Zum Inhalt springen

ADB:Michaelis, Johann David

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Michaelis, Johann David“ von Julius August Wagenmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 685–690, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Michaelis,_Johann_David&oldid=- (Version vom 4. Dezember 2024, 07:47 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Michaelis, Johann
Band 21 (1885), S. 685–690 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johann David Michaelis in der Wikipedia
Johann David Michaelis in Wikidata
GND-Nummer 118783726
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|21|685|690|Michaelis, Johann David|Julius August Wagenmann|ADB:Michaelis, Johann David}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118783726}}    

Michaelis: Johann David M., berühmter Orientalist, Theolog und Polyhistor des 18. Jahrhunderts, geb. am 27. Februar 1717 in Halle, † am 22. August 1791 in Göttingen. – Als älterer Sohn des Theologen und Orientalisten Christian Benedict M. in Halle († 1764), Großneffe des gleichfalls Halle’schen Theologen und Bibelforschers Johann Heinrich M. († 1738), erhielt er den ersten Unterricht im väterlichen Hause durch verschiedene Privatlehrer, unter denen er besonders dem Candidaten der Theologie, nachmaligen Superintendenten in Lüneburg, Zur Linden, viel zu verdanken bekennt, besuchte dann 1729 ff. die Schule des Waisenhauses, wo er von dem pietistischen Geiste berührt, aber auch durch S. J. Baumgarten in die damals in Preußen verbotene Wolfische Philosophie eingeführt wurde, und bezog 1733 die Universität seiner Vaterstadt. Er war zuerst als medicinae cultor immatriculirt worden (Matrikel auf der Göttinger Bibliothek), hörte mathematische und historische Vorlesungen, ging dann aber bald, wie es scheint auf Wunsch seines Vaters, zum Studium der Theologie und orientalischen Sprachen über, worin neben seinem Vater Baumgarten, Knapp u. A. seine Lehrer waren. Daneben übte er sich im Predigen und Unterrichten durch unentgeltliche Lectionen, die er in den obersten Klassen der Waisenhausschule ertheilte. Nachdem er 1739 durch Vertheidigung einer Dissertation über das Alter der hebräischen Vocalzeichen unter seines Vaters Präsidium Magister geworden, auch bereits fast ein Jahr lang mit ziemlichem Beifall Vorlesungen gehalten, trat er 1741 eine wissenschaftliche Reise nach Holland und England an, die wesentlich dazu beitrug, seinen Gesichtskreis zu erweitern, seine Kenntnisse und Erfahrungen zu bereichern und ihm neue Quellen und Wege zu eröffnen für seine [686] exegetischen, historischen und orientalischen Studien. Er verweilte längere Zeit in London als Hilfsprediger des deutschen Hofpredigers Ziegenhagen, in Oxford, wo er die freundlichste Aufnahme fand, in Leyden, wo er den berühmten Arabisten Schultens kennen lernte, auf dem Rückweg in Hamburg, wo er bei dem damaligen Senior Wagner Beantwortung seiner Zweifel an der übernatürlichen Gnade zu finden hoffte. Nach Halle zurückgekehrt fing er wieder an Vorlesungen zu halten, theils über biblische Bücher, theils über semitische Sprachen, theils über Naturhistorie und lateinische Autoren, und beschäftigte sich daneben mit Predigten, mit litterarischen und bibliothekarischen Arbeiten. Trotz des Beifalls aber, den seine Vorlesungen fanden, gefiel ihm Halle gar nicht mehr; er sehnte sich weg und die Pietisten ließen ihn gerne ziehen, weil er „die erste Liebe verloren“. Um so willkommener kam ihm der Antrag des überall nach jungen Talenten spähenden Curators der jungen Georgia Augusta, Freiherrn v. Münchhausen, zunächst als Privatdocent mit einem kleinen Gehalt nach Göttingen zu kommen. Er folgte diesem Ruf zu Michaelis[WS 1] 1745 und mit diesem Uebertritt von Halle nach Göttingen vollzog sich auch die Krisis seines Geistes – seine Umwandlung aus einem Schüler der Halle’schen Pietisten in einen Hauptvertreter der in Göttingen von Anfang an gepflegten theologisch-moderaten, historisch-kritischen Richtung. Fast ein halbes Jahrhundert, volle 46 Jahre lang, 1745 bis 1791, hat M. ununterbrochen der Universität Göttingen angehört als einer ihrer berühmtesten Lehrer, eine ihrer Zierden und Stützen in guten und bösen Tagen. Die erste Zeit seines dortigen Aufenthalts zwar war für ihn nicht sehr angenehm; bald aber gewann er warme und einflußreiche Freunde an Haller wie an Gesner, Mosheim u. A., fand als Docent steigenden Beifall, wurde 1746 außerordentlicher, 1750 ordentlicher Professor in der philosophischen Facultät. Den Titel eines Professors der orientalischen Sprachen, der ihm oft beigelegt wird, hat er nie geführt, wie er auch niemals Doctor oder Professor der Theologie geworden ist, obwol er mit specieller Erlaubniß des Universitätscuratoriums mehrmals Vorlesungen über Dogmatik und Moral gehalten hat. Seine regelmäßigen Vorlesungen aber umfaßten besonders alt- und neutestamentliche Exegese und Kritik, hebräische Antiquitäten, Mosaisches Recht, hebräische, arabische, chaldäische und syrische Sprache. Seine Wirksamkeit auf dem Katheder war, wenigstens in seiner besten Zeit, eine höchst bedeutende: er war – wie einer seiner Schüler bezeugt – „einer der vollkommensten Docenten, die je, solange Universitäten sind und sein werden, gelebt haben“. Im natürlichsten Conversationston, in fließender und hinreißender Sprache, durch eine außerordentliche Zungenfertigkeit, ein lebhaftes Mienen- und Geberdenspiel, durch eine unerschöpfliche Mannigfaltigkeit in Wendungen, Bildern und Vorstellungsarten, freilich auch durch allerlei Abschweifungen, Anspielungen, Witzeleien und derbe Späße wußte er sein immer zahlreiches Auditorium anzuregen, zu fesseln und zu unterhalten. Seine Vorlesungen waren neben den pedantisch gründlichen eines Walch, Zachariä u. A. eine wahre Erholung, da er seine Zuhörer mit großer Leichtigkeit zu einer Uebersicht über das Ganze zu führen und dem Wesentlichen seines Vortrags eine Fülle von interessanten Nebenbetrachtungen einzuweben wußte. Freilich widerstand er auch nicht, zumal in seinen späteren Jahren, der in dieser Art des Vortrags liegenden Gefahr, alles Mögliche herbeizuziehen, was mit dem Hauptgegenstand in sehr entfernter Beziehung stand, sodaß er oft eher von allem Anderen sprach als von dem, was zur Sache gehörte, Anekdoten erzählte, Tagesneuigkeiten besprach, Witze riß, die für Ernstergesinnte seinen mitunter geradezu „possenhaften Vortrag“ ungenießbar machten (vgl. J. G. Müller, Lebensbeschreibung, S. 43; Rauschenbusch, Leben, 1840, S. 45).

[687] Neben seiner akademischen Lehrthätigkeit aber entfaltete M. eine außerordentlich vielseitige und rührige Thätigkeit auf den verschiedensten Gebieten. Bei Gründung der Göttinger Societät der Wissenschaften entwarf er gemeinsam mit Haller die Statuten, wurde 1751 Secretär derselben, 1753 nach Haller’s Abgang Redacteur der Gelehrten Anzeigen, 1756 ordentliches Mitglied, 1761 nach Gesner’s Tod Director der Gesellschaft, aus der er dann aber 1770 wegen Differenzen mit seinen Collegen, besonders mit Heyne, freiwillig ausschied. Um Stadt und Universität Göttingen erwarb sich M. große Verdienste während des siebenjährigen Krieges und der französischen Occupation, indem er durch Verwendung einflußreicher Pariser Freunde nicht blos selbst von Einquartierung verschont blieb, sondern auch zur schonenden Behandlung der Stadt und des Landes durch seine Beziehungen zu französischen und schwedischen Offizieren beitrug. Europäischen Ruf aber gewann er um dieselbe Zeit durch das von ihm ausgegangene Project einer wissenschaftlichen Orientreise, zu der er zuerst den jungen in Göttingen studirenden A. L. Schlözer angeregt hatte und die dann später durch Unterstützung des Königs Friedrich V. von Dänemark und seines Ministers J. H. E. v. Bernstorff 1761 ff. wirklich zur Ausführung kam. Bei Gelegenheit einer Verwendung für zwei in Göttingen studirende Dänen nämlich richtete M. an Bernstorff die Frage, ob nicht der König von Dänemark von der dänischen Colonie Tranquebar[WS 2] aus einen Gelehrten nach dem glücklichen Arabien schicken könnte, da durch eine solche Reise für die Wissenschaften, insbesondere für Geographie, Naturkunde, Sprachkunde und Bibelerklärung Vieles zu gewinnen wäre. M. erhielt den Auftrag, einen ausführlichen Bericht über dieses Project zu erstatten; Bernstorff legte ihn dem König vor und erlangte dessen Zustimmung. M. wurde mit Auswahl der Reisenden und Ausarbeitung einer näheren Reiseinstruction betraut. Er gab diese in seinen 1762 in deutscher und französischer Sprache gedruckten „Fragen an eine Gesellschaft gelehrter Männer, die auf Befehl Ihrer Majestät des Königs von Dänemark nach Arabien reisen“. Als Reisender bot sich zunächst ein Herr v. Haven aus Kopenhagen, ein Schüler von M., an; als Naturforscher wurde ihm ein Schwede Forskål, als Mathematiker und Kassenführer auf Kästner’s Vorschlag der Ingenieurlieutenant Karstens Niebuhr beigegeben. Nach dem ersten von M. entworfenen Plan sollte Afrika umschifft und von Tranquebar aus die Reise nach Arabien gemacht werden; auf Bernstorff’s Rath, mit dem auch M. sich einverstanden erklärte, wurde der Ueberlandweg über Aegypten und das rothe Meer gewählt, und eben dadurch ist dann diese Reise so epochemachend für die Orientforschung geworden. Freilich konnte nicht die volle Frucht des Unternehmens, wie sie M. beabsichtigt hatte, gewonnen werden, weil vier der Reisenden unterwegs starben und Niebuhr allein zurückkehrte, der dann bei einem Besuch in Göttingen an M. Bericht erstattete. Der außerordentliche Fleiß und Eifer, den M. bei den Vorbereitungen dieser Reise bewiesen, wurde vom König von Dänemark durch ein Geschenk von 400 Ducaten und andere Beweise königlicher Huld belohnt (s. Lebensbeschreibung S. 66 ff.; Briefwechsel Bd. I S. 297 ff. und die Originalien auf der Göttinger Bibliothek).

Nach Gesner’s Tod 1761 mußte M. interimistisch bis zu Heyne’s Berufung (1763) die Leitung des philologischen Seminars sowie die Aufsicht über die Bibliothek übernehmen, für deren Verwaltung er Statuten entwarf. Bald darauf erhielt er aus Potsdam einen Brief von Guichard (Quintus Icilius), der ihm im Auftrag des Königs eine Stellung in Preußen antrug. Veranlassung dazu hatte d’Alembert gegeben, der Michaelis’ von der Berliner Akademie gekrönte Preisschrift „De l’influence des opinions sur le language et du langage sur les opinions“ (deutsches Original 1759, französische Uebersetzung 1760) gelesen und den König auf ihn aufmerksam gemacht hatte. M. lehnte den Ruf ab, ohne in Hannover [688] anzufragen, weil er sich durch Dankbarkeit für die dorther erfahrene Gunst an Göttingen gebunden fühlte. Uebrigens erkalteten jetzt auch Michaelis’ Beziehungen zu Hannover, speciell zu Münchhausen; die früher so rege Correspondenz schlief ein; M. hatte sogut wie keinen Einfluß mehr in Universitätsangelegenheiten, zumal nachdem sein früherer Gönner Münchhausen 1770 gestorben war. Doch fehlte es ihm nicht an Zeichen der Anerkennung von den verschiedensten Seiten her: 1775 wurde ihm der schwedische Orden vom Nordstern verliehen, als Nationalsatisfaction für das im J. 1764 auf Antrag der theologischen Facultät in Upsala erfolgte Verbot der 1760 erschienenen Michaelis’schen Dogmatik, die den rechtgläubigen Lutheranern in Schweden als heterodox erschienen war. Der neue Ritter nahm sein mütterliches Wappen an mit der Devise: libera veritas. 1787 wurde er zum königlich großbritannischen und kurfürstlich lüneburgischen Geheimen Justizrath ernannt (nachdem er schon 1761 den Hofrathstitel erhalten); 1789 wurde er auswärtiges Mitglied der Pariser Académie des Inscriptions, im gleichen Jahre Mitglied der königlichen Societät der Wissenschaften in London. Schon seit 1782 aber, wo er an der Influenza erkrankt war, und besonders seit 1789 fühlte er eine Abnahme seiner Kräfte. Im Sommer 1791 war er genöthigt, mitten im Semester seine Vorlesungen aufzugeben und von seinen Zuhörern sich zu verabschieden. Seine litterarischen Arbeiten aber setzte er fort bis kurz vor seinem Tode, ordnete seine Papiere und Correspondenzen (die dann später von seinen Erben auf Schlözer’s Veranlassung der Göttinger Bibliothek übergeben wurden) und bereitete noch Einiges für den Druck vor. Ruhig und ohne Todesfurcht sah er seinem Lebensende entgegen, ja er sehnte sich zuletzt nach dem Tode, nachdem er sein Lebenswerk vollbracht und sich selbst durch den Tod seiner besten Freunde und Collegen mehr und mehr vereinsamt sah. Er starb lebenssatt am 22. August 1791 und „das ganze gelehrte Deutschland beklagte den Verlust eines Mannes, welcher in der orientalischen Litteratur eine so merkwürdige Epoche gemacht und zur Verbreitung des deutschen Ruhmes bei den Ausländern durch so viele gelehrte Werke beigetragen hatte“.

M. war zweimal verheirathet: zuerst 1749–59 mit Joh. Christ. Fr. Schachtrup, Tochter eines Kaufmanns aus Clausthal, dann nach deren Tod 1759 mit Louise Phil. Ant. Schröder, Tochter des Oberpostmeisters in Göttingen. Aus erster Ehe hatte er einen Sohn Christ. Friedrich M., Feldmedicus der hessischen Truppen in Amerika,[WS 3] später Hofrath und Professor der Medicin in Marburg. Aus der zweiten Ehe hatte er 9 Kinder, von denen aber blos drei den Vater überlebten, ein Sohn Gottfried Philipp, Dr. med., und zwei Töchter: Karoline Dorothea, geb. 1763, verheirathet 1784 mit Dr. Böhmer in Clausthal, 1796 mit A. W. Schlegel, 1803 mit Fr. W. J. Schelling, sowie deren jüngere Schwester, Gattin des Prof. Wiedemann in Braunschweig (s. G. Waitz, Karoline, Briefe an ihre Geschwister, Leipzig 1871, 2 Bde.).

Sein sittlicher Charakter war nicht ohne Schwächen: ein stark ausgebildeter Egoismus, Eigennutz und Herrschsucht, heftiges und rechthaberisches Wesen, hochmüthige Verachtung anderer Gelehrten neben einer oft kleinlichen Eitelkeit werden ihm von den Zeitgenossen vielfach vorgeworfen. Und da es ihm bei der selbstbewußten und schroffen Art seines Auftretens an Gegnern und Neidern nicht fehlen konnte, so war es nicht zu verwundern, daß er vielfach ungerecht beurtheilt, daß jene Fehler durch den böswilligen oder leichtfertigen Universitätsklatsch noch erheblich vergrößert und daß darüber die edlen Seiten seines Charakters – seine strenge Wahrheitsliebe, seine gewissenhafte, oft ängstliche Pflichttreue, seine aufopfernde Dienstfertigkeit, wo es galt den Freunden oder den Zwecken der Wissenschaft zu dienen – vielfach vergessen worden sind. Der Hauptvorwurf, der ihm gemacht und der mit allerlei Anekdoten von zweifelhafter [689] Glaubwürdigkeit illustrirt wurde, war der des schmutzigen Geizes; aber gerade gegen diese vielverbreitete Nachrede ist er von Solchen, die ihm näher standen (einem Schlözer, Schulz, Hassencamp, Eichhorn, Ewald etc.) mit gutem Grund vertheidigt worden. „Geschmäht von seinem ersten Wirken an von seinen finstern Zeitgenossen, oft verfolgt und angefeindet von scheelem Neid und bitterer Mißgunst – so ging er, unbekümmert um die Künste seiner Feinde, die Ränke seiner Neider, die Bosheit der Unwissenheit, gekannt von Königen, geschätzt von ihren ersten Dienern, bewundert von Europa, seinen ungebahnten Weg zur Erweiterung des Reiches der Wahrheit und Wissenschaft und trug mit seinem Namen den Namen der Georgia Augusta weit über Deutschlands Grenzen in alle cultivirten Reiche von Europa“ (Eichhorn).

An Emsigkeit und Unverdrossenheit des wissenschaftlichen Strebens, an Vielseitigkeit der Interessen und der Bildung, an Rührigkeit und Geschicklichkeit in Herbeischaffung und Verwerthung des wissenschaftlichen Materials hat es ihm nicht leicht Jemand zuvorgethan. Und mag er auch in Bezug auf schöpferische Genialität, auf geschichtliches Verständniß, auf feinen Sinn für sprachliche Erscheinungen, insbesondere aber auf philosophischen Geist und theologische Vertiefung hinter Anderen zurückstehen, so steht er doch unter seinen Zeitgenossen fast einzig da durch Umfang seines Wissens, Beweglichkeit seines Geistes, durch die Fülle der Anregungen, die er in sich aufgenommen und die von ihm ausgegangen sind, insbesondere aber durch die bei einem deutschen Stubengelehrten so seltene Verbindung profunder Gelehrsamkeit mit praktischer Weltklugheit, geschäftlicher Gewandtheit und weltmännischen Manieren.

Seine außerordentlich rege und fruchtbare litterarische Thätigkeit erstreckte sich auf die verschiedensten Gebiete (vgl. die Schriftenverzeichnisse bei Hassencamp, Meusel, Pütter, Salfeld, Döring a. a. O.). 1) Sein specielles Wissensgebiet war zunächst das der orientalischen, näher der semitischen Sprachen und Litteraturen. Für sie gründete er ein eigenes, zwei Jahrzehnte lang hochgeachtetes Organ in seiner „Orientalischen und exegetischen Bibliothek“ 1771–89 in 24 Theilen, und der „Neuen Orient. und exeget. Bibliothek“ 1786–91 in 6 Theilen erschienen. Der hebräischen Philologie insbesondere diente seine Schrift: „Beurtheilung der Mittel, die ausgestorbene hebräische Sprache zu verstehen“, 1757; seine wiederholt aufgelegte „Hebräische Grammatik“, 1745, 53, 78; seine neue Ausgabe des Wörterbuchs von Castellus, 1790; seine „Supplementa ad Lexica Hebraica“, 1784–92; den anderen semitischen Dialekten seine chaldäischen, syrischen, arabischen Grammatiken und Chrestomathien, seine Ausgabe und Uebersetzung des Abulfeda und Anderes. 2) Wohl der größeste Theil seiner Schriften und seiner Vorlesungen aber war der Uebersetzung und Erklärung des alten und neuen Testamentes gewidmet. Dahin gehören außer zahlreichen Einzeluntersuchungen insbesondere seine „Deutsche Uebersetzung des Alten Testamentes mit Anmerkungen für Ungelehrte“, 1769–83, ein Werk, das seine Entstehung einer Anregung Lessing’s verdankte, und dem der Verfasser dann noch eine ähnliche „Uebersetzung des Neuen Testamentes mit Anmerkungen für Ungelehrte“, 1790–92, folgen ließ. 3) Von der Exegese aber ging er weiter fort zur biblischen Einleitungswissenschaft: ihr gehören an seine „Einleitung ins Neue Testament“, 1750, und in vierter sehr vermehrter Aufl. 1787–88 erschienen, sowie die „Einleitung ins Alte Testament“, 1787. 4) Dasjenige Gebiet aber, auf dem M. besonders anregend gewirkt und wo er die größesten Verdienste um die Förderung der biblischen Wissenschaft sich erworben hat, ist das der Sacherklärung des Alten Testamentes oder der biblischen Alterthumskunde, wofür er durch ein „Compendium antiquitatum hebr.“, 1753, besonders aber durch seine epochemachenden Arbeiten über „Die Ehegesetze Mosis“, 1755 und [690] über „Das Mosaische Recht“ , 1770–75, 2. Aufl. 1775–1803, sowie durch zahlreiche kleine Abhandlungen über verschiedene Fragen wichtige Beiträge geliefert hat. Aber auch 5) auf die speciell theologischen Disciplinen der Dogmatik und Moral erstreckten sich, wie seine akademischen Vorlesungen, so auch seine litterarischen Arbeiten: die Dogmatik hat er zweimal 1760 und 1784 in lateinischer und deutscher Sprache bearbeitet; seine Moral wurde 1792 von K. F. Stäudlin herausgegeben; außerdem sind noch zu erwähnen seine „Gedanken über die Lehre der hl. Schrift von Sünde und Genugthuung“, 1748 ff. und 1779, sowie seine gegen die Wolfenbütteler Fragmentisten gerichtete „Erklärung der Begräbniß- und Auferstehungsgeschichte“, 1783–85. Endlich 6) hat er auch Zeitfragen der verschiedensten Art, z. B. über die protestantischen Universitäten Deutschlands, 1768–75, über den siebenjährigen Krieg, über wissenschaftliche Reisen, über Wittwenkassen, über kirchliche Union, Leichenverbrennung, Kuhpockenimpfung, Brenngläser und Blitzableiter etc. theils in eigenen Schriften, theils in kurzen Aufsätzen behandelt.

So hat M., ohne gerade durch schöpferische Werke ersten Ranges neue Bahnen zu eröffnen und ohne durch besondere Tiefe der Forschung neue Wissensgebiete zu erschließen, doch durch sein ausgebreitetes Wissen und unermüdliches Forschen, durch seine vielseitige und allseitig verständige Beobachtung der Dinge, durch seine nicht eben elegante, aber leichte und gefällige Darstellung auf den verschiedensten Gebieten aufklärend und anregend gewirkt und zur Förderung der wissenschaftlichen Erkenntniß, besonders der biblischen Wissenschaft – er hat insbesondere auch durch seine ausgebreitete Correspondenz mit auswärtigen Gelehrten und Staatsmännern zu Verbreitung des Ruhmes deutscher Wissenschaft wie kaum ein anderer seiner Zeitgenossen beigetragen.

Sein umfassender handschriftlicher Nachlaß, insbesondere sein Briefwechsel (in 11 Quartbänden) befindet sich auf der Göttinger Bibliothek; nur eine kleine Auswahl aus demselben hat J. G. Buhle gegeben in seinem Litterarischen Briefwechsel von J. D. Michaelis. 3 Bde. Leipzig 1794–96. 8. – Neben diesem ist die Hauptquelle für seine Biographie seine Lebensbeschreibung von ihm selbst abgefaßt, handschriftlich auf der Gött. Bibl., herausg. mit Anmerkungen von J. M. Hassencamp, Rinteln und Leipzig 1793. 8. Außerdem sind zu vergleichen: Beyer’s Allg. Magazin f. Prediger Bd. II St. 6. 1790; Heyne, Elogium I. D. Michaelis in Commentat. Soc. Reg. Gotting. Bd. X, 1791, abgedr. bei Hassencamp, 265 ff; C. R. Schulz, Bemerkungen über J. D. M.’s litterarischen Charakter in dessen Anmerkungen zu Michaelis’ Uebers. und Erkl. des Alten Testamentes. 3. Stück. Halle 1791, S. 197 ff.; abgedr. bei Hassencamp, S. 227; J. G. Eichhorn, Bemerkungen über J. D. M. litt. Charakter, in dessen Allg. Bibl. III, 5, S. 827 ff. und in bes. Abdruck 1791. 8; Schlichtegroll, Nekrolog. Suppl. Bd. I, S. 146 ff.; H. Döring, Gel. Theol. Deutschlands II, 503 ff.; Meusel, Lexikon IX, 142 ff., Pütter-Salfeld, Göttinger Gelehrtengeschichte II, 168 ff.; III, 83 ff.; Pelt in theol. RealEnc. 2. Aufl. Bd. IX, 146 ff.; Nicolai in Nouv. biogr. générale t. 35, S. 318 ff. Ueber seine theologische Stellung und Bedeutung vgl. G. Frank, Gesch. der prot. Theol. III, 57 ff.; Gaß, Gesch. der prot. Dogmatik IV, 89 ff. Ueber seine Bedeutung für die Geschichte der biblischen Wissenschaft s. Ewald, über die wissensch. Wirksamkeit der Göttinger Lehrer Michaelis, Eichhorn und Tychsen in Jahrb. bibl. Wiss. I, S. 26 ff.; 1848; Diestel, Gesch. des Alten Testamentes in der christl. Kirche, S. 572 ff.; E. Reuß, Gesch. d. h. Schriften N. T. 1874. S. 310.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Michaelis ist der 29. September.
  2. Tranquebar in Südostindien war von 1620 bis 1845 dänische Kolonie, siehe auch Dänisch-Hallesche Mission.
  3. Im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg hatte besonders Hessen umfangreiche Truppen an Großbritannien vermietet, siehe Wikipedia: Soldatenhandel