von höherer und niederer Jurisprudenz. Bald danach gelang es B., ein weiteres und beträchtliches Stück seines Pandektenbuches zu veröffentlichen: Zweite Abtheilung, erste Hälfte (S. 651–975. Erlangen 1860). Hier finden sich die Universalsuccessionen, namentlich die Erbfolge nebst dem Vermächtniß mit den Vorzügen der ersten Abtheilung behandelt, aber durchsichtiger, womit angebahnt war, daß die zweite Abtheilung minder gedrungen und gleichmäßiger ausfiel als die erste.

Zwischen dem Erscheinen dieses Stückes und dem des folgenden liegt ein Zeitraum von acht Jahren, eine Pause, die vorzüglich von Brinz’ politischer Thätigkeit in Oesterreich und von seiner Uebersiedlung nach Tübingen herrührte. Jene Theilnahme am öffentlichen Leben ward jedoch nicht so wichtig durch das, was sie hintanhielt, als durch das, was sie hervorbrachte, hervorbrachte nicht bloß für den Staat und das Volk, dem sie zugewandt wurde, sondern auch für B. selber. In ihm wurden dadurch Kräfte entwickelt, deren er sich nicht bewußt gewesen, ihm wurden neue Einsichten eröffnet, die auch der Gelehrte nutzen konnte und nutzte, Erinnerungen, Freundschaften und Verehrungen begründet, die ihn bis zu seinem Ende beglückten. Politische Wirksamkeit erschien ihm besonders manneswürdig, und der seinigen gedachte er mit gerechter Genugthuung; sie in seinem Lebensbilde hinter den wissenschaftlichen [248] Leistungen verschwinden zu lassen, würde an sich und in seinem Sinne eine starke Verzeichnung sein. Die Politik, für die B. sich in Oesterreich einsetzte, war die des bürgerlichen Liberalismus; er erstrebte die Befestigung der neuen Reichsverfassung von 1861, die Erhaltung der Staatseinheit, die Blüthe des Deutschthums, die Stärkung des österreichischen Einflusses bei Lösung der deutschen Frage. Und als er später seine großdeutschen Ideale durch die preußische Waffengewalt entwurzelt sah, versäumte er keine Gelegenheit, den durch die Ausscheidung geschwächten Deutschösterreichern seine Anhänglichkeit zu bezeigen, und in ihrem Kampfe mit den Tschechen auch litterarischen Zuzug zu leisten. In Oesterreich wirkte er vornehmlich durch das gesprochene Wort, durch die Wucht und den Schwung seiner Beredsamkeit, die in Volksversammlungen, im böhmischen Landtage und im Abgeordnetenhause des Reichsraths hervortrat. Durch diese mit Ueberzeugungstreue und Tapferkeit gepaarte, mit Geist und Schärfe geübte Macht erwarb er einen Platz in Oesterreichs politischer Geschichte. War es doch die hinreißende Ansprache, mit der er am Vorabend von Schiller’s hundertjährigem Geburtstag auf dem Waldsteinplatze in Prag vor einer Volksmenge „den Dichter der aufwärts ringenden Menschheit“ feierte (Die Schillerfeier in Prag. Prag 1859, S. 9, 10), was ihn weiteren Kreisen bekannt und vertrauenswerth machte und bewirkte, daß man ihn hervorzog, als nach 1½ Jahren mit Einführung der Repräsentativverfassung die parlamentarische Tribüne in Oesterreich wieder aufgerichtet wurde. Aus Liebe zu Oesterreich ließ sich B. bereit finden, dem Rufe zu folgen, und „erstaunlich schnell“, wie seine neuen Landsleute bezeugen, hat er sich in die österreichischen Verhältnisse hineingelebt. Zunächst freilich entging ihm das Mandat in einem nordböhmischen Wahlkreis, wohl nur darum, weil er in aufrichtiger Beantwortung einer Anfrage das unlängst geschlossene Concordat für einen nicht einseitig lösbaren Vertrag erklärt und damit die Wähler sich entfremdet hatte. Als Abgeordneter des Bezirkes Karlsbad-Joachimsthal gehörte er dann Jahre lang dem böhmischen Landtag an, und im „selbstgeschaffenen Beruf, altes deutsches Recht dort zu vertheidigen“, hat er heftige Fehden bestanden. Vom Landtag wurde er in das Abgeordnetenhaus des Reichsrathes gewählt, für dessen bedeutendsten Redner er bald angesehen wurde. Als solcher erwies er sich bei der Berathung der ersten wichtigen Gesetzvorlage, der über die Aufhebung des Lehensverbandes. In der mehrtägigen Verhandlung des von ihm verfaßten Ausschußberichts über den Gesetzentwurf fungirte B. als Berichterstatter der Majorität, und bewegte sich auf dem zwar juristischen, aber seinem Fach fernliegenden Gebiet mit soviel Sachkenntniß, Energie und Schlagfertigkeit, daß davor die Gegner, die das Gesetz im Abgeordnetenhause fand, nicht bestehen konnten (Abgeordnetenhausprotokoll der 23., 29., 30. Sitzung 1861). Namentlich seine oratorische Leistung zum Schluß der Generaldebatte (25. Juli) wurde noch nach mehr als einem Vierteljahrhundert so gerühmt, wie wenn sie gestern vollbracht worden wäre. In Folge von Differenzen mit dem Herrenhaus fand die Verhandlung über das Lehensgesetz auch noch im folgenden Jahre statt; indessen braucht Brinz’ Betheiligung hier nicht verfolgt zu werden (Protokoll der 163., 164. Sitzung). Nicht immer stand er im Vordergrunde, namentlich nicht, wenn Finanzfragen auftauchten, denen er seiner Vorbereitung nach nicht gewachsen sein konnte.

Daß er im Gegensatz zu der vorwärts drängenden deutschen Verfassungspartei das Ministerium Schmerling unterstützen zu sollen glaubte, that seiner parlamentarischen Stellung Eintrag. Einen bedeutenden Antheil an den Verhandlungen nahm er als ständiger Referent für das Cultus- und Unterrichtsbudget. [249] Hier bot sich ihm Gelegenheit, die Studien- und Schulfonds als Staatsgut zu reclamiren, für die Autonomie der Universität und gegen die confessionelle Schule einzutreten. Ausgezeichnet war die Festigkeit, die er bei Berathung des Gemeindegesetzes bewies, als er dem Streben des Adels nach Ausscheidung der Gutsgebiete aus dem Gemeindeverband sich widersetzte (17. Sept. 1861). Wo immer er eine Entziehung staatlicher Gerechtsame zu Gunsten Einzelner erblickte, stemmte er sich solcher „Privatisirung“ entgegen. Nach dem Fall des Ministeriums Schmerling und der Sistirung der Reichsverfassung (20. Sept. 1865) mußte sich die parlamentarische Thätigkeit auf die Landtage beschränken. Im böhmischen war die deutsche liberale Mehrheit zur Minderheit geworden, und als deren Mitglied stand B. im Vordertreffen gegen die tschechische Majorität. Einmal als Abgeordneter in die Politik verstrickt, beschränkte sich B. nicht darauf, ihr in Wien und Prag obzuliegen, sondern griff auch auf außerösterreichischen deutschen Boden hinüber, um dort bei den Diskussionen über die Neugestaltung des Deutschen Bundes gegen den Ausschluß Oesterreichs und in der schleswig-holsteinischen Frage für das Erbfolgerecht der Augustenburger einzutreten. Die Haltung Oesterreichs, seine Abwendung von den deutschen Volkswünschen, sein Sonderbündniß mit Preußen war für B. tief verstimmend und „mit dem edeln Zorne eines in seinen theuersten Hoffnungen und in seinem Rechtsgefühl zugleich schwer gekränkten Herzen“ (Knoll) trat er im Reichsrath wiederholt gegen die Regierung auf, namentlich in der Sitzung vom 28. Januar 1864, wo er als Jurist und als Mann des Rechts auseinandersetzte, daß die Bewegung in Deutschland nichts Anderes sei, als „eine Bewegung des Rechts und des Rechtsbewußtseins“. Da aber die Angelegenheit sich immer mehr gegen seinen Sinn entwickelte, er die Schwäche und Unaufrichtigkeit der Regierung schwer empfand und des parlamentarischen Kampfes müde geworden war, so erwachte in ihm der Wunsch, den politischen Schauplatz zu verlassen. Ohne Ortswechsel glaubte er dies nicht durchführen zu können. Beides wurde ihm dargeboten durch einen Ruf an die Universität in Tübingen, den er zu Ende des Jahres 1865 erhielt. Auch die Wiener Facultät trug einstimmig ihm einen freigewordenen Lehrstuhl an; allein die österreichische Regierung versagte die Genehmigung. Die Kraft, die sie sich damals entgehen ließ, suchte sie später vergeblich wieder zu gewinnen.

B. aber trat im Herbst 1866 das Tübinger Lehramt an. Sein Abschied vom Parlament war ein endgültiger, und weder in Württemberg noch in Baiern ließ er sich bewegen, wieder ein Abgeordnetenmandat anzunehmen. Der politischen Bethätigung jedoch vermochte er nicht mehr ganz zu entsagen. Er verhehlte nicht seinen Schmerz über die Ereignisse des Jahres 1866 und trat während der folgenden Jahre in Wahlversammlungen der Volkspartei (bürgerliche Demokratie) für die Erhaltung der Selbständigkeit der Südstaaten ein, in denen er die Volksrechte besser gehütet glaubte, als unter dem Uebergewicht der Militärmacht, das im Norddeutschen Bund von Preußen ausging. Wie ihn die Begebenheiten des vergangenen Sommers erfüllten, sein geschichtliches Nachdenken anregten und sein Rechtsgefühl beunruhigten, zeigt sich deutlich daran, daß sie den Hintergrund bilden seiner „zum Eintritt in den akademischen Senat der Universität Tübingen“ am 13. December 1866 gehaltenen Vorlesung. Sie ist gedruckt unter dem Titel „Ueber Tacitus annal. I, 9: jus apud cives, modestiam apud socios“ (Zeitschr. für die ges. Staatswissenschaft (1867), XIII, 128–142). Inwiefern und warum unter Augustus bei den Bundesgenossen Mäßigung und wieso bei der römischen Bürgerschaft das Recht gewaltet habe, ist die anscheinend bloß der Vergangenheit angehörige [250] und einfache Frage. Indem nun B. die Legalität der Umwandlung der Republik in den Principat erörtert, schwingen sehr vernehmlich in der Gegenwart liegende Saiten mit, der Gedanke an die „neue Ordnung der Dinge“. „Diese kann längst gesiegt haben, allein die Erinnerung, ja selbst der Schmerz um das Verlorene ist noch nicht begraben.“ B. hat nicht bloß die Römer im Auge, wenn er sagt: „In solchen Uebergangszeiten nehmen aber die Freunde der neuen Ordnung von der Rechtsfrage am liebsten Umgang“. Und des weitern macht B. deutlich, daß die Frage auch nicht einfach und keine gewöhnliche Rechtsfrage ist, daß sie auf das Wesen des Rechts und seines Verhältnisses zur Gewalt hinauskommt. Wenn er selbst, was man bisher unter Recht verstanden hat, einen Maßstab, der über der Kraft und dem Erfolge steht, von dem andern „in der Erfindung begriffenen Rechte“ unterscheidet, „das eine innere Berechtigung zur That an ihrem äußeren Erfolge erkennt“, so eröffnet er damit einen Blick sowohl in das Innere des Rechts als in sein eigenes. Dieses läßt sich auch sagen von dem Vortrag „Ein Element der Rechte“, den B. im December 1869 vor einem größeren Publicum in Stuttgart gehalten hat (gedruckt im Deutschen Volksblatt, Stuttgart 1869, Nr. 286–289). Vom Dasein einer übersinnlichen Macht in den Rechten und ihrem Unterschied von der Befugniß handelnd, erhebt er sich zur Idee des Rechtsgefühls und weist auf dessen Grund und Wirksamkeit hin. – Sonst war die große litterarische Arbeit seiner Tübinger Jahre auf das positive, auf das römische Recht gerichtet. Mit lange verhaltenem Eifer zu seinem Pandektenwerke zurückkehrend, vermochte er von der zweiten Hälfte der zweiten Abtheilung die erste Lieferung (S. 979–1150: „Das Zweckvermögen“) 1868, die zweite Lieferung (S. 1151 bis 1310: „Die Familien- und Vormundschaftsrechte“: I. Abschnitt) 1869 und die dritte Lieferung (S. 1311–1718: II. und III. Abschnitt, sowie „IV. Buch: Von den Handlungen“ nebst 2 Registern) 1871 erscheinen zu lassen und damit das Ganze abzuschließen. Von dieser zweiten Hälfte der zweiten Abtheilung gilt vielleicht in höherem Grade, was oben von der ersten Hälfte gesagt wurde. Auf verschiedenen Entwicklungsstufen seines Verfassers entstanden und daher mehrere Formationen bietend, würde das nun vollendete Buch als von verschiedenen Meistern herrührend aussehen, wenn nicht ein anderer B. doch nur wieder ein B. sein könnte. „Das ist er, das ist sein eigen“, mag man ganz besonders bei der ersten Lieferung ausrufen. In der Vorrede S. XI war eine zweite Vermögensart für die dort verworfene zweite Personenart angekündigt und nur beiläufig (S. XIII u. 666) als „Zweckvermögen“ getauft worden. Erst nach einem Dutzend von Jahren, nachdem schon andere sich dieses Geschöpfes angenommen, kam B. dazu, seine Auffassung zu entwickeln. Und er that dies mit solchem Nachdruck, solchem Aufgebot von Gelehrsamkeit und solcher Ausführlichkeit, daß wohl zu erkennen ist, wie es ihm hier um mehr ging, als um die Wahrheit oder Unwahrheit einer Lehre, der Lehre von einem Vermögen, das Niemanden, aber für einen Zweck gehört, an diesen gebunden ist. Hier bedarf es einer psychologischen Erklärung. Seine Denkweise war an dem Problem betheiligt; ihm ging es wider die Natur, sich unter einer Person nicht einen Menschen vorzustellen, also daß er die juristische Person für eine fingirte halten mußte. Wenn er mit seinem heißen Kampf gegen das, was ihm als Fiction erschien, die Wissenschaft nicht von der juristischen Person abbrachte, so kam dies nicht davon, daß seine Neuerung weniger werth war, als die bisherige Vorstellung; es lag vielmehr daran, daß sich bei der Corporation das gemeine Leben für seinen Bedarf von Alters her mit der juristischen Person vertraut und es dadurch der Jurisprudenz zu schwer gemacht hatte, vom erprobten Herkommen abzulassen. – Noch vor der [251] Vollendung seiner Pandekten schrieb B. einen rechtshistorischen Aufsatz (datirt vom 1. Sept. 1869 und gedruckt in K. V. XI, 471–502), der wegen seines Inhalts und seiner Folgen bedeutungsvoll ist. An das Buch seines Lehrers Rudorff über das Edictum perpetuum (1869) anknüpfend, untersuchte er die staatsrechtliche Natur des Ed. perp., das inhaltliche Wesen und die Ordnung (System) des Edicts. Von den beiden letzten Punkten hat sich Vieles nicht halten lassen, nachhaltig aber war seine Erkenntniß, daß in der Restitution der Formeln Rudorff’s Hauptverdienst bestehe, und daß hier Arbeit übrig gelassen sei. Demgemäß nahm er diese Restitution unter die Aufgaben auf, deren Lösung er von sich oder Anderen erwartete. Von der Meinung, die er wenige Jahre später im Nekrolog auf Rudorff äußerte: „Alle nachfolgende Arbeit wird leicht sein im Vergleich zu dieser einzigen ersten“, war er wohl zurückgekommen, als er 1879 der baierischen Akademie der Wissenschaften in München „die Formeln des Edictum perpetuum (Hadriani) in ihrem Wortlaute und ihrem Zusammenhang“ zum Thema einer von der Savigny-Stiftung zu stellenden Preisaufgabe empfahl. Hiermit gab er den Anstoß zu Lenel’s noch mehr als das Thema umfassendem Buche „Das Edictum perpetuum (1883)“ – eine seiner mittelbaren Förderungen der Wissenschaft. Auf Grund seines Gutachtens wurde die Preisarbeit gekrönt (Sitzungsberichte 1882, II, 228–32), und die Akademie, empfindend, „wie sehr sie seines Beistandes bedurfte“, beeilte sich, ihn 1883 zum ordentlichen Mitglied zu wählen. Das selber zur Edictslitteratur zu zählende Gutachten ist in der Ztschr. der Savigny-Stiftung (romanist. Abth.) IV, 164–176 abgedruckt. Auf S. 172 al. 1 ist ein weiteres wichtiges Problem angedeutet. Innerlich knüpft an dieses das zweite Preisausschreiben an, das die baierische Akademie namens der Savigny-Stiftung 1886 erlassen hat (Sitzungsber. S. 252). Nach Inhalt und Fassung rührt es von B. her; seine Erfolglosigkeit (Sitzungsber. 1890, II, 41. 42) hat er nicht mehr erlebt.

Am 1. April 1871 ward B. zum Professor des römischen Civilrechts an der Universität München ernannt. Er kehrte nun an den Ausgangspunkt seiner wissenschaftlichen Laufbahn zurück, um ihn trotz ehrenvoller Berufungen nach Wien, Heidelberg und Berlin nicht mehr zu verlassen. Als Politiker trat er nur noch selten an die Oeffentlichkeit, und dann nicht für andere Fragen als die der deutschen Nationalität. In einem 1882 von ihm mit begründeten und geleiteten „Verein zum Schutze deutscher Interessen im Auslande“ hielt er mehrere im Druck erschienene Ansprachen: Bericht über die erste Generalversammlung des Vereins u. s. w. am 15. Mai 1882 (München 1882, S. 3–12), Ansprache in der Versammlung des Vereins u. s. w. vom 2. März 1886 (München 1886, 14 S.); die erstere befaßt sich hauptsächlich mit der Lage der Deutschen in Ungarn, die letztere schildert mit großen geschichtlichen Rückblicken den gegenwärtigen Stand der „Entdeutschung Deutschösterreichs“, sieht in der preußischen Polenausweisung keine Förderung deutschen Volksthums und begrüßt die Allianz des Deutschen Reichs und Oesterreichs. Für die seinen politischen Zielen zugewandte, von H. Friedjung herausgegebene Wiener „Deutsche Wochenschrift“, Probenummer vom 4. November 1883 schrieb er den einleitenden Aufsatz „Oesterreich und Deutschland“, worin er u. A. der „ans Wunderbare grenzenden Resignation“ gedenkt, womit man im deutschen Reich über die Ausscheidung mächtiger und urdeutscher Volks- und Reichstheile hinweggleite. Mit dem flammenden Eifer eines an seinem Lebensnerv Getroffenen trat er (in den Münchener „Neuesten Nachrichten“ vom 29. und 30. Januar 1885) gegen einen Artikel E. v. Hartmann’s in die Schranken, der dem Niedergang des Deutschthums in Oesterreich das Wort geredet hatte; [252] namentlich hält er diesem die Enge eines Nationalgefühls vor, das sich auf die Staatsgrenzen beschränkt.

Von diesen Publicationen abgesehen, hängen die Schriften, die B. während seiner Münchener Professur verfaßt hat, bis auf eine, naturgemäß mit seinem Fach oder mit seiner Berufsstellung zusammen. Sie sind so zahlreich, so mannigfaltig innerhalb der juristischen Wissenschaft und zum Theil auch so umfänglich – obwohl B. wie seinem Lehrer „das raumfressende Talent der Plattheit schlechthin abging“ –, daß zwar alle, wie sich gebührt, hier erwähnt, aber nicht alle an dieser Stelle im Einzelnen beleuchtet und nach Gebühr gewürdigt werden können; mancher ist schon im Vorausgehenden gelegentlich gedacht worden. Vergegenwärtigt man sich, daß diese Fülle der Ertrag eines nicht viel mehr als sechzehnjährigen Lebensabschnittes ist, so muß man die Kraft bewundern, die jene Fülle voraussetzt, noch ohne zu veranschlagen, wie sehr eine starke Lehrthätigkeit, Erstattung von Gutachten für die Praxis, sowie vielseitige Pflichten und Interessen den gesuchten und hülfsbereiten Mann in Anspruch nahmen. Seine Leistung für die Savigny-Stiftung wurde erwähnt, von Unterstützungen angehender Autoren wäre mehr als eine zu nennen, auch die kurze Bevorwortung von Zweifel, die sittliche Weltordnung (1875) ist eine. Mit der größten Theilnahme und der edelsten Sprache hat er in Nachruf und Denkrede, Glückwunsch und Festrede sich der Pflege des Gedächtnisses und der Anerkennung des Verdienstes seiner Lehrer oder Fachgenossen gewidmet. Zu den schon genannten Nekrologen auf G. L. v. Maurer, Rudorff und Arndts – Lebensbilder, die die Individualitäten viel tiefer fassen, als je die bildende Kunst zu dringen vermag – , und zu den Reden am Grabe von Arndts und am Grabe v. Poezl (Allgemeine Zeitung, 1878, Beilage Nr. 79 und 1881, Beilage Nr. 16) gesellen sich der Artikel G. L. v. Maurer in der Allgem. deutschen Biographie (1884), XX, 699–706 und festliche Schriften für Arndts, Spengel, Savigny, Scheurl und Planck. Arndts zum 70. Geburtstag spendet er den Aufsatz „Zur Lehre von der Correalobligation und den solidarischen Schuldverhältnissen“ (München 1873, ohne die Widmung abgedruckt in K. V. XVI, 1–17). Die Einheit der Obligation, wird hier ausgeführt, könne nicht der zureichende Grund der allseitigen Wirkung der Litiscontestation sein, da solche der Verschiedenheit der Personen widerstrebe. Vielmehr erkläre sich diese Wirkung erst durch die Annahme gegenseitiger Vertretung der Mehreren. Sei aber die Gesammtconsumtion nicht die Folge der Einheit, so könne Einheit der Schuld bei Mehrheit der Haftungen auch für die bloß solidarischen (der Gesammtconsumtion entrückten) Obligationen gelten. Zur Festgabe für Arndts’ Doctorjubiläum (München 1875) liefert B. außer dem prächtigen Glückwunsch die Abhandlung „Zum Rechte der bonae fidei possessio“ (S. 73–138), die dieses Ding auf Grund reichen, nicht durchweg fügsamen Quellenmaterials als ein bonitarisches Eigenthum darstellt. Von der Festschrift für den Philologen Spengel ist oben ihre Einbegleitung durch B. erwähnt worden. Sein Beitrag „Zur Contravindication in der legis actio sacramento“ (S. 95–146) vertheidigt die von Lotmar angefochtene Nothwendigkeit, daß in diesem Verfahren auch der Beklagte Eigenthum behaupte, vornehmlich unter Hinweis auf die Zweiseitigkeit des Besitzinterdictenprocesses. Savigny’s hundertjähriger Geburtstag gab Anlaß sowohl zu einer Festrede für die Universität (München 1879, 16 S., 4°) als zu reichhaltigen kritischen Berichten über das, „was der Gefeierte noch nach seinem Tode erlebt hat“, nämlich über fremde Festreden und -Schriften: „Die Savignyfeier am 21. Februar 1879“ (K. V. XXI, 473–90) und „Nachtrag zur Savignyfeier“ (ebenda XXII, 161–80). Bei dieser Feier, sagt er, „stund der Ruhm fest, ohne daß man den Punkt, [253] von dem er ausstrahlt, sofort oder einig zu nennen vermochte.“ B. hat denselben bestimmt, in der Vertrautheit mit Savigny’s wissenschaftlichen Vorfahren und unter Charakterisirung der Hauptwerke wie der Methode des Gefeierten. Mit Nachdruck verweilt er bei der durch S. in Fluß gebrachten, aber nicht ganz in Brinz’ Sinne beantworteten Frage nach dem Verhältniß der Gesetzgebung, d. h. der Codification zum Recht und zur Jurisprudenz. Wiederum lebenden Jubilaren hat B. die beiden letzten der in Rede stehenden Publicationen dargebracht. Von den „Zwei Abhandlungen aus dem röm. Recht“ (Freiburg u. Tübingen 1884), welche Adolf Scheurl mit einer Widmung von B. und Hölder[1] überreicht wurden, gehört B. die erste: „Die Freigelassenen der lex Aelia Sentia und das Berliner Fragment von den Dediticiern“ (S. 9–28). Er trägt hier zur Aufhellung eines dunkeln Textes bei, über dessen äußere Beschaffenheit und inneren Bezug im Allgemeinen er kurz vorher in der baierischen Akademie vorgetragen hatte: „Die Berliner Fragmente vorjustinianischer Rechtsquellen“ (Sitzungsber. Jahrg. 1884, S. 542–59). Die letzte litterarische Arbeit war für das Doctorjubiläum seines Collegen Planck bestimmt. Diese Gabe erschien nach seinem Tode als Stück der von der Münchener Juristenfacultät dem Jubilar gewidmeten Festgabe (München 1887) S. 153–73: „Ueber den Einlassungszwang im römischen Recht“. Nach Feststellung der Existenz dieses Zwanges erörtert sie seine Verträglichkeit mit der zum Streit nur autorisirenden auctoritas des Magistrats wie mit dem eremodicium und ordnet diesen Zwang ansprechend dem System der Rechte und Pflichten ein. Im Eingang des Aufsatzes bezieht er sich auf einen Vortrag über „Potestät und Autorität“, den er am 23. März 1887 in Wien gehalten hatte (Jahresbericht der jurist. Gesellschaft in Wien für 1887, S. 3).

Gelten die vorstehenden Gelegenheitsschriften anderen Personen, so steht B. gewissermaßen selber im Mittelpunkt der Feier, durch welche die zwei folgenden veranlaßt sind. Zum Antritt seiner zwei Rectorate hielt er die Reden „Ueber Universalität“ (München 1876, 18 S., 4°) und „Ueber die Zeit im Rechte“ (ebenda 1882, 18 S., 4°), letztere von der Rechtsnatur des Kalenders handelnd, dessen gregorianische Gestalt damals das dritte Jahrhundert vollendete. Als Rector begrüßte er die Naturforscherversammlung in München mit einer Ansprache, in der er darauf hinwies, daß allen Wissenschaften gemein sei, einen gegebenen Stoff zu behandeln, auch der Jurist nicht mehr Schöpfer seines Naturrechts sei (Amtl. Bericht über die 50. Versamml. deutsch. Naturforscher u. Aerzte. München 1877, S. 2 ff.). Eine fernere Rectoratsrede handelt über „Rechtswissenschaft und Rechtsgesetzgebung“ (Allgemeine Zeitung 1877, Beilage Nr. 210, 211), und wirft hierbei einen Blick auf das im Werden begriffene Reichscivilgesetzbuch, der gegenüber dem gewordenen an Interesse gewonnen hat. Indem B. Recht und Gesetz unterscheidet und der Rechtswissenschaft „ihr eigenes, von keinem Befehl zu betretendes, also von der Gesetzgebung nicht zu bearbeitendes Gebiet“ vorbehält, drückt er die Furcht aus, das kommende Gesetzbuch werde zum Nachtheil der Rechtswissenschaft eine „Vermischung von Recht und Gesetz“ werden. Vielleicht wäre bei diesen Betrachtungen auch den Gedanken Rechnung zu tragen gewesen, die er im österreichischen Abgeordnetenhause am 26. Juli 1861 geäußert hatte: es liege im Interesse der Gerichte „ein möglichst einfaches Recht vor sich zu haben“, und es nütze der Volkswirthschaft, dem Nationalvermögen, „daß man das Recht möglichst prompt und parat halte“ (Protokoll S. 652). – Ueberwiegend ohne festlichen Anlaß sind die Arbeiten, die B. als Mitglied der historischen Classe der baier. Akademie verfaßt, deren Gegenstände er darum der Rechtsgeschichte entnommen hat: außer dem schon erwähnten Vortrag über die Berliner Fragmente [254] (1884) die Festrede „Zum Begriff und Wesen der römischen Provinz“ (München 1885, 24 S., 4°) und die Vorträge: „Ueber die römische Provinz in ihrem Verhältnisse zu propagatio imperii Romani und zu Italien“ (erwähnt in Sitzungsber. 1885, S. 273), „Ueber die rechtliche Natur des römischen Fiskus“ (Sitzungsber. 1886, S. 471–96) und „Zu den Alimentenstiftungen der römischen Kaiser“ (a. a. O. 1887, S. 209–28). Das Wesen der Provinz im Gegensatz zu Italien findet B. nicht in einer Eigenthümlichkeit der Unterwerfung der Personen oder der Rechtsstellung des Bodens, sondern in der Prorogation der Magistratur. Die übrigen Vorträge, dem römischen Verwaltungsrecht angehörig, behandeln behutsam und anziehend ein Stück der Rechtgeschichte des Zweckvermögens. – Ohne Zusammenhang mit Universität oder Akademie ist in dem letzten Lebensabschnitt noch eine Reihe von Abhandlungen entstanden, von denen „Der Begriff obligatio“ in Grünhut’s[2] Ztschr. f. d. Privat- und öffentliche Recht I (1874), S. 11–40 zuerst zu nennen ist, weil sie die weittragendste ist und verwandte Arbeiten ihres Verfassers hervorgerufen hat. In bewegendster Weise setzt B. hier auseinander, daß die Person des Obligirten das Ding ist, das haftet, daß dieser Obligirte nicht in der Leistung aufgeht, nicht bloß Object eines Zwangsrechts zur Leistung, sondern Geisel oder Pfand, Satisfactionsobject ist. Zwar haftet heute die Person nicht mehr leiblich, aber mit ihrer Zuthat, ihrem Vermögen. Die reinste Ausprägung dieses Sachverhalts bietet der nexus nach der Niebuhr’schen Auffassung, der sich selbst mancipirt, eine Selbstverpfändung, eine Art von fiducia cum creditore vorgenommen hat. In Wiederaufnahme einer schon in den Pandekten S. 365 geäußerten Ansicht zeigt B. hierauf die Gattungsgemeinschaft von Personen- und Sachenhaftung, und erläutert endlich, wieder unter Erneuerung des in den Pandekten S. 374 ff. Gesagten, den quellenmäßigen und praktischen Unterschied von Haftung und Schuld (debitum), indem er nunmehr Grund und Wesen dieses Unterschieds entwickelt. Unter den Phasen der Obligation findet sich hier (im Gegensatz zur 2. Auflage der Pandekten) die Verbindlichkeit noch nicht ausgeschieden, Schuld auch da angenommen, wo eine dem Gläubiger gehörige Sache zu leisten ist, und die Rechtslage des Depositars nicht restlos erklärt. Im Zusammenhang mit diesem Aufsatz steht die Anzeige (K. V. 1874. XVI, 588–91) von K. Maurer’s „Schuldknechtschaft nach altnordischem Recht“, welche Abhandlung auf Brinz’ Wunsch entstanden war, im altnordischen Recht die fiduciarische Selbstverpfändung des Schuldners nachgewiesen zu sehen zur Unterstützung seines aus dem römischen Recht gewonnenen Grundbegriffs der obligatio als persönlicher und sachlicher Pfandhaftung. Wie mit dieser Anzeige, so hat B. nach 10 Jahren und nach weiterer Ausbildung seiner Obligationentheorie abermals zu deren Gunsten einen Streifzug in das Gebiet des altnordischen Rechts ausgeführt. Unter Hinweisen auf romanistische Parallelen gibt B. in den Göttingischen gelehrten Anzeigen vom 1. und 10. Juli 1885 (S. 513–80) eingehenden, theilweise kritischen Bericht über K. v. Amira’s „altschwedisches Obligationenrecht“ (Nordgerm. OR. I, 1882). Eine Anregung zu diesem Unternehmen empfing B. daraus, daß er seine neue obligationenrechtliche Lehre in dem Amira’schen Buche „allerdings selbständig und in mehrfach abweichender Weise“ verwerthet fand. Bei diesen Abweichungen setzt seine Kritik ein, vornehmlich mit dem Bestreben (S. 519–24, 541), eine von der Haftung unabhängige, sich nicht aus derselben entwickelnde Schuld nicht gelten und vielmehr in Schuld und Haftung das altschwedische Recht als mit dem römischen seiner Auffassung übereinstimmend erscheinen zu lassen. Im 2. Bande seines Obligationenrechts, der dem Andenken an B. gewidmet ist, hat Amira die Brinz’schen Einwände [255] zurückgewiesen (S. 72–78). Die Brinz’sche Theorie hatte er berührt (I, 41. 42), nicht angegriffen. Einen solchen von G. Rümelin unternommenen Angriff hat B. in dem Aufsatz „Obligation und Haftung“ (Archiv f. d. civ. Praxis 1886, Bd. 70, S. 371–408) mit einer Schärfe abgewehrt, die zugleich der Fassung seiner eigenen Theorie zu Gute kommt. Man kann diesen Aufsatz mit den erwähnten, sich mittelbar an den „Begriff obligatio“ anschließenden zu den Recensionen rechnen, deren B. in jenen Jahren eine große Zahl verfaßt hat. Eine eingehende Besprechung Von Bruns’ „Besitzklagen“ ist in der „Jenaer Litteraturzeitung“ 1874, S. 614–22 veröffentlicht. Auch die Abhandlung „Nemo errans rem suam amittit und l. 49 D. mandati“ (Archiv f. d. civ. Praxis 1880, Bd. 63, S. 318–78) kann hier eingereiht werden, weil sie, im wesentlichen unter Vertheidigung der Ihering’schen Auslegung der genannten Stelle, einige abweichende neuerer Autoren einer Revision unterzieht. Die Mehrzahl jener Recensionen enthält die K. V. Nach der Niederlassung in München trat B. in deren Redaction ein, und ward auch einer ihrer fleißigsten Mitarbeiter. Von den 16 Bänden, auf deren Titel er als Herausgeber genannt wird (XIV–XXIX), sind nur zwei (XXIV u. XXIX) ohne Beiträge von ihm. Viele sind kurze Anzeigen, nicht wenige umfängliche Artikel und alle hervorragend. Einzelne gehen über die romanistische Disciplin hinaus, in nordisches Recht, modernes Hypothekenrecht und Rechtsphilosophie; die romanistischen betreffen Compendien und Monographien, Theorie, Kritik und Geschichte der Quellen, Rechtsgeschichte sammt Litteraturgeschichte, und die Dogmatik in allen ihren Zweigen. Außer den im Vorausgehenden gelegentlich erwähnten und den durch das Mitarbeiterverzeichniß jedes Bandes ausgewiesenen (z. B. in dem zu Bd. XIX fehlt ein im Vorausgehenden erwähnter) sind noch anzuführen: XV, 87, XXI, 125, XXVIII, 144–147 (unterzeichnet: Z.).

Die ungemein ausgedehnte und vielseitige litterarische Thätigkeit, die auf den letzten Seiten verzeichnet worden ist, erscheint dadurch noch merkwürdiger, daß sie neben der gewaltigen Hauptarbeit an seinem Pandektenwerke hergeht, die B. wohl schon ein Jahr nach seiner neuen Niederlassung in München aufgenommen und bis zum Lebensende fortgeführt hat. Man darf vermuthen, daß, wenn er sich einer und der anderen von den Anforderungen zu entziehen vermocht hätte, denen wir die genannten kleineren Schriften verdanken, es ihm möglich geworden wäre, sein Pandektensystem in der zweiten Auflage zur Vollendung zu bringen. Eine erste kleine Lieferung des ersten Bandes kam im Frühjahr 1873 heraus, ihr folgte 1874 eine zweite nicht größere (bis S. 208 reichend), und 1876 wurde der Band, vollständig: „Lehrbuch der Pandekten, erster Band, zweite, veränderte Auflage“, Erlangen 1873 (VII und 826 S.). Hierauf folgten: Zweiter Band, erste Abtheilung 1879 (III und 466 S.) und zweiter Band, zweite Abtheilung 1882 (IV und S. 467–882). Vor dem Erscheinen des dritten Bandes machte sich das Bedürfniß einer neuen Auflage der ersten Partie des ersten Bandes geltend, welche die §§ 1–63, die zwei ersten Bücher des Systems, enthält. Mit einer Vorbemerkung des Verf., die über die neuen Aenderungen berichtet, ist dieser Theil erschienen als: Erster Band, dritte, durchgesehene Auflage 1884 (IV und 238 S.). Die zweite Auflage wurde fortgesetzt mit dem dritten Band, erste Abtheilung („Universalsuccessionen“) 1886 (IV und 451 S.). Von der zweiten Abtheilung desselben Bandes hat B. noch die erste Lieferung verfaßt; nach seinem Tode ist sie von seinem Sohne Eduard edirt worden: Dritter Band, zweite Abtheilung, 1. Lieferung („Das Zweckvermögen“) 1888 (S. 453–586). Den äußeren Abschluß der zweiten Auflage hat die Herausgabe der 2. Lieferung („Die Familienrechte und die Vormundschaften“), die den dritten Band [256] completirt (1889), und des vierten Bandes (1892, 1894) gebracht, welche von Lotmar[3] besorgt worden ist.

Daß es B. nicht beschieden war, die zweite Auflage seines Hauptwerkes zu Ende zu führen, bedeutet für die Wissenschaft einen Gewinnentgang, der nicht zu ermessen ist. Namentlich den wichtigen, in die Psychologie einschlagenden Gegenständen des vierten Buches („Von den Handlungen“) hätte die große Denkarbeit noch zu Theil werden sollen, die auf die früheren Theile verwandt, neue Werke entstehen ließ, wo die Anspruchslosigkeit ihres Schöpfers nur eine „veränderte Auflage“ ankündigt. In der Anlage freilich kommt der Neubau mit dem alten so sehr überein, daß die Vorrede der ersten bis auf Weniges auch für die zweite Auflage gelten kann. Wiederum ist es nicht auf Ersatz des mündlichen Vortrags und nicht auf ein sofort faßbares, sondern erst denken machendes Buch abgesehen. Diesmal sind Text und Noten gesondert, der „Beiwagen der Anmerkungen“ vornehmlich im 2. und 3. Band mit Quellenexegese und Litteraturkritik reich beladen, der Text wiederum nicht bestrebt, durch möglichst wenige und möglichst abstracte Sätze gesetzbuchartig der Anwendung bequeme Handhaben zu bieten. „Zwischen Recht und Rechtsgeschichte wurde nicht ängstlich geschieden“, mittelst historischer Entwicklung wird das Bestehende dargelegt. Das Buch stellt sich nicht in den Dienst des Praktikers, verweist nicht auf Präjudizien, verräth auch niemals die Theorie an die Praxis, trachtet aber doch nur danach, das eine, einzige Recht zu finden und darzustellen, dessen die Gerichte zu pflegen haben. Gleichmäßiger, wie schon die späteren Theile der ersten Auflage, sind alle der zweiten gearbeitet, umfassender ist die Litteraturbenutzung, nicht so vollständig als möglich, aber stets aus erster Hand, am entscheidenden Punkt, mit treffendem Wort. Das System ist das frühere, indem dem ersten, vom Rechte handelnden Buche die Personen, die Rechte und die Handlungen in je einem Buche folgen. Man kann über die Zweckmäßigkeit dieses Systemes streiten, aber man kann nicht leugnen, daß ein so großartiger Begriff wie der des Gesammtrechtssystems, dem jenes Privatrechtssystem eingeordnet wäre, nur durch wenige Juristenköpfe gegangen ist. Ist so der Grundriß in den Hauptzügen der alte, so zeigt er doch auch nicht wenige Neuanlagen und Umstellungen, und allenthalben ist der Aufbau durchaus ein neuer, wie viele immer von den Lehrsätzen der ersten in die zweite Auflage übernommen worden sind. Denn es war B. nicht gegeben bei Gefundenem auszuruhen und abzuschreiben, nicht einmal von sich selber. Was er von Leibniz sagt: wo dieser „seinen Fuß hinsetzt, sproßt neues Leben“, gilt im Felde der Jurisprudenz von seinem Werke; es giebt keinen von diesem getroffenen wichtigen Punkt im Umkreis des Pandektenrechts, der nicht durch die neue Arbeit neues Licht empfangen hätte. Eben dieses hindert hier die Herausstellung des Einzelnen und selbst eine Auslese des Bedeutendsten. Die früher erwähnten kleineren Arbeiten sind zumeist Vorbereitungen oder Ausführungen von Lehren des Hauptwerkes. Man war oder ist, wie es scheint, der Meinung, daß dem Umfang und der Tiefe desselben der äußere Erfolg nicht ganz entsprochen habe, indem man seine Verbreitung und Berücksichtigung veranschlagt. B. dürfte dies zugeben, ohne sich etwas zu vergeben. Denn ein Mann, der in Geschichte und Politik nicht nach dem Erfolg urtheilte, brauchte sich an diesem Maßstab für seine eigenen Leistungen nicht genügen zu lassen. Nur daß jenes Manco von Form oder Stil des Werkes herrühre, könnte nimmermehr zugelassen werden. Denn kein Deutscher hat über römisches Recht so kräftig, farbig, lebendig und anmuthig und dabei so vornehm geschrieben als B. Daß sich sein Buch trotz der Bestimmtheit des Ausdrucks nicht leicht liest, daß es Sammlung und Versenkung [257] vom Leser fordert, liegt an seinem Inhalt und an seiner Methode. Der Reichthum jenes macht es inhaltsschwer und läßt keine leeren Stellen aufkommen. Die Fülle kommt von der Ursprünglichkeit, allenthalben sieht B. mit eigenen Augen, stets ist der productive Forscher mit dem Darsteller verquickt. So kam es, daß er nicht, wie ein Capito, „in his quae ei tradita erant, perseverabat“, sondern, wie ein Labeo, „plurima innovare instituit“. Man beachte nur, wie vermöge seiner Autopsie gleich im Anfang des ersten Bandes die Quellen- und Litteraturgeschichte sich regt, in Fluß kommt und neue Gestalt erhält. Dabei war er weit davon entfernt, das Neue um der Neuheit willen zu suchen oder von Anderen anzunehmen, und die Leistungen der Vorgänger, auch der todten, die, weil sie schweigen, leicht verschwiegen werden, gering zu achten. Davor schützte ihn sein historischer Sinn, der ihm eingab: „auf jedem Punkte, wo ein alter maßgebend oder gar entscheidend eingriff, sollten wir ihm ein Denkmal setzen, dadurch daß er genannt d. h. der Vergessenheit entzogen wird“. Neben der Fülle und Neuheit des Inhalts kann die Methode Hindernisse bereiten, wenn Einer in kurzer Zeit, mit wenig Mühe im Pandektenwerke sich informiren will. Diese Methode ist die historische, statt der dogmatischen Betrachtung. Das braucht nicht Rechtsgeschichte zu sein, wohl aber „die Hingebung an die Quellen und die Resignation, das Recht aus nichts Anderem, als aus ihnen schöpfen zu wollen“, nicht aus der inneren Natur der Dinge oder ähnlichen Fetischen. Das historische Verfahren geht ferner vom Einzelnen zum Allgemeinen, von den Arten zur Gattung, gibt Wachsthum und Verzweigung der Dinge wieder: eine gewisse Scheu vor verwischender Generalisation und eine gewisse Neigung zu seiner Distinction gehören zur Eigenart des Werkes. Da endlich die historische Methode die objective Ungewißheit nicht durch subjective Sicherheit verschleiert, es vielmehr mit sich bringt und auf sich nimmt, daß nach dem Quellenstand mitunter kein einfacher zweifelsfreier Abschluß erreicht wird, so begreift sich’s, daß ebenso der nach Fertigem begierige Neuling, wie der um Entscheidung bedrängte Praktiker in Brinz’ Pandekten oft nicht finden was sie suchen, und, was sie finden, nicht glauben verwenden zu können. Wenn gleich das Buch unter seinen Zeitgenossen nicht mit all der Kraft um sich gegriffen hat, die in ihm angehäuft liegt – trotz vieler litterarischer Einflüsse, die nachweislich von ihm ausgegangen sind – so ist doch seine Wirksamkeit noch nicht zu Ende. Mit der Anspruchslosigkeit, die er nicht bloß bekannt, sondern auch bethätigt hat, fragt B.: „Aber wie viele von unseren ureigenen Conceptionen, Constructionen, Schöpfungen und wie lange werden sie uns überdauern?“ Wohl wird die eine und die andere seiner Lehren sich vergänglich zeigen, einer oder der andere Satz vor einer ausgebildeteren Quellenkritik nicht bestehen können: das Werk im Ganzen wird noch von fernen Generationen genützt und geschätzt, Manches davon erst dann geschätzt werden. Es kommt die Zeit, da der Romanist über ein größeres Quellengebiet herrschen muß, als in dem B. heimisch war, aber des Hauptwerkes Bedeutung innerhalb seiner Grenzen wird wachsen, je weiter wir uns von der Zeit entfernen, da das römische Recht als geltendes Recht geachtet und daraufhin behandelt wurde. Mag von den Romanisten des 19. Jahrhunderts der und jener in den Mitteln vollständigere oder in den Ergebnissen fertigere Untersuchungen geliefert haben: man wird dereinst finden, daß Wenige mit so weitem Blick das Ganze des Systems und der Entwicklung überschaut haben und kaum einer geistesverwandter wie B. mit Celsus und Papinian verkehrt hat.

Bei seinem Auftreten in der Litteratur wurde er als Skeptiker bezeichnet, [258] während er doch allenthalben seine Zweifel begründete und für das bezweifelte Ersatz zu schaffen beflissen war. Nicht ein Skeptiker, aber ein hervorragender Kritiker ist er gewesen. Diese und mehrere andere Eigenschaften sind ihm mit Lessing gemein; in den ersten Jahren hat er auch dessen kritischen Stil. Zum Kritiker befähigte ihn seine ungewöhnliche Urtheilskraft, die ihn das Wesentliche, das Neue, die Stärke und die Schwäche eines Buches rasch erkennen ließ. Oft bis zu den Ursprüngen fremder Untersuchung vordringend und dem Kritisirten meistens überlegen, gebraucht er die Ueberlegenheit nicht selten nur um das Verfehlte in Besseres umzusetzen oder um auf den Weg zum Besseren hinzuweisen. Der falschen Prätension begegnet er mit Ironie, jeder echten Bemühung mit Wohlwollen. Für eigenes Versehen macht er Vorbehalte, mißt dem fremden Vorbringen die günstigste Deutung bei und ist sichtlich bestrebt, Gerechtigkeit walten zu lassen. Niemals wirft er seine Autorität in die Wagschale, gibt sich nur als Mitarbeiter am gemeinsamen Bau der Wissenschaft und achtet es auch in seinen späteren Jahren nicht für zu gering, neue litterarische Erscheinungen öffentlich zu würdigen, von wem immer sie ausgehen. Da er diese kritische Thätigkeit auch in der gefälligsten Form und oft mit einem Humor übt, der von Herzen kommt, so kann es nicht fehlen, daß der theilnehmende Leser außer der Belehrung den Eindruck empfängt, dass ein edler Mann die Feder führt. Vom Menschen B., von dem was er den Seinen, den Freunden und den Ferneren gewesen, ist auf diesen Blättern nicht eigens die Rede gewesen; dies schildern ergreifend zahlreiche Nachrufe und Erinnerungen, die seinen Heimgang beklagen. Diese Seite seines Wesens ist auch in seinen gelehrten Werken nicht verborgen. Wer aber aus seiner eigenen Aeußerung mehr davon erfahren will, als seine juristischen und politischen Schriften nebenher erkennen lassen, der greife zu der einzigen, die in keines dieser Fächer gehört, zu der „Festrede bei der Enthüllung des Herzdenkmals[4] zu Erlangen am 5. Mai 1875“ (Erlangen 1875. 2. Aufl. 1892, 12 S.). Hier spricht nicht der Jurist, nicht der Politiker, nur der Mensch, aber der freie, warme, große, zum Menschen vom Menschen - sich damit selber unbewußt ein unvergängliches Denkmal seiner Menschlichkeit setzend.

(Z.), Alois v. Brinz. Nekrolog: Allgemeine Zeitung 1888, Nr. 17, 18, 21, 23. – Philipp Knoll[5], Alois Brinz. Denkrede gehalten am 29. Nov. 1887 im deutschen Verein zu Prag (1888; abgedruckt in Beiträge zur heimischen Zeitgeschichte v. Ph. K. Prag 1900). – Adolf Exner, Erinnerung an Brinz. Vortrag in der Vollversammlung der Wiener juristischen Gesellschaft (Wien 1888). – Regelsberger[6], Alois v. Brinz: Krit. Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, Bd. 30, S. 1–20 (1888). – Mitteis, Alois v. Brinz: Juristische Blätter (Wien) 1887, Nr. 39. – v. Giesebrecht in Sitzungsberichte der philosophisch-philologischen und historischen Classe der k. b. Akademie der Wissenschaften 1888, S. 268 bis 276 (München 1888). - – z, Alois v. Brinz: Juristische Vierteljahresschrift, Organ des deutschen Juristenvereins in Prag (1888), S. 117–119. – Dr. Alois v. Brinz. Gedächtnißfeier abgehalten am 18. Jan. 1888 im „Vereine zum Schutze deutscher Interessen im Auslande“ zu München (München 1888), darin Gedächtnißrede des österreichischen Reichstagsabgeordneten Herrn Dr. Victor Ruß[7] aus Wien. – Chronik der Ludwig-Maximilians-Universität München für das Jahr 1887/88 (München 1888), S. 6–9. – A. Sd., Erinnerungen an Alois v. Brinz (zum 25. Februar 1890): Beilage zur Allgemeinen Zeitung 1890, Nr. 56. – Hermann Lingg, Alois Brinz: Allgäuer Geschichtsfreund. Kempten. Dritter Jahrgang [259] 1890, S. 5–10. – J. E. Kuntze, Ihering, Windscheid, Brinz (Leipzig 1893), S. 26–32.

[242] *) In der Folge mit K. V. citirt.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Eduard (Otto) Hölder, 1847-1911.
  2. Grünhut, Karl Samuel (1844-1929), Jurist.
  3. Philipp Lotmar (1850-1922), deutscher Jurist und Rechtsphilosoph, Schüler von Brinz, seit 1888 Professor in Bern.
  4. Jakob Herz (1816-1871), Mediziner, erster Professor jüdischen Bekenntnisses an einer bayrischen Hochschule.
  5. Philipp Knoll (1841-1900), österreichischer Mediziner.
  6. Ferdinand Regelsberger (1851–1911), deutscher Zivilrechtler und Hochschullehrer.
  7. Viktor Wilhelm Russ (1840-1920), Politiker und Staatsmann.