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ADB:Wredow, August Julius

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Artikel „Wredow, August Julius“ von Alfred Gotthold Meyer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 253–256, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wredow,_August_Julius&oldid=- (Version vom 17. November 2024, 19:48 Uhr UTC)
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Wredow: August Julius W., Bildhauer aus der Schule Rauch’s, ist am 5. Juni 1804 in Brandenburg a. d. Havel als ältester Sohn eines wohlhabenden Tuchhändlers geboren. Sein Vater wurde ihm früh entrissen, aber seine ebenso sorgsame wie kluge Mutter leitete in wohlgeordneten Verhältnissen seine Erziehung vortrefflich. Die letztere erhielt er zunächst in der Saldern’schen Schule in seiner Vaterstadt, dann in der des „Lehrervereins“ in Berlin. Der Vorsteher dieser Anstalt, Ludwig Cauer, der dem Zeichenunterricht besondere Aufmerksamkeit zuwandte, förderte das schon in Brandenburg beachtete Zeichentalent des Knaben und gab ihm Gelegenheit, sich mit seinem Bruder, dem nachmaligen Bildhauer Emil Cauer, auch im Modelliren und Schnitzen zu üben. Porträtbüsten der Verwandten bewährten sein Talent zur Plastik, und auf Fürsprache des Malers Eduard Magnus wurde W. 1823 in die Werkstatt Rauch’s als Eleve angenommen, wo er bald selbst zur Mitarbeiterschaft an den Reliefs des Berliner Blücherdenkmals zugelassen wurde. Seine erste selbständige Arbeit zeigte sein ernstes Streben: es war die noch heute in Künstlerateliers und Akademien geschätzte Wiedergabe eines Männerkörpers ohne Haut, zum Studium [254] der Muskellagen und Bänder. Auch sein erstes Kunstwerk (1824), die Statue eines halblebensgroßen, verwundeten Philoktet, war eine tüchtige Arbeit, die Rauch’s vollen Beifall fand. Gleichzeitig studirte der junge Eleve auf der von Schadow geleiteten Akademie. – Rauch brachte ihm zuerst nicht nur das Interesse des Lehrers, sondern auch persönliches Wohlwollen entgegen, wie das seine besonders lobenden Tagebuchnotizen über ihn beweisen. Bald aber trat eine leichte Entfremdung ein, welche wol den äußern Anlaß gab, daß W. Berlin verließ, um sich nach einem kurzen Aufenthalt in Dresden, zur Vollendung seiner Ausbildung nach Rom zu begeben (1826). Begeistert berichtet er von den dortigen ersten, unter den glücklichsten Bedingungen genossenen Eindrücken und geht eifrig an die Arbeit. Ein Grabrelief für seine kurz zuvor verstorbene Schwester, ein David und ein bogenspannender Amor blieben nur Skizzen, sein „Ganymed als Hirtenknabe“ aber sollte den jungen Künstler schnell bekannt machen. 1828 erregte das Gipsmodell in der Ausstellung auf dem Capitol in Rom ungewöhnliches Aufsehen. W. hatte einen Abguß auch auf die Berliner Kunstausstellung gesandt, aber der Kronprinz Friedrich Wilhelm, der nachmalige König Friedrich Wilhelm IV. sah das Werk bei seinem Besuch im Herbst des Jahres noch in Rom und bestellte seine Ausführung in Marmor. Fast gleichzeitig wurde auch das Berliner Exemplar vom dortigen Kunstverein zur Reproduction in Bronce angekauft. Rauch teilte dies dem ehemaligen Eleven in einem ausführlichen Brief mit, in dem er, von einigen Rathschlägen abgesehen, dem Werke große Anerkennung spendet. Das war nur der werthvollste Ausdruck des allgemeinen Urtheils. Schreibt doch Rauch selbst: „Keinen Tadel habe ich darüber aussprechen hören“! In der That waren sowol die älteren Berliner Bildhauer, wie Schadow und Tieck, als auch die Studiengenossen Wredow’s, Sanguinetti, Calide und Troschel, des Lobes voll. Am stolzesten aber mochte der junge Künstler wohl auf die rückhaltlose Anerkennung sein, die seine Arbeit in Rom selbst bei Thorwaldsen fand. Denn zweifellos ist dieser „Ganymed“ eines der deutschen Werke, welche der Kunst des großen Dänen am nächsten kommen. Das sehr sorgfältig aber auch sehr langsam – in zwei Jahren – ausgeführte Marmorexemplar des Kronprinzen befindet sich jetzt im Speisesaal dese Schlößchens Charlottenhof bei Potsdam. An Linienschönheit und an echt künstlerischer Feinheit hat W. dieses Werk selbst später nicht mehr übertroffen, und es darf noch heute innerhalb ganz anders gearteter Kunstbestrebungen der Gegenwart als eine der anziehendsten Sculpturen des deutschen Neuclassicismus gelten. Schon als Actfigur allein verkörpert dieser Ganymed das Formenideal jugendlich-weicher, knospender Schönheit, das der Kunst dieser Zeit vorschwebte, und besonders durch Thorwaldsen seine welthistorische Gestaltung gefunden hat. Der etwa fünfzehnjährige nackte Knabe ist in ungemein graziöser und doch völlig natürlicher Haltung wiedergegeben: das linke Bein Stand-, das rechte Spielbein, den Hirtenstab in der Rechten, wendet er das liebliche Haupt aufwärts, und hält den linken Arm, die vom Licht geblendeten Augen beschattend, empor. Er ist als zum Adler des Zeus aufblickend gedacht. In einer bekannten antiken Gruppe ist der letztere als Entführer des Knaben dargestellt – die Auffassung Wredow’s aber spiegelt vortrefflich die feinsinnige Anschauung seiner Zeit. Aus dem gelockten Haupt des Knaben spricht das Vorgefühl der kommenden Seligkeit. Abgesehen von den etwas hart behandelten Haarpartieen ist auch die technische Wiedergabe vortrefflich.

Aufgaben dieser Art lagen dem Talente Wredow’s am besten. Eine etwa gleichzeitig im Auftrage Ludwig’s von Baiern für die Walhalla bei Regensburg gearbeitete Büste der Kaiserin Katharina II. von Rußland und die Büste einer Neapolitanerin sind für ihn minder bezeichnend, als die 1831 im Modell [255] vollendete Statue eines „bittenden Knaben“, deren künstlerisches Ziel W. selbst in einem Brief an Rauch dahin erläutert: „Ich habe mir außer der Einfachheit und Naturwahrheit der Bewegungen … auch eine ungezwungene Neuheit der Stellung zur Aufgabe gemacht“ … jene „treffende Naturwahrheit, die jeden Gedanken an eine andere Handlung von selbst niederschlägt“. – Die Hoffnung, auch dieses 1832 in Berlin ausgestellte Werk für den König in Marmor auszuführen, schlug fehl. Dagegen brachte ihm die nächste Arbeit ähnlicher Gattung wieder einen großen Erfolg: die 1833–35 modellirte Statue des Paris nach den Versen der Ilias:

„Ihn im Gemach jetzt fand er, die stattlichen Waffen durchforschend,
Panzer und Schild, und glättend das Horn des krummen Geschosses.“

Auf Fürsprache Alexander v. Humboldt’s, des Grafen Brühl, und vor allem Rauch’s wurde ihm 1837 die Marmorausführung für den König aufgetragen. Zwei Jahre zuvor war er aus Italien zurückgekehrt und begab sich nun wieder nach Carrara, von wo er 1839 neben dem „bittenden Knaben“ und dem Kopf des Paris eine jetzt im Besitz des Finanzministers Miquel befindliche Statue des „Mercur, der die in einander verbissenen Schlangen trennen will“ zur Berliner Ausstellung sandte. Der „Paris“ wurde erst 1841 in Berlin vollendet und in der „Theehalle“ der „Orangerie“ in Potsdam aufgestellt. Obgleich auch er von Rauch rückhaltlos gelobt worden ist, wirkt er heute minder glücklich, als der „Ganymed“. Den weichlichen Helden freilich hat der Künstler in seiner überlebensgroßen Statue trefflich charakterisirt; in dieser Hinsicht zeigt die Formenbehandlung ein schon fast raffinirtes Können. Aber der Gesammteindruck leidet bereits darunter, daß die Gestalt nur als Profilfigur gedacht ist. Paris ist im Begriff, den auf das linke Knie aufgestemmten Bogen mit einem Tuch zu reinigen, und dabei wendet er sich ganz nach rechts, dem Beschauer nur die Seitenansicht bietend. Dieselbe gewährt manche schöne, aber auch manche harte Linie. Der linke Fuß ist durch einen hohen Schemel gestützt, zwischen den Beinen sind die übrigen Waffen aufgeschichtet. Das hat etwas künstlich Componirtes. Vortrefflich durchgearbeitet ist vor allem der Kopf mit den schönen, aber sinnlichen Zügen. Im ganzen darf man Rauch’s Urtheil, W. habe hier „die schwierige homerische Aufgabe, den Weichling mit dem Helden in einer Gestalt zu verbinden“ besser als Canova und Thorwaldsen gelöst, doch nur bedingt zustimmen. – Die Thronbesteigung Friedrich Wilhelm’s IV. schien W. zunächst eine erfolgreiche Thätigkeit in der Heimath zu eröffnen, allein diese Hoffnung blieb schließlich unerfüllt, und zwar vorwiegend wohl durch die ablehnende Stellung Rauch’s. Allerdings war dieselbe nicht unbegründet. W. hatte von Italien aus versucht, dem König eine Thonskizze zum Denkmal Friedrich’s des Großen vorzuführen, obschon dasselbe bereits an Rauch vergeben war. Wie hier, so wußte W. auch nach seiner Rückkehr bei einer zweiten Aufgabe nicht den rechten Zeitpunkt zu finden, um seine schon lange vorbereiteten Pläne zur Geltung zu bringen: beim Statuenschmuck der Schloßbrücke. Nur eine der acht Marmorgruppen wurde ihm übertragen, die letzte der ganzen Reihe, welche in der antikisirenden Fassung: „Iris den siegreich Gefallenen zum Olymp emporführend“ den Heldentod versinnbildlicht. Es ist Wredow’s einziges öffentlich aufgestelltes Werk in Berlin. Erst 1857, also nach dreizehn Jahren, wurde es vollendet. Wohlbedacht zeigt die Composition einen der glücklichsten Versuche der classicistischen Plastik, das Schweben darzustellen. Wie im eilenden Lauf umfaßt die Göttin den rücklings zu Boden sinkenden Helden mit der Linken, während die eine Palme emporhaltende Rechte den Flug gen Himmel andeutet. Der künstlerische Gegensatz zwischen der flatternden Gewandung der übrigens auch einem christlichen Engel nicht unähnlichen Frauengestalt und dem nackten Männerleib ist vortrefflich ausgenutzt, die Formenbehandlung tadellos.

[256] Es kann fraglich erscheinen, ob W. auch zum monumentalen Porträtisten berufen war. Seinen Hauptwerken dieser Gattung, einer Statue Friedrich Wilhelm’s III. für Stettin und einem Denkmal des Königs für Köln (1861), blieb die Ausführung versagt. Jedenfalls ist bemerkenswerth, daß er sich in seinen Skizzen, wie auch theoretisch, hier unbedingt zur Wahrung des geschichtlichen Costümes entschied. Diesen Standpunkt wollte er auch bei der ihm 1873 für die Säulenhalle des Berliner Alten Museums aufgetragenen Porträtstatue Schlüter’s innehalten, aber er kam hier trotz jahrelanger Arbeit zu keinem befriedigenden Ergebniß. Nur die erste Gipsskizze blieb in der Sammlung der Kunstgewerbeschule zu Brandenburg a. H. erhalten, die Marmorstatue für das Museum wurde später dem Bildhauer Kaffsack und nach dessen Tode Max Wiese in Auftrag gegeben und von diesem ausgeführt. Wredow’s Kirchenplastik steht völlig im Zeichen Thorwaldsen’s; das bezeugen die colossalen Apostelfiguren, die W. 1844 im Auftrag des Kaisers Nicolaus von Rußland für die lutherische Nicolaikirche in Helsingfors entwarf und zusammen mit Schievelbein, Bläser und Berges ausführte, die aber dann, da die Zinkgüsse (1848) sich für ihre ursprüngliche Bestimmung zu schwer erwiesen, als Gipsoriginale von ihm der Katharinenkirche in seiner Heimath geschenkt wurden (1855). Eine noch weit größere Gabe sollte Brandenburg ihm später danken. Durch Erbschaft war er in den Besitz eines stattlichen Vermögens gelangt, das er mit stetig wachsender Freigebigkeit zur Dotirung einer Zeichen- und Kunstgewerbeschule in Brandenburg verwandte. Die Schule und ihre verhältnißmäßig sehr reiche Sammlung von Lehrmitteln des künstlerischen Unterrichts, eine Bibliothek, eine Kunstsammlung von Originalen und Reproductionen, ist für seine Heimath von großem Segen geworden, und hält neben seinem weitherzigen Kunstsinn und dem Andenken an seine durch Bescheidenheit und Wohlwollen besonders ausgezeichnete Persönlichkeit auch sein eigenes künstlerisches Schaffen lebendig, denn die Sammlung umfaßt eine Anzahl seiner Marmororiginale und Gipsabgüsse sowie Modelle seiner Arbeiten. W. war 1843 Mitglied der Berliner Akademie der Künste, dann Professor und Senatsmitglied geworden, aber er widmete die letzten Jahrzehnte seines langen Lebens –, er starb am 21. Januar 1891 – im wesentlichen seiner Brandenburger Schulstiftung.

Wredow’s künstlerisches Lebenswerk ist quantitativ ungemein dürftig. Vielleicht hätte er eine ganz andere Bedeutung erlangt, wäre er auf den Erwerb angewiesen geblieben. Seine bedächtige, langsame Arbeitsweise war jedoch auch Naturanlage. Ihr dankt er die relativ hohe Vollendung seiner wenigen Arbeiten. Auch für W. aber ist, wie für viele andere Berliner Bildhauer dieser Epoche, die Größe Rauch’s, der seiner Zeit Alles bot, was sie von ihrem Monumentalbildner forderte, verhängnißvoll geworden. W. hatte in sich einen Zug, der ihn näher mit dem Anakreontiker dieser Zeit, mit Thorwaldsen, verband, allein er wußte das nicht zum Sieg zu bringen. Aeußerlich ist er von Albert Wolff, Drake und Kiß, mit denen er die unmittelbare Beziehung zur Rauch’schen Stilweise theilte, überflügelt worden, obgleich er kein geringeres Talent besaß als sie. Die weiter führenden Bahnen der deutschen Plastik lagen aber überhaupt auf anderem Gebiet: es waren die Pfade Ernst Rietschel’s.

Litt. maßgebend: Prof. Dr. Richard Lehfeld, August Wredow, Gedächtnisrede gehalten i. d. öffentl. Sitzung d. Kuratoriums der Wredow’schen Zeichenschule zu Brandenburg a. d. H. d. 20. Sept. 1891. Brandenburg 1892. Ferner die Jahresberichte der Schule, besonders von 1892 und 1893, welche die Vorträge Lehfeld’s über die Gründung der Wredow’schen Zeichenschule, „die Stiftung der zwölf Apostelstatuen i. d. St. Katharinenkirche zu Brandenburg“ enthalten. Vergl. ferner F. u. K. Eggers, Rauch, passim.