BLKÖ:Tyszkiewicz, die Grafen, Genealogie

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 48 (1883), ab Seite: 193. (Quelle)
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Zur Genealogie der Grafen Tyszkiewicz. Die Tyszkiewicz sind eine der reichsten und angesehensten Adelsfamilien in Polen. Ursprünglich in Lithauen ansässig, zogen sie sich später, überall großen Grundbesitz erwerbend, nach Kleinrußland, Congreßpolen und Galizien. Ihr Uebertritt zum Christenthum und ihr Adel datirt nicht über den Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts zurück. Ein polnischer Heraldiker bemerkt aus diesem Anlasse: um die Wappen- und Adelsanmaßungen einiger lithauischer Familien auf ihr rechtes Maß zurückzuweisen, genüge es zu sagen, daß der Adel, wie man solchen in der europäischen Gesellschaft auffaßt, seine Wiege im Ritterthume (chevalerie) des Mittelalters habe. Das Christenthum war eine der ersten Bedingungen und die Grundlage alles Adels. Daher könne auch der Adel der lithauischen Familien nur von der Zeit datiren, in welcher derselbe christlich wurde. Jene Vorrechte und jene Vorzüge, welche sie vor dieser Zeit genossen, haben keinen Adelswerth, wie man einen solchen auch nicht den Titeln des Kaisers Soulouque, des Grafen von Marmelade und des Marquis von Confiture, als den privilegirten Classen der Neger auf Haiti beimessen kann. Also erst im fünfzehnten Jahrhunderte verlieh man der Familie Tyszkiewicz die Wappeninsignien des polnischen Adelsgeschlechtes Leliwa (den goldenen Halbmond, zwischen dessen Hörnern der goldene Stern schwebt), welche ursprünglich die Herren und Grafen von Tarnow [194] und dann noch die Granowski von Großpolen, die Melsztin, die Pilecki, Sicniawski und Andere führten. Aus dem Grunde erscheint auch die Familie Tyszkiewicz nicht in dem als Adelsbuch Polens geltenden „Paprocki“. Einer ihrer Vorfahren, der gegen das Ende des fünfzehnten Jahrhunderts lebte, führte den Namen Timotheus, popularisirt Tyszko, und gab seiner zahlreichen Nachkommenschaft den Namen Tyszkiewicz, der ja ebensoviel bedeutet als Sohn oder Abkömmling des Tyszko, und dessen sich diese Familie seither bedient. Die Abkunft von Monwid, dem ältesten Sohne Gedymin’s Großherzogs von Lithauen, deren sich die Familie rühmt, kann urkundenmäßig nicht erwiesen werden. Doch sei dem, wie ihm wolle, die Familie ist sehr alt, und Anton Alois Misztolt schreibt in seiner „Historia domus Sapiehanae“ wörtlich: Tyzzkieviciorum antiqua et illustris Domus, utitur Armis Leliwa, initia sua referendo ad Calinicum. Calinicus scilicet Myszkowicz Swidrigielonis et Volatimiris ducis Kijoviensis primus et mareschallus; Capitaneus Putiwensis et Zwinigrodensis inter caeteros filios etiam Ducem Exercituum Ducatus Kijoviensis Timotheum protulit, a quo clarissima Tyszkieviczorum (qui et Skuminii dicuntur) familia prodiit. Plurimis senatorum subselliis, variis ministeriis et officiis Ministrorum, Magni Ducatus Lituaniae adornata ad praesens usque saeculum legitur. Cujus praecelsos proceres si numerare deberemus, non unius paginae et folii id esset. Enarrati illi longo ordine in Okolski et aliis authoribus leguntur“. Sie hatten große Reichthümer aufgehäuft, allmälig in Lithauen mächtigen Einfluß erlangt und die höchsten Stellen und Aemter im Lande bekleidet. Des Geschlechtes besondere Bedeutung datirt aber aus neuerer Zeit, als zwei Mitglieder desselben, Louis Tyszkiewicz, Großnotar von Lithauen, und Vincenz, Großreferendar, mit der damals regierenden Familie in nähere Verbindung traten, indem sie zwei Nichten des Königs Stanislaus Poniatowski zu Gemalinen nahmen. Die Eine: Constance Poniatowska, Tochter Kasimirs Fürsten Poniatowski, Großkanzlers der Krone, heiratete den Einen der Genannten; die Zweite: Maria Theresia, Tochter des Andreas und Schwester des Joseph Fürsten Poniatowski, der in der Elster bei Leipzig (October 1813) ertrank, wurde von dem Anderen als Gattin heimgeführt. In Anbetracht des Besitzthums der Herrschaft Łohojsk, auf Grund deren sie ihren Grafentitel ansprechen, und in ihrer Eigenschaft als Erben der Familie Kalenicki, von welcher sie abzustammen vorgeben, erlangten die Tyszkiewicz zu wiederholten Malen in Polen, Sachsen, Rußland und Oesterreich die Bestätigung des Grafentitels. Nach ihren genealogischen Nachweisen wäre Fürst Basil Kalenicki, Wojwode von Smolensk, ein Urenkel des oben erwähnten Monwid, Herzogs zu Slonim und Kiernow, von König Sigismund I. am 17. Februar 1516 als Graf von Łohojsk und Berdyczew-Tyszkiewicz anerkannt und diese Anerkennung wiederholt in den Jahren 1557, 1572, 1629 und 1769 in Polen, von Oesterreich 1787, von Rußland 1823 und 1839 und endlich von Sachsen am 8. November 1871 bestätigt worden. Die Familie breitete sich allmälig sehr aus und theilte sich in mehrere Zweige. Bemerkenswerth ist es, daß nur einer dieser Zweige, und zwar jener, dessen Chef Marcell Adam Graf Tyszkiewicz ist, im genealogischen Almanach der gräflichen Häuser stehend aufgeführt wird. Eine Stammtafel dieses Geschlechtes zu entwerfen, mußte ich aufgeben, da mir alle zu einer solchen Ausführung unentbehrlichen Documente fehlen. – Die Familie ist von dem Momente, da sie in die Geschichte eintritt, eine glänzende, und erscheint ihr Namen in den Reihen der Kriegshelden, Hof- und Staatsmänner, Kirchenfürsten und Gelehrten. Im sechzehnten Jahrhunderte finden sich die Tyszkiewicz öfter unter den Paladinen ihrer Könige, unter den Kämpfern gegen die Türken und Tataren, noch öfter aber begegnet man ihren Namen, seitdem das durch eigene Schuld um seine Selbständigkeit gebrachte Polen immer wieder neue Erhebungsversuche unternahm, um das Joch von sich abzuschütteln und seine frühere Unabhängigkeit wieder zu erlangen. Mehrere Tyszkiewicz opferten für ihre Vaterlandsliebe das Leben, wie Kasimir, Heinrich und Andere. Einem Ludwig Tyszkiewicz begegnen wir als Unterzeichner der Reglements der sämmtlichen Fuß- und Reitertruppen und der Leibgarde des Königs und glauben, ihn, ohne fehl zu gehen, als den eigentlichen Organisator des stehenden Heeres in Polen, welches früher vielmehr aus einzelnen Aufgeboten zusammengesetzt war, betrachten zu dürfen. Andere [195] wieder erschienen als ebenso einflußreiche wie gewandte Organisatoren des Aufstandes, wie Thaddäus und Vincenz. Unter den Räthen der Krone, theils im unmittelbaren Dienste derselben, theils als Vertreter in Verhandlungen mit anderen Nationen oder als Ablegaten in den Reichs- und Landtagen, nennen wir: Johann, Johann Anton, Theodor, Zdislaw; nicht minder ruhmvoll glänzt der Name der Grafen Tyszkiewicz unter den Würdenträgern der Kirche, wofür Anton, der Bischof von Żmujdz, der würdige Georg, Bischof von Wilna, und als energischer Vertreter des Katholicismus wider den Protestantismus der Jesuit Georg anzuführen sind. Als Förderer der Wissenschaft in verschiedenen Richtungen, sei es in der schöngeistigen oder in der Alterthumskunde oder in der Kenntniß fremder Länder, nehmen aber die Tyszkiewicz eine achtunggebietende Stelle ein, wie es Constantin, Eustach, Michael und Andere beweisen. – Die Frauen des Hauses, Zierden ihres Geschlechtes, gehören den edelsten Familien ihrer Heimat an, wir nennen nur die Namen: Poniatowski, Wisniowiecki, Plater, Wollowicz, Krzyzanowski, Krakowski. – Nach Grundbesitz und Reichthümern zählen die Tyszkiewicz zu den ersten Familien Polens. Es gehören ihnen ansehnliche Herrschaften und Güter in Lithauen, im südlichen Rußland und in Galizien. Im Jahre 1855 besaßen sie noch in Lithauen: die Herzogthümer Birze und Wolozyn (zusammen 17 Städte, 63 Ortschaften mit 34.260 Einwohnern); die Grafschaften Lochoisk, Swislocz, Krytynga, Polanyen, Poniemun, Upita, Srzednik, Milcz, Balwierzyszki, Abele, Rozany-Sorsk, Grodeck (zusammen 47 Herrschaften mit 72.540 Einwohnern); im südlichen Rußland: die Grafschaften Bialopol, Koniecpol, Oczeretna (zusammen 19 Herrschaften mit 17.000 Einwohnern); in Oesterreich (Galizien): die Grafschaft Kolbuszowa (zusammen 3 Herrschaften mit 23 Ortschaften) und das Herzogthum Zator im Wadowitzer Kreise. Ob der Umfang der Besitzungen dieser Familie durch die Theilnahme mehrerer Mitglieder an der Erhebung 1863 und 1864 russischerseits nicht eine Schmälerung erlitten hat, ist dem Herausgeber dieses Lexikons nicht bekannt. [Quellen: Encyklopedyja powszechna, d. i. Allgemeine Real-Encyklopädie (Warschau, Orgelbrand, gr. 8°.) Bd. XXV, S. 860–865. – Historisch-heraldisches Handbuch zum genealogischen Taschenbuch der gräflichen Häuser (Gotha 1855, Justus Perthes, 32°.) S. 1022. – Gothaisches genealogisches Taschenbuch der gräflichen Häuser (Gotha, Justus Perthes, 32°.) Jahrg. 1857, S. 834; Jahrg. 1866, S. 944 und Jahrg. 1873, S. 886. – Notices sur les familles illustres et titrées de la Pologne (Paris 1867, A. Franck, 8°.) p. 189 et 257.]