ADB:Stifter, Adalbert
Schiller’s Räuber kennen lernte. So bildete sich der Jüngling unter der Leitung der vortrefflichen geistlichen Lehrer [219] des Stiftes in den Lehrgegenständen tüchtig aus, auch die Musik und körperliche Uebungen, wie insbesondere das Schwimmen wurden eifrig betrieben, endlich wendete er dem Zeichnen und Malen große Aufmerksamkeit zu, wofür er besondere Begabung verrieth. In das Studium der Werke Schiller’s, Goethe’s und der übrigen Classiker unserer Litteratur wurde zu Kremsmünster St. durch den Professor P. Ignaz Reischl eingeführt, seine deutschen Arbeiten – es wurden insbesondere auch solche in Versen aufgegeben – zeichneten sich durch treffliche Anlage und Durchführung aus, eine solche Arbeit, die Gründung von Kremsmünster behandelnd, hatte einen erheblichen poetischen Werth und ist nach Stifter’s Tode veröffentlicht worden. Damals dichtete der Jüngling auch schon aus eigenem Antriebe, und Manches von diesen Poesieen ist handschriftlich erhalten. Nachdem die sechs Gymnasialclassen und die sog. zwei „philosophischen Jahrgänge“ absolvirt waren, sollte der junge Mann das Studium für seinen Lebensberuf wählen.
Stifter: Adalbert St., deutsch-österreichischer Dichter, Maler und Pädagoge, wurde am 23. October 1805 zu Oberplan im Gebiete des Böhmerwaldes geboren, den er in seinen Schriften später so vielfach verherrlichte. St. verlebte die erste Jugend bei den Eltern, sein Vater war Leinweber und Flachshändler im eigenen Hause zu Oberplan. Die Eltern, die Großmutter Ursula, der Großvater Augustin und wenige andere Personen des Hauses wirkten zunächst auf das Gemüth des Knaben ein und brachten wol auch die Keime des Talentes, welches in ihn gelegt war, zur ersten Entwicklung. Die Großmutter erzählte Märchen, Geschichten und Sagen der Heimath, an denen sich der Kleine nicht satt hören konnte und die sich tief in seine Seele einprägten, daneben wirkte die Schönheit der Natur mächtig auf den Knaben ein, der ja frühzeitig den Böhmerwald mit seinen prächtigen Forsten und Wässern kennen lernte, dessen Höhenzüge sich vor dem Heimathsorte erstreckten. Frühzeitig verrieth St. eine überaus rege Phantasie und besondere Aufmerksamkeit für malerische Gegenstände. Als er mit dem sechsten Jahre die Schule zu besuchen begann, welche unter der Leitung des Schulmeisters Jenne stand, zeigte der Knabe gute Entwicklungsfähigkeit und hübsche Begabung auch für Musik und Gesang, sehr bald fand er an Büchern naturwissenschaftlichen oder erzählenden Inhaltes großen Gefallen. Bezeichnende Züge, welche dem Dichter St. bis zu seinem Lebensende verblieben, traten auch damals schon hervor, so die Abneigung gegen Unwahrheit und Lüge, gegen Rohheit und Gemeinheit der Gesinnung, schon im Knabengemüthe zeigte sich damals die Hinneigung zum Edlen und Schönen und die Vorliebe für gewaltige Erscheinungen in der Natur. Seinen Vater verlor St. leider frühzeitig und infolge eines großen Unglückes, das ihn betroffen hatte. Derselbe war nämlich eines Tages mit einer Ladung Flachs ausgefahren, der Wagen stürzte um und erschlug den Mann. Dies geschah im November des Jahres 1817 und die zurückgebliebene Wittwe hatte nun keine leichte Aufgabe mit der Ernährung und Erziehung von fünf Kindern. Der Knabe Adalbert zeigte sich begabter und obgleich der Kaplan von Oberplan nicht viel von dessen Talenten hielt, als letzterer lateinischen Vorunterricht erhalten sollte, bestand der Großvater, welcher sich die Begabung des Enkels nicht ausreden ließ, doch darauf, den Knaben studiren zu lassen und führte ihn selbst nach Kremsmünster, wo sich die berühmte Abtei und deren ausgezeichnete Schule befindet. St. wurde in der That nach kurzer vollkommen befriedigender Prüfung daselbst aufgenommen und betrieb nun mit großem Eifer seine Studien, in welchen er schöne Erfolge aufwies. Daneben bot sich ihm auch Gelegenheit, seinem Triebe nach dem Lesen von Dichtungen zu folgen, wobei er auchEr entschied sich für die rechtswissenschaftlichen Studien und bezog im J. 1826 die Universität in Wien. Allerdings zogen den jungen Wissensdurstigen Fächer wie Mathematik, Physik und Naturwissenschaften mehr an als die juristischen Disciplinen, er verwandte daher viel mehr Zeit auf jene Gegenstände und besuchte auch Vorlesungen ausgezeichneter Lehrer wie Ettingshausen, Littrow u. s. w., welche dieselben behandelten. Der schönen Litteratur und der Kunst wurde daneben ebenfalls viel Zeit gewidmet und es entstanden manche Landschaftsbilder Stifter’s, von denen jedoch wenige erhalten blieben. Seine Lieblingsstudien und der Verkehr mit Künstlern und Schriftstellern sowie der Eintritt in die Häuser hervorragender Familien, welcher ihm durch das Ertheilen von Unterrichtsstunden leicht gemacht wurde, veranlaßten St., nachdem er die juristischen Studien auch schon vollendet, vorläufig kein eigentliches Amt, das ihn gefesselt hätte, aufzusuchen, zumal ihm die erwähnten Privatstunden für seinen Lebensunterhalt genügendes Erträgniß abwarfen. In Wien hatte St. während der Studienzeit auch Gelegenheit das Theater, und zwar die beste deutsche Bühne des Burgtheaters, mit den ausgezeichneten Künstlern wie Anschütz, La Roche etc. kennen zu lernen, ein Umstand, der für seine innere Entwicklung von nicht geringem Einflusse blieb. Zur Zeit der Ferien besuchte der junge ins Leben tretende Mann gewöhnlich seine schöne Heimath und den Böhmerwald und es ist wol anzunehmen, daß die ersten prächtigen Naturschilderungen aus dessen Gebiete den Anschauungen und Beobachtungen jener Zeit entstammen. Die vortrefflichen Erfolge auf pädagogischem Gebiete, welche Stifter’s Methode aufwies, veranlaßte, daß derselbe als Erzieher und Lehrer sehr gesucht wurde und verschiedene seiner damaligen Schüler haben in der Folge hohe Stellungen bekleidet, so war auch Fürst Richard Metternich, der Sohn des mächtigen Staatskanzlers, ein Zögling des Dichters, welcher in den Häusern Metternich’s, der Fürstin Schwarzenberg und anderer hervorragender insbesondere geistige Bestrebungen hochschätzenden Adelsfamilien aus- und einging. Bei Frau v. Collin, der Wittwe des Dichters, wo stets geistige Größen Wiens zusammentrafen, war St. ebenfalls ein gern gesehener Gast. Diese Dame gab sich überhaupt alle Mühe um den jungen Mann, dessen Begabung sie sofort erkannt hatte, dem Kreise ihrer Bekannten zu empfehlen. Bei der Fürstin Schwarzenberg, woselbst St. als Gesellschafter und Vorleser sich ebenfalls großer Schätzung erfreute, verkehrte er auch mit Friedrich Schwarzenberg, dem Sohne der Fürstin und bekannten Verfasser der „Lanzknechtbücher“, in anregender Weise.
Verhältnißmäßig spät geschah es, daß St. sein großes Talent als Dichter erkannte und er vor die Oeffentlichkeit trat, obgleich aus seinen Briefen vom J. 1832–1836 hervorgeht, daß er sich vielfach mit litterarischen Plänen beschäftigte, [220] auch Gedichte, die er damals verfaßte, blieben erhalten und wurden später veröffentlicht. St. schwärmte zu jener Zeit insbesondere für seinen Lieblingsdichter Jean Paul, dessen wilde Leidenschaftlichkeit und mächtige poetische Sprache ihn vor allem anzog. Stifter’s Briefe an Adolf Frhrn. v. Brenner vom J. 1832 und 1834 lassen den Einfluß, welchen Jean Paul damals auf ihn ausübte, überaus deutlich erkennen. Dieser Einfluß tritt übrigens auch in einzelnen der allerdings erst später veröffentlichten „Studien“ hervor. Immer noch glaubte St., daß er berufen sei als Maler hervorragenderes zu leisten und legte seinen poetischen Entwüfen durchaus keine größere Bedeutung bei. Allerdings hatte er wirklich zu jener Zeit Bilder geschaffen, welche „durch die einheitliche und echt poetische Stimmung, welche in denselben zu Ausdruck gebracht ist, wirklichen Kunstwerth besitzen“.
In Friedberg, dem freundlichen Städtchen am Böhmerwald, hatte St. auch zum erstenmale ein Herzensbündniß geschlossen, zart und innig, der Naturanlage des feinfühlenden Mannes entsprechend, in der lieblichen Gestalt Nataliens im Nachsommer hat viele Jahre später der Dichter das Ideal seines Herzens gezeichnet. Aber da der junge Mann noch keine feste Anstellung besaß, so verweigerten die Eltern Fanni’s zur Verbindung ihre Einwilligung und als St. in Wien dem Bannkreise der Geliebten entrückt war, erfuhr er eines Tages, daß diese mit einem anderen Manne vermählt erschien. Lange Zeit übte der Schlag seine Nachwirkung auf das Gemüth des Poeten, bis dieser sich in das Unabänderliche zu fügen wußte. Die Beschäftigung mit der Malerei und Poesie, der Verkehr mit den hervorragendsten Dichtern und Künstlern der Residenz und häufige Besuche in den erwähnten Gesellschaftskreisen, zu welchen St. gewissermaßen genöthigt war, stellten schließlich die Ruhe in seinem Innern wieder her, ja es kam sogar dazu, daß er wieder Neigung zu einem Mädchen, Amalie Mohaupt, welches er an einem Unterhaltungsabende kennen gelernt hatte, faßte und sich am 15. November 1837 mit der Geliebten vermählte. Dieselbe war die Tochter eines im Ruhestande lebenden Artillerieofficiers und besaß kein Vermögen. St. mußte nun darnach trachten eine feste Stellung zu gewinnen, er richtete sein Augenmerk insbesondere auf eine Stelle im Lehrfache. Die Aussicht jedoch auf eine Professur an der Forstlehranstalt zu Mariabrunn, zu welcher er sich durch eigene Studien vorbereitet, schwand mit der Besetzung des Postens durch einen andern Bewerber wie schon früher im Jahre 1836 eine Assistentenstelle der Physik, welche St. angestrebt hatte, trotz mancher Protection ebenfalls einem Andern verliehen worden war.
Im J. 1840 war’s als Stifter’s Dichtertalent durch ein ihm entfallenes Manuscript, das er beim Besuche einer ihm befreundeten Familie in der Rocktasche getragen hatte, entdeckt wurde. Es war die Handschrift des „Condor“ und auf Andrängen der Freunde entschloß sich St. zur Veröffentlichung, welche in demselben Jahre in der vortrefflichen „Wiener Zeitschrift“ Witthauer’s erfolgte. Der Redacteur Witthauer hatte ein ausgezeichnetes Urtheil und die Begabung Stifter’s sofort erkannt; bald darauf trat auch Graf Majlath, der Herausgeber des im Verlag von Gustav Heckenast in Pest erscheinenden Taschenbuches „Iris“ mit St. in Verbindung und sowol in der „Wiener Zeitschrift“ als auch in der „Iris“ erschienen seit 1840 und 1842 regelmäßig novellistische Beiträge des Dichters, welche nicht nur vom österreichischen sondern vom gesammten deutschen Publicum mit Begeisterung aufgenommen wurden. Wie sich St. zu jener Zeit als Erzieher gab und wie er pädagogisch zu wirken verstand, wie einfach er in den ersten Jahren seiner Ehe lebte, wie er im Verkehre erschien und welche hohe Beachtung alle Gesellschaftskreise zunächst in Wien seiner Persönlichkeit schenkten, darüber hat Em. Ranzoni im Wiener „Concordia-Kalender“ für 1869 einen [221] anziehenden vortrefflichen Aufsatz veröffentlicht. Im J. 1844 erschien der 1. und 2. Band der „Studien“ in Heckenast’s Verlage zu Pest, welchen Bänden bis 1850 noch vier weitere sich anreihten. War auf St. schon nach der Veröffentlichung der ersten Erzählungen in Zeitschriften und Taschenbüchern die besondere Aufmerksamkeit der litterarischen Kreise gelenkt worden, so wurde er nach dem Erscheinen der „Studien“ bald ein in ganz Deutschland und darüber hinaus berühmter Schriftsteller. Er lebte zu jener Zeit ausschließlich in Wien, und im Sommer machte er das eine oder das andere mal Besuche in Oberösterreich oder in seiner schönen von ihm dichterisch verherrlichten Waldheimath. Mit dem Verleger der „Iris“ und seiner „Studien“ verknüpfte ihn bald ein geistiges Band, das sich immer mehr zum wahren Freundschaftsbunde gestaltete. Beredtes Zeugniß für das innige Verhältniß zwischen Dichter und Verleger legen die zahlreichen Briefe Stifter’s an Heckenast in der von J. Aprent herausgegebenen Sammlung der „Briefe“ (3 Bde., 1869) ab. Ein eigenartiges vortreffliches Unternehmen, welches St. und Heckenast damals gemeinsam begründeten, ist das 1844 erschienene Buch „Wien und die Wiener“, dessen eigentliche Redaction St. führte, wie er auch eigene Arbeiten über Wiener Verhältnisse und Oertlichkeiten dazu beitrug, die heute noch als mustergültig dastehen. In den äußeren Verhältnissen des Dichters änderte sich Jahre lang nichts, der Ertrag seiner litterarischen und pädagogischen Thätigkeit bot ihm die Mittel zum Leben, zumal seine Ehe nicht mit Kindern gesegnet war. Er verkehrte mit Dichtern wie Zedlitz, Grillparzer, auch mit Betti Paoli u. A. und wegen seiner gediegenen Art des Vortrages und des Vorlesens wurde er in manchen Häusern des Wiener Adels eingeladen sich auch auf diesem Gebiete zu bethätigen, insbesondere finden wir ihn als Vorleser in Gesellschaften bei der schon oben erwähnten feingebildeten Fürstin Schwarzenberg. Einmal dachte St. selbst daran öffentliche Vorlesungen ästhetischen Inhaltes zu halten, es trat aber eigenthümlicher Weise die Studien-Hofcommission dem Plane, welchen er ausgearbeitet vorlegen mußte, entgegen. So mußte er diesen Plan aufgeben, von welchem er in seinen Briefen mit großer Vorliebe spricht und der auch in vielen Kreisen, wo er verkehrte, großen Anklang fand. Des Dichters Wunsch das Meer und Italien zu sehen sollte zwar vorläufig nicht in Erfüllung gehen, dagegen zog es ihn immer mehr nach Oberösterreich, wo er insbesondere in der ruhigen schön gelegenen Stadt Linz am Donaustrom gern weilte, schon im J. 1847 lebte er längere Zeit daselbst. Das J. 1848 mit seinen gewaltigen Ereignissen traf ihn wieder in Wien, der Dichter war dem Drange nach freiheitlicher Gestaltung der Verhältnisse, welche gerade für den Schriftsteller bisher unerträglich waren, durchaus nicht abhold, aber tiefe Betrübniß ergriff den zartfühlenden Mann, als er sah, welche Wendung die Bewegung nahm und wie Rohheit und Gemeinheit ihre Herrschaft ausübten. Er verließ betrübten Herzens im Mai des genannten Jahres sein geliebtes Wien und übersiedelte nach Linz. Wie er über die Bewegung jener Zeit dachte zeigt ein Brief an Heckenast vom 25. Mai 1848 (Briefe I, 150 ff.), in welchem St. seine Ansicht über die Zustände in der Residenz in ausführlicher Weise darlegt. Er schreibt u. A. darin: „Ich bin ein Mann des Maaßes und der Freiheit – beides ist jetzt leider gefährdet, und Viele meinen, die Freiheit erst recht zu gründen, wenn sie nur sehr weit von dem früheren System abgehen, aber da kommen sie an das andre Ende der Freiheit. – Erst wenn die Anzahl Männer, die sich selbst zügeln können, und die ihnen im Uebermaaße zuströmende Gewalt als Gleichgewicht in irgend eine andre Schale zu legen vermögen, sehr groß wird, ist das constitutionelle Leben fertig. Und das ist schwerer, als man denkt.“ Mehrfach finden wir in den Briefen jener Zeit seine Gesinnung und seine klare Beurtheilung der Ereignisse der Jahre 1848 und 1849 [222] ausgesprochen. Sein Glaube an die Menschheit erlitt aber auch durch die vielfachen Greuel, welche zu Tage traten, einen harten Stoß und damals schon senkte sich eine trübe Anschauung des Menschenthums in seine Seele. „Als die Unvernunft“, schreibt er (Briefe I, 178 ff.), „der hohle Enthusiasmus, dann die Schlechtigkeit, die Leerheit und endlich sogar das Verbrechen sich breit machten …, da brach mir buchstäblich das Herz.“ – „Alles Schöne, Große, Menschliche war dahin, das Gemüth war zerrüttet, die Poesie gewichen.“ Lange dauert es, bis in Stifter’s Gemüth wieder mehr Ruhe eingetreten war. Selbstverständlich hatten die Wirren der Zeit auch auf den Erwerb und das äußere Leben Stifter’s wesentlichen Einfluß, der Verkehr mit Ungarn und mit seinem Verleger war eine Zeit lang unterbrochen, die „Iris“ hörte auf zu erscheinen, die Zeitschriften boten für die schönsten Blüthen der Dichtung wenig Raum. Trotzdem entwarf St. damals schon Pläne für größere Romane. Man war übrigens im J. 1848 auf des Dichters pädagogische Thätigkeit aufmerksam geworden, berief ihn in das Unterrichtsministerium und als er ablehnte, wurde ihm vom Unterrichtsminister Leo Graf Thun die Stelle eines Schulrathes für Niederösterreich angeboten. Jetzt wollte sich aber der Dichter von Linz und Oberösterreich nicht trennen, er erbat sich einen ähnlichen Posten für Oberösterreich und derselbe wurde ihm auch wirklich im Juni 1850 verliehen. St. führte vorläufig als Schulrath die Inspection der Volksschulen im Lande und seinem Einflusse sind in der That zahlreiche Verbesserungen und Einrichtungen zu verdanken, welche zeigen, daß sich St. auch als praktischer Schulmann bewährte. Insbesondere lenkte er seine Aufmerksamkeit auf die Schulgebäude und deren Räumlichkeiten. Allerdings hatte die von ihm so sehr herbeigewünschte nunmehr feste Anstellung auch ihre Nachtheile, vorwiegend dadurch, daß man dem von den besten Absichten beseelten auf pädagogischem Gebiete so erfahrungsreichen Manne von Seite der vorgesetzten Behörde durchaus nicht entgegenkam und sich seinen besten Vorschlägen und Anträgen gegenüber ablehnend verhielt, wodurch der für seine edle Thätigkeit begeisterte zartfühlende Dichter empfindlich berührt und verletzt wurde. Im J. 1850 hatte St. mit den Vorarbeiten zur Gründung der Realschule in Linz zu thun, welche die Regierung ins Auge gefaßt hatte. Mit vorzüglicher Sachkenntniß führte er diese Arbeit durch, am 4. Decbr. 1851 wurde die Anstalt feierlich in Anwesenheit des Statthalters eröffnet, wobei St. die Festrede hielt, welche Zweck und Einrichtung der Realschulen überhaupt und die Bedeutung dieser Art von Mittelschulen erklärte. Der Verkehr Stifter’s zu jener Zeit beschränkte sich auf wenige Personen, Statthaltereirath Fritsch, der Unterrichtsreferent und später auch dessen feingebildete Gattin, die Schriftstellerin Franziska v. Fritsch konnten sich rühmen, Stifters besonderes Vertrauen zu genießen, gerne besuchte er auch das Haus dieses Paares. Es ist leicht erklärlich, daß der Dichter mit vielen Persönlichkeiten in brieflicher Verbindung stand, leider dürften noch manche seiner Briefe aus jener Zeit nicht an die Oeffentlichkeit gekommen sein und Aprent’s Sammlung weist manche Lücke auf. Eine wahre Freundin wurde ihm zunächst durch brieflichen Verkehr Luise Baronin v. Eichendorff, die Schwester des Dichters, mit den Künstlern Josef Axmann, J. N. Geiger, August Piepenhagen, Heinrich Bürkel, mit der Dichterin Mariam Tenger, verkehrte St. zu jener Zeit und später brieflich und vorübergehend auch persönlich. Welche Geltung er als Pädagoge hatte beweist auch der Umstand, daß, als unter Mithülfe der Regierung die „Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien“ gegründet wurde, auch St. zum Mitredacteur neben den Redacteuren J. G. Seidl, H. Bonitz und J. Mozart beigezogen wurde. Seine mitredactionelle Thätigkeit erstreckte sich über die Jahrgänge 1850 und 1851 dieses heute noch bestehenden Unternehmens. Zu Arbeiten auf pädagogischem Gebiete gehört auch das von [223] St. im Vereine mit J. Aprent herausgegebene „Lesebuch zur Förderung humaner Bildung“ (Pest 1854), eine vortrefflich geordnete Mustersammlung, deren trotzdem nicht erfolgte Approbation von Seite der obersten Unterrichtsbehörde dem Dichter großen Aerger bereitete. Stifter’s Begeisterung für die Kunst weisen seine Briefe im hellsten Lichte, er begründete mit den Linzer Kunstverein und schrieb selbst kenntnißreiche Berichte über die dortigen Kunstausstellungen, die Gewinnung manches trefflichen Gemäldes, welches die Ausstellung zierte, war seinem Einflusse zu verdanken, junge tüchtige Künstler förderte er in der gütigsten Weise und ebnete ihnen die Bahn zu weiterem Wirken. So war es der junge Maler Heinrich Löffler, auf dessen eigenartiges Talent St. aufmerksam machte und mit dem er später auch im brieflichen sowie in persönlichem freundschaftlichem Verkehre stand. Die Kunst war ihm stets das Höchste, auch die Dichtkunst pflegte er als etwas Heiliges, Erhabenes, deshalb arbeitete er täglich, selbst auf Reisen, ruhig und ernst, aber voll hingebender Begeisterung an seinen Manuscripten, welche er immer und immer wieder neuerlicher Durchsicht und Verbesserung unterzog. Die nächste größere Veröffentlichung waren die „Bunten Steine“ (Pest 1853, 2 Bde.), welche er, ohne daß diese Novellen gerade Kindererzählungen sind, ein „Festgeschenk“ nannte und für die Jugend bestimmte.
Die letzten zehn Lebensjahre des Dichters brachten manches Leid und viel des Bittern, wenn auch schöne Momente hier und da einen helleren Lichtstrahl in Stifter’s düster gestimmte Seele warfen. So machte er im J. 1857 eine Reise nach den südlicheren Provinzen Oesterreichs, berührte dabei auch einen Theil Italiens und sah zum ersten male, was immer der heißeste Gegenstand seiner Sehnsucht gewesen, das Meer, ein Anblick, dessen großartigen Eindruck er in verschiedenen Briefen schildert. Nachdem das Stifter’sche Ehepaar kinderlos blieb, hatte es eine Nichte Juliane Mohaupt und später eine Muhme Josephine bei sich im Hause aufgenommen. Diese Muhme, welche, wie auch die heitere Juliane St. und seine Gattin überaus liebgewannen, starb im März 1859 zu Wien plötzlich am Typhus, nachdem schon ein Jahr früher des Dichters geliebte Mutter vom Tode ereilt worden war. Noch war des Unglückes kein Ende. In demselben Monate März 1859 erlag auch Juliane einem grausamen Geschick, sie hatte sich wahrscheinlich in einem Anfalle von Geistesverwirrung in die Donau gestürzt, von welcher ihr Leichnam ausgeworfen wurde. Solche Schicksalsschläge, wie sie diesen edlen Mann getroffen, hätten eine andre Natur der Verzweiflung in die Arme getrieben, St. aber schöpfte seinen Trost aus der tiefen religiösen Ueberzeugung, welche in ihm lebte und aus seiner innigen Hingabe zur wahren Kunst, die ihn stets über Trübes und Trauriges hinweggeholfen hatten. Es dauerte allerdings lange bis er sich zu fassen und zu ermannen wußte.
Im J. 1857 war Stifter’s erster Roman „Der Nachsommer“ in 3 Bänden erschienen, ein Werk, an dem der Dichter Jahre lang gearbeitet, in welches er die Summe reicher Kenntnisse und Lebenserfahrung niedergelegt, worin er zahlreiche Anklänge an Ereignisse seines eigenen allerdings stillen einfachen Lebens geboten hat. Neben seiner poetischen Beschäftigung traf den Dichter so manche Stunde bei der Staffelei, auch oblag er der Sammlung von Bildern und Kunstwerken und dem Studium derselben – insbesondere schöne alte geschnitzte Möbel erregten sein Interesse, wie jener schöne Kasten und der Schreibtisch, welche Stücke er in seinen Dichtungen beschreibt, Stifter’s Eigenthum waren. Eine besondere Neigung hegte er für eine eigenthümliche Gattung von Blumen, nämlich für die Cacteen, deren er immer zahlreiche verschiedene Arten in seinem Zimmer unter sorgsamer Pflege aufgestellt hatte, groß konnte die Freude des Dichters sein, wenn eine der sehr großen märchenhaften Blumen zum blühen kam und [224] er lud auch wol Freunde ein zu deren Betrachtung im Momente des Aufblühens, wenn es sich um ein ganz besonders seltenes Stück handelte. Einen Theil seiner Arbeit bildeten für St. nun auch die Vorstudien für mehrere größere historische Romane, diese Romane sollten Gestalten aus der böhmischen Geschichte, welche in der Heimath Stifter’s gelebt und gewirkt, zum Mittelpunkte haben und das Leben Böhmens aus jener Zeit in Krieg und Frieden schildern, sie bedurften also gründlicher Vorarbeiten, welche der Dichter auch wirklich eifrig betrieb. Blieb ihm daneben noch Zeit, so füllte die Lectüre eines Bandes von Goethe dieselbe aus, welchen Dichter er stets als den höchsten unseres deutschen Schriftthums bewunderte. Es ist begreiflich, daß es dem Dichter der „Studien“ nicht an reichlicher Ehre und Anerkennung fehlte, die Zuschriften von Verehrern seiner Schriften aus allen Ländern mehrten sich alljährlich, die Studien erschienen in verschiedenen Sprachen übersetzt, 1850 wurde er durch Verleihung der großen goldenen Medaille für Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet, 1854 erhielt er von dem kunstsinnigen Großherzog von Sachsen-Weimar den Falken-Orden und in demselben Jahre vom Kaiser von Oesterreich das Ritterkreuz des Franz Josef-Ordens. Viele hervorragende Persönlichkeiten nahmen an dem Geschicke des Dichters und an dessen Persönlichkeit warmen Antheil. Eine dieser Persönlichkeiten war der Freiherr Adolf v. Kriegs-Au, Hofrath bei der Statthalterei in Linz, mit welchem geistvollen Staatsmann den Dichter freundschaftliche Bande verknüpften. Die Reisen, welche St. zu jener Zeit unternahm, führten ihn zumeist nach München oder nach Wien, das er nie vergessen konnte und mit dem ihm so viele Fäden verknüpften oder in das wald- und bergreiche Gebiet seiner engeren Heimath, die ja von Linz leicht zu erreichen war. Zu Anfang der sechziger Jahre fühlte er sich nicht mehr so wohl wie früher, zu Ende des Jahres 1863 trat das Uebel heftiger auf, es trug einen grippenartigen Charakter, auch Leber und Magen waren angegriffen. Ein Sommeraufenthalt bei einem Freunde, dem Landwirth Rosenberger, welcher in der Gegend des durch St. berühmt gewordenen Dreisesselberges im Waldgebiete ein Haus besaß, wo der Dichter schon früher gerne geweilt hatte, that ihm wohl, aber als die bösen Wintertage in Linz einbrachen, wurde auch Stifter’s Leiden schlimmer und unerträglicher. Vergeblich kämpfte der Kranke dagegen an, ärztlicherseits wurde ihm Karlsbad zur Kur verordnet, wohin er sich begab, was in der That für ihn von guten Folgen begleitet war; noch machte er eine Reise nach Prag zum Behufe seiner Studien für den historischen Roman „Witiko“, dessen ersten Band er bereits vollendet hatte. Zur Nachkur wählte er sich wieder das Haus Rosenberger’s als Aufenthaltsort und auch den Winter über verweilte er in der Gebirgsgegend statt in Linz, er bezog eine Wohnung in dem hochgelegenen Orte Kirchschlag, woselbst Luft und Wasser vortrefflich waren und dem Leidenden that der Aufenthalt daselbst überaus wohl. Freiherr v. Kriegs-Au war inzwischen ins Staatsministerium berufen und mit der Leitung des Unterrichtswesens betraut worden. Dieser nahm dem leidenden Dichter eine große Sorge ab, welche denselben bedrückte, er erwirkte ihm, der ja bloß 13 Jahre gedient hatte, im J. 1865 die Pensionirung mit dem vollen Gehalte und die Auszeichnung des Hofrathstitels. St. lebte durch diese Wendung seines Geschickes geistig neu auf. Das körperliche Leiden wollte freilich nicht ganz weichen; er begab sich im J. 1866 wieder nach Karlsbad, sodann zum Dreisesselberge. Aber der unheilvolle Krieg von 1866 machte auf den für sein theures Oesterreich so patriotisch fühlenden Mann einen überaus drückenden Eindruck. Er zog sich im Winter leidend an Körper und Geist wieder nach Kirchschlag zurück, und ein Schneesturm, der Tage lang mit unerhörter Heftigkeit wüthete, verhinderte ihn seine erkrankte Gattin in Linz aufzusuchen, wodurch sein Gemüth in noch erhöhter Weise gepeinigt wurde. Es [225] scheint, daß St. zu jener Zeit noch viel mehr gelitten als er überhaupt aussprechen wollte, um seine Gattin und seine Freunde nicht zu kränken. Auch sein Aeußeres war sehr verändert, er, der sonst kräftige Mann, war abgefallen und eine gelbliche ungesunde Gesichtsfarbe wies auf Erkrankung der Leber und der damit in Verbindung stehenden Organe. Im J. 1867 besuchte der Dichter im Frühjahr zum letzten male Karlsbad. Sein letztes Werk war inzwischen auch erschienen, der Roman „Witiko“ (Pest 1865–1867) in drei Bänden, eine jene größeren Darstellungen, deren einige zusammengehörig ein umfangreiches Ganze aus der Vorzeit Böhmens bilden sollten. Aber das Erscheinen dieses Werkes sollte des Dichters letzte Freude sein, verdüstert und grämlich machte er noch im Herbste 1867 Besuche in Kirchschlag und Oberplan, in seinem Vaterhause und wiewol er sich mitunter besser fühlte, trat eine Art Grippe zu seinem Leiden und St. mußte sich, da auch Fiebererscheinungen auftraten, zu Bett legen. Er sollte nicht wieder aufstehen. Neben seinem Manuscripte der „Mappe“, das er sich noch kurz vorher hatte geben lassen, welche Erzählung er umzuarbeiten vorhatte, starb der Dichter am 28. Januar 1868 nach ärztlichem Gutachten an Atrophie der Leber. Stifter’s Leiden waren in der letzten Zeit jedenfalls groß und peinigten ihn physisch wie geistig außerordentlich. Diesem Umstande entstammt wol auch das Gerücht, der Dichter der Studien sei nicht natürlichen Todes gestorben, von dem übrigens Aprent, der vertrauteste Freund und beste Biograph Stifter’s, nichts erwähnt.
Ein sinniges und gewaltiges Denkmal wurde im J. 1877 durch die Anregung des Landsmannes Stifter’s, Jord. Caj. Markus, im Böhmerwalde auf der hohen Felswand am Blöckensteiner See „dem Dichter des Hochwald“ errichtet, es ist dies ein 15 Meter hoher Obelisk mit Inschriften, welche Stellen aus des Dichters Werken wiedergeben. Das Grab Stifter’s auf dem Friedhofe in Linz ist nun ebenfalls mit einem schönen Denkstein versehen. Die Gattin Stifter’s lebte noch eine Reihe von Jahren, sie ruht nun an seiner Seite.
Adalbert St. ist als Dichter eine so hervorragende und bedeutende Gestalt, daß seine übrige Thätigkeit, z. B. als Pädagoge oder als Maler, jedenfalls an Bedeutung dagegen weit zurücktritt, wenn sich auch nicht leugnen läßt, daß der Maler St. ebenfalls Beachtung verdient. Des Talentes auf dem Gebiete der Malerei, welches sich bei ihm in früher Zeit äußerte, wurde schon erwähnt, er malte zumeist Landschaften, zuerst in Wasserfarben, später in Oel, und hatte auch einige seiner Bilder in Wien ausgestellt. Besonders Alpenlandschaften und Mondstudien wählte er gerne als Vorwurf für seinen Pinsel. So erhielten sich mehrere Gebirgslandschaften, ein „Königssee“, einige Ansichten von Gegenden aus dem Böhmerwalde, insbesondere die „Ruine Wittingshausen“, ein Seestück bei Mondbeleuchtung, eine Herbstlandschaft u. a. m. Verschiedene begonnene Mondbilder, welche, vortrefflich angelegt, von eingehenden Studien zeugen, vollendete er leider nicht. Einiges davon ist noch erhalten. In Wien sind mehrere Bilder Stifter’s im Privatbesitze zu finden, einige wurden dem Verfasser vorliegender Zeilen selbst bekannt. Die meisten Gemälde des im Urtheile über sich selbst strengen Mannes dürften aber unwiederbringlich verloren sein, denn gar viele Bilder verbrannte St. nach der Vollendung, weil sie ihm nicht gefielen.
Die eigenthümliche, bedeutende Stellung, welche sich St. als Dichter nicht nur Deutsch-Oesterreichs, sondern überhaupt errungen, ist insbesondere durch jene Sammlung von Erzählungen begründet, welche er unter dem Titel „Studien“ – schon dieser Titel verräth den Maler – von 1844–1850 veröffentlicht hat. Einzelne Erzählungen aus jenen Bänden, die später Joh. Aprent aus dem Nachlasse Stifter’s herausgegeben, sind den „Studien“ ebenfalls beizuzählen, [226] denn sie weisen alle Vorzüge derselben und alle Mängel auf, die man dem Dichter oft mehr als nothwendig zum Vorwurfe gemacht hat, unbekümmert darum, durch wie herrliche Stücke er unsere Litteratur bereichert hat. Die Darstellung des Schönen, Edlen und Bedeutenden war dem Dichter Adalbert St. der erste Zweck bei Abfassung seiner Erzählungen, nie huldigte er dem Zeitgeschmacke, ja als derselbe eine andere, unedlere Richtung einschlug, trat St. mit seinen späteren Werken „Der Nachsommer“ und „Witiko“ sogar in Gegensatz zu demselben und mußte sich die herbste Beurtheilung dieser Werke gefallen lassen, was ihn freilich durchaus nicht abhielt, den einmal eingeschlagenen Weg beizubehalten; er machte dem geänderten Geschmacke nicht das geringste Zugeständniß, wie er so oft in verschiedenen Briefstellen versichert, mit bewußter Absicht, obgleich es ihm ein Leichtes gewesen wäre, Packenderes und Fesselndes auf erzählendem Gebiete zu schaffen. Die „Studien“ sind und bleiben nun allerdings Stifter’s bedeutendste Arbeit, welche ihm unvergänglichen Ruhm auf dichterischem Gebiete sichert. Da man sie Erzählungen oder Novellen nicht eigentlich nennen kann, so hat damit St. gewissermaßen eine neue Gattung erzählender Dichtung in unsere Litteratur eingeführt. Es fehlt den meisten der Stücke durchaus nicht an einer geschlossenen Handlung, wie man dem Dichter auch wol zum Vorwurf machte, vielmehr ist die Handlung in manchen derselben sogar überaus reich. Einen besonderen, den Hauptvorzug, aber bilden die glänzenden Naturschilderungen und Landschaftsbeschreibungen, welche diesen Dichtungen einen ganz eigenthümlichen Reiz verleihen und den Leser veranlassen, immer wieder zu der meisterhaften Darstellung zu greifen, zumeist entsprechen den Schilderungen der Natur auch die dargestellten Charaktere, und so wird in zwar engbegrenztem Rahmen ein Bild geboten, das nur einem von so feinem Gefühl und inniger Empfindung für die Kunst durchdrungenen Geiste, wie dies St. ist, gelingen kann. Diese Beobachtung drängt sich schon im „Condor“ mit der duftigen Zeichnung der Mondnacht und der Beschreibung des gewaltigen Anblicks des Himmelsgewölbes während der Luftschifffahrt auf. Ebenso zart ist die malerische Schilderung der Haide im „Haidedorf“ mit der anmuthigen Gestalt des Haideknaben. Im „Hochwald“ läßt St. die ganze herrliche Waldpoesie in erhaben düsterer Schönheit auf den Leser einwirken und fügt dazu eine zu Herzen sprechende Erzählung von den lieblichen zwei Töchtern des Wittingshausers; diese „Studie“ ist wol, wenn auch an manchen Stellen von Schwermuth durchweht, die schönste von allen. In der Erzählung „Der Hagestolz“ bewundern wir die feine Charakterzeichnung eines mit der Welt zerfallenen, vergrämten Mannes, den die Gesellschaft eines edelherzigen Jünglings, seines Neffen, mit sich selbst und mit dieser Welt wieder versöhnt, in der „Narrenburg“ die phantasievolle Erfindungsgabe und seine Detailzeichnung der Seltsamkeiten eines alten Schlosses in Verbindung mit merkwürdigen Familiengeschichten eines alten Geschlechtes. Mit glühenden Farben des Orients entworfen, erscheint der Schauplatz der Geschichte des in der Wüste wohnenden Juden „Abdias“, den so trauriges Geschick verfolgt, und die Gluth der ungarischen Haidesonne fühlen wir in der „Brigitta“, worin uns ein Stück von Land und Leuten Ungarns und dabei jene eigenartige, stolze und doch wieder weiche Frauenerscheinung Brigitta’s vorgeführt wird, welche der Dichter so lebenskräftig zu entwerfen verstand. Die Stimmung der Landschaft weiß St. überall den darin auftretenden Personen in vortrefflicher Weise anzupassen, dies zeigt auch in den „zwei Schwestern“ das schön ausgeführte Landschaftsbild des Rivasees mit der malerischen, so anschaulich entworfenen Umgebung, und St. hatte den italienischen Boden zu jener Zeit noch gar nicht betreten. Ueberall aber wo er das Waldland und sein Gebiet schildert, wie etwa auch im „Waldsteig“ oder im „beschriebenen Tännling“ nimmt er sich die prächtige, heimische [227] Waldgegend zum Vorwurfe und bietet im Verlaufe der Erzählung manche Sage und sinnige Mythe daraus, welche dem Volksmunde abgelauscht ist. Die seltsam schüchterne Gestalt des jungen Mannes im „alten Siegel“ der Geliebten Coeleste gegenüber, sei hier nur deshalb angeführt, weil diese Erzählung in ganz eigenthümlichem Gegensatze zu der üblichen Darstellungsweise Stifter’s steht und jener junge Mann eine schier übermenschliche Reinheit aufweist.
Die im J. 1853 erschienene Sammlung „Bunte Steine“ kann nicht dieselbe Bedeutung beanspruchen wie die „Studien“, sie ist eigentlich als eine Jugendschrift geboten, übersteigt aber an dichterischem Werthe alle Gattungen von Jugendschriften in hohem Grade, auch der reifste Leser wird wahre Goldkörner der Poesie in den „bunten Steinen“ noch genug finden. Die großartige Schilderung des eisigen Gebirges zur Winterszeit, welches zwei Kinder durchziehen, in der „Bergkrystall“ überschriebenen Erzählung, gehört vor allem zu dem bedeutendsten, was mit einfach scheinenden Mitteln von einem deutschen Erzähler geschaffen worden, die Geschichte des einfachen Pfarrers im Gebirge (Turmalin) rührt nicht minder durch edle Einfachheit.
Die erste große Erzählung Stifter’s, „Der Nachsommer“, erschien 1857 in drei Bänden, der Dichter hielt dieses Werk für sein bestes und reifstes, aber leider entbehrt das Ganze einer fesselnden Handlung, die Gestalten der wenigen auftretenden Personen sind allerdings schön und fein herausgearbeitet, sie zeigen jene vornehme Ruhe und Lebensheiterkeit, welche dem Dichter als Ideal des menschlichen Lebens vorschwebte. Ein hochgebildeter rüstiger Staatsmann lebt auf seinem Landgute und genießt hier, mit Landbau, Gartenwirthschaft, mit der Pflege von Kunst und Wissenschaft beschäftigt, den Nachsommer seines Lebens, das ihm manches Trübe geboten. In freundlichem Verkehr mit ihm steht eine alte Dame, welche er einst geliebt, die zu ehelichen aber ein ungünstiges Geschick ihm nicht gestattete. Reiches Wissen, feinsinnige Kunstanschauung hat St. in diesem Werke niedergelegt, das eine große Zahl von Schönheiten enthält, ohne daß man es jedoch einen Roman im modernen Sinne des Wortes nennen kann, zudem das, wenn auch edle gedankentiefe Beiwerk, die Haupthandlung überwuchert. Es ist 1877 eine gekürzte Ausgabe des „Nachsommer“ in einem Bande erschienen, wie sie der Dichter selbst noch bei seinen Lebzeiten geplant hatte.
Jahre langen fleißigen und eingehenden Geschichtsstudien ist das letzte Werk Stifter’s, die historische Erzählung „Witiko“ (3 Bände, 1865–1867), zu verdanken. Es erzählt in chronikartiger Darstellung die Geschichte des ersten Rosenberger’s, des Erbauers von Witikohaus (Wittingshausen) im Böhmerwald, und die Schicksale dieses Helden, und spielt somit in ferner Vorzeit. Viele Mängel wurden auch diesem Werke vorgeworfen, das freilich noch immer ein bedeutsames genannt werden kann, aber dennoch Stifter’s am wenigsten bedeutende Arbeit genannt werden muß. Zur Vervollständigung seien noch die „Erzählungen“ (1869) und „Vermischte Schriften“ (1870) aus dem Nachlasse des Dichters von J. Aprent herausgegeben, hier angeführt. Erstere enthalten Stücke, welche an schöner Ausführung manchen Studien zur Seite gestellt werden können, letztere Abhandlungen pädagogischen Inhalts, sowie solche über Kunst und Poesie etc., auch die vortrefflichen Skizzen über Wien und die Wiener.
Es erübrigt noch, auf die feine und sorgfältige stilistische Darstellung hinzuweisen, welche St. allen seinen Werken zu theil werden ließ. Jede seiner Veröffentlichungen wurde von ihm oft und oft gefeilt und umgearbeitet, um die Glätte und Reinheit zu erlangen, welche dieselben so sehr auszeichnet. Nicht nur auf die Handschrift erstreckte sich diese Umarbeitung, sondern die zuerst in Taschenbüchern, Zeitschriften etc. veröffentlichten Stücke unterscheiden sich gar sehr von den in die „Studien“ oder „Bunten Steine“ aufgenommenen gleichen Stücken. [228] Es ist keine Verbesserung des Textes allein, vielmehr eine zumeist vollständig geänderte Wiedergabe desselben. Insbesondere hat der Dichter später häufig Fremdwörter, welche dem Geiste und der Reinheit unserer Sprache nicht entsprechen, getilgt und durch anderes ersetzt, und glaubte in dieser Beziehung nie genug gethan zu haben, man wird daher auch selten bei einem deutschen Schriftsteller eine so klare und mustergültig reine Darstellungsweise finden.
Stifter’s Persönlichkeit war nach dem Urtheile noch lebender Zeitgenossen und nach den vorliegenden Schilderungen, eine überaus liebenswürdige. Edle Ruhe drückte sich in den freundlichen Zügen des Mannes aus, der ein feines Benehmen und würdevolles Auftreten mit inniger Gemüthlichkeit zu verbinden wußte. Offenheit und Ehrlichkeit stellte er über alles, jede Art von Lüge war ihm verhaßt, auch die Nothlüge. Talentvollen litterarischen Bestrebungen brachte er stets Nachsicht und Wohlwollen entgegen und empfahl gerne Werke, die er selbst als schätzenswerth erkannte, war er mit denselben nicht einverstanden, so gab er in freundlicher, nie verletzender Weise, vielmehr mit schonender Zartheit, sein zurückweisendes Urtheil ab. Seines Werthes als Dichter war sich St. bewußt, nie aber zeigte sich Ueberhebung bei ihm oder gar Neid. Er kannte auch seine Fehler und betonte dies oft, aber er anerkannte nicht alles als Fehler, was ihm von der Kritik als solcher angerechnet wurde.
- Die beste Lebensbeschreibung Stifter’s hat dessen Freund, J. Aprent in Linz, verfaßt und dem 1. Bande der 1869 von ihm herausgegebenen, schon erwähnten Briefsammlung vorgesetzt. Mir wurden auch noch briefliche und persönliche überaus dankenswerthe Mittheilungen noch lebender Freunde Stifter’s (J. Aprent, F. v. Fritsch, C. Löffler, F. Rosenberger, A. Frhr. v. Helfert) zu theil. Einige Briefe Stifter’s an Axmann hat Prof. Axmann im 41. Jahresber. der k. k. Staatsoberrealschule III. Bezirk in Wien (1892) veröffentlicht. – Wurzbach, Biogr. Lex. XXXIX, 13 ff. behandelt St. eingehend. Zu vergleichen wären noch: Die Litteraturgeschichten von H. Kurz, 4. Bd.; Julian Schmidt, 3. Bd.; Rud. v. Gottschall, 6. Aufl., 4. Bd. u. a. m.; die Lexika von Brümmer, Kehrein u. a., sowie die Conversationslexika. – R. v. Gottschall, Litterarische Charakterköpfe I. Leipzig 1870. – E. Kuh, Zwei Dichter Oesterreichs: Franz Grillparzer und Adalbert Stifter. Pest 1872. – J. C. Markus, Adalbert Stifter (Eine Festschrift). Wien 1877. – Im. Weitbrecht, Adalbert Stifter. Leipzig 1887, zugleich als Einleitung der 1887 erschienenen Volksausgabe der „Ausgewählten Werke“ des Dichters. – Karl Pröll, Adalbert Stifter (Prager Samml. gemeinnütz. Vorträge Nr. 161). 1891. – Höchst beachtenswerth sind die biograph.-litterar. Aufsätze im Wiener Concordiakalender f. 1869 (von E. Ranzoni); in den Mitth. des Vereins f. Gesch. der Deutschen in Böhmen VII. Jahrg. 1868; in der Oesterr. Revue, Jahrg. 1863 (v. F. J. Bratranek[WS 1]); in der Augsb. Allg. Ztg. 1868, Beil. Nr. 31 u. 46; in den hist.-polit. Blätt. Bd. 66 u. 68; in der Litterar. Beil. d. Wiener Montags-Revue 1881, Nr. 5 u. 43 (von A. Frhrn. v. Helfert) und an vielen andern bei Wurzbach zumeist angeführten Orten. In der k. k. Wiener Zeitung (Februar 1893) und im „Heimgarten“ von Rosegger (8. Heft von 1893) habe ich einige Auszüge bisher nicht veröffentlichter Briefe Stifter’s geboten. – Die früheren Ausgaben von Stifter’s Werken sind zumeist vergriffen. – Eine würdige, neu revidirte Ausgabe derselben wäre überaus zu wünschen und würde jedem Verleger zur Ehre gereichen. Der Verfasser dieser Zeilen hat eine ausführliche, neues Material bietende Arbeit über St. in Vorbereitung.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ gemeint ist wohl: Franz Thomas Bratranek