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ADB:Pichler, Caroline

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Artikel „Pichler, Karoline“ von Anton Schlossar in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 106–108, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pichler,_Caroline&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 03:20 Uhr UTC)
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Pichler: Karoline P., Dichterin und belletristische Schriftstellerin, geboren am 7. September 1769 in Wien als die Tochter des Hofrathes Greiner, dessen Haus den Mittelpunkt des litterarischen Lebens der Residenz bildete, weshalb ihr schon in früher Jugend Gelegenheit geboten war, die hervorragendsten Dichter und Schriftsteller Wiens persönlich kennen zu lernen. Ihr schon frühzeitig unzweifelhaft hervortretendes Talent wurde durch eine sorgfältige Erziehung noch mehr gefördert und sie war kaum 12 Jahre alt, als im Wiener Musenalmanach für 1782, welchen Ratschky und Blumauer redigirten, ein Gedichtchen aus ihrer Feder „Auf den Tod einer Gespielin“ erschien. Diese beiden Herausgeber des Almanachs, wie auch Alxinger, Haschka, Leon, Sonnenfels, Denis u. a. Dichter und Gelehrte gehörten dem Kreise an, welchen Pichler’s kunstliebender Vater bei sich vereinigte. Neben dem Interesse für die Litteratur war es auch das Talent für alte und moderne Sprachen, welches sich bei K. P. immer mehr entwickelte, so daß sie zusammen mit ihrem Bruder die lateinische Sprache, französisch, italienisch und englisch erlernte und die Werke der Dichter in diesen Sprachen bald verstehen konnte. Sie las die Classiker in sorgfältiger Auswahl unter der Leitung mehrerer der genannten Wiener Dichter und Gelehrten und hatte außerdem an Josef Gall, Mastalier, Maffei und anderen hervorragenden Persönlichkeiten treffliche Lehrmeister. Durch die Lectüre der Idyllendichter, insbesondere Geßner’s und Voßens, wurde K. P. insbesondere auf diese poetische Gattung gelenkt und in der That waren eines ihrer ersten litterarischen Werke die „Idyllen“ (Wien 1803). Uebrigens dauerte es ziemlich lange, bis sie sich entschloß, ein selbstständiges Werk zu publiciren. Nachdem sie ihre Ausbildung unter fortwährender Aufsicht im väterlichen Hause bis weit über das Kindesalter hinaus genossen, verehelichte sie sich im J. 1796 mit dem nachmaligen Regierungsrathe Andreas P. in Wien, mit welchem sie in glücklicher Ehe 41 Jahre lang lebte. Auch im eigenen Hause hatte sich der Kreis geistig bedeutender Persönlichkeiten wieder versammelt, welcher damals in Wien den Ton angab und von denen der Dichter Collin, der Orientalist v. Hammer, der Historiker Hormayr, Therese Artner, Luise Brachmann und Grillparzer besonders genannt seien. Vorübergehend waren auch zu Besuche: Zacharias Werner, die Gebrüder Schlegel, C. Streckfuß, Cl. Brentano, Tieck, Madame Staël u. a. berühmte Schriftsteller und Schriftstellerinnen, Musiker und Gelehrte, welche selten bei ihrer Anwesenheit in Wien unterließen, den litterarischen Kreis bei P. aufzusuchen. Außer mit Hormayr verkehrte sie auch auf ihren Ausflügen in die Wohnorte der Betreffenden mit dem Historiker Franz Kurz und mit dem Dichter Ladisl. Pyrker. Mit vielen hervorragenden und bedeutenden Persönlichkeiten stand K. P. im Briefwechsel. Sie hatte eine Reihe von Romanen und Erzählungen veröffentlicht und ihre Stoffe insbesondere der Geschichte Oesterreichs entnommen, auch mehrere Dramen verfaßt, welche, wie der „Germanicus“ und „Heinrich von Hohenstaufen“ im [107] Burgtheater zur Aufführung gelangten und – allerdings nur durch ihre patriotische Tendenz und in Folge der Darstellung zu einer Zeit, da das Publicum derartige patriotische Schauspiele besonders erregt entgegennahm – großen Beifall fanden. Die letzten Lebensjahre brachte K. P. bei ihrer verwittweten einzigen Tochter zu. Noch kurze Zeit vor ihrem Tode verfaßte sie die „Denkwürdigkeiten aus meinem Leben“, welche nach ihrem Tode, im J. 1844 zu Wien von F. Wolf in 4 Bänden herausgegeben wurden. Es ist dies eines der interessantesten Memoirenwerke, welche über die Zeit von 1769 bis 1843, österreichische Verhältnisse und Zustände behandelnd, existiren, und welche uns das litterarische Leben Wiens von der Periode der großen Kaiserin Maria Theresia bis in die Regierungszeit des Kaisers Ferdinand wie im Spiegelbilde zeigen. Die Denkwürdigkeiten sind zugleich die beste Biographie der Dichterin, sie weisen die Entstehungsgeschichte jedes einzelnen Werkes und lassen uns den ganzen Entwicklungsgang derselben ersehen. K. P. starb am 9. Juli 1843 zu Wien, nicht nur als hervorragende Schriftstellerin, sondern auch als eine treffliche Mutter und Frau tief betrauert. Der späteren litterarischen Epoche stand sie allerdings fremd gegenüber, dagegen steht sie im Mittelpunkte des Interesses, wenn man das Litteraturleben Oesterreichs vom Ende des vorigen und durch die ersten Decennien unseres Jahrhunderts ins Auge faßt.

Es würde zu weit führen aller überdies nicht immer bedeutenden Werke K. Pichler’s zu gedenken, doch verdient eine Zahl derselben unbedingt der Vergessenheit entrissen zu werden, bei mancher Weitschweifigkeit entwickelt sie in ihren Romanen echte Lebensweisheit, eine zu Herzen sprechende Frömmigkeit, tiefes Sittengefühl und zarte Weiblichkeit. Der poetische Hauch, welcher insbesondere ihre älteren Dichtungen durchweht, zeigt den Einfluß der classischen Poesie, die ihre Jugendlectüre bildet und manche dieser Dichtungen ist ein Kunstwerk von bleibendem Werthe. Schon mit ihrem ersten Werke: „Gleichnisse“ (1800), zu dessen Herausgabe sie erst durch ihren Gatten bestimmt wurde, hatte sie gewissermaßen eine neue Dichtungsgattung eingeführt und glücklich zur Geltung gebracht. Diese „Gleichnisse“ streifen an das Gebiet der Idylle, es sind Gedichte in Prosa, welche ihre Stoffe dem Leben und Weben der Natur entnehmen und mit großer Zartheit entworfen erscheinen. Ihnen folgten die „Idyllen“ (1803), zu dem auch das biblische Gemälde „Ruth“ (1805) und die „Biblischen Idyllen“ (1812) zu zählen sind. Sowol diese Werke als auch die größere Erzählung: „Leonore, ein Gemälde aus der großen Welt“, 2 Thle. (1804) machten K. Pichler’s Namen bestens bekannt, insbesondere aber erregte der „Agathokles“, 3 Thle. (1808) große Aufmerksamkeit. Dieser Roman in Briefform, welcher die Zeit des aufdämmernden Christenthums zum Hintergrunde hat, entwirft ein großes Culturgemälde und verherrlicht die Segnungen der christlichen Religion. Die Tendenz der Erzählung ist gegen den Historiker Gibbon und seine unchristliche Weltanschauung gerichtet. Zahlreiche Reflexionen störten allerdings deshalb auch den Gang der Handlung, dieselben weisen aber auf die edle Gesinnung der Verfasserin und auf deren fromme Denkweise. Dieses Buch wurde in verschiedene Sprachen übersetzt und erfreute sich ganz besonderer Verbreitung. Von den übrigen größeren Werken müssen angeführt werden: „Die Grafen von Hohenberg“, 2 Bde. (1811), der große Roman „Frauenwürde“, 4 Bde. (1818), die patriotischen Romane: „Die Belagerung Wiens“, 3 Bde. (1824), „Die Schweden in Prag“ (1827), „Die Rückeroberung von Ofen“, 2 Bde. (1829), „Friedrich der Streitbare“, 4 Bde. (1831), „Elisabeth von Guttenstein“ (1835). Zu den meisten dieser historischen Erzählungen hatte die Verfasserin eingehende Localstudien unternommen, wie sie selbst in ihren Denkwürdigkeiten erzählt; zu den Schilderungen hervorragend schöner Gegenden und zur Zeichnung interessanter [108] Naturbilder darin hatten sie zahlreiche Reisen in die nahen Gebirgsgegenden des Alpenlandes begeistert. Allerdings fehlt ihr die Kraft und Gewalt der Zeichnung besonders männlicher Charaktere und in der Breite der Erzählung lehnt sie sich nicht selten an Walter Scott an, doch weiß die klare Diction und die oft classische Ruhe in der Schilderung der Begebenheiten über manche dieser Mängel hinwegzuhelfen, zumal jeder der Romane von hohem sittlichen Ernste getragen ist. Auch von diesen Werken wurden die meisten insbesondere ins Französische, aber auch in andere moderne Sprachen übersetzt. Daneben veröffentlichte K. P. zahlreiche kleinere „Erzählungen“, in denen sie sich den besten zeitgenössischen Erzählern zur Seite stellt und die, wie „Das Schloß im Gebirge“, „Stille Liebe“, „Falkenberg“, „Das Kloster auf Capri“, „Zuleima“, „Der Graf von Barcellona“, „Der Einsiedler auf dem Montserrat“, „Die Stieftochter“, „Das Turnier zu Worms“, theils historische Stoffe behandelnd zu verschiedenen Zeiten, vornehmlich zuerst in Taschenbüchern, Almanachen u. s. w. erschienen sind. In diesen kleineren Erzählungen weiß die Verfasserin das Interesse zu concentriren und auf die vorgeführten Persönlichkeiten zu lenken, ohne in Weitschweifigkeit zu verfallen. Die „Geschichte“ (1822), welche ebenfalls zuerst einzeln publicirt, von K. P. gesammelt herausgegeben wurden, enthalten neben lyrischen Stücken auch die „vaterländischen Romanzen“, in denen die Verfasserin heimische Geschichtsstoffe in Romanzenform bearbeitet hat, die durch ihre streng behandelte Form und einheitliche Durchführung sich von den Dichtungen der zeitgenössischen Poeten in Oesterreich besonders vortheilhaft unterscheiden. Wenn auch entfernt von hohem lyrischen Schwung weisen die Producte von K. Pichler’s Lyrik doch oft einer wohlthuenden Wärme und eine Fülle schöner Gedanken auf, wie sich die Dichterin überhaupt stets ernster Reflexionspoesie zuneigt. Einiger dramatischer Werke wurde schon oben gedacht, noch seien hier angeführt die Schauspiele: „Ferdinand II.“ (1816), „Amalie von Mansfeld“ und die Operntexte: „Mathilde“ und „Rudolf von Habsburg“. Von allen diesen dramatischen Poesien gilt wie von den schon genannten, die Bemerkung, daß denselben ein eigentliches pulsirendes dramatisches Leben fehlt und die Charaktere zu sehr skizzenhaft gezeichnet erscheinen. Zahlreiche prosaische Aufsätze, theils Reiseschilderungen, theils Culturskizzen oder die Besprechung philosophisch-socialer Fragen enthaltend, finden sich in der Gesammtausgabe der Werke, viele dieser Aufsätze sind überaus beachtenswerth. Es liegen zwei Ausgaben von K. Pichler’s „Sämmtlichen Werken“ vor, die eine derselben (Wien 1820–1844) umfaßt 53 Bände in 8°, die andere (Wien 1828–1844) in 16° 60 Bände.

Als beste Quelle zur Biographie und litterarischen Entwicklungsgeschichte der Karoline Pichler sind ihre eigenen bereits oben erwähnten „Denkwürdigkeiten“ zu nennen. – Eingehender behandeln die Dichterin: Goedeke, Grundriß, Bd. II. S. 1130. – Oesterr. National-Encyklopädie, Bd. IV. – Wurzbach, Biogr. Lex. Bd. XXII.