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ADB:Thomas von Kempen

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Artikel „Thomas von Kempen“ von Franz Xaver Kraus in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 74–85, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Thomas_von_Kempen&oldid=- (Version vom 26. November 2024, 01:12 Uhr UTC)
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Thomas von Kempen. Für die Biographie des berühmtesten aller ascetischen Schriftsteller Deutschlands kommen außer einigen autobiographischen Notizen desselben (Vita Joa. Gronde I, § 2, Arn. Schoonhoven und Vita Florent. bei Sommalius Ed. 1759, III, 69, 35, 109) die Angaben seines Freundes, Johannes Busch (Chronic. Windeshemens. I, 21 ed. Grube, Halle 1886, S. 58 f.) und diejenigen des Fortsetzers von Thomas’ Chron. Montis s. Agnetis in Betracht. Der Nürnberger Ausgabe der Nachfolge Christi von 1494 gab ein Anonymus eine Vita bei, welche Heribert Rosweyde im Anhang seiner Ausgabe von 1617 nebst den Aufzeichnungen des Joh. Busch (S. 477, 487) abdruckte und der er eine von ihm selbst bearbeitete ausführlichere Lebensbeschreibung beifügte. Dazu kommt die kurze Biographie des Th. von einem unbekannten Zeitgenossen, welche Malou aus Cod. 11841 der königlichen Bibliothek zu Brüessl herausgab (Récherches historiques et critiques sur le Véritable Auteur du livre de L’imitation de Jésus Christ, S. 488). Von untergeordnetem Werthe sind die Biographien, welche 1523 Jodocus Badius, 1548 Gabriel Putherbeus, 1575 Franciscus Tholensis ihren Ausgaben beigaben. Was die Kempener Localforschung für die Geschichte der Familie gewinnen konnte, hat J. Mooren in seinen „Nachrichten über Thomas v. Kempis nebst einem Anhange meist ungedruckter Urkunden“ (Crefeld 1855) zusammengestellt. Darnach ist kein Zweifel, daß das oppidum Kempen in Coloniensi dioecesi, von welchem die alten Nachrichten als Geburtsort des Th. sprechen, nur die jetzige Kreisstadt Kempen zwischen Maas und Rhein sein kann. In welchem Hause der Stadt Kempen Th. zur Welt kam, ist nicht ermittelt: Rosweyde läßt ihn in der Petersstraße geboren werden. Der Volksmund bezeichnet den ehemaligen Garten der Regentie des alten Gymnasiums am Kirchhof als Geburtsstätte des Thomas (das Haus hatte 1855 die Nummer 405). Die Familie Hemerken, welcher Th. entstammte, hatte in Kempen einen unbedeutenden Grundbesitz; sie wird nur einige Male urkundlich genannt. Ein Kempener Schöffenbrief vom Jahre 1374 erwähnt Johann Hemerken, in welchem wir den Vater des Th. zu sehen haben: er lebte noch bis in den Anfang des 15. Jahrhunderts in Kempen. Im J. 1402 meldet uns eine verstümmelte Urkunde den durch den älteren Bruder des Th., Johann Hemerken, mitgethätigten Verkauf des elterlichen zu Kempen am Kirchhof gelegenen Hauses. Dieser ältere Bruder, welcher nach dem Chron. Montis s. Agnetis c. 24, S. 61 im J. 1432, 67 Jahre alt, starb, also 1365 geboren war, muß das väterliche Haus zu einer Zeit verlassen haben, wo Th. kaum geboren oder noch sehr jung war. Johann kam auf die Schule zu Deventer, ward bald darauf durch Florentius Radewins in die von diesem gegründete Genossenschaft frommer Brüder aufgenommen, trat dann als eines der ersten Mitglieder in das Kloster zu Windesheim ein, legte 1387 die klösterlichen Gelübde ab, stiftete 1392 das Kloster Marienborn bei Arnheim, stand 1398–1405 dem Kloster Agnetenberg bei Zwolle als Prior vor, und starb in Bethanien [75] bei Arnheim, nachdem er noch 1407 ein Kloster in Zalt-Bommel gestiftet und das Frauenkloster Bronope bei Kempen geleitet hatte.

Von sonstigen Verwandten des Th. wissen wir nichts, als daß seine Mutter, wie er selbst in der Chronik des Agnetenberges mittheilt, Gertrud hieß; doch wird der Familienname derselben nicht angegeben, wenn auch mit guten Gründen vermuthet wird, daß sie aus einer begüterten Bürgerfamilie Kuyt stammte (Mooren, S. 105). Das Geburtsjahr des Th. wird mit Amort (Deductio critica, S. 3) wol am besten auf 1379 festgesetzt; Andere nehmen 1380 an, indem die Chronik des Agnetenberges c. 26 Th. im J. 1458 als 67 Jahre alt erwähnt. Vermuthlich führte ihn der Einfluß seines Bruders nach Deventer, wol vor 1392, in welchem Jahre Johann als Prior nach Mariabronn ging. Seine Schicksale und die Studienjahre erzählt Th. selbst in den Biographien des Gronde und des Florentius. In Deventer angekommen, suchte er gleich den Weg zu den Chorherren in Windesheim. Dort fand er seinen leiblichen Bruder Johannes, durch welchen er dem gottseligen Florentius zugeführt wurde. Florentius, welcher damals eine große Schaar von Schülern gesammelt hatte, behielt den Knaben eine Zeit lang bei sich, schickte ihn in die Schule und versah ihn mit den nöthigen Büchern. Dann empfahl er ihn einer angesehenen und gottesfürchtigen Frau, welche die studirende Jugend unterstützte und auch Th. in ihr Haus aufnahm. Wir wissen den Namen dieser Frau nicht, doch ist wahrscheinlich, daß es Zwedera, die Wittwe eines Herrn Johann v. Runen war. Als Lehrer nennt Th. Johann Boheme, einen Freund des Florentius, der ihm aus Liebe zu diesem auch das Schulgeld schenkte. Nach einigen Jahren kehrte Th. in das Florentiushaus zurück, wo er unter der Leitung des großen Gottesmannes in das geistliche Leben eingeführt wurde. Um 1398 ließ ihn dieser mit Arnold v. Schoonhoven und etwa 20 Brüdern in einem anderen Hause zusammenleben, wo Th. nach seiner eigenen Erzählung das Bücherabschreiben, die Auslegung der heiligen Schrift, die Sittenlehre und die Kunst der Betrachtung lernte. Die Brüder ernährten sich hier hauptsächlich durch Bücherabschreiben (Vita Arn. Schoonhoven § 3). Die Tagesordnung des frommen Vereins lernen wir aus des Th. Lebensbeschreibung des Johann Kettel (Vita Cacabi § 18) kennen, während diejenige des Florentius uns eine Anzahl von Details aus jenen Jahren bewahrt hat (§ 13). Von der in den letzten Jahren des 14. Jahrhunderts in Deventer herrschenden Pest scheint das von Th. bewohnte Haus verschont geblieben zu sein, doch erzählte er selbst von einer gefährlichen Erkrankung, von welcher ihn der Pfarrer von Almelo, Eberhard Eza heilte. Ohne Zweifel geschah es auf des Florentius Rath hin, daß Th. in das der Windesheimer Congregation zugehörende Kloster auf dem S. Agnetenberge bei Zwolle eintrat. Einige Monate vorher, nach Ostern 1399, war sein älterer Bruder dort zum Prior gewählt worden. Hier aufgenommen beschäftigte er sich mit Studium und Gebet, daneben mit Bücherabschreiben und Handarbeit. Die Probezeit dauerte 6 Jahre, während welcher Florentius und wahrscheinlich auch seine Eltern dem Th. entrissen wurden. Allem Anschein nach fällt eine Reise in die Gegend von Neuß und vermuthlich nach Hause in diese Zeit. Nicht zu controliren ist die Angabe des Rosweyde, daß Th. auch eine Wallfahrt nach Trier gemacht habe. Im J. 1406 am 12. Juni legte Th. vor seinem Bruder die klösterlichen Gelübde ab; erst 1412 oder 1413 empfing er die Priesterweihe. Johann v. Kempen schied 1408 vom Agnetenberg, wo Wilhelm Vorniken Prior wurde. Nach 17 Jahren erwählte die Windesheimer Congregation diesen Vorniken zu ihrem Generalobern; an seiner Stelle wurde Dietrich v. Cleve Prior auf dem Agnetenberge: ihm folgte Th. als Unterprior, in welcher Stellung er aller Wahrscheinlichkeit nach seine Sermones ad novitios schrieb. Damals mag [76] er auch den Besuch des berühmten Wessel Ganzevoot gehabt haben, über welchen uns dessen Schüler Hardenberg berichtet (Vita Weseli bei Ullmann, Reformatoren vor der Reformation II, 295; vgl. ebd. S. 732 und Ullmann, Johann Wessel, ein Vorgänger Luther’s, Hamburg 1834). Die Lebensweise im Agnetenberg wird uns in Schriften des Th. ausführlich geschildert (Mooren S. 122). Ihren Lebensunterhalt bestritten die Brüder auch hier hauptsächlich aus dem Abschreiben und Verleihen von Büchern, wie denn der Orden überhaupt durch Groot auf die Herstellung und den Besitz schön geschriebener Kirchen- und Erbauungsbücher hingewiesen war. Diese ruhige Existenz erlitt eine schwere Trübung, als der Streit um den Besitz des Bisthums Utrecht nach dem Tode des Bischofs Friedrich v. Blankenheim das Interdict über alle Orte herbeiführte, welche dem vom Papste nicht bestätigten Rudolf v. Diephold als Bischof huldigten. Da die Mehrheit des Landadels und des Volkes zu Rudolf’s Partei gehörte, wurden mit vielen anderen Klostergeistlichen auch die Einwohner des Agnetenberges zur Auswanderung nach Friesland genöthigt. Als nach dem Tode des Gegenbischofs Sweder v. Culemborg der päpstliche Legat Rudolf anerkannte, wurde das Interdict aufgehoben und die Klostergeistlichkeit von Windesheim und Agnetenberg konnte aus Lünekerk in ihre Behausungen zurückkehren (1432). Bald darauf am 4. November 1432 starb des Th. Bruder Johannes in Bethanien in Arnheim. Nachdem Th. auch vorübergehend das Amt eines Schaffners (Procurator) begleitet hatte, zu welchem er sich wenig geschickt erwies, wurde er 1448 wieder zum Unterprior gewählt. In seinem Alter litt er an Wassersucht, an welcher Krankheit er 92 Jahre alt am 26. Juli 1471 starb; er wurde begraben in dem von Osten an die Kirche anstoßenden Anbau.

Der Anonymus des Malou und der letzte Subprior des Agnetenberges Franz Baacker (Franc. Tholensis Vita Thomae § 9) schildern Th. seiner äußerlichen Erscheinung nach als klein von Statur, aber von Ehrfurcht gebietendem, freundlichem und gütigem Ansehen. Seine Gesichtsfarbe war braun und lebhaft; er erfreute sich bis zuletzt eines in seltenem Maaße scharfen Augenlichts. Zeitgenössische Bildnisse des Th. sind nicht erhalten; das älteste scheint dasjenige zu sein, dessen etwa 100 Jahre nach seinem Tod Franz v. Tholen gedenkt. Es war ein altes Gemälde, welches sich auf dem Agnetenberg befand und den Spruch trug: „In omnibus requiem quaesivi et nusquam inveni nisi in een Hoecksken met een Boecksken“. Ueber andere Abbildungen berichtet Mooren S. 183. Im J. 1629 ließ die Stadt Kempen ihren berühmten Mitbürger durch drei Gemälde ehren, von denen sich wie es scheint zwei erhalten haben. Ueber ältere Kupferstiche, welche Th. darstellen, vgl. Mooren S. 193.

In den älteren Biographien wird die Beredsamkeit, die Strenge und Zurückgezogenheit von Thomas’ Wandel, seine Sorge für die Würde des Gottesdienstes und die Zierde der Kirche, seine Liebe zum Stillschweigen gerühmt. Seine wissenschaftliche Ausbildung war nicht hervorragend, weder in philosophischer noch in theologischer Hinsicht. Er erscheint nicht frei von Meinungen und Vorstellungen, wie sie das Volk seiner und noch späterer Zeit hegte: Vorbedeutungen, Geistererscheinungen spielen eine gewisse Rolle in seinen kleinen Schriften. In der heiligen Schrift und in den Kirchenvätern erscheint er sehr belesen, dagegen ist er mit den Problemen der gleichzeitigen theologischen Wissenschaft allem Anschein nach nicht vertraut und manches läßt darauf schließen, daß ihm eine nähere Fühlung mit der Scholastik gänzlich fehlte. Gleichwol zeigen seine Schriften, daß er sich mit Sicherheit auf dem Gebiete der Theologie bewegte: hier wie in allen Dingen kam ihm jenes hohe Maaß gesunden Menschenverstandes zu Statten, welches sich in der Nachfolge Christi als eine Art religiöser Genialität bewährt. Die humanistischen Bestrebungen hatten den Weg zu ihm [77] noch nicht gefunden, er scheint von der classischen Litteratur kaum Notiz genommen zu haben. Wie er sich zu den Kunstbestrebungen s. Zt. verhielt, ist schwer zu sagen, jedenfalls hat es ihm an Phantasie nicht gefehlt, und unzweifelhaft ist seine Kenntniß des Gesanges und der Musik. Die Empfindung für Rhythmus und Melodie spiegeln auch seine Schriften ab. Der Styl der letzteren ist gewiß weit entfernt von der Classicität des ciceronianischen Lateins: als Denkmal der mittelalterlichen Latinität wird namentlich die Nachfolge Christi stets eine der ersten Stellen einnehmen: seit Augustin hat kein Schriftsteller des Mittelalters mit gleicher Meisterschaft die lateinische Prosa gehandhabt, um die feinsten Empfindungen und die geheimsten Vorgänge unseres Seelenlebens zu schildern.

Das ist der Hauptvorzug der Schriften unseres Th., welchem dieselben ihre unermeßliche Popularität verdanken: an Selbständigkeit des Denkens, an Tiefe der Speculation steht Th. hinter den großen oberdeutschen Mystikern des 14. Jahrhunderts entschieden zurück. Diese Mystik der oberrheinischen Gottesfreunde hat zwar durch Ruysbroek ihren Weg zu den Brüdern des gemeinsamen Weges, zu Groot, Florentius, Schoonhoven und durch sie auch zu Th. gefunden; aber es fehlt bei Th. durchaus das speculative Element, und andererseits die bei gewissen Gottesfreunden scharf hervortretende Opposition gegen das damalige Kirchenregiment. Nur ganz vereinzelte Aeußerungen in den kleinen Schriften wenden sich gegen die Verderbniß der kirchlichen Stände und des kirchlichen Lebens (Hortul. Rosar. IV 3, ed. Sommal. II, 61. Vall. Lilior. XXV 3, ib. 97: nemo … impetrare potest a Papa bullam nunquam moriendi nec obtinere pecunia praebendam iugiter manentem etc.).

Th. v. Kempen kommt litterarisch als Bücherabschreiber und als Schriftsteller in Betracht. Das Copiren von Büchern stand, wie schon bemerkt, in den Häusern der Brüder vom gemeinsamen Leben und der Windesheimer Congregration in hohem Ansehen, und es kann daher auch nicht verwundern, wenn ein Schriftsteller von so hohem Ansehen wie Th. einen großen Theil seines Lebens der Anfertigung sorgfältiger Copien namentlich der heiligen Schrift zuwandte, welche theils der Erbauung der Brüder dienten, theils für Rechnung der Genossenschaft verkauft wurden.

Der Agnetenberg besaß noch 100 Jahre nach Thomas’ Tode außer einem großen Missale und einer Schrift des heiligen Bernhard von der Hand des Th. geschrieben die ganze Bibel in 4 Bänden, welche später in der Frohnleichnamskanonie in Cöln aufbewahrt wurde. Diese Bibelhandschrift ist jetzt allem Anschein nach zu Grunde gegangen. Auch der Brüsseler Codex 4585, welcher mehrere Tractate des Th. enthält, wird als von ihm geschrieben angesehen (Malou).

Mooren (S. 153) nennt als solches auch ein Neues Testament, welches ein Professor im Seminar zu Roulers besaß. Endlich trägt der berühmte Antwerpener Codex von 1441 bekanntlich den Schlußvermerk: Finitus et completus anno domini MCCCCXLI. per manus Fratris Thome Kempis in monte sancte Agnetis prope Zwollis. Die Handschrift enthält außer der Nachfolge Christi die meisten kleineren Schriften des Th. Nach etwas jüngeren Eintragungen gehörte sie ursprünglich dem Agnetenkloster, aus dessen Ruinen sie 1577 durch den Generalobern des Ordens, Johann Latomus, Prior in Marienthron bei Herentaels, weggenommen wurde. Latomus schenkte sie seinem Freunde Johann Beller, welcher sie s. Zt. wieder 1590 den Jesuiten in Antwerpen überließ. Von Antwerpen gelangte die Handschrift in die burgundische Bibliothek zu Brüssel, wo sie die Nr. 5855–5861 trägt. Außer diesem Codex scheint Th. auch jene andere Handschrift der Nachfolge Christi mit eigener Hand geschrieben zu haben, [78] welche um 1570 von einigen geflüchteten Mitgliedern des Agnetenklosters nach dem Martinsstift in Löwen gebracht wurde. Dieser sog. Löwener Codex, welcher seither verschwunden ist, enthielt die drei ersten Bücher der Nachfolge und hatte auf der ersten Blattseite den Vermerk: Hic liber scriptus est manu ac caracteribus reverendi et religiosi patris Thomae a Kempis canonici regularis in monte s. Agnetis prope Subollam, qui est author horum devotorum libellorum.

Daß Th. selbständig verschiedene Tractate geschrieben, bezeugen Johann Busch, der Fortsetzer der Agnetenchronik, und die zeitgenössischen anonymen Biographen. Eine erste Sammlung derselben mit Ausschluß der Nachfolge erschien zu Utrecht 1474, eine andere zu Nürnberg 1494. Das von letzterer gebotene Verzeichniß ist in Rosweyde’s Edition S. 492 nicht ganz genau abgedruckt. Zwei andere Verzeichnisse hat Grube aus Handschriften des 15. Jahrhunderts veröffentlicht (Hist.-pol. Bl. 1883, 898). Unvollständig ist auch der Katalog des Trithemius, completer der des Badius 1523, worauf denn der Jesuit Sommalius 1599 (1601–1607, wiederholt Antwerpen 1615 und Köln 1728, 1757) sämmtliche dem Th. zugeschriebenen Werke mit Ausnahme des Chronicon montis s. Agnetis in einer guten Ausgabe vereinigte.

Die Ausgabe enthält: 1) Sermones ad Novitios; 2) Sermones novem ad fratres; 3) Conciones et Meditationes triginta sex; 4) De Imitatione Christi ll. IV; 5) Soliloquium animae; 6) Hortulus rosarum; 7) Vallis liliorum; 8) De tribus tabernaculis; 9) De Disciplina claustralium; 10) De fideli Dispensatore; 11) Hospitale pauperum; 12) Dialogus Novitiorum; 13) Exercitia spiritualia; 14) Alia spiritualia Exercitia veri religiosi; 15) Doctrinale seu Manuale juvenum; 16) Libellus de vera compunctione cordis; 17) Libellus de solitudine et silentio; 18) De Recognitione propriae fragilitatis; 19) Epitaphium breve seu Enchiridion monachorum; 20) Manuale Parvulorum; 21) De Elevatione mentis ad inquirendum summum bonum; 22) Alphabetum parvum monachi in schola Christi; 23) Consolatio pauperum et infirmorum; 24) Orationes piae; 25) De Mortificatione sui ipsius; 26) De humilitate; 27) De Vita bona et pacifica; 28) Vita boni monachi (Reimverse); 29) Cantica spiritualia (7 Gedichte).

Auf diese ascetischen Abhandlungen folgen im dritten Bande historische Darstellungen und zwar zunächst die Lebensbeschreibungen der Stifter und Häupter der Genossenschaft der Brüder vom gemeinsamen Leben: 1. des Gerhard Groot; 2. des Florentius Radewjns; 3. des Johann Gronde; 4. des Johann Bringkerinck; 5. des Robert Berner; 6. des Heinrich Rune; 7. des Gerhard von Zütphen; 8. des Emil von Buren; 9. des Jakob Viana; 10. des Johann Kettel (Cacabus); 11. des Arnold Schoonhoven; darauf folgt 12. de Vita Liduwinae oder Lydovigis (Umarbeitung einer älteren Biographie). Den Schluß bilden 6 geistliche Briefe (Epistolae) und 10 Orationes piae, endlich folgen noch 13 Cantica spiritualia. Zu diesen von Sommalius gesammelten Schriften kommt noch das Chronicon montis s. Agnetis, als dessen Verfasser sich Th. selbst nennt und in welcher er die Geschichte des Agnetenklosters von 1386–1471 erzählt; Rosweyde hat es in seiner Ausgabe des Chron. Windeshemense (Antwerp. 1621, II) abgedruckt.

Zu diesen längst bekannten Schriften kommen noch hinzu: 1. die in flämischer Sprache erhaltene Abhandlung Von Goden woerden to horen, ende die to sprecken, welche Malou (Récherches S. 389), dann Hoffmann v. Fallersleben (Germania XV, 365) und Hirsche I, 291 veröffentlicht haben; 10 weitere Cantica spiritualia welche Spitzen (Nalezing of mijn Thom. a Kemp., Utr. 1881, S. 85) herausgegeben hat. Entschieden unecht sind 1. das Alphabetum fidelium und Confessionale compendiosum (ed. d’Anglars, Paris 1837); 2. Capita quindecim [79] inedita (ed. J. F. E. Meyer, Lübeck 1845); 3. Liber quidam secundus Tractatus de Imitatione Christi (ed. Th. A. Liebner, Göttingen 1842; vgl. über diesen Quedlinburger Fund: Nolte in Zeitschr. für kathol. Theologie VII, 2–68. Wien 1855).

Die Echtheit der Abhandlungen: Soliloquium animae; De tribus Tabernaculis; De Elevatione mentis; De vera compunctione ist s. Zt. von Mooren (S. 164 f.) angefochten, aber neuerdings durch Hirsche (I, 310) siegreich vertheidigt worden.

Das Hauptwerk unseres Th. ist indessen die hinsichtlich ihrer Echtheit so viel umstrittene Nachfolge Christi, dasjenige Handbuch des inneren geistlichen Lebens, in welchem sich der ascetische Geist und die Erfahrung des Mittelalters auf dem Gebiete des Seelenlebens gewissermaßen in einer classischen und in einer nach Inhalt und Form unübertroffenen Weise condensirt haben. Das Werk besteht aus vier Büchern, welche übrigens in den Handschriften niemals unter einem gemeinsamen Titel vereinigt waren. Die Titel der einzelnen Bücher sind: 1. Admoniciones ad spiritualem vitam utiles (25 Cap.); 2. Admoniciones ad interna trahentes (12 Cap.); 3. De interna consolatione (59 Cap.); 4. Exhortationes ad sacram communionem (18 Cap.). Das erste Capitel des ersten Buches trägt die Ueberschrift: De Imitatione Christi et contemptu omnium vanitatum mundi; sie gab später den Titel für das ganze Werk her, dessen vier Bücher in den Handschriften weder in derselben Reihenfolge, noch überhaupt vollständig zu erscheinen pflegen. Daß die Capiteleintheilung von Th. selbst herrührt, kann nicht zweifelhaft sein. Die Antwerpener Handschrift bietet sie ebenso, wie die auch den kleinen Schriften des Th. eigenthümliche Interpunction, zu welcher Komma, Kolon, Semikolon und Punctum verwendet werden.

Die Handschriften geben den Namen des Verfassers der Imitatio nicht immer an, doch nennen die meisten Th. als solchen. Der letzteren sind allein aus dem 15. Jahrhundert 48 bekannt, und davon fallen in die Jahre 1425–1488 12 oder 13 datirte. Andere Handschriften schreiben mit der den Librarii des Mittelalters eigenen Unzuverlässigkeit die Imitatio bald Gerson, bald dem hl. Bernhard, bald anderen Autoren zu. Gleichwohl galt allgemein die Imitatio bis zu Anfang des 16. Jahrhunderts als das Werk des Th.; nur wenige Drucke gaben Gerson als Autor ein. Dann aber erhob sich eine Controverse über die Autorschaft des Buches, welche zu den berühmtesten Streitfragen der Litteratur gehört und auch heute noch nicht völlig ausgetragen erscheint.

Die erste Phase des Streites begann damit, daß im J. 1604 der Spanier Manriquez die übrigens hinfällige Behauptung aufstellte, die Imitatio werde bereits in einer Rede des hl. Bonaventura citirt. Zu gleicher Zeit wies der Jesuit Rossignoli auf eine Handschrift von Arona hin, welche einen Abt Gersen als Verfasser nannte, worauf dann der Benedictinerabt Constantin Cajetani 1614 in seinem Gersen restitutus und in dem Appartus ad Gersenem restitutum, sowie in der Ausgabe von 1616 den Abt Johannes Gessen, in dem Druck von 1644 Johannes Gersen als Urheber der Imitatio erklärte. Man glaubte diesen Johannes Gersen als Abt im Stephanskloster zu Vercelli nachweisen zu können. Von da ab traten die Benedictiner für die Autorschaft dieses fabelhaften Abtes von Vercelli ein, der um 1240 gelebt und den Beinamen de Canabaco oder Cavaglia getragen haben soll, während die Augustiner und Jesuiten durchschnittlich für Th. kämpften. Eine Entscheidung der Congregatio de propag. fide von 1639 gestattete, daß das Werk unter dem Namen des Gersen gedruckt werden dürfe, während die aus Anlaß der Richelieu’schen Prachtausgabe von 1641 in Frankreich angestellten Untersuchungen zu dem Parlamentsbeschlusse von 1652 führten, wonach der Druck des Werkes nur unter dem Namen des Th. [80] gestattet wurde. Auf diese Entscheidung hatte ohne Zweifel die glänzende Vertheidigung eingewirkt, welche der belgische Jesuit Heribert Rosweyde in seinen Vindiciae Kempenses (im Anhang zu seiner Ausgabe der Imitatio Antwerpen 1617, dann öfter nachgedruckt) veröffentlicht hatte und welche um 1649 durch Simon Werlin (Rosweydus redivivus) und 1651 Carré (Thomas a Kempis a se ipso restitutus, Paris), ferner durch Desnos und Boissy (1652) ergänzt wurde. In ein zweites Stadium gelangte die Angelegenheit im Zeitalter Mabillon’s, wo die französischen Mauriner auf verschiedenen Gelehrtenversammlungen (1671, 1674, 1687) auf Grund der Handschriften sich gegen Th. erklären zu müssen glaubten. Während der Blick jener ausgezeichneten Gelehrten durch die Rücksicht auf die Interessen und den Ruhm ihres Ordens zu Gunsten des Abtes Gersen also gestört wurde, fand doch Th. auch jetzt neue Vertheidiger in Testelette (Vindiciae Kempenses, 1677) und schließlich auch in Ellies Dupin, welche sich nach längerem Schwanken endlich auch 1706 zu Gunsten des Th. aussprachen. Zwanzig Jahre ruhte dann der Streit, bis der Benedictiner Ehrhardt in seiner Augsburger Ausgabe von 1724 wieder für den Abt Gersen Partei ergriff; jetzt trat der Augustiner Eusebius Amort († 1775) als der energischste und glücklichste Vertheidiger des Th. auf, dessen Autorschaft er in einer Reihe von Schriften verfocht, welche auch heute noch ihren Werth bewahren: Informatio de statu totius controversiae (Aug. Vind. 1725); Scutum Kempense seu Vindiciae IV libr. de Im. (Col. 1728 und 1759 im Anhang zu Amort’s Ausgabe von Kempis’ Opera omnia); Deductio critica (Aug. Vind. 1761). Schließlich erklärten auch Joh. Zumgus (Vit. Thom. a Kemp., Venet. 1762) und Desbillons in seiner Ausgabe (Mannheim 1780) sich zu Gunsten des Th.

Wenn das 19. Jahrhundert hinsichtlich unserer Frage die alten Ordensrivalitäten verschwinden sah, so weist darum der fortdauernde Kampf um die Autorschaft der Nachfolge Christi keine größere Objectivität auf. Zeuge dafür ist der Umstand, daß auch jetzt noch die Franzosen meistens für Gerson, die Italiener für Gersen, die Niederländer für Th. eintreten. In Frankreich wurde die Autorschaft des großen Kanzlers Gerson zwar von zahlreichen Schriftstellern, wie Gence (1809), Barbier (1812), Leroy (1837), Mangeart (1838), Paulin (Paris 1839), Thomassy (1843), Vert (1854), Tamizey de Larroque (1862), Darche (1875) vertheidigt, aber mit so wenig Glück, daß viele Kritiker, wie Renan, Silvestre de Sacy (1854), die Ansprüche Gerson’s aufgaben und sich auf die allgemeine Phrase zurückzogen: das Buch habe überhaupt keinen individuellen Verfasser, es gehöre der ganzen Menschheit, und das ganze Mittelalter habe daran gearbeitet. Günstiger schienen die Dinge für die Sache des Abtes Gersen zu liegen, welche in Italien zahlreiche Freunde fand, aber auch in Deutschland vertheidigt wurde. Den Gersenisten kam der Piemontese de Gregory in unerwarteter Weise zu Hülfe: derselbe hatte in Paris 1830 eine Handschrift der Imitatio erworben, welche 1550 einem italienischen Kanonikus, de Advocatis (de Avogadri), gehört hatte; Gregory identificirte nun mit einer Handschrift der Nachfolge diesen Codex, die nach einem Diarium der Familie Avogadri als Erbstück zum 15. Februar 1347 erwähnt wird (vgl. Ausg. de Gregory’s der Nachf. Chr. Paris 1833 und dessen Histoire du livre de l’Im., Paris 1842). Dieser Fund, und die damit gegebene vermeintliche Entdeckung einer längst vor Th. geschriebenen Handschrift ermuthigte nicht bloß Italiener, wie Parenti (1844), Moroni (1845), Melzi (1852), Paravia (1853), Torri (1855), Veratti (1857), namentlich den Jesuiten Mella (Civ. catt. 1875), sondern auch Deutsche, wie Gregory’s Uebersetzer Weigl (Sulzbach 1832) und neuestens den Wiener Benedictiner Cölestin Wolfsgruber (Katholik 1877; Ausgabe einer niederländischen Uebersetzung der Nachf. 1879; dann in seinem Hauptwerk: Giovanni Gersen, sein [81] Leben und sein Werk, Augsburg 1880) zur Vertheidigung des italienischen Abtes, der sich indessen gerade unter den Händen seiner neuesten Advocaten immer mehr als ein unhistorisches Gespenst herausstellte. Nur Hergenröther war kritiklos genug, um den Gersenisten zuzustimmen (Kirchengeschichte I, 980), während die deutsche und niederländische Kritik im übrigen an Th. als Autor festhielt.

In diesem Sinne hatten sich unter den protestantischen Kirchenhistorikern Ullmann, Hase, Gieseler, Böhringer, Bähring, unter den Katholiken Silbert, Mooren ausgesprochen, ohne freilich den Argumenten Amort’s irgend etwas wesentliches hinzuzufügen. In einen neuen Fluß kam die Thomistische Bewegung durch die Schrift des Bischofs Malou (Recherches historiques et critiques sur le véritable auteur de l’Im., zuerst 1849, 3. Aufl. Tournay 1858), welche als eine handliche und verständliche Zusammenfassung alles dessen was sich zu Gunsten des Th. sagen ließ, den Ansprüchen des letzteren auch in Frankreich und Italien zahlreiche Freunde zuführte. Malou’s Arbeit wurde in mehrfacher Weise bestätigt und ergänzt durch die Aufsätze, welche H. Nolte in Scheiner und Häusle’s Zeitschrift für die gesammte katholische Theologie (Wien 1853, V, 283; 1855, VII, 2–68) herausgab. Es traten dann für Th. u. A. Keppler (1880), Pucher, Schneemann, Grube (Historisch-politische Blätter, 1880–1883), in Italien Santini (I diritti di Tommaso da K., Roma 1879–1881), in England Kettlewell (Thom. a Kemp. and the brothers of com. life, London 1882, 2. Aufl. 1885) auf, während der Unterzeichnete (Allg. Zeit. 1872, Nr. 201) im allgemeinen dafür einstand, daß der Verfasser der Windesheimer Congregation angehören müsse. Ganz verfehlt war der Versuch Henri de la Borde’s (Notice sur deux estampes de 1406 etc., Gaz. des Beaux Arts, 1869) und Loth’s (Revue des questions historiques 1873–1874) auf Grund einer Handschrift der Bibliothèque Nationale in Paris (Cab. des Estampes, E a, 2) das Datum 1406 als Entstehungsjahr dieser Abschrift zu erklären. Loth meinte indessen an einem deutschen Augustiner aus der Mitte des 14. Jahrhunderts festhalten zu müssen. Unter dem Eindruck dieser Publicationen verhielten sich verschiedene Beurtheiler, wie Hölscher (1879), neutral. Dann aber trat die Angelegenheit wieder in ein ganz neues Stadium durch die Arbeiten des Hamburger Pastors Karl Hirsche (Prolegomena zu einer neuen Ausg. der Imitatio Christi nach dem Autograph des Th., 3 Bände, Berlin 1873–94) und des holländischen Pfarrers O. A. Spitzen (Th. A. K. als schrijver der Navolging van Christus (Utr. 1880); Nalezing (Utr. 1881), Nouvelle Defense de Thomas a. K., spécialement en réponse au P. Denifle (Utr. 1884), welchen Delvigne (Les récentes recherches sur l’auteur de l’imit. Brux. 1855–1876; 1877) und der Jesuit V. Becker (L’auteur de l’im. et les documents Néerlandais, La Haye 1882), in Deutschland vorzüglich Funk in Tübingen (Hist. Jhrb. 1881, S. 149–177; 481–511; 1884, S. 226–245) und Ludwig Schulze (Göttinger Gel. Anz. 1885, Nr. 15, S. 610 f.; besonders in dem die ganze Streitfrage zusammenfassenden vortrefflichen Aufsatze über Thom. v. K. in der Realencyklopädie f. protest. Theol. u. Kirche XV, 598–613) beitraten, während dem Th. ein neuer Gegner in Heinrich Denifle erstand, welcher (Zeitschr. f. kathol. Theologie 1882, S. 692–718; 1883, S. 692–742) zwar den Ursprung der N. Chr. gleichfalls in den deutschen Niederlanden sucht, aber gegen Hirsche und Spitzen auf Grund angeblicher Handschriften des 14. Jahrhunderts nicht Th., sondern einen andern unbekannten deutschen Geistesmann als Verfasser der Nachfolge erklärt.

Es ist heute vollkommen überflüssig, des Näheren auf die zu Gunsten von Gerson und Gersen erhobenen Ansprüche einzugehen. Die Unhaltbarkeit derselben ist auf den meisten Punkten bereits von Amort, neuerdings aber mit [82] Evidenz durch Spitzen, Hirsche und Schulze erwiesen worden. Für den Kanzler Gerson kann auch nicht ein einziges ernsthaftes Argument angeführt werden, weder eine nennenswerthe handschriftliche Bezeugung, noch Uebereinstimmung des Stils oder des allgemeinen schriftstellerischen Charakters, noch irgend ein Zeugniß seiner Umgebung und seiner Zeitgenossen: während gegen ihn, abgesehen von vielem andern, schon die große Zahl von Germanismen der N. C. und der Umstand spricht, daß der Verfasser der letztern unzweifelhaft Ordensgeistlicher war.

Nicht besser steht es mit dem Abte Gersen. So viel Mühe sich auch die Anwälte desselben, und insbesondere neuestens C. Wolfsgruber gegeben haben, um die Autorschaft desselben zu retten, so ist es ihnen nicht einmal gelungen, die Existenz eines Abtes Gersen von Vercelli zu erweisen. Derselbe taucht thatsächlich erst in einer apokryphen Abtsliste von 1645 auf. Das Gregory’sche Diarium ist eine zweifellose Fälschung, der Codex de Advocatis kann, auch nach Denifle’s Zugeständnisse, nicht vor die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts gesetzt werden; ältere gute Handschriften, welche den Abt Joh. Gersen als Verfasser der N. C. nennen, gibt es nicht; wo ein Gersen in einer Handschrift erscheint, ist er offenbar aus der Verschlechterung von Joh. Gerson entstanden. Der Versuch, in der N. C. eine Reihe von Italicismen zu finden und die notorischen Germanismen wegzuleugnen, ist kläglich mißlungen.

In der That lassen die in der N. C. uns begegnenden Germanismen an dem deutschen bezw. niederländischen Ursprung des Buches nicht den leisesten Zweifel. Schon Eusebius Amort (Deduct. critica p. 162 ff.) hat die Liste dieser Germanismen zusammengestellt, Spitzen hat sie vermehrt. Dinge, wie exterius scire (I, 1), libenter habere (I, 6. 22) u. v. a., derartiges konnte nur ein Deutscher schreiben. Ebenso gewiß ist heute, daß der Verfasser der N. C. dem Kreise der Brüder vom gemeinsamen Leben und der Windesheimer Congregation angehört hat. Das geht nicht bloß aus den zahlreichen Anklängen an die zeitgenössischen Vertreter dieser Richtung und Schule, wie Groot, Flor. Radewejns, v. Heusden, Brinkerinck u. a. hervor; es erhellt auch aus einer Vergleichung der N. C. mit den von Th. herrührenden Biographien der Häupter jener Vereine, am deutlichsten aber aus der offenkundigen Benutzung des Briefes des Joh. v. Schoonhoven († 1431) in N. C. I, 20–24 und den nicht aus den Originalien, sondern aus demselben Zeitgenossen geschöpften Citaten aus Seneca und Ovid (I, 24. 13; I, 13. 56). Die häufige Bezugnahme auf die erwähnten Gemeinschaften durch das sie specifisch bezeichnende devoti ist ebenfalls nicht zu unterschätzen.

Kann danach gegenwärtig nicht mehr ungewiß erscheinen, welchem geistigen Milieu die Imitatio ihren Ursprung verdankt, so führen andere Erwägungen darüber hinaus auf Th. als den einzig möglichen Verfasser des Werkes. In erster Linie muß hier auf die merkwürdige Uebereinstimmung hingewiesen werden, welche zwischen der Imitatio und den unzweifelhaft echten kleinen Schriften des Th. hinsichtlich der Interpunction (wie sie vorzüglich in dem Antwerpener Autograph von 1441 hervortritt) und des zwar schon früher bemerkten, aber erst durch Hirsche in seiner Bedeutung gewürdigten und ausgewiesenen Rhythmus und Reim besteht: eine Eigenthümlichkeit, die sich in dieser Weise doch nicht, wie behauptet worden ist, auch bei anderen Schriftstellern der Zeit und namentlich nicht bei Gerson wiederfindet.

Gegen diese Gründe hat man geltend gemacht, daß die innere Uebereinstimmung zwischen den kleinen Schriften und der N. C. fehle. Während letztere das Werk eines einzigartigen religiösen Genies sei, sagt man, verriethen erstere zwar einen achtbaren, aber doch in nichts über das Maaß der Mittelmäßigkeit hinausgehenden Verfasser. Man hat auch darauf hingewiesen, daß [83] erstere von dem Mariencultus schweige, während die Opera minora von demselben voll seien. Das ist nun nicht ganz richtig. Imitat. IV, 17. 18 erwähnt Maria allerdings. Verschiedenheiten zwischen der Imitatio und den kleineren Schriften bestehen, aber sie werden aufgewogen durch die noch viel stärker hervortretende Uebereinstimmung, durch eine Reihe von in beiden vorkommenden Eigenthümlichkeiten, welche Amort, Hirsche und Spitzen unzweifelhaft nachgewiesen haben.

Diesen inneren Gründen steht eine sehr gewichtige äußere Bezeugung zur Seite. Noch zu Thomas’ Lebzeiten nennen ihn ca. 50 Handschriften als Verfasser, darunter der Cod. Kirchhemius von 1425, der Hasak’sche von 1450, vor allem das Autographon von 1441 (s. o.). Die Unterschrift des letztern kann Th. nicht bloß als Copisten bezeichnen; gewisse Correcturen im Text sind nur erklärlich, wenn sie von dem Verfasser des Werkes selbst ausgegangen sind. Diese Punkte dürfen durch die Spitzen’sche Beweisführung als erledigt betrachtet werden (Nouv. Déf. p. 185 f.), welcher (S. 42) auch nicht ohne Erfolg die 1879 gefundene alte niederdeutsche Uebersetzung des ersten Buches der Imitatio aus den Emanuelshäusern zu Zwolle (von 1420?) zu Gunsten des Th. angerufen hat. Ebenso günstig ist das Zeugniß der ältesten Ausgaben, von denen diejenigen von 1472, 1481, 1485, 1486, von ausländischen die Venezianer von 1486, 1489, 1521, die Pariser von 1493 und 1500, die Lyoner von 1490 Th. als Verfasser nennen, während die Ausgaben mit Gerson’s Namen seltener sind, Gerson vor 1500 überhaupt in Drucken nicht genannt ist. Bedeutsamer ist, daß eine Reihe von Zeitgenossen, darunter nahe Bekannte des Th. ihn als Verfasser der N. C. nennen: vorab sein Freund, der Augustinerpropst Johann Busch, welcher bis 1437 in Windesheim lebte, den Th. auf dem Agnetenberg aufsuchte und in seinem Chron. Windeshemense (I, 21, ed. Rosweyde, Antw. 1621); neue Ausg. von Grube, Halle 1886, p. 58), sagt: frater Thomas de Kempis vir probate vite, qui plures devotos tractatulos composuit, videlicet ’Qui sequitur me’ de Imitacione Christi cum aliis. Ohne Grund hat man die Stelle als ein Einschiebsel zu erklären gesucht (vgl. jetzt Jos. Pohl im Programm des Gymnasiums zu Kempen, 1894). Weiter nennen Th. als Verfasser die deutsche Uebersetzung des Kaspar v. Pforzheim, 1448, der Prior Herm. Rheyd in Halle, welcher 1454 Th. kennen lernte (’frater iste, qui compilavit librum de Imitatione, dicitur sive nominatur Thomas, supprior in dictu montis s. Agnetis etc.’ Amort, Ded. crit. 98. Mov. Certit. 49), Joh. Wessel, der gleichfalls Zwolle besuchte (’scribebat ea tempestate Thomas libr. de Imitatione etc.’, Ullmann, Ref. II, 295); Wessel’s Schüler und Biograph Hardenberg, der auch zum Agnetenberg wallfahrtete, wo ihm die Brüder domini Thomae Kempis … opus aureum de Im. C. zeigten (eb. 295. 732); Joh. Mauburne (Joh. v. Brüssel, in s. Rosetum spirituale exercitiorum, Bes. 1491); der Autor der der Nürnberger Ausg. von 1494 vorgeschickten Vita (s. o.); der Carmelit Marcus Farinator (1472 oder 1475); Adrian de But (in s. Zusätzen zur Chronik des Joh. Brandon, 1480); Alb. Kühne in Duderstadt (De mentis elevat., Memmingen 1489); Peter Schott aus Straßburg, der Herausgeber von Gerson’s Werken (1488), der Italiener Jak. Phil. Forestus (Suppl. Chron. 1503), endlich auch Trithemius (De script. eccl. c. 707), wenn derselbe auch in dem Catalog ill. vir. Germ. die N. C. dem älteren Bruder des Th. zuschreiben will. Dieser Wolke von Zeugnissen gegenüber kann nicht in Betracht kommen, daß allerdings die 1474, also kurz nach Thomas’ Tod erschienene Utrechter Ausgabe der kleinen Schriften die Imitatio nicht bietet; sie enthält auch andere echte Schriften des Th. nicht.

Die Abfassungszeit der N. C. kann mit Rücksicht auf Cod. Gaesdonck. (1426 oder 1427) nicht später als 1427 angesetzt werden; ob die Entstehung wenigstens des ersten Buches durch die 1879 von Spitzen gefundene Skutken’sche [84] Uebersetzung vor 1420 zu setzen ist, erscheint immerhin fraglich. Verschiedene Handschriften (ehemals in Melk, Ochsenhausen, Ewich) sollen das Datum 1421 getragen haben, doch sind dieselben nicht mehr erhalten. Das Datum 1384/5 der Handschrift von S. Paul ist, wie ich mich durch persönliche Untersuchung überzeugt habe, gefälscht (vgl. auch Academy 1890, 409); das gleiche gilt von allen angeblichen ältern Daten von Handschriften. Das Datum 1441 des Antwerpener Autographs kann nur den Abschluß der auch die kleinen Schriften umfassenden Handschrift, nicht den Beginn der Arbeit an der Imitatio bezeichnen. Das Zeugniß des Joh. Busch läßt die Entstehung der letztern jedenfalls nicht nach 1424 zu; dahingestellt bleibt, ob man diejenige des ersten Buches um 1416 anzusetzen hat. Ihr wäre nach Spitzen’s Annahme diejenige des vierten gefolgt.

In dieser frühen Abfassungszeit liegt die einzige bisher nicht völlig gelöste Schwierigkeit, welche sich der Autorschaft des Th. entgegenstellt. Th. muß die N. C. in einem Alter von etwa 34–36 Jahren geschrieben haben, wenn nicht früher: es erhebt sich die Frage, ob dies möglich war. Daß ein Buch, welches die reichste Lebenserfahrung ausspricht, welches gewissermaßen die innere Erfahrung des ganzen christlichen Mittelalters zusammenfaßt, von einem verhältnißmäßig noch jungen Manne geschrieben worden sein soll, ist an sich höchst unwahrscheinlich und es wäre jedenfalls eine in der Geschichte der Litteratur fast einzig dastehende Erscheinung. Befremdlich ist, daß unter den Gegnern wie unter den Vertheidigern des Th. fast niemand die ganze Tragweite dieser Schwierigkeit erkannt hat: nur E. Amort (Ded. crit. p. 39) hat sie einigermaßen gewürdigt und mit Recht darauf hingewiesen, daß Th. selbst (Chron. s. Agn. II. c. 11) seine Abhängigkeit von Florentius Radewjns betont, dessen Vorträge um 1414–15 in dem Kloster auf dem Agnetenberge nachgeschrieben wurden. Es ist oben auf die Abhängigkeit hingewiesen, in welcher sich Th. einer Reihe anderer zeitgenössischer Geistesmänner gegenüber bewegte: so namentlich gegenüber Schoonhoven, Joh. Huesden und Hendr. Mande. Die aufmerksame Lectüre der von Th. geschriebenen Biographien der ihm befreundeten Geistesmänner aus dem Umkreis der Brüder vom gemeinsamen Leben läßt in der That keinen Zweifel daran, daß Th. in Wirklichkeit fast mehr Compilator libri de Imitatione (so nennt ihn Herman von Halle geradezu 1454), als ein durchaus selbständiger Schriftsteller ist; und in dieser Thatsache wird die Erklärung jener Schwierigkeit zu suchen sein.

Es bleiben noch Denifle’s Einwendungen zu erwähnen. Sie sind u. E. in allem wesentlichen durch Spitzen, Funk und Schulze widerlegt worden. Die Annahme, es existirten vor Thomas’ Zeiten fallende Handschriften der Imitatio aus dem 14. Jahrhundert, ist durch keinerlei Beweis gestützt und muß vorläufig als rein arbiträr erscheinen; wie andrerseits der Versuch, die Bedeutung des Antwerpener Autographons von 1441 durch Bevorzugung des Textes einiger italienischer Handschriften herabzudrücken, allen Grundsätzen der philologischen Kritik ins Antlitz schlägt.

Die Ausgaben der N. C. haben zunächst Amort (Inform. controv. 190) und Panzer (ann. typogr. I. V.) verzeichnet; jetzt aber besitzen wir in des Jesuiten Aug. de Backer’s Essai bibliographique sur le Livre de Imitatione Christi (Liège 1864) und in E. Fromm’s Schrift: Die Ausgaben der Imit. Christi in der Kölner Stadtbibliothek (Köln 1886) vortreffliche bibliographische Hülfsmittel. Kritischen Werth können jetzt nur mehr die Edd. von Rosweyde (Antw. 1617. 1691) und Hirsche (Brl. 1874) beanspruchen; werthvoll ist die phototypische Wiedergabe des Cod. Antw. von 1441 durch Ch. Ruelens (Lpz. 1879, Harrassowitz). Die Zahl der Ausgaben beläuft sich auf mehr als 2000.

Als älteste deutsche Uebersetzung der N. C. muß jetzt diejenige von 1434 [85] angesehen werden (L. Korth, Mitth. aus dem Kölner Stadtarchiv XIII; Fromm, Deutsch. Reichsanz. 1886, 14. Dec.; ders. Ztschr. für Kircheng. IX, 606 f.); es folgt dann die Pforzheimer von 1448. Die beiden besten modernen deutschen Uebersetzungen sind die von Bischof Sailer (Mch. 1799 u. öfter, noch 1883 ) und G. Görres (neugedr. Tournay 1883). Die Reihe der italienischen Uebersetzungen beginnt mit 1488, der französischen mit 1493 (hdschriftlich 1447 u. 1462), der englischen mit 1502 bezw. 1503 (Atkynson; die drei ersten Bücher wiederholt 1504 mit Buch IV, übers. von Heinrich’s VII. Mutter Margaretha); vgl. über die Uebersetzungen in andre Sprachen Backer S. 149 ff. Unter den französischen ist hervorragend diejenige Lammenais’ (1824) und N. de Wailly’s (Paris 1886). In classisches Latein übertrug die N. C. Seb. Castellio (Basel 1563). Von den illustrirten Ausgaben bezw. Uebersetzungen sind die Paris-Brüsseler von 1839, diejenige von Delaunay (Paris 1869), diejenige mit den Holzschnitten nach Führich (öfter aufgel., zuletzt Lpz. 1884) und die von Merkel (Kassel 1882) zu erwähnen.