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ADB:Mercator, Gerhard

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Artikel „Mercator, Gerhard“ von Arthur Breusing in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 385–397, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mercator,_Gerhard&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 07:16 Uhr UTC)
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Mercator: Gerhard M. (Kremer), der Reformator der Kartographie, wurde den 5. März 1512 zu Rupelmonde geboren und starb den 2. December 1594 zu Duisburg. Seine Eltern, Hubert und Emerentiana, wohnten im Herzogthum Jülich, höchstwahrscheinlich zu Gangelt, da urkundlich festgestellt ist, daß ein Bruder Huberts, Namens Gisbert, der in dem zu Deutsch-Flandern gehörigen Ländchen Waes (sprich Waas) eine Anstellung als Geistlicher gefunden hatte, aus Gangelt gebürtig war. Die Mutter trug den Sohn bereits unter dem Herzen, als sie mit ihrem Manne zu einem Besuche Gisbert’s nach Flandern reiste, und so wurde Rupelmonde, wo man bei der frühen Jahreszeit wol unter Angst und Schrecken hatte über die Schelde setzen müssen, der zufällige Geburtsort Gerhard’s. Daß diesem aber dadurch seine deutsche Nationalität nicht genommen wurde, erklärt er selbst in der Widmung seiner „Tabulae Galliae et Germaniae“: In terra Juliacensi et parentibus Juliacensibus conceptus primisque annis educatus, licet in Flandria natus sum. Deshalb seien auch die Herzoge von Jülich seine angestammten Herren. Zur Unterscheidung von anderen Gelehrten gleichen Namens nannte er sich freilich, wie es derzeit gebräuchlich war, nach seinem Geburtsorte Rupelmundanus, so daß bei nicht näher Unterrichteten allmählich die Meinung verbreitet wurde, M. sei ein Flaming gewesen. Eben deshalb glaubten Kinder und Enkel in der Grabschrift hervorheben zu müssen, daß er seiner Abstammung nach ein Deutscher sei, und so finden wir denn auf dem Denkmale in der Salvatorkirche in Duisburg: G. M. hic situs est, Juliacensium provincia oriundus. Auch sein Zeitgenosse Hamelmann, der Geschichtschreiber der Reformation am Niederrhein und in Westfalen, vergißt nicht zu erwähnen, M. sei e gente Juliaca gewesen, wofür freilich in der sehr incorrecten Ausgabe der [386] Werke (Lemgo 1711) der komische Druckfehler e gente Judaica steht. Von den Kinderjahren Mercator’s wissen wir nur aus seiner eigenen Aussage, daß er sie in Gangelt verlebt haben muß. Später sind die Eltern nach Rupelmonde gezogen. Wie es scheint, waren sie unbemittelt und konnten für die fernere Ausbildung des befähigten Knaben nicht sorgen, denn der Oheim Gisbert nahm sich seiner an und sandte ihn nach Herzogenbusch in das Haus der Brüder vom gemeinsamen Leben, welches derzeit unter der Leitung von Georg Macropedius (Bd. XX, S. 19) stand. Der Einfluß des Lehrers mag es mit bewirkt haben, daß M., als er zur Universität Löwen abging, sich zunächst den humanistischen Studien widmete. Achtzehn Jahre alt wurde er daselbst den 29. August 1530 immatriculirt. Von seinem Studiengange ist uns wenig bekannt; wir wissen nur aus seinen eigenen Mittheilungen, aus der Vorrede zu seiner Evangelienharmonie, daß er den Kampf zwischen Wissen und Glauben hat durchkämpfen müssen. Er war im Bruderhause zu naivem Bibelglauben erzogen und erschrak, als er sah, daß die Lehre des Meisters aller Weltweisheit, des Aristoteles, nicht mit der Schöpfungsgeschichte der Bibel übereinstimmte. Eine gewaltige Unruhe kam über seinen Geist; er pilgerte in seiner Seelenangst allein von Löwen nach Antwerpen, um ungestört über die tiefen Geheimnisse der Natur nachzudenken. Das Ergebniß war, daß er am Bibelglauben festhielt und seitdem eine unüberwindliche Abneigung gegen alle Philosophie hegte. Mit um so größerer Vorliebe wandte er sich den mathematischen Wissenschaften zu und brachte es in Kurzem so weit, daß er Studenten darin Privatunterricht ertheilen konnte, um seinen Unterhalt zu gewinnen. Er war Autodidakt, hatte aber das Glück, gelegentliche Winke von dem in Löwen weilenden Arzte Rainer Gemma (Bd. VIII, S. 555) aus Friesland zu erhalten. Wie dieser beschäftigte er sich auch mit practisch-mechanischen Arbeiten und sicherte sich dadurch ein so genügendes Auskommen, daß er, kaum 24 Jahre alt, schon einen eigenen Hausstand gründete und sich mit Barbara Schellekens aus Löwen vermählte. Neben der Verfertigung der damals gebräuchlichen Instrumente, Astrolabien, astronomischen Ringe, Armillarsphären und dergl. betrieb er auch das Vermessen und Kartiren von Ländereien, und dies wurde wohl Veranlassung, daß er sich dem Kupferstechen und der Kartographie zuwandte. Sein Erstlingswerk in diesem Fache, eine Frucht seines Bibelstudiums, war eine Karte von Palästina, die im J. 1537 zu Löwen erschien. Sie ist verschollen, und wir wissen von ihr nur durch Riccioli, daß es eine magna tabula war. Sie fand so großen Beifall, daß sich Kaufleute aus Flandern mit der Bitte an M. wandten, er möge eine Karte ihrer Heimath liefern. Diese erschien im J. 1540 gleichzeitig zu Löwen, Gent und Antwerpen in vier Blättern. Ein Exemplar ist vor einigen Jahren wieder aufgefunden und befindet sich jetzt auf dem Museum Plantin-Moretus in Antwerpen. Sie ist nicht graduirt und zeigt nichts Besonderes; es sei denn, daß hier zum ersten Male durch Zeichen die Küstenorte angedeutet sind, an denen sich Leuchtfeuer befanden, Calais, Nieuport, Ostende, Blankenberghe und Heyst, ein Beweis dafür, daß M. schon früh ein Interesse für nautische Dinge gehabt hat. Ein verkleinerter Abdruck findet sich im Theatrum Ortelii. Bis vor Kurzem waren diese beiden Karten die einzigen Arbeiten aus der ersten Zeit, von denen man Kunde hatte. Nun hat sich aber noch in einer Ptolemäusausgabe, die im Besitze Mercator’s gewesen ist, eine Weltkarte eingeheftet gefunden, die im J. 1538 vollendet ist. Sie ist im Wesentlichen nur eine Bearbeitung der im J. 1531 erschienenen Karte von Orontius Finäus und wie diese in zwei Hemisphären, einer nördlichen und einer südlichen, nach der von Stab herrührenden herzförmigen Projection entworfen, so daß jede Halbkugel den oberen Theil des Herzens einnimmt. Während aber Finäus Asien mit Amerika zusammenhängen [387] läßt, trennt M. die beiden Erdtheile durch eine schmale Meerenge. Die Karte ist jetzt Eigenthum der geographischen Gesellschaft in New-York. Im J. 1540 erschien zu Löwen ein Heft von 27 Quartblättern: „Literarum latinarum, quas Italicas cursoriasque vocant, scribendarum ratio“ mit einer Vorrede datirt Nonis Martiis 1540, und in zweiter Ausgabe oder vielleicht als Nachdruck zu Antwerpen, deren Titel dasselbe Jahr, deren Vorrede aber das Datum Nonis Martiis 1541 trägt. Weitere Auflagen erschienen Antwerpen 1549 und 1559. Es ist bekannt, daß sich die Brüder vom gemeinsamen Leben vielfach mit der Kalligraphie beschäftigten, und so wird auch das Interesse Mercator’s dafür schon früh geweckt sein. Er ist ein eifriger Anwalt der Cursivschrift gegen die Fractur, und seinem Einflusse und Vorbilde ist es wol zu danken, daß auch in Deutschland wenigstens für kartographische Darstellungen die letztere schon in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts ganz außer Gebrauch gekommen ist. Auf seinen späteren Karten sind die Verzierungen und Schnörkel der Buchstaben ganz nach Anweisung dieser Schrift behandelt. Im J. 1541 vollendete er nach anderthalbjähriger Arbeit einen Erdglobus und widmete ihn dem Kanzler des Deutschen Reiches, dem älteren Granvelle. Der berühmte „Erdapfel“ Martin Behaim’s ist durch Handzeichnung hergestellt. Der älteste Globus mit gedruckten Kugelstreifen ist der von Johannes Schöner aus dem Jahre 1515. Nach ihm hatten dann Gemma Frisius in Löwen und Vopellius aus Medebach in Köln ähnliche angefertigt. In größerer Vollendung lieferte sie nun M. Während des ganzen sechzehnten Jahrhunderts hatte er darin keinen ebenbürtigen Rivalen, und wenn uns Ruscelli, ohne den Namen Mercator’s zu nennen, berichtet, er habe mit Staunen einen Granvelle gewidmeten Globus betrachtet, der in Deutschland gedruckt sei und an Schönheit der Zeichnung und der Schrift alles früher Geleistete übertreffe, so kann sich das nur auf diesen Globus beziehen. Exemplare desselben befinden sich in Weimar, Wien und Nürnberg. Einen Himmelsglobus, um das gleich hier zu erwähnen, vollendete M. zehn Jahre später, im J. 1551, und widmete ihn dem Fürstbischofe von Lüttich, Georg von Oesterreich. Von beiden Globen befinden sich die gedruckten Kugelstreifen in Brüssel und sind daselbst im J. 1875 auf Kosten des belgischen Finanzministers Malou in einer beschränkten Zahl von Exemplaren facsimilirt herausgegeben. Durch Granvelle dem Kaiser Karl V. empfohlen, der sich damals in den Niederlanden aufhielt und bekanntlich ein großer Freund von mechanischen Kunstwerken war, hatte M. die Freude, auch von diesem Aufträge zu empfangen. Er konnte sein Geschick preisen, daß er sich das Wohlwollen des Kaisers erworben hatte, wahrscheinlich ist ihm dadurch das Leben gerettet. Im Anfange des Jahres 1544 kam im Auftrage der damaligen Statthalterin der Niederlande, der Königin Wittwe Marie von Ungarn, der Generalprocurator von Brabant nach Löwen, um gegen eine Anzahl dortiger Einwohner verschiedenen Standes und Geschlechtes, die der Ketzerei verdächtig waren, die Verfolgung zu leiten, deren Tücke und Grausamkeit wir aus den Denkwürdigkeitrn des edlen Spaniers Enzinas kennen. (Vgl. Sybel’s Histor. Zeitschr. X, S. 197) Fünf der Angeklagten wurden zum Tode verurtheilt, zwei Männer zum Scheiterhaufen, einer zur Enthauptung und zwei Frauen zum lebendig begraben werden. Auch M., als „Meester Geert, getrouwt hebbende Scellekens Dochtern,“ fand sich, und nicht mit Unrecht, auf der Liste der Verdächtigen. Beim Eintreffen des Generalprocurators war er in Berufsgeschäften abwesend; nach seiner Rückkehr erhielt er die Trauerbotschaft, daß sein Oheim und Wohlthäter Gisbert zu St. Nicolas im Lande Waes aus dem Leben geschieden sei, und er eilte hin, um den Nachlaß zu ordnen. Es erging deshalb an den Amtmann des Landes Waes der Auftrag, ihn zu verhaften und M. wurde in das Gefängniß des Schlosses zu Rupelmonde gelegt. [388] Auf die Kunde davon bewog die Gattin ihren Beichtvater, Pieter de Corte, dem Verhafteten ein Zeugniß auszustellen, daß er einen guten Leumund habe und ein ehrbares Leben führe. Dafür wurde nun der Pfarrer selbst zum Angeklagten. Die Statthalterin forderte ihn auf, sich darüber zu verantworten, wie er einem der Ketzerei verdächtigen Flüchtling ein gutes Zeugniß geben und woher er wissen könne, daß derselbe nicht mit Ketzerei befleckt sei. Der arme Pfarrer beeilte sich, der Statthalterin zu erwidern, daß er nicht glauben könne, M. sei flüchtig geworden. Wie dieser oft um seiner Kunst willen von Hause abwesend sein müsse, so sei er auch damals, als der Generalprocurator ihn aufgesucht habe, von dem Abte zu St. Peter in Löwen und dem Propste von St. Bavo in Gent beauftragt gewesen, Ländereien in Flandern zu kartiren, über welche zwischen jenen Herren Zwistigkeit entstanden sei. Nach seiner Rückkehr habe er dann offen in Löwen verkehrt. Aber ganz vor Kurzem sei er in das Land von Waes gereist, um des Nachlasses seines verstorbenen Oheims willen, und bei dieser Gelegenheit sei er von dem dortigen Amtmann als flüchtig und verdächtig verhaftet. Auch der Abt von St. Gertrud, dem es oblag, die Privilegien der Universität Löwen zu schützen, trat für M. als Mitglied der Hochschule ein und verlangte vom Amtmanne die sofortige Freilassung des Gefangenen. Darüber beklagte sich dann der Amtmann wieder bei der Statthalterin, und diese verwies den Abt zur Ruhe, er habe dem Amtmann nicht ferner mit seinem Andringen lästig zu fallen; M. sei mit vermaledeiter Ketzerei befleckt und durch die Flucht seiner Universitätsprivilegien verlustig gegangen. Zugleich erging aus dem Geheimcabinet in Brüssel an den Castellan des Rupelmonder Schlosses die Mahnung, daß er den Gefangenen in sorgfältigem Gewahrsam halte und nicht gestatte, daß er mit irgend Jemanden spreche, es sei denn in Gegenwart des Amtmanns, und falls Briefe an ihn einträfen, möge der Castellan dieselben an sich nehmen und dem Amtmanne aushändigen. Nun aber traten Rector und Professoren der Hochschule zusammen, beklagten sich direct bei der Statthalterin, daß durch Verhaftung Mercator’s die Privilegien der Universität angetastet seien, und verlangten um so mehr die Gründe für die Rechtfertigung eines solchen Verfahrens kennen zu lernen, als sie selbst dem Verhafteten nur das beste Zeugniß ausstellen könnten. Diese Eingabe hatte wenigstens den Erfolg, daß an den Amtmann der Auftrag erging, er möge M. darüber verhören, ob sich derselbe aus Furcht vor der Anklage aus Löwen entfernt habe, und das Protocoll einsenden, damit man der Universität nach Gutbefinden antworten könne. Nebenbei aber blieb nichts unversucht, um M. seiner Schuld zu überführen. Man wollte vertrauliche Briefe, die er früher an einen Freund geschrieben, gegen ihn benutzen. Es liegt ein Erlaß der Statthalterin an den Guardian der Minoritenbrüder in Mecheln vor, worin dieser im Namen des Kaisers aufgefordert wird, gewissen Briefen. die M. an einen der Klosterbrüder geschrieben hatte, nachzuspüren und dieselben dem mehrerwähnten Amtmanne auszuliefern. Es ist dieses Schreiben das letzte der diese Angelegenheit betreffenden, uns erhaltenen Documente. Da es vom 20. Mai datirt ist, und M. bereits im Februar verhaftet wurde, so hat der traurige Aufenthalt in den dunklen Gewölben des Rupelmonder Schlosses wenigstens ein Vierteljahr, vielleicht auch erheblich länger gedauert. Ob schließlich das Verfahren hat eingestellt werden müssen, weil es nicht gelungen war, irgend welchen Schuldbeweis herbeizuschaffen, ob M. der Gunst des Kaisers seine Freilassung zu verdanken hat, wir wissen es nicht. Er selbst hat des traurigen Ereignisses nirgendwo in seinen Schriften erwähnt, auch in der von seinem vertrauten Freunde Walter Ghymm verfaßten Biographie ist darüber nichts enthalten. Erst vor nicht langer Zeit hat Pinchart die erwähnten Actenstücke aus dem Brüsseler Staatsarchive veröffentlicht. Auch ein wichtiger Brief Mercator’s an [389] den jüngern Granvelle aus dem Jahre 1546, der sich auf der Göttinger Bibliothek in der Handschriftensammlung des niederländischen Staatsmannes Viglius von Zuichem befindet, ist erst vor wenigen Jahren an das Licht gezogen. Wir sehen daraus, daß schon M. den Bau der italienischen Seekarten, die durch Niederlegung der mißweisenden Loxodromen entstanden sind, richtig verstanden und daß er bemerkt hat, wie die Breitengrade dadurch an den Rändern in die Höhe geschoben werden mußten. Er stellt dann eine Theorie des Erdmagnetismus auf; beweist zunächst, daß die damals allgemein verbreitete Ansicht, die Nadel richte sich nach einem Punkte am Himmel, eine irrige sei, daß es dagegen einen vom geographischen verschiedenen magnetischen Erdpol gebe; theilt dann seine Beobachtung mit, daß durch Niederlegung einer mißweisenden Loxodrome von Walchern nach Danzig dies letztere um einen Breitengrad nach Norden verschoben werde, folglich die Mißweisung in Danzig 5 Grad größer sein müsse als in Walchern wo sie 9 Grad Ost betrage, und berechnet endlich aus den beiden sphärischen Dreiecken, die ihre gemeinschaftliche Seite in dem Bogen zwischen Walchern und Danzig und ihre Spitzen in den beiden Polen haben, die Lage des magnetischen Poles auf 79° N und 168° O. Hieran knüpft er eine Theorie der Längenbestimmung durch die örtliche Mißweisung, indem er ausführt, wie vom magnetischen Nullmeridiane aus nach Ost und West bis 90° von jenem die Mißweisung zunehmen und dann bis 180° wieder abnehmen muß, und daß diese Aenderung auf höherer Breite mehr beträgt, als auf niederer. Wenn auch Columbus factisch in einem einzelnen Falle die Mißweisung zur Längenbestimmung benützt und Cabot dies verallgemeinert hat, so finden wir doch erst bei M. eine strenge mathematische Theorie, die noch jetzt zutreffen würde, wenn die Isogonen Bogen größter Kreise wären. Wer die sonderbaren Ansichten kennt, die noch bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts über die Abweichung der Magnetnadel gehegt wurden, der staunt darüber, wie weit M. seinen Zeitgenossen vorausgeeilt ist. Nächst der von ihm erfundenen Seekartenprojection ist dieser Brief das wichtigste Zeugniß für seine geistige Bedeutung. Aber die schönsten Erfolge seiner Studien konnten ihn nicht entschädigen für das, was er in Löwen entbehren mußte. Es fehlte ihm dort der Umgang mit gleichgesinnten Männern, er vereinsamte mehr und mehr. Die Freunde, die seine Ueberzeugung getheilt hatten, denen er sich hätte anvertrauen dürfen, Molanus, Hardenberg, a Lasco u. a. hatten Löwen längst verlassen, er mußte jedes gesprochene oder geschriebene Wort ängstlich wägen, weil er sich von Spähern umgeben wußte. Der Aufenthalt wurde ihm unheimlich, und er sehnte sich nach einem Orte, wo er nicht nur seiner Wissenschaft, sondern auch seines Glaubens leben konnte. Der Gedanke, nach Deutschland unter den Schutz seines angestammten Herrn zurückzukehren, lag so nahe. Herzog Wilhelm von Jülich und Cleve hatte am 22. Febr. 1543 das Abendmahl unter beiderlei Gestalt genommen, und wenn ihn auch der Vertrag von Venloo desselben Jahres verpflichtete, in Glaubenssachen keine Aenderung vorzunehmen, er blieb doch der Erasmischen Richtung treu, und M. konnte wenigstens auf Duldung rechnen. Aber diesen hatte das Jahr 1544 gelehrt, wie gefährlich es sei, sich zu entfernen. Hätte er sich sofort zur Abreise gerüstet, er hätte neuen Verdacht auf sich geladen. Dann kam der schmalkaldische Krieg, der Protestantismus in Deutschland schien niedergeworfen; vielleicht hatte es auch hier mit der Glaubensfreiheit bald ein Ende. M. mußte ausharren. Endlich am 2. August 1552 wurde der Passauer Vertrag unterzeichnet, der den Protestanten Religionsfreiheit verbürgte, und M. zögerte nicht länger, dem Lande den Rücken zu kehren, das stolz darauf hätte sein können, wenn es den deutschen Mann zu halten vermocht hätte. Noch in demselben Herbste siedelte er mit Weib und Kind nach Duisburg über. Was ihn bewogen hat, gerade diesem [390] Orte den Vorzug zu geben, ist bis jetzt nicht mit Sicherheit festzustellen gewesen. Falsch ist jedenfalls die Angabe Hamelmanns, M. sei vom Herzoge berufen, um an der dort zu errichtenden Universität als Lehrer zu wirken. Abgesehen davon, daß sich nirgend eine Nachricht findet, man habe schon derzeit an die Gründung einer Universität gedacht, so steht ihr auch die bestimmte Aussage des Herzogs Wilhelm gegenüber, der in einem Briefe vom 14. September 1561 erklärt, es sei weder ihm selbst bis dahin je in den Sinn gekommen, an die Berufung eines Professors an eine etwa zu gründende Hochschule zu denken, noch habe er einem Anderen dazu Auftrag gegeben (vgl. Lacomblet, Archiv V, S. 202). Wahrscheinlich ist die Annahme, daß eine bereits aus früherer Zeit stammende Bekanntschaft mit den Brüdern Johannes und Walter Ghymm, von denen jener die Stelle des Bürgermeisters, dieser die des herzoglichen Schultheißen in Duisburg bekleidete, die Veranlassung gewesen ist, weil M. gleich bei seiner Ankunft in ein enges Freundschaftsverhältniß zu ihnen trat. Wir könnten es als gewiß betrachten, wenn nachgewiesen wäre, daß einer der Brüder oder beide ihre Studien in Löwen gemacht hätten. In Duisburg lag es M. zunächst am Herzen, die für den Kaiser übernommenen Arbeiten fertig zu stellen. Dieser hatte die ihm früher gelieferten auf seinen Reisen und so auch im schmalkaldischen Kriege mit sich geführt; bei der Belagerung von Ingolstadt waren sie in einer Scheune untergebracht, und als diese in Brand gesteckt wurde, geschmolzen und zerstört. In Folge dessen erhielt M. den Auftrag, neue anzufertigen. Unter ihnen werden uns zwei kleine Globen genannt, ein aus Glas geblasener Himmelsglobus auf dem die Sternbilder mit dem Demanten eingeschnitten und die Sterne mit Gold eingebrannt waren, und ein hölzerner Erdglobus von der Größe eines Kinderspielballes, der in sauberster Zeichnung das Bild der Erdoberfläche trug. Beide scheinen verloren zu sein, aber die sie begleitende Schrift: Declaratio insignium utilitatum, quae sunt in globo terrestri, coelesti & annulo astronomico ist vor einigen Jahren vom Brüsseler Bibliothekar Ruelens in Mailand aufgefunden und vom archäologischen Vereine des Landes Waes zu St. Nicolas 1868, leider sehr incorrect, herausgegeben. Ihr erster Theil ist für uns deshalb von Werth, weil er eine neue Bestimmung des magnetischen Poles enthält. Aus der durch Corvo gehenden Linie ohne Mißweisung und der in Löwen von M. sehr genau beobachteten östlichen Mißweisung von 9° 59’ berechnet er ihn auf 77° 2’ N. Dann gibt er wieder die schon in dem Briefe an Granvelle entwickelte Theorie der Längenbestimmung und führt endlich im letzten Abschnitte aus, daß die Längsachse des Mittelmeeres von Ptolemäus zu groß angegeben sei und besonders in der westlichen Hälfte erheblich verkürzt werden müsse. Diese Untersuchung bildete dann die Grundlage für die neue große Karte von Europa in acht Blättern, die zu Duisburg 1554 und in zweiter Ausgabe 1572 erschien und ihrem Verfertiger den Ruf des größten darstellenden Geographen seiner Zeit einbrachte. Sie ist leider noch nicht wieder aufgefunden, aber wir besitzen eine vom Sohne Rumold angefertigte verkleinerte Copie derselben im Atlas, und nach dieser hat man geglaubt, daß schon auf jener großen Karte die werthvolle Projection des schneidenden Kegels angewandt sei, über die Euler später eine Abhandlung geliefert hat. Dem ist indeß nicht so. Blundeville, der in seinen Exercises die Karte genau beschreibt, sagt ausdrücklich, daß die Meridiane gekrümmt seien, was bei jener Projection nicht zutrifft. Während der nächsten fünfzehn Jahre hat M. der Oeffentlichkeit nichts übergeben; er wurde durch geschichtliche und geographische Studien, durch geodätische Arbeiten und durch seinen Unterricht am Gymnasium vollauf in Anspruch genommen. Seine Söhne waren herangewachsen und der vielbeschäftigte Vater konnte sich ihrem Unterrichte nicht so widmen, wie er wünschte. Im J. 1557 war von Gent als Flüchtling ein Lehrer Namens [391] Johannes Oesten, latinisirt Otho, nach Duisburg gekommen, der zunächst aushelfen konnte. Da nun noch ein anderer Flüchtling, Namens Castritius, nach seinem Geburtsorte gewöhnlich Geldorp genannt (Bd. VIII, S. 533) hier lebte, der vorher Rector der Schule in Delft gewesen war, so glaubte der Bürgermeister Johannes Ghymm die Zeit gekommen, wo er mit Unterstützung Mercator’s ein Gymnasium gründen konnte, um dadurch der Reform in Kirche und Schule einen festen Halt zu geben. Als Director der Anstalt wurde Castritius ausersehen, weil er bereits früher diese Stellung bekleidet hatte. Aber M. schenkte dem in seinem Glauben und seinen Sitten zweifelhaften Character kein Vertrauen und bewirkte, daß einer seiner Freunde aus Löwen, ein vorzüglicher Pädagoge und entschiedener Protestant Namens Myle, latinisirt Molanus, der in Bremen lebte, als zweiter Lehrer berufen wurde. Der Dritte wurde jener Otho, und da noch ein Vertreter der mathematischen Wissenschaft fehlte, so erbot sich M., diesen Unterricht unentgeltlich zu ertheilen. Im Herbste 1559 wurde die Schule eröffnet und blühte rasch auf. Aber M. hatte sich in seinem Urtheile über Castritius nicht geirrt. Es fehlte diesem die sittliche Haltung; die Zucht der Schüler wurde so gelockert, daß der Ruf der Schule litt und der Rath sich nach zwei Jahren gezwungen sah, den ungeeigneten Mann seiner Stelle zu entheben. Für ihn trat Molanus ein, der bald nach seinem Einzuge in Duisburg sich mit Mercators ältester Tochter Emerentia vermählt hatte. Castritius aber, der wol mit Recht seine Absetzung wesentlich dem Einflusse Mercator’s zuschreiben zu müssen glaubte, ihm aber mit Unrecht das Motiv unterschob, daß er seinem Schwiegersohne habe die Stelle verschaffen wollen, wurde Mercator’s bitterster Feind und suchte sich auf jede Weise an ihm zu rächen. Da sich am Clevischen Hofe die katholische und evangelische Partei bekämpften, so versuchte er bei jener, M. geheimer politischer Umtriebe zu Gunsten des Protestantismus zu verdächtigen, bei dieser ihn als Achselträger hinzustellen. Es sind dies die Verläumdungen, auf die sich M. in seiner Vorrede zur Chronologie und in der Widmung seiner Seekarte bezieht, und die in dem Briefwechsel mit Molanus eine große Rolle spielen, wo Castritius oder Geldorp Flavus Dorpius heißt. Die Schule aber konnte sich von diesem Schlage nicht erholen. Als M. wegen seiner anderen wissenschaftlichen Arbeiten den Unterricht einstellen mußte, gab auch Molanus seine Wirksamkeit auf und kehrte im J. 1563 nach Bremen zurück. Im J. 1564 übernahm M. auf die Bitte eines befreundeten Engländers, eine von diesem gezeichnete Karte Englands in Kupfer zu stechen. Ob sich ein Exemplar davon erhalten hat, ist nicht bekannt. Nach Vollendung derselben folgte er einem Rufe des Herzogs von Lothringen, um das Herzogthum trigonometrisch zu vermessen und zu kartiren, und konnte die fertige Zeichnung dem Herzoge noch persönlich in Nancy überreichen. Aber die Anstrengungen und Entbehrungen hatten seine Kräfte so erschöpft, daß er nach seiner Rückkehr schwer erkrankte. Nach Bremen kam ein Gerücht von seinem Ende, aber wider Erwarten erholten sich seine Körperkräfte und auch die geistige Abspannung verlor sich allmählich, man durfte sich seiner vollständigen Genesung freuen. In dieser Zeit muß er zum Kosmographen des Herzogs von Jülich ernannt worden sein, denn er bezeichnet sich als solchen auf dem Titel seiner „Chronologia“, Coloniae apud haeredes Arnoldi Birckmanni 1569 fol. Die Vorrede datirt vom 17. August 1568. Ein etwas verkürzter Nachdruck erschien in Verbindung mit der Chronik des Beroaldus: „Basileae per Thomam Guarinum“ 1577. 8°. Das Werk ist eine Frucht seiner biblischen und geschichtlichen Studien. Es enthält zunächst eine Evangelienharmonie, um den Beginn unserer Zeitrechnung festzustellen, und dann eine synchronistische Geschichtstafel, wie bei Melanchthon’s Ausgabe von Carion’s Chronik, angeordnet nach den vier Weltmonarchien der Assyrer, Perser, Griechen [392] und Römer, die schon Hieronymus in den Gesichten des Propheten Daniel unter dem Bilde der vier Thiere, des Löwen, Bären, Pardels und Adlers angedeutet fand. Wenn auch jetzt veraltet, so war das Werk doch seiner Zeit von hervorragendem Werthe. Selbst der große Joseph Scaliger, der eigentliche Begründer der wissenschaftlichen Chronologie sagt darüber: Sa Chronologie bonne ne se trouve plus, bonne et rare, zugleich ein Beweis, daß das Buch schon damals selten war. Wie vorsichtig aber auch M. seine religiöse Stellung durch einige harmlose Aeußerungen kundgab: Neben dem Jahre 1517 bemerkt er, daß Martin Luther gegen den Ablaß aufgetreten sei und den Erzbischof von Mainz aufgefordert habe, statt des Ablasses lieber das Evangelium predigen zu lassen; neben dem Jahre 1546 führt er an, daß bei der Gefangennahme des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen die Sonne ihren Schein verloren habe; bei Erwähnung des Antwerpener Bildersturms im J. 1565 gebraucht er das Wort statuae statt sacrae imagines: das Werk wurde doch als das eines hominis Martino Luthero nimium addicti, wie der Jesuit Possevin sich ausdrückt, auf den Index gesetzt. Im August des Jahres 1569 erschien zu Duisburg die in der Geschichte der Nautik Epoche machende und den Weltruf Mercator’s begründende „Nova et aucta orbis terrae descriptio ad usum nauigantium emendate accomodata“, die erste wirkliche Seekarte in der nach ihrem Erfinder benannten Projection, 2 Meter breit und 1,26 Meter hoch, in acht Blättern. Das einzige bekannte noch vorhandene Exemplar wurde aus dem Klaproth’schen Nachlasse für die Nationalbibliothek in Paris angekauft und ist von Jomard in seinen Monuments facsimilirt herausgegeben. Leider fehlen darauf die Legenden größeren Umfangs, und der Abdruck derselben in Lelewel’s Géographie du moyen âge, tome II, ist durch viele Lese- und Druckfehler entstellt. In der oberen Ecke links findet sich von einem Gedichte begleitet die Widmung an den Herzog Wilhelm von Jülich, in der unteren Ecke rechts ein Organum directorium, d. h. ein Kursweiser, eine Wiederholung der Projection in kleinem Maßstabe mit zwei in Compaßstriche getheilten Quadranten zur graphischen Lösung der in der loxodromischen Nautik vorkommenden Aufgaben. Der Seemann kann keine Karten mit gekrümmten Meridianen oder Breitenparallelen gebrauchen, weil er seinen Schiffskurs als gerade Linie niederlegen muß. Prinz Heinrich der Seefahrer hatte deshalb die „platten“ Seekarten in Marinischer Projection eingeführt, die ein Netz von geradlinigen, rechtwinkligen Maschen haben. Aber schon Ptolemäus hatte auf die großen Mängel dieser Projection hingewiesen, bei der das Verhältniß zwischen den Breiten- und Längengraden nur aus dem mittleren Parallele gewahrt wird. Pirkheimer hatte zwar in der Vorrede zu seiner Ptolemäusausgabe in Aussicht gestellt, diesem Fehler abzuhelfen; es muß ihm aber wohl nicht gelungen sein. Dann hatte Nonius die Loxodrome einer Untersuchung unterzogen und war nahe daran die Aufgabe zu lösen, da er empfahl, eine Reihe von Karten in Marinischer Projection für verschiedene Breiten und nicht zu große Breitenunterschiede zu entwerfen, hat diesen Gedanken aber nicht weiter verfolgt. Erst M. hat das Princip, nach dem die „runden“ Seekarten gebaut werden müssen, klar erkannt und mit aller Schärfe und Deutlichkeit ausgesprochen. In der Legende Inspectori salutem sagt er: „Ich habe (auf den Seekarten mit geradlinigen Meridianen und Breitenparallelen) die Breitengrade nach den beiden Polen zu in demselben Verhältnisse vergrößert, wie die Breitenparallele in ihrem Verhältnisse zum Aequator zunehmen.“ Schon wegen dieses einen Satzes würde M. vollberechtigt sein, als Erfinder der Projection zu gelten. Aber die Legende Distantiae locorum mensurandae modus und die Karte selbst liefert den Beweis, daß er neben der Theorie auch die Praxis vollständig beherrschte. In jener spricht er sich zunächst, und auch hierin hat er keinen Vorgänger, klar über den [393] Unterschied zwischen loxodromischer und orthodromischer Richtung und Entfernung aus und gibt dann eine Anweisung zum Gebrauche der Karte genau mit den Worten, wie wir sie noch heute geben. Es ist hier nicht der Ort, auf wissenschaftliche Fragen näher einzugehen. Nur das soll gesagt werden, daß M. nicht die Freude erlebt hat, den Werth seiner Erfindung anerkannt zu sehen. Sie, die uns jetzt so einfach und, man möchte fast sagen, selbstverständlich erscheint, war derzeit etwas so Neues und Befremdendes, daß ein Menschenalter darüber hinging, ehe sie gewürdigt wurde. Und dies Verdienst kommt dem scharfsinnigen Mathematiker Edward Wright zu, der in seinen Certain errors of navigation 1599 den Bau und die Vorzüge dieser Entwerfungsart auch für das blödeste Auge klar machte. Wie M. der Erfinder, so ist Wright der Entdecker der Mercatorsprojection gewesen. Das Bild der Erdoberfläche, wie es diese Karte bietet, wurde zwar bis zu Franz Drake’s Entdeckungen als mustergültig betrachtet; es wurde von Ortelius im Theatrum und von de Jode im Speculum wiederholt, aber jener gab es in Apianischer, dieser in Marinischer Projection. In der berühmten ersten Seekartensammlung, dem Seespiegel von Wagenaer, der fünfzehn Jahre nach der Nova descriptio erschien, befindet sich nicht eine einzige wirkliche Seekarte, ja nicht einmal in dem hundert Jahre später erschienenen prächtigen Seeatlas von Pieter Goes findet sich eine Karte in Mercatorsprojection. Der Mathematiker Coignet in seiner Abhandlung über Projectionen vor de Jode’s Speculum vom Jahre 1593 empfiehlt andere von M. erfundene oder gebrauchte, aber dieser geschieht nicht einmal Erwähnung. Der Astronom Magini im Anhange zu seiner Ptolemäusausgabe von 1596 lobt die Mercator’sche Karte als für den Seegebrauch vorzüglich geeignet und gibt deshalb eine Copie davon, aber das Beste daran hat er nicht erkannt; die Copie ist eine platte Seekarte mit gleichen Breitengraden. Wenn also das Verdienst Wright’s nicht gering anzuschlagen ist, so darf dies andererseits doch auch nicht überschätzt werden. Namentlich ist es eine falsche Behauptung, die Abstände der Breitenparallele auf Mercator’s Karte seien so unrichtig, daß sie unmöglich nach richtigen Grundsätzen entworfen sein könne. Es beruht dies auf einer Verwechselung, an der Blundeville Schuld ist. Nach Ablauf des Privilegs von zehn Jahren erschien ein Nachdruck von Bernhardus Puteanus aus Brügge, der wol eben so wenig wie die anderen Kartographen vor Wright die Projection verstanden haben mag. Blundeville sagt selbst, daß er diesen Nachdruck vor Augen gehabt hat. Da nun die Abstände der Breitenparallele, wie er sie angibt, nachweislich nicht mit dem Originale stimmen, wo sie im Gegentheile überraschend genau sind, so ist gar keine Frage, daß er sie vom Nachdrucke entnommen hat. Wright selbst läßt M. alle Gerechtigkeit widerfahren. Aber noch eine andere Projection tritt zuerst auf dieser Karte auf. Da sich diese ihrem Baue nach nicht bis zu den Polen ausdehnen konnte, so gab M. auf einer Nebenkarte die Nordpolargegenden in der äquidistanten Polarprojection, die dann später auch von Postel gebraucht wurde. Man hat sie nach diesem benannt, obgleich sie den Namen Mercator’s tragen sollte. Die nächste kartographische Arbeit waren die „Tabulae geographicae Cl. Ptolemaei“, Coloniae 1578 fol. Es befinden sich darin zwei neue Projectionsarten. In der Vorrede entwickelt M. das Verfahren, wonach er die Specialkarten größeren Umfanges entworfen hat. Die Marinische Projection war bereits von Nikolaus Donis dahin geändert, daß statt des mittleren der obere und untere Breitenparallel nach ihrem richtigen Verhältnisse getheilt und die Theilpunkte durch gerade Linien verbunden wurden. M. führte nun die wesentliche Verbesserung ein, daß er die beiden Parallelen wählte, welche von der Mitte und dem Ober- und Unterrande gleich weit abstehen. Auf der Vorseite der Weltkarte aber gibt er die wichtige flächentreue Projection an, nach der dieselbe [394] entworfen ist, und die wieder als eine wesentliche Verbesserung der von dem Oesterreicher Stab empfohlenen gelten muß. Dieser hatte die Parallelkreise gleich abständig vom Pole als Mittelpunkte aus beschrieben und sie dann in ihrem richtigen Verhältnisse zum Aequator getheilt. M. aber beschreibt sie aus der Spitze des den mittleren Breitenparallel berührenden Kegels und theilt sie in ihrem richtigen Verhältniß zum Meridiane ein. Außer der Flächentreue erreicht er damit, daß der mittlere Parallel von sämmtlichen Meridianen rechtwinklig geschnitten und so das Bild ein weniger verzerrtes wird als bei Stab. Diese Entwurfsart ist später vielfach, namentlich auch von Bonne, gebraucht, so daß sie fälschlich dessen Namen trägt. Einer zweiten Ausgabe der Tabulae, Coloniae 1584 wurde von Arnold Mylius, einem Freunde Mercator’s, die lateinische Uebersetzung des Ptolemäischen Textes beigegeben. Von der alten Geographie wandte sich M. nun wieder der neuen zu, und es erschienen zunächst: „Galliae, Belgii inferioris et Germaniae tabulae“, Duysburgi 1585 fol. Hier findet sich auf den Uebersichtsblättern von Frankreich und Deutschland eine werthvolle Verbesserung der bei den Specialkarten des Ptolemäus angewandten Projection. Wie dort wählt M. die beiden gleich weit von der Mitte und der höchsten und niedrigsten Breite abstehenden Parallelkreise, zieht dieselben aber nicht geradlinig aus, sondern denkt sich durch dieselben eine Kegelfläche gelegt, so daß bei Abwickelung derselben die Breitenparallele Kreislinien und von sämmtlichen Meridianen rechtwinklig geschnitten werden. Es eignet sich diese Entwerfungsart vortrefflich für solche Karten, auf denen Entfernungen abgemessen werden sollen. J. N. de l’Isle hat danach seine große Karte von Rußland entworfen, und so wird sie fälschlich nach diesem benannt. Das nächste von M. noch bei Lebzeiten und unter seinem Namen herausgegebene Kartenwerk waren die „Italiae, Sclavoniae et Graeciae tabulae geographicae.“ Duysburgi 1589 fol. Die letzten Jahre wurden ihm vielfach durch Anfälle von Gicht und selbst Lähmung getrübt, so daß er den Stich seiner Karten seinem einzigen ihm noch gebliebenen Sohne Rumold und drei Enkeln, den Söhnen seines Erstgeborenen Arnold überlassen mußte. Da Jener sein Nachfolger im Geschäfte werden sollte, so sorgte der Vater dafür, ihn als Kartographen einzuführen und zu empfehlen. Er ließ ihn die große Seekarte im Formate der Specialkarten, aber nicht nach der ihm eigenthümlichen, sondern nach der stereographischen Projection in zwei Planigloben bearbeiten. Dieselbe erschien im J. 1587 und ist für die Geschichte der Kartographie dadurch von Bedeutung, daß sich in der brevis instructio, die den unteren Theil des Blattes ausfüllt, zuerst die Bedingung für die Winkeltreue und deren Zutreffen für die gewählte Projectionsart angegeben findet, wonach sich Meridiane und Breitenparallele rechtwinklig schneiden und zugleich ihr Linearverhältniß in den kleinsten Theilen dasselbe wie auf der Kugeloberfläche bleiben muß. Man hat die Auffindung dieser Eigenschaft bei der stereographischen Projection bisher fälschlich dem Engländer Hooke zugeschrieben. Seit M. ist diese Entwerfungsart für Planigloben vorzugsweise angewendet worden. In demselben verkleinerten Maßstabe bearbeitete Rumold auch des Vaters Europa nach der Projection des schneidenden Kegels. Endlich lieferte er eine große Karte Deutschlands: „Tabula Germaniae“, Duxsburgi 1590 in mehreren Blättern, die so genau war, daß Blaeuw sie noch im J. 1659 fast ungeändert wiederholen durfte. M. selbst aber wandte sich während dieser Zeit wieder mit ganzem Eifer seinen theologischen Studien zu. Er unterzog die schon in der Chronologie von ihm gegebene Evangelienharmonie einer neuen Bearbeitung und gab diese im J. 1592 zu Duisburg unter dem Titel: „Evangelicae historiae quadripartita Monas. sive Harmonia quatuor Evangelistarum“, 4° heraus. Ein zweiter Abdruck erschien unter dem Titel: „Gerardi Mercatoris harmonia quatuor Evangelistarum in [395] officina Zachariae Heyns“ 1604 s. l. (Amsterdam). Kurz vor seinem Ende vollendete er auch noch das Werk, welches ihm schon seit seinen Jünglingsjahren am Herzen gelegen hatte, eine Kosmogenie im Anschlusse an das Sechstagewerk und im Zusammenhange damit die Lehre vom Sündenfalle und der Erlösung. Es sollte den ersten Theil des „Atlas“ bilden, eines Weltspiegels, in dem M., wie er in der Vorrede sagt, eine umfassende Darstellung des Himmels und der Erde geben wollte und dessen Namen er von dem Könige von Mauretanien entlehnte, der im Alterthume nicht nur wegen seiner Kenntnisse in den Naturwissenschaften, sondern auch wegen seiner Frömmigkeit berühmt gewesen sei. Der Verfasser erlebte die Herausgabe nicht mehr; erst ein Jahr nach seinem Tode erschien der Folioband: „Atlas sive cosmographicae meditationes de fabrica mundi et fabricati figura, Gerardo Mercatore etc. autore.“ Duisburgi Clivorum 1595. Den ersten Theil nimmt eben jene Abhandlung de fabrica mundi ein; der zweite Theil, die fabricati figura, hat den besonderen Titel: „Atlantis pars altera. Geographia nova totius mundi.“ Diese vom Sohne Rumold besorgte Kartensammlung zerfällt wieder in zwei Theile, von denen der erste der Königin Elisabeth von England gewidmet ist und die Weltkarte, die Erdtheile Europa, Asien und Afrika, die Polargegenden, Island, die britischen Inseln und Scandinavien; der zweite, dem Grafen Heinrich von Rantzau gewidmete Theil, Dänemark, Preußen und die übrigen östlichen Theile Europas enthält. Da M. sich in seiner Abhandlung als Anhänger der lutherischen Lehre vom freien Willen und den Sacramenten verrathen hatte und ein Theil der Karten der ketzerischen Königin Elisabeth gewidmet war, so konnte der Atlas nicht dem Schicksale entgehen, auf den Index zu kommen. Da die Specialkarten von Frankreich, Deutschland, Italien u. s. w. schon früher an das Licht getreten waren, so fehlte von den europäischen Ländern nur noch die iberische Halbinsel. Auch diese sowie die wegen der fortgeschrittenen Entdeckungen nothwendig gewordenen neuen Darstellungen der anderen Erdtheile waren vom Vater bereits in Angriff genommen und Rumold legte die letzte Hand an ihre Vollendung, als ihn im Beginn des neuen Jahrhunderts der Tod dahin raffte. Die Vormünder seiner Kinder ließen nun zu deren Besten von den sämmtlichen im Formate des Atlas erschienenen Karten einen neuen Abzug machen und gaben diesen Sammelband als erste und einzige vollständige Ausgabe des Atlas zu Duisburg im J. 1602 heraus. Aber der buchhändlerische Vertrieb mochte für sie mit zu großen Schwierigkeiten verbunden sein, so daß sie sich im J. 1604 entschlossen, die noch vorhandenen Exemplare und die sämmtlichen Kupferplatten der geographischen Werkstatt an den Kartographen Hond in Amsterdam zu verkaufen. Dieser gab zuerst den Ptolemäus in dritter Auflage und zwar mit dem griechisch-lateinischen Texte im J. 1605 heraus. Im J. 1606 erschien dann die erste Hond’sche Ausgabe des Atlas, in der die von M. bereits angefangenen Karten vollendet und einige neue von Hond selbst hinzugekommen waren. Unter jenen hat die von Südamerika Interesse, weil darauf zum ersten Male das Gradnetz mit geradlinigen Breitenparallelen und den als Sinuslinie ratione spherica gekrümmten Meridianen auftritt. Es ist die später auch von Flamsteed benutzte und fälschlich nach diesem benannte Projection. Es ist hier nicht der Ort, die Geschichte der Hond’schen Ausgaben des Atlas weiter zu verfolgen, aber es muß doch davor gewarnt werden, dieselben lediglich als Mercator’s Atlas anzuführen, da als solcher nur die Ausgabe von 1602 gelten kann. Auch würde es den Rahmen dieser Biographie überschreiten, wenn wir auf Mercator’s Stellung in der Geschichte der Geographie, sein Verhältniß zu seinen Vorgängern, Zeitgenossen und Nachfolgern näher eingehen wollten, seine Benutzung und Kritik der Quellen, seinen Einfluß auf die Entdeckungsreisen nach den Polargegenden schildern wollten. Nur das [396] mag erwähnt werden, daß der in seinem Briefe an Richard Hackluit vom Jahre 1580 ausgesprochene Rath und Wunsch, man möge den Polarweg nach China nicht im Nordwesten, sondern im Nordosten suchen, genau nach dreihundert Jahren befolgt und erfüllt wurde. Am 24. April 1880 traf Nordenskjöld von seiner Umsegelung Asiens und Europas wieder in Stockholm ein.

Der deutsche Name Mercator’s war Kremer. Aus den Urkunden des städtischen Archivs in Duisburg ergibt sich nämlich, daß die Nachkommen sich so nannten. Ursprünglich wird die Familie wol Kremers geheißen haben. Nur in dieser Form ist der Name noch jetzt in Gangelt und Umgegend verbreitet, und ebenso weisen die Grabschriften auf dem dortigen Kirchhofe, die bis in den Anfang des siebzehnten Jahrhunderts zurückgehen, nur diese Form auf. Daher erklärt es sich, daß auch in den ersten lateinischen Urkunden, in denen der Oheim Gisbert oder unser Gerhard vorkommt, der Name Mercatoris lautet. M. selbst wird später das genetivische s weggelassen haben. Wenn man auch über die Nationalität des großen Geographen verschiedener Meinung sein kann, weil er unbestritten in Belgien geboren, aber ebenso unbestritten auf deutschem Boden von deutschen Eltern erzeugt und auch nach Deutschland zurückgekehrt ist, so ist es andererseits geradezu unbegreiflich, daß in Bezug auf seine Confessionalität die Ansichten auseinander gehen. Der Jesuit Possevin – und die Jesuiten waren in dieser Beziehung sehr gut unterrichtet – spricht es ja in seiner Bibliotheca selecta offen aus: a fide Catholica, quod dolendum est, fuit alienus. Er war Lutheraner oder, wenn man will, Melanchthonianer. Wer mit unbefangenem Auge die in seinen gedruckten Werken vorhandenen Andeutungen liest und bedenkt, wie vorsichtig der Mann wegen der Verhältnisse am Clevischen Hofe, besonders seitdem derselbe unter dem Drucke Alba’s stand, sich äußern mußte und wie ängstlich er durch seine Erlebnisse in Belgien gemacht war, so daß er den Schwiegersohn Molanus jedesmal bittet, seine brieflichen Mittheilungen über religiöse Angelegenheiten doch ja zu verheimlichen oder zu vernichten, der kann darüber nicht in Zweifel sein. Wie milde er aber über anders Denkende urtheilte, davon zeugt der Brief vom 27. Juli 1574 an eben jenen Molanus, der ihn wegen der Ubiquität, über die damals in Bremen ein heftiger Streit entstanden war, um seine Meinung gefragt hatte. Derselbe findet sich in Praestantium et eruditorum virorum epistolae ecclesiasticae et theologiae. Ed. II. Amstelod. 1684, Fol. – Der älteste Sohn Arnold, geb. am 31. August 1537, † am 6. Juli 1587, ergriff den Beruf des Vaters, wurde Mechaniker und Landmesser, machte als solcher viele Reisen und entdeckte dabei in der Abtei Werden an der Ruhr den Codex argenteus von Ulfilas’ gothischer Bibelübersetzung. Von ihm sollen viele Städteansichten, aber nicht unter seinem Namen, im Theatrum urbium von Braun und Hagenberg sein. Ein großer Kupferstich, Köln aus der Vogelschau darstellend, befindet sich auf dem dortigen städtischen Archiv. Er nahm das Erzbisthum Trier auf und war mit der Vermessung der Landgrafschaft Hessen beschäftigt, als ihn der Tod überraschte. Er war mit der Tochter des berühmten Rectors der Düsseldorfer Schule, Johannes Monheim verheirathet. Von seinen Söhnen sind uns Johannes, Gerhard und Michael bekannt. Der erste vollendete die vom Vater begonnene Vermessung und Kartirung von Hessen. Alle drei unterstützten den Großvater beim Stechen der Karten. Der zweite Sohn, Bartholomäus, geboren 1540, † 1568 hatte den Unterricht des Vaters am Gymnasium in Duisburg genossen und gab nach dessen Vorträgen: Breves in sphaeram meditatiunculae, includentes methodum et isagogen in universam cosmographiam. Coloniae apud haeredes Arnoldi Birckmanni 1563, 8°, heraus. Nachdem er einige Zeit die Unterrichtsfächer des Vaters am Gymnasium vertreten hatte, widmete er sich in Heidelberg den Studien und wurde auf Kosten [397] des Kurfürsten Friedrich im Collegium sapientiae unterhalten. Er berechtigte zu den schönsten Hoffnungen. Vom dritten Sohne Rumold kennen wir das Geburtsjahr nicht. Er wurde von seinem Schwager Molanus in Bremen erzogen, erlernte die Buchhandlung im Geschäfte der Birckmann’schen Erben in Köln, war während der Jahre 1578 und 1579 in deren Zweiggeschäften in London und Antwerpen thätig, widmete sich dann aber der Kartographie. Er starb in den ersten Tagen des Jahres 1601. Die Familie Mercator’s scheint im Mannesstamme erloschen zu sein. Die Tochter Dorothea war mit dem Kaufmann Tilmann de Neufville in Wesel verheirathet, und deren Sohn Gerhard de Neufville wurde als Professor an das Gymnasium illustre nach Bremen berufen. Von diesem leben noch zahlreiche Nachkommen in Bremen.

Vita Mercatoris a Gualtero Ghymmio vor allen lateinischen Ausgaben des Atlas. – Die Briefe des Johannes Molanus auf der Stadtbibliothek in Bremen. – Pinchart, Archives des Arts, Sciences et Lettres. Documents inédits. I. Serie, tome 1, 2. Gand 1860–1863. 8°. – Ueber das Werk Gérard Mercator, sa vie et ses oeuvres, par le Dr. J. van Raemdonck, St. Nicolas 1869, 8° vergleiche Petermann’s Mittheilungen 1869, S. 438. – A. Breusing, Gerhard Kremer, genannt Mercator, der deutsche Geograph. Ein Vortrag. Zweite vermehrte Ausgabe. Duisburg 1878. 8°.