BLKÖ:Tichatschek, Joseph Alois
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich | |||
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Tihaček, Johann | ||
Band: 45 (1882), ab Seite: 131. (Quelle) | |||
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Grois ein Engagement als Solosänger am Theater in Gratz, wo er bis 1837 in ersten Tenorpartien mit glänzendem Erfolge wirkte. Als er dann in Dresden mit großem Beifall in Gastrollen gesungen hatte, erhielt er 1838 ein Engagement am dortigen Hoftheater, bei welchem er nun dauernd verblieb, mit diesem treuen Festhalten an einer und derselben Bühne eine Erscheinung bietend, welche in der Theaterwelt der Gegenwart geradezu phänomenal genannt werden kann. Als Gast erschien er auf allen größeren Bühnen Deutschlands, auf jeder enthusiastische Aufnahme findend. Auch in London, daselbst wiederholt, in Amsterdam, Stockholm und Paris trat er mit rauschendem Beifalle auf. Sein Repertoire war ein sehr großes, seine schönsten Rollen waren: Georg Brown in der „Weißen Frau“, Fra Diavolo in der gleichnamigen Oper, Raoul in den „Huguenotten“, Masaniello in der „Stummen von Portici“, Robert der Teufel, Ferdinand Cortez, der Prophet, Tannhäuser, Lohengrin, Johann von Paris in den gleichnamigen Opern. Am 17. Jänner 1863 feierte der Künstler das fünfundzwanzigjährige Jubiläum seiner Wirksamkeit am Dresdener Hoftheater, an welchem er als neuengagirtes Mitglied in der Rolle des Herzogs Olaf in Auber’s Oper der [132] „Maskenball“ zum ersten Male aufgetreten war. Als Tichatschek am 16. Jänner 1870 sein vierzigjähriges Künstlerjubiläum beging, gab einer seiner Bewunderer in einer biographischen Skizze eine Uebersicht der künstlerischen Thätigkeit des Sängers bis 1863 zum Besten, und da zeigte es sich, daß derselbe bis dahin innerhalb 25 Jahre an 1500 Abenden gesungen, darunter als Masaniello 92-, als Raoul 107-, als Prophet 72-, als Cortez 52-, als Rienzi 65-, als Max im „Freischütz“ 108-, als Hüon 77- und als Adolar 50mal, zusammen in 67 Opern von 35 Componisten. Ihm verdankt Schweden die erste Kenntniß des „Rienzi“ und der „Jüdin“; Holland die erste Bekanntschaft mit dem „Tannhäuser“. Noch im Jahre 1857 war das Engagement des Künstlers am Dresdener Hoftheater auf vier Jahre und zwar unter sehr vortheilhaften Bedingungen erneuert worden, er erhielt nämlich 5000 Thaler Gage, 300 Thaler Garderobegelder, 10 Thaler Spielhonorar und bezog für Kirchengesang 600 Thaler. Mit jedem Jahr seines Engagements steigerte sich die Pension um 100 Thaler. Nach seinem Uebertritt in den Ruhestand 1862 trat er zum Dresdener Hoftheater in dasselbe Verhältniß, in welchem Emil Devrient seinerzeit gestanden, d. h. er war nicht mehr schlechthin actives Mitglied des Personals, sondern sogenanntes Ehrenmitglied mit Pensionsgenuß und nur verpflichtet, zu bestimmten Zeiten des Jahres in Dresden zu verweilen und wieder aufzutreten. Dabei behielt er unverändert seine Stelle als Sänger an der katholischen Hofkirche in Dresden. Schon in seinen Gratzer Künstlerjahren hatte Tichatschek seine Gattin kennen gelernt, und ist dieselbe von dem Könige von Sachsen bei Gelegenheit des neu gestifteten Sidonienordens mit demselben und dem Verdienstkreuze ausgezeichnet worden. Sein einziger Sohn, Lieutenant im königlich sächsischen Regiment Nr. 103, hat den Feldzug 1870 mitgemacht und ist aus demselben geschmückt mit dem eisernen Kreuze zurückgekehrt. Ueber Tichatschek’s Porträte, seine Jubiläen, seine Charakteristik als Künstler und Anderes vergleiche die Quellen.
Tichatschek, Joseph Alois (Tenorsänger, geb. in dem Städtchen Weckelsdorf in Böhmen am 12. Juni 1807). Die Čechen schreiben den in Rede Stehenden Tihaček, wir halten uns an die Schreibart, deren er selbst sich bedient, und unter welcher er seit einem halben Jahrhundert in allen Tagesblättern angeführt wird. Als Sängerknabe erregte er durch seine schöne Stimme die Aufmerksamkeit des Ortspfarrers, durch dessen Vermittlung er auf das Gymnasium in Braunau kam, wo er bis zu seinem siebzehnten Jahre auch im Benedictinerkloster als Altsänger verwendet wurde. Nachdem er mutirt hatte, ging er 1827 nach Wien und begann daselbst zunächst das Studium der Medicin, als man aber auf seine schöne Stimme aufmerksam geworden, gab er auf Zureden von Freunden und Bekannten die Wissenschaft auf und widmete sich aus schließlich der Kunst des Gesanges. Am 16. Jänner 1830 ließ er sich mit 140 fl. C. M. auf ein Jahr als Chorist am Kärnthnerthor-Theater engagiren und nahm bei dem sehr gesuchten und tüchtigen Ciccimara Unterricht in der dramatischen Gesangskunst. Nachdem er sich die nöthige Routine und Uebung angeeignet hatte, fand er 1834 auf Empfehlung des Schauspielers- I. Quellen zur Biographie. Allgemeines Theaterlexikon... Herausgegeben von K. Herloßsohn, H. Marggraff u. A. (Altenburg und Leipzig o. J., kl. 8°.) Bd. VII, S. 38. – Allgemeine Wiener Musik-Zeitung. Herausgeber und Redacteur August Schmidt (Wien, 4°.) 1841, S. 308, in den „Geschichtlichen Rückblicken“ [nach dieser geb. am 11. Juli 1807]. – Dresdener Journal, 1870, Nr. 7, im „Feuilleton“. – Gaßner (F. S. Dr.). Zeitschrift für Deutschlands Musik-Vereine und Dilettanten (Karlsruhe, Chr. Fr. Müller, 8°.) IV. Bd. (1845), S. 309: „Artistische Lichtbilder“. Von J. P. Lyser. – Illustrirte Zeitung (Leipzig, J. J. Weber, kl. Fol.) I. Bd., 1. Juli 1843, Nr. 1, S. 11: „Vom königlichen Hoftheater in Dresden“; – LIV. Bd., 29. Jänner 1870, Nr. 1387, S. 79: „Joseph Tichatschek“. – Männer der Zeit. Biographisches Lexikon der Gegenwart (Leipzig 1862, Karl B. Lorck, 4°.). Zweite Serie, Sp. 80. – Neues Universal-Lexikon der Tonkunst. Herausgegeben von Schladebach-Bernsdorff (Offenbach 1861, André, Lex.-8°.) Bd. III, S. 731. –Recensionen und Mittheilungen über Theater, Musik und bildende Kunst. (Von den Fürsten Czartoryski herausgegeben.) (Wien, Löwenthal, 4°.) VIII. Jahrg. (1862), S. 63. – Schilling (Gustav). Das musikalische Europa (Speyer 1842, F. C. Neidhard, gr. 8°. ) S. 339 [nach diesem geb. am 11. Juni 1807]. – Theater-Zeitung. Redigirt von Adolph Bäuerle (Wien, kl. Fol.). 21. September 1844: „Oesterreich, das Land der Sänger“ [daselbst wird Tichatschek irriger Weise ein geborener Prager genannt]. – Trautenauer Wochenblatt (4°.) 1870, Nr. 6 „Ein berühmter Weckelsdorfer“. – Unser Planet. Blätter für Unterhaltung, Literatur, Kunst und Theater (4°.) 1838, [133] Nr. 144: „Aus Dresden“. – Zellner’s Blätter für Musik u. s. w. (Wien) 1870, S. 22. – Zeitung für Norddeutschland, 1862, Nr. 3983. – Zwischen-Act (Wiener Theaterblatt) 1870, Nr. 34: „Das vierzigjährige Künstlerjubiläum des Kammersängers Tichatschek in Dresden“.
- II. Porträte. 1) Holzschnitt auf S. 11 der ersten Nummer der Leipziger „Illustrirten Zeitung“ vom 1. Juli 1843. – 2) Unterschrift: „Joseph Tichatschek“. Stahlstich von Richter in Leipzig (4°.). Im Text zu diesem Bildnisse des Künstlers wird 1810 als sein Geburtsjahr und Werbelsdorf als sein Geburtsort bezeichnet, was beides unrichtig, da Tichatschek 1807 zu Weckelsdorf im böhmischen Riesengebirge geboren ist. – 3) Facsimile des Namenszuges: „Tichatschek“. Lithographie von Böhm. Beilage zu Dr. C. Toepfer’s „Thalia“ (nicht häufig, 4°.). – 4) Holzschnitt von A. N.(eumann). Unterschrift: „Joseph Tichatschek, königlich sächsischer Kammersänger“. Brustbild in einem Lorbeerkranz, in der Leipziger „Illustrirten Zeitung“, LIV. Band, Nr. 1387, S. 77. – 3) Lith. von Hanfstängl (München, Fol.). – 6) Costumbild aus dem lith. Atelier von Louis Veit in Berlin: Tichatschek als Cola Rienzi [der Bloch’schen Collection Nr. 4, 4°.).]
- III. Facsimile. In das „Deutsche Stammbuch“ schrieb Tichatschek: „In der Kunst sind Einfachheit, Wahrheit und Natürlichkeit der wahre Grund des Schönen. Dresden, im März 1852“.
- IV. Tichatscheks’ Künstler-Jubiläen. Tichatschek, der am 16. Jänner 1855 das fünfundzwanzigjährige Jubiläum seiner Gesangsthätigkeit begangen hatte, feierte am 17. Jänner 1863 das fünfundzwanzigjährige Jubiläum als Mitglied des Dresdener Hoftheaters. Er trat am Abend in der Titelrolle von Spontini’s „Cortez“ auf. Die Mitglieder des Hoftheaters verehrten ihm einen großen, aus dem Canton Uri stammenden Bergkrystall, welcher aus einem sichtbaren Felsen hervorragt. Auf letzterem sind die Namen sämmtlicher Theatermitglieder eingegraben. Eine mit einer goldenen Rose und Lyra eingefaßte Tafel in der Mitte des Felsens tragt die Inschrift: „Dem Sänger J. Tichatschek am Tage seines fünfundzwanzigjährigen Jubiläums von seinen Dresdener Kunstgenossen 17. Jänner 1863“. Der Generalintendant von Könneritz überreichte dem Künstler das Decret als königlicher Kammersänger. Von nah. und fern trafen Briefe, Depeschen, Kränze, Sträuße, Geschenke und Ehrengaben ein. – Noch festlicher gestaltete sich das Jubiläum seiner vierzigjährigen Künstlerlaufbahn, welches Tichatschek am 16. Jänner 1870 beging. Mit Uebergehung der Festmusik und der zahlreichen Festgedichte erwähnen wir, daß ihm der König von Sachsen das Ritterkreuz des Albrecht-Ordens, der Kaiser von Oesterreich jenes des Franz Joseph-Ordens und der Herzog von Sachsen-Koburg-Gotha das des Ernestinischen Hausordens zweiter Classe verlieh. Seine Collegen überreichten ihm, „dem echten deutschen Meistersinger“, einen goldenen Lorbeerkranz, dessen vierzig von einem goldenen, die Widmung enthaltenden Bande zusammengehaltene Blätter die Namen seiner hauptsächlichsten Rollen trugen. Seine Gattin brachte ihm auf einem Postamente aus Ebenholz eine Darstellung des alten (bekanntlich abgebrannten) Dresdener Hoftheaters aus Silber mit goldenem Dache; Hofrath Doctor Papst eine schön gearbeitete Votivtafel mit den Photographien der sechs Spender (Papst, die zwei Concertmeister, die zwei Capellmeister und der Hauptcassier), den Ansichten des Geburtshauses Tichatschek’s, des alten Dresdener Hoftheaters und dem Texte zweier von Papst gedichteter Festlieder: „Berufen“ und „Erkoren“. Von allen Seiten liefen Glückwunschtelegramme, Schreiben, Sträuße, Kränze u. dgl. m. ein. Unter den Glückwünschenden waren Laube, Emil Devrient, Sontheim, die Damen Jachmann-Wagner, Tietjens, Mallinger u. s. w. Wachtel telegraphirte die köstlichen biographischen Verse: „Nimm diesen Lorbeerkranz, der Dir ja stets gebührte, | Von dem, der Dich vor Jahren oft kutschirte“. – Eine dritte Jubelfeier endlich, jene seines siebzigsten Geburtstages, beging der Künstler am 11. Juli 1877, bei welcher ihm im Namen seiner zahlreichen Verehrer eine kostbare Ehrengabe und von Seite des freien deutschen Hochstifts durch den Director des Dresdener Körner-Museums Dr. Peschel ein kunstvoll ausgestattetes Diplom als Meister des freien deutschen Hochstifts überreicht wurde. Unter den Glückwünschenden wurde Richard Wagner vermißt, obwohl die Zeitungen Verse mittheilten, welche derselbe geschickt haben sollte, und [134] welche besagten, daß der Künstler Wagner’s Ideale „ledig“ gemacht habe.
- V. Tichatschek und Richard Wagner. Tichatschek erscheint so zu sagen als Mitbegründer des Ruhmes, der Richard Wagner zutheil geworden. Im Jahre 1842 war es unser Sänger, der in epochemachender Weise den entscheidenden Wendepunkt in der Künstlerlaufbahn des Componisten durch seine berühmt gewordene Darstellung des „Rienzi“ herbeiführte, und in ebenso bedeutsamer Weise schuf er in den folgenden Jahren die Titelrollen des „Tannhäuser“ und „Lohengrin“. „Cola Rienzi“ war das erste Werk Wagner’s, das bei seinem Erscheinen durch seine Instrumentalmassen ebenso befremdlich überraschte, wie durch die wogende Regellosigkeit und die gewaltige Aufgabe, welche der Compositeur darin der menschlichen Stimme stellte. Tichatschek war es, dem Ersten, gelungen, eine so kolossale Aufgabe zu bewältigen und zur Geltung zu bringen. Als er nun am 11. Juli 1877 die Feier seines 70. Geburtstages beging, meldeten die Journale, auch Richard Wagner habe an den Sänger in einem Telegramme Verse gesendet. Dem ist aber nicht so, diese Verse, ganz in des Componisten bekanntem Style gehalten, nach welchem Tichatschek Wagner’s Ideale „ledig“ gemacht haben soll, sind apokryph und das Product eines Witzbolds. In einem Schreiben an die „Presse“, 24. Juli 1877, theilt Ludwig Hartmann wörtlich mit: „daß Richard Wagner für seinen und unseren prächtigen Freund und Meistersinger keine Zeile, geschweige einen Lorbeerkranz gehabt, um den 70. Geburtstag eines Sängers auszuzeichnen, der ihm im Jahre 1842 den „Rienzi“ aus der Taufe hob und Wagner’s Ruhm zuerst begründet hat“. – Noch sei eines Schreibens des Tonheros hier gedacht, welches 1867 als Manuscript gedruckt wurde und wohl den Wenigsten verständlich war. Es betraf eine Aufführung des „Lohengrin“ vor dem Könige von Bayern. Die Oper war überall verstümmelt gegeben worden, und da Wagner sein Werk unverstümmelt hören wollte, gestattete sein königlicher Gönner, daß Tichatschek aus Dresden komme und den Lohengrin singe. Der Künstler kam, sang in der Generalprobe am 11. Juni den Lohengrin, aber nur in der Generalprobe. An einem Costumstück und an den Jahren des Künstlers, der jedoch trotz seiner 60 Jahre den Lohengrin sang wie kein Zweiter, scheiterte das weitere Auftreten Tichatschek’s, der am 16. Juni wieder nach Dresden zurückreiste. Nun schrieb Wagner an Tichatschek jenen offenen Brief ddo. Luzern 15. Juni 1876, den das „Fremden-Blatt“ von Gustav Heine, 1867, Nr. 175, brachte, und der durch den Artikel im Wiener „Neuen Fremden-Blatt“ vom 23. Juni 1867, Nr. 170, betitelt: „Der blaue Mantel. Eine ergötzliche Residenz und Coulissengeschichte“, erst ganz verständlich wird.
- VI. Zu Tichatschek’s künstlerischer Charakteristika. Als der in Rede Stehende 1838 sein Engagement am Dresdener Hoftheater antrat, brachte das Journal „Der Planet“ (1838, Nr. 144) eine längere Mittheilung aus Dresden. in welcher die Behauptung ausgesprochen war, daß Tichatschek weiter nichts als ein glücklicher Naturalist, aber kein Künstler sei, daß er überhaupt keine Tonbildung besitze, eine Behauptung, die auch später von seinen Gegnern – und welcher Künstler hätte deren nicht – immer wieder ins Vordertreffen geführt wurde. Als unser Sänger eine Choristenstelle am Kärnthnerthor-Theater in Wien erhalten sollte, wurde er vom Grafen Gallenberg, dem Pächter dieses Kunstinstitutes, nur auf das Zeugniß hin aufgenommen. welches Chorregent Weinkopf und Operncapellmeister Conradin Kreuzer ihm, dem damaligen Studiosus der Medicin, ausgestellt hatten, und welches wörtlich lautete: „Vorzeiger dieses, Joseph Tichatschek, besitzt eine hohe Tenorstimme und gründliche musikalische Kenntnisse, er wäre daher allerdings geeignet, als Tenore Imo im Chor angestellt zu werden“. Also er besaß bereits als Chorist eine gründliche musikalische Bildung. Dabei aber blieb es nicht; er erhielt nun auch den Unterricht des berühmten Ciccimara, und der Pächter des Kärnthnerthor-Theaters ließ ihn im Vereine mit Clara Heinefetter [Bd. VIII, S. 218], Sophie Löwe [Bd. XV, S. 433] und Staudigl [Bd. XXXVII, S. 251] künstlerisch ausbilden. Später, in dem Dresdener Künstlerkreise, an dessen Spitze Wilhelmine Schröder-Devrient [Bd. XXXI, S. 337] in wahrhaft genialer Weise maßgebend und bestimmend stand, wirkte gerade diese merkwürdige Frau in so eminentem Grade auf Tichatschek, daß er der Dankbarkeit und unauslöschlichen Verehrung, welche er dieser [135] unvergleichlichen Künstlerin zollte, im Jahre 1862 durch eine Erinnerungstafel an ihrem Sterbehause in Koburg Ausdruck lieh. Man hat ihn mit großen Gesangskünstlern verglichen, so mit dem Franzosen Roger, mit den Italienern Mario und Moriani, später mit Schnorr von Carolsfeld und Nieman, aber er besitzt von jedem der Genannten Vorzüge ohne ihre nicht immer künstlerischen Eigenheiten. Auch war er nichts weniger als ein schmachtender Amoroso oder aber ein glänzender Bravoursänger, er war eben, und diese Bezeichnung ist die zutreffende, die seine Gesangskunst mit wenigen Worten charakterisirt: „der echte deutsche Meistersinger“. In der Geschichte der Gesangskunst wird er immer eine hervorragende Stelle einnehmen. Er schuf die ob der kolossalen Stimmmittel, welche sie erfordern, maßgebenden Rollen des Rienzi, des Thannhäuser und des Lohengrin, er sang, der Erste, den Raoul in Meyerbeer’s „Huguenotten“ und den Propheten in der gleichnamigen Oper dieses Maestro. Als eigentlich dramatischer Sänger überragte er alle seine gleichzeitigen Gesangscollegen, Ander nicht ausgenommen, denn er besaß vereint, was Andere nur einzeln besitzen: prachtvollen Naturklang der Stimme, ausreichende Technik, größte Reinheit und Correctheit, verbunden mit geläutertstem musikalischen Geschmack, feinster Nuancirung des Vortrags, größtdenkbarer Deutlichkeit der Aussprache, völliger allgemein musikalischer Durchbildung, eindringendem Verständniß und begeisterter Hingebung auch für das Poetische und Dramatische. Als Mensch aber war er bescheiden, liebenswürdig, besaß ein theilnehmendes, mitfühlendes Herz, war hilfreich, und begeistert für alles Wahre, Gute und Schöne.