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ADB:Stromeyer, Louis

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Artikel „Stromeyer, Georg Friedrich Louis“ von Ernst Gurlt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 619–623, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stromeyer,_Louis&oldid=- (Version vom 23. November 2024, 10:20 Uhr UTC)
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Stromeyer: Georg Friedrich Louis St., berühmter Chirurg. Wir sind in der glücklichen Lage, von demselben eine umfassende, anregende und geistreiche Autobiographie zu besitzen, aus der wir reichlich geschöpft haben. St. wurde am 6. März 1804 zu Hannover als ältester Sohn des königlichen Leibchirurgus Christian Friedrich St. (1761–1824), der sich das Verdienst erworben hat, bereits ein Jahr nach dem Erscheinen von Jenner’s Werk, in Hannover 1799 die erste Kuhpockenimpfung ausgeführt zu haben, geboren. Seine Mutter, aus einer Hugenottenfamilie stammend, war Louise Louis, welchen Familiennamen daher St. als Vor- und Rufnamen erhielt. Nach der Schulzeit von 1810–1821 besuchte er von 1821–1823 die chirurgische Schule zu Hannover und hatte auf derselben zu Lehrern, außer dem noch jugendlichen Dr. Karl Krause, dem späteren berühmten Anatomen, die in der Wissenschaft wohlbekannten Militär- und Hofärzte Spangenberg, Holscher und Wedemeyer. Während der vier Semester, die er darauf in Göttingen (1823–1825) studirte, hatte er sich der Unterweisung verschiedener Berühmtheiten zu erfreuen, so des alten Blumenbach in der Naturgeschichte, Physiologie und vergleichenden Anatomie, seines Verwandten, des Hofraths Friedrich Stromeyer in der Chemie, des hervorragenden Chirurgen K. J. M. Langenbeck in der Anatomie und Chirurgie und des besonders in der Augenheilkunde hervorragenden, ihn besonders anziehenden Himly. Auch lebte er daselbst unter den angenehmsten Verhältnissen in dem Hause seines Gevatters, des Superintendenten Krause, des Vaters von Karl Krause, und erfreute sich des Umganges mit dem greisen Vetter seines Vaters, dem gesuchtesten Arzte Göttingens, dem Hofrath Dr. Johann Friedrich Stromeyer, und dessen Sohne, dem genannten Chemiker. Nach mehreren zusammen mit einem Freunde in den Jahren 1824 und 1825 unternommenen Reisen, welche ihn nach dem Harz, dem Rhein, nach Stuttgart und München und nach Weimar führten, wo er auch in Goethe’s Hause Zutritt fand, brachte er zum Schluß seiner Studienzeit das Wintersemester 1825/26 in Berlin zu und wurde daselbst am 26. April 1826 zum Dr. med. promovirt. Neben den medicinisch-chirurgischen Celebritäten, wie Graefe, Rust, Jüngken, Rudolphi, Horn, Hufeland u. a., welche ihn daselbst anzogen, erfreuten ihn die Kunstgenüsse, welche ihm die Residenz im Theater und in Concerten durch ihre damals in nicht geringer Zahl vorhandenen Berühmtheiten darbot, zumal er auch in die Familie von Felix Mendelssohn eingeführt worden war. Nach der Promotion trat er im April 1826 eine große wissenschaftliche Reise, zunächst nach Wien, an, wobei er in allen Orten, die er berührte, wie Halle, Weimar, Leipzig, Dresden nicht nur die daselbst wirkenden berühmten Mediciner, sondern auch andere Größen (z. B. Tieck, Tiedge) aufsuchte, auch durch Bereisung der böhmischen Bäder sich nähere Kenntniß von denselben verschaffte und endlich von Regensburg aus, die Donau auf einem mit Brettern beladenen Schiffe abwärts fahrend, gegen Ende Juni nach Wien gelangte. In Wien zogen den jungen Doctor, außer den daselbst vorhandenen Kunstschätzen, besonders die berühmten Augenärzte Rosas und Jaeger an, denn die späteren Anziehungspunkte für Mediciner in Wien, die physikalische Diagnostik der Brustorgane und die pathologische Anatomie waren erst in ihrer Entstehung begriffen. Zu Anfang September verließ er Wien, um nach einer Reise durch Steiermark, das Salzkammergut und Salzburg noch München, Würzburg, Bamberg und deren medicinische Anstalten zu besuchen und endlich noch den Winter 1826/27 in Berlin zuzubringen, wo er namentlich Graefe, dem er bei einem Besuche in Wien als Führer gedient hatte, näher trat. Er legte darauf in Hannover die Staatsprüfung ab und trat Mitte Mai 1827 die lange ersehnte Reise nach England an, die ihn zunächst nach Bonn führte und ihn Walther, Nasse und Robert Froriep kennen lernen ließ. Die Reise ging dann Rheinabwärts über [620] Köln nach London, wo er fast dreiviertel Jahre, bis zum April 1828 blieb. Unser St. hatte das Glück, sogleich in den Kreis der großen Chirurgen Londons, wie Astley Cooper, Abernethy, Earle, Travers, Green, Brodie, Guthrie u. a., eingeführt zu werden, auch dem großen Physiologen Charles Bell näher treten zu können. In seinen „Erinnerungen“ schildert er lebhaft den mächtigen Eindruck, den Land und Leute auf ihn machten, und wieviel dieser Aufenthalt zur Erweiterung seiner Anschauungen und seiner Kenntnisse beigetragen hat. Von London ging er nach Paris, das zu jener Zeit (1828) in den Naturwissenschaften und der Heilkunde auf unbestrittener Höhe stand. Es hatte seine großen Chemiker (Thenard, Gay-Lussac, Dumas), Physiker (Arago), Zoologen (Cuvier, Geoffroy St. Hilaire), Physiologen (Flourens, Magendie), pathologische Anatomen (Cruveilhier), Aerzte (Louis, Andral) und Chirurgen (Larrey, Boyer, Dupuytren, Roux, Lisfranc). Den größten Eindruck auf den jungen deutschen Arzt machte Dupuytren, dessen Genie, Ausdauer, Beredtsamkeit und operative Gewandtheit seine hochgespannten Erwartungen noch übertraf, wenn auch bei den unglücklichen Hospitalverhältnissen seine Erfolge viel ungünstiger waren als die der englischen Chirurgen. St. lernte in Paris auch die damals fast nur dort geübte Steinzertrümmerung in den Händen ihrer Erfinder Civiale und Heurteloup kennen und besuchte mit großem Nutzen das für Hautkranke bestimmte Hospital St. Louis, in dem die berühmten Dermatologen Viett und Alibert wirkten. Zu Ende seines vierteljährigen Aufenthaltes in Paris hatte er noch die Freude, seine Mutter und seine Schwestern dort zu sehen und ihnen als Führer zu dienen, und mit ihnen, nachdem er noch Lyon und seine medicinischen Anstalten besucht, in der Schweiz wieder zusammenzutreffen. Mit dieser Reise schlossen seine Wanderjahre, indem er mit den Seinigen zu Anfang October 1828 in der Heimath wieder eintraf.

Der junge Doctor trat nunmehr in eine neue Phase seines Lebens ein, die ihn noch zehn Jahre lang an seine Vaterstadt Hannover fesseln sollte. Es gelang ihm, zunächst einen ärztlichen Verein ins Leben zu rufen, er erhielt einen Armenbezirk zugetheilt, den er bis zu seinem Fortzuge von Hannover beibehalten hat und wurde bereits zu Anfang 1829 ersucht, die allerdings nicht remunerirten Vorlesungen über Chirurgie an der chirurgischen Schule zu übernehmen, bei denen er eine Neuerung einführte, indem er das damals allgemein übliche Heftdictiren abschaffte. Die zu seiner Kenntniß gekommene, vor kurzer Zeit erschienene Schrift des berühmten Chirurgen und Orthopäden Delpech in Montpellier L’orthomorphie veranlaßte ihn, noch im J. 1829 eine orthopädische Anstalt anzulegen, auch erfand er in demselben Jahre noch die sehr bekannte Streckmaschine zur Heilung von Spitz- und Klumpfüßen. Das Jahr 1831, in welchem er sich mit der Tochter des Bürgermeisters Bartels in Hamburg vermählt hatte, brachte, wie bekannt, zum ersten Male die Cholera nach Deutschland, und um diesen bisher ganz unbekannten Feind näher kennen zu lernen, wurden, wie von anderen Staaten zahlreiche Aerzte, so auch von der hannoverschen Regierung unser St. mit einigen Collegen nach dem Osten geschickt. Nachdem er in Danzig und Umgegend über die Krankheit sich näher unterrichtet hatte und nach Hannover zurückgekehrt war, war die Seuche bereits bis Hamburg vorgedrungen und bedrohte das eigene Land, so daß St. von neuem nach Hamburg und in die benachbarten hannoverschen Städte geschickt wurde, um sich von den daselbst getroffenen Vorkehrungen zu unterrichten. Im J. 1832 erschien dann ein von ihm verfaßter umfangreicher Cholerabericht. Daran schlossen sich weitere schriftstellerische Arbeiten: zunächst ein Aufsatz (Rust’s Magazin, Bd. 39, 1833) über die von ihm behufs Behandlung des Klumpfußes ausgeführte Durchschneidung der Achillessehne, die St. zuerst in der ungefährlichen subcutanen Weise vorzunehmen gelehrt hat. Indessen diese und eine zweite Veröffentlichung über denselben Gegenstand machten [621] in Deutschland geringen Eindruck, und erst als St. einen jungen englischen Arzt, Dr. Little, der vorher vielfach vergeblich behandelt und auch von Dieffenbach gesehen worden war, durch diese Operation undH eine sorgfältige orthopädische Nachbehandlung im J. 1836 von seinem Leiden befreit und Dieffenbach davon Kenntniß erhalten hatte, wurde die von diesem mit Enthusiasmus aufgenommene neue Methode Gemeingut der Chirurgie, und ist es keiner von Stromeyer’s geringsten Ruhmestiteln, die subcutane Chirurgie geschaffen zu haben, über die er in einer größeren Schrift: „Beiträge zur operativen Orthopädik, oder Erfahrungen über die subcutane Durchschneidung der Muskeln und deren Sehnen“ (1838) berichtete. Vorher schon hatte er in einer Schrift „Ueber Paralyse der Inspirationsmuskeln“ (1836) sich mit einer Theorie der seitlichen Wirbelsäulenverkrümmung (Skoliose) beschäftigt und verschiedene, die Nerventhätigkeit betreffende, physiologische Aufsätze erscheinen lassen.

Mit dem Jahre 1838 trat St. einen neuen Lebensabschnitt an. Obgleich er schon 1882 zum königlichen Hofchirurgus ernannt worden war, war er zu dem 1837 einziehenden König Ernst August in gar keine Beziehungen getreten, dagegen hatte er sich durch seine chirurgischen und orthopädischen Leistungen so bekannt gemacht, daß er getrost als Nachfolger des trefflichen Michael Jaeger den Lehrstuhl der Chirurgie an der Universität Erlangen, wohin er zu Ende October 1838 übersiedelte, übernehmen konnte. Der Aufenthalt in Erlangen behagte unserem St., unter liebenswürdigen Collegen und fleißigen Studenten, sehr gut. Einige Unterbrechung gewährten Reisen und die 1840 daselbst tagende Naturforscherversammlung, bei der St. das Amt des zweiten Geschäftsführers übernehmen mußte. Auch machte er daselbst die erste Bekanntschaft mit den von seinem Vorgänger und von Textor in Würzburg vielfach ausgeführten Gelenkresectionen, die er bis dahin nirgends gesehen hatte und für die er später auf dem Gebiete der Kriegschirurgie mit aller Kraft eintrat. – Als im December 1840 der Professor der Chirurgie Wilhelm in München plötzlich verstorben war, wurde St., auf Veranlassung des Königs Ludwig selbst, an seiner Stelle nach München berufen und siedelte dahin zu Anfang des Jahres 1841 über. Indessen die Verhältnisse, die er daselbst vorfand, sagten St. in keiner Weise zu, und als im September 1842 ihm gleichzeitig zwei Berufungen, die eine nach Tübingen, die andere nach Freiburg, zugingen, zögerte er nicht, die eine derselben anzunehmen, und zwar die nach Freiburg, wo er sechs Jahre, vom Herbst 1842 bis ebendahin 1848 des reinsten Glückes genießen sollte. Neben der herrlichen Lage der Stadt und angenehmen collegialen Verhältnissen fand St. daselbst ein an Zahl und Mannichfaltigkeit reiches klinisches Material, das zu einer beträchtlichen Zahl großer Operationen Anlaß gab. Im J. 1844 erhielt St. von der Pariser Akademie der Wissenschaften für die Erfindung der Schieloperation einen Preis von 3000 Franken, während Dieffenbach für die erste Ausführung derselben dieselbe Summe bekam. In demselben Jahre machte er eine zweite Reise nach London und brachte vier Wochen von seinen Ferien im Hause des von ihm geheilten Dr. Little zu. In Freiburg schrieb St. auch den ersten Band seines „Handbuch der Chirurgie“, welches heftweise von 1844–1849 erschien. Die im J. 1848 das badische Land heimsuchende Revolution betraf in ihren blutigen Vorgängen auch die Stadt Freiburg und verursachte unserem St. mancherlei Unbequemlichkeiten und obgleich der Aufenthalt daselbst ihm sehr gut gefallen hatte, er auch von dem Großhetzog durch Ernennung zum Medicinalrathe (1847), Hofrath und Medicinalreferenten des Hofgerichts (1848) geehrt worden war, so bestimmten ihn einestheils jene widerwärtigen Verhältnisse, anderntheils sein lange gehegter Wunsch, der Kriegschirurgie näher zu treten und dabei dem Vaterlande einen Dienst zu leisten, eine Berufung nach Kiel als Professor der [622] Chirurgie und Generalstabsarzt der schleswig-holsteinischen Armee an Stelle des nach Berlin berufenen Bernhard Langenbeck anzunehmen, trotzdem ihm die Stadt und noch mehr die chirurgische Klinik bei seinem ersten Besuche mißfallen hatten. Im November 1848 trat er seine neue Stellung während des Waffenstillstandes an und es wurde zunächst ein Dienstreglement für Militärärzte entworfen, berathen und eingeführt und im Februar 1849 auch eine neue Civilmedicinalordnung. Weiter waren neue chirurgische Instrumente, Transport- und Lazarethmaterial für die junge Armee zu beschaffen und das ärztliche Personal an den geeigneten Stellen unterzubringen, und hatte man sich zu dem neuen Feldzuge, der thatsächlich zu Anfang des April 1849 begann, zu rüsten. St. machte hier seinen ersten Feldzug mit, bei dem er nicht einen unthätigen Zuschauer abgab, sondern überall rathend und helfend eingriff. Mitte August kehrte er zu seiner klinischen Thätigkeit in Kiel zurück und begann eine Abhandlung über Schußfracturen zu schreiben, aus der sich seine 1855 und in 2. Auflage 1861 erschienenen berühmten „Maximen der Kriegsheilkunst“ entwickelten, die 1867 noch einen die Erfahrungen des Jahres 1866 umfassenden Nachtrag erhielten. Nach einer vom Februar bis Juni durchgemachten schweren Krankheit mußte er im Juli wieder ins Feld rücken und gerieth nach der noch in demselben Monate stattgehabten Schlacht bei Idstedt mit den zahlreichen, in der Stadt Schleswig und in dem Schlosse Gottorp befindlichen Verwundeten, die er nicht hatte verlassen wollen, in dänische Gefangenschaft. Im August durfte er über Lübeck und Hamburg nach Holstein zurückkehren, wo sich noch viele Verwundete befanden und wo sich eben die Cholera gezeigt hatte. Nach der definitiven Rückkehr nach Kiel im Januar 1851 und der gleichzeitigen Pacificirung der Herzogthümer hatte St. zunächst noch mit der Regelung des Invalidenwesens zu thun, erhielt später im August und der dänischen Regierung unter sehr vortheilhaften Bedingungen die Bestallung als Professor der Chirurgie und Augenheilkunde an der Universität, und wurde 1852 zum Director des holsteinschen Sanitätscollegiums ernannt. Während St. im Sommer 1853 eifrig bemüht war, für die Kliniken Neubauten zu erlangen, wurde ihm von Hannover aus der Antrag gemacht, als Generalstabsarzt in hannoversche Dienste zu treten und dieser Antrag nach einigem Zögern auch angenommen, so daß er anfangs April 1854, nach sechszehnjähriger Abwesenheit, in seine Vaterstadt zurückkehrte. Es fand sich hier für ihn ein reiches Feld der Thätigkeit, bei dem Erlaß von Instructionen für die Recrutenaushebung, die Sanitätssoldaten, bei der Erneuerung und Verbesserung des Sanitätsmaterials der Armee, dem Bau eines neuen Generalhospitals und von Kasernen, der Inspicirung der verschiedenen Garnisonorte und endlich der Regelung der Anstellung und Beförderung der Militärärzte. Hand in Hand damit gingen wissenschaftliche schriftstellerische Arbeiten, wie die Vollendung seiner schon erwähnten „Maximen der Kriegsheilkunst“, die Schriften und Aufsätze „Ueber den Verlauf des Typhus unter dem Einflusse einer methodischen Ventilation“ (1854), „Das General-Militärhospital in Hannover“ (1859), „Ueber granulöse Augenkrankheit“ und außerdem des II. Bandes seines „Handbuch der Chirurgie“ (1864–1868). – Die am 26. Juni 1866 geschlagene Schlacht bei Langensalza, welche zur Capitulation der hannoverschen Armee und der Einverleibung des Königreichs Hannover in Preußen führte, fesselte in ihren Folgen bei der Behandlung der Verwundeten St. daselbst noch bis Ende September, wo er nach Hannover zurückkehrte. Nachdem ihn in Hannover die Begutachtung der Invaliden längere Zeit in Anspruch genommen hatte, folgte er der Einladung der auf den Vorschlag der Königin Augusta von Preußen zu Conferenzen über die Verbesserung des Kriegssanitätswesens berufenen Commission, die Mitte März 1867 in Berlin zusammentrat, lehnte es jedoch ab, die ihm gleichzeitig angebotene Stelle als [623] Generalarzt des IV. Armeecorps in Magdeburg anzunehmen, da er nur in der gleichen Stellung beim X. Armeecorps in Hannover Ersprießliches leisten zu können glaubte. Die Conferenz, welche in 38 Sitzungen, die sich bis in den Mai erstreckten, wesentliche Verbesserungen anbahnte, hatte zum Präsidenten Langenbeck, zum Vicepräsidenten St. ernannt. St. hatte die Freude, dieser Versammlung in Gemeinschaft mit seinem Schwiegersohne Esmarch, seinem Adjutanten in den Feldzügen von 1849/50, seinem Assistenten in der Klinik und seinem Nachfolger in der Leitung derselben beizuwohnen. – Nach wenigen Jahren der Ruhe zog St. von neuem ins Feld, als consultirender Generalarzt der III. Armee. Um Mitte August 1870 in Hannover abreisend und dem XI. Armeecorps beigegeben, wohnte er der Schlacht von Sedan bei und wirkte einen Monat lang namentlich in Floing, wo er u. a. mehrere Baracken für die zahlreichen Verwundeten bauen ließ und die Bekanntschaft des englischen, an der anglo-amerikanischen Ambulanz in Sedan wirkenden Chirurgen William Mac Cormac machte, dessen ’Notizen und Bemerkungen eines Ambulanzchirurgen‘ er 1871 in deutscher Uebersetzung herausgab. Da das XI. Corps inzwischen nach Versailles gerückt war, folgte St. ihm dahin nach und wirkte daselbst in Gemeinschaft mit dem Berliner bekannten Chirurgen Dr. Wilms an dem im Schlosse errichteten Hospital, durch welches eine sehr große Zahl von Verwundeten ging, bis zur Auflösung desselben, anfangs März, zu welcher Zeit er wieder in Hannover eintraf. – Ungefähr ein Jahr später erfüllte er ein seinem neuen Freunde Mac Cormac schon in Sedan gegebenes Versprechen, ihn in London zu besuchen, indem er im Mai 1872 dahin abging und von jenem sowie Dr. Little herzlich empfangen wurde. Mit Mac Cormac stattete er auch der Militär-medicinischen Schule in Netley bei Southampton einen Besuch ab und hielt, feierlich daselbst empfangen, sowol dort, als auch in dem prächtigen neuen St. Thomas-Hospital in London, zu dessen Chirurgen Mac Cormac gehörte, längere Reden in Gegenwart der Zöglinge dieser Anstalten in englischer Sprache. Sehr befriedigt und erfrischt von seinem Londoner Aufenthalt, kehrte St. in die Heimath zurück. Seine Muße in den folgenden Jahren benutzte er dazu, um eine Schrift „Erfahrungen über Local-Neurosen“ (1873) und seine nachstehend näher angeführten „Erinnerungen“ (1875) abzufassen, und wenige Monate, nachdem er sein fünfzigjähriges Doctorjubiläum, unter Betheiligung der Vertreter der deutschen Chirurgie, begangen hatte, am 15. Juni 1876, schied er aus dem Leben. Seine dankbaren Mitbürger errichteten ihm später auf einem freien Platze in der Stadt Hannover ein Standbild.

St. war von Person eine stattliche Erscheinung, geistreich, aber zu Sarkasmen geneigt, wie sie sich auch zahlreich über Personen und Gegenstände in seinen „Erinnerungen“ finden. Seiner hervorragenden Verdienste um die subcutane Chirurgie und die Orthopädie, welche in die erste Zeit seines ärztlichen Wirkens fallen, haben wir schon gedacht. Der übrige Theil seines Lebens war hauptsächlich dem Ausbau der Kriegsheilkunde, namentlich in conservativer Richtung, gewidmet. Nicht zu unterschätzen sind auch die Verdienste, die er durch seine gewichtige Persönlichkeit sich um die Stellung, welche das Militärsanitätswesen in einem Heere einnehmen soll, erworben hat.

G. F. L. Stromeyer, Erinnerungen eines deutschen Arztes. Hannover 1875. 2 Bde. – Deutsche Militärärztliche Zeitschrift 1876. S. 442. – Deutsches Archiv für Geschichte der Medicin. Bd. VII. 1884. S. 195.