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Venus Urania.

Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung.

Dritten Theils erste Abtheilung.


Von
Fried. Wilh. Basil. von Ramdohr.

Leipzig,
bey Georg Joachim Göschen. 1798.
Dritter Theil.

Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe.
Vorrede.

Das Wesen der Geschlechtsliebe ist unveränderlich: aber die Begriffe die wir darüber hegen, und die Wirkungen die wir ihr zuschreiben, sind Zufälligkeiten unterworfen.

Unter allen Völkern, unter allen Ständen, zu allen Zeiten, müssen wenigstens einzelne Menschen die Wonne empfunden haben, uneigennützig nach dem Wohl des Nebenmenschen zu streben: sie müssen die besondere Modification empfunden haben, welche die Verschiedenheit der Geschlechter den liebenden Trieben giebt; sie müssen den Unterschied gefühlt haben, der zwischen denjenigen Verbindungen Statt findet, worin jene Triebe die herrschenden, und denen, woraus sie verbannt sind; kurz! liebende Aufwallung, wahre Zärtlichkeit, liebende Leidenschaft gegen Personen von verschiedenem Geschlechte können nie ganz verkannt seyn.

Aber selten haben selbst die vorzüglichen Menschen unter roheren Völkern einen bestimmten Begriff von ihren Empfindungen gefaßt, und sie von andern ähnlichen unterschieden. Nie hat der größere Haufe, selbst bey den aufgeklärtesten Nazionen, die Natur der Liebe in den engeren Verbindungen beyder Geschlechter allgemein anerkannt. Man hat vielmehr um ähnlicher Wirkungen willen verschiedene Stimmungen des Gemüths und verschiedene Verhältnisse die darauf beruhen, für eine und dieselbe Sache gehalten. Bald hat man jede engere Verbindung zwischen Personen von verschiedenem Geschlechte für Liebe angenommen, wenn nur der verbündete Theil nicht von dem Mitgenuß gewisser Freuden ausgeschlossen wurde. Bald hat man nur das leidenschaftliche Streben nach dem Besitz einer Person von verschiedenem Geschlechte, das uns zu Aufopferungen der gröberen Selbstheit auffordert, Liebe genannt. Bald hat man diesen Nahmen auf jede treue und dauernde Anhänglichkeit der Gatten an einander ausgedehnt; wenn gleich nur lange Gewohnheit, Erwägung des wechselseitigen Vortheils, den sie aus ihrer Verbindung zogen, und gemeinschaftliche Kinder den Bund befestigten. Endlich hat man oft diejenige Begeisterung für Liebe gehalten, zu der uns das Bild eines Wesens entflammt, wenn durch die Beschauung seiner wahren oder eingebildeten Vollkommenheit die Kräfte unsers Geistes erhöhet werden.

Das Gemeinsame in diesen verschiedenen Begriffen ist unverkennbar. Es ist die Aufopferung der gröberen, ausschließenden und zerstörenden Selbstheit, für eine feinere gesellige, bey demjenigen, der die Stimmung empfindet; es sind die wohlthätigen Folgen für den Gegenstand, mit dem wir vermöge jener Stimmung in ein engeres Verhältniß zu kommen suchen, welche diesen Verbindungen zwischen beiden Geschlechtern den Nahmen der Liebe zu Wege gebracht haben!

Ich habe in den beiden ersten Theilen dieses Werks, worin ich über die Natur und die Veredlung der Geschlechtsliebe Untersuchungen angestellt habe, unmöglich einen Begriff zum Grunde legen können, der seiner Unbestimmtheit wegen, diese Bestrebung von andern geselligen und beschauenden Affekten, bloß durch die Wahl der Mittel, welche zu ihrer Befriedigung dienen, unterscheidet. Ob die feinere Selbstheit und der Beschauungshang ihren Genuß in engeren Verbindungen mit Personen von verschiedenem Geschlechte aufsuchen und finden, oder nicht; darauf kann es bey Charakterisierung der Empfindung selbst nicht ankommen, weil eben jene Affekte auch auf andere Art begünstigt werden mögen, und der Geschlechtsverbindung so gar aus Gründen des gröbsten Eigennutzes nachgestrebt werden kann. Es ist daher kein zu eingeschränkter Begriff, wenn ich die Liebe für das wonnevolle Bestreben das Wohl eines andern Menschen um seinetwillen thätig zu befördern, erklärt habe. Es ist der einzige der diesen Affekt von allen andern verwandten absondert.

Die Geschichte dieser wahren Geschlechtsliebe würde theils die allmählige Ausbildung der sympathetischen Triebe bis zum Gefühle des uneigennützigen Wohlwollens, theils die Zusammenstellung der Thatsachen enthalten, aus denen das Daseyn ihres Begriffs und ihrer Empfindung in verschiedenen Zeitaltern klar erhellet. Allein bey der Unmöglichkeit in den meisten Fällen die wahren inneren Gesinnungen der Menschen, und besonders in der Vorzeit, aufzuspähen, würden die unverkennbaren Züge wahrer Geschlechtsliebe nur in geringer Anzahl seyn, und ihre Geschichte müßte sich immer mehr mit den Schicksalen ihrer Aftergestalten, als mit ihren eigenen beschäftigen.

Außerdem sehe ich auch ein, wie wichtig es seyn muß, die Meinungen anderer über den Gegenstand meiner bisherigen Untersuchung näher kennen zu lernen, und den Gang zu verfolgen, den die Bemühungen der Menschen von jeher genommen haben, dasjenige was sie Liebe nannten, zu veredeln und zu verschönern. Die Entwickelung ihrer Denkungsart, nach Verschiedenheit der Völker, der Stände, und der Kultur über den Zug, der beyde Geschlechter zu engeren Verbindungen einladet; die Darstellung des Einflusses den diese Denkungsart auf das häusliche, gesellige und öffentliche Leben, so wie auf das Gebiet der schönen Künste gehabt hat; endlich die Prüfung, in wie fern diejenigen Geschlechtsverhältnisse, welche nach ihren Begriffen auf edlerer und schönerer Liebe beruhten, ihrem Wesen und ihrer Form nach dahin zu rechnen sind; – Alles dieß müßte meiner Einsicht nach ein für Menschenkenntniß und Bildung des Geschmacks höchst interessantes Werk abgeben.

Ich fühle mich unfähig eine solche Geschichte der Liebe und Geschlechtsverbindungen in ihrer ganzen Vollständigkeit zu liefern. Aber ich werde den Versuch wagen, die allmählige Bildung derjenigen Begriffe über diesen Gegenstand, die noch heut zu Tage die gangbarsten sind, zu verfolgen, und den Charakter so wie die Schicksale derjenigen Sitten aus einander zu setzen, welche einen unverkennbaren Einfluß auf unsere jetzigen geselligen Einrichtungen gehabt haben, oder deren Kenntniß wenigstens zum bessern Genuß der schönen Künste wichtig wird.

Ich darf bey diesem Versuche auf die Nachsicht des Publikums rechnen. Vielleicht ist er der Erste in seiner Art; und dann habe ich mit einer Menge von Hindernissen streiten müssen, die nicht in der Materie selbst, sondern in meinen individuellen Verhältnissen zu suchen sind. Amtsgeschäfte, Besorgung von Familienangelegenheiten, gesellige Zerstreuungen, denen ich nach meiner Lage nicht ausweichen kann, haben mich oft Monate lang gehindert an eine Arbeit zu denken, die eine ununterbrochene Besorgung verlangt hätte, um die gehörige Präcision, und einen vollendeten Zusammenhang zu bekommen.

Ein anderes Hinderniß setzte mir der Mangel nöthiger Hülfsmittel an dem Orte meines Aufenthalts entgegen. Ohne die Gewogenheit der Herrn Hofräthe Heyne und Eschenburg, des Herrn Bibliothekars Langer, des Herrn Professors Tychsen[WS 1] und des Herrn Raths Lenz, die mich mit Büchern unterstützt haben, für deren Mittheilung ich ihnen hier öffentlich meinen Dank abstatte, hätte ich dieß Werk nie unternehmen können.

Sollte inzwischen dieser Versuch den Beyfall der Kenner erhalten, so werde ich eine ähnliche Bearbeitung des Edeln und Schönen in der Selbstheit und in dem Beschauungshange folgen lassen, und mir dadurch zuletzt den Weg zu einem Abriß der Geschichte des menschlichen Herzens bahnen.

Dreyzehntes Buch.
Denkungsart der Griechen über Geschlechtsverbindung und Liebe, bis zu den Zeiten des Untergangs ihrer Freyheit.


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Den Griechen sind wir einen großen Theil unserer Begriffe über den Gegenstand schuldig, mit dem ich mich hier beschäftige, und selbst da, wo wir von ihrer Denkungsart abgewichen sind, wird sie uns dennoch zu kennen wichtig, weil die Denkmähler ihrer Sitten fortwährend zur Bildung unsers Geschmacks dienen. Ich werde um so eher mit diesem Volke den Anfang meiner Untersuchungen über die Geschichte der Geschlechtsverbindungen und Liebe machen dürfen, da wir, wenn ich die Juden ausnehme, von ihren Ideen über diese Materie die frühesten Nachrichten haben.

Vielleicht hätte ich über diese Juden etwas sagen sollen, besonders da die Art, wie ihre Moralisten das Weib und die Ehe schildern, auf unsere Denkungsart Einfluß gehabt haben kann. Aber dieser Einfluß hat sich sehr spät geäußert, als die christliche Religion auf die Begriffe des Abendlandes über die Verhältnisse beider Geschlechter unter einander einzuwirken anfing, und der Judaismus sich bereits dergestalt mit ihr vereinigt hatte, daß wir ihm keine eigenthümliche Gestalt, die unsern Sitten zum Vorbilde gedient haben konnte, beylegen mögen. Vorher steht er mit den Ideen der Griechen und Römer in keiner Verbindung, und er ist bloß als eine Nebenquelle zu betrachten, die sich in den großen Strom unserer Meinungen späterhin ergossen, und darin verloren hat. Ich glaube daher, daß hier, so wie überhaupt, der Gang unserer sittlichen Kultur am bequemsten verfolgt werden könne, wenn wir von den Griechen ausgehen. Ihren Ideen lassen sich einige Bemerkungen über die Denkungsart anderer Völker anreihen, die an Ausbildung hinter ihnen gestanden haben, oder noch stehen, um die Höhe, welche sie erreicht haben, besser zu beurtheilen.


Zweytes Kapitel.
Roheste Denkungsart einiger Völker über Liebe und Geschlechtsverbindung: Das Weib ist Sklavin, wird mit Härte und Erniedrigung behandelt.

Es ist kein Volk so roh, unter dem sich nicht die Empfindung der Liebe in derjenigen Bedeutung finden sollte, die ich davon festgesetzt habe. Der Nomade, der den Fremdling mit Freundlichkeit bey sich aufnimmt, ihn beherbergt und bewirthet, kennt uneigennütziges Wohlwollen gegen andere Menschen. Der noch rohere Wilde, der nur dem Mitbewohner seines Vaterlandes Menschenrechte einräumt, hängt sich an den Waffenbruder, an den Jagdgenossen, vertheidigt und rächt ihn mit Aufopferung seiner Ruhe und seines Lebens: Er kennt zärtliche Anhänglichkeit! Und so sind Gastfreyheit und Freundschaft Formen, unter denen das wonnevolle und thätige Bestreben andern Menschen uneigennützig wohlzuthun, mithin wahre Liebe, sich überall ankündigt und äußert.

Aber Geschlechtsliebe, besonders von Seiten des Mannes, setzt die Anerkennung des Menschenwerths in dem Weibe zum voraus, die wir bey Völkern auf der untersten Stufe der geselligen Kultur nicht annehmen dürfen. Bey diesen[WS 2] machen selbstische Triebe nach Befriedigung der Geschlechtssympathie das Band zwischen Mann und Weib aus, und dasjenige, was hier Geschlechtsliebe genannt wird, ist entweder ein vorübergehendes heftiges Verlangen, oder ein anhaltendes leidenschaftliches Bestreben nach dem Besitz einer bestimmten Person.

Der Grund, warum diese Bestrebungen mit Liebe verwechselt werden, bestätigt den Begriff, den ich von der letztern gegeben habe. Jeder Gegenstand einer heftigen Begierde versetzt uns auf eine Zeitlang in einen Zustand von Abhängigkeit von ihm. Dadurch wird nicht allein der Wunsch seiner mit unserm Wohl genau verbundenen Erhaltung erweckt, sondern auch die Anerkennung einer gewissen Selbständigkeit in ihm gegründet. Denn während daß wir bald entbehren, bald besitzen, aber zu verlieren fürchten, bald Andere mit uns nach dem nehmlichen Gegenstande streben sehen, entstehen Gefühle einer Widerstandsfähigkeit und eines innern Werthes in dem begehrten Wesen. Der begehrende oder verliebte Mann, wenn er gleich noch so eigennützig strebt, wird schonend, schmeichelnd, wohlthuend, um das Weib, das sein Verlangen auf sich zieht, zu gewinnen. Er opfert Vieles von seiner Ruhe und Bequemlichkeit auf, um Freude zu genießen, die er einsam nicht einnehmen kann. So ähneln die Triebe der gröbsten Geschlechtssympathie, wenn sie in einem gewissen Grade von Stärke und Dauer empfunden werden, der Geschlechtsliebe in ihren Folgen. Aber mit einer solchen Liebe zum Weibe besteht die härteste, erniedrigendste, und zerstörendste Behandlung desselben, sobald es nach gestillter Leidenschaft wieder in seine gewöhnlichen Verhältnisse gegen den Mann zurückgetreten ist. Unpassend ist es daher, von einer Geschlechtsliebe unter Völkern zu reden, die noch nicht dahin gekommen sind, dem Weibe Menschenwerth beyzulegen. Die Geschichte dieser Liebe kann bis dahin nur die Geschichte der allmähligen Verfeinerung der Selbstheit seyn, die auf dem Wege der Geschlechtssympathie ihre Befriedigung sucht. Es liegt außer meinem Zwecke, sie ausführlich zu behandeln; aber ganz übergehen darf ich sie nicht. Ich muß einige Züge daraus hervorheben, um meine Leser beurtheilen zu lassen, wie nahe die Griechen dem Begriffe wahrer Geschlechtsliebe gekommen waren.

Die Geschichte der Empfindungen, welche beyde Geschlechter sich einander einflößen, steht im genauesten Zusammenhange mit der Ausbildung ihrer Lagen gegen einander in ihren bürgerlichen und geselligen Verhältnissen. Wenn ihre ursprünglich physischen und moralischen Anlagen diese zwar überall ungefähr auf gleiche Art bestimmen, so werden sie doch durch Klima, Beschäftigung, Wohlstand, Religion, Staatsverfassung, u. s. w. besonders modificiert. Ueberall ist freylich der Mann die stärkere, das Weib die schwächere, ihm untergeordnete Art der gemeinschaftlichen Gattung: aber hier betrachtet der Abendländer das zärtere Geschlecht anders, als dort der Morgenländer: hier der Christ anders, als dort der Anbeter eines Fetisches: hier der Unterthan eines Monarchen anders, als dort der Republikaner: Und wieder werden Armuth und Reichthum, eine herumschweifende oder ruhigere Lebensart des Mannes auf seine Begriffe über den Werth und die Behandlungsart der andern Hälfte seiner Gattung den größten Einfluß haben.

Laßt uns zuerst die rohesten Verhältnisse des Mannes zum Weibe, die unterste Stufe der Geschlechtssympathie aufsuchen! Ist es wahr, daß es Wilde giebt, unter denen eine völlige Gemeinschaft der Weiber Statt findet, und die mit wild umherschweifender Begierde nach körperlichem Genuß das Werkzeug ihrer Lüste augenblicklich aufsuchen, und augenblicklich wieder verlassen? Ist es wahr, was Roußeau behauptet, [1] daß der Wilde keine Vorliebe zu einer bestimmten Person, keine Eifersucht, keine Häuslichkeit kennt, und daß jedes Weib ihm gleich gilt? Ich gestehe, daß ich mich nicht davon überzeugen kann!

Keine einzige glaubwürdige Nachricht schildert uns den Zustand eines Volks, das den Zweck des Weibes bloß auf sinnliche Lust beschränkt, und die Vortheile einer dauernden Verbindung mit ihm ganz verkannt hätte. Bey dem Mangel solcher zuverlässigen Nachrichten müssen wir nach Analogie derjenigen Erfahrungen urtheilen, die wir über Thiere machen, und diese mit demjenigen zusammen halten, was wir an uns selbst für Ueberbleibsel unserer rohern Natur ansehen können.

Ich kenne kein Thier, das nicht eine gewisse Vorliebe zu einem andern Individuum seiner Gattung, ja! seines Geschlechts zeigte. Aufseher über große Zuchtheerden können als Zeugen für die Behauptung auftreten, daß die männlichen Individuen sich zu dem einen oder dem andern Weibchen ihrer Gattung vorzüglich halten, und durch ihren unvermutheten Anblick nach einiger Trennung gerührt werden. Ja! wem kann es entgangen seyn, daß selbst unter Thieren von einerley Geschlecht, unter Männchen, unter Weibchen, ein gewisser Zug von Freundschaft wirke, vermöge dessen sie sich lieber zu dem einen Subjekte als zu dem andern gesellen?

Weiter: es giebt gewisse Thierarten, die sich förmlich paaren, andere, unter denen das Männchen wenigstens einen kleineren Haufen von Weibchen um sich her versammelt, und diesen von der Gemeinschaft mit andern Männchen absondert. Nirgends eine wild umherschweifende Begierde, und nirgends eine völlige Gleichgültigkeit gegen Theilung des Genusses des Weibchens mit andern männlichen Individuen bey den Thieren!

Laßt uns sehen, wie sich die Geschlechtssympathie bey dem Kinde äußert! Neben den undeutlichen Begierden der Lüsternheit empfindet es den deutlichen Hang nach Häuslichkeit, nach Zusammenseyn, nach Absonderung von andern Männern mit dem weiblichen Gegenstande seiner Anhänglichkeit. Es fühlt Eifersucht: es will den ausschließlichen Besitz der Person, die seine Begierden auf sich gezogen hat. Erfahrungen dieser Art kann man an Kindern in so frühen Jahren machen, daß gewiß an keine überlieferten Ideen, die auf das junge Herz gewirkt haben könnten, zu denken ist.

Unter denjenigen Nazionen, bey denen die Polygamie Sitte ist, hängt sich der Besitzer eines weitläuftigen Harems doch gewöhnlich nur an eine Beyschläferin. Unter uns werden die entschiedentsten Wollüstlinge, die es sich zum Grundsatze gemacht haben, der Venus Pandemos allein zu opfern, sehr oft wider ihren Willen in den engern Kreis der Anhänglichkeit an ein einziges Weib zurückgetrieben. Ja! ich behaupte es dreist, daß es keinen Wüstling giebt, der völlig unempfindlich gegen das Bild des häuslichen Zusammenlebens sey, und der es nicht als eine Zugabe zu dem Vergnügen, dem er einzig nachzustreben glaubt, betrachten sollte, wenn der Gegenstand seiner Begierden ihm neben dem Besitz seiner körperlichen Reitze auch den seines Herzens einräumt.

Warum wollen wir nach allen diesen Erfahrungen die ursprüngliche Natur des Menschen noch unter den Instinkt hinab setzen, den wir bereits an Thieren bemerken, und der, Trotz aller Ausartung luxuriöser Völker und Menschen, immer wieder hervorbricht? Unstreitig gehört selbst bey den rohesten Nazionen der Trieb nach dem dauernden Besitze eines bestimmten Weibes mit zu den Gründen, warum der Mann der Vereinigung mit einer Person von verschiedenem Geschlechte nachstrebt. Auswahl, Vorliebe, Ausschließung anderer Männer vom Mitgenuß, Eifersucht, Zusammenleben auf eine Zeitlang, sind davon unzertrennliche Folgen. – Aber, wirft man ein, wie kann Auswahl, Vorliebe, Eifersucht, u. s. w. Statt finden, wo keine Schönheit und Verdienst anerkannt werden? Ich antworte: ästhetische Schönheit, moralisches Verdienst, liegen freylich über der Sphäre des Wilden. Aber es entgeht ihm nicht, daß ein Körper vor dem andern seine Lüsternheit stärker erweckt, und wollüstiger befriedigt: daß ein Charakter sich besser als der andere zu ihm paßt, und sich enger mit dem seinigen vereinigt.

So zeigt sich denn die Geschlechtssympathie bereits in ihrer rohesten Gestalt als den Inbegriff mehrerer[WS 3] Triebe, von denen einige freylich auf sinnlichen Genuß, andere aber zugleich auf Aneignung eines bestimmten Weibes zur Gründung einer engeren, dauernderen Verbindung gerichtet sind. Diese Triebe nach dem Besitz der Person des Weibes sind aber noch weit von Liebe und zärtlicher Anhänglichkeit entfernt. Der gröbste Eigennutz liegt dabey zum Grunde. Rechnet die Fälle ab, worin der Mann durch Hindernisse zur Leidenschaft entflammt, und dadurch abhängiger von dem Weibe wird; und er erscheint in allen übrigen wie sein Beherrscher, wie sein Tyrann. Er behandelt das schwächere Wesen seiner Gattung im Uebermuth seiner Stärke nicht viel besser, als das Lastvieh. Er läßt sich von ihm bedienen, pflegen, nutzt es als Mittel des Erwerbes und als ein unentbehrliches Werkzeug, seine Sinnlichkeit zu befriedigen, und sich zugleich eine Nachkommenschaft zu erwecken, die er wieder zu seiner Unterhaltung und zu seinem Gewinne bestimmt glaubt. Das ist die Lage des weicheren Geschlechts gegen das stärkere unter Menschen, deren grober Eigennutz weder durch feinere Sinnlichkeit noch durch Vernunft gemildert ist, und die sich der Geschlechtssympathie nur bedienen, um die Wege zur Befriedigung ihrer Selbstheit zu vermehren.

Bey einigen Völkern, besonders bey solchen, unter denen das heiße Klima, oder ein außerordentlicher Schmutz die dem schwächeren Geschlechte eigenthümlichen Unpäßlichkeiten stärker und schädlicher macht, erwacht sehr leicht die Idee einer Unvollkommenheit und Gefährlichkeit des Weibes, die einen physischen Ekel und einen religiösen Abscheu begründet. Man glaubt von der Natur selbst berechtigt zu seyn, ein Geschöpf, das sich von dem Manne durch Mängel auszeichnet, zu verachten, und sieht es wohl gar als verdienstlich an, ein Wesen, das die Götter geächtet, und zum Uebelthun und Leiden bestimmt haben, zu mißhandeln. Die Erstlinge des unnennbaren Genusses, welche ähnliche Erscheinungen mit denen der periodischen Unpäßlichkeiten an dem Weibe hervorbringen, werden als unrein verschmähet, und die unbefleckte Unschuld vor der Ehe, weit entfernt ein Vorzug zu seyn, wird vielmehr als ein noch nicht gehobener Fehler betrachtet. Demungeachtet gehört das Weib in der Ehe ausschließlich dem Manne. Bey keinem Volke in der Welt ist der Ehebruch jemahls als etwas Gleichgültiges betrachtet worden. Wenn der Mann sein Weib zuweilen verhandelt, es Fremden oder Gastfreunden umsonst darbietet; so liegen dabey Eigennutz, Eitelkeit, oder Ideen von Pflicht zum Grunde. Der Ehemann disponiert über sein Eigenthum, es ist kein Diebstahl von Seiten des Buhlen, es ist kein Bruch der Hörigkeit von Seiten des Weibes.

Der Werth der unbefleckten Unschuld und der ehelichen Treue nimmt zu, wenn die Familien sich bey ihren Heyrathen nicht mehr auf ihre Mitglieder einschränken: wenn der Mann von einem Stamme nicht mehr das Weib von einem andern raubt, sondern dieß dem Hausvater abverdient, oder abkauft. Nunmehro will der Käufer sein Geld nicht für dasjenige ausgeben, was umsonst zu haben gewesen ist: er verlangt sinnliche Beweise der bewahrten Keuschheit. Der Werth der theuer erworbenen Gattin steigt in seinen Augen, und der Bruch der ehelichen Treue wird nicht mehr so leicht vergütet.

Inzwischen vermehret dieß zugleich den Uebermuth des Mannes: die gekaufte Frau wird völlig seine Sklavin. Er verkauft sie, wenn sein Vortheil es erheischt; er bestimmt über ihre Gunstbezeugungen, er verstößt sie, oder macht sie zur Aufwärterin anderer Beyschläferinnen, die ihm reitzender scheinen. Der Zustand der Gattinnen ist härter oder milder, je nachdem der Unterhalt der Familie allein von dem Manne besorgt werden muß, oder mit Hülfe der Frauen erworben, oder ganz allein von ihr gesucht werden kann. Der Mann wird nicht verfehlen, ihr alle diejenige Last aufzubürden, deren er sich nur immer entledigen kann, ohne zu verhungern.

Drittes Kapitel.
Zweyte Stufe der Kultur: das Weib erhält Familienrechte, aber eingekerkert im Hause, wird es nur mit schonender Verzärtelung daheim behandelt, und verschwindet in der örtlichen Gesellschaft.

Alles das gilt nur vom Allgemeinen. Ausnahmen finden sich allerwärts. Stärke der Lüsternheit, Harmlosigkeit und Trägheit auf Seiten des Mannes: körperliche Reitze, Kälte des Bluts, Gewandheit des Geistes auf Seiten des Weibes, sichern diesem zuweilen die Oberherrschaft in einzelnen Familien, und da, wo dieser Charakter an beyden Geschlechtern allgemeiner ist, unter ganzen Völkerschaften.

Zuweilen wirkt der Aberglaube zum Besten der Weiber. Eben diejenigen Unvollkommenheiten, die ihnen bey einigen Völkerschaften Ekel, Abscheu und Verfolgung zuziehn, erwecken bey andern Ideen von Schonung, und sogar von Heiligkeit. Das Wesen, das dort von der Natur verwahrlost, und von den Göttern geächtet schien, wird hier als ein Mahl übernatürlicher Kräfte, als ein der Gottheit geweihetes Werkzeug betrachtet. Die Erstlinge des unnennbaren Genusses gehören den Göttern oder ihren Priestern: ja! das Weib selbst wird Priesterin und Vorhersagerin der Zukunft, – ein Schritt weiter, und man vertrauet seinen Händen den Zepter an!

In diesem bessern Verhältnisse stehen die Weiber zu den Männern bey einigen Völkern bereits im hohen Alterthume. Im Fortschritte der Zeiten nimmt die gesellige Kultur bey allen zu. Das Schicksal der Tochter ist dem reicheren Vater auch in einem fremden Hause nicht mehr gleichgültig. Er macht Bedingungen über die Art, wie sie von ihrem Gatten behandelt werden soll, ehe er sie ihm abtritt, und giebt diesen Verträgen Kraft durch den Brautschatz, den er ihr mitgiebt, und den er zurück verlangt, wenn die Gattin verstoßen wird. Reiche Erbinnen erlangen ein noch höheres Ansehn in dem Hause, dessen Wohlstand sie gründen oder vermehren. Nun steigt die Gattin zu einer Herrin über die Sklavinnen, keinem weiter unterthan als dem Manne, der sie mit Schonung behandeln muß. Der physische Ekel, der religiöse Abscheu vor den periodischen Unpäßlichkeiten des schwächern Geschlechts verliert sich bey einer nähern Kenntniß der Natur: die Erstlinge des unnennbaren Genusses erhalten einen unmittelbaren, mit der Sittsamkeit in näherem Verhältnisse stehenden Werth, und werden als eine Kostbarkeit durch Gaben vergütet, oder den Göttern, den Priestern, und den Vornehmen als Erstlinge der besten Habe geopfert.

Auf dieser Stufe der Kultur wird die Gattin erst Genossin des Mannes in seinen häuslichen Verhältnissen. Aber ihre Selbständigkeit wird noch nicht anerkannt. Sie ist um des Mannes willen nicht um ihrer selbst willen da: sie ist nicht Mitglied der größern Gesellschaft, nicht des Staats, nicht des Reichs vernünftiger Wesen, sondern nur der Familie. Kurz! Sie genießt nicht Bürger- und nicht Gesellschafts-Rechte.

Inzwischen theilen sich die Sitten der Völker, bey denen die Gattinnen Familienrechte erhalten haben, in zwey Hauptweisen ab. Nach der einen wird das Weib zwar mit Schonung, wohl gar mit Verzärtelung behandelt, aber eingeschlossen, und ganz eigentlich auf eine Existenz im Innersten des Hauses, mithin auch auf eine sehr geringe Wirksamkeit in demselben beschränkt. Nach der andern ist die Gattin nicht eingeschlossen, sondern nur durch das Gesetz, durch die Sitte, und durch die Aufsicht der Männer an häusliche Eingezogenheit gebunden. Sie kann öffentlich erscheinen, sobald die häuslichen Geschäfte, oder besondere Feyerlichkeiten es fordern, und wird dadurch fähig, nicht bloß ein pensioniertes Mitglied der Familie, sondern Matrone, örtlich geachtete Hausfrau zu werden.

Jene Weise, die Weiber einzuschließen, ist besonders den orientalischen Völkern, den Türken, den Persern, den Mauren und Sinesen eigen. Ich werde etwas über die Lage des zärteren Geschlechts unter diesen Völkern sagen müssen, weil man sehr oft behauptet hat, daß sie derjenigen ähnlich sey, worin es sich bey den Griechen befand. Eine Behauptung, die mir ungegründet zu seyn scheint. Die Weiber[WS 4] haben bey den Griechen einen Grad von Ansehn und Freyheit genossen, zu dem sie bey den genannten Völkern des Orients nie gelangen können.

Ich folge am liebsten den Nachrichten, die uns Russel von der Lage der türkischen Weiber zu Aleppo geliefert hat. [2] Sie sind gewiß die zuverlässigsten, da der Mann als Arzt lange Jahre hindurch das Vertrauen der Einwohner der dortigen Stadt erworben, und sich den Zugang zu den Harems durch seine Kunst eröffnet hatte. Er war folglich im Stande, genaue Beobachtungen anzustellen.

Außerdem schildert er uns die neuesten Sitten einer Stadt, die sich durch Wohlstand, Handel und Verkehr mit Fremden auszeichnet. Man darf also annehmen, daß ihre Rohheit und Strenge schon um ein Großes gemildert sind, und daß sie in dieser Rücksicht vortheilhaft von den Sitten der tiefer zurückliegenden Orientaler abweichen. Endlich hat sich der Verfasser bemühet, die türkische Behandlungsart der Weiber in dem günstigsten Lichte erscheinen zu lassen. Zeigt sich folglich demungeachtet, daß die Bewohnerinnen von Aleppo an Ansehn und Freyheit noch weit unter den Weibern des alten Griechenlands stehen; so wird es wohl keinen Zweifel leiden, daß beyde nicht nach einem Maßstabe beurtheilt werden dürfen.

Der Harem ist bey den Türken der innere, nach einem eingeschlossenen Hofe zu liegende Theil des Hauses, zu dem keine Mannsperson, außer dem Herrn und Gatten, den Zugang hat. Nur der Arzt, wenn er gerufen wird, macht darunter eine Ausnahme. Hier wohnen die Gattinnen, die Beyschläferinnen, und die weiblichen Sklaven. Jede Frau hat ihre Wohnung für sich mit ihren Kindern und Aufwärterinnen.

Der Divan ist ein gemeinschaftlicher Versammlungsplatz. Der Mann sieht gewöhnlich jede seiner Frauen allein. Nur zuweilen überrascht er sie bey ihrer Versammlung im Divan. In den größern Harems warten ihm die weiblichen Sklaven auf: in den kleineren seine Weiber und Töchter. Wenn die versammelten Weiber vor seiner Ankunft auch noch so geschwätzig und lärmend gewesen sind, so erfolgt doch nach seinem Eintritt ein ehrfurchtvolles Stillschweigen. Sie stehen vor ihm auf, und bleiben in ihrer Stellung bis er ihnen befiehlt, sich zu setzen. Dann gehen sie wieder an ihre Arbeit, und die jüngern wagen es nicht, zu reden. Nie ißt der Mann mit seinen Weibern, nie ist er bey den Gesellschaften, welche diese bey sich versammeln, zugegen. Nur wenige Stunden des Tages bringt er in dem Harem zu, und diese sind für die Weiber Stunden des Zwanges.

Es ist Grundsatz bey den Türken, ein hohes, zurückhaltendes, ernstes Wesen gegen ihre Weiber anzunehmen. Sie sind oft gegen Männer von niedrigem Stande gefälliger, als gegen ihre Gattinnen. Der Knabe wird von Jugend auf daran gewöhnt, sich gegen die Weiber herrisch zu benehmen, und sich sogar gegen die Schwester auf diese Art zu betragen, wenn sie ihm noch so zärtlich zugethan ist. Die Damen aus den höheren Ständen begegnen ihren Männern mit Zurückhaltung. Man sieht dieß gegenseitige Betragen als ein Mittel an, dem Manne Ruhe und Oberherrschaft in seinem Harem zu sichern.

Die Weiber fliehen durchaus den Anblick eines jeden Mannes, außer dem Gatten, und lassen sich selbst von dem Arzte nie ohne Noth sehen. Die Stirn enthüllen sie nie vor ihm; nach dem sechzehnten Jahre wird selbst dem Sohne der Eintritt in den Harem nicht weiter gestattet.

Die Beschäftigungen der Frauen beschränken sich auf die Oberaufsicht über ihren innern kleinen Haushalt, auf die Sorge für ihre Kinder, auf die Verfertigung weiblicher Handarbeiten, auf Spiele und auf Putz. Sie gehen nie in die öffentlichen Andachtshäuser. Aber sie besuchen andere Weiber von ihrer Bekanntschaft, die öffentlichen Bäder, die Gräber und die Gärten. In allen Fällen, wo sie sich außer Hause zeigen, sind sie immer stark verschleiert, und werden von Sklavinnen begleitet.

Der Bräutigam giebt dem Schwiegervater eine Summe Goldes: erhält aber dagegen eine andere zurück, um dafür seiner Frau eine Aussteuer zu kaufen. Viele Türken heyrathen Sklavinnen, weil sie sich vor der Abhängigkeit fürchten, in die sie durch Verbindung mit den Töchtern vornehmer Eltern kommen könnten. Diese machen es oft zur Bedingung, daß der Ehemann keine Beyschläferin annehmen soll.

Der Gatte sieht die künftige Ehefrau nicht eher, als bis er ganz in ihrem Besitz ist. Russel behauptet demungeachtet, daß dieser Umstand den engeren Verbindungen der Herzen kein[WS 5] Hinderniß in den Weg lege. „Die Türken“, sagt er, „werden selten in ihren Erwartungen betrogen, weil sie nicht berechtigt sind, welche zu machen. Im Ganzen scheuen sie sich zwar vor aller leidenschaftlichen Anhänglichkeit, und verachten die Künste der Galanterie: es ist den Weibern auch nicht schimpflich, von ihren Männern verlassen zu werden. Demungeachtet bemerkt man zuweilen an den jungen Ehemännern eine ungewöhnliche Sorgfalt für ihre Kleidung, und eine Verfeinerung der Sitten, die auf den Wunsch, ihren Weibern zu gefallen, schließen läßt; so wie auf der andern Seite die verlassenen Weiber durch die Abnahme ihrer Gesundheit den innern Kummer, der sie verzehret, offenbaren.“

Inzwischen gesteht er ein, daß dieß nur als Ausnahme anzusehen sey, und daß im Ganzen das Weib, an die Unbeständigkeit des Mannes gewöhnt, sich nur vorübergehender Aufwallungen des Zorns und des Schmerzes überlasse, sich aber bald tröste, wenn es nur übrigens schicklich behandelt würde. Die Mütter, welche ihre Liebe ganz auf ihre Kinder wendeten, wären die glücklichsten, und fänden zugleich in ihr einen Grund, das gute Vernehmen mit dem Vater möglichst zu bewahren.

Eine Zeitlang nach der Hochzeit, erzählt uns Russel weiter, hält sich der junge Türke nur an seine Gattin, und erst wenn er älter und Herr seines Vermögens wird, legt er sich mehrere Weiber zu. Ob es gleich Grundsatz ist, das Vergnügen in der Abwechselung zu suchen, so bleibt doch Mancher auf Lebenslang an einem Gegenstand gefesselt, der ihm, wenn er gleich durch Sinnlichkeit zu vorübergehenden Ausschweifungen hingerissen wird, immer wieder zurückruft, und oft mehr durch sein Benehmen, als durch die Macht seiner körperlichen Reitze fesselt.

Die erste Gattin ist gewöhnlich auch die erste im Range unter den Bewohnerinnen des Harems, und genießt einer gewissen Achtung von allen übrigen. Wohnen mehrere Familien zusammen, so hat die Frau des Vaters, oder nach ihrem Tode die des ältern Bruders den Vorsitz. Sie hat eine große Macht in dem Harem, und nutzt diese, um Unordnungen und Zwisten vorzubeugen.

Russel erklärt sich durchaus dagegen, daß die eheliche Treue durch heimliche Intriguen oft gebrochen werde. Er behauptet aber auch, daß nicht bloß die äußern Hindernisse, sondern früh eingeprägte Sittsamkeit das zärtere Geschlecht vor Ausschweifungen bewahren. Er versucht es auf alle Art, uns zu überreden, daß das Glück ehelicher Verbindungen nicht geringer in der Türkey als bey uns sey. „Die Gattinnen“, sagt er, „werden mit einer Schonung behandelt, in die sich oft Zärtlichkeit mischt. So wie sich die Familie vergrößert, nimmt die mütterliche Fürsorge immer an Werth zu. Der Türke, der gewöhnlich zärtlicher Vater ist, schätzt und liebt die häuslichen Tugenden, von denen seine eigene Ruhe und das Wohl seiner Kinder abhängt. Wo die Zuneigung aufhört, da tritt Gewohnheit an ihre Stelle. Die Liebe zum Frieden, und die Armuth halten den größten Theil der Männer ab, mehrere Weiber zu nehmen, oder, mit Vernachlässigung aller Schonung für die ersten Frauen, sich einer neuen Neigung zu überlassen. Sie werden im Alter von ihren Männern geehrt, und finden eine Stütze an ihren Kindern.“

Dieß ist das Bild, das uns Russel von den türkischen Frauen liefert. So sehr er sich bemüht, es in ein vortheilhaftes Licht zu setzen, so erscheint es doch als das Bild von Halbmenschen, die zum sinnlichen Genusse, zur Unterhaltung, zum Prunk und zum Kinderzeugen, für die Männer erschaffen sind. Ihr Glück ist das Glück eines Blödsinnigen, den man gut hält, dem man es an nichts fehlen läßt, was zu seiner Erhaltung, Pflege, und Zerstreuung dienen kann, dem man aber durchaus keine solche Freiheit gestattet, woraus das Gefühl der Selbstbestimmung und einer mit unsern Kräften im Verhältnisse stehenden Thätigkeit entspringt. Die angesehenste Frau ist immer nur Herrin in ihrem Harem, nicht Herrin des ganzen Hauses, nicht Vorsteherin des Haushalts. Von der Idee der Einschließung läßt sich die Idee des Eigenthums und der selbstischen Beziehung des eingeschlossenen Weibes auf den Mann gar nicht trennen, wenn dieser auch mit wahrer Zuneigung und Leidenschaft an einer seiner Gattinnen hängen sollte.

Schonung, Verzärtelung, Dankbarkeit, Gefühl desjenigen, was ihm seine Beyschläferin, die Mutter und Pflegerin seiner Kinder, werth sey, kann in seinem Betragen liegen, nicht aber Achtung.

Unter Völkern, bey denen diese Sitte herrscht, kann folglich Geschlechtsliebe weiter nichts heißen, als leidenschaftliches Bestreben nach dem Besitze der Person des Weibes. Dieser Besitz wird nicht sowohl dem Herzen, als den äußern Verhältnissen abgewonnen. – Das Buhlen um Gegengunst kann nur ein Ankörnen zur gänzlichen Hingebung bedeuten, wodurch der Despot sein Vergnügen zu erhöhen sucht, und wozu er Sinnlichkeit und Eitelkeit als Mittel nutzt. Zärtlichkeit, Freundschaft, ober liebende Leidenschaft, in dem Sinne, wie diese Wörter oft in diesem Werke erklärt sind, können nach der ganzen Lage, worin die beyden Geschlechter zu einander stehen, wenigstens nicht als gewöhnlich angenommen werden.

Viertes Kapitel.
Dritte Stufe der Kultur. Das Weib wird zur Matrone, zur Hausfrau, und zum Mitgliede der örtlichen Gesellschaft: es genießt derjenigen Achtung, welche die treue Ausfüllung eines, von dem Manne vorgeschriebenen Zwecks einflößt.

Meiner Meinung nach stand die Gattin zu den Zeiten Homers bereits auf der Stufe der Matrone, der örtlich geachteten Hausfrau. Mithin stand sie schon damals über der Sklavin, und über dem eingeschlossenen Familienmitgliede. Sie genoß einiger Menschenrechte, und hing mit der örtlichen Gesellschaft durch eine gewisse Wirksamkeit außer Hause, obgleich mittelbar durch den Mann, zusammen.

Der Thalamus, der Theil des Hauses, worin das Frauenzimmer wohnte, war kein Harem, kein Gefängniß, worin die Gattin, abgesondert von der Gesellschaft ihres Gatten, ihr Leben zwischen ihren Nebenbuhlerinnen hätte zubringen müssen. Sie war nicht bloß Genossin des Bettes des Hausherrn, sie war zugleich Genossin seines Tisches, und theilte mit ihm alle Familienverhältnisse des Hauses. Nur Eine durch rechtmäßige Ehe mit dem Manne verbundene Gattin finden wir bey den eigentlichen Argivern. Schon dadurch zeichnet sich das Weib beym Homer scharf von den heutigen Morgenländerinnen ab.

Noch weit mehr aber unterscheidet sich ihr Zustand durch die Wirksamkeit, die den Weibern außer Hause vom Homer eingeräumt wird. Sie nehmen an feyerlichen Opfern Theil, und halten Prozessionen. Sie sind Priesterinnen der Gottheit, und der Aberglaube, der durch ihren Mund die Zukunft verkündigen läßt, vermehrt die Schätzung, die sie genießen. Sie tragen zur Feyer festlicher Tage durch Tänze bey; Chöre von Mädchen ziehen ihre Reigen neben Chören von Jünglingen: ja, man findet ein Bild auf dem Schilde des Achilles, wo beyde mit verschlungenen Armen tanzen. Geschäfte, die zur Wirthschaft gehören, und Neugierde rufen sie auf die Straßen. Sie nehmen in ihrem Hause an der Bewirthung der Gastfreunde unmittelbaren Antheil durch persönliche Dienstreichung. Sie sind bey Gastmählern zugegen, kaufen selbst ihren Schmuck von fremden Handelsleuten ein, und erscheinen sogar vor der Versammlung der Aeltesten im Volke.

Die Gattin genießt nicht bloß des öffentlichen Schutzes, sie erhält auch einen gewissen Grad öffentlicher Werthschätzung und Achtung. Sie wird nicht bloß die Gebieterin in ihrem Hause genannt; Homer bezeichnet sie auch durch die Nahmen der Geehrten, der Geachteten. Diese sichern ihr schöne Züge der Sittsamkeit und sogar der edelsten Aufopferung für den Gatten, die der Dichter uns überliefert hat, und die zum Theil den unverkennbaren Charakter freyer Selbstbestimmung an sich tragen. So das Betragen der Penelope. Man findet Spuren der engsten Anschließung der Gatten an die Person ihrer Weiber, die zuweilen mit Affekten des uneigennützigsten Wohlwollens gemischt sind. So die Rede Hektors an Andromache. Man kannte eine höhere Sinnlichkeit als die bloß körperliche. Das Kosen und trauliche Zusammenleben mit der Gattin, und die Eintracht der Herzen gehörten mit zum Begriff des häuslichen Glücks.

Besonders merkwürdig ist der Umstand, daß Homer nicht nur einzelne Weiber sich im Kriege durch Heldenmuth auszeichnen, sondern auch einige an der Länderregierung Antheil nehmen läßt. Ein Beweis, daß er die Weiber einer Veredlung nach den damahligen Begriffen von Vollkommenheit fähig hielt, die höher ging, als diejenige war, wozu sie ihrer gewöhnlichen Erziehung nach ausgebildet wurden.

Neben diesen und andern Spuren einer Kultur der Begriffe über das Verhältniß der beyden Geschlechter zu einander, die ungefähr so weit reicht, als es irgend eine Nation unter den alten gebracht hat, zeigen sich andere, die auf eine große Rohheit schließen lassen. Dahin gehören die Heyrathen unter den Mitgliedern einer Familie, und besonders das Abkaufen und Abverdienen der Töchter, welche die Helden zu Gattinnen wählten. Selbst die heldenmüthigen Unternehmungen der Freyer, den Schwiegereltern Rinder zu erbeuten, oder sie von ihren Feinden zu befreyen, und dafür die Töchter zum Lohne zu erhalten, deuten mehr auf eine Aehnlichkeit mit den Sitten der Kamtschadalen, als mit denen der Ritterzeiten hin, wenn gleich diese letzten eine ähnliche Entstehungsart gehabt haben können. Zwar ward oft ein Heyrathsgut mitgegeben, aber dieß scheint nur eine Ausnahme gewesen zu seyn. Aus Wahl, aus Neigung wurden die Ehen der Regel nach nicht geschlossen, und die Braut kam oft zugleich in die erste Bekanntschaft und in den Besitz des Bräutigams. Selbst die Söhne hatten das Recht, ihre Mütter wieder zu verheyrathen, und nur der gute Sohn fragte ihren Geschmack dabey um Rath. Ueberhaupt hing die Frau hauptsächlich durch ihren Mann mit der größern Gesellschaft zusammen, und die Wittwe scheint ein trauriges Loos genossen zu haben. Der Ehebruch ward gewiß verabscheuet, und Treue der Gattinnen ward sehr hoch geachtet. Die Veranlassung zum trojanischen Kriege, der Raub der Helena, beweiset nichts für die Gleichgültigkeit gegen die Befleckung des Ehebetts. Der Raub war eine Nationalbeleidigung, und der Ersatz der Beute gehörte mit zur Büßung des Frevels. Auch würde die Vergütung an Gelde für die Beschimpfung des Ehebettes, die aus der Mythe von den Umarmungen der Aphrodite und des Ares wahrscheinlich wird, gegen die Denkungsart der damahligen Zeit nichts erweisen. Aber der Mann war zur Treue gegen seine Gattin nicht einmahl durch die gute Sitte gebunden. Selbst die edelsten, und ihren Frauen ergebensten Männer legten sich Beyschläferinnen bey, und enthielten sich ihrer nur zuweilen aus Liebe zum Hausfrieden.

Weiter: Wenn die Weiber gleich nicht eingeschlossen waren, so war doch ihre Freiheit durch Sitten und Oberaufsicht des Mannes und seiner Agenten äußerst beschränkt. Die Art, wie sie sich außer Hause zeigten, deutet bey weiten nicht auf die Vorstellung hin, daß das Frauenzimmer sich selbst zur Sittsamkeit bestimme, und sich selbst vor Gefahren der Versuchung allein bewahren könne. Es ging verschleyert, und nicht leicht ohne Begleitung von Sklaven. Der Ton, den Gatten gegen ihre Gattinnen, und Söhne gegen ihre Mütter annahmen, bleibt, wenn man gleich Vieles auf die Simplicität des Zeitalters abrechnet, immer herrisch, und verräth nicht bloß den Beschützer, den Rathgeber, sondern den Oberherrn und Aufseher.

Nimmt man diese Bemerkungen zusammen, so bleibt das Weib nach der Homerischen Darstellung über der eingeschlossenen Morgenländerin stehen. Denn diese ist des Gebrauchs des schätzbarsten Guts des Menschen, seiner Selbstbestimmung zur Erfüllung eines gewissen Zwecks ganz beraubt. Sie muß dem Manne zum Werkzeuge der Befriedigung seiner Geschlechtssympathie dienen, weil er sie durch äußere Vorrichtungen dazu zwingt. Fühlt sie sich auch im Stande, diesen Zweck durch Widerspenstigkeit in dem engen Bezirke ihres Harems zu hindern; so kann ihr doch die Entäußerung dieser Gewalt, zu der sie von Jugend auf angezogen wird, und wozu sie durch die empfindlichsten Strafen angehalten werden kann, zu keinem Verdienste angerechnet werden. Die Morgenländerin ist daher nur in sehr eingeschränkter Maße ein gutes Mitglied der Familie aus eigener Wahl. Sie ist gar nicht Mitglied der örtlichen Gesellschaft, weil sie außer Hause keine Art der Wirksamkeit äußert, und die Gesetze und die öffentliche Meinung ihr bloß denjenigen Schutz angedeihen lassen, den sie jedem andern Stücke des Eigenthums eines Mannes gewähren. Auf örtliche Achtung hat sie also gar keinen Anspruch.

Die Griechin beym Homer genießt dagegen unstreitig einige Rechte eines vernünftigen Wesens und eines Mitgliedes der größern Gesellschaft. Sie bestimmt sich selbst unter Aufsicht des Mannes zur Erfüllung des Zwecks, ihrem Hauswesen vorzustehen. Sie hat mehr Gelegenheit, diesen Zweck zu hindern, und ihn in hervorstechender Maße zu erfüllen. Sie ist also eines größern Verdienstes als Genossin des Hauses fähig. Sie hängt aber auch mit der größern Gesellschaft näher zusammen, weil sie durch eine gewisse Wirksamkeit, die sich über die Grenzen ihres Hauses hinaus erstreckt, dem Publiko interessanter wird. Die Achtung, deren sie sich als Hausfrau würdig macht, befördert die allgemeine Sittlichkeit, so wie die Verachtung, die sie sich zuzieht, diese beleidigt.

Demungeachtet steht die Griechin noch weit unter der Stufe, zu der das zärtere Geschlecht in Gemäßheit seiner Anlagen gehoben werden kann, und wirklich bey uns gehoben ist. Homer fühlt nicht, daß das Weib sich in seinem Urtheile über Pflicht, Bestimmung, Glück und Selbstzufriedenheit, selbst ordnen müsse: daß es ein Recht habe, seine Kräfte in Gemäßheit seiner zärteren Natur möglichst auszubilden, und sich dadurch, und durch das Bewußtseyn seiner freyesten Wirksamkeit glücklich zu fühlen: daß die Pflichten, die es gegen den Mann als Hausmutter hat, nur Verhältnisse, Bedingungen sind, um zu seinem selbsteigenen Zwecke, als Mensch, zu gelangen, nicht aber letzter Zweck: daß endlich das Weib als Mitglied und Führerin geselliger Zusammenkünfte einen unmittelbaren Antheil an der größern Gesellschaft nehmen könne. Nein! das Weib ist ihm ein Aggregat des Mannes: ein Mittel zu dem Zwecke, dem der Mann ihm vorschreibt, und den er nach seinen eigenen Bedürfnissen bestimmt. Die kinderlose Wittwe, die unverheyrathete Waise muß ihm daher in dem großen Plane der Schöpfung und der Gesellschaft als ein ziemlich unnützes Glied erscheinen.

Hieraus lassen sich ungefähr die Begriffe der damahligen Zeit über Geschlechtsliebe und engere Verbindungen überhaupt zwischen beyden Geschlechtern bestimmen.

Der Mann konnte noch immer in der Frau keine völlige Selbständigkeit, keine Gleichheit ihrer Natur mit der seinigen, folglich auch keine Vereinigung derselben anerkennen. Dasjenige, was man gewöhnlich Freundschaft zum Weibe nennt, und was ich Geschlechtszärtlichkeit genannt habe, fand also der Regel nach nicht Statt.

Geschlechtsliebe heißt beym Homer noch immer leidenschaftliches Streben nach dem Besitze der Person. Weil aber die Zuneigung, welche das freyere Weib dem Manne schenkt, und die Treue, die es ihm bey mehrerer Gelegenheit zum Betruge bewahrt, die Einräumung und Erhaltung jenes Besitzes kostbarer machen; so ist höchst wahrscheinlich die Gegengunst des Weibes der Mittelzweck jenes leidenschaftlichen Bestrebens gewesen. Geschlechtsliebe kann also hier für leidenschaftliches Streben nach Einwilligung des Weibes in den Besitz seiner Person und dessen Bewahrung angenommen werden. Bey mehrerer Freiheit und Wirksamkeit des Weibes lassen sich auch mehrere Verbindungspunkte für die Liebenden, und ein erhöheter Antheil an ihrem gemeinschaftlichen Wohl voraussetzen. Der Mann hat für die Gattin zwar nicht diejenige Achtung hegen können, welche ein Mensch einflößt, der sich selbst seinen Zweck bestimmt; aber er hat diejenige für sie empfinden mögen, welche die treue Ausfüllung eines gegebenen Zwecks mit sich führt. Und diese Achtung ist dem Weibe nicht bloß von dem Gatten, sondern auch von der örtlichen Gesellschaft gezollt worden.

Fünftes Kapitel.
Begriffe der Griechen über Geschlechtsverbindung und Liebe von Homer an, bis zu den Zeiten des Untergangs ihrer Freiheit.

Es fehlen mir hinreichende Nachrichten, um etwas Zuverlässiges über das Verhältniß der beyden Geschlechter gegen einander, und über die davon abhängenden Begriffe von Geschlechtssympathie und Liebe in den verschiedenen griechischen Staaten und Pflanzstädten, außer Athen, zu sagen. Dieser Mangel zeigt sich am stärksten in dem Zeitraume vom Homer an bis zu Alexander dem Großen. Wir haben nur wenige Schriftsteller aus dieser Zeit übrig behalten, die nicht Athenienser gewesen wären, und die Sitten dieser ihrer Vaterstadt vorzüglich vor Augen gehabt hätten. Ich kann mich aber über die Lücke, die ich hier lassen muß, um so eher trösten, da die Denkungsart der übrigen Griechen, außer Athen, auf die nachfolgenden Zeiten wenigen Einfluß gehabt zu haben scheint.

Ein Paar Bemerkungen über den angezeigten Gegenstand will ich mir dennoch erlauben.

Die Begriffe über das Verhältniß des Mannes zum Weibe scheinen ungefähr die nehmlichen geblieben zu seyn, die ich aus dem Homer entwickelt habe. Die Frau war der Regel nach Matrone, örtlich geachtete Hausfrau – – Besorgung der Wirthschaft, Erziehung der Kinder, Pflege und Unterhaltung des Mannes, scheinen ihre hauptsächliche Bestimmung gewesen zu seyn. Nirgends ist sie eingeschlossen gewesen: aber in den mehrsten Staaten haben die Sitten sie an eine große Eingezogenheit gewöhnt. Völlige Menschenrechte, völlige Rechte eines Mitglieds der größern Gesellschaft, hat man ihr wahrscheinlich nirgends eingeräumt. Das stärkere Geschlecht ist immer als Zweck des Daseyns des zärteren angesehen, und als mittleres Glied, wodurch das letzte an der größern Gesellschaft gehangen hat.

Es läßt sich aber voraussetzen, daß diese Begriffe in verschiedenen Staaten verschiedene Modificationen erlitten haben. In Macedonien besaßen die Königinnen einen Grad von Ansehn und Macht, der gewiß nicht ohne Einfluß auf den Zustand der Weiber unter ihren Unterthanen geblieben seyn wird. Die Argiverinnen genossen, nach dem Zeugnisse des Plutarch, [3] einer ausgezeichneten Achtung bey ihren Männern wegen der Heldenthaten, wodurch sie sich unter Anführung der Dichterin Telesilla im Kriege gegen die Spartaner um die Befreyung ihres Vaterlandes verdient gemacht hatten. Die Cyanischen Weiber zeichneten sich, nach dem Zeugnisse eben dieses Schriftstellers, durch eine freye Wahl ihrer Gatten, und durch die Treue aus, mit der sie ihnen anhingen, ein Verhältniß, das ihnen nothwendig höhere Achtung gesichert haben muß. In Großgriechenland erkannte man in den Weibern eine besondere Anlage zur Philosophie und zu den Wissenschaften an: die pythagoräische Schule, die daselbst einheimisch war, hat mehrere gelehrte Frauen aufzuweisen. [4] In Korinth, auf den Inseln des Archipelagus, und in den griechischen Kolonien in Kleinasien legten sie sich mehr auf angenehme Talente, und erwarben sich dadurch einen Werth, der uns noch heut zu Tage die Nahmen der Sappho, Corinna, und anderer interessant macht. Doch! wie gesagt! hier bleibt überall ein Feld zur weitern Nachlese und Bearbeitung übrig. Ich eile bloß darum darüber weg, weil es zu meinem Zwecke nur unwichtige Früchte eintragen kann.

Der interessanteste Gegenstand einer künftigen Untersuchung würde unstreitig der Zustand der spartanischen Weiber seyn. Mich dünkt, die Nachrichten, die uns darüber aufbewahret sind, bedürfen einer nähern Kritik. Sie scheinen sich zu widersprechen, wenn man gleich die Verschiedenheit der Zeiten mit in Anschlag bringt. Vor allen Dingen würde aber wohl die Behauptung näher zu prüfen seyn: daß die Spartanerinnen einer besondern Achtung und Freiheit genossen hätten. Mir scheint gerade das Gegentheil an.

Die jungen Spartanerinnen wurden ganz so erzogen, als ob man sie zu Männern hätte umschaffen wollen. Sie wurden mit Knaben und Jünglingen zu Leibesübungen angeleitet, man suchte ihre Schamhaftigkeit zu unterdrücken, und ihnen dagegen einen prunkenden Trotz gegen die Pflichten des Anstandes, so wie gegen Leiden und Schmerzen einzuflößen. So lauten die Nachrichten, die ich einstweilen für richtig annehmen will. Aber welches war nun der Zweck dieser Erziehung, wodurch die Spartanerin ihr eigenes Geschlecht verließ, und ein anderes annahm? Vielleicht, um mit den Männern in den Krieg zu ziehen: oder daheim die Beschäftigungen des stärkern Geschlechts, den Ackerbau, u. s. w. zu besorgen? Nein! Von beyden waren sie ausgeschlossen. Nach der männlichen Erziehung, die sie als Mädchen genossen hatten, mußten sie als Gattinnen sich der Wollenfabrikation widmen. [5] Also war der Zweck dieser Einrichtung kein anderer, als der, den Spartanerinnen eine Weichlichkeit zu nehmen, womit sie ihre Männer hätten anstecken können. Kann man sich einen deutlichern Ausdruck der Geringschätzung des zärtern Geschlechts denken, als diesen? Ist es möglich, die Selbständigkeit des Weibes mehr zu vernichten, als wenn man ihm den Anspruch auf eine ihm eigenthümliche Vortrefflichkeit raubt, ohne ihm den Anspruch auf eine Vortrefflichkeit von anderer Art zu sichern? Geht der Geist der Gesetze des Lykurg nicht offenbar dahin: daß das Weib als ein zum Kinderzeugen unentbehrliches Werkzeug zwar nicht aus der Republik verbannt werden könne, aber doch seiner fehlerhaften Natur wegen aufhören müsse, das zu seyn, was es ist, um ein moralisch gelähmtes Neutrum abzugeben? Wie war so alles dabey auf das Glück des Mannes berechnet, und das Wohl des Weibes so ganz dabey vergessen! Es erhielt nur das Gefühl einer ihm fremden Kraft, um das Gefühl einer beständigen Kraftlosigkeit stärker in ihm zu gründen. Denn nie konnte es ganz Mann werden, und es hatte doch aufgehört, Weib zu seyn! Es war außerhalb Hauses ein Mittelgeschöpf zwischen dem Heloten, (dem Sklaven,) und dem Manne; daheim aber ohne häusliche Rechte, Freuden, Thätigkeit!

Der Mann liebte den Jüngling, mußte ihn lieben nach den Gesetzen. Also war das Weib weiter nichts, als ein unschädlich gemachtes Werkzeug, die Sinnlichkeit zu befriedigen, und Nachkommenschaft zu gewinnen. Die Gattin stand weit unter dem Range einer Matrone bey andern Völkern.

Ich führe zum Beweise dieser Behauptung nicht den Umstand an, daß die Bande der Ehe durch eine Art von Gemeinschaft der Weiber beynahe aufgelöst gewesen seyn sollen. Ist diese Nachricht wahr, so hat unmöglich der Ehebruch in Sparta eine unerhörte Sache vor dem peloponnesischen Kriege seyn können. Es kann auch in der Armuth allein kein hinreichender Grund liegen, um bey solchen Gesetzen Reinheit der Sitten in diesem Stücke aufrecht zu erhalten. Es liegt in der Natur des Menschen, folglich auch des Weibes, der Wunsch, das Gefühl seiner Kraft und seiner Wichtigkeit zu genießen. Kein Gesetzgeber kann dem Weibe die Macht nehmen, die ihm das Verlangen von Seiten des Mannes über diesen sichert, und es wird mit seinen Reitzen um so mehr und um so gröber zu wuchern suchen, je mehr man ihm alle andere Gelegenheit nimmt, seinen Platz neben dem Manne zu behaupten, und sich selbständig wirksam zu fühlen. Die wirthschaftliche Vorsteherin eines Hauses ist nicht bloß darum keuscher als das unthätige Mädchen, weil sie mehr beschäftigt ist, sondern auch darum, weil sie ein größeres Gefühl von ihrer Wichtigkeit hat, und dieß weniger durch die Begierden, die sie den Männern einflößt, zu erwecken sucht.

Aus diesen Gründen kann ich der Spartanerin nicht mehrere Selbständigkeit einräumen, als den übrigen Griechinnen, ja! ich muß behaupten, daß sie in jedem Betrachte noch unter ihnen gestanden haben.

Sollten die Beyspiele weiblicher Tugenden, die uns Plutarch überliefert hat, für die allgemeine Denkungsart der früheren Zeiten einen Beweis abgeben können; so würden die Weiber in ganz Griechenland nur in so fern einen Anspruch auf ausgezeichnete Achtung gehabt haben, als sie sich unmittelbar durch männliche Tugenden um ihr Vaterland verdient gemacht, oder eine vordringende Stärke des Charakters gezeigt hätten. Denn unter allen Beyspielen tugendhafter Weiber, die er anführt, ist Stratonica, die ihrem geliebten Gemahl eine Beyschläferin beylegt, um ihre Unfruchtbarkeit zu ersetzen, die einzige, die einen Adel der Seele von der duldenden Art verräth. Alle übrigen zeichnen sich durch muthvolle Unternehmungen zum Besten ihres Vaterlandes, und durch Verachtung des Lebens aus. Diesemnach würden die eigenthümlichen Vorzüge des Weibes zwar in Werth gehalten, aber nicht hochgeachtet seyn, und dieser Umstand würde bey der seltenern Gelegenheit, die sich dem Weibe darbietet, als Mann zu handeln, einen neuen Grund abgeben, auf die Verkennung ihrer Selbständigkeit in Gemäßheit ihres Geschlechts zu schließen.

Ehe die Idee nicht gegründet ist, daß das Weib ein selbständiger Mensch, so gut wie der Mann, ist, eben so gut, wie er, seinen Zweck in sich hat, eben so gut wie er, vortrefflich und vollkommen in seiner Art seyn kann, je mehr es sich diesem seinem Zwecke nähert; eher kann keine liebende Vereinigung der Naturen zwischen ihm und dem Manne, mithin keine Geschlechtszärtlichkeit, und wahrhaft liebende Leidenschaft allgemein anerkannt werden. Und beydes, ich darf es dreist sagen, ist von den Griechen in ihren Verhältnissen zwischen solchen Personen, die den äußern Kennzeichen nach Mann und Weib waren der Regel nach nicht anerkannt worden: Es ist keine herrschende Idee bey ihnen gewesen, daß der Mann mit Zärtlichkeit, (d. h. mit Freundschaft,) an der Gattin hängen könnte.

Sie kannten allerdings Geschlechtszärtlichkeit, aber zwischen Männern: zwischen solchen Personen, die ihrem innern Charakter nach allerdings zu verschiedenen Geschlechtern gehörten, aber nicht für Gatte und Gattin nach äußern Kennzeichen gelten konnten. Hierüber in der Folge mehr.

Was der Mann für das Weib empfand, war eigennütziges, augenblickliches Verlangen, oder vorübergehende Aufwallung der Liebe, oder persönliche Ergebenheit, Genossenschaft, die, je nachdem sich mehr oder weniger liebende Affekte einmischten, mehr oder weniger liebend war. Aber jenes Streben des Mannes, seiner Geliebten die freyeste Wirksamkeit der ihr eigenthümlichen Kräfte, die vollständigste Befriedigung der ihr eigenthümlichen Neigungen zu sichern, und nur in einem Genusse des Lebens mit ihr zusammen zu treffen, sie zu sich und zu seinen Verhältnissen heraufzuheben, oder, wo dieß ihre Natur nicht zuläßt, sich zu ihr und ihren Verhältnissen hinabzustellen; – dieß lag nicht in der Denkungsart der Griechen. Der Mann blieb, wenn er auch noch so liebend, und die Verbindung mit der Gattin noch so eng war, immer der gunstgeflissene Patron, sie die treue, zugeeignete Klientin. Wir finden in der alten Fabel und Geschichte viele Beyspiele der Aufopferung, sowohl von Seiten des Mannes als des Weibes, die auf Leidenschaft schließen lassen. Aber nur auf eine Leidenschaft, die dem Besitze der Person nachringt, und wobey der Leidenschaftliche entweder, um diesen zu erhalten, Ruhe und Leben hingiebt, oder in der Verzweiflung an der nachgestrebten Vereinigung gegen sein einsames Daseyn wüthet. Kein einziges Beyspiel vermag ich zu finden, worin der Mann, um die Geliebte zu beglücken, ihren Besitz aufgegeben, und sich der Trennung von ihr, oder gar dem Tode gewidmet hätte. [6] Diese Aufopferung für das Glück des geliebten Gegenstandes ist aber der einzige sichere Charakter einer liebenden Leidenschaft; nicht die Aufopferung eines Wohls und Lebens, das wir einzeln hinziehen müßten, und das uns gleichgültig wird, weil wir mit dem geliebten Gegenstande nicht vereinigt leben können. Denn Beyspiele einer leidenschaftlichen Aufopferung dieser letztern Art liefern die eigennützigsten Triebe. Sie kann mit der grausamsten Behandlung des geliebten Gegenstandes bestehen. Ehrgeitzige, geldgierige Menschen können sich nach dem Verlust ihrer Ehre und ihres Vermögens ermorden, und der rohe Neger, der die Gefahr ahnet, daß ihm seine Geliebte entrissen werde, ist im Stande, sich mit ihr ins Meer zu stürzen, oder ihr den Stahl in die Brust zu stoßen, den er nachher gegen sich selbst kehrt.

Es ist möglich, daß einzelne Verbindungen den Charakter wahrer Zärtlichkeit angenommen haben. Allein daß diese Erfahrung häufig gemacht, anerkannt und geschätzt sey, das muß ich so lange läugnen, bis mir ein Beyspiel aufgewiesen wird, worin ein Dichter oder Historiograph, der das Publikum mit seinen Darstellungen zu interessieren suchte, einen Gatten geschildert hat, der sein Wohl aufopferte, um das Wohl der Gattin, als eines selbständigen Wesens, zu befördern. Man zeige mir eine Idee davon, daß der Mann seine Begierden unterdrückt habe, um die Gewissensruhe des Weibes zu schonen; oder daß er seine Mühe darauf verwandt habe, Herz und Geist seiner Gattin zu ihrem eigenen Genusse zu bilden; oder daß er in den Tod gegangen sey, ein Weib im Leben zu erhalten, das sich seinem Nebenbuhler ergeben hatte. Ideen, die uns geläufig sind, und den Griechen in der Liebe zu den Lieblingen nicht fremd waren!

Die Geschlechtssympathie hat sich in dieser Zeit sehr verfeinert, selbst in den Verhältnissen zwischen dem Gatten und der Gattin. Durch die immer mehr überhand nehmenden Mißbräuche der Verbindungen zwischen Personen, die äußern Kennzeichen nach zu einerley Geschlecht gehörten, hat die Lüsternheit eine gewisse Mäßigung im Genusse, und eine Vervielfältigung der Liebkosungen gelernt, die zur Dauer und Mannigfaltigkeit der körperlichen Lust beygetragen haben. [7] Durch Ausbildung des Gefühlvermögens überhaupt hat man immer mehr gelernt, aus den Empfindungen, die Sinne und Herz darboten, alles heraus zu ziehen, was wirklich darin lag, und was die Einbildungskraft hinein legen konnte. Man hat immer mehr gelernt, den Ausdruck dieser Empfindungen zu vervielfältigen, und durch beydes, und durch die Talente der edleren Unterhaltung, das trauliche Kosen unter den Verbündeten interessanter für den Geist zu machen. So erscheint die Geschlechtssympathie beym Anakreon. Es hat sogar Fälle geben müssen, worin ausgezeichnete Personen unter beyden Geschlechtern den leidenschaftlich Begehrenden bis zur Begeisterung haben hinreißen können. So erscheint die Geschlechtssympathie bey der Sappho. Unter den Freudenmädchen in Korinth und Kleinasien dürften mehrere eine gleiche Wirkung auf ihre Anbeter hervorgebracht haben.




Vierzehntes Buch.
Denkungsart der Athenienser über Liebe zu den Weibern und die Verbindung mit ihnen bis zu den Zeiten Alexanders des Großen.


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Die Denkungsart der Athenienser über den Gegenstand, der mich in diesem Werke beschäftigt, verdient meine ganze Aufmerksamkeit. Sie hat den größten Einfluß auf die Denkungsart der nachfolgenden Jahrhunderte gehabt: sie gehört dem aufgeklärtesten Volke an, von dem uns die Geschichte Nachrichten aufbewahrt hat, und zum Glück für uns sind diese Nachrichten vollständiger, als wir sie von irgend einem Volke der älteren Zeit besitzen. Um aber das Verhältniß der Geschlechter zu einander und die davon abhängenden Begriffe über Geschlechtsverbindung und Liebe besser zu beurtheilen, muß ich einige Bemerkungen über die Art vorausschicken, wie die Athenienser über Menschenwerth und Menschenvortrefflichkeit dachten.

Athen war eine Republik: Patriotismus war die erste unter den Pflichten und Tugenden, die ihre Einwohner kannten. Das höchste Verdienst bestand darin, den Wohlstand des Vaterlandes und sein Ansehn bey den Barbaren und den benachbarten Griechen zu vermehren. Weisheit, Muth, Geschicklichkeit, in Beziehung auf den Stand des handelnden Bürgers, machte eigentlich das Edle und Schöne nach der Denkungsart des größeren Haufens aus. Der Grundsatz: befördre durch weise Beherrschung deiner Triebe deine eigene Glückseligkeit und Ruhe auf die Dauer! war zwar in Athen, so wie überall, derjenige, der sich durch seine Faßlichkeit und allgemeine Anwendbarkeit am meisten empfahl. Inzwischen forderte Bürgerpflicht und Bürgerruhm zu mancher Aufopferung dieser eigenen Glückseligkeit auf, und die Athenienser verschmähten keines der Mittel, wodurch der öffentliche Geist unterstützt werden konnte. Ehrgeitz war die edelste der Leidenschaften: Der Vorzug, an der Spitze der Republik und ihrer Bürger im Krieg und Frieden zu stehen, der rühmlichste Zweck des Lebens, und da nichts so vortheilhaft für den Staat ist, als die schwärmerische Anhänglichkeit, mit der jeder einzelne Bürger an der mystischen Person der Republik hängt, so legte man einen hohen Werth auf die Begeisterung überhaupt, und besonders auf diejenige, welche zu Aufopferungen des partikulären Interesses für das öffentliche anfeuert.

So dachte der Athenienser im Ganzen: oder vielmehr, es war gute Sitte in Athen, so zu denken. Man verkannte dabey nicht den Werth solcher Tugenden, die den Menschen für sich, oder als Mitglied einer Familie, oder im Verhältniß zu der Menschheit überhaupt zieren und beglücken. Aber sie waren den Bürgertugenden untergeordnet, und wenn der große Haufe von Adel und Schönheit sprach, so verstand er darunter Weisheit, Muth, Mäßigkeit und Geschicklichkeit, wie sie in einem thätigen, dem Wohl des Staats unmittelbar gewidmeten Leben erfordert werden, um sich darin als Bürger auszuzeichnen. [8]

Hieraus ergiebt sich sogleich, daß der Athenienser, ohne gerade das Weib zu verachten, ihm doch denjenigen Werth, den er auf den Mann als handelnden Bürger legte, nie zuschreiben konnte. Das eigentlich Edle und Schöne paßte nicht auf das zärtere Geschlecht nach ihren Begriffen. Aber eine Weiberverachtung, eine Verkennung ihres moralischen Werthes, als Menschen, und Mitglieder der Familie und der größern örtlichen Gesellschaft: eine Abneigung gegen die Ehe, als ein zwangvolles, bloß pflichtmäßiges Verhältniß, läßt sich daraus keinesweges folgern. Man kann vielmehr beweisen, daß die Athenienser zu den Zeiten ihres Flors den Gattinnen einen hohen moralischen Werth, und der Verbindung mit ihnen einen großen Anspruch auf Beglückung des Mannes beygelegt haben.

Um aber in dieser höchst bestrittenen Materie zu einer richtigen Erkenntniß zu kommen, muß man nothwendig die verschiedenen Klassen der Weiber, und dann die verschiedenen Gesichtspunkte von einander unterscheiden, aus denen das Gesetz, oder die Regel für den großen Haufen, dann die gute Sitte, oder die Regel für den gebildeteren Athenienser, und endlich der Philosoph, oder der ausgezeichnete Selbstdenker, das zärtere Geschlecht betrachtet haben.


Zweytes Kapitel.
Denkungsart der Gesetzgeber und Staatsmänner über diese Materie.

Die Weiber in Athen lassen sich, in so fern sie hier in Betracht kommen, unter drey Klassen bringen. Sie waren entweder freye, eingeborne Töchter, Schwestern, Gattinnen der Staatsbürger; oder Fremde, Freygelassene, Töchter von Freygelassenen; (eine Klasse, woraus die sogenannten Freundinnen, Hetären, Freudenmädchen, hergenommen wurden,)[WS 6] und endlich Sklavinnen, die oft zu Beyschläferinnen dienten.

Die letzten liegen ganz außer dem Zwecke meiner Untersuchung. Nur die Matrone und die sogenannte Freundin werden meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ich will zuerst den Geist der atheniensischen Gesetzgebung und Politik in Ansehung der Matronen etwas näher zu entwickeln suchen.

Die Gesetze des Solon [9] über die ehelichen und Familien-Verhältnisse deuten auf Ueberbleibsel eines patriarchalischen Regiments hin. Daher die Heyrathen zwischen Personen in der Familie selbst: [10] daher das Recht der Väter, der Brüder, der Vormünder, die Töchter nach Gutbefinden zu verloben: Daher das Recht der Väter, über Leben und Tod neugeborner Kinder zu entscheiden, und sie der Familienrechte zu berauben: [11] Daher besonders das Recht der Verwandten, die reichen Erbinnen nach dem Grade der Blutsfreundschaft gerichtlich zur Gattin auszuklagen; ein Gesetz, das durchaus seinen Grund in der Sorge gefunden haben muß, die Güter nicht aus der Familie kommen zu lassen. Man vindicierte eine Erbin, wie man ein Legat vindicieret: starb der erste Mann ohne Kinder, so ging sein Recht auf die hinterlassene Gattin an den nächsten Anverwandten über. War aber der vindicierende Gatte unfähig zu dem Zwecke der Ehe, so durfte sie sich mit demjenigen Anverwandten, der nach ihm der nächste war, verbinden. [12]

Alles dieß läßt auf keine Anerkennung der Selbständigkeit des Weibes nach dem Geiste der Gesetze des Solon schließen, und man muß es sagen: unbekümmert um die Erziehung des Mädchens, und die innere Lage der Gattin zu ihrem Manne, [13] hat er nur dahin gesehen, dem Hausvater seine Eigenthumsrechte, und seine häusliche Ruhe zu sichern. Ueberall bemerkt man, daß sich die Gesetze des Weibes nur in so fern annehmen, als es mittelst des Mannes mit dem Staate zusammenhing. Die Matrone stand allerdings unter dem Schutze des Staates: aber hauptsächlich in so fern sie den Beleidigungen oder der Verführung fremder Männer ausgesetzt war, oder als ihre Lage gegen den Gatten und die Gesellschaft der Population und den Sitten nachtheilig werden konnte. Der Weiber-Raub, und die schändliche Gewinnsucht der Gelegenheitsmacher, waren mit scharfen Strafen verpönt. Töchter und Schwestern, die auf einer unehrbaren That ertappt wurden, konnten von ihren Eltern und Brüdern wie Sklavinnen verkauft werden. Der beleidigte Gatte durfte den Ehebrecher umbringen, und Verführung ward noch härter


nicht retten. Aber zum Theil hat man sie auch unrecht verstanden. Solon hat z. B. die Zahl der monatlichen Umarmungen nicht allgemein, sondern bloß in Rücksicht der reichen Erbinnen vorgeschrieben, damit diese nicht Opfer des bloßen Eigennutzes werden sollten. Die Einlassung mit dem nächsten Anverwandten auf den Fall der Unfähigkeit des Gatten, muß von einer neuen Ehe nach Trennung von dem unfähigen Manne verstanden werden.

bestraft als Gewalt. Nur ein einziges frey- und eingebornes Weib ward als rechtmäßige Gattin anerkannt; nur die Verbindung mit ihm war Ehe, und Kinder, die nebenher gezeugt wurden, theilten weder die Pflichten noch die Vortheile derjenigen, welche das Gesetz als Repräsentanten der Familie ansah. Aber diese Matronen waren auch an eine große Eingezogenheit und an eine große Sorgfalt für den äußern Anstand, wenn sie öffentlich erschienen, gebunden. Der Mann war ihr Richter daheim: sie fanden nur bey den Anverwandten Schutz gegen seine üble Behandlung. [14] Wollten sie zur Scheidung schreiten, so mußten sie den Scheidebrief selbst vor Gericht überliefern, und ihre Schamhaftigkeit erlaubte ihnen nur selten, von diesem Mittel Gebrauch zu machen. Die Gesetze banden den Mann nicht ausdrücklich an Treue: die Ausschweifungen, die er mit ungebundenen Mädchen beging, galten nicht für Ehebruch. Solon errichtete sogar der Venus Pandemos einen Tempel, und behandelte andere unnatürlichere Ausgelassenheiten mit Nachsicht. [15]

Aus allem diesem erhellet so viel, daß die Gesetze sich nur in so fern mit der Gattin beschäftigt haben, als sie zur Gewinnung einer rechtmäßigen Nachkommenschaft wie ein unentbehrliches Werkzeug erschien. „Nimm“, sagte Solon, „ein einziges eheliches Bürgerkind zum Weibe, um Kinder zu zeugen!“ Dieß liegt ganz in dem Geiste einer republikanischen Gesetzgebung, und vorzüglich der ältern, wornach das partikuläre Wohl des einzelnen Bürgers in keinen besonderen Betracht gezogen, sondern seiner eigenen Sorge und den Sitten überlassen wurde. Der Gesetzgeber und sein Nachfolger, der Staatsmann, glaubten zufrieden seyn zu können, wenn sie den Staat durch rechtmäßige Bevölkerung erhalten, und die öffentliche Ruhe und Sicherheit durch Sittenlosigkeit der Gattinnen, durch Frechheit der Buhlen, und durch lautgewordene Mißhelligkeiten der Familien nicht gestört fänden. Ihre Verfügungen hielten den Pöbel unter allen Ständen zu derjenigen Ordnung an, ohne welche der Staat gar nicht bestehen konnte. Sie sahen in den engeren Verbindungen unter beyden Geschlechtern nur das Wesentlichste, Unentbehrlichste zur Wohlfahrt des allgemeinen Besten. Und so kann man es sich denn erklären, wie Demosthenes sagen kann: „die Ehefrau sey ein Mittel, um rechtmäßige Kinder zu gewinnen, und das Hauswesen in Ordnung zu erhalten;“ oder wie Thucydides behaupten mag: „diejenige Gattin verdiene das größte Lob, von der man außer Hause weder Gutes noch Böses höre.“ Der Staatsmann muß so sprechen, weil er von den Weibern im Ganzen nicht mehr verlangen kann, und die Republik bestehen mag, wenn nur alle Weiber ohne Unterschied diesen Zweck erfüllen, und auf diesen Ton gestimmt sind.

Das war die Regel für die Denkungsart des großen Haufens.

Drittes Kapitel.
Fortsetzung: Begriffe und Grundsätze der guten Sitte über diesen Punkt.

Aber die gute Sitte, oder die Denkungsart des wohlerzogenen und gebildeteren Haufens unter den Atheniensern, ist gewiß bey diesen eingeschränkten Forderungen des Gesetzgebers an die Matrone nicht stehen geblieben. Sie hat von der Gattin verlangt, daß sie eine gute Hausfrau seyn solle: sie hat ihr Anspruch auf öffentliche Achtung für alle diejenigen Tugenden eingeräumt, die ein wirthschaftliches, sittsames, liebendes Weib im Kreise seiner Familie und in seinen Verhältnissen zu dem Ganzen der menschlichen Gesellschaft zeigen kann; ja sie hat dem zärteren Geschlechte sogar Anlagen zu männlicher Weisheit, zu Kenntnissen, zur Seelenstärke, und zum Patriotismus zugetrauet, und die einzelnen Weiber, die sich dadurch auszeichneten, mit ihrem Interesse und ihrer Bewunderung begleitet.

Ich suche die Beweise dieser Behauptung bey den Schauspieldichtern auf, die uns aus den Zeiten des Flors der Athenienser übrig geblieben sind.

Von den Komikern hat sich der einzige Aristophanes erhalten. Sein Zweck ging nicht dahin, die gute Sitte darzustellen; er suchte vielmehr überall die schlechte auf, um Lachen zu erregen. Wer auf so etwas ausgeht, ist überhaupt kein gültiger Zeuge für den Werth oder Unwerth seiner Mitbürger: er ist es aber um so weniger, wenn er mit sich selbst nicht überein stimmt. Der nehmliche Spötter des zärteren Geschlechts, der ihm die gröbsten Laster und die niedrigste Verworfenheit Schuld giebt, greift den Euripides wegen seiner Weiberfeindschaft an. Wir werden gleich sehen, mit welchem Rechte. Genug! Ein Komiker wie Aristophanes nimmt die Sitten einzelner hervorstechender Individuen für Sitten eines ganzen Standes und Geschlechts an, und übertreibt die Farben, um die Wirkung, die er beabsichtigt, zu erhöhen. Ich glaube nicht, daß man aus seinen Darstellungen etwas Zuverlässiges über die Denkungsart der gebildeteren Klasse in Athen in irgend einem Stücke folgern könne.

Die Werke der Tragiker scheinen mir eine wichtigere Quelle zu seyn, um daraus Kenntnisse über den Werth der Frauen, der engeren Verhältnisse zwischen ihnen und den Männern, und über die Liebe nach den Begriffen der Athenienser zu schöpfen. Aber man muß sie mit Behutsamkeit nutzen.

Der Tragiker schildert ausgezeichnete Menschen, Menschen, die sich über das Gemeine an Tugenden, Lastern, und Schicksalen erheben: er nimmt seine Helden, und die Lage, in die er sie versetzt, gemeiniglich aus der Vorzeit, und oft aus der Geschichte benachbarter Länder. Er sucht das Interesse des gebildeteren Haufens seiner Zuschauer zu erwecken. Alle diese Rücksichten entfernen ihn um etwas von den lokalen Sitten des größern Haufens, und selbst von denen der guten Gesellschaft. Man kann also schlechterdings nicht behaupten, daß alle atheniensische Weiber den dargestellten geglichen haben: man darf durchaus nicht annehmen, daß die Ausdrücke von Hochschätzung oder Verachtung gegen das zärtere Geschlecht, welche einzelnen Personen, besonders unter gewissen Lagen beygelegt sind, auf Gesinnungen schließen lassen, die zur guten Sitte in Athen gehörten. Ja! man kann nicht einmahl mit völliger Zuversicht behaupten, daß die Begriffe über Anstand, in den Verhältnissen der beyden Geschlechter gegen einander, völlig die nehmlichen auf dem Theater und im gemeinen Leben gewesen, und daß alle Weiber der Bürger in Athen so behandelt worden sind, wie die Könige in Argos oder Theben ihren Gattinnen, Schwestern und Töchtern auf der Bühne begegnen.

Inzwischen ist es mir sehr wahrscheinlich, daß die Tragiker sich mehr an die Sitten ihres Zeitalters und ihrer Stadt, als an die der Vorwelt und benachbarter Länder gehalten, daß sie folglich ihre Helden möglichst athenisiert haben. Denn bey der Vergleichung der Sitten dieser Helden mit denen, die ihnen Homer beylegt, findet sich zwischen beyden noch ein merklicher Abstand. Dieser Abstand äußert sich sogar bey der Vergleichung der Darstellungen, die uns die Tragiker von den Sitten ihrer Helden liefern, indem man beym Euripides eine Ausbildung derselben findet, die auf eine fortgeschrittene Kultur der Zuschauer seit den Zeiten des Aeschylus schließen läßt. Wären die Dichter den Traditionen aus der Vorzeit genau gefolgt, so würden sich die Sitten völlig gleich geblieben seyn. Endlich ist es ganz im Geiste der griechischen Künstler überhaupt, sich möglichst an die lokale Denkungsart des Staats und der Zeit zu halten, auf die sie zunächst wirken wollten.

Gesetzt aber, ich irrte mich hierunter, so darf ich wenigstens für gewiß behaupten, daß die Tragiker sich nie so weit von der herrschenden Denkungsart und den Sitten der gebildeteren Klasse ihrer Zuschauer haben entfernen dürfen, um die Helden und Heldinnen, die sie auftreten ließen, als Geschöpfe aus einer ganz fremden Welt erscheinen zu lassen. So etwas würden wir nicht leiden, und der Athenienser litt es gewiß noch weniger. Die dargestellten Personen mußten so denken, so empfinden und so handeln, daß der Zuschauer ihre Existenz bey und neben sich als möglich ahnen konnte. Wenn wir daher die Frau in einem Zustande von orientalischer Erniedrigung dargestellt finden sollten; so dürften wir gewiß glauben, die gebildete Klasse von Athen sey daran gewöhnt gewesen, das Geschlecht im gemeinen Leben mit Verachtung behandelt zu sehen. Fänden wir hingegen, daß die Frau auf der Bühne das Publikum durch Tugenden hätte interessieren können, die kaum auf dem Theater von Paris in einem höhern Lichte erscheinen; so dürften wir eben so wohl sicher glauben, daß die gebildetere Klasse der Athenienser diesen moralischen Werth nicht unvereinbar mit dem zärteren Geschlechte gehalten habe, und in diesem Glauben durch einzelne, der Heldin auf der Bühne sich annähernde Beyspiele im gemeinen Leben, unterstützt sey.

Sicher können wir ferner annehmen, daß die Betrachtungen über dargestellte Charaktere und Handlungen, welche den Chören in den Mund gelegt werden, gemeiniglich nach der Denkungsart der Zuschauer und nach ihren lokalen Sitten eingerichtet sind. Das Chor hat oft die Bestimmung, die entfernten Begebenheiten auf die jetzigen Verhältnisse der Zuschauer zurück zu führen. Wir dürfen daher besonders diejenigen Gesinnungen, die ihm beygelegt werden, in den meisten Fällen für die Denkungsart und die Stimmung der guten Gesellschaft in Athen halten.


Viertes Kapitel.
Denkungsart des Aeschylus in diesem Punkte.

Beym Aeschylus erscheint die Gattin bereits als Matrone: Sie ist Genossin des Mannes im Hause, und außerhalb geehrt.

Im Prometheus räth das Chor den Weibern, „auf Gleichheit des Standes in der Ehe zu achten, und sich an keinen reichern, vornehmern Gatten zu verheyrathen.“ Ein Beweis, daß eine gewisse Freyheit und Gleichheit der Rechte zwischen beyden Ehegatten schon damals zum Glück der Verbindung nöthig gehalten wurde!

In den sieben Helden vor Theben[WS 7] erscheint ein Chor junger Weiber, die während der Belagerung der Stadt aus Patriotismus und Furcht die Götter für das Wohl des Vaterlandes anrufen. Eteokles der Tyrann setzt sie darüber zur Rede: er tadelt es, „daß sie durch ihr Geschrey und Gebet die Gefahr vergrößern, und den Muth der Bürger schwächen. Möge ich“, sagt er, „weder im Glück noch im Unglück ein Genosse des Weibes seyn! Uebermüthig oder kleinmüthig, richtet es nichts als Unheil im Hause und in der Stadt an. – Das Weib muß gehorchen, schweigen, und daheim bleiben!“

Gehört die Härte dieser Rede der guten Sitte in Athen, oder der besondern Situation und dem individuellen Charakter des Eteokles? Offenbar dem letzten. Eteokles wird in dem ganzen Stücke als ein rauher, unbiegsamer Mann, als ein Verächter der Götter geschildert, der den Fluch des Vaters auf sich geladen, und seinen Bruder um die Regierung betrogen hat. Dagegen verräth das Chor, das aus Weibern besteht, die frömmsten und sittlichsten Empfindungen. Antigone erscheint bereits mit dem edeln Stolze und der sich aufopfernden Geschwisterliebe, die sie auch bey den nachfolgenden Tragikern auszeichnet.

In den Persern wird der Atossa, der Mutter des Xerxes, die größte Ehrfurcht von den Vornehmsten unter dem Volke bezeugt, die sie auch nicht bloß durch ihren Stand, sondern auch durch ihren Charakter verdient. Bey der Nachricht von der Niederlage ihres Sohns zeigt sie Fassung, Ergebung in den Willen der Götter, und zugleich mütterliche Zärtlichkeit. Freylich! sie war eine Königin, eine Perserin! Aber das Publikum in Athen konnte doch einen solchen Charakter und solche Verhältnisse interessant finden. Sie können ihm daher nicht ganz fremd gewesen seyn.

In den Choephoren wird Elektra eben so großherzig und muthig, und minder grausam als beym Sophokles und Euripides geschildert. Im Agamemnon begegnet das Chor der Klytemnestra mit Ehrerbietung. „Es ist billig“, sagt es, „die Gattin des Königs zu ehren, wenn er gleich fern von ihr ist.“ Die Königin wünscht, daß die Griechen die Götter nicht beleidigen, und sich dadurch die Rückkehr in ihr Vaterland erschweren mögen. „Dieß“, sagt sie, „sind die Gedanken eines Weibes!“ Aber das Chor erwiedert: „daß sie mit männlicher Klugheit gesprochen habe.“

Klytemnestra giebt in der Folge die frohe Erwartung zu erkennen, die sie hat, ihren Gatten wieder zu sehen. Sie rühmt sich ihrer Treue. Sie hat, wie sie vorgiebt, während seiner Abwesenheit kein Vergnügen genossen, keinem unanständigen Antrage Gehör gegeben, keinen Kranz um ihr Haupt gewunden. Der Herold sagt ihr: „ein edles Weib habe Recht, sich einer solchen Aufführung zu rühmen!“

Agamemnon erscheint: Klytemnestra drückt ihm ihre Freude über ihre Wiedervereinigung hauptsächlich durch Erinnerung an die Leiden und Besorgnisse aus, die sie während seiner Abwesenheit empfunden hat. Diese Schilderung ist erheuchelt, aber sie ist nach dem Bilde einer wahren Zärtlichkeit geformt. Agamemnon stimmt nicht in diesen Ton ein, er sucht nur mit Bescheidenheit die Ehrenbezeugungen abzulehnen, die ihm Klytemnestra bereitet, und empfiehlt ihr die Kassandra, die er als Sklavin mitgebracht hatte. In der That wird diese auch von der Königin mit verstellter Freundlichkeit aufgenommen. Aber sie, als Seherin, ahnet den Tod des Agamemnon und ihren eigenen. Muthig geht sie diesem entgegen, und das Chor rühmt ihre „Weisheit und ihren Muth.“

Agamemnon ist von der Hand der Klytemnestra gefallen. Diese erscheint wenigstens nicht als eine gemeine Sünderin. Sie rühmt sich ihrer That, und als das Chor ihr seinen Beyfall versagt, setzt sie sich über Lob und Tadel hinaus. Sie glaubt eine gerechte Rache ausgeübt zu haben: „Agamemnon hat ihre Tochter Iphigenia geopfert. Der unnatürliche Vater mag jetzt in der Unterwelt in ihre Umarmungen eilen!“

Das Chor droht einen Aufruhr zu erregen. Aeghisth will gewaltsame Mittel gegen die Griechen, die das Chor ausmachen, brauchen, aber Klytemnestra ermahnt ihn, „ihre leeren Drohungen zu verachten.“

In den Eumeniden kommt ein gerichtlicher Streit zwischen den Furien und dem Apollo vor, worin der Gott die Rolle des Advokaten des Orestes übernimmt. Dieser, der seine Mutter umgebracht hatte, wird von den Eumeniden für viel sträflicher gehalten, als Klytemnestra, die ihren Gatten mordete, weil sie mit ihm durch keine Bande der Blutsfreundschaft zusammen hing. Apollo behauptet dagegen, „der Mord eines Königs und Heerführers könne mit dem eines Weibes, das nicht wie die Amazonen zum Kriege geschickt sey, nicht verglichen werden. Ohnehin sey die Mutter nicht Zeugerin, sondern nur Aufbewahrerin und Nährerin des Kindes.“ – Die Sache wird durch einen Vergleich beygelegt.

In den Supplikantinnen beruht das Interesse auf der Abneigung, welche die Töchter des Danaus gegen die Ehe mit den Söhnen des Aegyptus, ihren Vettern,[WS 8] hegen. Merkwürdig ist es, daß sie zum Grunde dieser Abneigung den Umstand angeben, „daß sie nicht Sklavinnen der Nachkommenschaft des Aegyptus werden, und ihre Vettern nicht als Herrn anerkennen wollen.“ Es scheint sich inzwischen dieß auf ein besonderes Verhältniß zwischen dem Danaus und seinem Bruder Aegyptus, oder auf eine ägyptische Landes-Sitte zu beziehen. [16] Daß die Weiber in Athen ihre Männer allgemein als Herren betrachtet hätten, läßt sich daraus nicht folgern. Uebrigens werden diese Danaiden als muthige Weiber geschildert, die den Tod weniger, als eine verhaßte Verbindung fürchteten. Sie finden Schutz bey den Argivern. Ihr Vater Danaus ermahnt sie, ihre Unschuld dem Leben vorzuziehen, und sie weihen sich gern der keuschen Diana, wenn sie nur vor[WS 9] einer gezwungenen Heirath bewahrt bleiben können.

Dieß sind die Züge, die ich aus dem Aeschylus ausgehoben habe, um seine Denkungsart, die ich zugleich für die der gebildeteren Klasse seiner Zuhörer halte, näher zu bestimmen. Rohe Größe war der Charakter dieses Zöglings der Natur und seines Zeitalters. So leicht diese zum Uebermuth gegen das zärtere Geschlecht führen kann, so findet sich doch davon keine Spur in seinen Werken. Es erscheint vielmehr die Matrone bey ihm mit wahren Tugenden, oder wenigstens mit einer Seelenstärke ausgesteuert, die ihr die Achtung, oder doch das Interesse der Zuschauer sichert. Nirgends wird sie von den Rechten der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen, und bis zur Sklavin, oder bis zum eingekerkerten Familienmitgliede herabgewürdigt. Sie erscheint frey und selbständig, aber freylich dem Manne untergeordnet, und weniger als er geschätzt.

Die Geschlechtsliebe hat dem Aeschylus kein Süjet zu einem von denjenigen Trauerspielen dargeboten, die uns noch von ihm übrig sind. Aber eine große Menge von ihnen ist verloren gegangen, und wer steht uns für dasjenige ein, was diese enthielten? So viel zeigt sich allenthalben, und besonders aus dem Beyspiele der Klytemnestra, daß die Zeitgenossen des Aeschylus einen hohen Werth auf eheliche Treue und zärtliche Anhänglichkeit des Weibes an dem Manne legten. Es scheint aber zugleich, nach eben diesen Beyspielen zu urtheilen, daß ein Mangel an wechselseitiger Zärtlichkeit von Seiten des Gatten sie nicht beleidigt habe.


Fünftes Kapitel.
Denkungsart des Sophokles in diesem Punkte.

Sophokles nutzt den Edelsinn der Weiber und ihre Liebe zum Manne bereits mehr wie Aeschylus, um das Interesse der Zuschauer zu erwecken. In den Trachinerinnen erscheint Dejanira als ein höchst liebendes und nur durch die Liebe fehlendes Weib.

Wie zärtlich drückt sie gleich anfangs ihre Sorgen für den abwesenden, immer gefahrvollen Unternehmungen ausgesetzten Gatten aus? Und dennoch sendet sie ihren Sohn nach ihm aus, ihn aufzusuchen, und die Gefahr mit ihm zu theilen. „Wir leben“, sagt sie, „wenn dein Vater lebt, und sterben wenn er stirbt!“ Welche Freude, als sie endlich die erste Bothschaft erhält, daß Herkules als Sieger heimkehre! Sie bejammert das traurige Loos der gefangenen Weiber, die er ihr zusendet. Edel und zugleich weiblich zeigt sich ihr Charakter in folgender Stelle: „Wie sollt’ ich mich nicht freuen, daß mein Gemahl eine gerechte That glücklich vollbracht hat: ich habe Antheil an diesem Ruhme, und doch hör’ ich nicht auf, mich zu ängstigen! Wie nahe grenzt Glück an Unglück! Ich leide beym Anblick dieser Schar unglücklicher Gefangenen! O Zevs! laß nie ein ähnliches Loos meinem Geschlechte bestimmt seyn!“ u. s. w. Bald erfährt sie die Untreue des Herkules, und daß ihre Nebenbuhlerin Iola unter den Gefangenen in ihrem Hause sey. Weit entfernt, in wilde Wuth überzugehen, fühlt sie nur die Furcht, ihren Gatten unwiederbringlich verloren zu haben. Sie erkennt, daß ihre Nebenbuhlerin seine Neigung verdiene. „Ihr Auge ist seelenvoll“, spricht sie, „und Wuchs und Geberde sind edel!“ Zwar kommt etwas von dieser Resignation auf Rechnung der Gewohnheit, ähnliche Beleidigungen zu ertragen. „Herkules“, spricht sie, „ist vieler Weiber Mann. Aber unerträglich ist es doch, mit derjenigen zusammen zu hausen, die mit uns die Rechte der Ehe theilt.“ Rächen aber will sie sich nicht: nein! nur die Liebe des Herkules will sie wieder gewinnen. Nur darum sendet sie ihm das verderbliche Geschenk zu, dessen wahre Wirkung sie nicht kennt. Aber kaum fängt sie an zu ahnen, daß es dem Geliebten schädlich seyn könne, so geht sie zur Verzweiflung über. „Sinkt er dahin“, ruft sie, „so sterbe ich mit ihm! Kein edles Weib duldet ein Leben, das mit Verbrechen befleckt ist!“ Bald darauf beladet sie ihr Sohn Hyllos mit den schrecklichsten Vorwürfen, und ohne sich zu entschuldigen, ohne ihm das Willenlose der That zu entdecken, eilt sie fort, und macht ihrem Leben ein Ende. –

Es ist unmöglich, einen weiblichen Charakter in dieser Lage interessanter und zugleich liebender erscheinen zu lassen. Es ist keine Empfindung in dieser Darstellung, die wir nicht dem beleidigten Weibe auf unserm Theater verzeihen, es sind mehrere Gesinnungen darunter, die wir bewundern würden. Um desto abstechender von unsern Sitten ist dagegen das Betragen des Herkules. Als er ihren Tod erfahren hat, bedauert er nur, daß sie nicht von seiner Hand gestorben sey, sie, die er doch zuerst beleidigt hatte. Er erfährt nachher, daß sie schuldlos gewesen ist, daß das Zaubermittel, das ihm den Tod zuzieht, in der Hoffnung angewandt war, seine Liebe wieder zu gewinnen. Aber er denkt nur an sich selbst, und erwähnet der Gattin nicht weiter. – Eher begreiflich, aber doch von unsern Begriffen über den Anstand abweichend, sind die harten Vorwürfe, mit denen der Sohn seine Mutter überhäuft. Am allerauffallendsten aber ist der Befehl, den Herkules diesem Sohne giebt, seine Beyschläferin zu heyrathen. Hyllos sträubt sich zwar anfangs, aber bloß weil sie Schuld an dem Tode seiner Mutter, und mittelbarer Weise auch an dem seines Vaters war. Endlich willigt er doch ein.

Billig fragt man nun: läßt sich aus dem Betragen des Herkules gegen Dejanira auf eine in Athen herrschende Denkungsart schließen, nach welcher dem Manne keine Pflicht der Treue oblag, nach welcher er, bloß um sich selbst bekümmert, ihrer Liebe keine Erwiederung, keine Dankbarkeit schuldig war? Unstreitig nicht! Der Dichter hat sich hier offenbar in den Charakter seines Helden und seines Zeitalters hinein versetzt. Der Befehl des Vaters an seinen Sohn, seine Beyschläferin zu heirathen, eine Sitte, die in Athen zuverlässig nicht angenommen war, setzt dieß außer Zweifel. Allein auf der andern Seite erscheint doch aus der Freiheit, die der Dichter hatte, solche Gesinnungen aufs Theater zu bringen, und aus dem ganzen Betragen Hyllos gegen seine Mutter, das von dem gegen den Vater so sehr absticht, daß es die guten Sitten nicht beleidigte, wenn die Frau dem Manne nachgesetzt, und als für ihn geschaffen dargestellt wurde.

Eben dasjenige, was ich aus den Trachinerinnen gefolgert habe, scheint auch der Ajax des Sophokles zu bestätigen. Die Athenienser interessierten sich für die Liebe der Frauen gegen ihre Männer, ohne sich durch den Mangel einer zärtlichen Erwiederung von diesen empört zu fühlen. Tekmessa, die Beyschläferin des Ajax, erscheint eben so liebend als edel in diesem Stücke. Er hat sich selbst umgebracht: sie sieht mit ihrem Sohne der Knechtschaft entgegen: sie ahnet die Freude seiner Feinde über seinen Tod; demungeachtet bricht sie in die wahrhaft edeln und liebenden Worte aus: „Mich schmerzt sein Tod mehr, als er sie erfreuet. Doch ist er erwünscht für ihn! Was spotten sie des Helden? Er hat den Tod, das Ziel, das er selbst erwählt hatte, erreicht. Er ist hin! und hat seine Leiden mir hinterlassen!“

Ajax erscheint dagegen ganz gleichgültig gegen die treue Freundin. Er nimmt Abschied von seinen Eltern und von seinem Vaterlande. Aber ihrer erwähnt er mit keinem Worte.

In der Antigone schildert der Dichter zwey der edelsten weiblichen Seelen. Antigone selbst als heftig, vordringend, muthig, Gefahr und Tod verachtend. „Meinen Bruder unbegraben zu lassen“, ruft sie, „das wäre schmerzhaft; der Tod ist es nicht!“ Die Schwester Ismene ist dagegen sanft und schüchtern, duldend, aber nicht minder edel. Ihre Schwester soll die Uebertretung des Gesetzes mit dem Tod büßen, und sie, die die Schuld nicht getheilt hat, giebt sich als Theilnehmerin an, und will mit ihr sterben.

Sonderbar! Antigone ist mit Haimon, Kreons Sohne, versprochen, aber die Liebe zu dem Bruder erfüllt dergestalt ihr Herz, daß sie auch des Geliebten nicht einmahl erwähnt, und, ohne ihm ein Nachsehnen zu schenken, muthig dem Tode entgegen eilt. Haimon übernimmt die Vertheidigung seiner Braut bey dem Vater. Er nennt sie die Würdigste ihres Geschlechts, sucht sich jedoch mehr durch Liebe zur Gerechtigkeit und zu dem Vater, als durch Liebe zur Braut beseelt zu zeigen. Aber als der Tyrann sie vor des Sohnes Augen umbringen lassen will, ruft er aus: „Wie! vor meinen Augen, an meiner Seite sollte sie sterben? Nimmermehr! Du wirst mich nicht wiedersehen! Wüthe unter deinen Knechten!“ – So spricht Haimon. Aber was thut er? Ergreift er die Waffen gegen den Vater, um die Geliebte zu erretten? Nein! Antigone war lebendig in eine Felsengruft eingesenkt, wo sie eines langsamen Todes sterben sollte. Hier sucht sie Haimon auf, erdrosselt sie, um ihre Leiden zu enden, und zuckt nunmehr erst das Schwert gegen den Vater, der sich ihm nähern will, um ihn aus seiner Lage heraus zu locken. Bald aber kehrt er dieß Schwert gegen sich selbst, durchsticht sich, und drückt, so lange noch sein Leben dauert, sein Herz an der Geliebten Brust, und athmet seinen letzten Hauch auf ihrer blassen, blutbedeckten Wange aus.

Hier wirkt unstreitig Leidenschaft zum Weibe, und man darf sagen, liebende Leidenschaft, weil Haimon seine Antigone tödtet, um ihre Leiden zu beendigen, und nur durch kindliche Pflicht abgehalten wird, mehr für sie zu thun. Aber eben dieß, daß der Dichter die Gattenliebe der Ehrfurcht gegen das ungerechte Urtheil des Vaters so ganz unterordnet, daß der fromme Haimon auch nicht einmahl den Versuch wagt, die Geliebte zu retten; – ja! was beynahe noch sonderbarer ist, der Umstand, daß Antigone einzig und allein mit der Sorge des Begräbnisses eines geliebten Bruders beschäftigt, des Bräutigams auch nicht mit einem Worte erwähnt; – Alles dieß giebt einen deutlichen Beweis, daß das Interesse, welches Gattenzärtlichkeit bey den Atheniensern erweckte, demjenigen untergeordnet war, auf welches kindliche und Geschwisterliebe Anspruch hatten.

Im Oedipus Koloneus erscheint die Liebe zum Vater in der schönsten Gestalt an den beyden edeln Töchtern, und wir sehen den Vater diese mit voller Zärtlichkeit erwiedern.

In der Elektra macht die Geschwisterliebe einen Hauptzug in dem Interesse aus, welches dieses Meisterstück erweckt, und sie zeigt sich mit gleicher Stärke bey dem Bruder und bey der Schwester. Hält man nun die schönen Darstellungen wechselseitiger Aeußerungen der Eltern und Geschwisterliebe unter Personen von verschiedenem Geschlechte mit dem gänzlichen Mangel an ähnlichen Auftritten, welche die Gattenliebe so leicht herbey geführt haben könnte, zusammen; so wird man darin einen neuen Beweis für meine eben gemachte Bemerkung finden.

Sophokles hatte also allerdings ein Publikum vor sich, dem Achtung für das weibliche Geschlecht keine fremde Empfindung war, und das sich für die Begebenheiten und Charaktere der Gattinnen, Töchter und Schwestern ganz anders interessierte, als es sich für die Sklavin, und das eingekerkerte Familienmitglied würde haben interessieren können. Allein eben so auffallend ist es auch, daß es die aufopfernde Liebe der Weiber für ihre Männer natürlicher, und seinem Herzen, und seiner Denkungsart näher fand, als die Liebe des Mannes zu seiner Gattin: daß selbst bey dem zärteren Geschlechte Eltern- und Geschwisterliebe ihm edler dünkte, als Gattenliebe: Endlich! um alles zu sagen: daß das Weib nie selbständig, sondern immer als Aggregat des Mannes interessant erscheint, daß es immer die sich aufopfernde Gattin,[WS 10] Beyschläferin, Schwester und Tochter ist, die den Antheil des Zuschauers auf sich zieht.


Sechstes Kapitel.
Denkungsart des Euripides in diesem Punkte.

Wer das Weib in der höchsten Veredlung, welche die gute Sitte in Athen ihm beygelegt hat, kennen lernen will, der wende sich zu den Darstellungen, die Euripides uns von ihm liefert. Diese Behauptung ist der gemeinen Meinung zuwider: sie ist aber darum nicht minder richtig.

Als ich die Denkungsart des Euripides über Gattenliebe näher prüfen wollte, griff ich natürlicher Weise zuerst nach seiner Alceste, jener edeln Gattin, die ihr Leben aufopferte, um ihren Mann vom Tode zu erretten.

„Lebt sie noch“, sagt das Chor, „diese Frau, die ihre eheliche Zärtlichkeit zum Gegenstande der allgemeinen Bewunderung macht? Unglücklicher König, was für eine Gattin verlierst du! Ihr Tod ist ruhmwürdig. Alceste ist das treueste, schätzbarste Weib, das je die Sonne in ihrem ganzen Laufe beschienen hat!“

Jetzt erzählen die Begleiterinnen der Königin, wie sie sich zum Tode vorbereitet hat: „Als sie ihre letzte Stunde herannahen sahe, schmückte sie sich, und ging zum Altar der Vesta. Göttin, betete sie, beschütze meine Kinder! Gieb meinem Sohne ein Weib, das er liebt, und meiner Tochter einen edeln Mann! Darauf brachte sie allen ihren Hausgöttern ihre Verehrung dar, ohne einen Seufzer oder eine Thräne zu verlieren. Als sie aber diese feyerliche Handlung geendigt hatte, warf sie sich auf das eheliche Bett’, und ließ ihren Thränen freyen Lauf. O heilige Stätte, rief sie aus, rein führte mich mein Gatte hierher, rein verlaß’ ich sie wieder! Ich fluche dir nicht! Denn ich allein werde für dich zum Opfer! Ich sterbe, um den heiligen Pflichten gegen dich und meinen Gatten treu zu bleiben. Aber ich sterbe gern! Du wirst ein anderes Weib aufnehmen, nicht keuscher als ich, aber vielleicht glücklicher! Bey diesen Worten küßte sie das Bette, benetzte es mit Thränen, stand auf, und verließ die Kammer. Oft aber kehrte sie zurück, und überließ sich neuen Ausbrüchen der Zärtlichkeit. Ihre Kinder hingen an ihren Kleidern und weinten. Sie hob eines nach dem andern auf, und drückte diese, die sie nun[WS 11] bald verlassen sollte, an ihre Brust. Alle Sklaven irrten im Hause umher, und weinten Thränen des Mitleids. Sie rief jeden beym Nahmen, und reichte jedem die Hand. Da war keiner ihr zu gering, mit dem sie nicht gesprochen, den sie nicht zur letzten Rede gelassen hätte. Ohne Alcesten wäre Admet gestorben; aber er versinkt in Schmerz: Nie wird er ihrer vergessen!“ – „Gewiß“, antwortet das Chor, „der Verlust einer so vollkommenen Gattin verdient seine lauten Klagen!“

So schildert Euripides den Charakter seiner Heldin! Noch einen Zug läßt er von einem ihrer Sklaven weiter unten hinzusetzen: „Sie war“, sagt er, „unser aller Mutter, nicht unsere Gebieterin. Wie wußte sie durch ihr kluges, zärtliches Betragen die Heftigkeit ihres Gemahls zu mäßigen, und unsern Zustand zu erleichtern!“ In der That! Roußeau hat seine Julie nicht schöner dargestellt, als unser Dichter seine Alceste!

Auch läßt ihr das Chor vollkommen Gerechtigkeit widerfahren. „Wir würden dich verachten“, sagt es zum Admet, „wenn du eine andere Gattin wieder heirathen könntest. O Götter! gebt mir ein Weib wie dieses, mit dem ich meine Tage verleben könne!“ Zwar erkennt das Chor, daß dieser Vorzug ein Loos sey, das nur selten Sterblichen zu Theil wird. „Inzwischen ist Admet doch nicht der erste noch der letzte der Sterblichen, die ein tugendhaftes Weib verlieren, und nur solche Ehen sind, wie Pheres sagt, zu billigen: andere haben keinen Werth!“

Man kann wohl keinen deutlichern Beweis als diesen finden, daß das Publikum von Athen sich für die Tugend, und für die Liebe einer Gattin zu ihrem Gatten interessieren konnte. Aber laßt uns nun unsere Aufmerksamkeit auf den Admet wenden!

Unstreitig kennt er die ganze Größe der That seiner Gattin, und versinkt in Verzweiflung über ihren Verlust. „Er beneidet das Schicksal der Todten, das Grab ist künftig sein einziger Wunsch. Das Tageslicht ist ihm verhaßt, und nie, nie will er sich mit einem andern Weibe wieder verbinden.“

Gut! Aber wie konnte er, dessen Reden alle den zärtlichsten Gatten ankündigen, das Opfer seiner Frauen annehmen? Aber warum starb er nicht statt ihrer?

Daß der Dichter diesen Einwurf gefühlt habe, merkt man an mehreren Stellen. Admet sagt zu wiederholten Mahlen, „daß er nur gezwungen seine Gattin überlebe.“ Er fürchtet, „daß man ihn schief beurtheilen, und ihn der Feigheit beschuldigen würde.“ Er macht seinen Eltern die bittersten Vorwürfe, „daß sie, obgleich alt, nicht für ihn haben sterben wollen.“ Es muß also etwas bey dem Betragen des Admet zum Grunde liegen, das ihn in den Augen der Athenienser rechtfertigte, die Aufopferung seines Weibes angenommen zu haben. Sollte dieß die Idee seyn, daß die Gattin, als ein dem Manne untergeordnetes Wesen, zu seinem Wohl und zu seiner Erhaltung allein bestimmt sey? So weit ging der Athenienser der damahligen Zeit, nach dem ganzen übrigen Inhalte des Stücks zu urtheilen, gerade nicht. Aber davon war er überzeugt, daß Admet als König, als öffentliche Person, sich seinem Volke erhalten, und die Aufopferung seiner Gattin, die keine unmittelbare Existenz im Staate hatte, annehmen durfte.

In der Iphigenia in Aulis ist es mir sehr merkwürdig gewesen, daß Klytemnestra nach einer Abwesenheit von mehreren Monaten ihren Gemahl Agamemnon mehr wie einen Herrn, als wie einen Gatten begrüßt; daß die Tochter schüchtern die Mutter fragt, ob sie ihren Vater wohl umarmen dürfe, und daß Agamemnon der ersten auch nicht mit einer Sylbe auf ihre Anrede antwortet. Gehört dieß der atheniensischen guten Sitte, oder dem individuellen Charakter des Königs der Könige, der als Herrscher und Despot selbst in seiner Familie dargestellt werden soll? Ich glaube das Letzte, ob ich gleich zugebe, daß die Athenienser eine solche Behandlungsart der Gattin von Seiten des Mannes weniger empörend gefunden haben, als wir.

Als Klytemnestra den Agamemnon fragt: ob Achilles, der bestimmte Gemahl Iphigeniens, ihre Tochter weit wegführen werde, antwortet er: „Darüber entscheidet der Mann!“ – – Weiter unten spricht er: „Höre, was ich verlange: Gehorche!“ und sie fordert seine Befehle. „Seit langer Zeit“, sagt sie, „hast du mich an unbedingten Gehorsam gewöhnt!“ Als er inzwischen verlangt, daß sie sich sogleich entfernen, und ihre Tochter zurück lassen sollte, weigert sie sich, und schwört bey der Juno, daß sie nicht abreisen werde! „In Dingen außer Hause bist du Herr“, spricht sie, „aber die mütterlichen Sorgen gehören mir.“ Diese Widerspenstigkeit bringt den Agamemnon zu der Bemerkung: daß ein kluger Mann entweder eine nachgiebige Frau, oder gar keine heirathen sollte. Ein Wort, das gewiß aus dem individuellen Charakter des Helden völlig erklärt werden kann, und folglich für die Sitten, und besonders für die guten Sitten in Athen nichts Zuverlässiges folgern läßt.

Klytemnestra wendet sich an den Achilles. „O ihr heiligen Gesetze der Schamhaftigkeit!“ ruft dieser aus, als er sie erblickt. „Eine Frau von so seltener Schönheit hier mitten unter den Kriegern!“ Sie entdeckt ihm, wer sie sey. Achilles will sich aus Ehrfurcht zurückziehen. „Du weißt“, sagt er, „daß es mir nicht erlaubt ist, mit einer verheiratheten Frau zu reden.“ Sie will ihm die Hand geben: er glaubt durch ihre Berührung den Agamemnon zu beleidigen. Klytemnestra beruft sich darauf, daß sie seine Schwiegermutter werden würde.

Was läßt sich daraus schließen? Daß der Dichter das öffentliche Erscheinen eines Frauenzimmers ohne Begleitung für eben so unanständig gehalten hat, als die vertrauliche Unterredung der verheiratheten Matronen mit Fremden; daß aber seinen Grundsätzen nach dieser Zwang zwischen Mitgliedern einer Familie wegfiel. Ich bin überzeugt, daß mehr als ein Land in Europa vor ungefähr hundert Jahren die nehmlichen Grundsätze über Sittsamkeit des Weibes hatte, ohne dieß darum mit den Sklavinnen und den blödsinnigen Familienmitgliedern in eine Klasse zu setzen.

Achilles sagt: „Ich würde Iphigenien aufgeopfert haben, wäre sie mein Weib gewesen. Das allgemeine Beste meiner Bundesgenossen zu befördern, wäre mir nichts zu theuer. Aber sie haben mich nicht in ihren Rath genommen, sie haben, ohne mich zu fragen, meinen Nahmen gemißbraucht, um Iphigenien herzulocken, und sie zu opfern. Nun will ich sie schützen.“ – – Diese Gesinnungen billigt das Chor, und findet sie edel. So waren Patriotismus und Ehrgeitz die ersten Vorzüge und Rücksichten des Mannes!

Die Mutter befiehlt ihrer Tochter, dem Achilles zu Füßen zu fallen. Aber er hindert dieß. „Es wäre unanständig“, spricht er; – „Besser, sie bleibt auf ihrem Zimmer!“

„Wie keusch war ich“, sagt Klytemnestra zu Agamemnon, „wie zuvorkommend gegen dich! Mit welcher Sorgfalt stand ich deinem Hause vor! Du warst glücklich daheim, und außerhalb für häuslich glücklich gehalten!“ – Das waren die Tugenden, die der Matrone die Liebe des Gatten und öffentliche Achtung sicherten. Aber Euripides hebt noch ihren Werth in dem Charakter der Iphigenia durch einen Edelsinn, der nach den Begriffen der Athenienser über höchste Vollkommenheit, nicht bloß durch häusliche Tugenden, sondern durch Seelenstärke und Patriotismus sich an den Tag legte.

Anfänglich bittet Iphigenia um ihr Leben; als sie aber hört, daß das Glück Griechenlands von ihrem Opfer abhängt, daß Achilles durch ihre Vertheidigung in Gefahr kommen könnte, bietet sie sich muthig dem Tode dar, und spricht ganz im Sinne der Republikanerin: „Das Leben eines Mannes ist mehr werth, als das einer Menge von Weibern! – – Griechen! Hier bin ich! Opfert mich, und stürzt Troja! Eure Trophäen werden meinen Ruhm verkündigen, und mir statt Ehe, Gemahl und Kindern dienen. Der freye Grieche ist geschaffen, um über Barbaren zu herrschen, die zur Knechtschaft bestimmt sind!“ – – Hat Korneille seine Weiber je etwas Stärkeres sagen lassen?

Achilles wird durch diesen Seelenadel äußerst gerührt. „Die Götter würden mich beglücken, wenn sie mir deine Hand schenkten. Du hast edel gesprochen, du bist deines Vaterlandes werth. Meine Liebe, mein Wunsch dich zu besitzen, werden dadurch vermehrt!“

Inzwischen muß er doch als Grieche dem Schicksale, dem Ausspruche der Götter, und dem Ruhme des Vaterlandes mit seiner Liebe weichen: und selbst Klytemnestra ergiebt sich endlich in den Willen ihres Kindes. Wie schön erscheint Iphigenia in der Unterredung mit ihr! Ihre Geschwister sollen nicht um sie trauern, und – ihre Mutter soll den Vater, ihn, der sie aufopferte, lieben und ehren!

Wie ist es möglich, daß Euripides, der hier eine so feine Empfindung des Sittlichen verräth, den Agamemnon nach der Rettung der Iphigenia mit folgender frostigen Rede an Klytemnestra auftreten lassen kann? „Höre auf, über das Schicksal deiner Tochter unruhig zu seyn. Sie genießt des Umgangs der Götter. Nimm das Kind mit dir, und kehre nach Argos zurück. Die Flotte segelt ab, und ich muß Abschied von dir nehmen. Wenn ich von Troja wiederkomme, so sprechen wir mehr mit einander. Jetzt reise ab, und sey glücklich!“ – Wozu ließ der Dichter den Agamemnon wieder auftreten? Ich kann mir das Räthsel nicht anders lösen, als wenn ich annehme, der Zug gehörte mit in den individuellen Charakter Agamemnons, der bloß mit der Eroberung Troja’s beschäftigt, jetzt, da die Hindernisse der Abreise gehoben waren,[WS 12] in möglichster Eile abzusegeln wünschte. Denn daß Euripides nicht gefühlt haben sollte, daß der Zuschauer entweder den Vater gar nicht, oder in Ergießung zärtlicher Freude, seine Gattin wieder zu sehen erwartete, davon kann ich mich nicht überzeugen.

Die Elektra des Euripides schildert eine Prinzessin, die an einen Mann von gemeinem Stande verheirathet war. Sehr auffallend ist[WS 13] bey einem Republikaner, wie Euripides war, die Achtung, die er ihr von ihrem Gatten ihres höhern Standes wegen beweisen läßt; besonders auffallend die Enthaltsamkeit von der Ausübung ehelicher Rechte einer gewissen Art, die er sich aus Ehrfurcht für die Tochter seiner Könige zur Pflicht gemacht hat. Demungeachtet erkennt Elektra seine Superiorität. „Es ist schimpflich“, sagt sie, „wenn das Weib im Hause regiert, und nicht der Mann. Es ist mir höchst widerlich, wenn die öffentliche Stimme von den Kindern wie von Nachkommen der Mutter und nicht des Vaters spricht. Wer ein Weib von höherem Range und edlerem Blute heirathet, sinkt in sein Nichts zurück, und verliert sich im Glanze seines Weibes.“

Elektra wird mit einem festen hohen Charakter geschildert, der besonders in dem Hasse und in der Rachsucht wider die Mutter, von aller Weiblichkeit nach unsern Begriffen entblößt ist. Demungeachtet hat sie nur sehr geringe Begriffe von den Rechten und Vorzügen ihres Geschlechts, und sehr strenge von dessen Pflichten. Außer der schon angeführten Stelle gehören noch folgende hieher. „Den Mann mag ich nicht, dessen schönes Gesicht in Sanftheit mit des Mädchens Schönheit wetteifert: aber den, der einen männlichen Ausdruck zeigt.“ Klytemnestra rechtfertigt sich wegen des Mordes ihres Gatten durch die üble Behandlung, die sie von ihm erfahren hat. Elektra aber hält sie dadurch gar nicht entschuldigt. „Es ziemt dem Weibe“, sagt sie, „den Mann zu ertragen, und ihm willig zu gehorchen.“ Sie wirft der Mutter ihre Lust vor, sich in Abwesenheit des Mannes zu schmücken, und findet darin einen Beweis von Gefallsucht. „Unweise ist derjenige“, setzt sie hinzu, „der durch Reichthum und hohe Geburt angelockt ein lasterhaftes Weib heirathet. Alle Vortheile eines äußern Wohlstandes wiegen das häusliche Glück nicht auf, welches dem keuschen, obgleich niedrigen Ehebette eigen ist.“ Diese Worte nimmt das Chor mit folgender Bemerkung auf: „Das Schicksal bestimmt den Erfolg der Ehen. Einige sind Quellen des Glücks für die Sterblichen, andere gewähren weder Glück noch Ehre!“

Merkwürdig ist auch dieser Zug, daß der ehrerbietige Gatte der Elektra es dennoch sehr übel nimmt, wie er sie im Gespräch mit dem ihm unbekannten Schwager außer Hause antrifft. „Es ziemt sich nicht“, spricht er, „daß Weiber sich außer Hause bey jungen Männern aufhalten!“ – Elektra theilt willig seine Arbeiten. „Du hast genug im Felde zu thun“, spricht sie, „mir gebührt es, die innere Wirthschaft zu führen. Wie angenehm ist dem Ackersmann, wenn er ermüdet von der Arbeit nach Hause kehrt, die Ueberzeugung, daß alles daheim in guter Ordnung ist!“ Demungeachtet geht sie ihm mit gutem Rathe zur Hand, und belehrt ihn, wie er die vornehmen Fremden, die zu ihm kommen, auf eine ihrer würdige Art empfangen soll.

In der Hecuba stellt der Dichter besonders einen der edelsten weiblichen Charaktere in der Polyxena dar. Zum Opfer bestimmt, sagt sie zu ihrer Mutter: „Ich klage nicht um mich, daß ich sterben soll. Das Ende meiner Leiden ist mir willkommen! Aber daß du, Mutter, in deinem Alter ohne Stütze bleibst, das schmerzt mich.“ – Weit entfernt, daß sie um ihr Leben bitten sollte, fordert sie nur den Tod. Aber die Mutter will auch für sie sterben. – Verachtung des Todes war bey den Griechen das sicherste Kennzeichen des Seelenadels, und es ist ein vortheilhaftes Zeichen für die Achtung, worin das Geschlecht beym Euripides gestanden hat, daß er diese Stärke seinen Heldinnen so oft beylegt.

Aber diese Stärke war mit Sittsamkeit gepaart. Polyxena, als sie sterben soll, bittet, daß niemand sie berühren dürfe. Sie biethet selbst ihren Nacken dem Streiche dar, und sucht im Fallen sich noch so zu legen, daß das Gewand ihre Glieder anständig bedecke. Dieß Betragen fordert die Griechen zur höchsten Bewunderung auf, ob Polyxena gleich eine Trojanerin ist. Sie eilen hin, der Entseelten ihre Verehrung zu bezeugen.

Wer kann bey so deutlichen Beweisen von Achtung für das zärtere Geschlecht sich noch an die Rede eines Polymnestor stoßen, wenn dieser ausruft: „Ja! ich nehme alles zusammen, was je Böses wider die Weiber gesagt ist, oder hat gesagt werden können! Es giebt auf der Erde und im Meere nichts, was ihnen an Bosheit gleich kommt. Derjenige, der sie am besten kennt, fühlt diese Wahrheit am meisten!“ – Der Elende hatte Hecuba um ihre ihm anvertrauten Schätze betrogen, er hatte ihren Sohn gemordet, und die tiefgebeugte Mutter hatte ihn durch List in ihr Zelt gelockt und geblendet. Unter solchen Umständen müssen die Schmähreden des Polymnestors seinem Charakter und seiner Lage zugeschrieben werden. Und dennoch wird er von dem Chore zurecht gewiesen. „Bändige deine Zunge“, ruft es ihm zu. „Verachte nicht das Geschlecht ohne Unterschied. Einige Weiber sind freylich mit fehlerhaften Anlagen geboren, aber viele sind auch achtungswürdig durch Tugend!“

Im Orestes verräth Euripides besonders die atheniensischen Ideen, nach welchen Gattenzärtlichkeit zwar interessant war, aber hinter Geschwisterliebe und Liebe zum Vaterlande zurückstand.

Wie zärtlich ist Elektra’s Sorge für den kranken Bruder! „Angenehmes Geschäft“, sagt sie, „für eine Schwester, ihn zu warten!“ Orest erwiedert ihre Liebe. „Sorge für deine Gesundheit“, sagt er: „Verlöre ich dich, so wär ich ganz verloren. Du bist mein einziger Trost!“ Er räth ihr, ihn zu verlassen. „Dich verlassen?“ antwortet Elektra, „Nein! ich bin entschlossen, mit dir zu leben und zu sterben!“

An einer andern Stelle sagt eben dieser Orest: „wenn eine Ehe wohl gestimmt ist, so bringt sie die schönste Harmonie hervor. Ist sie es aber schlecht, so entsteht ein schreyender Mißklang, der auch außerhalb des Hauses die Ohren beleidigt.“ – Das Chor sagt: „Unser Geschlecht war von jeher bestimmt, durch sein Unglück das Unglück der Männer zu vermehren!“

Elektra ist an Pylades verheirathet. Ihr Bruder Orestes ist mit ihr zum Tode verdammt. Die Schwester will von des Bruders Hand sterben, aber sie gedenkt nicht des Gatten. Pylades erwähnt anfangs ihrer gleichfalls nicht. Er will mit Oresten sterben, mit ihm, den er nicht überleben kann. Orestes muß ihn erst daran erinnern, daß er verheirathet sey, indem er ihm vorstellt, er könne in einer zweyten Ehe glücklich seyn. Nunmehro ruft er erst aus: „Ich will zugleich mit dir und mit ihr sterben. Mit ihr, die meiner Seele theuer, die mir angetrauet, die mein Weib ist!“

Klugheit mit Kühnheit gepaart war ein großer Vorzug bey dem Weibe nach den Begriffen der Athenienser. Orestes und Pylades beschließen, die Helena umzubringen. Elektra räth, man solle sich ihrer Tochter, der Hermione, bemeistern, und sie als eine Geißel brauchen, der Rache des Menelaus zu entgehen. Orestes findet dieß vortrefflich. „Unvergleichliches Weib!“ ruft er aus: „du gattest einen männlichen Geist mit einer göttlichen Gestalt. Du solltest sterben? O Freund, (zum Pylades) du solltest ihren Verlust beweinen? Mit einem so vollkommnen Weibe würde die Ehe die höchste Stufe des Glücks gewesen seyn.“ – „Wollte der Himmel“, sagt Pylades, „meine warmen Wünsche erhören, ich würde sie in mein Vaterland heimführen, und Hymen würde in unserm Gefolge lächeln!“

In den Phönicierinnen erscheint wieder eines von des Euripides edeln Weibern, Antigone, das Klugheit und Muth mit Sittsamkeit paart,[WS 14] und der Sklaverey den Tod vorzieht. Merkwürdig ist hier der Zug seines alten Führers, der erst sorgfältig ausspäht, ob auch ein Thebaner die Jungfrau sehen könne, die auf den Thurm steigt, um die Schlacht, die sich die Heere ihrer beyden Brüder liefern, mit anzusehen. „Jungfräuliche Bescheidenheit“, sagt er, „zieht sich vor dem Anblick der Männer zurück!“ – Und doch hatte Antigone, wie der Dichter ausdrücklich bemerkt, Erlaubniß von der Mutter zu ihrem Ausgange erhalten.

Diese jungfräuliche Sittsamkeit legt der Dichter nun auch in ihren eigenen Charakter, aber neben hoher und edler Kühnheit. Die Mutter fordert sie auf, ihr in das Feld zu folgen, um einem Zweykampf zwischen ihren Brüdern vorzubeugen. Anfangs zittert Antigone, sich zwischen den Haufen bewaffneter Männer zu begeben, aber bald setzt sie sich muthig über diese Bedenklichkeit weg, und feuert selbst die Mutter an, keine Zeit zu verlieren. Ihr Betragen nach dem Tode ihrer Brüder ist äußerst edel. Sie trotzt dem Tyrannen, der sie verhindern wollte, ihren Bruder zu begraben, und schlägt die Hand seines Sohnes und den Scepter aus, um ihrem[WS 15] blinden Vater ins Elend zu folgen.

Auch die Mutter, Iocasta, ist ein schöner weiblicher Charakter, der besonders in der Vermahnung ihrer Söhne zur Einigkeit große Weisheit zeigt.

Medea ist eines der berufensten Stücke des Euripides, wegen der Galle, die er darin gegen das weibliche Geschlecht ausgeschüttet haben soll. Ich will unbefangen die Wahrheit prüfen.

Die Wirkung betrogener Liebe bey einem äußerst heftigen, mit Kraft zu schaden ausgerüsteten Charakter darzustellen, war die Absicht des Dichters. Er hat offenbar das Publikum für Medea interessieren wollen. Gleich zu Anfange des Stücks sucht die Wärterin der Medea alles Unrecht auf Jason zu schieben. Sie fürchtet die gewaltsamsten Entschlüsse von dem heftigen Charakter ihrer Gebieterin. Medea tritt auf, und schildert das traurige Loos eines verheiratheten Weibes. „Unter allen lebenden und vernünftigen Creaturen“, sagt sie, „ist ihm das traurigste Loos beschieden. Zuerst muß es durch große Schätze sich einen Mann erkaufen, und seiner Person einen Herrn geben. Wie oft läuft es dann Gefahr, einen bösen zu bekommen! Es wird der Gattin immer verdacht, wenn sie sich von dem Manne scheiden läßt. Und doch müßte sie eine Prophetin seyn, um ihn, dessen Sitten und Willen sie forthin unterworfen wird, zum Voraus zu kennen. Wohl ihr, wenn sie durch Güte, durch gute Aufführung nur kein zu schweres Schicksal verdient, sonst ist es besser für sie, zu sterben. Wenn der Mann Leiden zu Hause hat, so geht er aus, und tröstet sich mit Freunden und Bekannten. Wir sitzen daheim, und erwarten unser Schicksal von Einer Seele. Man wirft uns vor, wir lebten zu Hause ohne Gefahr; aber lieber will ich mich dreymahl ins Feld stellen, als Ein Mahl die Wehen des Kindbettes erdulden. Und glücklich noch, wer in seinem Vaterlande unter Freunden und Verwandten wohnt! Ich aber leide und bin fremd und verlassen, und habe Niemanden, der mich rette. Darum will ich mich rächen! Das furchtsame Weib, ungeschickt zum Kriege und zum Anblick des Schwerts, fühlt sich zur grausamsten Rache fähig, wenn seine ehelichen Rechte gekränkt werden!“

So Medea! Das Chor antwortet: „Mit Recht rächst du dich an dem Gatten: mit Recht beklagst du dein Schicksal!“

Noch aber hält der Dichter den Zorn seiner Medea nicht hinreichend durch die Untreue Jasons motiviert. Creon, der Vater ihrer Nebenbuhlerin, muß sie aus dem Lande mit ihren Kindern treiben wollen.

„O Liebe!“ ruft Medea aus, „welch Unglück bringst du über die Menschen!“ „Das ist darnach“, antwortet Creon, „wie es das Schicksal lenkt!“

Merkwürdig ist die Stelle, welche anzudeuten scheint, daß schon dazumahl Weiber von Kenntnissen und großem Verstande den Neid und den Haß ihrer Mitbürger auf sich gezogen haben. „Den Dummen“, sagt Medea, „scheint man unnütz und unweise zu seyn, wenn man eine neue Idee vorbringt: denen die selbst Ansprüche auf Klugheit machen, wird man durch seinen Ruf beschwerlich.“

Medea erhält die Erlaubniß, noch einen Tag zu bleiben, und beschließt, diesen zur Rache anzuwenden. „Du sollst nicht von dem Geschlechte des Sisyphus und Jasons künftigem Weibe verspottet werden, du Tochter der Sonne, von einem größern Vater geboren! Du vermagst etwas! Und sind wir Weiber überhaupt, so ungeschickt wir immer zum Guten seyn mögen, nicht immer im Unheilstiften erfahrne Meister?“

Diese ist eine von den Stellen, die man zum Belege des Weiberhasses unsers Dichters anführt. Allein sie beweiset nichts. Euripides, der überhaupt allgemeine Sentenzen und epigrammatische Züge gegen die Sitten seiner Zeit anzubringen liebt, geht hier aus dem Charakter und aus der Situation seiner Heldin heraus, um ihr etwas in den Mund zu legen, was einer oder der andere unter den Zuschauern vielleicht über sie denken könnte: „Du bist immer mächtig genug, Uebels zu thun: du bist ein Weib!“ Aber das Chor lenkt ihn sogleich auf den rechten Weg. „Die Treulosigkeit der Weiber“, sagt es, „ist oft in beißenden Liedern besungen worden. Aber sollte unser Geschlecht von den Männern singen, wie viel könnten wir von ihrer Treulosigkeit sagen!“ Es geht darauf zur Vertheidigung der Medea über: es setzt ihre traurige Lage und die Schuld Jasons aus einander. Dieser hat einen Schwur gebrochen: Medea muß einer mächtigen Nebenbuhlerin weichen, ohne einen Schutzort zu finden.

Medea hält dem Jason sein Unrecht und ihre traurige Lage mit der größten Beredtsamkeit vor. Sie hat ihn gerettet, sie hat ihm das Liebste aufgeopfert, was sie hatte, und er verstößt sie mit ihren Kindern. Jason entschuldigt sich mit den schlechtesten Gründen, die zugleich den größten Uebermuth und die elendeste Selbstsucht verrathen, und schließt nunmehro mit folgenden Worten: „Ihr Weiber glaubt, alles sey gut, wenn nur die eheliche Treue unverletzt bleibt. Wenn aber diese im geringsten beleidigt wird, so seht ihr die unschuldigsten, rechtschaffensten Handlungen als die größten Feindseligkeiten an. Wollte der Himmel, daß es gar keine Weiber gäbe, und daß das menschliche Geschlecht sich anders als durch ihre Vermittlung fortpflanzen ließe!“

Auch in dieser Stelle findet man einen Beweis des Weiberhasses unsers Dichters, ohne zu bedenken, daß sie in die individuelle Situation des Jason, und in den Ton der Comödie gehört, von dem sich das Trauerspiel der Griechen nie ganz gereinigt hat. Aber das Chor mißbilligt überher seine Rede, und wirft ihm vor, daß er eine schlechte Sache zu beschönigen suche. Medea zeigt sich in der ganzen Scene eben so edel, als Jason sich verächtlich darstellt. Er biethet ihr Geld und Empfehlungen an seine Gastfreunde in der Fremde an. Medea schlägt beydes aus. „Gaben schlechter Menschen“, sagt sie, „bringen nichts Gutes!“

Medea findet an dem Aegeus einen Beschützer, der sie bey sich aufnehmen will, und das Betragen des Jason höchst mißbilligt. „Er begeht“, sagt er, „eine schändliche That, indem er sich ein anderes Weib zulegt.“ – Medea sicher, einen Zufluchtsort zu finden, denkt nun mit Ernst an die Ausführung ihrer Rache!

Unstreitig schadet der Dichter durch die Ueberlegung, welche Medea anwendet, dem Interesse, welches er für sie einflößen will. Er hätte ihre That ganz als Wirkung der Verzweiflung vorstellen sollen. Auch dadurch verliert sie, daß sie jetzt gegen den Jason die Erkenntniß ihres Unrechts heuchelt. Inzwischen kann diese Wendung, und das Böse, was der Dichter durch sie von ihrem Geschlechte sagen läßt, um den Gemahl sicher zu machen, nicht für seine allgemeine Verachtung des Geschlechts zeugen. Medea ersucht den Jason, seine Frau selbst zu bitten, daß sie ihren Vater bewegen möge, ihren Kindern Aufenthalt und Erziehung in ihrem Hause zu gestatten. „Ich hoffe“, antwortet er, „sie zu überreden, wenn sie nur ein Weib wie andere ist.“ Liegt in diesen Worten ein Vorwurf von Geistesschwäche für das Geschlecht, so schließen sie wenigstens den seiner Hartherzigkeit aus.

Der höchste Kampf der mütterlichen Liebe wider empörte Gattenliebe erscheint in der Medea, ehe sie den schrecklichen Kindermord beginnt. Sie ist eine Barbarin, keine Griechin; ihre grausame That ist durch die Sage authorisiert, und dennoch sucht Euripides alles hervor, um sie wahrscheinlich und weniger empörend zu machen. Gewiß, es war seine Absicht, für die Person der Medea zu interessieren, und diesen Zweck wird er bey jedem Leser, ungeachtet des Abscheues gegen die Handlung selbst, noch heut zu Tage erreichen. Wäre er wirklich der Weiberhasser gewesen, für den man ihn ausgiebt, so würde er den Jason gehoben, für ihn interessiert, und Medea in dem gräßlichsten Lichte haben erscheinen lassen.

Euripides trauet den Weibern sogar Anlagen zu den Wissenschaften zu. Das weibliche Chor erstaunt über die Reden der Medea, die voller Einsicht sind. „Oft“, sagt es, „habe ich darüber nachgesonnen, und mit scharfsinnigen Gründen darüber gestritten, ob es dem weiblichen Geschlechte zieme, sich auf Wissenschaften zu legen. Denn die Muse neigt sich auch oft zu uns herab, und lehrt uns Weisheit, wenn sie sich gleich nicht allen offenbart!“

Vor allen Dingen müssen wir bey der Prüfung der Denkungsart unsers Dichters über das zärtere Geschlecht nie vergessen, daß er diejenigen Reflexionen, welche bey dem Zuschauer über die Situation entstehen können, den handelnden Personen selbst in den Mund zu legen, sie zu generalisieren, und oft mit einem epigrammatischen, der Comödie angehörenden Seitenblick auf die Sitten seiner Zeit, auszudrücken liebt. In dieser Rücksicht können die Klagen über die Folgen der Ehe, welche die Betrachtung des Schicksals der Medea herbeyführten, nicht zum Beweise der Verachtung des ehelichen Standes dienen. Am wenigsten aber dürfen wir daraus auf eine Verachtung der Weiber, als einziger Ursach dieser Folgen schließen. So sagt zwar das Chor: „O Ehe, wie reich bist du an traurigen Folgen! Welch Unglück hast du auf die Männer gebracht!“ Und an einer andern Stelle: „der unverheirathete und kinderlose Stand hat mehr Anspruch auf Glück und Ruhe, als derjenige, der uns die Sorge für eine zahlreiche Nachkommenschaft auflegt. Wie viel Bekümmernisse erweckt dieser für ihre Erziehung, für ihren künftigen Wohlstand, für ihre Aufführung, endlich für ihr Leben! Warum haben die Götter zu allen unsern Leiden noch das hinzugefügt, daß wir über der Bahre frühzeitig entrissener Kinder weinen müssen!“ – Allein hier liegt die Abneigung gegen eine engere Verbindung mit dem Weibe gewiß nicht an einer Verachtung des Geschlechts. Und so darf ich gewiß behaupten, daß der Vorwurf des Weiberhasses und der Ehescheue, der dem Euripides gemacht wird, aus seiner Medea nicht gerechtfertigt werden könne.

Ich gehe in meiner Untersuchung weiter fort. Es ist unmöglich, den Streit zwischen leidenschaftlicher Geschlechtssympathie und hohem weiblichem Ehrgefühl interessanter darzustellen, als Euripides es in seiner Phädra gethan hat, und dennoch soll auch dieß Trauerspiel zum Beweise seines Weiberhasses gelten! Die Invektiven des Hippolytus gegen das zärtere Geschlecht werden besonders in dieser Absicht angeführt. Allein man bedenkt nicht, daß Hippolytus als Philosoph und Diener der Diana, folglich als ein Mann von ganz eigenthümlichen Grundsätzen, und überher aufgebracht über die schändlichen Begierden seiner Stiefmutter, diese Schmähreden äußert. Hätte Euripides seine eigene Denkungsart in der Rede geschildert, die er dem Hippolytus in den Mund legt, so würde[WS 16] er gewiß die Phädra dem Bilde des verächtlichen Wesens, das hier von dem Weibe entworfen wird, ähnlich dargestellt haben. Allein der Dichter bemüht sich, alle Schuld von ihr ab, auf das Schicksal, die Götter und ihre Vertraute hinzuwälzen. Nicht Haß, nicht Rache, sondern Sorge für ihren Ruf und ihre Selbsterhaltung zwingen sie wider ihren Willen, den Stiefsohn als den Räuber ihrer Unschuld anzuklagen. Aber noch ehe sie den Erfolg dieses Schrittes erfährt, endigt sie ihr Leben durch einen freywilligen Tod. Racine, dem doch gewiß kein Weiberhaß zur Last gelegt werden kann, läßt seine Phädra in keinem so günstigen Lichte erscheinen. Beym Euripides ruft sogar das Chor nach ihrem Tode aus: „Bestes der Weiber, warum hast du uns verlassen?“ Theseus ist über ihren Tod untröstlich. Er will nie wieder heirathen, er will mit ihr sterben. Läßt es sich denken, daß ein Dichter, der das ganze Geschlecht verachtet, seine Gatten so zärtlich darstellen würde?

Was beweisen doch einzelne Invektiven, welche der Moment des Affekts einflößt und ausstößt! Theseus, ergrimmt über den blutschänderischen Sohn, der sich viel mit der Philosophie abgegeben hat, eifert stark gegen die Philosophen. Wollen wir nun sagen, Euripides sey ein Feind aller Philosophen gewesen?

Aber Aristophanes hat doch den Euripides als einen Weiberfeind dargestellt! Freylich! und daher rührt auch das ganze Vorurtheil. Allein die Anzapfungen eines Spötters können doch nicht für einen Beweis gelten! Hat er nicht auch den Euripides beschuldigt, daß er den Meineid vertheidige, weil er den Hippolytus sagen läßt: mein Mund schwört, aber mein Herz verläugnet den Schwur! Und opfert sich demungeachtet nicht eben dieser Hippolytus auf, um jenen unüberlegten, ihm abgelockten Schwur, die Stiefmutter nicht zu verrathen, unverbrüchlich zu halten? Der Ausfall des Hippolytus gegen die gelehrten Weiber zeigt nur, daß die Matronen in Athen nicht ohne Geistesbildung gewesen sind, und daß schon damahls wie jetzt, dieser Vorzug von einigen gepriesen, von andern getadelt, und als eine vermehrte Gefahr für weibliche Tugend angesehen wurde. Wenn Theseus in der Folge gegen den Hippolytus behauptet, daß Jünglinge, denen Liebe den Kopf verrückt, um nichts stärker als verliebte Weiber wären, so beweiset dieß, daß der Dichter den Werth des Menschen nicht so wohl von dem Geschlechte, als von der Stimmung des Gemüths abhängig hielt.

Mit einem hohen Begriff von der weiblichen Natur und der Anlage des zärtern Geschlechts zur sittlichen Veredlung bestehen sehr wohl einzelne satyrische Züge gegen die verdorbenen Sitten, die dem großen Haufen unter ihm eigen zu seyn pflegen. Eben diese Vereinigung finden wir ja auch beym Rousseau, und bey mehreren andern Schriftstellern. Beym Euripides beweisen jene Seitenhiebe um so weniger, da er nicht bloß nach Weibern, sondern auch nach Philosophen, Richtern, Barbaren, Lacedämoniern, und selbst nach den Atheniensischen Männern damit ausschlägt.

Andromache, die edle Andromache, wird diese Behauptung am auffallendsten ins Licht stellen. Wie liebend, wie aufopfernd erscheint sie in der Stelle, worin sie sagt: „Es ziemt dem Weibe, wenn’s gleich an einen bösen Mann gekettet ist, ihn zu ehren, und nicht durch Eigensinn und Hochmuth Veranlassung zur Uneinigkeit zu geben. Wir Weiber sind eben so wohl wie die Männer den Anfällen der Eifersucht ausgesetzt, aber wir wissen sie bescheiden zu unterdrücken. O mein geliebter Hektor! ich schonte deiner Verirrung, ich nährte deine Kinder, die mir nicht gehörten, an meiner Brust, um deine Ruhe durch keine unfreundliche Begegnung zu stören, und mir durch Achtung deine Liebe zu erhalten!“ Diese wahrhaft liebende Gesinnung gehört allen Zeiten an, wenn gleich die Handlung, wodurch sie sich äußert, ins Heldenalter zurückgeführt werden muß.

Die Art, wie eben diese Andromache sich für ihren Sohn aufzuopfern bereit ist, liefert einen neuen Zug dieses schönen Charakters, der an einer andern Stelle in die Worte ausbricht: „Nicht Schönheit fesselt den Mann, sondern einnehmende Tugend!“ – Ueberall wird in diesem Schauspiele treue Anhänglichkeit an einem einzigen Weibe eingeschärft. Das Chor empfiehlt sie. Hermione sieht die Monogamie als einen Vorzug der Griechen vor den Barbaren an, und Menelaus sagt: „Das Weib hat in Ansehung der ehelichen Treue gleiche Rechte mit dem Manne, nur mit dem Unterschiede, daß dieser die Untreue des Weibes selbst richtet und bestraft, die Frau aber Hülfe bey ihren Anverwandten findet.“

Die Verirrungen der Gattinnen werden hauptsächlich dem übeln Beyspiele und dem verführerischen Rathe anderer Weiber von verdorbenen Sitten zugeschrieben, und Hermione räth daher, weibliche Freundinnen von ihnen zu entfernen.

Orestes zeigt gegen das Ende des Stücks ein merkwürdiges Beyspiel von liebender, beynahe romanhafter Standhaftigkeit. Er, der vorher um Hermionen geworben hatte, aber vom Peleus verworfen war, hat sie, ungeachtet ihrer Ehe mit Pyrrhus[WS 17], nicht vergessen können, und biethet ihr, nachdem sie von ihrem Gemahle verlassen war, seine Hand an.

Wie können neben solchen Stellen, welche so deutliche Beweise der Achtung und Zärtlichkeit für das Geschlecht enthalten, diejenigen in Betracht kommen, worin z. B. Andromache sagt: „Keine Viper beißt wie eine böse Weiberzunge! Solch Unglück bringen wir über die Männer!“ – Oder jene, worin sie einer Sklavin Muth zur Ausrichtung eines gefahrvollen Auftrags einspricht, und hinzusetzt: „Du bist ein Weib, du wirst dir schon durchhelfen.“ – Was wollen sie mehr sagen, als jenes Shakesspearische Wort: Schwachheit, dein Nahme ist Weib! Was können sie besonders bey einem Dichter bedeuten, der so gern allgemeine Sentenzen vorbringt, daß er sogar von der Jugend beyder Geschlechter sagt: Weh! Weh! die Jugend ist ein großes Uebel für die Menschen! Jugend hat keine Tugend! u. s. w.

Gleich wieder in den Supplicantinnen giebt die Rede des Theseus an den Adrast einen Beweis des satyrischen Muthwillens des Euripides ab. Wie beißend ist die Beschreibung der drey Arten von Bürgern in den Republiken! und jener Ausfall auf die weitläuftigen Beschreiber von Schlachten. Dabey kommen in diesem Stücke wieder zwey höchst edle weibliche Charaktere vor: Aethra und besonders Evadne. Die erste wird vom Theseus mit den Worten zum Reden aufgefordert: „Oft sey Weisheit aus einem weiblichen Munde geflossen.“ – Die letzte ist beynahe ins Romantische übertrieben. Ihr Gatte war vor Theben geblieben, und erhielt vom Theseus ein ehrenvolles Begräbniß. Evadne ruft aus: „Nichts sey süßer, als neben dem geliebten Gegenstande sein Ende zu finden. Ihr Körper solle mit dem ihres Gatten zugleich ein Raub der Flamme werden, sie wolle bey demjenigen sterben, den sie in ihrem Leben so sehr geliebt habe.“ Nichts kann sie abhalten, diesen Entschluß auszuführen; selbst das Flehen ihres Vaters nicht. Sie wirft sich von einer Anhöhe auf den Scheiterhaufen des Gemahls herab und stirbt.

Rhesus ist das einzige Trauerspiel unsers Dichters, in dem die Damen keine Hauptrolle spielen. Dagegen kommen in den Trojanerinnen wieder mehrere Züge der Achtung vor, die Euripides für weibliche Tugend, Zärtlichkeit, und für das eheliche Glück hegte, das auf beyden beruht. Freylich sind seine Forderungen streng, aber er schrieb in Athen, in einer Republik.

Ich strebte, sagt Andromache, dem Ruhm einer weisen Matrone in Hektors Hause nach. Ich blieb daheim, aber ohne mich dem Geträtsche besuchender Weiber zu überlassen. Ich beschäftigte mich mit nützlichen Arbeiten, und unterhielt meinen Gatten mit liebevollen Blicken und sparsamen Reden. Ich wußte wo ich zu befehlen, und wo ich zu gehorchen hatte. – Meine Seele verabscheuet diejenigen, die in einer neuen Ehe den ersten Gatten vergessen, und einen zweyten lieben. – O mein geliebter Hektor! Ich war glücklich mit dir! Du warst der Gegenstand aller meiner Wünsche: groß an Geist, an Geburt und Macht, u. s. w.

In den Bacchantinnen sagt Tiresias: „Bescheidenheit und Keuschheit sind eigenthümliche Tugenden der Weiber.“ In den Heracliden biethet sich Macaria, Tochter des Herkules, zum Opfer an, um den Atheniensern einen Sieg zu verschaffen, der ihre Geschwister rettet. Im wüthenden Herkules zeigt sich dieser, so lange er noch bey Vernunft ist, als einen liebenden Gatten. „Wer hat ein größeres Anrecht auf meinen Beystand“, ruft er aus, „als Gattin, Kinder und Vater! Ich gebe alle andere Unternehmungen auf, um ihnen zu helfen.“ Im Ion sagt Kreusa: „Wir Weiber haben einen harten Stand bey den Männern: die guten werden mit den schlechten verwechselt.“ Das Chor breitet sich weitläufig über den Vorzug aus, Kinder zu haben. „Ich hasse“, sagt es, „ein kinderloses Leben, und tadle den, der es liebt. Ich will lieber ein geringes Vermögen besitzen, und Eltern-Freuden genießen.“ „Ich will nicht, (sagt der Gatte der Kreusa, der ein unechtes Kind wieder gefunden zu haben glaubt, mit ihr aber in kinderloser Ehe lebt,) ich will nicht, daß mein Weib über seine Unfruchtbarkeit Kummer empfinde, während daß ich glücklich bin!“

Gewiß! so spricht wahre Zärtlichkeit! Nirgends aber zeigt sich diese stärker, als in der Helena. Man kann sagen, daß dieses Schauspiel einen wahren Roman im Kleinen enthalte, und daß man es mit sehr wenig Mühe zu einem größern in der Manier der spätern Werke der Erotiker ausspinnen könnte. Ich will eine etwas detailliertere Nachricht davon geben.

Helena ist nach dem Euripides nie in Troja gewesen. Merkur hatte sie dem Proteus, Könige von Aegypten, anvertrauet, der ihr einen sichern Zufluchtsort in seinen Staaten gewährte, während daß sich Paris mit einem Scheinbilde der wahren Helena, aus einer Wolke geformt, in Troja befand, und die Griechen um sie stritten. Nach der Eroberung dieser Stadt kehrte Menelaus mit dem falschen Exemplare der Helena zurück, und ward nach Aegypten verschlagen. Hier befindet sich die wahre Helena in großer Verlegenheit. Proteus war gestorben, sein Sohn, Theoklymenes, will sie heirathen. Sie eröffnet die Scene mit Klagen über ihr Schicksal. Ihr unglücklicher Gatte streitet um ihretwillen vor Troja, viele Griechen sind aus eben diesem Grunde gefallen, und ihr Nahme ist allgemein gehaßt und beschimpft. Sie würde ihrem Leiden erliegen, wenn ihr Merkur nicht die Hoffnung gegeben hätte, dereinst mit ihrem wiedergefundenen Gatten nach Sparta zurückzukehren. Jetzt leidet sie besonders durch die Verfolgungen des Theoklymenes. Um sich vor seinen Andringlichkeiten zu sichern, und ihrem ersten Gemahle unverbrüchliche Treue zu bewahren, wirft sie sich auf dem Grabmahle des Proteus nieder, und fleht ihn um Schutz für ihre Tugend an. „Ist gleich mein Nahme in Griechenland allgemein beschimpft“, sagt sie, „so soll doch meine Person makellos bleiben!“ – Welch ein hoher Begriff von uneigennütziger Pflicht! Sie wird durch eine falsche Nachricht von dem Tode des Menelaus geschreckt. „Wie gern“, sagt sie, „würde ich diese Gestalt hingeben, in der die erste Quelle meines Unglücks liegt! Eine Hoffnung blieb mir noch übrig, die, meinen Gatten wieder zu sehen; und auch die wird mir geraubt!“ Inzwischen überläßt sie sich auf Anrathen des Chors nicht der Verzweiflung. Sie sucht vielmehr Trost bey der Theonoe, einer Seherin und Schwester des Theoklymenes. Diese hat ihr die Versicherung gegeben, daß Menelaus am Ende seiner Leiden mit ihr vereinigt werden würde, und daß er in der Nähe Schiffbruch gelitten habe. „Theuerer Menelaus“, ruft sie aus, „eile, dich meinen Wünschen wiederzuschenken!“ Er kommt: sie erkennen sich wieder, das Scheinbild verschwindet, und Menelaus wird überzeugt, daß er seine wahre, ihm niemahls untreu gewordene Gattin in seinen Armen hält. Der Wechselgesang, der jetzt folgt, kann in keiner heutigen Oper zärtlicher gedacht werden. „Ich habe, ich habe meinen Gatten wieder,“ ruft Helena: „ich habe mein Weib wieder,“ ruft Menelaus. „Nun sind alle Leiden vergessen; das Glück, dessen wir genießen, ist nicht zu theuer erkauft! Wie könnte einer von uns elend seyn: wir sind wieder vereinigt.“

Die beyden Liebenden wissen Theonoe für sich zu interessieren. Sie verschweigt die Ankunft des Menelaus ihrem Bruder. Helena giebt einen Plan zur Flucht an, dem Menelaus folgt. Er selbst kündigt dem Könige unter der erlogenen Rolle eines Mannes aus seinem Gefolge seinen Schiffbruch und seinen Tod an. Helena verspricht dem Theoklymenes ihre Hand, unter der Bedingung, daß er ihr erlaube, den Manen des Menelaus die letzte Ehre auf dem Meere zu beweisen. Er gestattet es nach mehrern Schwierigkeiten, welche die Intrigue des Stücks immer mehr verwickeln, bis sie endlich alle aufgelöset werden, und Helena mit ihrem Menelaus glücklich zu Schiffe geht, und entflieht.

Dieß ist der Inhalt eines Trauerspiels, das den vollständigsten Beweis giebt, daß die Athenienser die Begebenheiten und Gesinnungen eines liebenden Paars so gut als wir fähig gehalten haben, den Zuschauer zu interessieren: daß wahre und wechselseitige Zärtlichkeit zwischen Gatten keine fremde Empfindung für sie haben seyn können, und daß sie sehr hohe Begriffe von der Tugend und der Selbständigkeit der Matrone gehabt haben.

Ich muß noch ein Wort von den Fragmenten sagen, die sich aus einzelnen, verloren gegangenen Stücken unsers Dichters erhalten haben.

Man beruft sich oft, um seinen allgemeinen Weiberhaß zu beweisen, auf eine Stelle in dem Schauspiele Menalippa, worin es heißt: „Ich hasse alle Weiber, außer meiner Mutter!“ Wie wenig aber eine solche aus dem Zusammenhang herausgerissene Stelle einen gültigen Beweis für die angeführte Behauptung abgebe, zeigen zwey andere aus eben dem Schauspiele erhaltene Fragmente. Das erste lautet dahin: „Nichts ist schlimmer, als ein böses Weib: aber nichts ist auch besser, als ein gutes. So verschieden sind sie in ihren Charakteren!“

In dem zweyten heißt es ausdrücklich: „das Geschlecht der Weiber muß viel von ungerechter Beurtheilung leiden. Die schuldigen und ausschweifenden Frauen ziehen den unschuldigen und keuschen Schande und Vorwürfe zu. Daher glauben die Männer, daß sie alle kein richtiges Gefühl von den Pflichten der Ehe haben.“

Es kommen noch eine Menge von andern Stellen in diesen Fragmenten vor, die auf Weiberliebe und Weiberschätzung Beziehung haben, aber unmöglich als lauter Aeußerungen der wahren Denkungsart des Euripides betrachtet werden können, weil sie sich sonst geradezu unter einander widersprechen würden.

Aus diesen Bemerkungen läßt sich nun überhaupt das Resultat ziehen, daß Euripides gegen das zärtere Geschlecht, als solches, weder selbst Haß und Verachtung hegte, noch beydes bey seinem Publiko als herrschende Stimmung voraussetzen durfte. Inzwischen läßt sich auch mit eben der Gewißheit annehmen, daß in Athen, so wie überall, die guten Frauen mit bösen vermischt, und die Sitten des größeren Haufens keinesweges unsträflich waren. Die Neigung unsers Dichters zu allgemeinen Behauptungen; sein Hang zur Satyre; der Ton der Comödie, der bey den Atheniensern sich nie ganz aus dem Trauerspiele verloren hat, und vor allen Dingen, der individuelle Charakter und die besondere Situation der handelnden Personen; dieß alles muß bey den Invektiven gegen die Weiber in Anschlag gebracht werden, und wird sie auf dasjenige herunter setzen, was sie wirklich sind, nehmlich auf Rügen fehlerhafter Sitten, und Klagen über einzelne Personen. Dagegen beweisen die vielen edlen weiblichen Charaktere, die Euripides als handelnd aufgeführt, und die Art, wie er das Hauptinteresse beynahe ganz auf diese gelegt hat, seine Achtung für weibliche Tugend und Vortrefflichkeit.

Der Begriff dieser Tugend und Vortrefflichkeit des Weibes war aber freylich nach dem Geiste einer Republik, und vermöge der Absonderung des zärteren Geschlechts vom geselligen Leben in größeren Zusammenkünften, etwas anders modificiert als bey uns. Nachgiebigkeit, Gefälligkeit gegen den Gatten, wirthschaftliche Sorgfalt, Eingezogenheit überhaupt, Abneigung gegen das Geträtsch der Müßiggängerinnen, Vermeidung solcher jungen Männer, die nicht zur Familie gehörten, eine Schamhaftigkeit, die mehr im innern Gefühl der Pflicht, als in der Sorge für den äußern Ruf ihren Grund hatte, endlich Liebe zu den Kindern, Wachsamkeit über das Gesinde, und dessen liebreiche Behandlung; das waren die Pflichten der Sittlichkeit und des Anstandes für die Matrone. Hervorstechender Edelsinn zeigte sich bey ihr durch die Duldung der Härte, und selbst der Untreue des Gatten, noch mehr durch Hingebung des Lebens zu seiner Rettung, oder zur Bewahrung der gelobten Treue, und am stärksten durch heldenmüthige Aufopferung für die Familie und das Vaterland.

Die Matrone, die mit diesen Tugenden, mit diesem Seelenadel ausgesteuert war, durfte des allgemeinen Interesses sicher seyn, und die Zärtlichkeit des Gatten für sie war dem Zuschauer weder unbekannt, noch für den in dieser Situation dargestellten Helden erniedrigend. Allein den nehmlichen Anspruch auf begeisterte Bewunderung scheint doch die zärtliche oder leidenschaftliche Anhänglichkeit des Mannes an seinem Weibe nicht gehabt zu haben, den eben diese Stimmung von Seiten der Frauen erweckte. Einen seufzenden, in seiner Bewerbung unerhörten Liebhaber, oder einen durch Leichtsinn des Weibes sich unglücklich fühlenden Gatten finden wir nirgends dargestellt, und es ist sehr wahrscheinlich, daß er dem Athenienser ziemlich uninteressant, wo nicht lächerlich vorgekommen seyn würde. Sicher würde ein Bürger von Athen den Mann, der seine Ansprüche auf Ruhm und öffentliche Thätigkeit der Geliebten hätte aufopfern können, gemißbilligt, und sogar verachtet haben!

Euripides hat das Weib zwar mehr gehoben als seine Vorgänger, ihm mehr Gleichheit der Rechte mit dem Manne eingeräumt, und eben dadurch die zärtliche Anhänglichkeit des letzten an seiner Gattin mehr gerechtfertigt; aber allemahl bleibt doch das zärtere Geschlecht bey ihm ein Wesen, dem politische Existenz, und eben darum zugleich dasjenige mangelt, was der Athenienser im vorzüglichsten Sinne edel und schön nannte.

Ist nun aber Freundschaft, ist Geschlechtszärtlichkeit, wirklich nichts anders als Paarung der Naturen, um sich beym Zusammentreffen in einem und demselben Genusse befriedigter Lieblingstriebe wechselseitig zu beglücken; so ist es begreiflich, daß diese liebende Paarung des Mannes mit dem Weibe in Athen immer höchst mangelhaft und eingeschränkt seyn mußte. Gerade in demjenigen Punkte, den der Athenienser für sein Höchstes und Schätzbarstes hielt, in den Trieben nach Bürgerruhm und Bürgertugend, konnte er mit der Gattin gar nicht in einem Genusse zusammentreffen; mithin war die Vereinigung der Naturen bloß auf die häuslichen Verhältnisse eingeschränkt.

Schon dieß muß den geringeren Werth erklären, den die gute Sitte in Athen auf Geschlechtszärtlichkeit für das Weib legte. Es liegt aber auch noch ein anderer Zug in dem Charakter dieses Volks zum Grunde, auf den, so viel ich weiß, noch kein Schriftsteller aufmerksam gemacht hat.

Der Grieche theilt dieß mit allen südlichen Völkern, daß, je mehr er den so gefährlichen Anfällen der Sinnlichkeit und leidenschaftlichen [WS 18] Begierde ausgesetzt ist, er einen um so größern Werth auf Enthaltsamkeit und Beherrschung seiner selbst legt. Darum wird er diejenigen Verbindungen, bey denen die Befriedigung der Sinnlichkeit als wirksam angenommen werden kann, und die den Verbündeten einer Art von Wahnsinn aussetzen, immer weniger schätzen, als diejenigen, die ohne jenen, ihn anscheinend erniedrigenden Grund, und diese nachtheiligen Folgen, dennoch Begeisterung und Aufopferung hervorbringen. Der Mann kann daher aus seiner Zärtlichkeit oder Leidenschaft für das Weib keinen sonderlichen Ruhm ziehen: sie ist grober Eigennutz und Schwäche. Und selbst das Weib hat größern Ruhm von der Geschwister- oder kindlichen Liebe, als von der Gattenliebe, weil bey jenen kein Eigennutz und keine gröberen Triebe als mitwirkend angenommen werden. Diese Idee hat unstreitig dazu beygetragen, daß Euripides mehr die Ausbrüche wechselseitiger Liebe zwischen Geschwistern, und zwischen Eltern und Kindern, als zwischen Gatten dargestellt und gehoben hat. Er konnte für jene auf ein größeres Interesse von Seiten der Zuschauer rechnen.


Siebentes Kapitel.
Ideen der Philosophen über Geschlechtssympathie und Gattenliebe.

Die Ideen der Philosophen[WS 19] über gesellige und bürgerliche Verhältnisse und Einrichtungen können im Allgemeinen sehr wenig für die Denkungsart des Publikums, und selbst für die der wohlerzogenen und gebildeten Klasse desselben beweisen. Der Philosoph legt entweder die herrschende Meinung der guten Sitte zum Grunde, sucht sie näher zu bestimmen und zu veredeln; oder er verläßt sie auch ganz, und stellt ein Ideal auf, das mit dem Hergebrachten und Gebräuchlichen im offenbaren Widerspruche steht. Er, oder seine Schüler können in der Folge den Ideen, die sie vortragen, ein solches Ansehn geben, daß sie die herrschende Denkungsart der wohlerzogenen und gebildeten Klasse der Bürger mehr oder weniger umformen. Aber ihre Anschauungsart beweiset nichts für die geltende gute Sitte in der Zeit worin sie schreiben.

Mir sind aus dem Zeitraume, der mich jetzt beschäftigt, nur zwey Philosophen bekannt, deren Werke vollständig genug auf uns gekommen wären, um ihre Ideen über Geschlechtssympathie und Gattenliebe mit einiger Zuverlässigkeit zu entwickeln:[WS 20] der eine ist Xenophon, der andere Plato.


Achtes Kapitel.
Denkungsart des Xenophon über diesen Gegenstand.

Es geht mir nahe, wenn ich die Oekonomica des Xenophon zum Beweise der traurigen Lage der atheniensischen Gattinnen anführen höre, und es ist mir zugleich unbegreiflich, wie man sich auf diese Schrift in jener Absicht berufen könne.

Xenophons Charakter, als Philosoph, ist der eines praktischen Denkers der zugleich Staatsmann ist. Er nimmt den Menschen, so wie er ihn im Durchschnitte findet, und bezieht ihn zugleich auf seine Lage gegen die Republik.

Er entwirft keine Ideale für den einzelnen Menschen, der mit ungewöhnlichen Kräften ausgerüstet ist. Er sucht die ganze Gattung, die ganze Gesellschaft von Mitgliedern eines Staats zu heben, indem er auf solche Kräfte und Lagen Rücksicht nimmt, die man ungefähr bey allen voraussetzen kann. Seine gesunde Vernunft erwartet von der gesunden Vernunft anderer, daß sie so glücklich und so brauchbar werden seyn wollen, als sie es durch den Gebrauch jenes Allgemeinsinnes, wenn ich so sagen darf, werden können. In seinen Oekonomicis will er überhaupt lehren, wie eine Wirthschaft eingerichtet seyn müsse, um als ein wohlgeordnetes Haus, gut zum Staat, als Theil zum Ganzen zu passen. In eine gute Wirthschaft gehört eine gute Hausfrau: und dieß führt ihn darauf, uns das Verhältniß des wirthschaftlichen Hausvaters gegen die wirthschaftliche Hausmutter aus einander zu setzen.

Ischomachus wird als das Ideal eines braven Bürgers in seinen häuslichen Verhältnissen dargestellt. Als Republikaner darf er sich durch diese von den öffentlichen Geschäften nicht abhalten lassen. Ischomachus ist daher nur selten zu Hause. Seine Frau führt die Wirthschaft: und wie sie dazu geschickt geworden sey, das sucht uns Xenophon im Anfange der Schrift zu lehren.

Der Absicht des Verfassers gemäß erscheint die Frau des Ischomachus als ein junges, unerfahrnes, aber auch unverdorbnes Weibchen, das noch nicht funfzehn Jahre alt ist. Dieß war nothwendig, um es begreiflich zu machen, wie ihr Gatte sie habe ziehen können. Gewisse Geschicklichkeiten, die der Mann ihr nicht gut beybringen kann, und die in späteren Jahren nicht wohl erlernt werden, mußte sie bereits vorher erworben haben. Sie konnte Wolle bearbeiten, Kleider verfertigen, und Arbeiten unter den Sklaven vertheilen. Wollen wir behaupten, daß alle Athenienserinnen im vierzehnten Jahre nur das verstanden haben, weil Xenophon von seiner angehenden Hausfrau nur das verlangte? Und werden wir unter uns viele junge Mädchen auffinden, die in diesem Alter an Kenntnissen, die sie dereinst zur Wirthschafterin fähig machen sollen, mehr erworben haben? Wollen wir die schöne und feine sittliche Ausbildung, welche die Athenienserin in dem ganzen Laufe dieses Gesprächs verräth, für nichts in Anschlag bringen?

Die junge Gattin erscheint fromm, und durchdrungen von dem Gefühle ihrer dereinstigen Bestimmung. Sie opfert mit ihrem Gatten den Göttern, und ruft sie zu Zeugen ihres ernsten[WS 21] Vorsatzes an, das zu werden, was sie werden müsse.

Ischomachus sucht ihr zuerst Anhänglichkeit und Zutrauen zu seiner Person einzuflößen; dann führt er sie auf den richtigen Begriff von dem Zweck ihrer Ehe. „Wir haben uns vereinigt“, sagt er, „damit jeder von uns an dem andern den treuesten Gehülfen in der Führung der Wirthschaft, und in der Erziehung der Kinder fände. Denn auch Kinder sind ein gemeinschaftliches Gut; sie werden wieder unsere Gehülfen, und dereinst im Alter unsere Stützen seyn.“ – Der Moralist für die Gattung, der zugleich Staatsmann ist, kann den Zweck der Ehe nicht anders angeben. Auf Leidenschaft darf, auf Zärtlichkeit kann er bey der Menge nicht rechnen. Aber der Republikaner, der Philosoph, der über das Verhältniß der Ehe zur Wirthschaft, und dieser zum Staate räsonniert, kann nun vollends das Wesentliche der Ehe gar nicht anders angeben.

Eigennutz von beyden Seiten, gemeinschaftlicher Vortheil, durch Elterntriebe und Gewohnheit verstärkt, machen folglich die sichersten Bande unter den Gatten im Durchschnitt aus: und auf diese rechnet auch Xenophon. Sie schließen aber in einzelnen Fällen die Zärtlichkeit und die Achtung nicht aus, und so schildert uns denn auch unser Autor die gesunde Vernunft unter Begleitung eines liebenden Herzens.

„Unser Vermögen ist in Eins geworfen“, sagt Ischomachus. „Ich habe das meinige, du hast deine Mitgift, zum gemeinschaftlichen Gebrauche hergegeben. Laß uns nicht berechnen, wer von uns beyden den größern Beytrag geliefert hat. Besser wir suchen darin mit einander zu wetteifern, wer am besten damit wirthschafte.“ Bescheiden antwortet die Frau: „Wie kann ich dir helfen? Nur zur Häuslichkeit von meiner Mutter angezogen, fühle ich die Schwäche meiner Kräfte, und alles, was ich habe, gehört dir.“ – „Ich bin wie du zur Häuslichkeit angezogen“, sagt der Mann. „Wir wollen durch gemeinschaftliche Sorge unser Vermögen vergrößern.“ Die Frau fragt: „Wie werde ich dein Vermögen vergrößern?“ Eine Antwort, die in dem Munde eines funfzehn jährigen Mädchens äußerst natürlich ist, und durch den Ausdruck einer gänzlichen Hingebung der Kräfte des Willens und des Vermögens einen nicht zu verkennenden Reitz erhält.

Ischomachus entwickelt nun den gemeinschaftlichen Antheil, den beyde Gatten, jedoch auf verschiedene Art, an der Beförderung des Zwecks der Ehe nehmen sollen, aus den eigenthümlichen Anlagen beyder Geschlechter. Die genaueste Kenntniß des Menschen, im Ganzen genommen, erscheint dabey neben der vollkommensten Anerkennung der Selbständigkeit des zärteren Geschlechts. Dem Manne wird die Betriebsamkeit außer Hause, der Frau die Besorgung der Geschäfte im Hause angewiesen. Kein Uebermuth von Seiten des stärkeren, kein verächtlicher Seitenblick von diesem auf das zärtere Geschlecht! Beyde Gatten sind sich einander eben durch ihre Verschiedenheit gleich nützlich, gleich unentbehrlich. Der Mann hat Kräfte, um Hitze, Kälte, Reisen, Feldzüge, und die Arbeiten des Feldes auszuhalten, und Muth genug, um sein Weib, seine Kinder, und Güter gegen Feinde und Gefahren zu vertheidigen. Dem Weibe hingegen hat die Vorsehung Schüchternheit und Besorgniß gegeben, um das Vermögen besser zu Rathe zu halten, und Mutterliebe, um sich der Erziehung der Kinder in ihren frühern Jahren anzunehmen. Mäßigkeit, Selbstbeherrschung und Besinnungskraft haben sie Beyde aus den Händen der Natur in gleicher Maße erhalten, weil sie dieser Vorzüge in gleicher Maße bedürfen; und wenn es dem einen oder dem andern Gatten daran mangeln sollte, so dient eben die Ehe dazu, das Gleichgewicht wieder herzustellen. Ein Geschlecht darf sich in die Bestimmung des andern nicht mischen: die Götter selbst haben sie jedem von ihnen vorgezeichnet. –

Ischomachus vergleicht nun seine Gattin mit einer Bienenkönigin. Sie ist Gebieterin, oder wie er sie in der Folge nennt, Aufseherin über das Gesetz in ihrem Hause. Doch bleibt dem Manne die Rolle des Gehülfen, da wo die häuslichen Geschäfte in die Betriebsamkeit außer Hause eingreifen, und überhaupt die des Rathgebers.

Unter andern Verrichtungen, die Ischomachus seiner Frau anweiset, ist auch die der Fürsorge für das kranke Gesinde. „Sie wird dir vielleicht unangenehm seyn?“ setzt er forschend hinzu. „Im Gegentheil“, sagt die Frau, „es wird mir das angenehmste Geschäft seyn. Denn die Genesenen werden sich dankbar und liebender gegen mich bezeigen!“ – Wie sittlich, und zugleich wie klug! Und das läßt Xenophon eine junge Frau von funfzehn Jahren sagen.

„Suche in Allem“, fährt Ischomachus fort, „deinen Gatten zu übertreffen! Du wirst dadurch einen Anspruch auf meine Verehrung und auf die Liebe deiner Hausgenossen haben, und diese werden bey zunehmenden Jahren wachsen, jemehr du die treuere Gefährtin meines Lebens, und die sorgsamere Beschützerin unserer Kinder werden wirst. Denn das Gute und Schöne wird mehr nach seinem innern Gehalte, als nach äußern Vorzügen geschätzt.“

Die Gattin muß noch eine Haushälterin unter sich haben; beyde Eheleute suchen gemeinschaftlich die tauglichste Person dazu aus, und bemühen sich, ihr Anhänglichkeit an ihnen einzuflößen. „Sie theilt unsern Schmerz und unser Vergnügen“, sagt Ischomachus, „wir machen sie zur Vertrauten unserer Angelegenheiten, und bilden gemeinschaftlich ihr Herz zur Gerechtigkeitsliebe.“ – So erkennt Xenophon den gleichen Anspruch des Weibes auf Tugend, und seine Fähigkeit an, diese andern einzuflößen.

Die weiblichen Sklaven waren in dem Hause des Ischomachus von den männlichen getrennt, um Ausschweifungen vorzubeugen. „Denn gute Bedienten“, setzt Xenophon hinzu, „werden durch eine rechtmäßige Verbindung viel wohlwollender gegen ihre Herrschaft: hingegen liederliche lassen sich durch heimliche Verständnisse viel leichter zu Freveln verleiten.“ – Diese Einrichtung unter den Sklaven, die in jedem größern Haushalte so äußerst nothwendig seyn mußte, von Klugheit und Sittlichkeit zeugt, und noch jetzt unter freyen Domestiken in mehreren Häusern beobachtet wird, hat dennoch zum Beweise der Entfernung des Gatten von seiner Hausgenossin dienen sollen!!

Die junge Frau des Ischomachus hatte Fehler; Fehler ihres Alters, und ihres Geschlechts. Sie war zuweilen unordentlich in der Aufbewahrung ihrer Sachen, und eitel in ihrem Putze. Sie schminkte sich nach der Sitte ihres Landes mit mehreren Farben, und trug hohe Absätze; Ischomachus sucht sie zu bessern. Aber ohne Härte, auf die liebevollste Art, und durch vernünftige Vorstellungen. „Die junge Frau antwortete nichts“, sagt Ischomachus, „aber sie that es nie wieder!“ –

Wenn man den eingeschränkten Zweck erwägt, den sich Xenophon bey dieser Schrift vor Augen gesetzt hatte; wenn man bedenkt, daß Xenophon nicht eine vortreffliche Ehe in jeder Rücksicht, sondern nur die Gatten in ihren Verhältnissen zur Wirthschaft schildern wollte; so läßt sich gewiß keine Herabwürdigung des zärtern Geschlechts aus dieser Darstellung folgern. Ich darf vielmehr dreist behaupten, daß die Anerkennung der Selbständigkeit des Weibes, und seines Anspruchs auf eigne Bestimmung in seinen Gesinnungen und Handlungen, so wie in dem Gefühle seiner Zufriedenheit, klar daraus erhelle. „Glaube nicht“, läßt Xenophon die Gattin des Ischomachus sagen, „daß deine Anträge mir lästig sind. Es ist für eine tugendhafte Frau angenehmer und leichter, für ihre Kinder zu sorgen, als sie zu vernachlässigen. Und eben so ist es für eine gutdenkende Frau erfreulicher, das Vermögen,[WS 22] dessen Besitz Vergnügen gewährt, zu Rathe zu halten, als es zu verwahrlosen.“ – Sokrates ruft darauf aus: „Bey der Juno, Ischomachus, dieß ist Beweises genug, daß deine Frau einen festen, männlichen Charakter hat!“ – – Man bemerke wohl, daß hier durch das Männliche weiter nichts als das Selbständige verstanden seyn kann: denn die Frau war fest, und sich selbst bestimmend in den eigenthümlichen Anlagen und Verhältnissen ihres Geschlechts.

Xenophon verräth überall die Ueberzeugung, die er von dem sittlichen Werthe der Weiber, und von ihren Anlagen zur Bürgertugend hatte. Eine der edelsten weiblichen Handlungen, besonders nach den Begriffen der damahligen Zeit, sind wir seiner Aufbewahrung schuldig. Wer erinnert sich nicht der Panthea, der edeln Gattin des Abradates?[17] Sie hatte den Gemahl angefeuert, sich durch rühmliche Thaten der Freundschaft eines Cyrus würdig zu machen. Und nun war er im Kriege als sein Bundsgenosse gefallen! Die Unglückliche saß bey seiner Leiche im stillen Schmerz versunken, als Cyrus zu ihr kam. Weinend sprach der Held: „o tapfere und treue Seele, bist du wirklich hingegangen und hast uns zurückgelassen?“ Bey diesen Worten ergriff er die Rechte des Todten, aber diese, die in der Schlacht abgehauen war, trennte sich von dem Rumpfe, und blieb in der seinigen. Dieser Anblick vermehrte den Schmerz des Cyrus. Aber Panthea brach nun in ein lautes Wehklagen aus, warf sich auf die Hand ihres Gatten, bedeckte sie mit Küssen, und fügte sie wieder an den Leichnam, so gut sie konnte. „Ach!“ sprach sie, „sein übriger Körper ist eben so grausam zugerichtet. Doch! warum sollte ich dich mit diesem Schauspiele martern? Ich habe ihm dieß Unglück zugezogen, obwohl auch du, Cyrus, einigen Antheil daran hast! Ich Thörin! ich war’s, die ihn durch häufiges Zureden bewog, sich deiner Freundschaft werth zu machen. Der Edle hörte mich, und verachtete fortan alle Gefahren, die seiner warteten, und strebte nur, durch hohe Thaten dir zu gefallen. So ist er auch gestorben, ohne Klage über sein Schicksal! Und ich, ich seine unglückliche Rathgeberin, sitze hier noch lebend bey seinem Leichname!“

Cyrus hing eine Zeitlang stillschweigend seinem Schmerze nach; dann suchte er die Arme zu trösten. Er stellte ihr das rühmliche Ende, den Tod des Siegers vor. Er versprach ihr ein prächtiges Leichenbegängniß für den Gatten, und seine vorzüglichste Fürsorge für sie selbst. „Du sollst nicht verlassen seyn“, sprach er: „deine Sittsamkeit und deine übrigen Tugenden haben meine ganze Verehrung. Ich will dir einen treuen Begleiter zugeben, dem du anzeigen kannst, zu wem du geführt zu werden wünschest.“ – „Sey sicher“, antwortet Panthea, „du wirst es erfahren, zu wem ich zu gehen wünsche!“

Darauf begab sich Cyrus weg, durchdrungen von Mittleid mit der Gattin, die solch’ einen Mann verloren, und mit dem Manne, der solch’ eine Frau hatte verlassen müssen. Sie aber entfernte ihre Verschnittenen unter dem Vorwande, ungestört über den Gatten weinen zu wollen, und behielt allein ihre Wärterin bey sich, der sie befahl, sie nach ihrem Tode neben ihrem Gatten, in Ein Gewand gehüllt, zu begraben. Die Wärterin warf sich zu ihren Füßen, und beschwor sie, von diesem Vorsatze abzustehen. Als sie aber sah, daß sie nichts ausrichtete, und daß sie ihre Frau nur zum Unwillen reitzte, so ließ sie ab, und setzte sich weinend bey ihr nieder. Panthea, die schon längst das Schwert zu dieser Absicht in Bereitschaft hatte, erstach sich, legte ihr Haupt auf des Gatten Brust und starb. Die Wärterin befolgte ihren Befehl, und bedeckte wehklagend beyde Körper.

In seinem Gastmahle läßt Xenophon den Sokrates sagen: „daß das weibliche Geschlecht dem männlichen bloß an Ueberlegung und Stärke nachstehe, daß es aber fähig sey, Kenntnisse jeder Art zu erlernen, und sogar zur Herzhaftigkeit angeleitet zu werden.“ Er führt zum Beweise, wie allgemein die Liebe sey, den Nikerates[WS 23] an, der seine Frau liebt, und wieder von ihr geliebt wird, und setzt diese Liebe neben derjenigen, die Hermogenes für Rechtschaffenheit und Biederkeit empfand.

Xenophon läßt eben daselbst vor der Gesellschaft eine Pantomime aufführen, dessen Inhalt ich weiter unten anzeigen werde, worin die Geschlechtssympathie, die das Weib auf sich zieht, mit allen Reitzen dargestellt wird, die verfeinerte Sinnlichkeit ihr geben können; und er läßt dadurch alle Zuschauer in eine solche Bewegung gerathen, daß die verheiratheten Männer sich sogleich zu ihren Gattinnen begeben, die unverheiratheten aber den Entschluß fassen, sich sobald als möglich zu vermählen.

Eine Verachtung der Weiber, eine Scheu vor engeren Verbindungen mit ihnen, läßt sich daher unserm Philosophen keinesweges zur Last legen. Aber darin theilt er die Ideen seiner Landsleute, daß er, so wie sie, nichts Hervorstechendes und Edles in der Liebe des Mannes zu seiner Gattin fand, und diese als ein liebendes Patronat betrachtete. Er suchte auch in der Apathie gegen die Reitze der körperlichen Geschlechtssympathie eine besondere Vollkommenheit. „Jupiter“, sagt er in seinem Gastmahle, „hat die Weiber, mit denen er sich abgegeben hat, in der Classe der Sterblichen zurückgelassen, hingegen hat er die Männer, deren Seelen er geliebt hat, zur Unsterblichkeit gehoben.“ Sokrates, den er als das Ideal eines vollkommenen Mannes aufstellt, hat nach seiner Darstellung ein böses Weib genommen, bloß um sich in der Geduld und Verträglichkeit zu üben, und während, daß alle übrigen Gäste bey der eben angeführten pantomimischen Darstellung der Gattenliebe in die heftigste Bewegung gerathen, und diejenigen, die verheirathet sind, nach Hause zu ihren Weibern eilen, steht Sokrates auf, um mit seinen Freunden spazieren zu gehen.


Neuntes Kapitel.
Ideen des Plato über eben diese Materie.

Plato ist in seinen Ideen über die Weiber nicht consequent. Es ging ihm, wie es allen Menschen von lebhafter Imagination geht. Ihre Urtheile beziehen sich weniger auf Thatsachen, als auf Bilder, die ihre Imagination stark gerührt haben, und da diese manchen Veränderungen und Abwechselungen unterworfen sind, so verändert sich auch ihre Meinung über den nehmlichen Gegenstand, oft ohne daß sie es selbst wissen.

Es ist zweifelhaft, ob Plato an irgend einer Stelle das Weib als eine besondere Gattung von Geschöpfen angesehen habe, die zwischen Menschen und Thieren stehen, oder ob er es bloß gewisser moralischer Unvollkommenheiten wegen unter den Mann herabwürdigt. Denn wenn er gleich im Timäus sagt: daß Männer, die ungerecht und verworfen gelebt haben, in der zweyten Generation in Weiber übergehen; so läßt er doch in seinem Phädrus die Seelen, die sich nicht der Gottheit zu nähern gesucht haben, nicht in Weiber, sondern in Männer von verschiedenen Ständen, z. E. Tyrannen, und so weiter fahren.

Diejenige Meinung, der unser Philosoph am treuesten geblieben ist, scheint inzwischen diese gewesen zu seyn, daß das oberste Princip der Seele, die Vernunft, (Ratio) bey beyden Geschlechtern gleich sey, daß aber die Kräfte, welche diese Vernunft leiten und führen soll, so wohl an Seele als Körper bey dem Weibe schwächer, mithin auch schlechter wären, daher sich dieses denn der Vollkommenheit, die er in einer solchen Harmonie aller Kräfte setzt, vermöge welcher alle zu einem Zwecke wirken und der Vernunft gehorchen, weniger nähern könnte.

Daraus läßt sich denn auch erklären, warum der Mann, welcher der Vernunft nicht gehorcht, und seine Kräfte nicht zweckmäßig unter ihrer Leitung wirken läßt, nach dem Tode in ein weibliches Wesen übergehen soll.

Allein eben darum läßt sich nun auch begreifen, warum Plato an die Veredlung des Weibes glaubt, und wie er diese zu Stande zu bringen sucht.

In seiner Republik äußert er darüber folgende Ideen:

„Die Weiber sind etwas schwächer dem Körper nach als die Männer, aber übrigens zu allen Geschäften so gut als die Männer fähig, nur daß einige besser zum Kriege, andere zu Staatsgeschäften gebraucht werden können. Um aber die Weiber dahin zu bringen, müssen sie gerade wie Jünglinge erzogen werden. Sie müssen ihre Schamhaftigkeit nicht in der Bekleidung des Körpers, sondern im Gefühle ihrer Tugend suchen. Sie müssen zur Musik und zu gymnastischen Uebungen angeleitet werden. Etwas Rücksicht wird man immer auf ihre Schwäche nehmen müssen, und ihnen daher die leichtern Geschäfte besonders anvertrauen. Uebrigens muß eine völlige Gemeinschaft der Weiber Statt finden. Keines darf eines besondern Mannes Weib seyn. Auch darf kein Sohn einen besondern Vater anerkennen. Sie müssen zusammen öffentlich schmausen und bey einander wohnen.

Die Obrigkeit muß dafür sorgen, den Mißbräuchen dieser Einrichtung vorzubeugen. Bey öffentlichen Festen, die dazu bestimmt sind, gesetzmäßige Verbindungen zu knüpfen, wählt sie eine gewisse Anzahl von Männern und Weibern aus, durch welche der Abgang von Bürgern wieder ersetzt werden soll. Ihre Nahmen sollen in eine Urne geworfen werden, und das Loos soll dem Anscheine nach über die Personen entscheiden, die zusammen gepaart werden. Aber im Grunde wird die Obrigkeit das Schicksal so zu lenken wissen, daß diejenigen Personen immer zusammen kommen, von denen man die beste Nachkommenschaft zu hoffen hat: nicht anders, wie man die Raçen bey Thieren zu bewahren sucht. Sobald die Kinder geboren sind, werden sie den Eltern genommen und an einem öffentlichen Orte erzogen, wo die Mütter, ohne sie zu kennen, bald das eine, bald das andere Kind säugen werden. Von dieser öffentlichen Erziehungsanstalt werden aber diejenigen ausgeschlossen, die nicht aus solchen feyerlich angeordneten Umarmungen entsprossen sind; ferner diejenigen, die mangelhaft und häßlich zur Welt kommen, endlich solche, die von Eltern geboren werden, die das gesetzliche Alter zum Kinderzeugen noch nicht erreicht, oder bereits überschritten haben. Sobald die Eltern die Zwecke des Staats erfüllt haben, so gehen sie wieder aus einander, bis die Obrigkeit ihrer wieder bedarf, und das von ihr geleitete Loos wieder neue Paarungen unter ihnen stiftet. Uebrigens sind die Personen, die das gesetzliche Alter zur Paarung überschritten haben, zwar an keine Enthaltsamkeit gebunden, sie müssen sich aber in Acht nehmen, daß ihre Verbindungen keine Folgen haben, und daß sie sich weder mit ihren Kindern noch mit ihren Eltern vermischen.

Diejenigen Personen, welche zu gleicher Zeit gepaart worden sind, werden alle diejenigen Kinder als die ihrigen ansehen müssen, die zwischen sieben und zehn Monaten nach einer solchen Paarung geboren sind, und diese werden sie wieder als Eltern ansehen. Die Kinder einer Brut werden sich unter einander als Geschwister betrachten, u. s. w. So wird denn der Staat nicht aus einzelnen Familien bestehen, sondern nur Eine große Familie ausmachen, worin alle Mitglieder von einem öffentlichen Geiste belebt, keinen Eigennutz und kein Eigenthum kennen, folglich auch keine Veranlassung zur Eifersucht und zur Uneinigkeit finden.“

Plato weicht in seinen Dialogen von den Gesetzen darin von den Ideen ab, die er in seiner Republik geäußert hat, daß er die Heiligkeit der Ehen und die eigenthümlichen Tugenden der Weiber mehr sichert, und sich dafür weniger von der Natur entfernt.

Er behauptet, daß es ein großer Fehler sey, daß sich die Gesetzgeber so wenig mit der Erziehung der Weiber beschäftigten, und sie gleichsam in dem Dunkel des häuslichen Lebens vergäßen. Er will sie herausziehen, sie sollen öffentlich zusammen schmausen. „Das Geschlecht“, sagt er, „zieht sich zurück, und braucht Ränke, eben weil es seine Schwäche fühlt. Es kann darum auch minder einer bestimmten Ordnung unterworfen werden, und dieß ist die Ursach, warum der Gesetzgeber es, wie wohl sehr mit Unrecht, vernachlässigt. Denn diese Vernachlässigung zieht sehr schädliche Folgen nach sich. Es würde alles besser bey uns seyn, wenn die Gesetze sich um die Sitten der Weiber mehr bekümmerten. Denn das sich selbst überlassene Weib macht nicht bloß, wie es scheinen könnte, die Hälfte der menschlichen Gattung aus; sondern je weniger Anlagen es zur Tugend hat, um desto weitgreifender ist sein Einfluß auf die Sitten, und dadurch wird der Nachtheil, der von ihm zu befürchten steht, doppelt gefährlich. Man muß also das Weib zu verbessern, und ihm Gelegenheit zu geben suchen, mit dem Manne gemeinschaftlich zum Wohl des Staates beyzutragen. Darum müssen seine thierischen Begierden nach Essen, Trinken und körperlicher Lüsternheit besonders gemäßigt und geleitet werden; und um dieß zu bewirken, sollen die Weiber öffentlich und unter Aufsicht der Gesetze zusammen speisen. Darum muß ferner die Art, wie für die Fortpflanzung des Geschlechts gesorgt werden soll, durch Gesetze bestimmt, und durch Strafen im Fall der Uebertretung gesichert werden. – Der Zweck der Vereinigung zwischen den Gatten ist der, die schönsten und besten Kinder dem Staate zu liefern.“ Wie dieser erreicht werden könne, dazu giebt Plato nun verschiedene Mittel an. „Es soll ein Gericht von Weibern bestellt werden, das täglich im Tempel der Lucina seine Sitzungen hält, und die Aufsicht über die Ehen führt. Wenn innerhalb zehn Jahren keine Kinder erfolgen, so werden die Ehen von dem Gerichte mit Zuziehung der Anverwandten getrennt. Die Oberaufseherinnen über die Ehe müssen zu Zeiten in die Häuser der jungen Eheleute hinein gehen, und sie theils durch Ermahnung, theils durch Drohungen von ihren Verirrungen und Fehlern zurückzubringen suchen. Hilft dieß nichts, so müssen sie es den obersten Wächtern über das Gesetz anzeigen. Können diese gleichfalls nicht wehren, so müssen sie die Sache vors Volk bringen, die Nahmen anschlagen, und schwören: daß sie die Personen nicht haben bessern können. Der schuldig Befundene wird infam. Er darf nicht wieder heirathen, und wenn er es wagt, so darf ihn jeder ungestraft tödten. Wenn Kinder aus einer Ehe erfolgt sind, so wird der Ehebruch von Seiten des Mannes und des Weibes bestraft, wenn sie anders noch zum Kinderzeugen fähig sind. Keuschheit und Ehrbarkeit sollen in Ehren gehalten werden, u. s. w. Das Mädchen soll in dem Zwischenraume vom sechzehnten Jahre an bis zum zwanzigsten heirathen, der Mann vom dreyßigsten an bis ins fünf und dreyßigste. Das Weib führt obrigkeitliche Aemter im vierzigsten Jahre, der Mann im dreyßigsten. Die Männer dienen im Kriege bis zum sechzigsten Jahre, die Weiber bis zum funfzigsten. Doch sollen die letztern nur zu solchen Geschäften im Kriege gebraucht werden, die ihren Kräften angemessen und anständig sind.“

Im siebenten Buche will er ferner noch, daß die Oberaufseherinnen über die Ehen auch die Aufsicht über die öffentlichen Ammen führen sollen. Er will, daß die jungen Mädchen zwar zu männlichen Kenntnissen und Uebungen angeleitet, aber doch von den Knaben getrennt erzogen werden sollen. „Musik sollen beyde Geschlechter lernen, doch soll diejenige, welche das männliche ausübt, einen stärkeren, muthigeren, die der Weiber einen reitzenderen und sanfteren Charakter an sich tragen.“

Weiter unten dringt er sehr bestimmt darauf, den Weibern eine sichere Bestimmung zu geben. „Wollen wir“, sagt er, „so wie die Thracier und viele andere Völker, die Weiber den Ackerbau, die Viehzucht, und andere Arbeiten, die sie mit den Sklaven gemein haben, verrichten lassen? Oder wollen wir ihnen, so wie bey uns und unsern Nachbarn, die Oberaufsicht über den innern Haushalt und die weiblichen Arbeiten einräumen? Oder wollen wir, wie die Lacedämonier eine Mittelstraße einschlagen, den Jungfrauen Musik und gymnastische Uebungen, den Weibern die Wollenfabrikatur, zugleich aber ihrer Thätigkeit einen größern Wirkungskreis anweisen, ihnen die Besorgung des Hauswesens, und einen gewissen Antheil an der Erziehung einräumen, sie jedoch von kriegerischen Beschäftigungen ausschließen? Dann werden sie aber immer unter dem Manne stehen bleiben. Nein! Mag ein anderer diese Einrichtungen loben. Ich verlange eine gleiche Bestimmung für Weiber und für Männer.“

In Gemäßheit dieser Grundsätze läßt er nun die Weiber an öffentlichen Gastmählern, Spielen, Wettrennen und Ringerübungen Theil nehmen[WS 24]. Doch sind sie nicht dazu zu zwingen, zu Pferde den Bogen und den Wurfspieß zu führen, sondern nur zuzulassen, wenn sie Lust dazu haben. Endlich gestattet er den verheiratheten Weibern, nach dem vierzigsten Jahre vor Gericht zu handeln: den unverheiratheten aber nur, Zeugniß abzulegen.

So zeigt also Plato allenthalben ein solches Vertrauen zu der Veredlung des zärteren Geschlechts, wie vielleicht wenig Philosophen vor und nach ihm gehabt haben mögen. Verächter des Geschlechts, seinen Anlagen nach, ist er folglich nicht gewesen, sondern nur Verächter des Weibes in seiner damahligen Lage, bey seiner vernachlässigten Ausbildung. Und auch hier hat er Ausnahmen zugelassen, wie mehrere Stellen in seinem Gastmahle und andern Gesprächen beweisen, worin er außerordentliche Frauen in einem schönen Lichte darstellt. Ueberhaupt äußert sich seine Weiberverachtung mehr dadurch, daß er sie den Männern nachsetzt, als durch das Böse, das er ihnen vorwirft. So läßt er z. B. in seinem Gastmahle den Phädrus sagen: „Nur die Liebenden sind für einander zu sterben bereit, nicht allein Männer, sondern auch Weiber!“ – Darum wird von eben diesem Phädrus die Alcesta hochgepriesen, und nur dem Achilles nachgesetzt. Eben so wird im zweyten Buche von den Gesetzen, das Weib wegen seines Geschmacks an Trauerspielen mit den Jünglingen in eine Classe, über das Kind, und nur dem reifen Manne nachgesetzt, der mehr Gefallen an Heldengedichten nimmt.

Die Geringschätzung, die Plato gegen das weibliche Geschlecht äußert, ist also mehr relativ, und hängt von der Vergleichung mit dem Manne in der Lage ab, worin er beyde Geschlechter wirklich zu sehen glaubte. Daß aber das Weib nach seinen Begriffen unter dem Manne stehen mußte, das lag in seinen Begriffen von Tugend und Vollkommenheit. Er war zu sehr Athenienser und Politiker, als daß er bey seinen Räsonnements über moralische Würde, die Verhältnisse des Bürgers zum Staate hätte vergessen sollen. Selbst da, wo er das Abstrakt einer kosmopolitischen Vortrefflichkeit entwirft, schwebt ihm das Bild des atheniensischen Bürgers immer vor Augen, und natürlich mußte das Weib, das nicht Staatsbürgerin war, und es seiner ganzen Erziehung und Lage nach nicht seyn konnte, in seiner Achtung verlieren. Aber eine völlig falsche Ansicht ist es, wenn man dem Plato Schuld giebt, er habe die Weiber durchaus wie unsittliche und ganz verdorbene Sklavinnen der Männer verachtet.

Inzwischen konnte Plato, da er kein Wohlverhältniß an Eigenschaften und Lagen zwischen beyden Geschlechtern antraf, auch keine Zärtlichkeit oder Freundschaft zwischen ihnen annehmen. Das was er Liebe des Mannes zum Weibe nannte, war leidenschaftliche Begierde nach dem Besitz der Person. Er schätzte an der Gattin die Aufopferung, mit der sie das Wohl des Mannes ihrem eigenen vorzog; aber er fand darin nicht den uneigennützigen, auf höheren Trieben beruhenden Seelenadel, den er dem Bürger beylegte, der sich für den Geliebten oder für das Vaterland hingab. Denn bey der Treue des Weibes lag nach seinen Begriffen Sinnlichkeit unter, da hingegen bey der Männer- und Vaterlandsliebe hauptsächlich Begeisterung wirkte.

So dachte Plato über die Gattenliebe, in Beziehung auf die wirkliche Lage der beyden Geschlechter gegen einander. In seinen idealischen Staaten hob er die Frau zum Range des Mannes durch Erziehung und Bestimmung hinauf, und hier hätte er denn allerdings Zärtlichkeit und liebende Leidenschaft zwischen ihnen voraussetzen und schätzen können. Allein da solche particuläre Vereinigungen der Gemeinschaft unter allen Staatsbürgern und ihrer einzigen Rücksicht auf das allgemeine Beste leicht hätten gefährlich werden mögen; so suchte er solche Einrichtungen zu treffen, wodurch eine zu genaue Vereinigung unter einzelnen Paaren verhindert wurde. Besonders aber strebte er darnach, den Zug der beyden Geschlechter zu einander von jener Leidenschaft zu reinigen, die den Cardinaltugenden, die er annahm, der Weisheit, Mäßigkeit, Tapferkeit und Gerechtigkeit, so leicht gefährlich werden konnte.


Zehntes Kapitel.
Ideen der Athenienser über die Liebe zu den Hetären oder Freudenmädchen.

Nun ein Wort über die Buhlerinnen, Freudenmädchen, Courtisanen von Athen, die man mit einem anständigeren Nahmen Hetären, Freundinnen, nannte.

Man hat in neueren Zeiten das Außerordentliche, welches die Alten von einigen unter ihnen, die in verschiedenen Zeitaltern und Städten gelebt haben, erzählen, auf die ganze Classe, und zwar vorzüglich in Athen, ausgedehnt. Man legt ihnen eine große Bildung des Geistes, sehr verfeinerte Künste der Coquetterie, und vor allen Dingen die Gabe bey, das sinnliche Vergnügen mit allen Reitzen zu würzen, die es nur immer durch Zartheit der Empfindung, unterhaltende Talente, Witz und Einbildungskraft erhalten kann. Man glaubt, die Verbindung mit diesen Hetären, oder wenigstens der Umgang mit ihnen, sey von der guten Sitte in Schutz genommen; man habe sie den Ehen vorgezogen, und weil die Matrone bloß zur Mutter und zur Haushälterin bestimmt gewesen sey; so habe der Bürger von Athen seine Ergötzung[WS 25] bey der Courtisane gefunden.

Alles dieß wird ohne Beweis angenommen. Es widerspricht deutlichen Zeugnissen für das Gegentheil, dem ganzen Geist der Atheniensischen Denkungsart, und besonders der Kenntniß des Menschen, nach der Erfahrung von demjenigen, wie es noch heut zu Tage um diese Classe von Weibern in den größten und kultiviertesten Städten von Europa steht.

Was wir von gleichzeitigen Schriftstellern über die Lage der Hetären in der Periode, von der ich hier rede, wissen, ist sehr wenig. Spätere Schriftsteller, die bereits alles ins Außerordentliche getrieben haben, können hier nichts beweisen, und ohnehin sind die Schilderungen eines Lucians, Alciphrons, Athenäus, Aristenät[WS 26], u. s. w. den obigen Behauptungen auf keine Weise günstig.

Zuerst muß man die freygelassenen Weiber und Fremden, die ihr Gewerbe für sich trieben[WS 27], von den Mädchen welche die Sklavenhändler, Kupler und Kuplerinnen hielten, wohl unterscheiden. Die letzten wurden zu Kebsweibern und Beyschläferinnen verkauft, und kommen hier eigentlich nicht in Betracht. Nur die ersten bezeichnet Demosthenes, wenn er sagt: „Buhlerinnen dienen zum Vergnügen, Beyschläferinnen zum täglichen Umgang, zur Pflege und Befriedigung körperlicher Begierden; Gattinnen aber zum Kinderzeugen und zur treuen Oberaufsicht über unser Hauswesen.“

Ich frage also, was wir von jenen Buhlerinnen oder Hetären wissen, die zum Vergnügen der atheniensischen Bürger dienten?

Die glaubwürdigsten Zeugnisse sprechen von einer Aspasia, die von einer Hetäre zum Range einer Gattin des Pericles erhoben worden ist, und den größten Einfluß auf die Begebenheiten ihrer Zeit gehabt hat. Sie wird als eine Frau von außerordentlicher Politur der Sitten, Weisheit und Kenntnissen geschildert, und daran muß ich glauben. Allein eben das große Aufsehn das sie gemacht hat, scheint mir das Ungewöhnliche ihrer Vorzüge zu beweisen.

Man spricht ferner von einer Diotima, von der Sokrates die Kunst zu lieben, nach dem Zeugnisse des Plato, gelernt haben soll. Aber diese gehört nicht hieher. Sie ist offenbar ein idealisches Wesen, eine Begeisterte, eine Seherin, und nichts führt uns darauf zurück, sie für eine Hetäre zu halten.

Dann liefert uns Xenophon[18] ein Gespräch, das Sokrates mit einer berühmten Buhlerin, Theodota, gehalten haben soll. Es ist der Mühe werth, dieß Gespräch etwas näher kennen zu lernen, um zu prüfen, ob die Dame, die hier geschildert wird, wirklich die Kunst zu gefallen, in einem so hohen Grade besessen habe, wie man es gemeiniglich von allen andern ihres Standes behauptet.

Als Sokrates mit seinen Schülern zu ihr kam, so stand sie gerade einem Mahler zum Modell. Der Umstand ist wichtig; er zeigt zum Voraus auf die Reitze hin, denen Theodota ihre Macht über die Männerherzen zuschrieb. Sokrates, der einen großen Luxus in ihrem Hause findet, fragt sie nach ihren Erwerbmitteln; und als sie die Wohlthaten ihrer Freunde als solche angiebt, fragt er sie, ob sie sich dabey bloß aufs Glück verlasse, oder eine sinnreiche Erfindung brauche, um sie zu fangen? Die harmlose Theodota antwortet: „Sie wisse nicht, was für eine Erfindung sie dazu brauchen solle; sie kenne keine Künste die weiter gingen, als Gefälligkeit in Handlungen; schöne Worte gebrauche sie dazu nicht.“ Sokrates räth ihr also, ihren Augen einen bezaubernden Ausdruck zu geben, und durch ihre Reden Herzen zu fangen. Er preiset ihr besonders die List an, anfangs geringe Dienste von ihren Liebhabern zu fordern, und ihre Gefälligkeit nach dem Verhältnisse jener Dienste einzurichten. Dadurch würde sie die Buhler immer fester verbinden, sie standhafter und freygebiger machen. Sie solle den Werth ihrer Gunstbezeugungen dadurch erhöhen, daß sie sich ihnen nicht in die Arme würfe, ehe sie ihre Begierden aufs höchste entflammt habe. Die unerfahrne Theodota fragt, wie sie sich dabey benehmen solle? Sokrates belehrt sie, sich dem Liebhaber nicht anzubiethen, wenn sie keine Neigung an ihm bemerke. Bemerke sie diese, so solle sie ihn durch ein freundliches Gespräch an ihre Person erinnern, und ihm zu erkennen geben, daß sie wohl geneigt sey, sich ihm zu ergeben: dann aber sich entfernen, bis sein Verlangen aufs höchste gestiegen sey.

Man muß gestehen, daß wenn dieß die so berufene Kunst zu gefallen der Griechischen Hetären war, daß dann die Freudenmädchen von ziemlich gewöhnlichem Schlage in unsern großen Städten, die nur nicht zur Classe der verworfensten Straßendirnen gehören, mehr davon wissen, als der gute Sokrates. Man sieht zugleich, was der Zweck des Umgangs mit diesen Hetären war, und daß Theodota dabey so einfältig zu Werke ging, als die gewöhnlichsten Metzen in Paris, Venedig, London u. s. w. die sich selbst den Vorübergehenden anbiethen, es nur immer thun können.

In der That! ich kann mir keinen großen Begriff von dieser Kunst zu gefallen der atheniensischen Hetären machen. Dürfte man der Schilderung eines jüngeren Komikers, des Alexis, trauen, so wäre ihre Erziehung ganz darauf ausgegangen, die Reitze ihres Körpers zu heben, und ihr Zweck einzig der gewesen, Geld zu gewinnen. [19]

Inzwischen gebe ich gern zu, daß in Athen, in einer Stadt, wo ein großer Luxus herrschte, wo der Geschmack an sinnlichen Freuden verfeinert war, unter diesen Hetären manche Virtuosin in der Kunst gewesen sey, die gröbere Wollust mannigfaltiger und schmackhafter zu geben, und die Zeitverkürzung, die man im kosenden Geschwätze sucht, durch Talente einer geistigern Unterhaltung interessanter zu machen. Einige Wenige haben sich sogar in den Geschmack der Weisen im Volke geschickt, sich auf Philosophie, Politik, Rhetorik, u. s. w. gelegt, und diese Kenntnisse, verbunden mit Scharfsinn und Klugheit, genutzt, den Reitz ihres Umgangs zu erhöhen, und allgemeine Bewunderung zu erwecken.

Aber haben diese ausgezeichneten Personen unter den Hetären dem ganzen Stande eine Achtung zugezogen, die über derjenigen stand, welche die gute Sitte in Athen der Matrone zollte? Ist der Umgang mit der Hetäre von dem Vorwurfe der Unanständigkeit frey, ein ganz erlaubtes, ja, dazu besonders ausersehenes Mittel gewesen, neben den Pflichten der Ehe, denen man bey der Frau ein Genüge that, auch das Vergnügen in den geselligen Verhältnissen mit dem zärteren Geschlechte zu finden? Ist endlich dieß Vergnügen wirklich allgemein sehr verfeinert gewesen? Alle diese Fragen muß ich verneinen.

Perikles hat die Spöttereyen der Komiker über seine Verbindung mit der Aspasia auf sich gezogen. Xenophon giebt sich alle Mühe, seinen Helden, den Sokrates, von dem Vorwurfe zu retten, als ob er aus einer andern Ursache, als der,[WS 28] seinen Schülern die Verächtlichkeit der Theodota kennen zu lehren, zu ihr gegangen sey. Der Schritt wird an sich als etwas Zweydeutiges in seiner Aufführung dargestellt, das Xenophon zu heben sucht. Sokrates weigert sich, auf die Einladung der Theodota wiederzukommen, und sagt, er habe dazu keine Muße. Aristophanes giebt an mehreren Stellen Beweise der Verachtung, worin der Stand der Hetären nicht bloß nach der guten Sitte, sondern sogar nach Polizeygesetzen bey den Atheniensern stand, und nirgends drückt er diese stärker aus, als wenn er mit beißendem Spotte die Matrone, ihrer Sitten wegen, mit der Hetäre in einen Rang setzt. Demosthenes, der sie zum Vergnügen bestimmt, giebt selbst den besten Commentar über den Sinn dieses Ausdrucks, und den Werth, den er auf dieß Vergnügen setzt. Er war nach Korinth zu der berühmtesten[WS 29] Buhlerin seiner Zeit, der Lais, gereiset; aber abgeschreckt durch den hohen Preis, den sie auf eine Nacht setzte, kehrte er ohne genossen zu haben mit dem Ausdrucke zurück: so theuer erkaufe ich nicht, was mich gereuen würde!

Wenn daher die einzelne Hetäre den Bürger in Athen mit Zärtlichkeit und Leidenschaft gefesselt hat, vielleicht öfterer als die Matrone gefesselt haben mag; so hat doch gewiß die gute Sitte eine solche Verbindung weder für schön noch edel gehalten. Liebe zur Hetäre hieß der Regel nach Begierde nach körperlichem Genuß: Trieb nach kosender Unterhaltung:[WS 30] und da wo diese auch noch so sehr verfeinert gewesen seyn mag, hat sie gewiß nicht so wohl allgemeinen Beyfall, als Nachsicht vor der guten Sitte gefunden.


Funfzehntes Buch.
Denkungsart der Athenienser und besonders der Sokratischen Schule über Liebe zu den Lieblingen.


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Unter allen Versuchen, die Liebe zu veredeln und zu verschönern, ist keiner, der einen so hohen Grad von Celebrität, und einen so wichtigen Einfluß auf die Denkungsart der Nachwelt erhalten hätte, als derjenige, den die Sokratische Schule in dieser Rücksicht gemacht hat, und der gemeiniglich unter dem zu eingeschränkten Nahmen der platonischen Liebe bekannt ist.

Wo ist eine gute Gesellschaft unter allen kultivierten Nationen von Europa, worin man nicht noch heut zu Tage von dieser Liebe reden hörte? Man spricht dafür, man spricht dagegen: unsere Dichter nutzen sie zum Stoffe der Unterhaltung, zum Mittel der Begeisterung; unsere Philosophen dissertieren mit steifem Ernste über ihr Wesen und ihre Möglichkeit, und je nachdem wir nur eine lächerliche Anmaßung menschlicher Schwäche, oder die höchste Stufe menschlicher Würde darin finden, wird sie bald Gegenstand des scherzenden Witzes und des beißendsten Hohnes, bald Gegenstand der feyerlichsten Rührung und Weihe.

Allein wie verworren, wie unbestimmt sind die Begriffe, die wir mit dem Nahmen der platonischen Liebe verbinden! Der eine sieht sie als eine bloße Freundschaft an, der andere versteht darunter eine Geschlechtsliebe, wobey das Andringen körperlicher Begierden mit Glück bekämpft und unterdrückt wird. Bald sucht man darin eine Vermählung der Seelen, die durch rein geistige Vorzüge verschwistert sind, bald einen Ideengenuß körperlicher Schönheit; kurz, nach den verschiedenen Wärmegraden der Sinne, des Herzens und der Phantasie ihrer Beurtheiler, wird der Begriff dieser Art von Verhältnissen ganz verschieden gebildet.

Mehrere Schriftsteller haben uns mit den Ideen der Athenienser, und besonders der Sokratischen Schule über die Veredlung und Verschönerung der Liebe vertrauter zu machen gesucht. Aber irr’ ich nicht, so ist die Sache noch immer einer näheren Aufklärung bedürftig. Der eine hat zu seinen Untersuchungen eine zu oberflächliche Kenntniß der griechischen Sitten hinzugebracht, und nicht die Gabe besessen, sich in die Denkungsart eines fremden Volks aus der Vorzeit hinein zuversetzen. Der andere hat nicht Herz genug, nicht hinreichende Kenntniß des Menschen, wie dieser zu allen Zeiten ist, gehabt; einem dritten hat es an Elevation der Seele gefehlt; ein vierter hat den Sinnen zu wenig, und dem Geiste zu viel zugetrauet.

Die Schwierigkeiten, welche sich der Auflösung des gegenwärtigen Problems entgegen setzen, würden sehr vermindert seyn, wenn man sich hätte angelegen seyn lassen, bestimmte Begriffe über unsere geselligen Triebe, über Geschlechtssympathie und Geschlechtsliebe festzusetzen. Alsdann würde es leichter zu entscheiden gewesen seyn, ob die Liebe in der veredelten Bildung, welche ihr die Athenienser und besonders die Sokratische Schule gegeben haben, begeisterte Beschauungswonne oder wahre Zärtlichkeit, Freundschaft oder Geschlechtsliebe, und letztere wieder völlig rein von dem Einflusse körperlicher Geschlechtssympathie gewesen sey, oder nicht?

Diese Hindernisse glaube ich durch meine vorangegangenen Untersuchungen aus dem Wege geräumt zu haben. Und, ohne Anmaßung sey es gesagt, nach einer vieljährigen und oft wiederholten Prüfung glaube ich in der Sache selbst wenig Schwierigkeiten zu finden, um in den Geist dieser griechischen Liebe einzudringen. Aber indem ich ihren Begriff dem Publiko vorlegen soll, erhebt sich aus der Lage, worin ich zu meinen Zeitgenossen stehe, allerdings eine erhebliche Bedenklichkeit, über die ein zärter fühlendes Herz sich nicht so leicht hinauszusetzen weiß! Die veredelte Liebe der Athenienser zeigte sich in Verbindungen zwischen Männern auf eine Weise, die in unser Klima, zu unserer Organisation, zu unsern Sitten und zu unserer Staatsverfassung keinesweges paßt. Es ist unmöglich, auch nur daran zu erinnern, ohne unsere Begriffe über den Anstand beleidigend zu streifen.

Käme es hier bloß auf Befriedigung der Neugierde an, so würde ich schweigen. Aber es gilt mehr: es gilt Wahrheit, es gilt das Glück vieler Menschen. Die Lehren des Plato, so halb verstanden sie immer seyn mögen, sind von den spätern Jahrhunderten aufgenommen, und modificieren noch heut zu Tage unsere Begriffe über eine ganz andere Art von Liebe, über die Liebe zu den Weibern, auf eine beträchtliche Weise. Die Sittlichkeit überhaupt, und das Glück liebender Verbindungen zwischen beyden Geschlechtern, haben aus der Unkunde des wahren Verhältnisses, worauf die Grundsätze jenes Philosophen ihre zutreffende Anwendung finden, manchen Nachtheil erlitten. Hier scheint einer von den Fällen einzutreten, wo der Liebe zur Wahrheit und Zweckmäßigkeit einiges von den Forderungen des Schicklichen aufgeopfert werden muß: oder vielmehr, wo dasjenige, was nur in einer gewissen Beziehung unschicklich genannt werden kann, dadurch schicklich wird, daß es in allgemeiner Rücksicht dem Triebe nach richtiger Erkenntniß und Nutzbarkeit anpassend erscheint.

Ich werde daher mit Freymüthigkeit, aber weit entfernt von Frechheit, über einen Gegenstand reden, dessen Kenntniß nur demjenigen schädlich seyn kann, der ein verdorbenes Herz zu meinem Buche herzubringt.


Zweytes Kapitel.
Geist der atheniensischen Gesetze und Sitten in Rücksicht auf die Liebe zu den Lieblingen.

Wenn man die Denkungsart eines Volks über einen Gegenstand seiner Gebräuche und geselligen Einrichtungen angeben will; so muß man sich wohl hüten, diese zu allgemein auf alle seine Individuen, ja, nur auf alle Classen seiner Bürger auszudehnen. Die gute Gesellschaft denkt anders darüber wie der einzelne Weise. Dieser prüft selbst, sucht sich in seiner Meinung von dem Einflusse der Vorurtheile und Leidenschaften frey zu erhalten, und unterwirft selbst dem bürgerlichen Gesetze nur seine äußere Handlungsweise. Jene folgt angenommenen und überlieferten Begriffen von dem Schicklichen und Anständigen, die oft mit dem Gesetze übereinstimmen, oft aber auch davon abweichen; in welchem letztern Falle sie nur eine zu kecke Beleidigung seiner Vorschriften vermeidet. Von beyden trennt sich noch der Pöbel durch eine Art die Sachen anzusehen, die der Niedrigkeit seiner Gesinnungen, der Eingeschränktheit seiner Ideen, und der Zügellosigkeit seiner Triebe angemessen ist. Außerdem giebt es allemahl einen kleinen Haufen von Schwärmern, die das Gute, was in einer Nazionalsitte liegt, übertreiben, und einen etwas größern Haufen von entschiedenen Spöttern, die das Nachtheilige, was sie mit sich führt, übermäßig hervorheben, und das Ganze zum Gegenstande ihres beißenden Witzes machen.

Ich werde bey der Untersuchung, die ich hier vorzunehmen habe, zuerst auf den Pöbel Rücksicht nehmen, und zwar in so fern das Gesetz seinen Trieben eine Regel gegeben haben sollte.

Ich habe im ersten Theile dieses Werks die Geschlechtssympathie der Körper entwickelt, und gezeigt, daß es falsch sey, wenn wir ihre Wirksamkeit nur bey der Verbindung solcher Körper annehmen, die zur Fortpflanzung der Gattung geschickt sind. Ich glaube dargethan zu haben, daß selbst Körper, die ihren äußern Kennzeichen nach zu einerley Geschlecht gehören, den Geschlechtsinstinkt bey einander aufregen mögen, wenn hebende Zartheit der einen Organisation mit der geschmeidigen Stärke der andern in ein solches Wohlverhältniß zu einander kommen, daß dadurch das Streben nach dem Gefühle einer überschwenglichen Lebenskraft entsteht.

Dieß vorausgesetzt, kann man die Begierden nach Verbindung solcher Körper, die äußern Kennzeichen nach zu einerley Geschlecht gehören, ihrer Organisation nach aber wirklich im Wohlverhältnisse der zärteren Organisation zur stärkeren stehen, unter keinem Volke in der Welt für bloße Folge einer Ausartung der Sinnlichkeit, oder für eine Verirrung der Natur erklären. Eine solche Lüsternheit ist nicht so wohl unnatürlich, d. h. den Gesetzen der physischen Natur widersprechend, als vernunftwidrig und unsittlich. Wir bemerken diesen physischen Zug verschieden organisierter Körper, die den äußern Kennzeichen nach zu einerley Geschlecht gehören, bereits bey Thieren; und unter den roheren Völkern, besonders bey den südlichen, ist er noch heut zu Tage so allgemein, daß man gar nicht daran zweifeln kann, daß nur Gründe, die außer den Gesetzen der Physik liegen, gewisse Menschen von dem Andringen ähnlicher Begierden völlig befreyen.

Dieß ist der Fall bey den kultivierten Nationen des nördlichen Europa. Bey uns wird der Abscheu gegen die ersten Regungen solcher Lüste, die Religion, Gesetze, Vernunft und Anstand auf gleiche Weise verdammen, der Jugend so früh eingeflößt, daß unsre ohnehin minder reitzbare Natur gegen Anfälle einer solchen, eben so ekelhaften als verbotenen Sinnlichkeit, der Regel nach nicht einmahl anzukämpfen braucht. Wir sind daher berechtigt, die Beyspiele, die man von solchen Verhältnissen zwischen uns antrifft, für Ausschweifungen unsers physischen, durch seine genaue Verbindung mit dem moralischen besonders modificierten Wesens zu betrachten, und sie zu Verirrungen unserer einmahl so gebildeten Natur, oder zu Freveln zu zählen, welche die Verdorbenheit der Sitten nach sich zieht.

Der Grieche war hingegen den Anfällen dieser Art von Lüsternheit sehr ausgesetzt. Man hat ihr erstes Erwachen in den Gymnasien aufgesucht. Cicero und Plutarch, beyde Schriftsteller aus spätern Zeiten, und mit Römischen Begriffen über Sittlichkeit und Anstand angefüllt, sind die Urheber dieser Meinung gewesen. Aber so sicher die gymnastischen Uebungen, wobey sich die entblößte Jugend unvorsichtigen Annäherungen aussetzte, zur Beförderung dieser Ausgelassenheit beygetragen haben mag; ihr erstes Entstehen liegt gewiß viel tiefer in der ursprünglichen Organisation dieses höchst reitzbaren und sinnlichen Volks, dessen älteste Sagen vor Gründung der Gymnastik bereits auf Knabenraub hinweisen. Ohnehin waren ja diese Ausschweifungen im südlichen Asien, wie uns die Bibel belehrt, von den ältesten Zeiten her im Schwange, obgleich hier an keine Gymnastik gedacht wurde. Und wenn auch dieser Grund das Entstehen der Männerliebe erklären könnte, wie würde er auf den Ursprung einer ähnlichen Ausgelassenheit unter den Weibern, weshalb besonders die Lesbischen bekannt waren, passen?

So übereinstimmend diese Lüste mit der thierischen Natur des Menschen besonders in heißen Himmelsstrichen von jeher, nach meiner Ueberzeugung, gewesen sind; so früh haben doch gewiß diejenigen, die sich um die Einrichtung der bürgerlichen Gesellschaft und die sittliche Bildung des Menschen verdient gemacht haben, das Nachtheilige für die Population des Staats, das Verderbliche für das Wohl des einzelnen Menschen, und das Hinderliche eingesehen, welches aus solchen Ausschweifungen für das Glück der Ehen zu besorgen war. Unstreitig haben sie also sehr früh die Mißbilligung der Vernunft und des moralischen Gefühls auf sich gezogen. Aber nicht bey allen Völkern sind sie durch Gesetze verboten, und mit bürgerlichen Strafen belegt worden.

Kein einziger glaubwürdiger Schriftsteller führt ein ausdrückliches Gesetz an, wornach in Athen die Ausgelassenheit der körperlichen Geschlechtssympathie unter Männern, und noch viel weniger unter Weibern geradezu verbothen gewesen wäre. [20] Es wird vielmehr aus einem Gesetze des Solon, welches den Sklaven die Männerliebe verwehrt, ziemlich wahrscheinlich, daß der Gesetzgeber freyen Menschen die Sorge für ihre Sittsamkeit selbst überlassen habe. Die Verordnungen, die er und seine Nachfolger über diesen Punkt gemacht haben, suchen nur der Verführung, der Gewalt, und der schnöden Gewinnsucht vorzubeugen. Sie suchen die Begierden durch Entfernung äußerer Bewegungsgründe zu zügeln, aber sie verdammen nicht den Reitz, den der Mensch in seinen Trieben selbst fand, und diejenige Befriedigung derselben, die aus freyer Willkühr beyder interessierter Personen gewährt wurde. Ein Mann, der sich in die Gymnasien der unverdorbenen Jugend einschlich, um diese zu verführen, war des Todes schuldig. Wer sich für Geld ergab, verlor alle Rechte des Bürgers, und harte Strafen erwarteten denjenigen, der Personen, die in seiner Gewalt waren, andern zum Mißbrauche überließ, oder durch Raub oder Verführung junge Männer um ihre Unschuld brachte. [21] Also nicht die Sache selbst, sondern nur die Art, wie sie geschah, war ein Gegenstand der atheniensischen Gesetzgebung.

Um dieß erklärbar zu finden, muß man sich an dasjenige erinnern, was ich oben [22] von den Begriffen der Athenienser über Tugend und Vortrefflichkeit gesagt habe. Nur diejenigen Schwächen und Laster, die mit den Pflichten des Bürgers gegen den Staat im unmittelbaren Widerspruche standen, waren ein Gegenstand des Verbots und der Strafe der Gesetze. Ein Archont, der im Rausche mit den Zeichen seiner Würde erschien, sollte diese Vernachlässigung des Anstandes, die der Führung öffentlicher Angelegenheiten nachtheilig werden konnte, mit dem Tode büßen. Ein Bürger, dessen Sitten so verdorben waren, daß er die Rüge der öffentlichen Meinung auf sich zog, verlor die Rechte des aktiven Bürgers. Aber die Ausgelassenheit der körperlichen Geschlechtssympathie, die kein Aufsehn machte, und die Rechte des Eigenthums und der Freyheit des Bürgers nicht kränkte, ward wie die Stillung eines physischen Bedürfnisses, als eine Quelle sinnlicher Freuden angesehen, die an sich eben so gleichgültig sey, als jeder andere wollüstige Reitz für die übrigen Sinne.

In dieser Nachsicht kam denn die gute Sitte mit dem Gesetze ziemlich überein. Es ist der Mühe werth, die Schauspiele des Aristophanes durchzublättern. Welcher Schmutz! Welche Beleidigung aller Schamhaftigkeit! Es ist gewiß, daß selbst der niedrigste Pöbel bey uns die Vorstellungen dieser Schauspiele mit Steinwürfen würde unterbrochen haben. So häufig sind darin die Anspielungen auf Lüste, an die wir ohne Abscheu nicht erinnert werden können. Nach den Mythen war den Göttern selbst eine völlige Ausgelassenheit der Begierden eigen. Die Tragiker spielten ungescheut in ihren Schauspielen auf ähnliche Ausgelassenheiten an. [23] Euripides hatte eines unter dem Nahmen Chrysippus verfertigt, dessen Süjet der Raub dieses Jünglings durch den Lajus ausmachte. [24] Denkmähler der bildenden Kunst waren Darstellungen gewidmet, die nach unsern Begriffen Ekel erwecken, [25] und die Rüge der Polizey auf sich ziehen würden. [26] Vor allen andern aber waren die Mißbräuche der Geschlechtssympathie unter Männern häufig. Sokrates warnte vor dem Umgange mit schönen Jünglingen, und verglich die Gefahr, die aus ihrer unvorsichtigen Berührung drohte, mit dem Bisse der Tarantel. [27] In den Gastmählern des Xenophon und des Plato, und in des letztern Republik und Phädrus, wird dieser Gegenstand mit einer Unbefangenheit behandelt, die uns in Erstaunen setzt, und die Sorge, welche die Väter anwandten, ihre Söhne durch beygegebene Hüter vor Verführung schlechter Menschen zu bewahren, so wie der hohe Werth, der den Weisen beygelegt wird, die über diese Schwäche hinausgesetzt waren, beweisen hinreichend, wie allgemein, wie durchgängig die Gewalt dieser verkehrten Richtung körperlicher Begierden angenommen wurde.

Man würde zu weit gehen, wenn man daraus folgern wollte, die gute Sitte in Athen habe gar keinen Werth auf die Keuschheit und Ehrbarkeit des Mannes gelegt. [28] Unstreitig wußte sie diesen Vorzug zu schätzen; aber sie setzte eine viel geringere Wichtigkeit auf den Mangel desselben bey dem großen Haufen, und fand es auf der andern Seite viel außerordentlicher, wenn der einzelne Mann eine Mäßigkeit und Enthaltsamkeit in diesem Stücke zeigte, die von der Menge, selbst unter der guten Gesellschaft, nicht erwartet werden konnte. Der Athenienser dachte über die Keuschheit des Mannes wie unsere Vorfahren über die Trunkfälligkeit. Diese letzten fühlten wohl, daß Mäßigkeit ein Vorzug, und Trunkenheit ein Fehler sey; aber sie sahen jene als eine Vortrefflichkeit an, die dem großen Haufen nicht angemuthet werden könnte, und fanden etwas Außerordentliches in dem Manne, der von einer so gemeinen Schwäche frey war. Wir finden heut zu Tage dieß Außerordentliche weder in dem mäßigen Trinker, noch in demjenigen, der die Triebe der Geschlechtssympathie vor unerlaubter Ausgelassenheit zu bewahren weiß, und bey uns trifft den Uebertreter des Anstandes und der Sittlichkeit in beyden Punkten eine viel schärfere und viel ausgebreitetere Rüge.


Drittes Kapitel.
Fortsetzung.

Der wohlerzogene Athenienser billigte folglich die Ausschweifungen der körperlichen Geschlechtssympathie keinesweges; selbst diejenigen, welche wechselseitige Zuneigung herbeyführte, hatten keinen unbedingten Anspruch auf seinen Beyfall; er hielt es weder für schön, noch für edel, den Begierden auf solche Art zu huldigen: es war immer eine Schwäche, ein Fallen. Aber er übte eine Nachsicht dagegen aus, die nicht in unser Klima, zu unserer Organisation, nicht in unsere Religionsbegriffe, Erziehung und politische Verfassung paßt. Eben diese Nachsicht hatte nun den größten Einfluß auf das Urtheil der Athenienser über die dauernderen Verbindungen zwischen Männern, die einen zärtlichen und leidenschaftlichen Charakter annahmen. Glaubten sie wirklich, daß diese Verbindungen rein vom Einfluß des Körpers, über die Gefahren, ja über den wirklichen Fall der Sinnlichkeit hinausgesetzt wären? Gewiß nicht! Aber wie konnten sie denn Verbindungen dieser Art gestatten? Ein Beyspiel wird die Sache erklären.

Die Cicisbeatura in Spanien und Italien ist gewiß der Treue, die Gatten sich unter einander schuldig sind, äußerst gefährlich. Die Sitten dieser Länder authorisieren gewiß den Ehebruch eben so wenig, als die Sitten in Athen das Laster der ausgelassenen Männerliebe. Dennoch lassen jene eine engere Verbindung und eine Vertraulichkeit zwischen dem Cicisbeo und der Dame zu, welche die menschliche Schwäche auf mannigfaltige Proben setzt, und denen sie, ihrer Ueberzeugung nach, nicht gewachsen ist. Aber sie verblenden sich willkührlich über die Mißbräuche, welche diese Verhältnisse nach sich ziehen, sie machen es entweder zur Pflicht, sie für unschuldig zu halten, oder sehen dem wirklich eingetretenen und nicht zu verkennenden Falle nach, wenn nur dieser den Anstand nicht frech unter die Füße tritt, und das Ansehn und der Werth der verbündeten Personen eine Entschuldigung für ihre Schwäche mit sich führt. Warum? Diese Cicisbeaturen haben die Autorität der Rittergalanterie, der Petrarcalischen Liebe, und selbst das Beyspiel einiger wirklich tugendhaften Verbindungen für sich; sie sind in die Geschichte, in die Künste, in die geselligen Einrichtungen dieser Völker genau verwebt; sie mildern das Loos schlecht gepaarter Ehen, sie tragen zur geselligen Bildung der Jugend, und zur Unterhaltung bey; sie beugen ärgern Ausschweifungen vor; kurz, sie sind eben so reitzend als unentbehrlich. Aus allen diesen Gründen kann die Cicisbeatura bey den Spaniern und Italiänern, ungeachtet aller Gefahren und Mißbräuche, die dem größten Theile dieser Verhältnisse drohen, auf ein Interesse rechnen, das jedesmahl eintritt, wenn die Personen, die dadurch vereinigt werden, sich durch Gleichheit des Ansehns und innerer Vorzüge auszeichnen, und des äußern Anstandes schonen. Dieß Interesse fällt aber weg, und macht der Verachtung Platz, sobald Personen von ungleichem Stande sich mit einander verbinden, oder wenn die Verbündeten von gleichem Stande durch ihr Betragen zeigen, daß der Zweck ihrer Vereinigung auf die Befriedigung solcher Begierden geht, die man verzeiht, wenn sie der Sympathie der Seelen untergeordnet sind, und sich neben dieser einschleichen, die man aber bar für sich nicht für gültig annehmen würde. Man sieht Fehlern nach, die edle Triebe unterstützen, aber man verdammt den Frevel, der sich unbegleitet von Tugenden darstellt.

Ungefähr so verhielt es sich mit der Liebe zu den Lieblingen nach den Sitten der Athenienser. Ihr erster Ursprung ist in den Heldenverbrüderungen jener ersten Wohlthäter der menschlichen Gesellschaft zu suchen, welche durch Ausrottung wilder Thiere und Räuber den Nahmen der Halbgötter verdienten. Spuren solcher Waffenbrüder findet man unter allen Nationen, auf der Stufe, wo sie zur Kultur übergehen. Gegenseitige Hochachtung für die Tugenden des damahligen Zeitalters, für Muth, Stärke, Beharrlichkeit, Treue: Gefühl eines wechselseitigen Nutzens unter gleichen dauernden Lagen, zog diese Personen an einander an. Sie verbanden sich zur Abwehrung gemeinschaftlicher Gefahren, zur Erreichung gleicher Zwecke; und lange Gewohnheit, das Erleben vieler Begebenheiten mit einander, knüpfte das Band immer fester. Vielleicht läßt sich schon hieraus allein das Leidenschaftliche dieser Heldenfreundschaften erklären, das so weit ging, daß der Freund sich willig für die Erhaltung des Freundes aufopferte, und seinen Verlust nicht überlebte, wenn er ihn gerächt hatte. Vielleicht aber waren diese Verbindungen unter einem Volke, dessen Sinnlichkeit durch Klima und Organisation so reitzbar war, bereits von allen Fehlern der spätern Liebe zu den Lieblingen angesteckt, und vielleicht muß auf diesen Umstand ein Theil der leidenschaftlichen Aeußerung gesetzt werden, womit sich diese Verbindungen in der Geschichte ankündigen.

Wie dem auch sey: diese Heldenfreundschaften waren in die Mythologie und Geschichte der Griechen und besonders der Athenienser verwebt, die sogar einem solchen Heldenpaare, dem Harmodius und Aristogiton, die Wiederherstellung ihrer Freyheit verdankten. Sie erhielten dadurch einen Reitz, der demjenigen, welchen die Rittergalanterie für uns hat, völlig gleich kommt, ja sogar übertrifft. Die Nahmen: Castor und Pollux, Theseus und Pyrithous, Orestes und Pylades, Achilles und Patroklus, und die eben genannten Harmodius und Aristogiton, bezeichneten Heldenpaare, die von dem Volke, in dessen Künsten, Religion und Chroniken sie auftraten, nicht ohne Interesse und Ehrfurcht genannt werden konnten. Und gesetzt, daß auch der Verdacht eines zweydeutigen Umgangs über diese Verbrüderungen nach der allgemeinen Meinung geschwebt haben sollte, so ward dieser doch durch das Ueberwiegende der Tugenden, welche darin herrschend waren, an seiner Lebhaftigkeit gehindert, oder gar erstickt. –

So kam denn der Begriff leidenschaftlicher Verbindungen zwischen Männern, mit einem feyerlichen Interesse verknüpft, auf die Athenienser in dem Zeitalter der Republik, und wir finden in den beyden Gastmählern des Xenophon und Plato mehrere Beziehungen auf diese allgemein verehrten Heldenpaare. Allein die Fortsetzung dieser Verbrüderungen in spätern Zeiten brachte auch die größten Vortheile für den Staat und für die Bildung und Sitten zuwege.

Selbst nach der höchsten Ausbildung der Kriegskunst bey den Alten ward man noch in jeder Schlacht handgemein mit dem Feinde. Hier konnte ein Angriff, eine Vertheidigung, die Paarweise geschahen, nicht gleichgültig seyn. Hier ward es wichtig, den jüngern Geliebten neben den ältern Liebenden hinzustellen, auflodernden Muth, brennende Ehrbegierde mit Erfahrung und überlegter Tapferkeit zu paaren, beyde aber durch stärkere Bande mit einander zu vereinigen, als bloße Mannszucht, Bürger- und Vaterlandsliebe, und selbst bloße Freundschaft knüpfen können. So rettete denn auch Sokrates seinem Alcibiades das Leben, und so fiel Epaminondas seinem Asopirhus zur Seite, indem sie zu gleicher Zeit für den Staat und für einander fochten. Die Kretenser behaupteten, daß ein kalter, frostiger Krieger, den nur Mars beseelte, dem feurigen, vom Amor beseelten Liebhaber nicht widerstehen könne, und Lykurg, der seine Gesetze von den Kretensern entlehnte, Lykurg, der einen kriegerischen Staat bildete, empfahl die Liebe der Männer unter einander als die schönste Anleitung zu derjenigen Tugend, die er seinen Landsleuten, den Spartanern, einzuflößen suchte.

Aber nicht bloß im Kriege war diese zärtliche und leidenschaftliche Paarung der Männer wichtig. Sie stand in genauer Beziehung mit der republikanischen Verfassung, worunter die Griechen, und besonders die Athenienser lebten. In Staaten, deren Bestehen so ganz auf persönlicher Anhänglichkeit der Bürger an einander beruht, wo das Gute oft nicht anders bewirkt werden kann, als durch enthusiastisches Vertrauen zu der Person des einzelnen Bürgers: wo selbst Partheygeist nothwendig wird, um den Freyheitssinn stets wach und rege zu erhalten; wie wichtig war es da, das Herz früh und ununterbrochen zu gewöhnen, der Liebe alles, und nichts dem Zwange aufzuopfern!

Endlich war diese Männerliebe sehr nützlich für die Erziehung der Jugend. Diese ward zu Leibesübungen, zur Kenntniß der Muttersprache und der Volksdichter durch Lehrer angeführt, die besonders dazu bestellt waren. Aber die Staatswissenschaft, das Privatrecht, die Behandlung der Geschäfte überhaupt, scheint sie in dem Umgange mit erfahrnen und thätigen Männern diesen praktisch abgelernt zu haben; und selbst der Unterricht über die Pflichten des Menschen und des Bürgers, der keinen Theil der gottesdienstlichen Verehrung ausmachte, scheint ihr mehr bey zufälligen Gelegenheiten und Veranlassungen im Gespräch, als durch an einander hängende Lektionen mitgetheilt zu seyn. [29] Wie viel anders mußte hier die Sorge des Liebhabers für die Ausbildung des Geliebten, und der Eifer des letzten, sie zu nutzen, seyn, als wenn der junge Mann entweder von dem Miethlinge lernt, oder die Mittel zur Ausbildung seines Geistes und seines Herzens ohne alle Schwierigkeiten findet! Wie wichtig, wie edel wurden dadurch diese Verbindungen! Darum nannte schon Solon die Liebe der Männer eine Mutter aller Tugend: darum empfahlen sie alle Weltweisen als das zuverlässigste Mittel, junge Seelen dazu anzuführen.

Diese Vortheile waren der Grund, warum die Athenienser so nachsichtig gegen Mißbräuche waren, die sich leicht in diese Verbindungen einschleichen, aber zu gleicher Zeit die Begeisterung und die Innigkeit erhöhen konnten, womit diese Bürgerpaare an einander hingen. Sie billigten die Richtung, welche eine ausgelassene Sinnlichkeit zu Körpern des nehmlichen Geschlechts nahm, nicht unbedingt, nie, wenn die Verbindung allein auf bloße Befriedigung einer unreinen Lust ausging. Sie nannten ein solches Verhältnis: eine gewöhnliche, pöbelhafte Liebe, die sich nicht um den Werth, um das Wohl des Geliebten bekümmerte, seine Seele durch schändliche Gewinnsucht zu verderben suchte, und ihn verließe, wenn sie zu ihrem verworfenen Zwecke gelangt war. Vor dieser Liebe suchten die Väter ihre Kinder zu bewahren: diese mißbilligten sie an den Lesbischen Weibern, nach deren Lage gegen den Staat an ein edleres Band zur Ausbildung der Tugend nicht zu denken war.

Hingegen die himmlische Venus flößte eine ganz andere Liebe ein. Diese suchte Jünglinge auf, deren Geburt und Anlagen den Staat zu den größten Hoffnungen in Rücksicht der Dienste, die sie ihm leisten würden, berechtigten. Mit diesen vereinigte sie sich, unter gleichen Verhältnissen in allem, was den Griechen das Liebste war, und was sie allein edel und schön nannten. Der junge Mann theilte die geselligen Freuden des reifern in größern Zusammenkünften, besuchte mit diesem die öffentlichen Oerter, und besonders die Gymnasien. Der Liebhaber und der Liebling erkannten wechselseitig den Werth des Bürgers in einander an, und hielten sich gegenseitig eines Wohls fähig, das sie nur als Bürger genießen konnten. Sie trafen in einem Genuß zusammen. Hier fand also wahre Zärtlichkeit, wahre Paarung der Naturen zu einer Persönlichkeit Statt. Und darum ward sie auch in der Verbindung zwischen Männern viel allgemeiner anerkannt, als in der Verbindung zwischen dem Manne und dem Weibe. Ja, sie war diejenige Liebe, welche die Athenienser im eigentlichen Sinne edel und schön nennen konnten. Denn sie war es allein, der man eine Erhebung über gröbere körperliche Triebe zutrauen, der man den edeln Grund einer wechselseitigen Achtung für Bürgervortrefflichkeit, und den edeln Zweck der Beförderung des allgemeinen Wohls durch Besorgung des partikulären beylegen konnte. Und zu Gunsten dieser Vortheile mochte sich denn auch hie und da einige Sinnlichkeit mit einmischen: man übersah es; sie diente die Begeisterung zu verstärken, mit der die Liebenden an einander hingen, und die sie zu allen Aufopferungen, welche der Staat und die Ruhmbegierde von ihnen forderten, geschickter machten. Dennoch mußten sich diese nicht ohne Kampf ihren Trieben überlassen. Schwäche blieb es allemahl, ihnen bis zu groben Ausbrüchen zu huldigen. Aber wenn sie endlich der Gewalt der Sinne wichen, so war die Gunst, die der Liebhaber nahm, ein verzeihlicher Gewinnst, den er bey seinen edeln Bemühungen um das Wohl des Lieblings davon trug; so war die Ergebung des letztern eine Belohnung, die in seiner Dankbarkeit für so viele wahre Wohlthaten, die er empfangen hatte, ihre Endschuldigung fand. [30]

Dieß scheint die Art gewesen zu seyn, wie die gute Sitte in Athen die Liebe zu den Lieblingen betrachtet hat. Den Beweis werden die folgenden Kapitel noch weiter liefern. Hier bemerke ich nur noch, wie durch diese Darstellung alle Widersprüche, und alle Zweifel gehoben werden, die bis jetzt diese Materie umgeben haben. Zuerst zeigt sich der deutliche Unterschied, der zwischen bloßer Freundschaft und jener Liebe eintrat. Mit Recht hat Cicero behauptet, daß diese Verbindung einen leidenschaftlichen Charakter und eine Einwirkung körperlicher Triebe mit sich führte, die nicht in das Wesen der Freundschaft gehörten. [31] Dennoch soll diese Verbindung für rein von Ausschweifungen der Sinnlichkeit[WS 31] gehalten seyn! Wie das? Die Sache ist sogleich erklärbar. Grobe Aeußerungen der körperlichen Geschlechtssympathie sind gar nicht nothwendig, um den Begriff der Geschlechtsliebe, selbst der leidenschaftlichen, zu gründen. Genug, wenn sie die Modifikation einer lüsternen Begeisterung annimmt, die allemahl zur Geschlechtssympathie gehört, und bey der, nach meiner Ausführung im zweyten Theile dieses Werks, so leicht körperliche Triebe im Geheimen mitwirken, wenn anders der Körper desjenigen, dessen Seele geliebt wird, sie zu erwecken im Stande ist. Diese Kraft hatten die schönen Gestalten der Jünglinge bey den Atheniensern um so mehr, als die allgemeine Denkungsart des Volks ihre Wirksamkeit nicht niederschlug. Es läßt sich folglich nicht behaupten, daß die Liebe zu den Lieblingen, wie sie zu den Zeiten der Sokratischen Schule von den Sitten gebilligt wurde, Freundschaft gewesen sey. Sie war vielmehr eine auf Geschlechtssympathie, und selbst auf mitwirkende körperliche Triebe, gebauete Zärtlichkeit, mithin Geschlechtsliebe, und diese brach sogar oft in grobe Symptomen aus. Auf der andern Seite war sie aber auch nicht, was Andere behauptet haben, Folge grober körperlicher Lust. Diese schlich sich nur mit ein, und erhielt zuweilen die Oberhand. [32] Nirgends findet sich beym Xenophon und Plato, die hier beyde die Kardinalquellen seyn müssen, eine Verwechselung der Liebe mit der Freundschaft. Diese letzte war nach ihnen ein zärtliches auf Gewohnheit und Uebereinstimmung der Neigungen gegründetes Band, das aber keines der üppigen, lüsternen, und leidenschaftlichen Symptome mit sich führte, die sie der Liebe beylegen.

Zweytens erklärt sich nun auch aus dieser Darstellung der Denkungsart der wohlerzogenen Athenienser über die Liebe zu den Lieblingen, wie sie diese theils haben billigen, theils verdammen können. Der Regel nach war die Richtung, welche die körperliche Geschlechtssympathie auf Personen des nehmlichen Geschlechts nahm, den strengeren Forderungen der Moral zuwider, und ihre schamlose Befriedigung immer unanständig. Eben so wie es heut zu Tage der Ehebruch bey den Spaniern und Italienern, ja selbst, in den verdorbensten Hauptstädten eines jeden andern Landes ist. Darum trugen die Väter Sorge, ihre Söhne davor zu bewahren; darum legte man Werth auf die Enthaltsamkeit in diesem Stücke; darum durfte der Charakter des Weisen mit dieser Schwäche nicht befleckt seyn! Aber wenn es mit Beobachtung des äußern Anstandes geschah: wenn es durch große Vorzüge und Vortheile, welche dauernde Verbindungen ausgezeichneter Männer mit hoffnungsvollen Jünglingen mit sich führten, ausgetilgt wurde: wenn es mehr Folge einer menschlichen Schwäche, als eine zügellose Brutalität war; so ward es verziehen, so erweckten solche Verbindungen sogar ein Interesse, wie ungefähr die Cicisbeaturen in Spanien und in Italien, und die Galanterien, die in Frankreich und dem übrigen Europa gewöhnlich waren, und zum Theil noch sind. Vortreffliche Menschen fanden sich immer, die über ihre Begierden siegten, und dadurch die Unschuld dieser Verbindungen im Kredit erhielten, während daß der Pöbel sich den gröbsten Ausschweifungen ohne Schonung des Anstandes überließ, und dadurch diesen Kredit wieder schwächte. Einige Schwärmer legten diesen Verhältnissen Vorzüge und Absichten bey, die nur in ihrer Phantasie Grund hatten. Einige Spötter machten sich über die Möglichkeit ihrer Unschuld lustig, und sahen sie sämmtlich als zweydeutige Schleier grober Ausgelassenheit an. Alles dieß findet man noch heut zu Tage bey den Beurtheilern der Cicisbeaturen, und anderer ihnen ähnlicher Verbindungen zwischen unverehlichten Männern und Weibern. [33]

Wir wollen nun noch sehen, wie einige Weise darüber dachten, und übergehen die Anschauungsart der Uebrigen.


Viertes Kapitel.
Denkungsart des Sokrates und seiner Schüler über edlere und schönere Liebe zu den Lieblingen, nach der Darstellung des Xenophon.

Die Philosophen, besonders Sokrates, nahmen die Liebe zu den Lieblingen, so wie die gute Sitte sie ihnen darbot, auf, und suchten sie mehr zu veredeln und zu verschönern. Aber eben dieß gab dem Pöbel und den Spöttern Veranlassung zum Verdacht, als wenn sie von den Schwächen des großen Haufens nicht frey wären. Dieser Verdacht traf auch den Sokrates. Zwey seiner Schüler, Xenophon und Plato, haben ihn von diesem Vorwurfe zu befreyen, und zugleich seine wahren Grundsätze über die Liebe zu entwickeln gesucht. Die Nachrichten, welche sie uns darüber liefern, scheinen Anfangs ein wenig widersprechend: sie lassen sich aber am Ende mit einander vereinigen. Es scheint mir interessant zu seyn, einen kurzen Ueberblick ihrer Darstellungen zu liefern, und eine Vergleichung zwischen ihnen anzustellen. Ich fange mit dem Xenophon an.

In den Denkwürdigkeiten dieses Schriftstellers wird Sokrates nicht bloß als ein enthaltsamer Mann geschildert, der sich durch vorsichtige Entfernung von allen Versuchungen, vor der Gefahr unter diesen zu fallen, zu bewahren weiß; sondern als ein abgehärteter Mann, der sich durch Ausbildung seines Charakters gegen alle Versuchungen stark zu machen gewußt hat, und sich daher ruhig und mit festem Schritte ihnen nähert. Er ist mäßig in Speise, Trank, und Befriedigung der Geschlechtssympathie. Diese drey Stücke werden in eine Klasse gesetzt. Besonders machen schöne Gestalten nicht mehreren Eindruck auf ihn, als häßliche, als gewöhnliche Menschen. Aber nicht alle Charaktere haben so viel Gewalt über sich selbst, und daher räth er seinen Schülern, sich durch behutsame Vermeidung aller Gelegenheiten, die zu Schwächen verleiten könnten, vor diesen zu bewahren. Sie sollen sich vor dem Umgange mit Menschen hüten, die sie zur Unmäßigkeit in Speise und Trank verführen könnten: sie sollen aber eben so sehr den genaueren Umgang mit schönen Jünglingen vermeiden. Flucht vor dem Anblick und der Berührung einer schönen Gestalt, wie vor dem Biß der Tarantel, ist für diese schwächeren Menschen das einzige Rettungsmittel.

Xenophon hat diesen Charakter eines starken, gegen alle Versuchung festen Mannes, der aber seine eigene Stärke von andern nicht verlangt, sondern diesen Behutsamkeit anräth, in seinem Gastmahle in Handlung dargestellt. Höchst wahrscheinlich ist ein solches Gastmahl wirklich gehalten worden, wobey Sokrates seine Ideen über die Liebe und über die Schönheit entwickelt hat.

Bey diesem Gastmahle, nach der Schilderung des Xenophon, spielt besonders ein Paar von Liebenden eine wichtige Rolle. Kallias, der Herr des Hauses, hat seinen Geliebten, den Knaben Autolycus, mit dessen Vater zum Essen eingeladen. Autolycus wird mit allen Vorzügen eines ausgezeichneten Jünglings, und mit allen Reitzen eines sittsamen und schönen Mädchens dargestellt. Er hat in den gymnastischen Uebungen bereits den Preis davon getragen. Schamhaftigkeit, Bescheidenheit, Liebe zu seinem Vater, zeigen sich in seinem Betragen, und erhöhen die Schönheit seiner Gestalt. Diese zieht die Augen aller Anwesenden auf sich, die ihre Macht mit starker Rührung empfinden. Einige schweigen, andere verrathen ihre Unruhe durch ihre Geberden. Vor Allen aber zeichnet sich Kallias durch den Eindruck[WS 32] aus, den der Anblick seines Geliebten auf ihn macht. Sein ganzes Wesen trägt Spuren einer schmelzenden Begeisterung an sich.

Xenophon macht hierbey die Bemerkung, daß alle diejenigen, welche von einer Gottheit begeistert werden, ein interessantes Schauspiel gewähren; daß aber diejenigen, welche die Gottheit der keuschen Liebe erfüllt, etwas Zärtlicheres in ihren Augen, eine sanftere Stimme, und eine reitzendere Bewegung in ihren Geberden zeigen. Dieses war der Ausdruck der Liebe des Kallias, der keinem der Gäste, die in den Geheimnissen dieses Gottes eingeweiht waren, entgehen konnte. Die Wirkung, welche dieß Alles auf die Gäste machte, war so stark, daß sie schweigend saßen, nicht anders, als ob die Anwesenheit eines höhern Wesens ihnen diese stille Ehrfurcht geboten hätte. Nicht einmahl der Witz eines privilegierten Spaßmachers konnte sie in dieser Andacht stöhren.

Gegen das Ende der Mahlzeit wird jedoch diese feyerliche Stimmung durch einen Syracusaner unterbrochen, der in Begleitung eines Paars artiger Mädchen und eines schönen Knaben künstliche Sprünge und Tänze, unter Begleitung einer Flöte und einer Zither, von dieser Jugend aufführen läßt. Die Gechicklichkeit, mit der sie sich dabey benahm, gab dem Sokrates Gelegenheit, von der Nothwendigkeit zu reden, den Körper auszubilden, und die Bemerkung zu machen, daß auch Weiber Anlagen besitzen, die der Ausbildung fähig und werth sind. Seiner Meinung nach fehlt es ihnen nur an überlegender Klugheit und Stärke. Er setzt hinzu, daß die Bewegung der Gestalt vortheilhafter sey, als die Ruhe. Alles in offenbarer Beziehung auf die Würdigung des wahren Werths der Schönheit! Denn nach dem Xenophon sah Sokrates den Körper als den Agenten der Seele und ihrer thätigen Tugenden, Tapferkeit und Führung der Geschäfte, an. War der Körper in dieser Rücksicht zweckmäßig, so war er auch schön; und überhaupt gab nur dasjenige dem Menschen Werth, was er durch Anstrengung, Ausbildung, Leitung seiner Kräfte, besonders auch der körperlichen, sich zu eigen machte. Alles Uebrige war zufällig, und dem Menschen fremd. – –

Laßt uns bemerken, daß bey den Griechen die Untersuchung über die Liebe beynahe immer mit Untersuchungen über das Schöne und Begehrungswerthe verbunden waren.

Das Gespräch wird nun auf die Vorzüge hingeleitet, um derentwillen sich jeder der Gäste schätzen zu können glaubt. Alle nach der Reihe geben an, was den Grund ihres Stolzes ausmacht. Kritobulus rühmt sich seiner Schönheit. „Kannst du uns dadurch besser machen?“ fragt Sokrates, „nur das allein bestimmt den Werth des Menschen!“ – Jetzt ein schöner Zug von dem jungen Autolycus: ein wichtiger Beytrag zur Charakteristik seiner Sittsamkeit, und der keuschen, aber begeisterten Liebe, die Kallias für ihn empfindet!

Der Vater des jungen Menschen, Lycon, wird gefragt, worauf er stolz sey? „Auf meinen Sohn,“ sagt dieser. „Vielleicht,“ fragt ein anderer, „weil er in den gymnastischen Spielen den Preis davon getragen hat?“ – Autolykus erröthet, und indem er das Wort für seinen Vater nimmt, antwortet er bescheiden: „Gewiß! darauf kann er nur wenig Werth legen!“ Alle freuen sich, den Knaben reden zu hören, und nun wird auch er gefragt, worauf er sich denn etwas einbilde? „Auf meinen Vater,“ antwortet dieser, und schmiegt sich schmeichelnd an diesen an. Bey diesem Anblick ruft sein Liebhaber, Kallias, voll Begeisterung aus: „O Lycon! Der Besitz dieses Sohnes macht dich zum reichsten Manne. Du würdest ihn für keine Krone weggeben!“

Wenn man an die Stelle des Sohns eine sittsame Tochter ihrem edeln Liebhaber gegenüber setzte, würde sich noch heut zu Tage ein reitzenderes und durch seine sittliche Einfalt rührenderes Gemählde denken lassen?

Autolicus ist schätzbarer durch seine innern als äußern Vorzüge, und Kallias liebt ihn, ganz gegen die Gewohnheit anderer Liebhaber aus der Ursache, weil er so sehr an seinem Vater hängt.

Man sieht deutlich, daß Xenophon für dieß liebende Paar, das er auch in der Folge als Muster aufstellt, hat interessieren wollen. Darum hebt er es nun noch durch den Kontrast. Critobulus, eben derjenige, der sich vorher seiner Schönheit wegen gepriesen hatte, sucht die Gewalt, welche diese über die Menschen ausübt, darzustellen. Er schlägt sie nach dem Eindrucke an, den sie auf ihn selbst in andern macht. „Meinen Geliebten, Clinias, zu sehen,“ sagt er, „ist mein höchster Wunsch, und mein größter Genuß! Ich zürne auf die Nacht, die mich seines Anblicks beraubt, und der Tag wird mir theuer, der mir ihn wieder giebt. Der schöne Mensch braucht nicht so wie der starke, der muthige, der weise, durch Arbeit, Bestehung von Gefahren, oder Reden, Güter zu erlangen. Er kann ruhen, und dennoch steht ihm alles zu Gebote. Ich,“ fährt Critobulus fort, „ich weiß den Werth der Glücksgüter wohl zu schätzen, und dennoch würde ich mein ganzes Vermögen dem Clinias lieber hingeben, als etwas von Andern annehmen. Ich würde gern sein Sklave seyn, mich keine Arbeit verdrießen lassen, und gern jede Gefahr für ihn übernehmen. Durch die Liebe, welche die Schönheit einflößt, werden diejenigen, welche sie empfinden, freygebiger, muthiger, standhafter, edler, bescheidener. Man sollte lauter schöne Feldherrn wählen. Für den Clinias würde ich durchs Feuer gehen, und gewiß Alle, die ihn kennen, würden mich begleiten!“

Critobulus bleibt der gemeinen Denkungsart treu, die in der Macht der Schönheit einen Antrieb zur Bürgertugend fand, aber zugleich die ganze Gewalt, die sie über die Sinne ausübt, und den Zweck, der am Ende mit dabey zum Grunde liegt, anerkennt. Sokrates nimmt bald darauf Gelegenheit, von der Gefahr der Küsse zu reden, die sich Critobulus gegen den Clinias erlaubt hat. „Nichts,“ sagt er, „erweckt so leicht die Liebe als Küsse! denn sie sättigen nicht, und geben die Ahnung einer höheren Lust. Vielleicht wird diese Liebe, weil sie sich auf die bloße Umarmung beschränkt, mit der edleren Liebe, die allein in der Seele wohnt, verwechselt.“ Scherzhaft gesteht Sokrates selbst ein, daß ihn einst eine unvorsichtige Annäherung an den schönen Critobulus in große Bewegung gesetzt habe. Es erhebt sich ein Streit zwischen dem Critobulus und ihm über die Frage: wer von ihnen beyden der schönere sey. Sokrates behauptet, daß seine Gestalt den Vorzug verdiene, weil sie zweckmäßiger zum Dienst seiner Sinne eingerichtet sey. Auch hier liegt der Satz zum Grunde, daß die Gestalt nur in so fern Werth habe, als sie brauchbar ist, die Wirksamkeit der Seele zu unterstützen.

Dieß Alles [34] geht der eigentlichen Rede des Sokrates über die Liebe zum Voraus, steht aber mit der folgenden Entwickelung seiner Ideen in dem genauesten Zusammenhange.

Er hebt damit an, von der Allgemeinheit der Liebe zu reden. Er selbst hat immer geliebt. Charmides hat viele Liebhaber gehabt, und hat jetzt Geliebte. Critobulus liebt schon wieder, und wird noch geliebt. Nikerates liebt seine Frau, und wird wieder von ihr geliebt. Hermogenes liebt den Ruf eines rechtschaffenen und biedern Mannes. – Dann fährt er fort, der Liebe des Callias zum Autolycus eine Lobrede zu halten. Die ganze Stadt, selbst viele Auswärtige, sind davon unterrichtet; so berühmt sind ihrer Beyder Eltern, so sehr haben sie selbst bereits die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. „Callias“, fährt Sokrates fort, „ich habe deinen Charakter stets geschätzt, aber jetzt verdienst du besonders meinen Beyfall durch die Liebe, die du einem Jüngling schenkst, der kein Weichling ist, und allgemein anerkannte Beweise seiner Stärke, seines ausdauernden Muths, und seiner Mäßigkeit an den Tag legt. Eine solche Wahl bringt auch demjenigen Ehre, der sie trifft. Ich weiß nicht, ob es wirklich eine doppelte Venus, eine himmlische und eine gemeine giebt. Denn auch Jupiter, ob er gleich einzig ist, hat mehrere Beynahmen. Aber das weiß ich, daß ihr Dienst verschieden, und daß die Verehrung, die man der himmlischen Venus zollt, die reinere ist. Die gemeine flößt die Liebe zum Körper ein, aber die himmlische gewährt die Liebe zur Seele, zu freundschaftlichen Neigungen, zu ehrbringenden Thaten. Und diese Liebe, theurer Callias, ist die Deinige. Dafür bürgt mir die Sittsamkeit deines Geliebten, und deine Vorsicht, den Vater zu deinen Zusammenkünften mit ihm zuzuziehen. Denn ein guter und rechtschaffener Liebender macht den Vater zu seinem Vertrauten. Welche Vorzüge hat nicht diese Liebe der Seele vor der zu dem Körper? Ohne Freundschaft kann keine Verbindung angenehm seyn, und ein Band, das durch gegenseitige Achtung für Sitten und Charakter geknüpft wird, ist, obgleich freywillig geschlungen, das stärkste unter allen. Wie kann aber dieß unter Personen Statt finden, die den Körper lieben? Ihre Sitten werden von vielen getadelt, und ihr Verhältniß wird gehaßt. Gesetzt nun auch, daß sie sich unter einander liebten, wie kurz wird ihre Zuneigung seyn! Sie vergeht mit der Blüthe der Schönheit, und selbst für diese stumpft sich das Gefühl durch den Genuß ab. Hingegen die Seele wird immer liebenswürdiger, so wie sie an Weisheit zunimmt; und die Liebe zu ihr ist eben darum nie zu sättigen, weil sie keusch ist. Weit entfernt, daß wir durch diese Entbehrung verlieren sollten, belebt vielmehr die Göttin unsere Ausdrücke und Handlungen mit neuem Reitze. Der Geliebte wird gegen eine so edle Liebe nicht unempfindlich bleiben. Wer könnte denjenigen hassen, der uns hochachtet, den wir mehr bekümmert um unsern Ruf als um sein eigenes Vergnügen sehen, und der uns die Ueberzeugung giebt, daß Alter und Krankheit keine Veränderung in seinen Gesinnungen hervorbringen werden? Welchen Genuß werden sie dann aus ihrer Vereinigung ziehen! Jene freundlichen Blicke, jene zärtlichen Gespräche, jenes wechselseitige Zutrauen, jene gemeinschaftliche Freude an ihren Tugenden, jene ungetrennte Theilnahme an ihrem Unglück, so wie jene stete Heiterkeit, die ihnen ihr Umgang bey guter Gesundheit einflößt! Krankheit und Abwesenheit werden ihre Aufmerksamkeit und ihre Sorge für einander nur erhöhen; und so liegt in Allem, was sie thun, der Ausdruck der Liebe, einer Liebe, die selbst der Gewalt des Alters trotzt. Alles dieß fällt bey der Körperliebe weg! Warum sollte der Geliebte den Liebhaber lieben? Etwa, weil dieser eine Befriedigung seiner Begierden sucht, die für den Geliebten äußerst unanständig ist? Oder, weil er ihn in seinen nothwendigsten, liebsten Bestrebungen hindert, und verlangt, daß er nur für Liebe leben soll? Derjenige Liebhaber, der Verführung statt Gewalt braucht, verdient am mehrsten den Haß des Geliebten. Denn wer diese anwendet, kündigt sich gleich als einen schlechten Menschen an. Jener hingegen verdirbt unvermerkt den Charakter desjenigen, den er gewinnt. Der Geliebte aber, der sich für schnöden Gewinnst ergiebt, liebt seinen Käufer nicht mehr, als derjenige, der sich auf öffentlichem Markte zum Sklaven verkauft. Er selbst bleibt nüchtern bey dem Anblicke des lüsternen Rausches, den er einflößt, und theilt nicht das Vergnügen, das er giebt. Welch Wunder, wenn er einen solchen Liebenden verachtet! Alle Erfahrung lehrt es, daß diejenigen Verbindungen, die auf die Liebe zu einem tugendhaften Charakter gegründet sind, nichts Nachtheiliges mit sich führen, da hingegen jene unzüchtigen Verhältnisse die Quelle vielfachen Unheils geworden sind. Aber nicht blos gefährlich, auch höchst unanständig sind sie. Wer einen Jüngling zum Reden und Handeln anführt, verdient geehrt zu werden, so wie Chiron und Phoenix vom Achilles geehrt wurden. Wer aber den Körper liebt, folgt dem Geliebten wie ein Bettler, der bald um diese, bald um jene Gunst fleht. Gleich dem Pächter eines Grundstücks, dem die Verbesserung desselben gleichgültig ist, sucht er nur recht viel Vergnügen aus seiner Verbindung zu ziehen, während daß der Freund, dem Eigenthümer des Grundstücks gleich, keine Mühe spart, den Geliebten zu veredeln. Dieser, wenn er fühlt, daß nur seine Gestalt ihm die Herrschaft über den Liebenden gewährt, wird ihn sehr schlecht behandeln. Wenn er hingegen fühlt, daß Rechtschaffenheit und Güte ihm allein das Herz seines Freundes sichern, so wird er mit größerm Eifer der Tugend nachstreben. Der größte Vortheil aber, der demjenigen, der aus dem Geliebten einen braven Freund anzuziehen sucht, gewährt wird, besteht in dem stets regen Antriebe zur Ausbildung seiner eigenen Tugend. Sein Beyspiel muß auf den andern wirken. Ist seine Aufführung schlecht, so kann er den Gefährten nicht veredeln. Zeigt er sich unmäßig und unverschämt, so kann er dem Geliebten keine Mäßigkeit und Bescheidenheit einflößen.“ –

Sokrates sucht nun durch Beyspiele aus der Göttergeschichte seine Lehren zu bekräftigen. „Götter und Helden“, sagt er, „haben die Seelenliebe der körperlichen vorgezogen. Jupiter hat die sterblichen Weiber, deren Umarmung er aufgesucht hat, in der Klasse der Sterblichen zurückgelassen: hingegen hat er diejenigen, deren Seelen er geliebt hat, zur Unsterblichkeit gehoben. Selbst den Ganymed hat er nicht um seines Körpers, sondern um seiner Seele willen in den Himmel gerückt. Homer läßt den Achilles den Tod seines Patroklus nicht als Liebhaber, sondern als Genosse rühmlich rächen. Orestes und Pylades, Theseus und Pirithous, und mehrere Andere unter den vorzüglichsten Halbgöttern sind nicht durch die ausgelassene Befriedigung ihrer Lüste, sondern durch die großen und schönen Thaten berühmt geworden, die sie aus wechselseitiger Achtung für einander verrichtet haben. Wie könnten auch diejenigen, die Wollust dem Ruhme vorziehen, so glänzende Handlungen thun, als diejenigen, die in der Ehre einen Antrieb zu den mühsamsten und gefährlichsten Unternehmungen finden? Pausanias, der Liebhaber des Dichters Agathon, hat zwar diese ausschweifenden Begierden vertheidigen wollen, und behauptet, daß ein Heer, das aus Liebenden und Geliebten bestehen würde, unwiderstehlich seyn müßte. Denn diese, glaubt er, würden sich aus gegenseitiger Scham einander nicht verlassen wollen. Sonderbar genug! wie sollten diejenigen, welche die öffentliche Meinung und sich selbst nicht achten, für das Schändliche überhaupt Scheu tragen? Pausanias berief sich auf die Thebaner und Eleer, bey denen es Gesetz war, daß diejenigen, welche sich auf die gemeine Art lieben, neben einander in der Schlacht gestellt werden mußten. Aber dieser Grund scheint mir nicht durchschlagend zu seyn. Bey jenen Völkern sind Verhältnisse dieser Art von den Gesetzen gebilligt; bey uns werden sie für unanständig gehalten. Und gewiß! Diejenigen, die man in ein Glied zusammenstellen muß, scheinen mir nur Mißtrauen zu verrathen, und erwecken den Verdacht, daß, wenn sie allein gestellt würden, sie den Ruhm tapferer Männer nicht bestehen würden. Die Lacedämonier hingegen, welche glauben, daß die gemeine Liebe die Begierde nach allem Edeln und Guten austilge, stellen ihre Liebenden nicht zusammen, und dennoch verlassen diese ihre Reihen nicht. Aber bey ihnen ist auch Schamhaftigkeit, nicht freche Ausgelassenheit, eine Gottheit!

Vielleicht würde nur eine Meinung hierüber Statt finden können, wenn man sich die Frage beantworten wollte: wem man am liebsten sein Vermögen und seine Kinder anvertrauen möchte, demjenigen, der um der Seele, oder demjenigen, der um des Körpers willen geliebt wird? Mich dünkt, daß selbst derjenige, der die Gestalt auf eine grobe Art liebt, demjenigen eher trauen werde, dessen Seele er liebenswürdig finden muß.“

Nun wendet sich Sokrates zum Callias. „Danke den Göttern“, sagt er zu ihm, „daß sie dir Liebe zum Autolykus eingeflößt haben. Er hat durch die That bewiesen, welche edle Ruhmbegierde in seiner Brust wohnt, da er sich keine Anstrengung, keine Mühe hat verdrießen lassen, um den Preis in den gymnastischen Spielen davon zu tragen. Ueberzeugt, wie er es ist, daß er durch ausgezeichnete Verdienste sich selbst und seinem Vater Ehre machen, seinen Freunden durch Tugend wohlthun, sein Vaterland erheben, und durch Trophäen über unterjochte Feinde bey den Griechen und Barbaren seinen Nahmen verherrlichen werde, wie sollte er nicht denjenigen besonders ehren, den er bey allen diesen Thaten zum trefflichsten Beystande gewählt hat? Ihm zu gefallen, strebe den edelsten und vorzüglichsten Mustern nach: einem Themistokles, dem Befreyer Griechenlands: einem Perikles, dem erfahrensten Staatsmann: einem Solon, dem weisesten Gesetzgeber! Studiere die Einrichtungen, wodurch unsere Nachbaren, die Lacedämonier, sich so groß im Kriege gemacht haben, und suche Gastfreundschaft mit den Edelsten unter diesem Volke zu unterhalten! Bald wird dann die Republik deine Dienste suchen. Du trittst unter den günstigsten Verhältnissen auf: deine Geburt, die Stelle, die du bereits bekleidest, und dein Körper von ausgezeichneter Gestalt und Stärke, begründen deine Ansprüche. Verzeiht“, setzte Sokrates am Ende hinzu, „wenn meine Rede für ein Tischgespräch zu ernsthaft geworden ist. Aber neben der Republik habe ich immer diejenigen am mehrsten geliebt, die sich durch glückliche Anlagen, und durch ihre Begierde nach Ruhm und Tugend auszeichnen.“

Beym Schlusse dieser Worte warf Callias seine Augen auf den Autolykus, dessen Blicke den seinigen begegneten. „Ja! Sokrates“, rief er aus, „du hast mich dem Staate gewonnen, ihm will ich zu gefallen streben, und alle meine Kräfte forthin den öffentlichen Angelegenheiten widmen!“

Hiermit endigt sich das Gespräch. Es folgt aber noch ein Nachspiel, das allerdings mit zu der Oekonomie des Ganzen gehört: eine Scene, die den Sokrates aufs Neue in seiner Stärke gegen die verfeinerten Versuchungen körperlicher Triebe darstellen soll. Aber von dieser Scene entfernt Xenophon den sittsamen Autolykus. Dieser geht mit seinem Vater spatzieren, und macht einem pantomimischen Drama Platz, in dem die Spiele der gemeinen Venus mit allen ihren Lockungen dargestellt werden sollen.

Ariadne, als Braut geschmückt, sitzt auf einem Throne. Bacchus, dessen Lebensgeister durch den Genuß des Weins erhöht sind, tritt unter Begleitung von Musik auf. Man sieht der Ariadne an, wie sehr diese Erscheinung auf sie wirkt, aber sie behält Gewalt genug über sich selbst, um dem Liebhaber nicht entgegen zu gehen. Bacchus drückt seine liebenden Empfindungen durch den Tanz aus, und läßt sich endlich auf die Kniee vor ihr nieder. Er umarmt, er küßt Ariadnen. Sie streitet anfangs mit ihrer Schamhaftigkeit, endlich giebt sie ihm seine Küsse zurück. Die Gäste rufen laut auf, und klatschen Beyfall. Nun überlassen sich die beyden Liebenden ihren wechselseitigen Umarmungen. Beyde sind schön, Beyde bringen den wahrsten Ausdruck in ihre Geberden. Bacchus fragt Ariadnen, ob sie ihn liebe? Sie betheuert es, und Beyde spielen mit so viel Natur, daß man hätte schwören sollen, die beyden Schauspieler liebten sich im Ernst. Die Zuschauer, welche ahnen, daß die Liebenden sich nach höheren Freuden sehnen, gerathen in die stärkste Bewegung. Die ledigen Personen unter ihnen nehmen sich fest vor, zu heirathen; die Verheiratheten schwingen sich zu Pferde, um zu ihren Gattinnen zu eilen. Aber Sokrates steht mit dem Callias auf, um den Lycon und seinen Sohn auf dem Spatziergange aufzusuchen.

Nach diesem Auszuge aus dem Gastmahle des Xenophon leidet es keinen Zweifel, daß dieser Philosoph die Schönheit der Gestalt an sich für einen gleichgültigen Vorzug, aber ihrer Wirkungen auf die Sinnlichkeit wegen für eine höchst gefährliche Eigenschaft gehalten habe. Er betrachtet die körperlichen Triebe überhaupt als Schwächen, denen zu huldigen dem edleren Manne unanständig ist. Sogar ihre Richtung gegen die Weiber ist ein bloßer Zug der gemeinen Natur im Menschen. „Jupiter“, sagt Sokrates, „hat die Weiber, mit denen er sich abgegeben hat, in der Klasse der Sterblichen gelassen, hingegen die Männer, deren Seelen er geliebt hat, zur Unsterblichkeit gehoben.“ Als die übrigen verheiratheten Männer bey erwachter Lüsternheit sich zu ihren Gattinnen begaben, so geht der Held des Stücks, der gleichfalls verheirathet war, mit dem Callias zum Autolykus und seinem Vater. – Weiber sind nach ihm allerdings einer gewissen Veredlung fähig, aber so wie sie sind fehlt es ihnen an überlegender Klugheit und Stärke. Jünglinge, die große Anlagen und Ruhmbegierde zeigen, haben allein Anspruch auf seine Zuneigung. Aber der Körper kommt dabey nicht weiter in Anschlag, als in so fern er zum zweckmäßigen Agenten der Seele dient.

Von der Liebe zu Jünglingen ist die Befriedigung unanständiger Begierden ganz ausgeschlossen. An ihre Stelle treten Bande, welche die Seelen an einander knüpfen. Sokrates fühlt das Wesen der Liebe sehr gut, und setzt es in die Anerkennung des Werths eines Andern, und in die Beförderung seines Wohls. Diese Liebe erhält dadurch ihre größte Veredlung, daß die Liebenden sich einander das höchste Gut, Bürgertugend, mitzutheilen suchen, und in dem Genuß ihres gemeinschaftlichen Ruhms zusammentreffen. Hingegen ist die Körperliebe keine wahre Liebe, sondern ein bloßer egoistischer Trieb, der auf Herabwürdigung des Geliebten zur Büßung einer einseitigen Lust abzweckt. Alles, was hierüber gesagt wird, ist, wie mich dünkt, eben so fein und richtig gefühlt, als plan und eindringend gesagt.

Allein nun fragt es sich: ist die Liebe, die Zärtlichkeit, welche Sokrates nach dem Xenophon empfiehlt, Freundschaft oder Geschlechtsliebe? Die Beantwortung dieser Frage ist nicht leicht, und nur dadurch möglich, daß wir uns genau an die Erklärung, die von beyden Verhältnissen früher gegeben ist, halten, und die verschiedenen Modifikationen der Geschlechtssympathie nicht vergessen.

Versteht man unter Geschlechtsliebe eine Zärtlichkeit, die mit groben Symptomen der körperlichen Geschlechtssympathie, mit dem deutlichen, nicht bekämpften Bestreben nach Körperverbindung verknüpft ist; so kann man geradezu behaupten, daß Sokrates diese Geschlechtsliebe verboten und gemißbilligt habe. Er verlangt Behutsamkeit, um der Lüsternheit auszuweichen, und kräftigen Widerstand, wenn sie sich meldet. – Allein nach den näheren Bestimmungen, die wir im ersten Theile dieses Werks festgesetzt haben, giebt es eine feinere Geschlechtssympathie des Körpers, wobey die Symptome der Lüsternheit nur sehr schwach sind: giebt es ferner eine Geschlechtssympathie der Seele, die sich durch einen schwärmerischen Aneignungstrieb der Geister, durch eine Art von Besessenheit, äußert. Nicht selten, und beynahe jedesmahl, wo der schwärmerisch begehrte Geist in einem Körper wohnt, der körperliche Lüsternheit erwecken kann, wirkt diese im Geheimen mit, und dient dazu, jene Geschlechtssympathie der Seele, jene Besessenheit zu erhöhen. Eine Zärtlichkeit, die auf dieser feineren Geschlechtssympathie beruht, nimmt aber immer noch einen leidenschaftlichen Charakter von besonderer Art an, die sich durch schmachtende Sehnsucht, schmelzende Hingebung, und ununterbrochene Vorstellung des Bildes des Geliebten, von den Symptomen der Freundschaft sehr unterscheidet, und die Geschlechtsliebe unwidersprechlich begründet.

Aber auch selbst in dieser feineren Geschlechtsliebe giebt es Stufen. Zuweilen melden sich die körperlichen Triebe gar nicht, bloß der Geist scheint sich den Geist aneignen zu wollen. Zuweilen äußert sich auch dieser schwärmerische Aneignungstrieb der Geister nur mit dunkeln Spuren des schmachtenden Begehrens, der schmelzenden Hingebung, und der Besessenheit von dem Bilde des Geliebten. In diesem letzten Falle kommt die Geschlechtsliebe der Freundschaft so nahe, daß nur die Verhältnisse, worin die Personen in Rücksicht auf Zartheit und Stärke zu einander stehen, die Vermuthung unterstützen kann, daß Geschlechtsliebe bey der Verbindung zum Grunde liege.

Sokrates empfiehlt die Freundschaft in der Liebe aufzusuchen: er giebt dieser Liebe einen wackern, rüstigen Charakter; mithin sollte man wähnen, er habe nur Freundschaft unter Männern zugelassen. Aber warum sagt er denn nicht geradezu, daß Männer nur Freunde seyn sollten: warum spricht er von einer mit Liebe verbundenen Freundschaft, von Liebhabern, von Geliebten, von der Verbindung reiferer Männer mit Jünglingen? Freundschaft findet doch hauptsächlich unter Männern von gleichem Alter, gleichen Verhältnissen Statt; sie beruhet überhaupt auf dem Hange zum Gleichartigen, auf dem Triebe, unsere Stärke durch die Stärke eines Andern, unsere Zartheit durch seine Zartheit zu erhöhen, und uns als Individuen unsers Geschlechts zu verbessern. Wie findet dieser Hang in der Verbindung zwischen dem reiferen Manne und dem Jünglinge, der beynahe noch Knabe ist, Befriedigung? Mehr! Sokrates billigt das Verhältniß zwischen dem Callias und Autolykus, das doch offenbar das Gepräge einer zwar keuschen, aber von der Einwirkung der körperlichen Gestalt nicht befreyeten Leidenschaft an sich trägt: einer Geschlechtsliebe, die man dreist mit derjenigen vergleichen kann, die bey uns ein edler Mann zu einem schönen, aber gebundenen Frauenzimmer empfinden würde, wenn er den Ausbruch seiner Triebe zu unterdrücken suchte!

Ohne dem Sokrates, so wie ihn Xenophon darstellt, sehr genaue Distinktionen zwischen gröberer und feinerer Geschlechtssympathie beylegen zu wollen, erscheint doch so viel klar, daß er dasjenige Verhältniß, das mit Begeisterung und mit einem leidenschaftlichen Zuge nach Vereinigung der Persönlichkeiten verbunden ist, von der Zärtlichkeit, die auf gegenseitiger Achtung und Gewohnheit beruht, unterschieden habe. Diese nennt er Freundschaft: jene Liebe. Es entgeht ihm nicht, daß diese Liebe entweder gröbere Begierden zum Grunde haben, oder auf den feineren Trieben beruhen könne, die das Zarte der Jugend und die Schönheit der Gestalt einflößen. Nun verwirft er diejenige Liebe, welche sich mit groben Symptomen körperlicher Geschlechtssympathie ankündigt, geradezu. Ja! er für sich selbst glaubt für seine jungen Freunde eine reine Freundschaft zu empfinden, welche ihm ihre glücklichen Anlagen, und ihre edle Ruhmbegierde einflößen. Sie hat bey ihm einen rüstigen wackern Charakter, frey von aller schmelzenden Begeisterung, und von aller schmachtenden Sehnsucht. Man muß annehmen, daß die besondere Modifikation, welche das Verhältniß der Zartheit der Jugend zur Stärke seines reiferen Alters diesen Verbindungen nothwendig geben mußte, von ihm, oder vom Xenophon übersehen sey. Und wirklich liegt hierin etwas Dunkles, was nur durch Annahme eines Selbstbetrugs erklärbar wird. Inzwischen konnte es ihm nicht entgehen, und es ist ihm auch, wie man aus dem Zusammenhange des Ganzen sieht, nicht entgangen, daß seine Schüler durch die Reitze der Gestalt ihrer jüngern Freunde auf eine Art angezogen wurden, wobey der Körper eine wichtige Rolle spielte. Er mußte einsehen, und sah es ein, daß ein Zustand, worin körperliche Begierden verhalten, bekämpft, und unterjocht werden, doch ganz andere Wirkungen hervorbringt, als ein Zustand, worin dergleichen Begierden sich gar nicht melden. Die keusche Liebe des Callias zum Autolykus war ja ganz etwas anders, als die Freundschaft, welche er für seine Schüler empfand: und er konnte die schmachtende Sehnsucht, die schmelzende Begeisterung, die darin lagen, nicht verkennen. Demungeachtet billigt er diese Liebe. Wie nun? Wie ist Sokrates von diesem Widerspruche mit sich selbst zu retten? Mich dünkt, auf folgende Art:

Er sah der Schwäche seiner Schüler nach, wenn diese nur durch Rücksichten auf Pflicht und Anstand geleitet wurde: er rechnete darauf, daß verhaltene Triebe, welche die körperliche Gestalt einflößte, die Begeisterung erhöhen und verstärken würden, und nutzte diese, um darauf Verbindungen zu gründen, die höhere Bürgertugend befördern, und sich endlich in bloße Freundschaft auflösen könnten.


Fünftes Kapitel.
Denkungsart des Plato über edlere und schönere Männerliebe, nach seinem Phädrus.

Wir haben vom Plato zwey Dialogen über diesen Gegenstand. Der erste ist unter dem Nahmen des Phädrus, der andere unter dem des Gastmahls bekannt. –

Der erste scheint in früheren Jahren, der letzte in der Reife des Alters geschrieben zu seyn. Ich fange meine Untersuchung mit dem Phädrus an.

Phädrus liest dem Sokrates die Rede des Lysias, eines der berühmtesten Redner seiner Zeit, über den Vorzug der zärtlichen aber leidenschaftlosen Anhänglichkeit vor der leidenschaftlichen Liebe vor. Lysias scheint darin nicht sowohl gegen die körperliche Ausgelassenheit als gegen die Ausgelassenheit des Geistes, gegen die Schwärmerey und den Wahnsinn zu eifern, der den leidenschaftlichen Zustand charakterisiert. Ueberhaupt scheint die Frage: in wie fern das Leidenschaftliche und Schwärmerische in der Liebe Tugend oder Fehler sey, ein gewöhnlicher Streitpunkt zwischen den Sophisten und den Schülern des Plato gewesen zu seyn.

Sokrates macht dieser Rede den Vorwurf, daß der Begriff der Liebe darin nicht gehörig bestimmt sey. Vernunftlose Begierde nach Schönheit zur Befriedigung körperlicher Lust, wenn sie den bessern Willen in uns beherrscht, und mit siegender Macht überwältigt, wird, wie er sagt, Liebe genannt. – Man sieht, daß Sokrates hier nicht allein leidenschaftliche Geschlechtssympathie mit Liebe verwechselt, sondern auch eine tadelnde Bestimmung mit in den Begriff nimmt, die eigentlich nicht hinein gehört, nehmlich die Herrschaft der Begierde über den bessern Theil in uns. Er selbst hat in der Folge diesen Zusatz wieder bey Seite gesetzt.

Allein diese Rede des Sokrates hat auch nur die Absicht, den Phädrus zu überzeugen, daß wenn man einmahl wider die leidenschaftliche Liebe sprechen wolle, es ganz anders und viel besser geschehen müsse und könne, als Lysias es gethan hat. Aber gleichsam als hätte er sich dadurch an dem Eros, dem Gotte der Liebe, versündigt, indem er ihn so allgemein verrufen hat, will er nun auch versuchen, ihm einen Lobgesang zu bringen, und ihn dadurch zu sühnen. „Wenn uns ein edler und bescheidener Liebhaber überhört hätte“, sagt er, „er würde glauben, wir wären unter dem niedrigsten Pöbel erzogen, und edle Liebe sey uns unbekannt.“

Um folglich diesen Fehler wieder gut zu machen, bemerkt er zuerst, daß es mehrere Arten von Begeisterung gebe, die an Wahnsinn und Raserey zu grenzen scheinen, und dennoch nützliche und schöne Wirkungen hervorbringen. Er erinnert an diejenige, welche die Seherinnen in Delphos, die Priesterinnen in Dodona, die Sybille, erfüllt, und diese Personen zur Weissagung fähig gemacht hat. Eine solche Begeisterung nennt er die göttliche. Dann kommt er auf die der Musen, die zu Gesängen entflammt, welche die Nachwelt unterrichten; und endlich sucht er zu zeigen, daß der gespannte und entzückte Zustand, der die leidenschaftliche Liebe begleitet, ihr nicht unbedingt zum Vorwurfe gereiche.

In dieser Absicht entwickelt er vorläufig die göttliche und sterbliche Natur des Menschen. „Jede Seele“, sagt er, „ist unsterblich, weil sie den Grund ihrer Bewegungen in sich selbst hat: nur Dasjenige ist unbelebt und seelenlos, was den Grund aller in ihm vorgehenden Veränderungen außer sich findet. Ihr übriges Wesen läßt sich am leichtesten durch Bilder erklären.“

Die Seele gleicht einem geflügelten Gespanne mit seinem Führer, deren vereinte Kraft einen Wagen bewegt. Alle Götter haben Seelen, die man sich unter diesem Bilde denken muß. Allein bey ihnen ist das Gespann und der Fuhrman von unverbesserlicher Vollkommenheit. Nicht so bey den Wesen einer niedrigeren Gattung. Bey dem Menschen ist das eine Roß schön und gut, das andere aber schlecht; daher hat dasjenige, was in uns herrscht, der Wagenlenker, kein leichtes Geschäft.

„Jede Seele waltet über das Seelenlose, und umwandelt den ganzen Himmel, jedoch unter verschiedenen Gestalten, und zu verschiedenen Zeiten. Die vollkommene und geflügelte Seele hebt sich empor, und umschwebt die ganze Welt. Allein es entfällt ihr zuweilen das Gefieder, und so wird sie hingerissen, bis sie auf einer Veste Fuß faßt, wo sie einen irdischen Leib annimmt, den sie bewegt. Sie verliert aber das Gefieder durch das Schändliche und Böse, da dieß hingegen durch das Schöne, Weise und Gute wächst.

Jupiter, der große Führer und Regierer des Universums, fährt auf seinem geflügelten Wagen vor allen Andern vorauf, um die Welt, sein unermeßliches Gebiet, zu überschauen. Ihm folgt das ganze Heer von Göttern, Dämonen und Seelen. Die Götter haben verschiedene Ordnungen und Bestimmungen. Ihre Fahrt ist leicht, wegen des gleichgepaarten Gespanns ihrer Rosse. Aber die Uebrigen, deren Fuhrwerk ein träges Roß neben dem muntern führt, folgen ihnen mit Mühe.

Auf diesem Zuge schauen die Götter, was kein Dichter je besungen hat, was kein sterblicher Mund auszusprechen wagt: das Wesen der Wesen selbst, die ursprüngliche Wahrheit, Gerechtigkeit, Mäßigung und Schönheit!

Die besten unter den übrigen Seelen folgen einem unter den Göttern, werden ihm ähnlich, und erheben auf überhimmlischer Stäte ihr Haupt, um die Urschönheit zu erblicken. Aber verwirrt durch die Widerspenstigkeit der Rosse können sie nur einen flüchtigen Blick von dem Wesen der Wesen nehmen. Andere sind nicht einmahl so glücklich: Unvermögend, zu folgen, werden sie auf der Kreisbahn des Himmels wild umhergeschleudert, tauchen bald unter, bald wieder in die Höhe, verwickeln sich im Gedränge des Voreilens, hindern und stampfen sich unter einander.

In diesem Getümmel verlieren Viele ihr Gefieder, und fallen, ohne etwas gesehen zu haben, auf die Erde. Und zwar droht diese Gefahr bey jedem neuen Kreislaufe der Götter den Seelen aufs Neue. Darauf beruht die Abtheilung der Seelen in verschiedene Grade und Classen. Diejenigen, die bey einem Kreislaufe im Gefolge eines Gottes etwas von dem Wahren gesehen haben, bleiben in der Wohnung der Seeligen bis zur nächsten Umkreisung, und dieß bleibt ihr Loos, so lange sie bey den jedesmahligen folgenden Processionen eben so glücklich sind. Sind sie aber einmahl so unglücklich, nichts zu schauen, so sinken sie zur Erde herab, und beseelen hier, je nachdem sie mehr oder weniger bey vorigen Kreisläufen von dem Wesen der Wesen gesehen haben, verschiedene Classen von Menschenkörpern.“ (Die Zahl dieser Classen wird auf Neune angegeben. Die erste besteht aus Philosophen, Liebhabern des Schönen, solchen, die Freunde der Harmonie, und der Liebe kundig sind. Die letzte machen die Tyrannen aus.)

„Jede von diesen wird, wenn sie rechtschaffen gelebt hat, eines bessern; hat sie aber Unrecht gethan, eines schlechtern Looses theilhaftig: doch können die Seelen vor Ablauf von Zehntausend Jahren nicht wieder zum Sitze der Götter gelangen. In kürzerer Zeit wächset das Gefieder der Seele nicht, außer bey Philosophen und solchen, die Jünglinge mit Weisheit geliebt haben. Diese kehren, wenn sie ihrer Bestimmung dreymahl binnen Dreytausend Jahren treu geblieben sind, zum Himmel zurück. Die andern werden nach Vollendung des ersten Lebens gerichtet, und auf tausend Jahre in unterirdische Oerter eingekerkert, und gezüchtigt, oder zu einer Stäte des Himmels empor gehoben, wo ihr Zustand mit dem Leben, welches sie in menschlicher Gestalt geführt haben, im Verhältnisse steht. Beyde Arten kommen nach Tausend Jahren zur Bestimmung und Wahl eines zweyten Lebens zurück. Die Wahl steht jeder Seele frey. Einige gehen in ein thierisches Leben über, andere werden Menschen: doch kann dieß letzte Loos nur denjenigen wiederfahren, welche die Wahrheit wirklich geschauet haben. Denn der Mensch muß viele einzelne Wahrnehmungen in einen allgemeinen Begriff durch Vernunft zusammenfassen können. Diese allgemeinen Begriffe sind Erinnerungen jener Wahrheiten, die unsere Seele im Gefolge Gottes geschauet hat, als sie von ihrer Höhe herab auf Dinge sah, die wir Menschen für Wesen halten, und diese dann beym Blick in die Höhe mit demjenigen verglich, was das Wesen der Wesen ist.

Der Mann, der diese Erinnerungen recht anwendet, entreißt sich menschlichen Bestrebungen, versenkt sich in das Göttliche, und wird leicht von der Menge des Wahnsinns beschuldigt. In diese Art von Begeisterung gerathen wir hiernieden beym Anblick des Schönen, das uns an die obere Wahrheit erinnert. Die Seele wird dann wieder befiedert, und strebt empor. Aber unvermögend dazu, zieht sie sich durch Vernachläßigung dessen, was sie umgiebt, und durch das Hinaufschauen nach dem, was dem Blicke anderer entzogen ist, sehr leicht den Verdacht des Wahnsinns zu. Inzwischen ist diese Entzückung die schönste und heilsamste von allen, und derjenige, der Liebe zum Schönen damit verbindet, ist ein Liebhaber.

Des Auges Wahrnehmung ist die schärfste von allen, die uns durch die Sinne zu Theil werden. Freylich sind wir unfähig, die Weisheit so wie die übrigen liebenswürdigen Vollkommenheiten, die wir oben erschauet haben, dadurch zu sehen. Wer diese im Bilde erblicken könnte, zu welcher gewaltigen Liebe würde der entflammt werden! Aber die Schönheit, welche das Auge erblickt, ist doch die auffallendste und die holdeste Erinnerung an jene Urschönheit.

Diejenigen, welche nur wenig Erinnerungen davon übrig behalten haben, erblicken ihr Abbild hiernieden ohne Ehrfurcht, geben dem Reitze zur Wollust Raum, und überlassen sich frech thierischen Ausschweifungen.

Hingegen derjenige, bey dem jene Erinnerung lebhaft ist, geräth beym Anblick eines götterähnlichen Antlitzes, des treuen Nachbildes der Urschönheit, in ein ehrfurchtvolles Staunen, wie bey der Annäherung an die Gottheit selbst: und wenn er nicht den Vorwurf eines offenbaren Wahnsinns scheute; er würde dem Geliebten als wie dem Bildnisse eines Gottes opfern.

Der Zustand seiner Seele gleicht dem eines körperlichen Fiebers: auf den kalten Schauer folgt Hitze, folgt Schweiß. Die Schönheit, deren Ausströmungen er durch die Augen aufnimmt, durchwärmt ihn: die Stockung, welche den Aufschuß des Gefieders verhinderte, löset sich auf, und der Wachsthum der Flügel wird durch die feuchte Ausdünstung befördert. Nun ist Alles in Gährung bey der Seele: Alles brauset in ihr auf. So wie zähnenden Kindern das Zahnfleisch schmerzt und juckt, so leidet die Seele von dem peinigenden und kitzelnden Sprossen des Gefieders. In diesem Zustande findet sie Erleichterung beym Anblick der Schönheit, die durch die Ausströmung der Theilchen, welche Liebreitz heißen, das Hervortreiben der Fittige befördern. Entfernt sie sich aber von dem geliebten Gegenstande, so ziehen sich die Mündungen, durch welche das Gefieder treiben soll, zusammen. Der vorher mit eingesogene Liebreitz vermehrt noch die Qual und das innere Brennen und Stechen. Bald bringt der marternde Schmerz die Seele an den Rand der Verzweiflung, bald wird sie durch Erinnerungen an das Schöne gelabt. Zagend über diesen seltsamen Zustand von gemischten Empfindungen steigt ihre Angst bis zur Wuth. Sie findet keine Ruhe bey Tage und bey Nacht. Sehnsuchtsvoll stürzt sie zu dem Schönen hin, sieht ihn, und findet auf eine Zeitlang Erleichterung und Entzücken. Und für diesen Gegenstand ihrer Bewunderung und ihrer Rettung verläßt sie nun Eltern und Geschwister, und verachtet Vermögen und Größe! Ja! sie verachtet den Ruf und Alles, worauf sie sonst stolz war, um dem Geliebten zu dienen, und in seiner Nähe zu übernachten. Das ist der Zustand, den die Menschen Liebe nennen!“

Woher aber rührt es, daß nicht jede Schönheit die nehmliche Wirkung auf alle Menschen macht: woher die Verschiedenheit des Geschmacks? – Plato begegnet diesem Einwurfe auf folgende Art: „Eine jede Seele verehrt denjenigen Gott, ahmt demjenigen Anführer nach, in dessen Gefolge sie den Kreislauf vorhin gemacht hat. Sie nimmt seine Natur an, und Eros wirkt ganz anders auf den ehemahligen Genossen des Zevs, als des Mars oder eines andern Gottes. Dieß hat zugleich den größten Einfluß auf die Art, wie der Geliebte behandelt wird. Denn je nachdem die Seele des Liebhabers diesen oder jenen Gott zum Anführer hatte, wird sie in dem Geliebten andere Vorzüge achten, und ihn nach einem verschiedenen Ideale auszubilden suchen. [35] Bey dieser Bemühung wird sie aufmerksamer auf sich selbst, ruft die vorigen Erinnerungen deutlicher zurück, und indem sie den Gott, dem sie vorher gefolgt war, unverwandt ins Auge faßt, wird sie ihm in seinen Sitten und Neigungen immer ähnlicher. So schreibt sie dem Geliebten den Grund ihrer eigenen Veredlung zu, und dieser wird ihr dadurch immer theurer.“

„Die edlere Seele sucht folglich den Geliebten zur vollkommensten Aehnlichkeit mit sich selbst und mit ihrem Gotte zu bringen. Dieß ist der schöne Zweck der Vollendung, dem sie nachstrebt, und der auch den Geliebten beglückt, wenn er von dem leidenschaftlich Liebenden gefangen wird.

Nun folgt eine schöne Beschreibung von der Art, wie der Wagenführer in der Seele das eine trotzige, übermüthige und widerspenstige Roß seines Gespanns zu zügeln sucht. „Das gutgeartete Roß wird beym Anblick des Geliebten von Bescheidenheit und Scham zurückgehalten. Aber das bösgeartete reißt es oft zur Begierde nach sinnlicher Lust mit sich fort, und zwingt selbst den Führer, seinem Willen nachzugeben, und sich dem Anblicke des Geliebten zu nähern. Aber das strahlende Angesicht des letzten weckt die Erinnerungen der Urschönheit wieder in der Seele des Liebhabers auf. Ach! er sieht diese wieder, und an ihrer Seite die Bescheidenheit auf heiliger Stäte. Ein heerer Schauer überfällt den Wagenführer, er sinkt zurück, und zieht dabey die Zügel so stark an sich, daß die beyden Rosse sich auf die Schenkel setzen. Er lenkt sie wieder ab. Das gute Roß folgt willig: – Das böse geräth in Wuth, lästert den Genossen und den Führer, wirft ihm Feigheit und Bundbrüchigkeit vor, und sucht ihn wieder zu dem Geliebten hinzuziehen. Nur mit Mühe erhalten der Führer und das bessere Roß einen Aufschub auf kurze Zeit. Kaum ist diese abgelaufen, so reißt das wilde Roß den Wagen wieder mit schamlosem Ungestüm in die Nähe des Geliebten. Der Führer zieht es mit eben der Gewalt zurück, wie das vorige Mahl, und dieß geschieht so oft, bis es endlich gebändigt wird, dem Führer willig folgt, und sogar beym Anblick des Geliebten vor Schrecken verzagt.“

„Der Liebhaber wird nun so bescheiden, daß er dem Geliebten nicht anders als mit einer Art von göttlicher Verehrung aufwartet. Die Wahrheit seiner Gesinnungen rührt endlich diesen, wenn er gleich anfangs den Liebhaber aus Furcht, sich bey seinen Gespielen lächerlich zu machen, zurückgewiesen hat. Es ist unmöglich, daß der gutgesinnte Mensch nicht mit der Zeit der Freund des Mannes werde, der es wohl mit ihm meint. Der Geliebte erstaunt über die Inbrunst der Liebe, mit der der begeisterte Jüngling sich ihm hingiebt, und die alles Wohlwollen übertrifft, was Freunde und Verwandte ihm bis jetzt bezeuget haben.

Nach und nach nähern sie sich einander immer mehr und mehr, und wenn der Liebhaber anhaltend in seinen Bemühungen ist, den Geliebten in Gymnasien und bey andern Gelegenheiten oft berührt, dann wird der letzte ihm mit Liebreitz begegnen, und selbst mit ähnlichen Empfindungen angesteckt werden. Die Wirkung seiner eigenen Schönheit prallt durch das Auge auf ihn zurück. Allein er ahnet mehr als er fühlt. Er weiß nicht was ihm fehlt. Es sind unbestimmte Bilder der Liebe, die er Freundschaft nennt. Er sehnt sich gleichfalls nach der Gegenwart des Liebhabers. Er will, so wie dieser, anblicken, berühren, küssen, neben ihm ruhen, nur mit minderer Lebhaftigkeit. Bald thut er das Alles, und der Führer des Seelengespanns des Liebhabers hat dann viel mit dem brünstigen Rosse zu schaffen, das kurzen Genuß für viel Beschwerden fordert. Das bösartige Roß des Geliebten wird gleichfalls lüstern, obgleich unbestimmt in seinen Wünschen, und weiß dem Geliebten nichts zu verweigern, was dieser fordern wird. Sein besseres Roß und der Führer halten ihn mit Scham und Vernunft zurück. Trägt der bessere Theil den Sieg davon, bleiben sie der Ordnung und der Philosophie getreu, so kommen sie nach und nach auf den rechten Weg, und genießen bereits hier ein glückliches Leben in ihrer Vereinigung. Sie beherrschen sich selbst, und befreyen ihren edleren Theil von dem Einflusse des niedrigen. Nach ihrem Tode aber erheben sie sich auf dem erlangten Gefieder, und haben den Kampf der ersten Probezeit von den Dreyen, die sie durchlaufen müssen, um wieder zum Olymp zu gelangen, glücklich bestanden. Ein größeres Glück kann weder menschliche Weisheit noch göttliche Begeisterung gewähren.

Ergaben sie sich aber einer unweisen Lebensart: wurden vielleicht ihre Seelen beym Trunk, oder durch Sorglosigkeit von den unbändigen Rossen zu einer Lust hingerissen, die nur augenblicklich und dem Scheine nach befriedigt: wiederhohlten sie diesen Genuß aber selten und nicht mit Zustimmung ihres ganzen Willens; so leben sie zwar gleichfalls während der Zeit ihrer Liebe und nachher vereinigt, aber minder eng als jene, und im Tode verlassen sie ihre Leiber zwar mit wachsendem Gefieder, aber nicht beflügelt. Sie tragen also gleichfalls einen nicht geringen Kampfpreis aus ihrer leidenschaftlichen Liebe davon. Sie werden nicht in die Finsterniß der Unterwelt hinabfahren, sondern es wartet ihrer ein glänzendes Leben, in dem sie seelig mit einander wallen. – Dieß sind die Vortheile, welche die leidenschaftliche Liebe mit sich führt. Die Verbindung mit dem leidenschaftlosen Freunde hingegen erkennt nur sterbliche Weisheit als Führerin an, und streut nur sterbliche Vortheile mit kärglicher Hand über das Leben aus. Die Gesinnungen, die sie der Seele des Freundes einflößt, sind unedel, und obwohl sie das Volk als Tugend preist, so werden sie doch den Umlauf, den die gefallene Seele neuntausend Jahre hindurch auf und unter der Erde zu machen hat, nicht abkürzen.“

So weit Plato’s Ideen über die Liebe im Phädrus. Man würde von einem ganz falschen Standorte ausgehen, wenn man hier ein bündiges philosophisches Räsonnement über diesen Gegenstand aufsuchen wollte. Man sieht auf den ersten Blick, daß nicht einmahl der Begriff der Liebe gefaßt, sondern mit leidenschaftlicher Geschlechtssympathie des Körpers und der Seele, mit Begeisterung und Lüsternheit, verwechselt ist. Die Entwickelung der Gründe, warum die Schönheit uns begeistert, hält eben so wenig die Prüfung der Wahrheit aus, und die ganze Schilderung der Seelen, die schon vor ihrem Falle auf die Erde, man weiß nicht warum, mit einem bösen[WS 33] Rosse fahren, folglich ohne ihre Schuld niederfallen, und des Anblicks des Wesens der Wesen entbehren, ist eben so unzusammenhängend, als es nur irgend eine Mythe vom Ufer des Ganges her seyn kann.

Aber der ganze Zweck des Gesprächs ist nicht sowohl, eine Abhandlung über die Liebe zu schreiben, als eine Redeübung über diese Materie zu liefern, aus der die Grundsätze der Beredtsamkeit entwickelt werden können. Man muß daher diese Rede, die Plato dem Sokrates in den Mund legt, wie ein schönes Kunstwerk betrachten, das die Bestimmung hat, ein gewöhnliches Verhältniß, die atheniensische Cicisbeatura, zu vertheidigen, und die Schutzrede, welche ihre Anhänger ihr halten könnten, dem Herzen und Beschauungssinne gleich interessant zu machen. Hierzu wird nicht bloß die ästhetische Einkleidung, sondern zugleich der Kunstgriff genutzt, der Entstehung und dem Zwecke solcher Verbindungen etwas Uebersinnliches beyzulegen, das mächtig auf die Imagination wirkt.

In dieser Rücksicht, (und wenn man heut zu Tage an die Stelle der Liebe zum Jünglinge die Liebe zu einem gebundenen Frauenzimmer setzt,) wird man dieser Darstellung ihren hohen Werth nicht absprechen. Kenntniß des Menschen, und besonders des Ganges, den die Leidenschaft bey dem bessern nimmt, leuchtet überall hervor. Das Genialische der Erfindung, der Reichthum der Allegorie, die so manches Bild liefert, das auf den Kampf der Vernunft und der bessern Triebe in uns wider die schlechtern Begierden angewandt werden kann, die Wahrheit und die Schönheit der Schilderung eines leidenschaftlichen Zustandes, haben den größten Anspruch auf unsere Sympathie und unsere Bewunderung. Aber wenn wir dieß reitzende Gewand abziehen, so bleibt die Denkungsart der guten Gesellschaft in Athen über die Liebe zu den Lieblingen nackt stehen. Plato läugnet die Mitwirkung der körperlichen Begierden bey diesen Verbindungen nicht ab: er verkennt nicht ihre Gefahren; allein er rechnet darauf, daß sie unterjocht werden können, und daß sie sodann die Begeisterung für das Edle und Schöne verstärken werden. Ja! er zeigt sich sogar nachsichtsvoll gegen diejenigen, die in einem unwehrhaften Zustande von ihren Begierden überrascht und besiegt werden!

Sechstes Kapitel.
Denkungsart des Plato über edlere und schönere Liebe zu den Lieblingen nach seinem Gastmahle.

Plato hat in seinem Gastmahle, eben so wie Xenophon in dem seinigen, die Absicht gehabt, seinen Lehrer von dem Vorwurfe einer gemeinen Schwäche zu retten, und zugleich seine Ideen über Liebe und den Werth der körperlichen Gestalt zu entwickeln.

Ich habe schon bemerkt, daß höchst wahrscheinlich eine wirkliche Begebenheit bey dem Stoffe, den beyde Schriftsteller behandelt haben, zum Grunde liegt. Höchst wahrscheinlich haben aber auch beyde die Darstellung durch Zusätze von ihrer Erfindung gehoben. Xenophon scheint jedoch dabey mehr nach den Regeln des pragmatischen Historikers, Plato nach denen des dramatischen Dichters verfahren zu seyn. Xenophon hat so erzählt, daß seine Composition nach den Gesetzen der Wahrheit geprüft werden kann: Plato kann nur nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit beurtheilt werden. Von dem Ersten sind die Ideen des Sokrates so entwickelt, wie er sie verstanden zu haben glaubte: Plato hingegen scheint dem Sokrates seine eigenen Ideen wohlwissend untergelegt, und dafür nur einen fremden Nahmen zur bessern Einkleidung seiner Lehren geborgt zu haben.

Das Gastmahl des Plato ist ein philosophisches Drama, und hat zu einer Classe von Mimen gehört, die nach dem Aristoteles den Alten nicht unbekannt waren. Der Plan ist kürzlich dieser. Agathon hat eine Gesellschaft guter Freunde zu einem Schmause eingeladen, den er zu Ehren eines in dem Wettstreite der dramatischen Dichter erhaltenen Sieges giebt. Sokrates ist unter den Gästen. Als die Tafel aufgehoben wird, beschließt man, sich die Zeit mit Gesprächen von interessanterem Inhalte zu verkürzen. Zum Gegenstande wird Amor vorgeschlagen, und jedes Mitleid der Gesellschaft macht sich anheischig, ihm eine Lobrede zu halten. Phädrus tritt zuerst auf. Er entwickelt ungefehr die nehmlichen Grundsätze, die Xenophon dem Pausanias beylegt, und womit die Thebaner und einige andere griechische Völker, welche die Ausschweifungen der Sinnlichkeit für erlaubt hielten, ihre Sitten und Gesetze zu rechtfertigen suchten. Die Liebe wird als Beförderin der Kriegstugenden[WS 34] gepriesen. „Sie führt, sagt Phädrus, zu allen großen und schönen Handlungen. Sie allein erzeugt ein richtiges Gefühl von Scham vor dem Schändlichen, und ein lebendiges Streben nach jenen göttlichen Eigenschaften, ohne welche weder der einzelne Mensch, noch ganze Nationen je etwas Edles und Schönes vollbracht haben. Ein Liebender, der etwas Schändliches begangen, oder aus Feigherzigkeit eine Schmach erduldet hätte, wird weit weniger vor dem Anblicke seines Vaters oder seiner Freunde, oder irgend eines andern Menschen sich scheuen, als vor dem Anblicke seines Geliebten. Eben so scheuet sich vor dem Liebenden der Geliebte, wenn er sich des Vorwurfs einer schändlichen Handlung bewußt ist. Wie könnte ein Staat oder eine Armee besser zusammengesetzt seyn, als aus lauter Liebenden und Geliebten, aus Menschen, die vor jeder unedlen Handlung zurückbeben, und im Guten mit einander wetteifern. Wenn ihre Anzahl auch noch so klein wäre, so würden sie dennoch vermöge der engen Vereinigung ihrer Kräfte Alles überwinden. Eher vor den Augen der ganzen Welt als vor den Augen seines Geliebten würde der Liebhaber sein Glied verlassen, oder seinen Schild von sich werfen: Lieber würde er einen dreyfachen Tod sterben, und sogar seinen Geliebten selbst verlassen, als einem Andern in Gefahr nicht beystehen. Keiner ist so feig, den nicht Amor zur Tapferkeit entflammen sollte, und so wie Homer von seinen Helden sagt:

Ihre Brust erfüllten mit hohem Muthe die Götter,

so wirkt bey Liebenden die Kraft der Liebe. Für einander zu sterben sind nur Liebende fähig, nicht bloß Männer, sondern auch Weiber. Wer kennt nicht Alcesten und ihre Heldenthat? Sie allein war bereit für ihren Gatten zu sterben. Er hatte noch Vater und Mutter; aber ihre Liebe übertraf an Stärke die Zärtlichkeit der Eltern. Ihre That gefiel nicht bloß den Menschen; die Götter selbst, die sonst nur Wenigen aus der großen Zahl der Vortrefflichen die Rückkehr aus dem Orkus erlaubten, machten, von dieser herrlichen That gerührt, mit Alcesten eine Ausnahme. Sie kehrte ins Leben zurück zu ihrem Admet. So wird Tugend aus Liebe selbst von den Göttern geehrt! Orpheus hingegen mußte, ohne seinen Zweck erreicht zu haben, aus der Unterwelt zurück kehren. Sie zeigten ihm bloß ein Schattenbild derjenigen, um derentwillen er hinabgestiegen war; die Gattin selbst gaben sie ihm nicht zurück. Denn der Weichling hatte nicht gewagt, wie Alceste, aus Liebe zu sterben, sondern war bloß mit Hülfe seines Saitenspiels in den Orkus hinabgestiegen. Eben deßwegen ließen sie ihn auch durch Weiberhände sterben. Ganz anders ehrten sie den Achilles. Ihn versetzten sie in die Inseln der Seligen. Aber groß war auch, was er that. Er hatte die Wahl, den Hektor zu tödten, und zu sterben, oder ihn zu verschonen und beym väterlichen Heerde ein hohes Alter zu erreichen. Sein Heldenherz erwählte das Erstere. Um seinen Liebhaber, Patroklus, zu rächen, wollte er nicht bloß für ihn sterben, sondern, da er ihn nicht mehr retten konnte, als sein Rächer ihm folgen. Darum haben auch die Götter, über eine solche Treue gegen den Liebenden entzückt, ihn so auszeichnend geehrt. Und in der That ist auch den Göttern nichts so achtungswürdig, als ein solcher Heldenmuth in der Liebe. Noch mehr aber trifft ihre Bewunderung, ihr Beyfall, ihre Belohnung, die Zärtlichkeit des Geliebten gegen den Liebhaber, als die des Liebhabers gegen den Geliebten. Denn jener hat an sich schon mehr Göttliches, weil er begeistert ist. Deßwegen haben sie auch den Achilles ganz anders belohnt als die Alceste, und ihn auf die Inseln der Seligen versetzt!“ –

In dieser Rede des Phädrus werden die vortheilhaften Wirkungen gepriesen, welche die Leidenschaft der Liebe, sie mag an sich edel und anständig seyn, oder nicht, für den Menschen und den Staat haben kann. Sie erhöht seine Kräfte und seinen Muth: sie lehrt ihn den Tod verachten: sie flößt ihm die Begeisterung ein, auf welche die Griechen als Beförderin der Bürgertugend so großen Werth legten. So finden wir bey mehrern unkultivierten Völkern, besonders im Mittelalter, die Frauenliebe veredelt, bey denen die Schöne nicht bloß der Preis, sondern auch der Antrieb zur Tapferkeit war. Daß hier nicht ausschließend von der Liebe zur Seele die Rede sey, beweisen die Stellen, worin der Freund von dem Liebhaber unterschieden, und worin auch Weibern diese Liebe beygelegt wird. Noch mehr erhellet dieß aus dem Ende der Rede, welche den Geliebten dem Liebhaber entgegenstellt, und ersterem zwar ein höheres Verdienst beylegt, weil seine Liebe nicht so wie die des Liebhabers durch gröbere Triebe unterstützt wird, diesem aber doch nicht allen Werth abspricht. Es folgt aber hieraus zugleich, daß Phädrus allerdings einen höhern Werth auf diejenige Liebe legt, die frey von der Ausgelassenheit der Sinne ist. [36]

Auf den Phädrus folgt Pausanias. Wir kennen ihn schon aus dem Gastmahle des Xenophon als den Liebhaber des Agathon, und als denjenigen, der die gemeine Liebe in Schutz nahm. Plato läßt ihn inzwischen hier eine etwas edlere Rolle übernehmen. Er unterscheidet nehmlich die Sitten der übrigen Griechen von denen der Athenienser, und preiset die Liebe nach den Ideen, welche seine Landsleute darüber hatten. Seine Rede scheint also einer der sichersten Belege über die Denkungsart des größern Haufens von Athen, und besonders der guten Gesellschaft an diesem Orte, in Ansehung der Männerliebe zu seyn.

Pausanias unterscheidet zuerst die himmlische Venus von der gemeinen, und legt Beyden einen Amor bey, der ihre Natur theilt. [37] „Unbedingt, fährt er fort,


erhält durch die Vergleichung des Achilles mit der Alceste unendlich mehr Nachdruck. Orpheus kann aber gar nicht der Alceste substituirt werden. Dieser war nach dem Vorhergehenden von den Göttern bestraft: folglich kann es nicht heißen: Achilles ist ganz anders belohnt als Orpheus – der gar nicht belohnt war. Hingegen Alceste war allerdings von den Göttern belohnt. Diese hatten ihr eine seltene Gnade, die Rückkehr aus dem Orkus, gewährt. Nur freylich in der Maße, wie der Achilles, war sie nicht belohnt; denn dieser ward in die Inseln der Seligen versetzt.

läßt sich Amor nicht loben. Denn so wie es mit allen übrigen menschlichen Handlungen geht, geht es auch mit der Liebe. An und für sich ist sie weder schön noch häßlich, eben so wie das Trinken, Singen, Reden u. s. w. Keines dieser Dinge ist an sich schön oder häßlich, sondern es wird es durch die Art und Weise, wie es geschieht. Es ist schön, wenn es auf eine edle Art geschieht; häßlich, wenn es auf eine unedle Art geschieht. Eben so verhält es sich auch mit dem Amor. Der Amor der gemeinen Venus ist gemein, und handelt blindlings bey Allem, was er thut. Ihm huldigt die gemeine Classe der Menschen. Diesen dünkt es nicht unedler, ein Weib als einen Jüngling zu lieben. Erhebt sich auch ihre Neigung zu diesen, so ist es der Körper mehr als die Seele, was sie anzieht, und ihre niedrige Leidenschaft erlaubt sich die schändlichsten Ausbrüche. Auf Genuß ist ihr Absehn gerichtet, unbekümmert, ob sie auf eine edle oder unedle Art ihr Ziel erreichen. Daher kommt es auch, daß sie handeln, wie es der Zufall ihnen räth, bald gut, bald böse. Dieser Amor ist aber auch der Gehülfe der jüngern Venus, die selbst ihr Daseyn einer Vermischung der beyden Geschlechter zu danken hat. Der andere Amor hingegen ist der Gehülfe der himmlischen Venus, welche theils ihr Daseyn dem männlichen Geschlechte verdankt, theils viel älter, folglich

zum Begehrungsvermögen verhalten. Oft aber heißt auch Venus so viel als dasjenige, was beym Einflößen, Amor dasjenige, was beym Empfangen zum Grunde liegt. Dann stehen sie im Verhältnisse der Ursach und Wirkung zu einander. Endlich kann auch Venus so viel als die Anlage zum Lieben, Geschlechtssympathie, Amor so viel als die wirkliche Aeußerung, Leidenschaft, bedeuten.

frey von aller Ausgelassenheit ist. Wen dieser Amor begeistert, der liebt nur das männliche Geschlecht als dasjenige, das von Natur mehr Kraft und Geist besitzt. Aber nicht alle Liebe zu diesem Geschlechte ist dieses Gottes Werk. Wer kleine Knaben liebt, ist nicht von ihm begeistert. Wen er beseelt, der wird nur Jünglinge lieben, bey denen sich Spuren der Mannheit und des sich entfaltenden Geistes zeigen. Eine feste dauernde Verbindung läßt sich nur bey einem Geliebten von solchem Alter erwarten. Verbindungen mit einem Geliebten von früheren Jahren können kaum einen andern Zweck haben, als den Geliebten zu hintergehen, in unreiferen Alter ihn anzulocken, um ihn als Jüngling zu verlassen, und einem andern nachzulaufen. Wer kann wissen, wie die Anlagen eines noch unerwachsenen Knaben sich entwickeln werden? Ob nicht alle Mühe, die er an ihn wendet, umsonst sey? Billig sollte durch ein Gesetz verboten seyn, kleine Knaben zu lieben. Edle Liebende schreiben sich zwar selbst dieß Gesetz vor; aber jenen gemeinen Liebhabern einen solchen Zaum anzulegen, würde eben so wenig überflüssig seyn, als man es dafür gehalten hat, ihren Angriffen auf freygeborne Weiber solche heilsame Schranken zu setzen. Denn diese Nichtswürdigen haben die Liebe allein in einen so übeln Ruf gebracht. Ihr ausschweifendes und treuloses Betragen hat die Meinung erzeugt, daß es schändlich sey, dem Liebhaber zu willfahren. Aber kein Tadel müsse Handlungen treffen, die mit der Sittsamkeit und den Gesetzen bestehen. In allen Staaten ist in Rücksicht der Liebe etwas festgesetzt, was als Gesetz gilt. In allen andern Staaten, außer Sparta und Athen, ist dieß Gesetz sehr einfach, und leicht verständlich: Bey uns liegen feinere Bestimmungen unter. In Elis und Böotien, wo man sich durch Geist und gebildeten Ausdruck eben nicht auszeichnet, ist es ohne Einschränkung erlaubt, den Liebhabern zu willfahren: weder Jung noch Alt nimmt dort ein Aergerniß daran. Man hat sich der Verlegenheit, das Herz der Jünglinge durch Worte zu gewinnen, überheben wollen. In Ionien hingegen, und bey allen andern Völkern außer Griechenland, wird es eben so ohne Einschränkung für unerlaubt gehalten. Ganz begreiflich! Da, wo der Wille des Despoten Gesetz ist, da muß dieß noch weit mehr, als selbst Philosophie und Gymnastik, verboten seyn. Denn was ist dem Interesse der Tyrannen gefährlicher, als große Gesinnungen und enge Freundschaftsbündnisse ihrer Unterthanen? Und was erzeugt sicherer als Liebe diese edlen Früchte? – – Waren es nicht Harmodius und Aristogiton, welche die Herrschaft der Pisistratiden stürzten? –

„Jenes einfache Gesetz in Rücksicht der Liebe scheint also allerdings verdächtig. Wo die Willfahrung der Liebenden schlechthin verboten ist, da darf man immer den Verfall der Nation, eine despotische Herrschsucht der Regenten, und sclavische Feigheit der Unterthanen; wo sie schlechthin erlaubt ist, Stumpfheit des Geistes bey dem Volke, das einem solchen Gesetze unbedingt huldigt, vermuthen. Richtiger denkt man darüber in Athen. Aber, wie schon gesagt, unser Gesetz ist nicht so leicht zu fassen. Bey uns hört man oft: edler sey es, offenbar zu lieben als im Verborgenen; man müsse edle und vornehme Jünglinge wählen, und sich durch diese Vorzüge in seiner Wahl bestimmen lassen. Bey uns wird der Liebhaber nicht gewarnt, wie einer, der in Gefahr steht, etwas Schändliches zu unternehmen; er wird vielmehr von allen Seiten ermuntert. Es gereicht ihm zur Ehre, den Geliebten gewonnen zu haben, und zur Schande, wenn der nachgestrebte Besitz ihm fehlschlägt. Bey uns hat ein Liebender Beyfall zu erwarten, wenn er zu seinem Zwecke sich Mittel wählt, die ihm die strengste Rüge der Philosophie in jeder andern Rücksicht zuziehen würden. Denn gesetzt, Jemand wollte, um Vermögen und Ansehn zu erlangen, wie der Liebhaber den Geliebten bitten, flehen, beschwören, ganze Nächte vor seiner Thüre zubringen, Dienste versehen, die man kaum den Sclaven auflegt; so würden seine Feinde ihn als einen niederträchtigen Schmeichler verachten, und seine Freunde sich seiner schämen. Mit Ehren hingegen kann Alles dieß der Liebende thun. Das Gesetz selbst sichert ihn vor allem Tadel. Bey ihm wird es wie die lobenswürdigste Handlung betrachtet. Ja, noch mehr! Bey uns hört man sogar nicht selten äußern: der Einzige, dem die Götter selbst einen falschen Eid verziehen, sey der Liebende, denn des Liebenden Eid sey weniger bindend. – So denkt man bey uns in Rücksicht der Liebe; Götter und Menschen gestatten hier dem Liebenden völlige Freyheit. Wer sollte daher nicht denken, daß Lieben, und dem Liebhaber willfahren ohne Einschränkung für edel in unserm Staate gehalten werde? Wenn man aber auf der andern Seite sieht, wie ängstlich die Väter in der Wahl der Erzieher für ihre Knaben sind, wie ernstlich sie dabey verbieten, mit den Liebhabern zu sprechen, wie angelegentlich sie dem Hofmeister die Sorge, es zu verhüten, anempfehlen; wenn man weiter sieht, daß die Gespielen und andere junge Leute einen Geliebten verspotten, und daß kein Aelterer diesen Spöttern wehrt, keiner es ihnen als ein unverständiges Betragen verweiset; sollte man dann nicht wieder denken, die Liebe werde in unserm Staate durchaus für entehrend gehalten? Doch es läßt sich Beydes vereinigen. Man kann, wie gesagt, im Allgemeinen behaupten, daß es weder edel noch unedel sey, dem Liebhaber zu willfahren. Es ist edel, wenn es edel geschieht; unedel, wenn es unedel geschieht. Unedel aber ist es, dem schlechten Liebhaber auf eine schlechte Art zu willfahren; edel hingegen, einen braven Liebhaber auf eine ehrbringende Weise zu belohnen. Der schlechte Liebende aber ist jener gemeine. Ihm ist es mehr um den Körper als um die Seele zu thun. Seine Liebe kann eben darum auch nicht beständig seyn, weil der Gegenstand selbst, den sie sucht, so vergänglich ist. Ist die Blüthe des Körpers, die ihn reitzte, dahin gewelkt, so entflieht er spottend, und verlacht denjenigen, der seinen glatten Worten und oft wiederhohlten Versprechungen trauete. Der edlere Liebende hingegen dauert treu sein ganzes Leben hindurch aus; denn was ihn fesselt, ist dauernd. Daher verlangt das Gesetz bey uns: Man solle die Liebenden erst aufmerksam prüfen, dann sey es erlaubt, sich dem Edeln zu ergeben, und Pflicht, den Unedlen sogleich abzuweisen. Daher wird es bey uns dem Geliebten zur Schande gerechnet, wenn er entweder ohne vorgängige Prüfung den Liebhaber zu bald erhört, – oder wenn er durch Geld oder äußeres Ansehn des Liebhabers sich zur Gunst bestimmen läßt. Denn keines dieser Dinge kann echte Liebe erzeugen, oder von dauerndem Bestande seyn. Es ist folglich dem Geliebten unter gewissen Umständen nach unsern Sitten allerdings erlaubt, dem Liebhaber zu willfahren. So wie wir es nehmlich weder für niederträchtig noch für entehrend halten, wenn der Liebende sich zu jeder Unterwürfigkeit unter den Willen des Geliebten versteht; so giebt es auch eine Unterwürfigkeit des Geliebten, die wir für tadellos erkennen, – diejenige, welche Tugend zum Zweck hat. Nach einem bey uns ganz allgemeinen Urtheile ist es weder schändlich noch niederträchtig, einen Andern sich auf jede Art gefällig zu machen, durch den man an Ausbildung des Geistes oder des Herzens zu gewinnen hofft. Gründen zwey Liebende ihre Verbindung auf das wechselseitige Gesetz: daß die Gegenliebe des Geliebten jede Gefälligkeit verdiene, und daß der Eifer des Liebenden, ihn zum weisen und tugendhaften Manne zu machen, jede Ergebung fordere; und hat der eine das Vermögen, Weisheit und Tugend zu befördern, der andere aber das Bedürfniß, Geisteskultur und Lebensweisheit zu erwerben; dann, und sonst nie, tritt der Fall ein, worin die Willfahrung des Geliebten schön ist. Dann ist es auch nicht schimpflich, sich betrogen zu haben. Jede Willfahrung aus andern Gründen bringt dem Geliebten Schande, er mag getäuscht werden oder nicht. Erwiedert ein Jüngling die Liebe eines Mannes, den er für reich hält, um seines Geldes willen, so wird er dadurch keinesweges von der Verachtung befreyet, wenn es sich am Ende zeigt, daß der Liebhaber arm sey, und nichts geben könne: er hat schon verrathen, daß er fähig sey, jedem Menschen zu jeder Absicht für Geld die Hand zu bieten, und dieß ist nicht edel gedacht. Wird hingegen ein Jüngling von einem Manne geliebt, den er für rechtschaffen hält, und erwiedert seine Liebe, um durch den Umgang mit ihm besser zu werden; so bringt ihm die Täuschung durchaus keine Schande, wenn es sich auch am Ende entdeckt, daß sein Liebhaber ein schlechter Mensch sey, und keine Tugend besitze: er hat doch bewiesen, daß er um der Tugend und um seiner Vervollkommung willen für Jeden, der ihm darin weiter helfen kann, Alles zu thun entschlossen sey: und dieß ist höchst edel gedacht. Um der Tugend willen einem Andern zu willfahren ist also allerdings lobenswürdig und edel. Diese Liebe allein ist von der himmlischen Göttin entsprungen, und selbst himmlisch. Hohen Werths ist sie für den Staat und den einzelnen Bürger! Ein mächtiger Antrieb für den Liebenden, sich selbst und den Geliebten zur Tugend zu bilden. Jede andere Liebe gehört der gemeinen Venus!“ –

Laßt uns dieser Rede des Pausanias einige Betrachtungen schenken! Der Redner würdigt die Liebe nicht bloß nach den Folgen, die sie zufällig haben kann, wie Phädrus es gethan hatte, sondern nach dem Zwecke, den die Liebenden sich dabey vor Augen setzen. Er verdammt diejenige Verbindung, welche die Befriedigung der Sinnlichkeit geradezu zum Zweck hat. Er hält es mit seinen Landsleuten für unedel, wenn Knaben bey unentwickelten Geistesanlagen bloß zu Büßung unreiner Lüste aufgesucht, durch Geld und andere Verführungskünste gewonnen, und nachher verlassen werden. Er hält es für unedel, wenn die Geliebten sich aus Gewinnsucht oder Eitelkeit unwürdigen Reichen oder Vornehmen ergeben, oder ihre Liebhaber nicht vorher hinreichend prüfen. Aber er hält es für erlaubt, wenn bey einer dauernden Verbindung, die auf Veredlung des Geistes abzweckt, der Liebhaber Gunstbezeugungen einer gewissen Art als Belohnung für seine Bemühungen um das wahre Wohl des Geliebten zu gewinnen sucht; und er hält es für eine schickliche Dankbarkeit des Geliebten, wenn dieser einem so edeln Liebhaber willfahrt.

Ganz die Denkungsart der guten Sitte von Athen, der auch diejenige ziemlich nahe kommt, die Plato in seinem Phädrus entwickelt hat! Sonderbar genug hat man die Mitwirkung körperlicher Triebe und ihre Befriedigung von der Liebe, nach der Darstellung des Pausanias, ausschließen wollen. Allein dieß widerspricht dem Charakter des Redners, dem ganzen Zusammenhange, und den einzelnen Ausdrücken. Es ist wahre Geschlechtssympathie, die er schildert, aber auf einen edeln Zweck geleitet.

Plato läßt hierauf den Arzt Eryximachus auftreten, der die Liebe als die allgemeine Harmonie und Anziehungskraft in der lebenden und leblosen Natur betrachtet, und in seinem mystischen Räsonnement ungefehr mit demjenigen zusammentrifft, was Hemsterhuys und Herder, jener in dem Aufsatze über das Verlangen, dieser in der meisterhaften Schrift: Liebe und Selbstheit, viel schöner und verständlicher ausgeführt haben.

Diese Rede bringt den Begriff der Männerliebe um nichts weiter, und gehört mehr in die Oekonomie des Stücks, als schönes dramatisches Kunstwerk betrachtet, als in den Gang derjenigen Untersuchung, die ich hier unternehme.

Aristophanes, der nach dem Eryximachus redet, nimmt wieder einen andern Gesichtspunkt an. Er verwechselt Liebe mit Geschlechtssympathie: er will die Verschiedenheit ihrer Aeußerungen erklären, und besonders zeigen, daß sie der Natur gemäß, (secundum naturam) sind. Aber der launige Mann verläugnet auch hier seinen Charakter nicht. Seine Absicht geht mit dahin, die Gesellschaft zu erheitern. Seine Rede macht einen vortrefflichen Theil in der Oeconomie des philosophischen Drama’s aus.

Die beyden ersten Redner haben den Gegenstand von der politischen und moralischen Seite betrachtet: der dritte hat ihn als Physiker angesehen: alle Dreye haben ihn mit Ernst behandelt: nun tritt Aristophanes mit seinem Witze dazwischen. Aber freylich mit einem Witze, der auch dem Vernünftigsten ein erlaubtes Lächeln abzwingen kann, weil er mit den Gesetzen der Vernunft in der engsten Verbindung steht. Der Redner stellt einen Mythos auf. Es waren ehemahls drey Geschlechter auf der Erde. Außer den zweyen noch jetzt bekannten war ein drittes, aus diesen beyden zusammengesetztes, vorhanden, welches das Androgynische [38] hieß. Aber die Gestalt eines jeden dieser drey Geschlechter war von der gegenwärtigen sehr verschieden. Der Mann bestand aus einem doppelten Manne, mit zwey Gesichtern, vier Armen, doppelten Geschlechtstheilen, u. s. w. Eben so das Weib, eben so der Androgyn. Sie waren aber jedes für sich viel stärker, wie jetzt, und in ihrem Uebermuthe empörten sie sich gegen die Götter. Zevs strafte sie, indem er sie spaltete. So entstanden aus jedem einzelnen Manne zwey Männer, aus jeder einzelnen Frau zwey Frauen, und aus jedem Androgyn zwey Androgynen. Nachdem dieser Durchschnitt unsers Wesens glücklich vollbracht war, fingen die getrennten Hälften an, sich nach einander zu sehnen, umschlossen sich mit ihren Armen so fest, und hingen so innig an einander, als wollten sie wieder in ein Wesen zusammenfließen. Keine wollte ohne die andere etwas verrichten, und so starben sie endlich mit einander aus Hunger und Unthätigkeit. Jupiter ließ sich endlich der armen Sterblichen erbarmen. Er traf die Einrichtung, daß die Menschen durch vollständige Begattung, oder wenigstens durch Befriedigung der Lüsternheit, auf eine Zeitlang ihre Leidenschaft gemildert sähen, Zeit und Ruhe erhielten, auf nützliche Geschäfte zu denken, und für ihren Unterhalt zu sorgen. Seitdem ist die Liebe ein Naturtrieb der Menschen: Ein Drang, die ursprüngliche Beschaffenheit wieder herzustellen, zwey Wesen in Eins zu verbinden, und die Verstümmelung der menschlichen Natur wieder aufzuheben. Jeder von uns ist nur ein Fragment von einem Menschen, und Jeder sucht seine von ihm getrennte Hälfte. Nun sind aber einige Hälften der eigentlichen Zwitter, die zweyerley Geschlecht hatten. Der männliche Theil von diesen liebt die Weiber, und diese Classe hat uns die meisten Buhler geliefert, so wie der weibliche Theil von ihnen, der die Männer liebt, die meisten Buhlerinnen. Die Hälften der ehemahligen Doppelweiber sind gleichgültig gegen die Männer, und lieben nur ihr eigenes Geschlecht; die Hälften der vorigen Doppelmänner aber fühlen eine Neigung zum Männergeschlechte.“

Nachdem nun Aristophanes auf solche Art die drey verschiedenen Modificationen der Geschlechtssympathie erklärt hat, (wobey es sehr merkwürdig bleibt, daß er sie alle drey für natürlich hält, und sie keinesweges einer Verderbtheit der Sitten zuschreibt, oder sie als Ausartungen der Sinnlichkeit ansieht,) so geht er nun zum Lobe der Männerliebe über.

„So lange die Jugend der vorigen Doppelmänner dauert, sagt er, lieben sie als Theilchen von einem Manne nur Männer, und finden Vergnügen in ihrem Umgange und in ihrer Umarmung. Dieß sind die edelsten Knaben und Jünglinge, weil sie von Natur die männlichsten sind. Mit Unrecht hat man sie der Unverschämtheit beschuldigt; denn nicht diese, sondern inneres Gefühl ihrer männlichen Kraft und männlicher Geist sind der Grund ihrer Neigung zu ihrem Geschlechte. Dieß zeigt sich offenbar dadurch, daß nur solche Jünglinge im reiferen Alter sich öffentlichen Geschäften widmen. Zu Männern gereift, lieben sie selbst wieder Jünglinge, heirathen zwar, und zeugen Kinder, aber nicht aus Neigung, sondern gezwungen durch das Gesetz: zufriedener, wenn sie unverheirathet im Umgange mit ihres Gleichen leben können. Die Liebe zu Jünglingen und die Gegenliebe von diesen haben also offenbar keinen andern Grund, als weil Jeder nach Vereinigung mit seiner Hälfte strebt. Hat der eine oder der andere seine eigentliche Hälfte gefunden; unaussprechlich ist dann das Wonnegefühl ihrer Zärtlichkeit, ihrer Vertraulichkeit, ihrer Liebe, und – was kann man mehr sagen – auch nicht einen Augenblick sind sie zu trennen. Wenn sie nun aber auch Lebenslang in unzertrennlicher Vereinigung gestanden haben, so wissen sie doch am Ende nicht zu sagen, was sie eigentlich von einander wünschen und verlangen. Befriedigung einer unreinen Lust kann es nicht seyn, was sie so innig vereinigt, und ihren Umgang zu einer Quelle so unerschöpflicher Freuden macht; sondern etwas Anders ist es, wornach Beyder Seele sich sehnt, was sie aber nicht sagen, nur ahnen, nur im dunkeln Vorgefühle errathen kann. Träte nun zu solchen Menschen, wenn sie so beysammen sind, Vulcan mit seinen Werkzeugen, und fragte: Was wollt ihr doch, ihr Menschen, einer von dem andern? und keiner wüßte es zu sagen, und er spräche nun: Wollt ihr vielleicht so ganz vereinigt seyn, daß Tag und Nacht sich keiner vom andern trenne? Wünschet ihr dieß, so will ich euch zusammenfügen und zusammenschmelzen, daß ihr aus zweyen Eins werdet: daß ihr, so lange euer Leben dauert, als ein Wesen zusammen lebt, und bey eurem Tode gemeinschaftlich in die Unterwelt wandert, und auch dort nicht Zwey seyd, sondern Eins! Besinnt euch, ob dieß euer Wunsch sey? – Keiner, daß weiß ich, würde dann Nein sagen: keiner einen andern Wunsch äußern: Jeder nur seinen eigenen längst gefühlten Wunsch zu hören glauben: zusammengeschmolzen und verbunden mit seinem Geliebten aus zweyen Eins zu werden. Liebe ist also nichts anders, als das Verlangen und Streben nach Ergänzung unsers Wesens. – Wenn wir Freunde der Gottheit sind, so haben wir Hoffnung, unsre wahren Hälften zu finden – ein Glück, das Wenigen zu Theil wird! Ich spreche ganz im Allgemeinen von Männern und Weibern, indem ich behaupte, daß wir nur dann die höchste Stufe des Glücks erreichen, wenn uns die wahre Liebe zu Theil wird: wenn Jeder seine eigenthümliche geliebte Hälfte wieder findet, und vereinigt mit ihr in sein ursprüngliches Wesen gleichsam wieder verwandelt wird. Ist dieß der höchste Grad des Glücks, den wir erreichen können: so muß unter den gegenwärtigen Umständen das, was diesem am nächsten kommt, nehmlich einen Liebling zu finden, der unserm Herzen entspricht, der höchste seyn.“

Man würde sehr übereilt schließen, wenn man aus einigen Stellen dieser Rede die Folge zöge, als wenn Aristophanes den Vereinigungstrieb der beyden Hälften bloß auf eine geistige Vereinigung deutete. Der Zusammenhang mit dem Anfange der Rede läßt keinen Zweifel übrig, daß der Sinn jener Stellen: Mit Unrecht beschuldigt man sie der Unverschämtheit: Befriedigung unreiner Lust kann es nicht seyn, was sie so innig vereinigt etc. weiter nichts sagen will, als dieß: Triebe, welche auf der ursprünglichen Anlage und Bildung unsers Wesens beruhen, verdienen keinen Tadel, und ihr Streben nach Vereinigung, kann nicht dem Zwecke der Befriedigung einer unreinen Lust zugeschrieben werden; es liegt etwas Weiterliegendes dabey unter, nehmlich: die Wiedererlangung des verlornen Zustandes.

Aristophanes aber erklärt hier nicht sowohl die Liebe, als vielmehr die Sympathie zum Gleichartigen und zum Geschlechtsverschiedenen unter den Menschen, und zwar sowohl diejenige Sympathie, die den Körpern, als diejenige, die den Seelen eigen ist. Er erweitert die Rede des Eryximachus. Dieser hatte die Liebe als die allgemeine Anziehungskraft der Natur geschildert. Aristophanes sucht zugleich den Grund zu erklären, warum einige Menschen sich vor andern anziehen, und warum einige mehr der Neigung zu Personen von anerkannter Geschlechtsverschiedenheit, andere dem Hange zu Personen von dem nehmlichen Geschlechte folgen.

Die darauf folgende Rede des Agathon kündigt sich anfangs als eine methodische Behandlung dieser Materie an, löset sich aber bald in eine dichterische Personificierung des Amors auf, dem jede Vollkommenheit beygelegt wird. Sie ist in ihrer Art ein Meisterstück von Declamation, und ein vortrefflicher Theil des dramatischen Ganzen. Allein für die Kenntniß dessen, was wir suchen, von geringem Nutzen.

Nunmehr kommt Socrates an die Reihe, und seine Ideen tragen den unverkennbaren Stempel des Zusatzes an sich, welchen der dichterische Schüler seinem Lehrer, dem praktischen Menschenkenner, beylegt.

Socrates nimmt alle Ideen der vorherigen Redner auf, und sucht sie zu berichtigen, zu vereinigen, und auf höhere Triebe zurückzuführen. Zeugnungstrieb, Trieb nach Fortdauer, nach Unsterblichkeit, nach der Urschönheit oder Vollkommenheit: das sind die verschiedenen Stufen, auf welche die immer weiter veredelte Liebe hinaufgehoben wird. Der größte Fehler, den Plato hierbey zu begehen scheint, ist dieser, daß er feineren Egoismus und die Beschauungswonne mit Liebe verwechselt. Es wird mir erlaubt seyn, die Rede, welche dem Socrates in den Mund gelegt wird, mit meinen Anmerkungen zu begleiten.

Zuerst erklärt er die Liebe für das Verlangen nach dem immerwährenden Besitz des Guten. Eine Erklärung, die an sich auf höchst unbestimmten Begriffen von Verlangen, Besitz, und Gut beruht. Denn es giebt ein Verlangen, das auf Bedürfniß beruht, ein anderes, das mit einem wonnevollen Bestreben verknüpft ist; dieß, nicht jenes, gehört der Liebe. Wieder giebt es einen Besitz, der das Verlangen stillt, endigt: einen andern, der immer viel zu verlangen übrig läßt; dieser, nicht jener, ist besonders der glücklichen, leidenschaftlichen Liebe eigen. Endlich giebt es ein Gut, das bloß in Beziehung auf unsere Selbstheit dafür gelten kann, weil es unsern Zustand verbessert, uns beglückt; dieß Gut gehört der Liebe nicht. Sie empfindet ihr Glück und ihr Gut vermöge der Sympathie unmittelbar in dem Wohl des Andern, und ohne vorgängige Beziehung auf ihr eigenes Wohl.

Socrates selbst sieht ein, daß die angegebene Benennung des Gattungsbegriffs der Liebe noch eine nähere Bestimmung verdiene, und daß es eine gewisse Art des Verlangens gebe, die mit dem Nahmen Liebe besonders bezeichnet werde. Er führt eine Seherin, [39] Diotima, redend ein, und läßt von ihr die Liebe für das besondere Verlangen nach dem Zeugen und Empfangen durch das Schöne erklären. „Alle Menschen, sagt sie, empfinden sowohl dem Körper als der Seele nach einen Zeugungstrieb, wenn sie in ein gewisses Alter kommen. Der Trieb zur Unsterblichkeit liegt dabey zum Grunde. Wir können nicht immer die nehmlichen bleiben; aber wir suchen bey dem unaufhörlichen Wechsel des Vergehens und Entstehens immer etwas Neues von derselben Art an die Stelle des Alten zu setzen. Diese Zeugung, wodurch wir das Gute, das wir haben, unser Leben, unsern Leib, unsere Sitten, Gewohnheiten, Meinungen, Begierden, ja, sogar unser Wissen immerwährend zu erhalten suchen, geschieht nicht durch das Häßliche, sondern durch das Schöne. Denn von dem Häßlichen wenden wir uns mit Widerwillen und Mißmuth weg, schrumpfen in uns selbst zusammen, und behalten, anstatt zu zeugen, den Bildungsstoff unter sehr quälenden Empfindungen bey uns. Hingegen, wenn wir uns mit einem schönen Gegenstande gatten, so werden wir in Wonne und Entzückung aufgelöset, und es erfolgt Zeugung und Befruchtung. Nicht das Schöne ist folglich der Gegenstand des Verlangens der Liebe; sondern sie begehrt des Schönen, um zu erzeugen und zu gebähren.“ –

Der Gang der platonischen Ideen ist hier ziemlich deutlich. Er richtet seine Aufmerksamkeit auf das Unterscheidende des Begattungstriebes, den er mit der Liebe verwechselt. Dieser zeichnet sich durch eine Sehnsucht aus, die gemeiniglich von der Schönheit der physischen Gestalt erweckt wird, und die Folgen seiner Befriedigung sind Zeugung, Befruchtung, Fortpflanzung, vermöge dieser aber Unsterblichkeit der Gattung. Diese zufälligen Charaktere des unnennbaren Triebes werden für dessen unterscheidende Merkmahle angenommen, und der Trieb selbst mit Liebe verwechselt. Es fällt aber in die Augen, daß Beyde sehr verschieden sind. Nicht einmahl der unnennbare Trieb, und der Trieb, zu zeugen, dürfen mit einander verwechselt werden. Keine Kreatur, und selbst nicht der Mensch, paart sich, der Regel nach, mit einem andern Wesen seiner Art, um zu zeugen, fortzupflanzen, und seine Gattung unsterblich zu machen. Was immer die Zwecke der Natur gewesen seyn mögen, als sie uns den unnennbaren Trieb einpflanzte; wir empfinden ihn als Begierde nach unmittelbarer Wollust, oder als Drang eines physischen Bedürfnisses. Er gehört ganz oder größtentheils dem Körper zu, dahingegen der Trieb, zu zeugen, offenbar nur der Seele allein angehören kann. Diese Rücksicht auf Zeugung tritt entweder zufällig, oder erst dann zu jenem Triebe hinzu, wenn besondere Verhältnisse, die keinesweges allgemein sind, uns dazu auffordern. Der Trieb, zu zeugen, als solcher, ist daher wahrscheinlich nicht in unserer ursprünglichen Natur gegründet, und wenn er es auch seyn sollte, gewiß nicht derjenige, der bey den Wirkungen des unnennbaren Triebes zunächst zum Grunde liegt. Alles dieses ist im dritten Buche dieses Werks weiter ausgeführt. Der Satz, daß das Schöne aufgesucht werde, um zu zeugen, ist eben so unerwiesen, als der, daß die Zeugung nur in der Verbindung mit dem Schönen gelinge. Der Zweck, etwas hervorzubringen, und besonders etwas darum hervorzubringen, damit wir in unsern Werken reproduciert würden, liegt gewiß höchst selten bey unserm Streben nach dem Besitze des Schönen und Guten unter. Plato hat daher dasjenige als Grund des Vereinigungstriebes angenommen, was nur Wirkung, und noch dazu zufällige Wirkung desselben ist. Auf jeden Fall würde ein solcher Zeugungstrieb in der Absicht, sich unsterblich zu machen, nicht Liebe, sondern ein feiner egoistischer Trieb seyn. Wer das Schöne aufsucht, weil er nur mittelst des Schönen zeugen kann, liebt nicht dieß selbständige schöne Wesen, das ihm dazu behülflich ist: er liebt nur sich selbst, und bezieht jenes auf seine Fortdauer als ein bloßes Werkzeug. –

Der Platonische Socrates läßt die Diotima nun weiter sagen: „Ohne einen Trieb nach Fortdauer anzunehmen, müßte dir die Ehrbegierde des Menschen, als etwas ganz Vernunftwidriges, unbegreiflich vorkommen. Bedenke nur, in was für einen leidenschaftlichen Zustand diese Begierde, sich einen Nahmen zu machen, und sich unsterblichen Ruhm zu erwerben, die Menschen versetzt. Was sie selbst für ihre Kinder nicht thun würden, sind sie im Stande, für diese Idee zu wagen. Keine Gefahr, kein Opfer, keine Mühseligkeit ist so groß, die sie nicht übernähmen. Bereit dem Tode selbst entgegen zu gehen, wenn es darauf ankommt, dieß Gut zu erreichen. Würde wohl Alceste für Admet gestorben, Achilles dem Patroclus im Rächertode gefolgt, Kodrus der Herrschaft seiner Söhne vorangegangen seyn; hätte nicht sie Alle die Hoffnung geleitet, in dem unsterblichen Andenken an ihre große That, das ihnen nun auch wirklich gefolgt ist, sich selbst zu überleben? Gewiß nicht! Ich bin vielmehr überhaupt überzeugt, daß nichts anders, als die Unsterblichkeit großer Handlungen und die Begierde nach dem Ruhme, sie gethan zu haben, die allgemeine Triebfeder sey, die bey Allen Alles wirkt: und zwar am stärksten bey den Edelsten; denn es ist edel, nach Unsterblichkeit zu ringen!“ –

Man glaubt in dieser Stelle einen Helvetius reden zu hören, der jede Aufopferung für Andere aus Egoismus herleitet. Offenbar wird Plato durch den Charakter der Aufopferung, der jeder Leidenschaft eigen ist, verleitet, Ehrbegierde mit Liebe zu verwechseln.

Er belehrt uns nachher durch den Mund der Diotima weiter, daß es mehrere Arten gebe, nach Unsterblichkeit zu streben. „Einige Menschen, bey welchen mehr körperlicher Bildungstrieb herrscht, und die eben darum eine stärkere Neigung gegen das weibliche Geschlecht fühlen, hoffen Unsterblichkeit, Nachruhm und Glückseligkeit durch Kinderzeugen zu erlangen. Andere, bey welchen sich mehr geistiger als körperlicher Bildungstrieb zeigt, fühlen mehr einen Drang, etwas zu erzeugen, was der Natur des Geistes gemäß ist, d. h. was auf Weisheit und Tugend Beziehung hat. Zu diesen gehören nicht nur alle Dichter, die Schöpfer ihres Stoffes, sondern auch von den Künstlern alle diejenigen, die Selbsterfinder sind. Die schönsten Früchte aber, mit denen man schwanger geht, und die man gebähren kann, sind jene Weisheit und Gerechtigkeit, mit deren Hülfe man der öffentlichen Verwaltung und dem Hauswesen vorstehet. Wer nun aus diesem edleren Theile der Menschen den Keim zu einem solchen Produkte des Geistes schon von seiner Kindheit an in sich trägt, der hat etwas Göttliches in seiner Natur. Der Trieb zum Erzeugen erwacht in ihm, sobald er zu einiger Reife gedeiht. Auch in ihm entsteht dann ein Streben nach einem schönen Gegenstande, (denn ein häßlicher ist dazu gar nicht tauglich,) durch welchen der in seiner Seele vorhandene Stoff entbunden werde. Sein Zustand bringt es also mit sich, daß er auch Körper, und zwar die schönen mehr als die häßlichen, liebt. Findet er aber einen schönen Körper mit einer schönen, edlen, fähigen Seele vereint, so wird seine ganze Zuneigung von diesem zwiefach schönen Gegenstande gefesselt. Sein ganzes Herz öffnet sich sogleich gegen einen solchen Menschen: er sucht ihn zu unterrichten: er schildert ihm die Eigenschaften der Tugend: er lehrt ihn, was ein rechtschaffner Mann seyn, und wie er handeln müsse. So geschieht es denn, daß dasjenige, was zuvor in seiner Seele noch unentwickelt im Keime lag, durch diese Vereinigung mit einem schönen Gegenstande gleichsam geboren wird, und diese neugebornen Ideen durch die beständige Erinnerung an den geliebten Gegenstand von ihnen gleichsam gemeinschaftlich aufgezogen werden. Deßwegen ist auch das Band, das zwey solche Wesen vereinigt, weit fester als dasjenige, welches die Gemeinschaft leiblicher Kinder knüpft: ihre wechselseitige Liebe weit dauerhafter, weil die Geisteskinder, welche aus ihrer Vereinigung hervorgehen, schöne, für die Unsterblichkeit gereifte Früchte sind. Wer sollte nun nicht lieber wünschen, solchen Kindern, als sterblichen Wesen das Daseyn gegeben zu haben! Fordern doch so glänzende Beyspiele zur Nacheiferung auf! Man sehe nur den Homer, oder Hesiod, oder andere vortreffliche Dichter, deren Geisteskinder, selbst unsterblich, ihren Urhebern unsterblichen Ruhm bey der spätesten Nachwelt sichern: oder Lykurg, dessen Kinder, seine Gesetze, die Retter von Sparta, ja, man kann sagen, von ganz Griechenland wurden: oder Solon mit seinen Gesetzen, und so viele andere in und außer Griechenland geehrte Männer, die so viele schöne Thaten erzeugt, und tugendhafte Handlungen aller Art vollführt haben, denen auch dieser ihrer Geisteskinder wegen hie und da Tempel und Altäre errichtet sind.“

Ich bleibe hier wieder etwas stehen.

Liebe ist nach dem Plato jenes besondere Verlangen nach dem immerwährenden Besitze des Guten, das denjenigen auszeichnet, der mit Hülfe des Schönen etwas zu zeugen sucht, das ihn unsterblich machen könne.

Dieser Satz wird nun näher analysiert: erst auf leibliche Kinder, dann auf Früchte des Geistes, endlich auf Verbindung mit solchen Menschen angewandt, die den Zweck haben, sich wechselseitig zu vervollkommnen, und ein edleres Paar hervorzubringen.

Die Aehnlichkeit zwischen der körperlichen Lüsternheit und dem schwärmerischen Aneignungstriebe der Geister habe ich im dritten Buche dieses Werks gezeigt. Da nun nicht leicht ein Werk des Genies oder eine große That ohne Begeisterung und ohne leidenschaftliche Stimmung hervorgebracht wird: so liegt die Idee ganz nahe, daß sowohl bey der Befriedigung körperlicher Begierden, als bey der Aeußerung des Enthusiasmus, welche Beyde sehr oft Folgen für die Nachwelt hervorbringen, ein Zeugungstrieb, oder wie Plato ihn erklärt, ein Trieb nach Unsterblichkeit zum Grunde liege. Allein genau geprüft, beruht eine solche Analogie auf einer bloßen Operation des Witzes, der zufällige Folgen zweyer Zustände und Handlungen, die einige Aehnlichkeit mit einander haben, aus einer bestimmten Absicht herleitet. Offenbar hat derjenige, der leiblicher Vater wird, bey der Befriedigung seiner körperlichen Triebe eben so wenig den Zweck, Kinder zu zeugen, und sich durch diese unsterblich zu machen, als derjenige, der seine Begeisterung durch Worte und Thaten äußert, unbedingt durch die Betrachtung, daß Beyde auf die Nachwelt übergehen werden, in Enthusiasmus geräth.

Die ganze Analogie findet also ihren Grund in einer Unbestimmtheit der Begriffe, besonders von demjenigen, was Schön heißt. Es ist offenbar, daß die leibliche Zeugung von Statten geht, der Körper mag an sich häßlich oder schön seyn, in dem der Keim zur Unsterblichkeit durch leibliche Kinder niedergelegt wird, ja! daß sogar dasjenige, was die Lüsternheit des Körpers erweckt, von der Schönheit noch verschieden ist. Eben so gewiß ist es aber auch, daß die Handlungen und Werke, wodurch Unsterblichkeit erlangt wird, keinesweges unbedingt das Gefühl des Schönen, ja nur einmahl des Ausgezeichneten und Hervorstechenden in demjenigen voraussetzen, der sie unternimmt.

Das Gefühl des Nützlichen, des Nothwendigen für das gegenwärtige Bedürfniß unserer Lage hat oft Heldenthaten und Unthaten hervorgebracht, über deren Größe die Nachwelt erstaunt, und deren Glanz der Unternehmer vielleicht nicht einmahl geahnet hat.

Gesetzt aber auch, der Zeugungstrieb setzte in beyden Fällen zu seiner Befriedigung etwas Schönes zum Voraus; so läßt sich doch durchaus nicht läugnen, daß das Schöne, welches die geistige Zeugung befördert, von dem Schönen, welches die leibliche befördern soll, ganz verschieden sey. Und dann erlaubt sich Plato einen Sprung, den er mit nichts ausfüllt. Denn warum soll nun derjenige, der einen Menschen aufsucht, um in der Verbindung mit ihm schöne Früchte des Geistes und des Herzens hervorzubringen, zugleich auf einen schönen Körper sehen? Ich fühle sehr wohl, daß dieß der Fall seyn wird; aber aus dem Triebe nach geistiger Zeugung und Unsterblichkeit folgt es gar nicht. Die Geburt des Geistes kann durch die schöne Seele in dem häßlichsten Körper so gut und besser befördert werden, als in einem schönen, der jenen tausend Gefahren der Ableitung von seinem Zwecke aussetzt.

Gewiß bleibt es indessen, daß es privilegierte Seelen giebt, die das Bedürfniß fühlen, ihre Erfahrungen, ihre Kenntnisse, ihre Grundsätze, selbst die Stärke und die Fertigkeit, welche sie in ihrer Ausübung erworben haben, kurz! den ganzen Adel ihres Daseyns, in die Seele eines Nachkömmlings niederzulegen! Unfähig der niedrigen Neigung, ein Verlangen nach ihrem verlornen Verdienste zu hinterlassen, suchen sie zum Besten einer Wissenschaft, einer öffentlichen Anstalt des Staats oder gar der Menschheit, sich in ihren Nachfolgern zu reproducieren. Zwischen diesen Anerziehern eines geistigen Kindes und den leiblichen Vätern ist allerdings eine gewisse Aehnlichkeit, und diese hat wahrscheinlich mit dazu beygetragen, daß Plato den unnennbaren körperlichen Trieb und diesen Bildungstrieb des Geistes für Eins gehalten hat. Allein Beyde sind nicht unbedingt für Liebe zu halten; und sehr oft liegt selbst bey dem Wunsche, einen Nachfolger in unsern Vorzügen zu haben, bloß veredelte Selbstheit zum Grunde.

Ich kehre zum Plato zurück.

Diotima geht zur Entwickelung der höchsten Geheimnisse der Liebe über. Allein hier werden die Wonne der Beschauung und die Begeisterung, welche sich so leicht in jene mischt, völlig mit der Liebe verwechselt.

„Wer in dieser Art von Liebe glücklich seyn will, sagt sie, der muß als Jüngling schon an schönen Körpern Wohlgefallen finden. Wenn ihn sein guter Genius richtig führt, so wird er bey einem einzigen schönen Körper den Anfang machen, der bey ihm schon Ideen über schöne Verhältnisse entwickeln wird. Bald aber wird er bemerken, daß die Schönheit eines Körpers mit der Schönheit aller andern Körper verschwistert sey. Denn wenn man einmahl den Begriff der wahren Schönheit ganz fassen will, so wäre es widersinnig, die Schönheit aller einzelnen Körper nicht für wesentlich einerley zu halten. Dann wird er anfangen, alle schönen Körper zu lieben, und die ausschließende Neigung für einzelne Körper für zu klein und unbedeutend zu halten.“ –

Diese Ideen sind zwar unbestimmt ausgedrückt; aber das Wesentliche darin ist richtig. Das Wohlgefällige der Gestalten für das Auge, (das gemeine Schöne,) ist sehr verschieden in jeder Gestalt. Aber die Gesetze des Verstandes und der Vernunft, denen dieß Wohlgefällige unterworfen werden kann, und die es zum ästhetisch Schönen, (zur Schönheit,) machen, sind unveränderlich und allgemein. Dasjenige, worauf sie angewandt werden können, ist also auch unter sich verschwistert. Da nun diese Gesetze auch auf das Unsinnliche angewandt werden können, so ist es natürlich, wenn Plato behauptet, daß der richtige Geschmack und das gebildete Gefühl für die sichtbare Schönheit eine zweckmäßige Vorbereitung zur Beurtheilung und zum Gefühl des Schönen überhaupt sey.

„Ist er einmahl dahin gekommen, fährt Diotima fort, so wird er sich noch weiter erheben, und die Schönheit der Seele höher schätzen lernen, als die Schönheit des Körpers. Findet er dann Jemanden mit den Vorzügen der Seele begabt, obgleich diese nicht mit großen Reitzen des Körpers gepaart sind; so muß er gleichwohl eine Freude an ihm haben, ihn lieben, und sich für ihn interessieren. Zur Unterhaltung mit einem solchen Geliebten hingerissen, wird er genöthigt, über Gegenstände nachzudenken, die zur Bildung der Jünglinge vorzüglich geschickt sind. Dadurch wird er nun veranlaßt, auf dasjenige, was in den Handlungen und den Gesetzen schön ist, aufmerksam zu seyn. So bemerkt er, daß Schönheit mit seinem eigenen Wesen verwandt sey; so lernt er auf körperliche Schönheit einen minder großen Werth legen: so wird er hernach, durch einen höhern Schritt, Schönheit in Handlungen, und durch einen neuen Fortschritt, Schönheit in den Wissenschaften entdecken. Auf diese Art wird er einsehen, daß man Schönheit in verschiedenen Arten von Gegenständen, und nicht bloß in einer einzigen aufsuchen muß, wie etwa ein gemeiner Liebhaber an seinem einzigen Lieblinge; und daß es einen sclavisch denkenden, beschränkten Kopf verrathe, sie nur in der Gestalt eines einzigen Knaben, in einem einzelnen Menschen, oder in einer einzelnen Handlung finden zu wollen. Er wird das große Meer der Schönheit durchschwimmen, und im Beschauen so vieler mannigfaltigen schönen Gegenstände neue Ideen erzeugen, und zu einer fruchtbaren Philosophie sammeln. So gestärkt und erweitert, wird dann seinem Geiste eine einzige Wissenschaft des Schönen erscheinen. Wer in den Mysterien der Liebe es so weit gebracht hat, der ist der letzten Einweihung nahe. Er steht an dem Ziele, wohin alle vorher gegangenen Bemühungen allein abzweckten. Ihm offenbart sich nun mit einem Mahle der Anblick der ewigen Urschönheit, jenes außerordentlichen Wesens. Ewig ist diese Schönheit; keinem Entstehen, keinem Vergehen, keinem Zuwachse und keiner Abnahme unterworfen. Eben darum ist sie auch nicht bloß einem ihrer Theile nach, nicht bloß in einem gewissen Verhältnisse, nicht bloß zu einer gewissen Zeit, nicht bloß an einem gewissen Orte schön: einem andern Theile nach, in einem andern Verhältnisse, zu einer andern Zeit, an einem andern Orte häßlich: folglich auch nicht bloß für den einen Menschen schön, für den andern häßlich. Sie ist kein Objekt einer Anschauung, wie eine Person, eine Hand, oder sonst ein körperlicher Gegenstand; kein Begriff, keine Idee. Sie ist kein Accidenz irgend eines Subjekts, z. B. eines lebenden Geschöpfs, weder auf der Erde noch im Himmel, noch sonst irgendwo; sondern sie ist an und für sich selbst, ohne Wechsel, und ohne Beymischung eines fremdartigen Stoffes; nur sich selbst gleich. Alles, was schön ist, ist es nur dadurch, daß es ein Theil von ihr ist; sie selbst aber leidet weder einen Zuwachs, noch eine Abnahme, noch eine andere Veränderung, jene mögen entstehen oder vergehen. Wer also, durch die Liebe für seinen Liebling richtig geleitet, sich von der Neigung zu diesem allmählig zum Anschauen dieser ewigen Schönheit erhoben hat, der hat den Grad der Vollendung beynahe erreicht. Seine Liebe richtig leiten, oder von einem andern richtig leiten lassen, heißt daher auch nichts anders, als seine Neigung für ein schönes Individuum als den Anfang gebrauchen, von welchem man, bloß um der Urschönheit, als des Endzwecks, willen, seine Betrachtung der Schönheit, von einem Gegenstande zum andern fortschreitend, erweitert, und an diesen schönen Gegenständen, gleichsam wie auf Stufen, von einem schönen Körper zu mehreren, von andern nach und nach zu allen, von den schönen Körpern zu schönen Handlungen, zu schönen Wissenschaften aufsteigt, bis man endlich bey derjenigen Erkenntniß aufhört, welche nichts als das absolut Schöne zum Gegenstande hat, und nun, eingeweiht in den letzten Grad der Geheimnisse dieser Weisheit, die Urschönheit selbst erkennt. Hier wird des Menschen Leben erst ein wahres Leben. Diese Schönheit, gelingt es dir einst, sie zu schauen, wird dir in einem weit herrlicheren Lichte erscheinen, als Gold und Schmuck und Knaben und Jünglinge: – – Gegenstände, deren Anblick dich doch schon so entzückt, daß du und viele Andere, welche diese Gegenstände ihrer Neigung unaufhörlich beschauen, wünschet, wenns möglich wäre, in unaufhörlicher Anschauung verloren, mit ihnen auf immer unzertrennlich vereinigt zu werden. Was muß es erst werden, wenn einem das Glück wiederfährt, die Urschönheit selbst, echt rein, unvermischt, nicht verbunden mit körperlicher Masse oder Farben oder anderm Tand, sondern in ihrem göttlichen Glanze, in der ganzen Reinheit ihrer Form zu erblicken? Glaubst du nicht, daß ein solcher Anblick, wo der Mensch das, was er eigentlich soll, gleichsam von Angesicht zu Angesicht schaut, und sich innig mit ihm vereint, sein Leben beneidenswerth machen müsse? Glaubst du nicht, daß er dann, wenn ihm dieser, einzig auf diese Art mögliche Anblick der Urschönheit zu Theil geworden ist, große Thaten erzeugen müsse, die nicht bloß Schattenbilder von Tugenden sind, weil sie ihr Daseyn nicht einer Vereinigung mit einer Truggestalt zu danken haben, sondern wahre wirkliche Tugenden, aus der Verbindung mit der wahren Urgestalt entsprossen? Sind aber durch diesen überirdischen Anblick wahre Tugenden in einem Menschen erzeugt, und von ihm zur Reife gebracht worden, dann ist er ein Liebling der Götter; und ein solcher – wenn’s irgend eines Sterblichen Loos ist, – ist der Unsterblichkeit Erbe!“

Niemand wird den dichterischen Schwung und den Scharfsinn unbewundert lassen, mit denen Plato den Trieb nach Zeugung aus dem nach Unsterblichkeit, diesen wieder aus dem nach Annäherung an die Urschönheit entwickelt, und aus allen diesen den Zug zur Schönheit jeder Art erklärt. Es läßt sich auch ein Zustand von Begeisterung denken, auf den dieses Bild wirklich zutrifft. Es ist möglich, daß wir in den schönen Verhältnissen, die uns sichtbare Gestalten zeigen, die Gesetze der allgemeinen und ewigen Harmonie ahnen, diese auf das Unsinnliche übertragen, und am Ende mittelst der Phantasie uns ein Bild der Vernunftidee, Vollkommenheit, zusammensetzen. Es ist möglich, daß wir dieß Bild personificieren, uns dasselbe schwärmerisch anzueignen, uns ihm ähnlich zu machen suchen, es zu besitzen und von ihm besessen zu werden glauben. Ein solcher begeisterter Zustand mag dann allerdings seinen großen Reitz mit sich führen, und vielleicht mehr als jeder andre beseeligen.

Aber kann man diesen Zustand Liebe nennen? Im geringsten nicht! Er beruht auf Beschauungswonne, und ist nicht selten ein bloß verfeinerter Egoismus, bey dem alle Liebe verloren geht, und der den geistigen Stolz, Verachtung Anderer, und eine Menge menschenfeindlicher Neigungen zeugt und ernährt.

Am Ende des Gastmahls tritt Alcibiades zwischen die Gäste, und hält dem Sokrates eine Lobrede. In dieser erzählt er, wie er einmahl geglaubt habe, Socrates sey durch seine Schönheit gefesselt, er habe ihn gefangen, und dadurch das Recht erlangt, in des Mannes verborgenste Kenntnisse initiirt zu werden. Er habe Alles angewandt, ihn zu einer Schwäche zu verleiten. Die Erzählung der Mittel, die er dazu angewandt hat, läßt sich hier nicht wiederhohlen, und es reicht hin zu sagen, daß sie der Andringlichkeit der schamlosesten Buhlerin bey uns gleich kommt. Dieß muß ich inzwischen anführen, daß Alcibiades gerade diejenigen Grundsätze äußert, die Pausanias vorhin angenommen hatte. Er erzählt, daß er dem Sokrates folgenden Antrag gemacht habe: „ich glaube, daß ich an dir einen Liebhaber gefunden habe, und zwar den einzigen, den ich für würdig halte, es zu seyn: eine gewisse Blödigkeit scheint nur deine Erklärung zurückzuhalten. Allein, so wie ich gegen dich gesinnt bin, würde es sehr ungereimt seyn, dir nicht Alles zu überlassen, mich selbst, meine Güter, meine Freunde, wenn du willst. Mir liegt nichts so sehr am Herzen, als meine Vervollkommnung, und wer würde mich dazu sicherer leiten können, als du? Einem solchen Manne mich nicht ganz zu übergeben, müßte mir selbst mehr Schande in den Augen der Verständigen bringen, als mich ihm zu überlassen, in den Augen der Unverständigen.“

Demungeachtet widersteht Sokrates der Versuchung. – „Denkt euch mein Gefühl nach diesen Auftritten, ruft Alcibiades, wie es mich schmerzte, mich so verachtet zu sehen, und wie ich zugleich eine solche Größe, eine solche Tugend, eine solche Festigkeit anstaunte, in Verwunderung, einen Menschen von solcher Weisheit und Enthaltsamkeit zu sehen, als ich nie zu finden gehofft hatte!“

Bald nach dieser Rede des Alcibiades läßt Plato die übrigen Gäste sich theils nach Hause begeben, theils einschlafen. Socrates bleibt mit den beyden Theaterdichtern, dem Tragiker Agathon und dem Komiker Aristophanes, sitzen, trinkt mit ihnen fort, und beweiset ihnen, daß der Komödienschreiber zugleich Tragödien, und der Tragödiendichter zugleich Komödien verfertigen könne. Aber seine Zuhörer schlummern ein: er allein bleibt wach, treibt den Tag über seine Geschäfte, und begiebt sich erst am Abend zur Ruhe.

Dieser letzte Zug ist offenbar darum hinzugesetzt, um den Sokrates als einen der ausgezeichnetsten Menschen, sowohl an physischer als moralischer Stärke darzustellen. Er kann sich allen Gefahren der Sinnlichkeit aussetzen; sie wird ihn nie übermannen. Er kann unversucht Nächte in den Armen der Schönheit und beym Becher zubringen; seine Vernunft verläßt ihn nie, und sein abgehärteter Körper ist der Anstrengung gewachsen.


Siebentes Kapitel.
Vereinigung des Plato mit sich selbst und mit dem Xenophon in ihren Ideen über die Liebe zu den Lieblingen.

Von den Ideen, die Plato in seinem Gastmahle über die Liebe vorträgt, können nur diejenigen als ihm eigenthümlich angesehen werden, die er dem Sokrates selbst in den Mund legt. Alles, was die übrigen Gäste sagen, gehört entweder nur in die Oekonomie des Stücks als eine schöne Darstellung Alles dessen, was sich zum Lobe des Amors nach Verschiedenheit der Charaktere sagen läßt; oder enthält zugleich die Ideen der Nachbaren und der Athenienser nach der gemeinen Denkungsart.

Das eigenthümliche System des Plato in diesem Gastmahle kommt nun mit demjenigen, welches er in seinem Phädrus entwickelt hat, im Wesentlichen überein. Nach beyden ist der Trieb nach der Urschönheit der Grund, warum das Schöne uns hiernieden anzieht: nach Beyden ist der Zweck der engeren Verbindung zwischen Männern diejenige Vollendung im Edeln und Guten, die uns des Anschauens der Urschönheit würdig macht. Nach Beyden wird Begeisterung mit Liebe verwechselt, und die Erhebung über Sinnlichkeit als ein Vorzug, der uns dem endlichen Ziele unserer Wünsche näher bringt, gepriesen.

Aber darin weicht der Plato im Gastmahle von dem im Phädrus ab, daß dieser letzte die Mitwirkung gröberer Begierden vorzüglich im Anfange der Leidenschaft offenherzig eingesteht, und ausdrücklich darauf rechnet, daß der Kampf wider diese Begierden die Begeisterung erhöhen werde. Diese Darstellung ist der Natur bey einzelnen Individuen angemessen, und wenn gleich die Erklärung der Ursache und des Zwecks des leidenschaftlichen und schwärmerischen Zustandes der Liebenden die Prüfung der Wahrheit nicht aushält; so ist doch wenigstens der Gang, den die Begeisterung nimmt, sehr richtig angegeben. Dagegen ist der Liebhaber im Gastmahle ein Mensch aus einer Welt, die wir nicht kennen; ein Mensch, dem rein geistige Empfindungen beygelegt werden, der einen Drang fühlt, durch das Schöne von seiner geistigen Frucht entbunden zu werden, etwas zu zeugen, das ihn unsterblich mache, und der sich deshalb zuerst an einen Jüngling von schöner Gestalt hängt. Hier hat sich Plato offenbar durch die Bemühung, den Sokrates als einen außerordentlichen, über alle Sinnlichkeit erhabenen Mann darzustellen, verleiten lassen, eine sehr weit hergehohlte Ursache einer sehr nahe liegenden unterzuschieben, und dadurch zu Mißverständnissen Anlaß zu geben.

Inzwischen läßt sich doch Plato in so fern mit sich selbst vereinigen, daß er im Phädrus den jungen Mann auf derjenigen Stufe von Vollkommenheit schildert, die Sokrates von seinen Schülern fordern zu können glaubte: daß er hingegen in seinem Gastmahle den reifen, vollendeten Mann auf der höchsten Stufe der Vollkommenheit darstellt. Jener ist nicht frey von den Anfällen der Sinnlichkeit, aber er weiß sie zu unterjochen: dieser braucht nicht weiter dagegen anzukämpfen: er sieht in der schönen Gestalt weiter nichts, als was wirklich darin liegt, ein schwaches Abbild der Urschönheit, das noch dazu mit demjenigen, welches ihm die Schönheit des Geistes darbietet, gar nicht verglichen werden kann.

Plato in seinem Phädrus und Gastmahle ist von dem Plato in seinen Büchern von den Gesetzen und von der Republik noch verschieden.

In dem Buche von den Gesetzen [40] nimmt er eine dreyfache Liebe an: Freundschaft, Begierde, und eigentliche Liebe. Freundschaft setzt gleiche Vorzüge des Charakters, und gleiche Verhältnisse zum Voraus. Sie ist sanft, wechselseitig, dauernd, und hat die Tugend des Geliebten allein zum Grunde und zum Zweck. Die Begierde verbindet dagegen die ungleichartigsten Menschen, ist oft einseitig, und vorübergehend. Die eigentliche Liebe ist eine Mischung von Beyden, und nimmt einen leidenschaftlichen Charakter an.

Plato, der Gesetzgeber, will nun bloß die Freundschaft beybehalten, und die Begierde und die Liebe unter Personen einerley Geschlechts aus der bürgerlichen Gesellschaft verbannen. Er sucht dieß dadurch zu erreichen, daß er der Jugend früh einen Abscheu gegen diese Art von Ausgelassenheit einflößt, ihre Körper gegen Weichlichkeit durch häufige Uebungen abhärtet, und sie dadurch zugleich von unreinen Gedanken ableitet.

Wer sollte wohl glauben, daß dieser Plato hier, der die Gefahren, die aller leidenschaftlichen Liebe drohen, so richtig einsieht, diese in dem Phädrus und in dem Gastmahle in Schutz nehmen könne? Und wie läßt er sich wieder mit sich selbst vereinigen, wenn er in seiner Republik[41] alle genaueren Verbindungen zwischen den Liebhabern und Geliebten verbietet, und wieder an einer andern Stelle[42] den tapfern Kriegern jede Ausgelassenheit der frevelhaftesten Begierden zur Belohnung gestattet? – Unstreitig muß etwas von diesen verschiedenen Ansichten auf Rechnung des versatilen Geistes unsers Phantasiereichen Autors gesetzt werden; vieles läßt sich aber auch daraus erklären, daß er seine Grundsätze auf verschiedene Lagen und Personen anwendet.

In dem Buche von den Gesetzen betrachtet er den ganzen Haufen der bürgerlichen Gesellschaft, wie er in der wirklichen Natur ist, und durch öffentliche allgemeine Erziehung und Gesetze geleitet werden soll. Und für diese ist es am vortheilhaftesten, um allem Mißbrauch vorzubeugen, ihr jede leidenschaftliche Liebe unter Personen von einerley Geschlecht zu verbieten. In dem Phädrus und in dem Gastmahle betrachtet er den einzelnen auserlesenen Menschen, wie er in der Schule des Philosophen ausgebildet und bewacht werden kann. In der Republik aber formt er einen idealischen Staat, in dem Alles, sogar die Sittlichkeit des einzelnen Bürgers, dem allgemeinen Besten untergeordnet werden soll. Er sucht in der größten Ausgelassenheit der Begierden ein Mittel gegen leidenschaftliche Verbindungen unter einzelnen Personen.


Ich komme nun auf die Vergleichung der Ideen des Plato mit denen des Xenophon.

Im Allgemeinen kann man von ihnen sagen: daß Xenophon den Menschen und seine Verhältnisse so ansieht, wie sie im gemeinen Leben erscheinen: daß Plato hingegen ihn so anschauet, wie er mit ausgezeichneten Anlagen unter selbst gewählten, und erst zu schaffenden Verhältnissen erscheinen könnte. Beyde haben daher auch ganz verschiedene Begriffe von Menschenwerth und Vollkommenheit. Beym Xenophon ist der edle und schöne Mann ein Athenienser, wie es möglich ist, daß es der einzelne Bürger seyn kann, und wie es zu wünschen wäre, daß alle dortige Bürger es seyn möchten. Beym Plato ist er ein Kosmopolit, der nach Wiedervereinigung mit einer außer den Grenzen der Welt wohnenden Urschönheit strebt, und darum ein guter Bürger in Athen ist, weil der vollkommene Mann in allen seinen Verhältnissen den Gesetzen der ewigen Harmonie huldigt. Xenophon zeigt sich überall als einen hellen Kopf, der den Menschen im Ganzen kennt, und gesunde Vernunft mit Biederkeit des Herzens verbindet. Plato blickt viel tiefer in den einzelnen, außerordentlichen Menschen, erkennt besser, was dieser in seiner höchsten Veredlung vermöchte, und hat überhaupt viel mehr Phantasie und Abstraktionsgabe.

Unläugbar haben Beyde den Sokrates zum Muster der Nachahmung, als Ideal eines vollkommenen Mannes darstellen wollen. Plato ist darin dem Originale weniger treu geblieben als Xenophon; aber auch er hat gewisse Grundzüge in dem Charakter und einige Maximen beybehalten, die dem wahren Sokrates unstreitig eigen gewesen seyn müssen.

Dahin rechne ich in Rücksicht auf die Verbindungen mit Jünglingen seine Festigkeit gegen die Anfälle unreiner Begierden. Er scheint für seine Person völlig davon frey gewesen zu seyn. Er scheint aber auch bey seinen Schülern die Sitte der Athenienser, wornach eine engere Verbindung zwischen Jünglingen, die nicht frey von der Mitwirkung gröberer Begierden war, um mancher heilsamen Folgen für den Staat aber Nachsicht fand, zur Ausbildung des Geistes, und zur Ausbreitung der Tugend genutzt und geleitet zu haben.

Diese Grundsätze hat Plato, so gut wie Xenophon beybehalten. Aber die Art, wie sie von Beyden ausgefüllt sind, weicht sehr von einander ab.

Beym Xenophon sieht Sokrates die Schönheit der Gestalt als eine gleichgültige Eigenschaft an. Der zweckmäßigste Körper, um der Seele bey der Ausübung der Bürgertugend zum Agenten zu dienen, ist der schönste. Er hat sich gegen den Reitz der schönen Gestalt so abgehärtet, daß er sie nunmehro mit eben der Gleichgültigkeit wie die häßliche betrachtet. Er hält sich an bloße reine Freundschaft. Inzwischen kann er diese Stärke von seinen Schülern noch nicht erwarten; und da er sieht, daß diese sich durch sinnliche Schönheit noch in der Wahl ihrer Verbindungen bestimmen lassen, so sucht er wenigstens der Leidenschaft, die so leicht durch die Mitwirkung körperlicher Triebe herbeygeführt wird, einen edeln, männlichen Charakter zu geben, vor groben Ausschweifungen zu warnen, und das engere Band, mit dem die sinnliche Schönheit den Liebhaber an den Geliebten knüpft, zur Verstärkung seines edeln Bestrebens zu nutzen, den Verbündeten zu jeder Bürgertugend anzuführen, und dadurch das gemeinschaftliche Wohl zu befördern.

Der Sokrates des Plato ist gegen die Schönheit der Gestalt nicht so gleichgültig: Er liebt selbst mit Enthusiasmus. Aber der geistige Genuß, den er darin sucht, erhebt ihn über das Andringen körperlicher Begierden. Und nun ist er dahin gekommen, den Abglanz der Urschönheit in einer schönen Seele noch deutlicher, als in einem schönen Körper aufzuspüren. Aber diese Höhe haben seine Schüler noch nicht erreicht: sie können nur in dem einzelnen schönen Liebling eine Modification der allgemeinen Harmonie ahnen. Wohlan! Er lehrt sie nun, ihren Blick zu erweitern, und sich zu dem Unsinnlichen, und endlich zum Unsterblichen zu erheben.

Der Sokrates des Xenophon ist nüchtern in Liebe, so wie in Speise und Trank, weil er mäßig ist. Der Sokrates des Plato ist nüchtern in allen diesen Dingen, weil er stark genug ist sie zu vertragen. Jener enthält sich der Berührung schöner Gestalten, ißt und trinkt nicht mehr, als er zu seiner Erhaltung bedarf, weil er sich gewöhnt hat, es nicht zu thun, und das Uebermäßige ihn nun nicht mehr reitzen kann. Dieser bringt Nächte an der Seite schöner Gestalten zu, ohne gerührt zu werden: trinkt die Gäste unter den Tisch, und hält Strapatzen besser aus, wie jeder Andere.

Der Sokrates des Xenophon verdammt die Ausschweifungen der Knabenliebe, und ob er gleich die Befriedigung körperlicher Begierden bey Weibern gleichfalls für etwas Gemeines hält, so läßt er sie doch mit Nachsicht, und als etwas Unentbehrliches zu. Der Sokrates beym Plato aber hält die eine Art der Befriedigung körperlicher Begierden für eben so gemein und unedel, als die andere; aber er behandelt die Ausgelassenheit der Männerliebe in seinem Phädrus, in seinem Gastmahle, und in seiner Republik [43] mit einer Nachsicht, die beynahe den Verdacht erregen sollte, daß er im Grunde überzeugt gewesen sey, daß selbst in der reinsten Liebe, wie er sie schildert, Vieles, was nach unsern Begriffen sehr unrein seyn würde, mit unterlaufe. [44]

Darin aber weichen Plato und Xenophon hauptsächlich von einander ab, daß Letzterer den Begriff der Liebe völlig gefaßt hat. Er setzt ihren Charakter in die Anerkennung des selbständigen Werths des Geliebten, und in das wonnevolle Bestreben, dessen Wohl zu befördern. Hingegen beym Plato ist die Liebe offenbar verfeinerter Egoismus und Beschauungswonne. Der Liebhaber nutzt den Geliebten als ein Mittel, sich zu begeistern: als eine Stufe, von der ab er sich zur Urschönheit erheben will. Daß diese ganze Darstellung der Liebe überhin in eine idealische Welt gehöre, brauche ich kaum zu sagen.

Sechzehntes Buch.
Denkungsart der Griechen über Liebe und Geschlechtsverbindung, von der Zeit Alexanders des Großen an bis zu den Zeiten des Septimius Severus.


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Es ist schwer, das Eigenthümliche in den Sitten der Griechen nach dem Untergange ihrer Freyheit zu entwickeln. Nur wenige Schriftsteller aus dieser Zeit sind in einem gewissen Grade von Vollständigkeit auf uns gekommen, und es sind besonders diejenigen verloren gegangen, welche über das Privatleben und die geselligen Verhältnisse der beyden Geschlechter unter einander einen befriedigenden Aufschluß geben könnten. Das Hauptsächlichste, was wir davon wissen, verdanken wir den Römern und spätern Griechen: Quellen, die allemahl höchst verdächtig sind, weil sie nicht ohne Rücksicht auf die herrschenden Sitten in ihrem Vaterlande und zu ihrer Zeit, nicht ohne Bestrebung, die Sitten des verlornen Vaterlandes und der Vorzeit ins Außerordentliche zu heben, geschrieben haben.

Auch darin liegt ein Hinderniß zur Kenntniß der Gebräuche in dieser Periode, daß die Dichter, die darin geblühet haben, besonders solche Gegenstände zur Bearbeitung wählten, welche ihre Kenntniß des Alterthums an den Tag bringen konnten. Sie entlehnten oft ihren Stoff aus dem heroischen Zeitalter Griechenlands, worin dieses Land kaum die erste Stufe der Kultur erreicht hatte, und suchten in ihren Darstellungen die Rohheit der früheren Sitten, so weit es der ästhetische Zweck erlaubte, beyzubehalten.

Endlich, (und dieß ist unstreitig eines der Haupthindernisse, die sich der Beurtheilung der wahren Denkungsart dieses Zeitalters in Rücksicht auf den Gegenstand meiner Untersuchungen entgegensetzen:) durch ein größeres Verkehr unter den Völkern entstand ein allgemeinerer Geschmack, und dieser ward durch den Einfluß der ältern Meisterstücke, durch die Politur der Höfe, und durch die zunehmende Oberherrschaft der Vernunft über Herz und Phantasie bestimmt. Von nun an dienen die schönen Künste weit mehr zur Unterhaltung, als zum Einwirken auf das handelnde Leben. Man fängt immer mehr an, das Kostume der Kunst, die Sitten und Situationen im Reiche der Fiktion, von den wahren Gebräuchen, Lagen und Gesinnungen der wirklichen Welt abzusondern. Und wer mag nunmehro entscheiden, ob der Rhodische, Syracusanische, Pergamische, oder Alexandrinische Dichter seinen Stoff aus den individuellen Verhältnissen seines Wohnorts entlehnt, und solche Sitten dargestellt habe, die ihm selbst, seinen Zeitgenossen und Landsleuten eigen waren, oder ob er sich nicht in eine ältere und fremde Weise, die aber im Gebiete der Künste allgemein geltend war, hineingedacht habe?

Der Philosoph fing gleichfalls an, den Bürger vom Menschen zu trennen, und ward dadurch veranlaßt, seine Ideen und Vorschriften über Sittlichkeit von den lokalen Verhältnissen, worunter er und seine Zeitgenossen lebten, unabhängig zu machen.

Aus diesen Gründen werde ich es weit weniger wagen, zu bestimmen, wie es der guten Sitte in Griechenland gemäß war, über Liebe und Geschlechtssympathie zu denken, als vielmehr wie diese oder jene Sekte von Philosophen verlangte, daß man darüber denken sollte, wie dieser oder jener Dichter sie darstellen durfte, um im Reiche der Fiktion seinen Zeitgenossen wahrscheinlich und interessant zu erscheinen.


Zweytes Kapitel.
Einfluß der veränderten Regierungsform und einiger andern mitwirkenden Ursachen auf die Denkungsart der Griechen über Geschlechtsverbindung und Liebe.

Inzwischen treffen doch alle griechische Schriftsteller nach dem Untergange der Freyheit und Selbständigkeit der Staaten desjenigen Landes, dem sie ihre Bildung verdankten, in gewissen auffallenden Zügen zusammen, die, verglichen mit denen der frühern Zeit, eine Veränderung in der allgemeinen Denkungsart voraussetzen.

Wenn der Bürger nicht mehr die nehmliche Thätigkeit, oder wenigstens nicht mehr die nehmliche Zufriedenheit in der Führung öffentlicher Geschäfte findet, so kehrt er sich mehr zum Genuß des häuslichen Lebens, und sucht Interesse in den Vorfällen der örtlichen Gesellschaft auf. Dadurch muß das Weib an Wichtigkeit gewinnen. Es hat die nehmlichen Ansprüche auf Menschenwerth: der Vorzug, den der Mann als Staatsbürger hatte, wird immer geringer. Die Gattenliebe erhält für den Hausvater, der viel zu Hause seyn muß, einen erhöheten Reitz. Der Müssiggänger sucht Beschäftigung in der Liebesintrigue und die örtliche Gesellschaft nimmt größern Antheil an verliebten Abentheuern, die ihr Stoff zur Unterhaltung gewähren.

Außerdem hängen die Republiken, die noch eine Zeitlang in eingeschränkter Freyheit hinschmachten, von der Macht benachbarter Monarchen und dem Glanze ihrer Höfe ab. Dort theilen sich das Ansehn und der Einfluß, deren die Gattin des Fürsten genießt, in gewisser Maße dem ganzen Geschlechte mit, zu dem sie gehört: dort vergöttern Hofpoeten und Hofphilosophen die Beschützerin des Talents: dort finden Liebesverständnisse um so häufiger Statt, je größer die Langeweile und der Luxus sind.

Während daß auf solche Art die Liebe zu dem Weibe steigt, fällt die Liebe zu den Lieblingen. Das Leidenschaftliche, was diese Liebe bisher von der Freundschaft unterschieden hat, kann nicht mehr der Begeisterung für die Anlagen des hoffnungsvollen Jünglings, nicht mehr dem Stolze, ihn zu bilden, nicht mehr dem Partheygeiste zugeschrieben werden; es bleibt nichts als die Vermuthung übrig, daß gröbere Begierden dabey zum Grunde liegen. Die Ausbildung des Staatsbürgers zur Begeisterung und zur leidenschaftlichen Aufopferung für fremdes Wohl hat nicht mehr die nehmlichen nützlichen Folgen. Monarchen bedürfen ihrer nicht bey ihren Unterthanen. Ja, sie sind den engen Verbindungen nicht einmahl hold, und die zunehmende Aufmerksamkeit auf das Privatleben, sowohl von Seiten des Regenten als der örtlichen Gesellschaft, muß ihre Mißbräuche immer mehr offenbaren.

In der Periode, die ich vor Augen habe, treten noch zwey wichtige Umstände zur Bildung der herrschenden Denkungsart hinzu. Der Flor der verpflanzten griechischen Litteratur nach Alexandrien, und die Abhängigkeit Griechenlands von Rom. –

Vielleicht hat das Verkehr der Griechen mit den Morgenländern überhaupt Vieles in den Sitten des erstern Volkes modificiert. Aber gewiß scheint es zu seyn, daß die schmelzende, leidende Empfindsamkeit und Schwärmerey in der Liebe zu den Weibern, die vergötternde Anbetung dieses Geschlechts, der witzige Ausdruck überspannter Gefühle, kurz, der ganze Ton der verliebten Elegie, der in der Folge der Zeiten wieder die Galanterie erzeugt hat, von Alexandrien, von dieser reichen, luxuriösen Residenz und Handelsstadt, deren Einwohner durch Klima und Aberglauben so sehr zu dem Abentheuerlichen, Spitzfindigen und Uebertriebenen hingezogen wurden, ausgegangen sind. Sie sind an die Stelle des rüstigen, wackern Enthusiasmus getreten, der die Liebe der freyen Republiken zu den Lieblingen auszeichnete.

In spätern Zeiten hat die römische Sitte, die für die letztgenannte Liebe einen Abscheu trug, dieses Verhältniß noch mehr in Discredit gebracht.

Griechenlands freye Verfassung ist indessen erst nach manchem harten Kampfe ganz verloren gegangen, und die frühere Sinnesart, so wie die Sitten, die darauf beruhten, sind nicht auf einmahl umgeschaffen. Selbst in den Zeiten, als Griechenland bereits eine völlig abhängige Provinz des römischen Reichs geworden war, dauerte bey den Edleren unter diesem Volke mit den Erinnerungen an den ehmahligen Flor des Vaterlandes die Anhänglichkeit an den veralteten Gebräuchen fort, die damit verbunden gewesen waren.


Drittes Kapitel.
Ideen der spätern Platoniker über Geschlechtsverbindung und Liebe.

Die Sekten der Philosophen mußten an Ansehn und Ausbreitung gewinnen, so wie die politische Partheysucht abnahm. Man räsonnierte mehr, seitdem man weniger handelte, und da es der Selbstdenker zu allen Zeiten nur Wenige gegeben hat, so bestimmten die Philosophen die Begriffe und Sitten eines großen Theils unter denjenigen, die auf Wohlerzogenheit Anspruch machten.

Die Platonischen Ideen über die Liebe mußten bald mißverstanden werden. Es gehört der Schwung eines Geistes dazu, der in einer demokratischen Republik gebildet ist, um den uneigennützigen Enthusiasmus für das Unsinnliche zu fassen, den er an die Stelle der Liebe setzt. Nur derjenige Bürger, der gewohnt ist, in dem Mitbürger nicht das Individuum, sondern den Theil der mystischen Person des Staats zu sehen, und sich durch die Begeisterung für bürgerliche Ordnung und öffentliches Wohl für die Entbehrung mancher Freuden des Privatlebens schadlos fühlt; nur ein solcher Bürger, sag’ ich, ist im Stande, die Ahnung zu hegen, daß die Schönheit der körperlichen Gestalt ein Abglanz der Urschönheit sey: Nur er kann sich wirklich täuschen, daß seine Leidenschaft rein von allen materiellen Begierden, nur auf das Anschauen der ewigen Harmonie gerichtet sey.

Dieß ist der Grund, warum die Nachfolger des Plato seinen Lehren einen ganz fremden Sinn untergelegt haben. Tyrius Maximus mag zum Beweise dienen.

„Die Quelle der Liebe, sagt dieser Philosoph, ist die Schönheit der Seele, die aus dem Körper hervorleuchtet. Man muß sich das Verhältniß der körperlichen Schönheit zur geistigen so denken, wie Blumen, die unter Wasser stehen, und durch dessen Wiederschein verschönert werden. Die Schönheit des Körpers ist weiter nichts, als die Blüthe künftiger Tugend, und gleichsam eine Vorahnung einer höheren Schönheit. Denn so wie der glänzende Saum der Berge dem Aufgange der Sonne vorangeht, und den Augen in der Erwartung eines prächtigern Schauspiels wohlgefällt; so geht auch die glänzende Außenseite des Körpers dem Strahl der Seele voraus, und reitzt die Philosophen in der Erwartung künftiger Vortrefflichkeit. Der Liebhaber eines Jünglings sucht nichts als Gelegenheit, seine Tugend mitzutheilen, und er sucht dazu den schönsten als den fähigsten aus.“

Diese Erklärung der Anziehungskraft der Schönheit ist dem Plato völlig fremd. Nie hat dieser Philosoph behauptet, der schönste Mensch sey auch der fähigste zur Tugend: nie, daß die Schönheit des Körpers die Schönheit der Seele verkündige; Nein, er sagt nur: der Liebhaber des Schönen geht von der äußern Gestalt, woran er es erkannt hat, zur Erkenntniß des Schönen der Seele, und so weiter stufenweise bis zur Anschauung der Urschönheit, zur ewigen Harmonie, fort. Dieser Satz läßt sich vertheidigen; aber derjenige, den Tyrius Maximus aufgestellet hat, kann höchstens nur vom physiognomischen Ausdrucke gelten, der aber auch an Personen von sehr indifferenter Gestalt reitzend angetroffen wird.

Tyrius Maximus weicht gleichfalls darin von seinem Lehrer ab, daß er das Leidenschaftliche, die Begeisterung, von der Liebe ausschließt. Er nennt diese eine von Vernunft geleitete Zuneigung zum Schönen. Auch Cicero, dem man eine Vorliebe für das System der mittleren Akademie in der Moral beylegt, scheint die erlaubte Liebe auf Freundschaft einzuschränken, und alle Leidenschaft zu verdammen. [45] Nichts war auch der Lage der mehrsten spätern Staatsverfassungen angemessener. Denn nach dieser konnte die Ausbildung des Bürgers zur Begeisterung und leidenschaftlichen Aufopferung seiner selbst theils wenig Nutzen schaffen, theils nur auf Rechnung gröberer Triebe gesetzt werden. Wir werden sehen, daß alle spätern Systeme in diesem Punkte zusammentreffen.

Die neueren Platoniker haben sich viel mit dem Schönen und mit der Liebe beschäftigt, und dabey die bilderreichen Ideen ihres Stifters auf mancherley Art erklärt. Allein sie konnten in ihren wahren Geist nicht eindringen, und ihre Untersuchungen beschäftigten sich daher nicht sowohl mit der Liebe zum Geschlecht, als mit jener allgemeinen Anziehungskraft, wodurch die Geschöpfe unter sich und mit Gott zusammenhängen. Da man Gott als den Urquell alles Schönen, ja, für das Schöne selbst ansah, und Liebe für die Neigung zum Schönen hielt; so gab dieß Gelegenheit, eine Menge mystischer Ideen über das Verhältniß der Kreaturen zu Gott, und den Vereinigungstrieb mit ihm einfließen zu lassen, wobey man zugleich einen reichen Gebrauch von den damahligen mangelhaften Kenntnissen in der Naturlehre und Astronomie machte.

Ich bin außer Stande, den Einfluß, den dieser Mysticismus auf die Ideen über die Verbindung mit dem zärteren Geschlechte gleich anfangs gehabt hat, zu beurtheilen. Aber gewiß ist es, daß er nach der Zeit, da die Neuplatonische Philosophie in die Mahumedanische und Christliche Religion verwebt worden war, Vieles zur Bildung der Begriffe über die edlere und schönere Geschlechtsliebe beygetragen hat.


Viertes Kapitel.
Ideen der Stoiker über Geschlechtsverbindung und Liebe.

Cicero [46] sagt uns, die Stoiker erlaubten dem Weisen zu lieben, und erklärten die Liebe für den Zug, mit dem der Glanz der Schönheit zur Freundschaft einlade.

Diese Behauptung ist auffallend. Die Stoiker sollen nach andern Zeugnissen die Weisheit für das einzig Schöne in der Welt erklärt haben. Ihre Moral setzte die Tugend und das Glück in den Besitz eines Gemüths, das gleich unempfindlich gegen Vergnügen und Schmerz, frey von allen Leidenschaften, erhoben über Furcht und Schwächen, kein anders Gut als die Tugend, kein anders Uebel als die Reue kennt. Wie paßte, darf man billig fragen, die Liebe, ja, nur einmahl die Freundschaft in dieß System?

Seneca wird uns hierüber die nöthige Aufklärung geben. In seinem neunten Briefe an den Lucil widerlegt er den Epicur, der behauptet hatte, die Stoiker kennten keine Freundschaft, weil sie sich selbst genug seyn wollten. Er erklärt diesen Satz dahin; der Weise sey sich in so fern allerdings genug, daß er eines Freundes entbehren könne, und seinen Mangel mit Gleichmuth ertrage. Aber ganz ohne Freund werde er nicht seyn wollen, sondern den verlornen eben so bald ersetzen, als Phidias eine verunglückte Statue. Der Weise schafft sich also einen neuen an. Aber wie das? Er liebt, um wieder geliebt zu seyn. Nicht bloß der Genuß der erprobten Freundschaft, sondern auch der Anfang einer neuen, das Bewerben um Freundschaft, bringt Vergnügen. Der Philosoph Attalus sagte mit Recht: es sey angenehmer sich einen Freund zu machen, als ihn zu haben. Denn die Sorgfalt und die Beschäftigung, welche das Bemühen um die Zuneigung eines Andern gewährt, geben eine angenehme Unterhaltung. So ist es dem Mahler angenehmer, zu mahlen, als gemahlt zu haben.“

Mit einem etwas versteckteren Egoismus fährt er weiterhin fort: „Wenn sich gleich der Weise selbst genügt, so will er doch einen Freund haben, wäre es auch nur darum, damit eine so große Anlage zur Tugend in ihm nicht ruhe. Er hat aber nicht einen Freund dazu, wozu Epikur ihn hatte, nehmlich zum Beystande in Krankheiten, in der Gefangenschaft, in Armuth, sondern damit er Jemandem in seinen Gefahren beystehen könne. Wer auf sich sieht wenn er Verbindungen eingeht, der hat keinen Begriff von der Freundschaft: er treibt einen bloßen Handel, und wird seinen Freund verlassen, sobald er keinen Vortheil weiter von ihm ziehen kann. Ich aber, sagt Seneka, habe einen Freund, für den ich sterben kann, dem ich ins Exilium folgen würde, und für dessen Rettung ich Alles wage.“

„Es ist nicht zu läugnen, sagt er weiter, daß die Freundschaft einige Aehnlichkeit mit der Liebe habe. Man kann sagen, diese sey eine wahnsinnige Freundschaft. Liebt aber wohl Jemand um des Gewinnstes willen? Aus Ehr- und Ruhmsucht? Nein! die Liebe vernachlässigt Alles, und entzündet durch sich selbst die Gemüther zur Begierde nach der Gestalt, unter Begleitung der Hoffnung einer wechselseitigen Zuneigung. Wie also? Kann aus einer edleren Ursach eine unedle Neigung entstehn? Du sagst: es kommt nicht darauf an, ob die Freundschaft um ihrer selbst willen, oder um eines weiter liegenden Zwecks willen zu wünschen sey. Genug, daß der Weise, der sich selbst genug seyn sollte, ihr doch nachstrebt. Freylich! Aber wie? Nicht angelockt vom Gewinne, sondern angezogen von der innern Schönheit der Sache, und nicht abgeschreckt durch den Wechsel des Schicksals. Der Mensch wird durch einen natürlichen Reitz zur Freundschaft hingezogen. Er kann ihrer entbehren und dennoch bestehen: aber er wird ihrer nicht entbehren wollen, und lieber sterben, als nicht in Gesellschaft der Menschen leben.“

Man kann nun freylich nicht mit Gewißheit behaupten, daß Seneka das System der Stoiker ganz rein und unvermischt von seiner individuellen Anschauungsart vorgetragen habe. Aber so, wie er es darstellt, trägt es ganz den Karakter des geistigen Stolzes an sich.

Der Stoiker war Freund, – weil seine Anlage zur Freundschaft eines von den edleren Vermögen war, die zur Ausbildung seines Wesens nicht ungenutzt in ihm ruhen durften: und weil die Freundschaft selbst einen von den edleren Gegenständen ausmachte, die um ihrer selbst willen gewünscht werden mußten, und denen der Weise daher nachstreben sollte. Die Freundschaft gehörte daher in den Begriff der Weisheit, theils als Gegenstand des Nachstrebens, theils als Zustand des Gemüths für den Weisen. Sie gehörte zu seinem Wohlstande, als vernünftiges Wesen betrachtet: ohne sie konnte er zwar bestehen, aber er wollte es nicht, und er endigte ein einsames Leben, als ein solches das seiner moralischen Natur nicht angemessen war.

Hieraus läßt sich die Stelle beym Cicero erklären. Der Glanz der Schönheit, der zur Freundschaft einladet, liegt für den Stoiker nicht in der äußern Gestalt, sondern in der Sache selbst. Nicht der Freund, sondern die Freundschaft, das Verhältniß, ist es, das durch seine Schönheit den Weisen einladet, sich in die dazu nöthige Stimmung zu versetzen. Wenn ihm daher ein Freund abstirbt, so sucht er ihn geschwind durch einen andern zu ersetzen, und er hört erst dann auf zu leben, wenn er keinen weiter finden kann.

Ich brauche wohl nicht erst aufmerksam darauf zu machen, daß dieß System einem verfeinerten Egoismus angehört. Es bricht dieser auch allenthalben beym Seneka durch. Er freuet sich über die Fortschritte seines Freundes – weil er es ist, der ihn gebildet hat. [47] Er ist überzeugt, daß die Freundschaft durch die Abwesenheit noch gewinne, weil man sich häufiger und besser in Ideen vereinigen könne. [48] „Ich habe, sagt er, meine Freunde immer so gehabt, als wenn ich sie verlieren könnte, und sie verloren, als ob ich sie noch hätte. Wer nicht mehr als einen Freund haben konnte, hat auch diesen einzigen nicht geliebt. Würden wir nicht denjenigen für thöricht halten, der nach dem Verlust seines Mantels lieber diesen beweinen, als sich nach einem andern Mittel zur Bedeckung seiner Blöße umsehen wollte?“ [49]

Der Stoiker konnte auf leidenschaftliche Liebe keinen Werth legen; und das erhellet auch aus der angeführten Stelle des Seneka, worin er die Liebe eine wahnsinnige Freundschaft nennt. Inzwischen hatte sie nach seinen Begriffen doch einen höheren Werth, als die grob eigennützige Freundschaft der Epikuräer, weil sie die Gestalt als etwas an sich Schönes, mit Vernachlässigung alles Gewinnstes, aufsucht.

Aus mehreren Stellen erhellet, daß Seneka die Frau dem Manne nachsetzt. Indessen empfindet er für seine Gattin, Paulina, ungefehr die nehmliche Freundschaft wie für den Lucilius. „Was ist angenehmer, sagt er unter andern, als seiner Frau so theuer zu seyn, daß man sich selbst darum theurer werde!“[50] Er ist hier gleichfalls der Meinung, daß sich eine gute Frau leicht ersetzen lasse, wenn man nur bey ihrer Wahl mehr auf Sitten, als auf äußere Vortheile sehe. [51]

Es ist merkwürdig, daß in den Reflexionen des Kaisers Mark Antonin des Philosophen zwar Vieles über den Zusammenhang des Menschen mit der menschlichen Gesellschaft überhaupt, kein Wort aber von den Pflichten vorkommt, welche engere Verbindungen auflegen.


Fünftes Kapitel.
Ideen der Epikureer über Geschlechtsverbindung und Liebe.

Die Moral des Epikur unterscheidet sich von der Stoischen durch eine Selbstheit, die mit der Sinnlichkeit in engerer Verbindung steht.

Der Stoiker setzt den Zweck des Lebens und den Wohlstand seines vernünftigen Wesens in das anhaltende Bewußtseyn der Oberherrschaft über sich selbst und alle Verhältnisse, worin er zur Sinnenwelt steht. Der Epikureer schließt diese Oberherrschaft keinesweges aus: aber er betrachtet sie nicht als Zweck, sondern als Mittel und Bedingung, um das gegenwärtige Leben besser zu genießen. Sein Zweck ist ununterbrochenes Gefühl einer so angenehmen Existenz, als die Rücksicht auf die Zukunft und die gegenwärtigen Umstände es zulassen. Zu dem Ende sucht er alle natürlichen Neigungen auszubilden, zu reinigen, zu leiten, und mit Vorsicht und Klugheit zu befriedigen. Er ist mäßig, um dem Schmerz auszuweichen und jedes Vermögen zum Genuß in seiner Stärke zu erhalten: er hütet sich vor ungeselligen und heftigen Leidenschaften, die dem Herzen Qualen bereiten, und die Vernunft verdunkeln: er überläßt sich gern sanften, zärtlichen Empfindungen, thut gern wohl, erhält seine Seele rein von niedrigem Eigennutz, um die Wonne der Sympathie zu fühlen, sich vor Schande und innern Vorwürfen zu bewahren, und jede Freude zu genießen, welche die Erhebung des Geistes nach einer edlen Handlung mit sich führt.

Dieß System ist unstreitig geselliger als das Stoische, und engeren Verbindungen viel zuträglicher. Aber mit der Liebe ist es eben so wenig vereinbar. Der Verbündete ist immer nur ein Mittel, wodurch sich der Verbindende glücklicher fühlen will. Der Epikureer erkennt in der Person seines Freundes, seines Geliebten, keine Selbständigkeit an: er sieht nur in ihm ein Mittel, um angenehme Gefühle für seine Sympathie herbeyzuführen, wenn man ihm nicht einen noch gröberen Eigennutz Schuld geben will.

Cicero sagt uns, [52] Epikur habe die Geschlechtsliebe für etwas sehr Körperliches gehalten; und dies hängt auch mit seiner ganzen Lehre über die ersten Ursachen der Dinge, über die Dauer und den Zweck unsers Daseyns genau zusammen.

Lukrez war bekanntlich ein Anhänger und Bewunderer des Epikur. Er kann ihm manches Bild, manche Erklärungsart untergeschoben haben; aber in den Grundsätzen ist er wahrscheinlich seinem Lehrer getreu geblieben. Dieß scheint besonders auf seine Ideen über die Liebe zuzutreffen, und ihre Auseinandersetzung ist um so wichtiger, da sie nicht allein einen Aufschluß über die Art giebt, wie die Epikureische Schule die Denkungsart der Stoa und der Akademie, nach dem Zeugnisse des Cicero und des Seneka, beurtheilen mußte; sondern zugleich das System einer großen Sekte in Rom, von der wir in der Folge noch mehrere Anhänger kennen lernen werden, ziemlich vollständig in sich faßt.

Lukrez hat nehmlich die Liebe völlig mit derjenigen Leidenschaft verwechselt, welche auf den gröbsten Trieben der Geschlechtssympathie (Venus) beruht, und Lieben für leidenschaftliches Streben nach Körperverbindung zwischen zweyen bestimmten Personen gehalten.

Diese Meinung ist nun freylich von jeher die gangbarste unter dem großen Haufen gewesen, und wird es auch wohl auf immer bleiben; denn ihre Faßlichkeit scheint für ihre Uebereinstimmung mit Natur und Wahrheit zu bürgen. Es wird daher wohl der Mühe werth seyn, das Unwahre, Unzusammenhängende in der Darstellungs- und Erklärungsart, die Lukrez uns von der Liebe giebt, zu zeigen, und dadurch zugleich zu beweisen, daß Bilder, die den Werth haben, eine sinnliche Anschauung zu gewähren, darum nicht immer die strengeren Forderungen des Verstandes und der Vernunft befriedigen.

Um die Gedanken des Lukrez über dasjenige, was er Liebe nennt, besser zu begreifen, muß man wissen, daß er die Art, wie Eindrücke und Reitze in unserm Innern entstehen, einer Emanationskraft anderer Körper zuschreibt, von denen sich gewisse Formen nach Art der Rinden, oder Hüllen, Schalen, ablösen, durch die Oberfläche unsers Körpers durchdringen, und in uns wirken. Diese Emanationen nennt er Bilder. (Imagines, Simulacra.)

Dieß vorausgesetzt, erklärt er nun die Geschlechtssympathie und die Liebe auf folgende Art. [53] „Sie hängt von der Pubertät ab, und fängt an, sich zu äußern, wenn der unnennbare Stoff, der zur Reproduktion der Gattung dient, seine Reife erhält. Die zunehmende Lebenskraft bringt jenen Stoff in Bewegung, und verbreitet ihn durch den ganzen Körper. Wenn nun Bilder anderer Körper, die den Abdruck schöner Formen und Farben [54] an sich tragen, (und welche sowohl männliche als weibliche Personen abwerfen können,) [55] unser Innerstes durchdringen, so erhalten wir eine Wunde die in ihren Erscheinungen derjenigen ähnelt, die wir durch einen wirklichen Streich von einem fühlbaren, soliden Körper empfangen. Denn so wie unser Körper nach der Wunde zufällt, und so wie das Blut nach der Seite seine Richtung nimmt, woher der Streich kommt, und den nahen Feind überströmt; eben so wirkt auch das Streben dessen, was Lukrez als den letzten Grund der Geschlechtssympathie ansieht. Der Anstand verbietet mir, in die genauere Vergleichung beyder Erscheinungen, die er sehr weitläuftig auseinander setzt, hineinzugehen. Genug! dieß, sagt Lukrez, ist der Grund der Geschlechtssympathie; (Venus) Daher der Nahme Liebe; (amoris nomen,) daher das erste süße Gefühl, das sich in unser Herz ergießt, und auf welches hernach quälende Sorgen folgen.“

„Denn selbst in der Abwesenheit des geliebten Gegenstandes bleibt doch der einmahl abgeflogene Abdruck seiner Gestalt uns gegenwärtig, und sein süßer Nahme (nach dem Systeme des Lukrez gleichfalls eine materielle Form,) schwebt unaufhörlich in unsern Ohren. Lukrez will daß wir diese Bilder, diese Nahrungsmittel der Liebe fliehen, und unser Gemüth anderswohin wenden sollen. Er räth, den angehäuften unnennbaren Stoff auf alle Körper zu richten, ihn nicht aus Liebe zu einem Gegenstande an uns zu halten, und uns dadurch einen dauernden Schmerz und Sorgen zu bereiten. Jemehr wir das Geschwür nähren, je mehr blüht es auf, und wurzelt ein. Täglich wird die Wuth zunehmen, und die kummervolle Sehnsucht drückender werden, wenn wir nicht dem ersten Eindruck durch neue eine Diversion machen, in wild umherschweifender Begierde die frische Wunde heilen, oder die Bewegung der Seele auf etwas Anders hinleiten.“

„Gewiß aber genießt derjenige die Freuden der Geschlechtssympathie viel vollständiger, der sich vor Leidenschaft hütet. Sie sind für ihn ohne Mischung herber Empfindungen. Gesunde und vernünftige Menschen sind viel fähiger zum Gefühl einer sichern und reinen Wollust, als Kranke und Verirrte. Der Eifer, zu genießen, bringt Liebende um den Genuß.“ –

Ich muß hier wieder einige Stellen übergehen, um des Anstandes zu schonen. Es wird hinreichen, zu sagen, daß Lukrez mehrere Aeußerungen der Lüsternheit durchgeht, welche die Begierde nach engster Körperverbindung andeuten, und zum Theil selbst den begehrten Körper beleidigen. Er leitet diese Erscheinungen aus einer Art von thierischer Wuth her, die in einer Mischung von Schmerz und Lust besteht, und dem Zweck nachstrebt, die Flamme an der Quelle des Uebels zu löschen.

Er zeigt darauf die Unmöglichkeit dieser Hoffnung: „die Begierde ist unersättlich, weil sie sich nur von Bildern nährt, und diese immer Stoff in unserm Innern finden, in den sie eindringen, und den sie reitzen können.“

Lukrez nimmt nun seine ganze Beredtsamkeit zusammen, uns durch Darstellung der unseligen Folgen der Leidenschaft vor ihrer Entstehung zu warnen. „Selbst die glücklichste ist die Quelle der größten Uebel: die unglückliche ist gar das Verderben des Menschen. Gesetzt aber, wir sind einmahl gefangen, so bleiben doch noch Mittel zu unsrer Rettung übrig, wenn wir nur ernstlich wollen. Er räth, man solle sich die Fehler des geliebten Gegenstandes recht lebhaft vorstellen, und nimmt daher Gelegenheit, eine sehr launigte Beschreibung von der Verblendung der Verliebten zu machen.“

Den nehmlichen Grund, den er für die Geschlechtssympathie der Männer angegeben hat, findet er auch bey den Weibern. „Bey ihnen wirkt gleichfalls der unnennbare Trieb, und zwar durch das Andringen der unnennbaren Kraft. „Allein ob diese ebenfalls durch Bilder der Männerschönheit in Bewegung gesetzt werde; darüber äußert er sich nicht.

Am Ende gesteht er noch, daß Weiber, ohne schön und reitzend am Körper zu seyn, dennoch durch Sitten und anständige Sorgfalt für ihr Aeußeres den Mann nach und nach an ihren Umgang gewöhnen, und dadurch Anhänglichkeit erwecken können, die endlich in Liebe übergeht.

Dieß ist das System unsers Dichters, von dem ich nichts Wesentliches verschwiegen zu haben glaube. Wer die Darstellung im Originale liest, wird ihre Schönheit nicht verkennen; und als Kunstwerk können wir ihr unsere Bewunderung und unsern Beyfall nicht versagen. Es ist gerade so viel Wahrheit, so viel innerer Zusammenhang darin, als erfordert wird, um in unserm Fluge im Reiche der Imagination nicht gestört und aufgehalten zu werden. Fern sey es also von mir, dasjenige, was ich über das System bemerken werde, zum Tadel des Dichters zu sagen. Aber wie man diese Rücksicht habe bey Seite setzen, und dennoch Wahrheit und innern Zusammenhang im Reiche der Wirklichkeit darin habe finden können, das ist mir unbegreiflich.

Offenbar schränkt Lukrez den Zug der beyden Geschlechter zu einander bloß auf das Körperliche ein, und sieht die Befriedigung des unnennbaren Triebes wieder als den einzigen Grund des Zuges der Körper zu einander an. Wie unrichtig dieß sey, ist in den beyden ersten Theilen dieses Werks gezeigt worden, worauf ich verweise. Allein gesetzt, man wollte diese Behauptung als richtig annehmen; so zeigt sich doch ein Sprung über eine nicht ausgefüllte Lücke zwischen der Behauptung: daß Bilder schöner Körper die unnennbare Kraft in uns reitzen, – und jener: daß diese Reitzung uns zur Annäherung an den reitzenden Körper auffordern. Das Bedürfniß, den Streich, den wir empfangen, abzuwehren, uns vor der Reitzung zurückzuziehen, ja! den Aufruhr durch Entladung zu beendigen, das Alles läßt sich aus dem Eindringen der Bilder in unsre irritable körperliche Masse folgern: Aber ein Anziehungs- Annäherungs- und Mittheilungsbedürfniß keinesweges. Die Erscheinungen der Geschlechtssympathie bey dem zärtern Geschlechte werden dadurch noch weniger erklärbar. Hier bleibt also eine Lücke, welche das Bild, das von einer wirklichen Wunde hergenommen wird, keinesweges ausfüllt, vielmehr noch auffallender macht. Denn der verwundete Körper zieht sich gewiß nicht nach dem verwundenden hin, sondern von ihm zurück.

Weiter: Wie entsteht aus der bloßen Aufwallung des unnennbaren Triebes die Leidenschaft nach dem Besitze der Person? Auch hierüber ist nichts Befriedigendes gesagt. Lukrez nimmt an, alle schöne Gestalten können den unnennbaren[WS 35] Trieb in Aufruhr bringen. Wohl! Aber woran liegt es denn, daß nicht alle schöne Gestalten, wenn gleich der unnennbare Trieb bey ihnen seine Befriedigung nicht erhält, uns Leidenschaft einflößen? Lukrez antwortet, weil wir von einer Gestalt mehr Bilder einnehmen, als von einer andern zugegeben; worin liegt denn der Grund, daß wir geneigt sind, von einer schönen Gestalt mehr Bilder einzunehmen, als von einer andern? Lukrez kann hier entweder antworten: weil zwischen den Bildern, die sie abwirft, und unserer Fähigkeit, sie einzunehmen, ein genaueres Wohlverhältniß vorhanden ist; oder aber: alle schöne Gestalten werden uns in Leidenschaft versetzen, wenn wir uns muthwillig mit Bildern von ihnen anhäufen. Allein dem Ersten begegne ich mit der Frage: worin liegt das Wohlverhältniß zwischen den äußern Bildern und den Atomen meiner unnennbaren Kraft? Dem Zweyten mit jener andern Frage: warum versetzt mich denn nur eine bestimmte Person in Leidenschaft, warum nicht das ganze Geschlecht der schönen Gestalten, die mich doch noch weit mehr mit aufrührenden und reitzenden Bildern anfüllen, und dem unnennbaren Triebe in mir noch weit weniger Ruhe lassen?

Hier sind überall Lücken, deren Anzeige ich noch unendlich vermehren könnte. Endlich widerspricht sich Lukrez selbst. Wird die Geschlechtssympathie bloß durch den Aufruhr des unnennbaren Triebes in Bewegung gesetzt, und verdanken wir diesen Aufruhr wieder nur dem Eindringen der Bilder schöner Gestalten: ist ferner dieser Aufruhr der Grund aller Liebe; wie ist es denn möglich, daß ein häßliches Frauenzimmer bloß durch gute Sitten und einen reinlichen anständigen Anzug Liebe in uns erwecken könne? Und doch behauptet dieß Lukrez. Er sagt, wir gewöhnen uns an seinen Umgang, und nach und nach entsteht daraus Liebe. Nun kann nur eines von Beyden richtig seyn, entweder die erste Behauptung: Schönheit von der einen, und der unnennbare Trieb von der andern Seite, sind der Grund aller Liebe; dann kann die häßliche Person diese nie erwecken: Oder, auch die Gewohnheit ohne Schönheit kann Liebe erwecken; und dann ist der erste Grund gar nicht hinreichend, den Zug der beyden Geschlechter zu einander zu erklären.

Ich beziehe mich zur völligen Abfertigung dieses Systems auf das achte Buch in diesem Werke, und bemerke nur noch, wie es ganz auf Eigennutz gebauet sey. Dieser ist nicht einmahl von der feineren Art. Die Person, die zur Aufreitzung und Befriedigung des unnennbaren Triebes dient, wird eben so sehr zu einem maschinenmäßigen Werkzeuge, als der Mensch, den sie reitzt, zum Thiere erniedrigt, das durch den Stich eines giftigen Insekts in Wuth gegen den Urheber seiner Leiden geräth. Alles das paßt nicht auf Liebe, sondern höchstens auf die niedrigste Lascivität.

Es muß diese Darstellungsart der Liebe nothwendig auf den Grundsatz führen, in einer wildumherschweifenden Begierde, und in der größten Ausgelassenheit der Sitten ein Rettungsmittel gegen eine den Menschen so sehr herabwürdigende Leidenschaft zu suchen.

Das System des Lukrez hat sich inzwischen allen denen empfehlen müssen, die bereits einen Grund für gewisse Erscheinungen angegeben zu haben glauben, wenn sie nur dasjenige auffassen, was ihnen am nächsten zur Hand liegt: die Sinne, aber kein Herz haben, und in einer klugen Befriedigung ihrer Triebe die Bestimmung des Menschen suchen.


Sechstes Kapitel.
Ideen des Aristoteles über Geschlechtsverbindung und Liebe.

Aristoteles trifft in seinen Ideen über diesen Gegenstand mehr wie jeder andere Philosoph unter den älteren Griechen mit denen unsers Zeitalters, und meiner Ueberzeugung nach, mit der Wahrheit zusammen. Seine Begriffe von demjenigen, was er Freundschaft, Liebe und Wohlwollen nennt, sind freylich etwas schwankend und unbestimmt; aber überall fühlt man doch die Ahnung des wahren Wesens der Liebe. Das weibliche Geschlecht und die Gattenliebe erhalten unter seinen Händen eine höhere Würde, und die Männerliebe hat bey ihm nicht das Ansehn, das ihr sein Lehrer Plato gegeben hatte.

Irre ich nicht, so darf ich etwas von dieser Denkungsart eines Philosophen, der lange Jahre am macedonischen Hofe gelebt hatte, dort mit der Hochachtung, welche den Königinnen und wahrscheinlich auch den Gattinnen ihrer Unterthanen bezeugt wurde, so wie mit dem größern Ansehn, das die Weiber in monarchischen Staaten überhaupt genießen, vertraut geworden war, seiner besondern Lage zuschreiben.

Aristoteles handelt an zweyen Stellen seiner moralischen Schriften ziemlich ausführlich von der Freundschaft. (Φιλία)[56] Er begreift darunter sowohl die anschauenden und selbstischen Verbindungen, die auf Bewunderung, Werthschätzung, und im Werthhalten beruhen: Achtung für Tugend, Gefühl des Nutzens und des Vergnügens zum Grunde haben; als auch diejenigen, die wirklich liebend sind: in denen sich entweder die Person an die Person nur liebend anschließt, oder worin sich beyde Verbündete durch Zärtlichkeit zu einer Person vereinigen.

„Wir hängen uns, sagt Aristoteles, entweder an das Gute an sich, (an die Tugend,) oder an das Nützliche, oder an dasjenige an, was uns Vergnügen macht. Nur die Verbindung mit dem Tugendhaften verdient Freundschaft im eigentlichen Sinne genannt zu werden.“

„Die Tugend, oder das Gute an sich, erweckt zugleich das Gefühl des Vortheilhaften, und Vergnügen. Der Verbündete wird dadurch angereitzt, selbst gut an sich zu seyn, und dem Geliebten Nutzen und Vergnügen zuzuführen. Der Trieb ächter Freundschaft beruht darauf, das Wohl des Freundes zu befördern. Es muß aber Angewöhnung hinzu treten. Sie kann nur mit Wenigen eingegangen werden, und sie erhält ihren höchsten Reitz durch längern Umgang.“ –

Man wird leicht fühlen, daß hier etwas in den Begriff echter Freundschaft oder liebender Anhänglichkeit aufgenommen ist, was nicht schlechterdings hinein gehört: nehmlich das Band der Tugend: daß hingegen etwas fehlt, was eigentlich am mehrsten bindet, nehmlich das Herz, oder die Sinnlichkeit, es sey des Körpers oder des Gemüths. Denn die bloße Achtung für Tugend, verbunden mit Angewöhnung, erweckt noch nicht unbedingt liebende Anhänglichkeit oder Freundschaft. Auf der andern Seite giebt es unstreitig echte Freundschaften, die nicht auf Tugend beruhen.

„Afterfreundschaften, fährt Aristoteles fort, sind diejenigen, die auf bloßem Nutzen oder Vergnügen beruhen. Beydes sind relative Gefühle, zu denen wir nur zufällig aufgelegt sind.“

„Inzwischen lassen sich diese drey Gattungen von Anhänglichkeiten, nehmlich diejenige die auf dem Guten an sich, auf Nutzen, und endlich auf Vergnügen beruhen, jede wieder in zwey Hauptarten abtheilen. Die eine setzt wechselseitige Anerkennung der Gleichheit beyder Verbündeten, ihrem Wesen und ihren Verhältnissen nach, zum Voraus. Die andere besteht mit der Anerkennung der Superiorität des einen Verbündeten über den andern. Ungeachtet der anscheinenden Ungleichheit an Rechten und Lagen, kann dennoch ein gewisses Wohlverhältniß zwischen ihnen Statt finden, wenn Jeder seiner Pflicht nachkommt, den Andern in seinen Ansprüchen nicht stört, und das, was Tugend an ihm ist, anerkennt. Alsdann werden solche Anhänglichkeiten echt und dauernd seyn, wenn gleich die eine Person gegen die andere im Verhältnisse des Obern zu seinem Untergebenen steht.“ –

„In der Freundschaft zwischen Personen von ungleichem Ansehn, sagt Aristoteles weiter, muß der edlere mehr geliebt werden, als lieben: wenn aber ein richtiges Maß getroffen wird, so kommt demungeachtet ein gewisses Wohlverhältniß heraus, welches die Verbindung zum Range echter Freundschaft hinaufhebt. Sind die Personen zu weit auseinander, durch ihr Wesen und ihre Lagen; so findet keine Freundschaft zwischen ihnen Statt. Der Unterthan kann allenfalls noch der Freund seines Fürsten seyn; aber der Mensch kann einen Gott nicht als seinen Freund betrachten. Er kann weder dessen Wohl zu befördern streben, da er ganz vollkommen ist, noch ihn als ein Gut, das ihm durch die Verbindung vortheilhaft wird, betrachten, da der Gott ganz außer seinen Verhältnissen steht. Die Verbindung zwischen einem reifen Manne und einem Knaben kann wenigstens keine echte Freundschaft seyn; weil sie nur auf Vergnügen beruht.“

„Es giebt aber Menschen, die sich bloß an andere anhängen, um von diesen geliebt und angebetet zu werden. Dies sind keine wahren Freunde.[WS 36] Denn Freunde lieben unmittelbar um der Wonne willen, die das Lieben mit sich führt. Sie lieben, wenn gleich ihre Liebe nicht erkannt und erwiedert wird. Der Freund strebt nach des Andern Wohl nicht um sein selbst, sondern um dieses Andern willen. Freud’ und Leid müssen ihn unmittelbar rühren, weil sie dem Andern widerfahren.“

„Freundschaft äußert sich durch unmittelbare Handlung, oder durch eifriges, angewöhntes Streben nach dem Wohl des Verbündeten. Sie unterscheidet sich dadurch vom bloßen Wohlwollen, (Εὔνοια) welches ein bloßer vorübergehender Wunsch ist, daß es einem Andern wohl gehe. Verträglichkeit (Ὁμόνοια) ist gleichfalls von Freundschaft verschieden. Denn jene setzt bloß ein Zusammenstreben Mehrerer nach einem Zwecke ohne Ausschließung und Hinderung zum voraus.“

Nach diesen Sätzen konnte Aristoteles die Verbindung zwischen Gatten allerdings unter den Begriff der echten Freundschaft bringen.

„Mann und Frau, sagt unser Philosoph in seiner Politik, [57] haben Jedes ihre ihnen eigenthümlichen Tugenden. Derjenige Mann würde feig seyn, der nicht tapferer wäre als die Frau: diejenige Frau wäre nicht sittsam zu nennen, die den sittsamen Mann nicht noch an Sittsamkeit überträfe. Bey der Verwaltung des Hauswesens haben Beyde ihre verschiedenen, jedem besonders angewiesenen Geschäfte. Der Mann erwirbt, die Frau hält zusammen. Die leitende Klugheit aber scheint dem Manne, als Führer, zuzukommen. Alle übrigen Tugenden sind unter ihnen gemein. Die Frau ist dem Manne untergeben: aber dennoch frey, und das Recht, einen guten Rath zu ertheilen, kann ihr nicht abgesprochen werden. Sie giebt den Stoff her, den der Mann verarbeitet.“

In Gemäßheit dieses Verhältnisses, das Aristoteles zwischen den Gatten annimmt, vergleicht er nun[58] ihre Verbindung in der Ehe mit der aristokratischen Verfassung eines Staats. „Wenn sie wohlgeordnet ist, so wird der Gatte zwar den Vorrang behaupten, und in demjenigen, was ihm zukommt, regieren, aber die Frau in demjenigen Wirkungskreise, der ihr gebührt, nicht beschränken. Denn wollte der Mann in Allem allein herrschen, so würde die Verbindung, anstatt einer wohlgeordneten Aristokratie zu gleichen, sich einer tadelnswürdigen Oligarchie nähern, worin der Hervorragende seine Anmaßungen übertreibt, und die Uebrigen als Knechte behandelt. Dieß kann aber gar nicht gestattet werden. Die Frau ist durchaus nicht als ein bloßes Mittel zu selbstischen Zwecken des Mannes zu betrachten. Eben so unrecht würde es aber auch seyn, wenn die Frau, etwa weil sie reich und vornehm wäre, sich die Oberherrschaft anmaßen wollte.“

„Die Verbindung zwischen den Gatten verdankt ihren Ursprung der Natur. Bey Thieren hat sie nur den Zweck der Fortpflanzung. Aber bey dem Menschen geht ihre Bestimmung ursprünglich weiter. Die Gatten sollen gemeinschaftlich für ihren Unterhalt sorgen, und Jedem ist sein Geschäft dabey angewiesen. Sie greifen sich einander in die Hand, sie bringen ihr Eigenthum zusammen. Ihre Verbindung beruht auf gemeinschaftlichem Nutzen und Vergnügen. Sie kann aber auch auf Tugend beruhen, wenn sie Beyde bieder sind. Denn jedes Geschlecht hat seine ihm eigenthümlichen Vorzüge, deren sich das andere erfreuet. Kinder machen ein neues Band unter ihnen aus, indem sie ein gemeinschaftliches Gut sind.“ –

So entwickelt Aristoteles den Begriff und die Pflichten der Gattenliebe in seinen Schriften über die Moral. Eine vortreffliche Stelle, die hieher gehört, steht noch in seinen Oeconomicis. [59] Er legt dem Mann die Pflicht auf, seine Gattin auszubilden, sie mit Gut und Blut zu vertheidigen, gemeinschaftlich mit ihr das Hauswesen und die Erziehung zu besorgen, und ihr treu und standhaft bis an den Tod anzuhängen. Sehr weitläuftig und sehr bestimmt legt er dem Manne gleiche Pflichten in Ansehung der Keuschheit des Ehebettes auf, und empfiehlt ihm vorzüglich der Gattin diejenige Achtung einzuflößen, die das Herz gewinnt, und sich vor derjenigen Strenge zu hüten, die zwar zur Folgsamkeit nöthigt, aber Haß und Abneigung hervorbringt.

Wenn nun gleich Alles dieß den Begriff der Zärtlichkeit nicht vollendet: wenn es Pflichten sind, die wir allenfalls auch dem Patron gegen seinen Clienten auflegen würden, wenn er diesen mit liebender Anhänglichkeit zu umfassen, und ihn eben so an sich zu schließen sucht; so läßt sich doch nicht läugnen, daß Aristoteles das Wesen der Liebe in dieser Art von Verbindung richtig gefaßt hat.

Leidenschaftliche Liebe scheint er zwar zu kennen, aber ihr keinen Werth beyzulegen. Der leidenschaftlichen Verbindung zwischen Männern ist er abgeneigt. Liebe, (ἔρως) nennt er Begierde, oder auch Leidenschaft. Er sagt, die Liebe fange da an, wo man auch abwesend das Bild des Geliebten immer mit sich herumtrage. [60] Daß ihr Zweck dahin gehe, sich in den geliebten Gegenstand zu verwandeln, scheint daraus zu folgen. [61]


Siebentes Kapitel.
Ideen einiger Philosophen, die zu keiner bestimmten Sekte gehören: Cicero und Plutarch.

Ich glaube den Cicero zu den griechischen Philosophen zählen zu können, da seine Bildung offenbar mehr griechisch als römisch gewesen ist. Er hat keiner Sekte besonders angehört, sondern dasjenige, was ihm das Beste schien, aus den Lehrsätzen Aller zusammengetragen. Wir haben von ihm eine kleine Abhandlung über die Freundschaft, worin das Wesen derselben gut gefaßt ist, und brauchbare, praktische Regeln gegeben werden. Er nähert sich den Grundsätzen des Aristoteles, oder auch der mittleren Akademie, und bestreitet die Stoiker und Epikureer. Das Leidenschaftliche in der Freundschaft, das er Amor nennt, will er aber daraus verbannt wissen.

Gattenzärtlichkeit betrachtete Cicero als ein liebendes Patronat: Geschlechtsliebe aber sah er als eine Leidenschaft an, die auf Sinnlichkeit beruhe, und die der Weise fliehen müsse.

Plurarch gehört ebenfalls zu denjenigen moralischen Schriftstellern, die ihre Grundsätze aus mehreren Systemen zusammengeborgt haben. Inzwischen scheint er sich doch am mehrsten zu den späteren Platonikern hinzuneigen. Zu gleicher Zeit wird der Einfluß monarchisch römischer Ideen bey der Art, wie er über Liebe zu den Weibern urtheilt, sichtbar.

Der Vorzug dieser Liebe vor derjenigen zu den Jünglingen scheint zu seiner Zeit, (er lebte im ersten Jahrhunderte nach Christo,) einen ziemlich gewöhnlichen Stoff zu Redeübungen geliefert zu haben. In seinem Buche von der Liebe, wird ein Wettstreit über diese Materie dargestellt, wobey die Anhänger der einen und der andern Art von Liebe ihre Meinungen mit vielen Gründen unterstützen. Der Liebhaber der Lieblinge wirft seinem Gegner vor, daß bey der Liebe zu den Weibern bloße thierische Begierde nach Körperverbindung zum Grunde liege. Dagegen erwiedert dieser, die Liebe zu den Lieblingen beruhe ebenfalls auf einer solchen Begierde, sonst würde sie nicht Liebe genannt werden können. Sey sie aber damit verbunden, so sey sie auch höchst schändlich und unnatürlich. Der Schiedsmann sichert darauf der Gattenliebe ihre Rechte, und nennt die Ehe eine Verbindung, die mit dem göttlichen Geschenke der Freundschaft nicht unvereinbar sey, und deren Festigkeit auf wechselseitiger Achtung beruhe.

Bald lenkt sich das Gespräch auf die Würde des Amors. Es war der Liebe der Vorwurf gemacht, sie sey eine Art von Wahnsinn. Allein es wird dagegen behauptet, die Schwärmerey der Liebenden sey eine Folge göttlicher Begeisterung. Bey dieser Gelegenheit werden Beyspiele großer Thaten angeführt, die sowohl für Lieblinge als Weiber unternommen sind. Darauf folgt eine Entwickelung der Platonischen Ideen über den Abglanz der Urschönheit an der körperlichen Schönheit des Jünglings sowohl als des Weibes. Sie wird durch folgende Allegorie anschaulicher gemacht. „Iris und Favonius haben den Amor gezeugt. Iris ist der Schein, der entsteht, wenn die Sonne auf eine nasse Wolke trifft. Wir glauben dann, etwas Wirkliches an dieser Wolke wahrzunehmen, was doch nur dem Schein nach an ihr befindlich ist. Eben so erscheint edel Liebenden die äußere Schönheit wie ein Abglanz der Urschönheit, und erweckt Erinnerungen an jenes göttliche Schöne, das eben so sehr Liebe als unsere Bewunderung verdient. Aber die mehrsten gleichen den Knaben, die nach dem Regenbogen greifen: sie verfolgen an Jünglingen und Weibern das Bild der Urschönheit, das sich an ihnen abspiegelt, und wissen doch nur eine Wollust zu nehmen, die mit Schmerz verknüpft ist.“

Dieß ist das erste mir bekannte Beyspiel, daß die Platonischen Ideen auf die Liebe zu Weibern angewandt sind.

Die Folge des Gesprächs wird die Achtung für dieß Geschlecht und die Ehe, aber zugleich eine Vermischung des Systems des Plato mit dem Epikureischen zeigen.

„Die Ursach der Liebe ist in gewissen Bildern zu suchen, die bald auf den Körper bald auf den Geist wirken, und in diesem Erinnerung an die Urschönheit erwecken. Beyde Wirkungen können sowohl durch Lieblinge als durch Weiber hervorgebracht werden, wenn ein keuscher und bescheidener Charakter aus der Blüthe der Jugend und der Schönheit hervorleuchtet. So wie ein gut passender Schuh die Schönheit des bedeckten Fußes offenbart, so sehen diejenigen, die dafür Sinn haben, in einer edeln Gestalt Spuren einer edeln Seele.“ – Diese Idee ist ein Zusatz der spätern platonischen Schule, den wir aber hier zum ersten Mahle auf das Weib angewandt finden.

Weiter: „Wenn Jemand auf die Frage: ob er Weiber oder Jünglinge vorzöge? die Antwort geben wollte: Beyde könnten ihn reitzen; so würde er seinen natürlichen Begierden gemäß sprechen. Aber eben dieß könnte auch der edle Liebhaber sagen. So wie die Liebhaber von Pferden und Hunden keinen Unterschied zwischen beyden Geschlechtern machen; so wird derjenige, der die Schönheit und Menschen liebt, nur einen Unterschied in der Bekleidung zwischen ihnen finden. Man behauptet: Schönheit sey die Blüthe der Tugend. Ist es denn nicht widersinnig, zu behaupten: die Weiber blühen nicht, und zeigen dadurch keine Anlage zur Tugend? Sieht man ihnen doch lasterhafte Neigungen an!“

Plutarch geht noch weiter: Er hält die edle Liebe, die Plato lehrte, mit der Befriedigung der körperlichen Geschlechtssympathie in der Verbindung mit Weibern vereinbar. „Wer wird es ertragen, sagt er, daß bey den vielen edlen Thaten, die bey uns und bey den Barbaren von Weibern ausgeführt sind, die Venus geschmäht, und behauptet werde, sie könne mit Amor verbunden nicht zur Freundschaft werden!“ Er fährt fort, viel zum Lobe der Ehe, und viel gegen die Liebe zu den Lieblingen zu sagen. In der ersten, behauptet er, gehe die Leidenschaft nach und nach in ruhige Zärtlichkeit über. Man habe viele Beyspiele von beständiger Liebe unter Ehegatten, wenige von einer solchen Liebe unter Lieblingen.

Eben dieser Philosoph hat uns in einem andern Aufsatze Ehstandsvorschriften geliefert, die eben diesen Geist der Achtung für das Frauenzimmer athmen, und voll von praktischer Lebensweisheit sind. Inzwischen sieht er doch das Verhältniß des Mannes zur Frau noch immer wie ein Patronat und Clientelarverhältniß an. Er verlangt große Eingezogenheit von der Gattin, große Achtung für den Mann, aber auch von Seiten des letzten liebreiche Behandlung. Er wünscht, daß die[WS 38] Frau selbst gelehrte Kenntnisse aus der Belehrung des Mannes schöpfe, und sich dadurch über die Sucht nach unnützem Zeitvertreib, und über Vorurtheile erhebe.

Endlich hat Plutarch über die Tugenden der Weiber geschrieben, und die Meinung des Thucydides, daß diejenige Frau die beste sey, von der man am wenigsten außer Hause höre, bestritten. Er sucht den Satz, daß die Weiber zu öffentlichen Tugenden geschickt sind, durch eine Menge von Beyspielen zu beweisen, nach denen sie durch ihren Muth, durch ihre Standhaftigkeit und Treue zum Wohl des Staats unmittelbar beygetragen haben.

Achtes Kapitel.
Denkungsart des Terenz über Geschlechtsverbindung und Liebe.

Ich komme zu den Schriftstellern, die mehr für Unterhaltung als für Belehrung geschrieben haben.

Unter den Werken der Einbildungskraft, welche diesen Zweck hatten, hat sich die neuere Komödie wahrscheinlich am genauesten an die Schilderung wirklicher Sitten der Zeitgenossen gehalten: und da sie sich nach dem Verfall der Republik auf Darstellung häuslicher Scenen einschränkte, so würden wir gewiß die sichersten Data über den Gegenstand meiner Untersuchungen aus ihr schöpfen können, wenn uns nur mehr von ihr übrig geblieben wäre.

Inzwischen kann uns Terenz doch immer Vieles in den Sitten von Athen, nach dem Verlust der Selbständigkeit dieser Republik, aufklären. Von den sechs Stücken, die wir von ihm übrig behalten haben, sind viere nach dem Menander, zwey nach dem Apollodor bearbeitet: Schriftsteller, die Beyde in diese Periode fallen.

Wer den Terenz mit Aufmerksamkeit liest, muß den Glauben an eine ausgezeichnete Achtung, deren die Hetären in Athen genossen haben sollten, völlig fahren lassen.

In der Andria kommt ein Vater vor, der seinen Sohn darüber lobt, daß er sich mit den Hetären nicht abgiebt: ein Vetter einer solchen berüchtigten Person, der es sehr bedauert, daß seine Anverwandtin sich nicht lieber ehrlich und kümmerlich in ihrem Vaterlande habe ernähren, als in Athen mit einem so unanständigen Gewerbe Reichthümer habe erwerben wollen: endlich ein anderer Vater, der seine Tochter einem jungen Manne um seiner guten, von aller Verbindung mit Hetären freyen Aufführung willen geben will, und sein Wort zurücknimmt, sobald er von einer solchen Verbindung seines künftigen Eydams hört. Es läßt sich schwer begreifen, wie man über dieß Alles so viel Aufhebens würde haben machen können, wenn die Hetäre die Billigung der guten Sitte auf ihrer Seite gehabt hätte.

Wie edel, wie zärtlich erscheint dagegen in eben dieser Andria die Liebe des Pamphilus zu der Bürgerin Glycera! Pflicht, Freundschaft, und Liebe binden ihn an diejenige, die sein Herz gewählt hat, und nichts als der Tod soll ihn von ihr scheiden! Er hat sie – das ist sein Ausdruck – von ganzer Seele wie seine Gattin geliebt. Sie ist keusch und gut erzogen: sie hat ihm ihre Person nur mit ihrem Herzen überlassen, und die Dürftigkeit, die ihrer nach seiner Entfernung wartet, soll sie zu keiner unwürdigen Lebensart verführen!

Man lernt aus dem Terenz drey verschiedene Arten von Hetären kennen. Einige hielten eigen Haus von den Geschenken, die ihnen von den Besuchenden gebracht wurden. Sie waren zu gleicher Zeit Unterhändlerinnen verliebter Abentheuer, und suchten sich durch die Protektion angesehener[WS 39] Häuser Duldung zu verschaffen. So erscheint Thais im Eunuch.

Eine andere Art hing sich an einen Einzigen, und ließ sich von diesem unterhalten. So werden die Hetären im Heavtontimorumenos dargestellt.

Endlich gab es eine dritte Art Mädchen, die in Häuser gingen, wohin sie bestellt wurden. Die Sklavinnen, die ein Kuppler hielt, waren von jenen drey andern Arten von Freudenmädchen, die alle frey gewesen zu seyn scheinen, noch verschieden.

Aber alle werden in keinem sehr vortheilhaften Lichte, in Vergleichung mit der Matrone und dem Mädchen, das Bürgerin ist, dargestellt. Eine gewisse Gutherzigkeit, verbunden mit kluger Einsicht ihres Vortheils, macht ihr höchstes Verdienst aus.

Parmenon im Eunuch giebt von der ganzen Gattung kein schönes Bild: „Wenn sie außer Hause erscheinen, sagt er, so sehen sie so reinlich, so geschmackvoll, so sorgsam gekleidet und geschmückt als möglich aus. Speisen sie mit ihren Liebhabern, so stellen sie sich äußerst lecker an. Aber man muß sie daheim sehen, um ihren Schmutz, ihre Armseligkeit und ihr schamloses Wesen kennen zu lernen. Wie sie da das schwarze Brot aus der Brühe des vorigen Tages schlingen! Wahrlich! kein beßres Warnungsmittel für junge Männer, als mit dem Allen früh bekannt zu werden!“

Im Heavtontimorumenos wird das eingezogen lebende Mädchen, das sein Brot mit Handarbeiten verdient, der reichen verschwenderischen Hetäre zur Beschämung gegenüber gestellt. Diese fühlt selbst den höheren Grad von Achtung den jenes verdient, und den Werth einer Verbindung, die unter Zustimmung der Herzen auf beständig geschlossen wird.

Die freye Bürgerin und die Matrone genießen ein großes Ansehn beym Terenz. Freylich kommt in dem Heavtontimorumenos eine Sostrata vor, der von ihrem Gatten ziemlich hart begegnet wird. Aber dieser ist ein überkluger Mensch, der alle andere übersehen will, ob er gleich in seinen eigenen Sachen blind ist. Dennoch spricht die Frau ihr Wort mit, giebt Rath, und hat eine Stimme bey der Wahl eines Weibes für ihren Sohn.

Im Phormio spielt Nausistrata, die Gattin des Chremes, die Rolle einer Maitresse femme. Merkwürdig ist es, daß der Parasit Phormio sich als den guten Freund des Hauses ankündigt, daß Nausistrata verspricht, ihm in Allem, worin sie kann, nützlich zu seyn, daß er sich bey ihr zu Gast bittet, und daß sie, ohne den Mann zu fragen, ihn zur Tafel einladet.

In der Hecyra antwortet Sostrata auf die Vorwürfe ihres Gatten: „Es ist die größte Ungerechtigkeit, wenn die Männer unser ganzes Geschlecht auf einerley Art beurtheilen, weil es einige schlechte Weiber giebt.“ Laches gesteht dieß selbst ein: „Kann man mehr Vollkommenheit von den Weibern als von den Männern fordern, ruft er aus; sind wir denn selbst ohne Fehler?“

Ueberall findet man Spuren wahrer Zärtlichkeit in der Ehe, und den festgesetzten Begriff der Verbindlichkeit des Gatten zur Treue, oder wenigstens zur Verheimlichung seiner Liebschaften.

Es ist schändlich, sagt Demea in den Adelphen, die Buhlerin mit der Frau in einem Hause zu vereinigen.“ Nausistrata in dem Phormio will durchaus ihren Mann verlassen, weil er eine Tochter in einer Winkelheirath gezeugt hat, und dieser fühlt selbst, daß er nicht Recht daran gethan habe, und höchstens nur Nachsicht verdiene.

In der Andria, im Eunuch, in den Adelphen, im Phormio, in der Hecyra kommen theils leidenschaftlich verliebte Liebhaber, theils eben so leidenschaftlich verliebte und zärtliche Ehemänner vor. In dem letzten Stücke erscheint sogar ein Gatte, der einen vermeinten Fehltritt seiner Gattin, so weit es mit seiner Ehre bestehen kann, zu verbergen bereit ist.

Merkwürdig bleibt der leichte Triumpf, den die Liebhaber über die Unschuld freygeborner Mädchen, Töchter von Bürgern, davon tragen, wovon sich sowohl in dem Eunuch als in den Adelphen Beyspiele zeigen. Sie deuten auf den geringen Begriff hin, den die Alten von der Gewalt des Weibes hatten, über seine Sinnlichkeit zu wachen, und den Angriffen auf seine Ehre durch sich selbst zu widerstehen.


Neuntes Kapitel.
Denkungsart des Plautus über Geschlechtsverbindung und Liebe.

Ich bin sehr zweifelhaft darüber, ob die Denkungsart, die ich in den Schauspielen des Plautus über die Materie finde, die mich beschäftigt, herrschende gute Sitte unter den Römern oder unter den Griechen war. Es kommen viele Stellen bey ihm vor, welche auf Gebräuche hindeuten, die wir um so eher für römisch halten, weil wir bestimmt wissen, daß sie in Rom beobachtet wurden, und zu wenig von Griechenland wissen, um behaupten zu können, daß sie dort nicht ebenwohl eingeführt gewesen seyn können.

Dagegen aber ist die Scene beynahe in allen Schauspielen nach Griechenland, und besonders nach Athen verlegt. Hin und wieder muß der Autor sogar den Anstoß zu heben suchen, den der römische Zuschauer an gewissen Sitten nehmen könnte, die mit den seinigen im Widerspruche stehen. Gebe ich daher gern zu, daß Plautus seinen griechischen Vorbildern auf eine freyere, mehr genialische Art nachgeahmt habe, als Terenz; so bleibt es mir doch immer höchst wahrscheinlich, daß er einen griechischen Stoff in den mehrsten seiner Schauspiele bearbeitet, und hauptsächlich griechische Sitten dargestellt habe.

Wir finden nun beym Plautus den Begriff der Liebe, als einer Neigung, sich selbst zu vergessen, und sich für das Wohl des Andern aufzuopfern, bereits fest gegründet.

In dem Schauspiele Cistellaria kommt ein freygebornes, äußerst liebendes Mädchen vor. Silenium, so heißt die Person, glaubt sich von ihrem Geliebten Alcesimarchus betrogen, der eine Andere heirathen soll. Demungeachtet widersteht sie dem Verlangen ihrer Mutter, ihm die Thüre zu weisen. Sie sagt vielmehr ihrer Freundin beym Abgehen: Sollte in meiner Abwesenheit Alcesimarchus kommen, o so schelte ihn nicht! Denn so wenig er es auch um mich verdient hat, so ist er mir doch theuer: so will ich ihn doch im Geheimen lieben. Drum sag ihm nichts, was ihn kränken könnte!“

In dem Amphytruo werden der Alcmena wirklich hohe Empfindungen der Liebe beygelegt. Ihr Gemahl hat sie nach einem kurzen Besuche wieder verlassen, um zur Armee zurückzukehren. „Jetzt bin ich wieder so allein, ruft sie aus, da derjenige entfernt ist, den ich über Alles liebe! Der Schmerz über seine Abreise überwiegt die Freude über seine Ankunft! Aber mein Trost ist, daß er die Rebellen überwinden, und als Sieger nach Hause kehren wird. Laß ihn entfernt seyn! Er kommt zurück mit Ruhm beladen! Standhaft will ich seine Abwesenheit ertragen, wenn mir nur die Belohnung wird, daß mein Gatte sich im Kriege als Sieger auszeichne. Bravheit (Virtus,) ist das höchste Gut. Freyheit, Leben, Vermögen, Eltern, Vaterland und Kinder werden durch sie beschützt u. s. w.

Allein nicht bloß die Weiber erscheinen liebend beym Plautus, sondern auch die Männer. In dem eben angeführten Schauspiele hält Amphytruo seine Frau für untreu. Mitten in der Qual der Eifersucht wird ihm ihre glückliche Niederkunft gemeldet. „Ach! es freuet mich, ruft er aus: so wenig sie es auch um mich verdient hat!“ Eben so liebend sagt Argyrippus in der Asinaria zu der geliebten Philenium: „ich möchte von meinem Leben nehmen, und es zu dem deinigen zulegen!“

Außer diesen Spuren eines Begriffs wahrer Liebe finden sich beym Plautus andere von einer verfeinerten Geschlechtssympathie: von einem Genusse, der aus dem Umgange mit dem zärteren Geschlechte gezogen wurde, der eine gewisse Zartheit und Fülle der Empfindungen, so wie eine schmückende Phantasie voraussetzt. Ich beziehe mich zum Beweise auf den Brief, den Phönicium an den Kalidorus in dem Schauspiele Psevdolus schreibt, und worin sie ihm die süßesten Bilder einer Ueppigkeit zurückruft, die sowohl dem Körper als der Seele gehört. Dagegen erscheint an andern Stellen die Geschlechtssympathie in aller ihrer Rohheit und Ausgelassenheit. Doch habe ich nur selten Spuren einer Bekanntschaft mit der Neigung zu Lieblingen gefunden. Im Curculio kommt eine solche vor, wo aber zugleich mit Mißbilligung davon als von etwas Verbotenem gesprochen wird.

Die Meretrices, die Hetären, werden beynahe alle als eigennützig, unzuverlässig, ausschweifend in ihrer Prachtliebe, und zügellos in ihren Sitten dargestellt. Mit den stärksten Farben werden sie im Truculentus gemahlt. Nur in der Mostellaria kommt eine Philematium vor, die mit Treue und Uneigennützigkeit an ihrem Liebhaber hängt. Sie liebt Wahrheit, hält auf ihren Ruf, schmückt sich nur für ihren Geliebten, und kennt keinen andern Willen als den seinigen.

Auch im Pönulus kommt eine gutgesinnte Hetäre vor, aber sie ist eine Freygeborne.

Die Matronen, die Bürgerinnen, werden beym Plautus sehr achtungswerth vorgestellt. Freylich geben sie ihm auch zuweilen Gelegenheit zur Satyre. Er wirft ihnen ihre Schwatzhaftigkeit, und den reicheren, Herrschsucht und Prachtliebe vor. Aber im Ganzen sucht er doch immer die freygeborne Bürgerin der Sklavin und der Hetäre entgegen zu stellen, und jene ins Schöne zu heben. Wie er über die Vorzüge einer guten Hausfrau und die Pflichten der Gattin dachte, zeigt besonders folgende Stelle im Stychus, die zugleich einen hohen Begriff von Sittlichkeit in sich faßt.

Zwey Schwestern haben Männer geheirathet, die arm sind, und eine Reise übers Meer angetreten haben, um ihre Umstände zu verbessern. Die beyden Gattinnen leben auf Kosten des geitzigen Vaters. Da diese Lage nicht angenehm ist, und die Männer lange ausbleiben, so beklagt sich die eine Schwester darüber gegen die andere. „Wie, sagt diese, kann es dich schmerzen, daß sie ihre Pflicht nicht erfüllen, so lange du der deinigen getreu bist? Daß ich nie wieder dergleichen von dir höre! Der Weise muß seine Pflicht erfüllen, unbekümmert, ob der Andere sie gegen ihn erfülle.“ Die Schwester gesteht es ein: „Glaube nicht, spricht sie, daß ich meines Mannes vergessen konnte!“

In einer andern Scene fragt der Vater die Tochter: wie eine gute Frau gesinnt seyn müsse. „So, antwortet diese, daß, wenn sie durch die Straßen wandelt, sie jedem Spötter den Mund verschließe.“ „Woran, fragt der Vater, erkennt man am leichtesten die gutgeartete Frau?“ „Daran, antwortet die andere Tochter, daß sie bey völliger Gewalt, Uebels zu thun, sich zu beherrschen weiß, und es unterläßt.“ – „Woran erkennt man die weiseste?“ – „Daran, daß sie im Glück sich selbst nicht vergißt, und ihr Unglück mit Gleichmüthigkeit erträgt!“ – Der Vater dringt in der Folge noch in die Töchter, daß sie ihre Männer verlassen sollen. „Wie, ruft er aus, ich sollte dulden, daß ihr bey meinem Leben an Bettler verheirathet wäret?“ Allein die eine Tochter antwortet ihm: Dieser Bettler gefällt mir, wie der Königin ihr König. Ich liebte ihn, wie er reich war; auch arm werd’ ich ihn lieben!“

Zehntes Kapitel.
Denkungsart des Theokrit, Bion und Moschus über Geschlechtsverbindung und Liebe.

Die eigentlichen Hirtengedichte des Theokrit beweisen nichts über die Denkungsart seiner Zeitgenossen. Der Dichter hat sich in eine frühere Welt, und in einen andern Stand hineingedacht, als diejenigen waren, in denen er lebte. Er wollte die Einfalt der rohen Natur schildern: die Liebe erscheint bey ihm gemeiniglich mit aller Heftigkeit, aber auch mit allem Schmutze einer bloß sinnlichen Leidenschaft. Zuweilen vergißt er den angenommenen Charakter. Polyphem, der seiner Geliebten die Hand küssen will, gehört an den Hof zu Alexandrien.

Wichtiger zu meinem Zwecke sind die Gelegenheitsgedichte des Theokrit. In der funfzehnten Idylle [62] beschreibt er das Begräbniß des Adonis, das von Arsinoe, der Tochter der Berenice, in Alexandrien gefeyert wurde. Fremde Griechinnen erschienen dabey: eine Dichterin hielt einen Lobgesang, worin zugleich Vieles zum Ruhme der Arsinoe gesagt wurde. Es war also schon Mode, daß die Hofpoeten den Fürstinnen öffentlich ihre Huldigungen darbrachten.

In der siebzehnten Idylle findet sich das Lob der Berenice. Die wechselseitige Liebe zwischen ihr und dem Ptolomäus wird gepriesen, und sie selbst wird vergöttert. Nach der acht und zwanzigsten Idylle sendet Theokrit der Theogenis, Gattin seines Arztes Nicias, einen Spinnrocken zum Geschenke, und nennt sich dabey ihren Freund. Ein Beweis der immer wachsenden geselligen Freyheit unter beyden Geschlechtern in einer Residenz und Handelsstadt, wie Alexandrien war.

Dem Theokrit wird ein Epigramm auf eine Statue der himmlischen Venus zugeschrieben, welche eine Gattin in dem Hause ihres Mannes zum Dank für ihr häusliches Glück aufstellte. „Sie hatte, heißt es darin, Kinder und Leben mit ihm gemein, und mit jedem Jahre mehrte sich ihre Zufriedenheit unter dem Einfluß der Göttin!“

Bion und Moschus sind eben so wie Theokrit zu beurtheilen. Alle drey verwechseln in ihren Hirtengedichten leidenschaftliche Begierde mit Liebe. Noch findet man bey ihnen Anspielungen auf die ausgelassene Liebe zu den Lieblingen. Aber man trifft auch deutliche Spuren des Werthes an, der auf Gattenliebe gesetzt wurde, und der anerkannten Abhängigkeit von dem geliebten Weibe. In dem lieblichen Gespräche, das sowohl dem Theokrit als dem Moschus beygelegt wird, sagt das Mädchen: „In der Ehe herrschen Beschwerden.“ Der Liebhaber antwortet: „Hymen, Stifter der Freuden, giebt weder Verdruß noch Gram.“ – „Aber man behauptet, erwiedert das Mädchen, das Weib sey des Mannes Sklavin.“ – „Sag lieber, seine Gebieterin, versetzt jener. Wann lernten die Schönen gehorchen?“

Eilftes Kapitel.
Von den verliebten Elegien und den Heroiden der Griechen.

Schon Solon soll Elegien verfertigt haben, und ich wage es nicht zu behaupten, daß das Versmaß, das diesen Gedichten eigen ist, zuerst nach dem Verfall der griechischen Republik aufgekommen sey. Inzwischen scheint mir das Wesen dieser Dichtungsart mehr in die Zeiten der unterdrückten Freyheit zu gehören. Es ist der Stimmung eines Volkes angemessen, das mehr in sich, als außer sich wirkt, und seine Aufmerksamkeit mehr auf das Privatleben als auf das öffentliche richtet.

Ich will inzwischen diese Hypothese nicht weiter verfolgen. Ich mag auch nicht behaupten, daß nicht schon früher verliebte Elegien verfertigt seyn sollten. Aber daß die Begebenheiten einer Intrigue mit einem Weibe den Stoff zu Gedichten hergegeben habe, welche den Ausdruck leidender, hinschmelzender, üppiger Empfindungen zu ihrem Hauptgegenstande machen, darüber finden wir bey den Griechen vor der Zeit des Flors ihrer Litteratur in Alexandrien keine Spur.

Ich halte mich zu der Behauptung berechtigt, daß die Athenienser zu den Zeiten des Flors ihrer Republik solche übertriebene Lobeserhebungen, solch eine wichtige Behandlung kleiner Vorfälle, solch eine Unterwürfigkeit unter den Willen des geliebten Weibes, solche hinschmachtende Klagen, und dabey einen solchen Witz im Ausdrucke, wie wir sie in der Elegie des Callimachus auf Berenicens Haarlocke, in einigen Idyllen des Theokrit, und in den Nachahmungen des Properz antreffen, entweder lächerlich gefunden, oder mit wenig Interesse angehört haben würden.

Die verliebte Elegie ist höchst wahrscheinlich das Produkt der Residenz und Handelsstadt Alexandrien. Hier mußte die Intrigue, das dauernde Liebesverständniß unter nicht verheiratheten Personen entstehen, weil hier ein Hof war, weil hier wenig öffentliche Thätigkeit dagegen viel geselliges Verkehr, und viel Luxus herrschte: weil endlich hier das Ueberspannte und Gernwitzige im Geschmack des Volks war.

Die Heroide ist wahrscheinlich hier gleichfalls zuerst versucht worden. Im Grunde liegen bey Beyden Liebesbriefe und verliebte Selbstgespräche unter, deren sich der ästhetische Sinn, und die Phantasie bemeistern, um schöne Kunstwerke der Poesie daraus zu schaffen. Erhebt sich der Schwung der Empfindungen und der Ausdruck nicht zu sehr über die Situationen und die Sprache des gemeinen Lebens, so sind diese Kunstwerke Elegien. Der Ausbruch verliebter Gefühle bey ausgezeichneten Personen unter ungewöhnlichen Lagen giebt der Heroide den Charakter.

Eine vollständige Entwickelung dieser Dichtungsarten läßt sich zwar aus griechischen Denkmählern nicht liefern; aber ihr Daseyn ist außer Zweifel. Ich behalte mir vor, über die Natur verliebter Elegien und Heroiden das Nähere bey der Geschichte der Liebe unter den Römern vorzubringen.

Zwölftes Kapitel.
Gebrauch, den die Prosaisten, welche zur Unterhaltung schrieben, von Geschlechtsverbindung und Liebe gemacht haben: Lucian und Apulejus.

Es ist ein Beweis des wachsenden Interesses an der Frauenliebe, wenn man ihre Darstellung nicht bloß in Gedichten hören, sondern auch in Prosa zur Unterhaltung lesen will. Diese Erscheinung zeigt sich gleichfalls in der Periode, von der ich spreche: aber späterhin, im zweyten Jahrhunderte nach Christi Geburt, als die Griechen keine guten Dichter mehr hatten.

Wir haben vom Lucian einen ähnlichen Wettstreit mit demjenigen, den uns Plutarch über den Vorzug der Liebe zu den Weibern vor der zu den Lieblingen geliefert hat. Der Aufsatz ist aber nicht in philosophischer Absicht zur Untersuchung und Belehrung, sondern zur Unterhaltung geschrieben. Das Gespräch ist ein prosaisches schönes Kunstwerk, eine rhetorische Uebung, keine Abhandlung.

Nichts Feurigers läßt sich denken als die Lobrede des Liebhabers der Lieblinge:

„O daß die Götter mir ein Leben schenkten, in dem ich, ungetrennt von meinem Geliebten, ihm stets gegenüber sitzen, ununterbrochen den Klang seiner süßen Stimme hören könnte! Ihn durch ein kummerloses Leben durch bis in das späteste Alter zu begleiten, das ist der heißeste Wunsch meiner Seele. Aber selten wird ein so ungestörtes Glück dem Menschen gewährt! Nun! daß ich dann mit ihm den aufgebrachten Wogen des Meers im rauhen Winter trotzen könnte! Wenn Tyrannen ihn in Fesseln legten, so würd’ ich mich mit Freuden mit ihm in harte Bande schmieden lassen! Seine Freunde sollten meine Freunde, seine Feinde die meinigen seyn. Mit unerschrockenem Muthe würd’ ich jede Gefahr mit ihm theilen, und sollte er sein Leben verlieren, so würde mir das meinige unerträglich seyn. Ich würde dann denen, die ich am mehrsten geliebt hätte, diese meine letzten Wünsche, diese meine letzten Befehle hinterlassen: ein gemeinschaftliches Grab umschließe uns Beyde, damit selbst nach der Verwesung der empfindungslose Staub sich vermische!“ –

Obgleich ein gewisser Schleyer über den letzten Zweck dieser Liebe geworfen wird, so läßt doch der Zusammenhang des Ganzen keinen Zweifel übrig, daß körperliche Triebe bey dem Enthusiasmus des Lobredners mitwirken. Lucian scheint die Sache aus eben dem Gesichtspunkte zu betrachten, und sogar anzudeuten, daß nur Unerfahrne sich durch die schönen Worte von Tugend und reiner Liebe täuschen ließen. Ueberhaupt ist diese philosophische Neigung des Sokrates und seiner Schüler an mehreren Stellen bey unserm Autor ein Gegenstand seines Spottes. [63]

Wie konnte dieß anders seyn? Die Liebe zu den Lieblingen hatte den Werth und die Entschuldigung einer republikanischen Leidenschaft verloren. Wie unbefriedigend sind die Gründe, mit denen der Lobredner dieser Liebe beym Lucian, den Vorzug der Knaben vor gebildeten Weibern vertheidigt! Wie muß er den Auswurf des weicheren Geschlechts hervorsuchen, um ihn den ausgezeichnetsten Jünglingen entgegenzustellen, und diese letzten durch den Kontrast zu heben! Nur die Kunst ist zu loben, mit der Lucian eine schlechte Sache vertheidigt!

Eben dieser Schriftsteller hat uns einige Dialogen hinterlassen, worin er die Sitten der Hetären schildert. Es sind Redeübungen, wozu der Stoff aus den ältern Komikern hergenommen ist. Es bleibt daher zweifelhaft, ob sie auf die Sitten der Zeitgenossen des Verfassers passen. So viel aber ist gewiß, daß sie Buhlerinnen von sehr gemeinem Schlage darstellen.

Wir haben außerdem von ihm ein sehr merkwürdiges Denkmahl der immer wachsenden Adulation für das weibliche Geschlecht: Das Portrait einer Dame von Stande, worin alle physischen und moralischen Vollkommenheiten aufgezählt sind, die sich an einem Weibe vereinigt denken lassen. Es hat unzählige Nachfolger erzeugt; vielleicht aber ist dieß das erste Beyspiel jener frostigen und faden Galanterie, die zuerst an Höfen, und nachher auch in der größern Gesellschaft, dem schönen Geschlechte durch übertriebene Schmeicheleyen zu huldigen gesucht hat. Sollte dieß Portrait eine Satyre seyn, so würde diese eine damahls eingerissene, den frühern Griechen aber gewiß unbekannte Sitte beweisen.

Endlich haben wir aus diesen Zeiten ein Mährchen, zu dem die Liebe den Stoff hergegeben hat: Psyche, vom Apulejus lateinisch geschrieben, aber gewiß aus dem Griechischen entlehnt.

Wahrscheinlich hat eine Pantomime aus den früheren Zeiten zur Grundlage gedient: denn beynahe alle Situationen sind mahlerisch, und lassen sich durch den mimischen Ausdruck darstellen. Ob diese Pantomime einen Theil der Mysterien ausgemacht habe, kann ich nicht entscheiden.

Man sucht in dieser Geschichte eine Allegorie von der Seelenliebe, die durch körperliche Lüsternheit erniedrigt wird, und sich Qualen und Schmerzen aussetzt. Ich kann sie nach wiederhohlter Durchlesung nicht darin finden.

Hat das Mährchen wirklich eine moralische Tendenz, so ist es die, den Vorwitz zu bestrafen, und den Genuß des Gegenwärtigen ohne Bekümmerniß um die verborgenen Gründe unsers Glücks zu empfehlen.

Genug! so wie die rednerische Komposition da vorliegt, ist sie ein Meisterstück der Erfindung, das bey einer reineren Diktion ein vollkommenes Werk der schönen Kunst seyn würde. Uns wird sie darum hauptsächlich wichtig, weil die zarte Weiblichkeit der Psyche, (wenn ich die Rache an den Schwestern ausnehme,) so schön darin dargestellt wird, und weil die eheliche Liebe des Amors für seine Gattin die feinsten Empfindungen wahrer Zärtlichkeit verräth.

Gegen das Ende dieser Periode ist endlich auch der erste Roman, von dem wir Nachricht haben, verfertigt worden. Ich werde aber, um den Zusammenhang nicht zu unterbrechen, im achtzehnten Buche ausführlicher davon reden.


Siebzehntes Buch.
Denkungsart der Römer über Geschlechtsverbindung und Liebe, bis zu den Zeiten des Septimius Severus.


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Das gegenwärtige Buch hat einen doppelten Zweck: einmahl, zu zeigen, wie die Regierungsform die Begriffe über den Werth der Weiber und der Verbindung mit ihnen auf eine ähnliche Art bey den Römern wie bey den Griechen modificiert hat; dann aber auch hauptsächlich den Geist der römischen Liebesverständnisse und ihrer Behandlung zu entwickeln.

Es wird die Folge zeigen, daß die Galanterie des Mittelalters ihren ersten Ursprung und ihr entferntes Muster in den römischen Elegikern, und besonders im Ovid gefunden hat. Es war daher höchst nothwendig, ihren Charakter darzustellen, und die Ideen auseinander zu setzen, die sie über Geschlechtsverbindung und Liebe gehabt haben.

Ob die Welt, welche diese Dichter schildern, ihre eigene wirkliche, oder eine fremde und fingierte gewesen sey, ist freylich schwer zu entscheiden. Ich glaube, daß zwar die Griechen ihnen zum Muster und Vorbilde in vielen Stücken gedient haben, daß besonders in Alexandrien der Ton der Liebesintrigue, (der im Grunde mit dem der verliebten Elegie ziemlich der nehmliche ist,) bereits einen hohen Grad von Ausbildung erhalten hatte; aber bey den mehrsten Zügen, welche uns die römischen Elegiker von ihren Verständnissen mit dem zärtern Geschlechte aufbewahrt haben, läßt sich doch die Individualität der Lagen, und das Lokale der Sitten nicht verkennen. Vielleicht sind die Römer in keiner Dichtungsart so originell gewesen, als in der Elegie. Die Liebesintrigue und deren Behandlung hat unter ihren Händen Zusätze erhalten müssen, die sie schwerlich in einem Lande, wo das Frauenzimmer weniger gesellige Freyheit als in Rom hatte, erhalten konnte. Darum habe ich auch bloß bey den Elegikern etwas Römisches aufgesucht, und übrigens ihre Komiker, ihre Philosophen, und ihre Romanendichter, in so fern sie sich mit der Liebe beschäftigt haben, der griechischen Bildung wegen, zu den Griechen gerechnet.

Uebrigens bedarf es wohl kaum der Erinnerung, daß ich bey der Charakterisierung der römischen Liebesdichter auf den Werth ihrer Werke, als Produkte der schönen Kunst, nur beyläufig Rücksicht nehmen, und mich darauf beschränken mußte, den Werth ihrer Bemühungen zur Veredlung und Verschönerung der Liebe zu prüfen. Derjenige, der vielleicht an Adel, Schönheit und Wahrheit liebender Empfindungen allen Andern vorgeht, ist darum noch nicht der größere Dichter.


Zweytes Kapitel.
Denkungsart der Gesetzgeber und Staatsmänner über die Verhältnisse der beyden Geschlechter zu einander, zu den Zeiten der Republik.

Daß die Gesetzgeber und Staatsmänner in Rom über die Verhältnisse der beyden Geschlechter zu einander ganz anders in den ersten Zeiten der Republik, als in der Folge, gedacht haben, wie bey zunehmendem Luxus die Begriffe über den Werth des Menschen in dem zärteren Geschlechte sich verfeinert hatten; daß ferner dieß Geschlecht an Wichtigkeit gewonnen hat, als es, nach Einführung der Monarchie, ein unmittelbarer Gegenstand der Fürsorge der Alleinherrscher wurde, vor deren Gewalt selbst das Regiment des Hausvaters verschwand; das läßt sich bereits aus demjenigen vermuthen, was ich über diesen Gegenstand in dem vorigen Buche gesagt habe.

Ich übergehe die Zeiten, in denen Rom unter Königen stand. Die Nachrichten, die uns davon übrig geblieben sind, rühren von spätern Schriftstellern her, welche Gebräuche und vorübergehende Anordnungen, die das Bedürfniß des Augenblicks nothwendig machte, mit dauernden Gesetzen verwechselt, und sich dabey mancher Widersprüche schuldig gemacht haben. Ist es glaublich, daß Numa, der auf der einen Seite für die Sittsamkeit der Weiber, und für die Heiligkeit der Ehen so besorgt dargestellt wird, auf der andern den Männern, welche mit ihren Gattinnen Kinder gezeugt hatten, erlaubt haben sollte, diese an andere Männer zu eben diesem Zwecke zu verleihen? Gewiß! dieß sieht weniger einer Wahrheit, als der Grille eines Sophisten ähnlich, der aus der Nothwendigkeit einen neuerrichteten Staat zu bevölkern, Gesetze herleitet, denen sich die Natur und selbst die Nachricht widersetzen, daß 520 Jahre nach der Erbauung Roms von keiner Ehescheidung die Rede gewesen sey.

Ich wende mich sogleich zu den Zeiten der Republik, von denen wir freylich nicht viel wissen, von denen uns aber doch solche Nachrichten übrig geblieben sind, die wir mit unsern übrigen Erfahrungen zusammenreimen können.

In jeder Republik, die wirklich diesen Nahmen verdient, weil jedes Mitglied derselben unmittelbar an der Gesetzgebung Theil nimmt, können immer nur wenige Personen auf die Rechte selbständiger Staatsbürger Anspruch machen. Dieß sind die eingebornen und ansässigen Hausväter. Alle andere Menschen, die mit und neben ihnen wohnen, leben und weben, zu dem Wohl des einzelnen Bürgers, und zur Fortdauer des Staats erfordert werden, sind bloßes Zubehör, Mittel, das Wohl der ersteren zu befördern. Sie sind nie Zweck. Man braucht, man duldet sie, weil man sie nutzt, und weil man ihrer nicht entbehren kann. Dahin gehören Sklaven, Freygelaßne, Fremde, Weiber, sogar die Söhne der Staatsbürger, so lange diese noch nicht selbständige Mitglieder der Republik geworden sind.

Der Republikaner ist in seinem Privatleben außer Hause viel beschränkter als der Unterthan eines monarchischen Staats. Die Achtung für das öffentliche Individuum in jedem einzelnen Bürger, schreibt ihm eine Menge, oft bloß konventioneller Regeln vor, wornach er sein Betragen in den Zusammenkünften zur geselligen Unterhaltung, die Wahl seiner Vergnügungen, und den Gebrauch seines Vermögens einrichten muß.

Der echte Republikaner ist wirklich nur in zweyen Rücksichten frey: als Theilnehmer an der Gesetzgebung, und als Patriarch in seinem Hause. In der ersten Eigenschaft bestimmt er selbst seine Meinung über dasjenige, was das Wohl des Staats erheischt, von dem er ein selbständiges Mitglied ausmacht: in der letzten ist er wahrer Despot. Alle Mitglieder seiner Familie müssen ihren Willen dem seinigen unterwerfen. Er steht dem Staate nur dafür ein, daß ihm seine Hausgenossen nicht schädlich werden. Ob diese glücklich sind, darum bekümmert sich der Staat nicht; das ist die Sache des Hausvaters.

Natürlich fließt hieraus die größte Abhängigkeit für die Familienmitglieder: aber auch Pflicht zur äußersten Eingezogenheit. Wenn der Hausvater in seinem Privatleben außer Hause bereits so beschränkt ist, wie viel mehr müssen es diejenigen seyn, für deren Vergehungen er einzig und allein einstehen muß.

Wo das Klima gemäßigt ist, wo die Leidenschaften minder heftig sind, wo die Beschäftigungen des Mannes ihn oft von seiner Heimath abrufen, und ihm den Beystand der Vorsteherin seines Hauses wichtiger machen; da wird die Eifersucht minder rege, die Behandlung des Weibes milder, die Aufsicht weniger nachspürend seyn: da wird sich die Eingezogenheit des Weibes weiter von Einkerkerung entfernen.

Das Klima war vormahls in Italien, allen Nachrichten zufolge, weniger heiß, als jetzt; seine Bewohner waren minder aufgelegt zur Eifersucht: der Römer trieb den Ackerbau, und häufige Kriege hielten ihn oft von seinem Hause entfernt. Die Sitten waren einfach, waren rein, weil die Römer arm waren, und viel Gemeingeist, viel Achtung für die öffentliche Person im Staate, und in jedem einzelnen Bürger unter ihnen herrschte.

Unter solchen Verhältnissen konnte das patriarchalische Regiment des Hausvaters die ausgedehnte Gewalt haben, die wir ihr beygelegt finden: unter solchen Verhältnissen konnte der Staat um die innere Einrichtung der Familien unbekümmert bleiben. Der Censor fragte: ob der Bürger verheirathet sey? Wie er aber mit seiner Frau in dem Innern seines Hauses lebte, das fragte er nicht. Ja, bey der großen Einfachheit und Reinheit der Sitten finden wir sogar nicht einmahl Polizeygesetze, wodurch, wie bey den Atheniensern, die Rechte des Ehemanns vor fremdem Frevel gesichert, und dem Hange der Gattinnen und Töchter noch Ausschweifungen vorgebeuget wäre. Vergingen sich inzwischen Weib und Sklave unmittelbar an dem Staate; so lagen beyde unter der strafenden Hand der öffentlichen Obrigkeit.

Die Gattin ward von dem Staate als Eigenthum des Mannes nur um eine Stufe über den Sklaven erhoben betrachtet. Sie war in seiner Gewalt: alle Gebräuche, womit die Ehe vollzogen wurde, zeigen darauf hin. Sie ward dem Gatten unter einer gottesdienstlichen Feyerlichkeit geweihet: sie ward ihm durch einen förmlichen Kaufkontrakt zugeschlagen: er erwarb sie durch Verjährung. Alles, was sie ihm zubrachte, alles, was sie gewann, war sein: er hielt Familiengericht über ihre Vergehungen, und den Begriffen des Verhältnisses nach, worin sie zu ihm stand, konnte er sie sogar am Leben strafen. Allein Elternfürsorge, Schätzung des Mannes für den Werth der Vorsteherin seines Hauses, natürliche Gefühle der Sympathie mit der Gefährtin seines Lebens, mit der Mutter seiner Kinder, besonders aber die Achtung für die Abkunft der Tochter eines Staatsbürgers; – alles dieß gab doch dem Begriffe der vollkommenen Angehörung eine besondere Modifikation, und der Person der Gattin einen Rang über dem Sklaven und über dem Kebsweibe. Sie blieb freygebornes Familienmitglied, und erbte nach dem kinderlosen Tode des Mannes Alles, oder wenn sie Kinder hatte,[WS 40] mit diesen Kindestheil.

Inzwischen kann auf Anerkennung der Selbständigkeit des Weibes, auf Achtung und wahre Zärtlichkeit für das Geschlecht in einer solchen Lage nicht gerechnet werden. Zwar finden wir einige Beyspiele, daß die Römer weibliche Verdienste geehrt haben. So errichteten sie der Clölia eine Ritterstatue, (Statua equestris) und zu Ehren der Mutter und der Gemahlin des Coriolan der weiblichen Glücksgöttin einen Tempel. Aber dergleichen Zeichen öffentlicher Dankbarkeit für Dienste, die dem Staate geleistet waren, beweisen um so weniger etwas für die Achtung für das weibliche Geschlecht, weil auch Sklaven, ja, sogar Thiere unter ähnlichen Umständen daran Theil nahmen.

Die Staatsmänner dachten in diesen Zeiten über die Vorzüge des besten Weibes eben so wie in Athen. Es mußte die öffentliche Aufmerksamkeit so wenig als möglich auf sich ziehen: es mußte gar die Rede nicht von ihm seyn. „Wenn jeder Hausvater, sagte der ältere Cato, sich nach dem Beyspiele der Voreltern bestrebte, sein Weib in der gehörigen Unterthänigkeit zu erhalten; so würde man öffentlich mit dem ganzen Geschlechte nicht so viel zu schaffen haben.“

Man behauptet, die Ehen wären unauflößlich gewesen. Aber diesem widerspricht ein Gesetz der zwölf Tafeln, das dem Manne befiehlt, der Frau bey der Scheidung den Grund anzugeben, warum er sich von ihr trenne. Das Gesetz mag zur Anwendung gekommen seyn oder nicht, so beweiset es eben keine große Achtung für das Geschlecht.

Die Bigamie ist unerlaubt gewesen. Aber Kebsweiber müssen sehr früh bekannt gewesen seyn, weil Festus ein Gesetz des Numa anführt: daß kein Kebsweib den Altar der Juno berühren sollte. – Daß der Ehebruch dem Manne verboten sey, findet sich nicht: die Ehebrecherin aber konnte von dem Manne auf der Stelle umgebracht werden. Von der Ausgelassenheit der Geschlechtssympathie gegen Lieblinge, die in Griechenland zur nehmlichen Zeit, und heut zu Tage in Italien so gewöhnlich ist, finden wir in diesen ersten Zeiten keine Spur.

Vieles hat sich in diesen Gebräuchen nach den punischen Kriegen und nach der Zerstörung von Carthago geändert, als die Römer reicher, kultivierter und verdorbener in ihren Sitten wurden. Aber das Wesentliche des Begriffs, den der Republikaner von den Verhältnissen des Mannes zum Weibe hegt, ist dennoch geblieben: dieß letzte ist immer ein von dem Hausvater höchst abhängiges Wesen, ohne Anspruch auf die Rechte eines selbständigen Mitgliedes des Staats, folglich auch seiner unmittelbaren Fürsorge entzogen.

Die Strenge des Hausregiments hat wahrscheinlich gegen die reicher ausgestattete Gattin nachgelassen: der mächtige, wohlhabende Schwiegervater hat wahrscheinlich die patriarchalischen Rechte des Mannes, dessen Sitten nicht mehr für seine Gerechtigkeit und Milde bürgten, durch besondere Verträge bey Schließung der Ehe beschränkt. Ja, es ist eine ganz neue Art von Ehen aufgekommen, wornach die Gattin nicht mehr in die Gewalt des Mannes überging, sich die Rechte an ihrem Brautschatze nach getrennter Ehe vorbehielt, und bey übler Behandlung zu ihrem Vater zurückkehrte, oder neue Verbindungen schloß. Aber alles dieß haben nur Privatverabredungen geändert, welche das Gesetz zuließ. Der Stand der Frauen ist, so viel wir wissen, noch immer kein Gegenstand der öffentlichen Fürsorge geworden. Doch hat diese schon nöthig gefunden, die Mißbräuche der Geschlechtssympathie durch Verordnungen und darauf gesetzte Strafen zu zügeln. [64]

Drittes Kapitel.
Denkungsart der Gesetzgeber und der Staatsmänner in diesem Punkte zu den Zeiten der monarchischen Verfassung.

So wie die Monarchie gegründet ward, verlor sich auch die patriarchalische Gewalt des Hausvaters mit seiner Selbständigkeit als Staatsbürger. Die Frau ward nun so gut ein unmittelbarer Theil der bürgerlichen Gesellschaft als der Mann, und ihr Stand so gut wie der seinige ein Gegenstand der öffentlichen Fürsorge. Zwar hat Tiber noch einmahl den Versuch gemacht, die Ausschweifungen der Gattinnen einem Familiengerichte zu unterwerfen; aber schon unter dem Claudius finden wir, daß diese Anordnung nicht mehr beobachtet wurde.

Aus diesen Zeiten rühren die Gesetze her, welche für die Sicherheit des Brautschatzes auf den Fall getrennter Ehen sorgen, und der Gattin erlauben, sich sogar während derselben einen Theil ihres Vermögens zu ihrer eigenen Disposition vorzubehalten. Schon unter dem August ward der Ehebruch an dem Manne und an der Frau auf gleiche Art bestraft. Das Papia-Poppäische Gesetz liefert mehrere Beyspiele einer solchen beobachteten Gleichheit unter beyden Geschlechtern. Durch das Vellejanische Senatusconsultum ward für die Unwissenheit und die Weichheit des zärtern Geschlechts bey Bürgschaften gesorgt: durch das Tertullianische ward der Mutter ein Erbrecht an dem Nachlasse ihrer ohne Testament verstorbenen[WS 41] Kinder gesichert. Kurz! Alles beweiset in den Zeiten vom August an bis zum Septimius Severus die erhöhete Wichtigkeit des Weibes in den Augen der Gesetzgeber.

So wie die freye Thätigkeit des Bürgers in seinem öffentlichen Leben abnimmt, so nimmt sein Trieb nach Freyheit im Privatleben, seine Sucht nach Unterhaltung außer Hause, und seine Begierde nach sinnlichem Genusse zu. Intriguen mit dem gebundenen Frauenzimmer, und jede Art zügelloser Befriedigung der Geschlechtssympathie werden häufiger. Daher die häufigen Polizeygesetze aus dieser Zeit, wodurch die Ausschweifungen der beyden Geschlechter in ihren Verhältnissen gegen einander gezügelt werden sollten.

Der Monarch ist verheirathet; ist selbst Hausvater. Er bemerkt in seiner Familie Unordnungen, und indem er diesen steuert, erinnert er sich, daß seine Unterthanen durch ähnliche leiden. Die Privatverordnung, die der Patriarch für sein Haus gemacht haben würde, wird in der Person des Monarchen Veranlassung zu einem allgemeinen Gesetze. Oft hängt er von seiner Gattin ab. Diese bemerkt einen Mangel, eine Härte in den vorhandenen Gesetzen, die ihr Geschlecht drücken, und worunter vielleicht sie allein, oder mit ihr alle Weiber leiden. Der gefällige Gemahl findet in ihren Klagen wieder Veranlassung zu allgemeinen Anordnungen. Es ist gewiß, daß das zärtere Geschlecht keine republikanische Verfassung zu wünschen Ursach hat!

Viertes Kapitel.
Denkungsart der guten Gesellschaft über Liebe und Geschlechtsverbindung bis zu der Zerstörung von Carthago.

Die Denkungsart der guten Sitte in Rom in den ersten Zeiten der Republik über den Werth der Weiber, und der engeren Verbindungen zwischen beyden Geschlechtern scheint derjenigen, welche in Athen die herrschende war, ziemlich gleich gewesen zu seyn. Eingezogenheit, Wirthschaftlichkeit, treue Anhänglichkeit an dem Manne, aufopfernde Sorgfalt für die Erziehung der Kinder, endlich warmes Interesse an dem öffentlichen Wohl; das waren die Tugenden, welche an den römischen Matronen geschätzt wurden, und die Liebe der Gatten zu ihnen rechtfertigten.

Columella sagt: „Die Frauen besorgten ihr Hauswesen: und die Männer fanden, wenn sie nach geendigten Geschäften Abends nach Hause kamen, die vollkommenste Ruhe. Einigkeit und Liebe zur Arbeit herrschten hier unter gegenseitiger Achtung. Die Frau, die durch ihre Schönheit am mehrsten glänzte, suchte sich doch nur durch ihre Wirthschaftlichkeit und durch die Sorge auszuzeichnen, mit der sie den Bemühungen des Mannes zu Hülfe kam. Alles war unter den beyden Eheleuten gemein. Sie strebten nach einerley Zweck: sie hatten kein getrenntes Interesse. So wie der Mann außer Hause das gemeinschaftliche Vermögen zu vermehren suchte; so hielt es die Frau daheim durch Emsigkeit und Thätigkeit zusammen.“

Columella lebte zwar lange nachher, in dem ersten Jahrhunderte nach Christi Geburt. Aber er konnte noch gute Nachrichten von der Vorzeit haben, und diese stimmen mit demjenigen zusammen, was wir von der Einfachheit und Reinheit der Sitten in dem damahligen Zeitalter wissen. Lukretia wird dargestellt, tief in die Nacht hinein mit ihren Mägden spinnend, ihrem Manne und der Tugend treu, bis zur Aufopferung ihres Lebens.

An eigentliche Zärtlichkeit zwischen den Gatten ist übrigens nicht zu denken. Es war ein liebendes Klientelarverhältniß, was die gute Sitte zwischen ihnen gegründet wissen wollte.


Fünftes Kapitel.
Denkungsart der guten Sitte in diesem Punkte in den spätern Zeiten der Republik.

Obgleich die Sitten nach der Zerstörung von Carthago in Rom sehr verdorben wurden, so blieben doch die Tugenden, welche früher an den Matronen geschätzt wurden, in fortwährender Achtung. Die Weiber unterstützten diese oft durch unmittelbareren Einfluß, den sie in den öffentlichen Angelegenheiten bekamen, und durch die Kenntnisse, womit sie ihren Geist schmückten. Dasjenige, was uns die Geschichte von der Cornelia, Mutter der Grachen, und von mehreren andern Frauen der damahligen Zeit erzählt, setzt dieß außer allen Zweifel. Cicero redet von mehreren Matronen unter seinen Zeitgenossinnen, mit der größten Achtung für ihre Tugenden, Einsichten und kluge Aufführung. Er rühmt unter andern an ihnen, daß sie viel reiner die alte echt römische Sprache sprächen, als ihre Männer.

Wenn gleich in dieser Zeit die Matrone immer mehr außer Hause zu leben, und sich den Zerstreuungen der größern Gesellschaft zu überlassen anfing; wenn Intriguen und Bruch der ehelichen Treue immer häufiger wurden; so legte doch die gute Sitte noch immer hohen Werth auf Eingezogenheit, Wirthschaftlichkeit, und unverrückte Treue. Die Begriffe darüber gingen so weit, daß die Frauen selbst einen Ruhm darin suchten, nach dem Tode ihres ersten Mannes nicht wieder zu heirathen. Merkwürdige Beyspiele der Aufopferung der Gatten für einander liefert gleichfalls diese Zeit. So häufig und so leicht die Ehescheidungen waren, so wurde doch durch diesen Schritt die gute Sitte immer beleidigt, wenn bloßer Leichtsinn, und nicht gegründete Ursachen dabey zum Grunde lagen. Dagegen scheint die gute Sitte die Duldsamkeit der Männer nicht gebilligt zu haben, wie besonders auch die übertriebene Zartheit Cäsars in diesem Punkte beweiset.

Uebrigens wurden die Verhältnisse mit den Hetären immer häufiger, und der Abscheu für die unnatürliche Neigung zu Lieblingen nahm unter der guten Gesellschaft immer mehr ab.

Warum hat die Liebe zu den Lieblingen in Rom nie einiges Ansehn erhalten können? Weil die Natur seiner Einwohner überhaupt kälter war als die der Griechen: weil ihre republikanischen Neigungen weit mehr mit ihrer Selbstheit, mit ihrem geistigen Stolze, als mit ihrer Sympathie und[WS 42] ihrem Beschauungshange im Verhältnisse standen: endlich, weil sich ihr Patriotismus beynahe verloren hatte, als sie reicher und kultivierter wurden. Darum ist die Liebe zu den Lieblingen immer eine Ausgelassenheit körperlicher Begierden geblieben, und darum hat sie immer die Rüge der guten Sitte und der Gesetzgeber auf sich gezogen.


Sechstes Kapitel.
Fortsetzung: Lukrez und Catull.

Die beyden einzigen aus dieser Zeit übrig gebliebenen Schriftsteller, welche die Geschlechtsverbindung und Liebe zu ihren ästhetischen Darstellungen genutzt haben, sind Lukrez und Catull.

Beyde haben keinen bestimmten Begriff von der Liebe: Beyde verwechseln mit ihr die Begierden, welche auf Geschlechtssympathie beruhen. Ich habe vom Lukrez schon oben als von dem Darsteller eines philosophischen Systems geredet. Ich will seiner hier nur in so fern erwähnen, wie er als Darsteller der Liebe auf Herz und Imagination wirkt.

Lukrez verwechselt, wie gesagt, Geschlechtssympathie mit Liebe, und nennt besonders leidenschaftliches Verlangen nach körperlichem Genuß mit diesem Nahmen. Um seine Leser für die Darstellung dieses Verlangens zu interessieren, werden feyerliche Bilder seines Zusammenhangs mit den Naturgesetzen über das Werden aller Dinge daran gereihet. Der Ursprung des Geschlechtstriebes wird auf eine geheimnißvolle Art entwickelt, und sein Wirken mit der größten Stärke geschildert. Der Dichter verfährt also bey der Einführung in die Geheimnisse der Liebe, wie die Vorsteher Eleusinischer Mysterien bey der Einweihung in diese. Die Einbildungskraft des Einzuweihenden wird beflügelt, und er staunt das Gewöhnliche, Bekannte, Niedrige, als etwas Auffallendes, Neues und Heiliges an.

Dieser Kunstgriff ist in neueren Zeiten mehrmahls wiederhohlt worden.

Catull fühlt den Unterschied zwischen Zärtlichkeit und leidenschaftlicher Begierde, und nennt die letzte Liebe. [65] Natürlich hält er den Zorn und die Eifersucht des Mädchens für den sichersten Beweis derselben. [66]

Dieser Dichter lehrt uns vielleicht besser als jeder andere, wie der spielende Zeitvertreib, den die Vertraulichkeit zweyer Liebenden gewährt, von ihren körperlichen Freuden und von der Unterhaltung ihres Geistes noch verschieden sey. Er arbeitet für das niedere Seelenwesen; aber freylich unter Leitung eines feinen Sinns für das wahre Schöne. Wie weiß er aus den gewöhnlichen Vorfällen unter den Liebenden, aus dem Zählen der Küsse, aus den Versicherungen der Liebe, sogar aus dem Tode eines Sperlings einen Stoff zu ziehen, bey dessen Bearbeitung sich die Feinheit seines Gefühls, aber auch das Muntere seiner Laune, und die gefällige Gewandtheit seines Witzes nie verläugnen! [67] Was er von dauernder Anhänglichkeit und leidenschaftlicher Hingebung sagt, das spricht er den Griechen nach, und das geräth ihm am schlechtesten. [68]


Siebentes Kapitel.
Denkungsart der guten Sitten und der Edelsten im Volke über Geschlechtsverbindung und Liebe zu den Zeiten der römischen Kaiser in dieser Periode.

Wenn man die Zeugnisse der Geschichtschreiber, die Rügen der Sittenlehrer, die satyrischen Ausfälle der Dichter über die Ausgelassenheit der Römer zu den Zeiten der ersten Kaiser zusammenstellt, und sich daraus ein Bild der herrschenden Denkungsart unter der vornehmeren und wohlhabenderen Classe dieses Volks entwirft; so wird man leicht in Versuchung geführt, zu glauben, das, was man gute Sitte nannte, habe die gröbste, die schamloseste, die verkehrteste Befriedigung körperlicher Begierden gebilligt: oder es habe vielmehr gar keine gute Sitte im eigentlichen Verstande des Worts existiert. Alles, was man von der Ausgelassenheit der verdorbensten Höfe und Städte zu unsern Zeiten anführt, kommt bey weitem demjenigen nicht gleich, was die angeführten Schriftsteller von dem damahligen Rom erzählen. Ihnen zufolge, hat man nur daran gedacht, die abgestumpften Sinne durch abentheuerliche Formen des unnennbaren Genusses wieder zu erwecken, und dieß ist diejenige Verschönerung gewesen, die man der Liebe geben zu müssen geglaubt hat.

Allein man hüte sich wohl, den Standpunkt zu verfehlen, aus dem jene Schriftsteller die Denkungsart ihrer Zeitgenossen betrachtet haben. Sie wollten die schädlichen Folgen eines übertriebenen Luxus schildern: sie wollten den Einfluß darstellen, den ein verdorbener Hof auf die Menge haben muß. Sie hielten die Römer der damahligen Zeit mit denjenigen zusammen, die unter der freyen Republik gelebt hatten, und es ist begreiflich, daß der gewöhnliche Fehler der Lobredner vergangener Zeiten, Alles ins Schöne zu heben, hier mehr als sonst Entschuldigung verdient.

Der Philosoph hat immer Recht, ein Volk für höchst verdorben zu erklären, wenn diejenigen Bürger, die vermöge ihres Ansehns zu der sogenannten guten Gesellschaft gehören, der Zügellosigkeit mehrerer ihrer Mitglieder nachsehen, oder sogar, der Verachtung die sie einflößen ungeachtet, eigennützig um ihre Gunst und ihren Beyfall buhlen. Er hat ein desto größeres Recht dazu, weil es beynahe nicht fehlen kann, daß schwache Menschen, die sich in ihrem Betragen nur durch den Nachahmungstrieb leiten lassen, diejenigen unter ihren Mitbürgern, die sich durch Ausschweifungen auszeichnen, und die sie demungeachtet geehrt sehen, zu Mustern wählen, und sich durch ähnliche Laster ihnen gleich zu stellen suchen.

Keinesweges aber mag daraus gefolgert werden, daß die Mehrheit der Mitglieder der sogenannten guten Gesellschaft den festen Grundsatz angenommen habe, sich über Sittlichkeit, oder deren Schein, den Anstand, dergestalt hinauszusetzen, daß es zum Begriffe eines wohlerzogenen Menschen gehörte, alle Gefühle geselliger Ordnung frevelhaft unter die Füße zu treten. Nie wird man behaupten dürfen, daß die Messalinen, die Caligula’s, die Neronen, nach den Begriffen der Mehrheit unter den angesehensten Bürgern Roms, den besten Ton gehabt hätten. Dem größern Haufen die Ueberzeugung von der Lächerlichkeit eines sittlichen und anständigen Betragens, eine konsequente Beurtheilung und Handlungsart nach sittenlosen Grundsätzen zuzutrauen, würde sehr wenig Menschenkenntniß verrathen. Man darf vielmehr dreist behaupten, daß an den verdorbensten Höfen, in den luxuriösesten Städten, die Zirkel, welche den Anstand verachten, immer nur klein im Verhältnisse gegen den Haufen sind, der ihn mit Wohlgefallen betrachtet. [69] Selbst die einzelnen verwahrloseten Menschen, die in ihrer Frechheit so weit gehen, Sittlichkeit, Adel, Schönheit, ja sogar die Schonung der bessern Empfindungen in Andern als Vorurtheile zu verlachen, und sich durch keine andere Gesetze leiten zu lassen, als diejenigen, welche die Rücksicht auf die höchste und abwechselndste Befriedigung ihrer Lüste vorschreiben; selbst diese Menschen, sag’ ich, lassen doch gemeiniglich ihre Angehörigen nach andern Grundsätzen, als die ihrigen sind, erziehen. Besonders bleibt das zärtere Geschlecht gern seiner natürlichen Schamhaftigkeit und den daraus fließenden sittlichen Vorzügen treu, und es ist eine ausgemachte Erfahrung, welche auch die Geschichte Roms bestätigt, daß die Weiber an Ansehn zunehmen, so wie die Männer an innerm Werthe sinken.

Diese Erscheinung kann nicht daraus erklärt werden, daß die Weiber nun anfangen, mit den Männern in Lastern zu wetteifern, und sich ihre Ausschweifungen anzueignen: sie kann auch nicht daraus allein hergeleitet werden, daß die Weiber einen wichtigeren Beytrag zu den geselligen Vergnügungen zu liefern anfangen; Nein! ein stark mitwirkender Grund liegt darin, daß diejenigen Triebe in ihnen, welche die Tugend unterstützen, ihre Schamhaftigkeit, ihre Geduld, ihre aufopfernde Liebe, sie immer auf einer höhern Stufe von Sittlichkeit erhalten, als die Männer, und daß sie dadurch diesen eine Huldigung abzwingen, welche selbst der verdorbenste Mensch dem besser gearteten auf die Länge nicht versagen kann.

Mögen folglich auch wenig Tugendhafte in Rom zu der damahligen Zeit gewesen, mögen große ungeheure Laster im Schwange gegangen seyn, mag sich bey mehrerer Veranlassung zu Verirrungen ihre Zahl außerordentlich gehäuft haben; so blieb doch eine gute Sitte. Die Gesellschaft wohlhabender und gebildeter Menschen legte doch Werth auf ein Betragen, wodurch man Achtung für gesellige Ordnung und für das vernünftige Wesen im Menschen verrieth. Sie war sogar nicht unempfindlich gegen die Bemühung, die geselligen Verhältnisse zu veredeln und zu verschönern, und sie erkannte den Werth dieser Bemühung auch besonders in den Verbindungen zwischen beyden Geschlechtern an.

Inzwischen wird man sich von selbst leicht vorstellen, daß der Römer in seiner damahligen Lage zu keinem hohen Schwunge in den Begriffen von der Liebe gekommen sey. Er verstand darunter leidenschaftliches Bestreben nach dem Besitz der Person, zu dem Zweck des körperlichen Genusses, der kosenden Unterhaltung, und des häuslichen Zusammenlebens. Diese Liebe ward nach den Begriffen der damahligen guten Gesellschaft veredelt, wenn sie Aufopferungen der einsamen Existenz für die Wonne, das Leben zusammen zu genießen, hervorbrachte: wenn bey Ueberwindung der Schwierigkeiten, die sich der Vereinigung der Liebenden entgegen setzten, Standhaftigkeit und Stärke hervorschienen. Sie ward verschönert, diese Liebe, wenn sich in der Art, den Genuß körperlicher Liebkosungen und kosender Vertraulichkeiten einzunehmen, eine große Fülle und Feinheit des Gefühls und des Witzes offenbarten.

Dieß lehrt uns die Kenntniß der Sitten dieses Zeitalters überhaupt, verglichen mit denen der luxuriösesten Völker des unsrigen: dieß bestätigen aber auch die Darstellungen einer edleren und schöneren Liebe in den Dichtern dieser Periode. Denn so viel darf man immer als gewiß annehmen, daß wenn auch diese Dichter eine Welt schilderten, die nicht völlig mit der wirklichen überein kam, sie dennoch bey solchen Darstellungen, wozu der Stoff aus dem gemeinen Leben hergenommen war, auf gar kein Interesse bey der guten Gesellschaft hätten rechnen können, wenn nicht einige Analogie zwischen den fingierten Sitten und den wahren vorhanden gewesen wäre.

Begreiflich wird es aber nun, daß die Edelsten im Volke, diejenigen, die sich in ihrem Urtheile und Geschmack nicht durch die gute Sitte, sondern durch die Vollkommenheit der Sache selbst bestimmen lassen, an einer solchen Liebe wenig Interesse nehmen konnten. Sie betrachteten sie vielmehr als eine Schwäche des vernünftigen, und als ein Spielwerk des sinnlichen Menschen: als eine Geburt des Luxus und des Müssiggangs. Der geistige Stolz, die Hauptleidenschaft des ausgezeichneten Römers unter den Kaisern der ersten Jahrhunderte, und die stoische Philosophie, die jenem so sehr schmeichelte, konnten in den Aufopferungen, welche die Leidenschaft der Geschlechtssympathie hervorbrachte, nichts Erhabenes finden, und die Begeisterung der Liebe nur für Wahnsinn halten.


Achtes Kapitel.
Geist der Liebesverständnisse und ihrer Behandlung, nach der Darstellung der römischen Elegiker.

In einer Stadt, worin es viel Müssiggang und viel Luxus giebt, muß es auch viel Ehescheue, viel leichtfertige Weiber, folglich auch viel Liebeshändel geben. Aber diese Intriguen hatten bey den Römern einen hohen Grad von Ausbildung erhalten, den sie nur unter einem Volke bekommen konnten, das dem zärteren Geschlechte viel gesellige Freyheit einräumt, aber zugleich aus seinen früheren Einrichtungen einen gewissen Geist von Zucht und Ordnung beybehält, und das Weib der Obhut des Gatten, der Eltern, und der Anverwandten unterwirft. Die Römerin mußte diese unter ihren Augen hintergehen, um dem Liebhaber ihre Gunst zu bezeugen. Sie fand aber in größeren Zusammenkünften, von denen sie nicht ausgeschlossen war, häufige Gelegenheit, diese Gunst auf eine Art zu erkennen zu geben, wodurch das Verständniß nur für diejenigen ein Geheimniß blieb, deren Rechte unmittelbar dadurch beleidigt wurden. Daraus entstand eine neue Genußart für die Eitelkeit, ein neuer Reitz für die gesellige Unterhaltung. Die Liebenden traten gleichsam wie versteckte Schauspieler vor der übrigen Gesellschaft auf, die an ihrem Schicksale Theil nahm. Man denkt sich leicht, wie sehr dieß das Interesse solcher Intriguen, sowohl für die Handelnden selbst, als für die Zuschauer, erhöhen mußte.

Obgleich die Römerin zu den Zeiten der Kaiser viel gesellige Freyheit genoß, so war doch der Umgang zwischen beyden Geschlechtern sehr verschieden von dem unsrigen. Daß ein Mann, der nicht als Gatte oder Anverwandter dazu berechtigt war, in dem Hause einer Dame hätte frey aus und eingehen, sie allein sehen, in kleineren Zirkeln bloßer Bekannten mit ihr hätte zusammen kommen dürfen, ohne den Anstand zu beleidigen; daß läßt sich nicht annehmen. Die Liebenden sahen sich an öffentlichen Orten, in häuslichen Zirkeln, unter den Augen der Hüter; und nur unter dem Schleyer des Geheimnisses allein. Dieß erhöhete den Reitz solcher Zusammenkünfte, und war sehr geschickt, dem Verständnisse einen leidenschaftlichen Charakter zu geben, wenn die Verbindung auch noch so bald zu Ende gieng.

Die Befriedigung der Eitelkeit, die Beschäftigung, die Spannung des Geistes und des Herzens, welche die Intrigue mit sich führte, mußte in einer Stadt, die dem Müssiggange so sehr ergeben war, der ungebundenen Liebe vor der ehelichen den Vorzug bey derjenigen Gesellschaft sichern, die nur auf Unterhaltung ausging. Dazu kam die Erfahrung, daß die mehrsten Ehen aus Nebenrücksichten geschlossen wurden, und daß eine Vereinigung, die nicht durch das bereits eingegangene, oder bevorstehende Band der Gesetze geheiligt wurde, für ein freyeres Geschenk des Herzens bürgte.

Daraus müssen wir es uns erklären, daß die Dichter dieser Zeit so selten die Bewerbung um das geliebte Mädchen, an dessen Hand sie aufs ganze Leben glücklich zu werden hoffen, schildern: daß es gemeiniglich nicht die erwählte Braut, sondern die Gattin eines andern Mannes, oder doch ein Frauenzimmer ist, auf dessen Besitz in der Ehe sie keinen Anspruch machen können oder wollen[WS 43], die ihre Huldigungen auf sich ziehen. Nur Verhältnisse dieser Art schienen ihnen der dichterischen Behandlung und des allgemeinen Interesses fähig!

War es Respekt für eine angenommene Meinung des Publikums, oder war es Respekt für die wirklichen Tugenden des Standes der Matronen, daß die Dichter gemeiniglich den Gegenstand ihrer Liebe aus der Classe der Freygelaßnen und derjenigen Fremden wählten, die sich in Rom aufhielten? Das letzte ist unwahrscheinlicher als das erste! Aber nach dem ganzen Tone, der damahls in den Sitten Roms herrschte, läßt es sich voraussetzen, daß es nur zwey Arten von Weibern daselbst gab: Hausfrauen, deren strenge Eingezogenheit nicht einmahl die Hoffnung eines Sieges erlaubte, und ganz leichtsinnige Weiber. Wenn sich also die Matrone zu einer Intrigue herunterließ, so darf man annehmen, daß sie sich freywillig in die Classe der ausschweifenden Weiber aus den untern Classen herabsetzte: sie brauchte nicht mit mehrerer Schonung als diese behandelt zu werden, und dasjenige, was der Dichter von den Freygelassenen sang, das wandte das Publikum leicht auf die ersten an.

Jene Mittelklasse zwischen den strengen Hausfrauen und den leichtfertigen Weibern, jene ursprünglich guten Frauen, die erst nach langem Kampfe der Sinnlichkeit wider Pflicht und Anstand ein Raub der Verführung und ihres eigenen Herzens werden, nicht sowohl äußere als innere Hindernisse überwinden müssen, um dem Liebhaber einen Sieg einzuräumen, der diesem nie das Recht geben kann, sie mit vernachlässigter Achtung zu behandeln: endlich jener Schein von Hochschätzung, den wir auch dem Weibe, das wir innerlich verachten, um des Geschlechts im Ganzen, und um seines Standes willen bezeugen zu müssen glauben; die waren dem Römer entweder unbekannt, oder es war wenigstens nicht Ton, sie in Gedichten darzustellen.

Nur selten schildern uns diese den Sieg der Liebe über Schamhaftigkeit und Sorge für den Ruf von Seiten des Weibes. Die Schwierigkeiten, durch deren Ueberwindung sie das Interesse des Verständnisses zu heben suchen, sind: die Wachsamkeit der Hüter, und eine Sprödigkeit von Seiten der Schönen, die auf Launen, Furcht vor dem Gatten und reichen Nebenbuhlern, oder Habsucht beruhet.

Der verliebte Dichter war arm: dieser Umstand schürzt den Knoten. Die Gunst des leichtfertigen Weibes, an dem er hing, mußte durch Eroberung seines Herzens, oder durch Ueberraschung seiner Sinne und seiner Eitelkeit gewonnen werden. Daher der leidenschaftliche Ton: daher die Abhängigkeit, Unterwürfigkeit, Biegsamkeit, Anbetung des hoffenden Liebhabers: daher aber auch die unwürdige Behandlung, welche sich der beleidigte erlaubte. Ein sicherer Beweis, daß nicht Hochschätzung für das Geschlecht oder die Person, sondern nur das Gefühl ihrer Wichtigkeit zu seinen Zwecken ihm zuweilen die Sprache der Verehrung eingab.

Die Geliebte heißt bey dem Dichter Gebieterin: sie wird von ihm vergöttert: er spricht von Ketten, Sklaverey und Tod. Beweiset diese Sprache immer für Leidenschaft? Ich zweifle! Sie ist dem Wollüstling besonders in solchen Zeiten natürlich, worin der häufigere und unbefangenere Umgang zwischen beyden Geschlechtern dem zärteren noch kein richtiges Gefühl von den Abstufungen gegeben hat, welche die Huldigungen, die ihm dargebracht werden, nach Verschiedenheit der Lagen annehmen: worin der Mann die Sprache der höchsten Bewunderung und des dauerndsten Eindrucks brauchen zu müssen glaubt, um eine vorübergehende Bewegung des Herzens oder der Sinne auszudrücken, welche die Schöne hervorbringt.

Schon damahls konnte man also von der galanten Sprache sagen: Alles klingt in ihr wie Nichts, und nichts wie Alles! Deutlich scheint durch das Gewand der Leidenschaft, das die elegischen Dichter allgemein annehmen, die doppelte Sekte hervor, von denen man die eine von der strengen, die andere von der laxen Observanz nennen könnte. Die erste meint es ehrlich bey ihrem Ausdrucke, und setzt wirklich das Wesen und die Vollkommenheit der Liebe in gänzliche Hingebung, dauernde Anhänglichkeit, und ausschließende Treue. Aber die andere hat den Schalk im Herzen und sucht das Glück der Liebe in einem stets abwechselnden sinnlichen Genuß, der durch Befriedigung der Eitelkeit und diejenigen Reitze gehoben wird, welche eine reiche, glänzende Phantasie, und eine fein fühlende und viel auffassende Sinnlichkeit der kosenden Unterhaltung leihen: Vorzüge, die mit einer heftigen Leidenschaft schwerlich vereinbar sind.

Noch einen Zug setze ich hinzu, der die Aehnlichkeit der römischen Behandlung der Intrigue mit der Galanterie des Mittelalters darlegt: den pikanten Reitz, den die Eitelkeit aus dem Verständnisse zog! Der arme aber talentvolle Dichter dem reichen Nebenbuhler vorgezogen! Wie dieser Gedanke die geringste Auszeichnung heben mußte! Und dann der Stolz auf die Schlauheit, mit der man den reichen Hüter hinterging: der Antheil, den das Publikum an dem Gange der Intrigue nahm, den es entweder an öffentlichen Oertern belauschte, oder den ihm der Dichter in seinen Versen vorsang! Mit welcher Empfindung konnte er sagen: Corinna ist mein! oder: Cynthia, du wirst durch mich unsterblich!

Neuntes Kapitel.
Ovid.

Kein Schriftsteller über die Liebe, selbst Plato nicht ausgenommmen, hat einen so weit ausgedehnten Einfluß auf die Denkungsart der Nachkommen gehabt, als Ovid. Er ist der Hauptlehrer in der Kunst geworden, eine Intrigue mit Allem zu schmücken, was feinere Lüsternheit der Seele und des Körpers dazu liefern mag.

Wahre Liebe hat er nicht gekannt: am wenigsten edle liebe. Die Leidenschaft der Geschlechtssympathie erscheint bey ihm zuweilen liebend, zuweilen sogar edel, aber dieß geschieht zufällig: es liegt nicht in seinem Charakter, nicht in seinem Herzen.

Feinheit und Fülle der Empfindung desjenigen, was den feinern Eigennutz reitzen kann: Reichthum und Glanz an üppigen und lüsternen Bildern, Witz, Gewandheit, hinreichende Schlauheit, um jede Nüance der Sinnlichkeit,[WS 44] der Eitelkeit, der Habsucht, in dem weiblichen Herzen auszufinden, und zu seinem Vortheil zu nutzen; das waren die Gaben, wodurch Ovid sich den Anspruch auf einen angenehmen Wollüstling seiner Zeit erworben hat.

Diese Bemerkungen werden hauptsächlich durch die drey Bücher von Elegien gerechtfertigt, welche unter der Aufschrift, amores, bekannt sind. Sie enthalten eine Sammlung durcheinander geworfener Liebesbriefe und Bruchstücke aus dem Tagebuche des Verfassers. Sie sind besonders wegen des unverkennbaren Charakters individueller Wahrheit merkwürdig, der darin herrscht. Gewiß hat Ovid das Alles erlebt und empfunden, was er hier darstellt. Sie enthalten ein Gemählde seiner Intrigue mit Corinnen; und alle Situationen, welche die Ueberlistung der Wachsamkeit des eifersüchtigen Mannes, getäuschte Hoffnungen, gelungene Zusammenkünfte, kleine Untreuen, kosende Unterhaltungen und sinnlicher Genuß herbeyführen können, sind hier mit einem glühenden Pinsel, mit ergreifender Vergegenwärtigung, und mit schmückender Phantasie geschildert. Ich halte mehrere von diesen Elegien für wahre Meisterstücke, und für das Beste, was Ovid geschrieben hat.

Sein Lehrgedicht von der Kunst, zu lieben, würde besser Kunst, zu verführen, heißen. Es enthält eine Anleitung für arme Wollüstlinge, ohne Geld die Gunst der römischen Hetären zu gewinnen, und für diese Hetären eine Vorschrift, ihre Reitze auf Kosten ihrer Liebhaber geltend zu machen. Inzwischen würden alle seine Lehren, wenn sie auch aufs genaueste befolgt würden, nur dazu hinreichen, sich erträglich zu machen, und allenfalls die Habsucht mit Hülfe der Eitelkeit und Sinnlichkeit um den Preis des unnennbaren Genusses zu berücken. Das Herz wird nie dadurch gewonnen werden können. In Allem erkennt man den ausgelernten Wüstling, der freylich bey den gebildeteren Weltfrauen unserer Zeit sein Glück schwerlich machen würde, aber einer gewissen Classe unter ihnen, die sich den gemeinen Freudenmädchen nur zu oft nähert, auch heut zu Tage ziemlich interessant erscheinen dürfte.

Zuerst lehrt er, wie man den Gegenstand seiner Liebe wählen soll. Die Grundsätze, die er aufstellt, passen nur auf denjenigen, der einen Gegenstand zu seiner Unterhaltung, zur Befriedigung der üppigen Eitelkeit und noch gröberer Begierden aufsucht. Dann folgen Mittel, Bekanntschaft zu machen, die bey uns nur mit Weibern von der verworfensten Art glücken würden. Endlich die Mittel zum Besiegen. Vor allen Dingen räth er Zutrauen zu sich selbst und zur Kunst an. Der Hauptgrundsatz ist dieser: die Weiber bey ihren gröbsten Schwächen, Eitelkeit, Sinnlichkeit, Habsucht, und Trieb nach abwechselnder Belustigung zu fassen. „Wer reich ist, sagt Ovid, bedarf meiner Lehren gar nicht!“ Aber selbst die verworfenste Buhlerin giebt ihr Herz nicht für Geld hin. Auch verräth es einen Mangel an Menschenkenntniß, wenn Ovid das Herz der Schönen durch unbedingte Gefälligkeit zu fesseln hofft. Diese Gefälligkeit nimmt ohnehin ganz den Charakter einer eigennützigen Verzärtelung hübscher Kinder an, denen man sich so lange gefällig bezeigt, bis sie thun, was wir wollen. Sie sind mit Spuren der tiefsten Verachtung für das Geschlecht verwebt. Manche Aeußerungen der Schmeicheley würden uns heut zu Tage lächerlich, und sogar beleidigend und ekelhaft erscheinen, da sich der Begriff von der Selbstwürde des Weibes sehr veredelt hat, und die feineren Beziehungen auf Reinlichkeit des Körpers und Reinheit der Seele näher bestimmt sind.

In den Regeln, welche Ovid dem zärteren Geschlechte giebt, um sich seiner Reitze zur Besiegung des stärkern zu bedienen, und womit sich vorzüglich das dritte Buch beschäftigt, wird auf eine Bildung Rücksicht genommen, welche den gewöhnlichen Freudenmädchen eigen zu seyn pflegt. Sie verstehen sich zu schmücken, zu singen, zu tanzen, Liebesgedichte zu deklamieren, und gesellige Spiele zu spielen. Auf Ausbildung des Geistes, besonders zur Konversation, auf die Talente einer Vorsteherin geselliger Zusammenkünfte, die wir unter den Nahmen: ein gutes Haus ausmachen, zusammenfassen, wird nicht gerechnet. Ovid giebt viele Regeln, sich immer vortheilhaft zu zeigen, die bey uns übertrieben, oder unnütz scheinen müssen. Dahin gehört die Sorge, sich immer entfernt genug von dem Liebhaber zu halten, um ihn nicht durch unangenehme Ausdünstungen zu beleidigen: ferner die Vorsicht, ihn nie bey der Toilette zuzulassen. Wir haben über die letzte bestimmtere Regeln. Was wirkliche Mängel verstecken soll, das wird den Augen des Mannes entzogen. Was nur schmückt, z. B. Frisur, Auflegen des Roths, u. s. w. das darf er sehen. –

Im zweyten Buche lehrt uns Ovid die Mittel, die Intrigue zu verlängern. Merkwürdig bleibt es, daß der Intriguant bey uns sich vor dem unnennbaren Genusse scheuet, und diesen möglichst aufzuhalten sucht. Mit ihm, glaubt er, sey das Bestreben und die unterhaltende Beschäftigung zu Ende. Beym Ovid findet sich diese Besorgniß nicht. Der Intriguant hat nur die Furcht, aus dem Besitze des körperlichen Genusses herausgestoßen zu werden. Ganz natürlich! Bey der Hetäre ist es viel leichter, zum Ziele zu gelangen, als sich im Besitze zu erhalten. Hat er Geld, so braucht er diesen Unfall nicht zu fürchten. Aber wenn er arm ist, wie ist ihm dann zu helfen? Er muß den Mangel des Reichthums durch Verstand, Talent, Schlauigkeit und Gewandheit ersetzen. Harte Begegnung, Untreue muß er ertragen. Vorzüglich muß er sich hüten, sich thätlich an der Ungetreuen zu vergreifen. Ovid hat sich einmahl durch seine Hitze zu einem solchen Vergehen hinreißen lassen. Aber wie schwer hat er dafür büßen müssen. Mehrere Tage hindurch blieb die Geliebte unerbittlich aufgebracht gegen ihn: am Ende log sie ihm vor, er habe ihr den Rock zerrissen; und er mußte ihr einen neuen kaufen. Ueberhaupt muß man sich vor Eifersucht in Acht nehmen. Eine schwere Regel! Ovid gesteht es selbst; aber doch höchst nothwendig zu befolgen. Man gewinnt nichts dabey als Reue, und macht die Sache nur noch schlimmer. Geduld bey allen Versagungen, die man erfährt, wird besonders angerathen. Gesetzt, die Thüre wird uns vor der Nase zugeschlossen; man muß ruhig auf der Straße schlafen. Keine Gefahr darf man scheuen, um zu der Gebieterin zu gelangen. Das rührt: das reißt hin! Vorzüglich muß der Liebhaber die Eitelkeit der Weiber zu interessieren wissen: sich recht bekümmert um ihr Wohl bey den geringsten Unfällen und Launen zeigen: sie an sich gewöhnen. Doch ist es auch rathsam, sich zuweilen zurückzuziehen, um nicht zu gewöhnlich zu werden. Zu lange darf aber die Abwesenheit nicht dauern. Die Geliebte in steter Unruhe zu erhalten, ist ein treffliches Mittel, sie beständig zu machen; und wie reitzend ist zugleich der Ausdruck der Eifersucht an dem geliebten Gegenstande! Zur Versöhnung hat man immer ein sicheres Mittel: welches dieß sey, ist nach der Denkungsart des Ovid leicht zu ahnen. Er räth aber überhaupt, es an den nöthigen Talenten zu den Spielen der Liebe nicht fehlen zu lassen, und setzt ihren Hauptreitz in das Gefühl des Vergnügens, das man giebt. –

Unser Verfasser hat auch über die Mittel wider die Liebe geschrieben: ein Gedicht voller Menschenkenntniß, und von praktischem Nutzen in allen Fällen, worin man nicht durch Achtung zugleich an einem geliebten Gegenstande hängt. Aber das Mittel, sich von der Leidenschaft zu einem Weibe loszumachen, das wir dankbar verehren müssen, und mit dem die Vereinigung durch äußere Verhältnisse gehindert wird; das Mittel ist er uns schuldig geblieben.

Die Heroiden unsers Dichters lassen vermuthen, daß sie die Liebe in der edelsten Gestalt schildern, welche die gute Gesellschaft in Rom ihr zu geben wußte. Ein verfeinerter Römer läßt Halbgötter in der Sprache seines Zeitalters mit einander reden: er, der unstreitig, nach seiner ganzen Lage zu urtheilen, ein Mitglied jener guten Gesellschaft gewesen seyn muß! – Hier finde ich denn auch schöne Züge von Aufopferung, wie die Leidenschaft, die nach Vereinigung strebt, sie einflößt. Eine Briseis, die gern als Sklavin der glücklichern Gattin des geliebten Achilles dienen will, um nur bey ihm zu seyn: einen Acontius, der keinen andern Wunsch hegt, als den, seine kranke Cydippe zu warten: eine Hero, die lieber des Glücks, ihren Leander zu sehen, entbehren, als ihn der Gefahr in den Fluthen ausgesetzt wissen will, u. s. w.

Aber Erhabenheit des Charakters und sittlichen Adel sucht man vergebens in den Gefühlen, welche diese Liebenden äußern. Die Heroinen bitten ihre Geliebten, feig zu seyn, aus der Schlacht zu fliehen, und in ihre Arme zu eilen. Der Gedanke, in dem Gefühle wechselseitiger Würde sich zu vereinigen, kommt nicht in die Seele dieser Personen. Noch weniger kennen sie das Wesen einer wahrhaft liebenden Leidenschaft, die selbst den Zweck der Vereinigung dem Wohl des geliebten Gegenstandes aufopfert. Ich finde nirgends, daß der beleidigte Liebende die Untreue des Andern eher zu verzeihen bereit gewesen sey, als ihn durch eine verdiente Strafe unglücklich zu wissen. Ich finde nicht, daß ein liebendes Herz, überzeugt, daß der Andere mit ihm vereinigt nicht glücklich seyn könne, der Vereinigung großmüthig entsagt, und wohl gar zu der Verbindung des Geliebten mit einem Dritten beygetragen hätte. Tugenden, ja! nur Ruf glorwürdiger Thaten, sind es nicht, welche die Liebenden an einander anziehen: Schönheit der Gestalt, berühmte Abstammung sind die Vorzüge, womit sie sich einander anpreisen, und wodurch sie sich einer des andern werth achten.

Die Liebe, – wenn wir anders diesen Nahmen einer feinen egoistischen Leidenschaft geben wollen, – erhält also hier ihre Erhöhung von der Energie, mit der sie handelt und sich ausdrückt: von den Aufopferungen, welche der Mensch von seiner einsamen Existenz der Befriedigung seines Strebens nach Zusammenleben und Besitz der Person bringt. Ihre Verschönerung aber erhält sie durch die Feinheit, Lebhaftigkeit und Fülle des Gefühls alles dessen, was mit jenem Streben in Beziehung steht, und dann durch die ästhetische Behandlung. Inzwischen kontrastiert mit Beyden eine gewisse Rohheit in den Empfindungen des Sittlichen und Anständigen, sogar ein gewisser Frost in den Gefühlen der vorgegebenen Leidenschaft; und der Behandlung besonders ist der Fehler eines gesuchten Witzes vorzuwerfen.

Zehntes Kapitel.
Tibull.

Tibull besaß nicht bloß ein Herz; er besaß ein Herz für wahre Liebe geschaffen. Bey ihm strömt der Wunsch nach Vereinigung immer zugleich mit dem Bestreben nach dem Wohl des Geliebten hervor. Unter allen römischen Elegikern ist er der einzige, bey dem sich dieß Gefühl in allen Aeußerungen harmonisch darstellt, und auch darin ist er einzig, daß er Ahnungen von einer zärtlichen Anhänglichkeit hatte, die auch dann bestehen und fortdauern könnte, wenn sie nicht erwiedert, und durch wirklich gelungene Vereinigung nicht begünstigt würde.

Zur moralischen Veredlung der Liebe hat sich Tibull jedoch nicht hinaufgehoben. Die Wahl seiner Geliebten machte ihm entweder wenig Ehre, oder ward wenigstens durch die innere Vortrefflichkeit der Personen nicht gerechtfertigt. Nirgends finden wir eine Spur, daß er ihr Herz und ihren Geist zu bilden, in Tugend mit ihnen zusammenzutreffen, und ihr Wohl durch Zuführung des höchsten Guts zu befördern gesucht hätte. Auch der kühne Schwung der Phantasie, mittelst dessen wir der Vereinigung auf ungewöhnlichen Wegen nachstreben, in übersinnlichen Regionen mit dem Geiste des geliebten Gegenstandes Vereinigung suchen, und dadurch Bilder des Großen und Außerordentlichen hervorzaubern, war nicht in Tibulls Charakter. Er war weder ein Xenophon, noch ein Plato, noch ein Rousseau. Er kannte Begeisterung; aber es war die üppige, schmelzende, hinschmachtende, die mehr mit der Sympathie, als dem Beschauungshange, mehr mit dem niedern, als obern Seelenwesen in Verbindung steht. Jene Lüsternheit der Seele, jener schwärmerische Aneignungs- und Verwandlungstrieb der Geister, der freylich ein höchst zweydeutiger Beweis der Liebe ist; die waren ihm fremd.

Tibull war überhaupt mehr üppig, als lüstern, sowohl den Sinnen als der Imagination nach. Die Formen, unter denen er den Genuß der Liebe und der Geschlechtssympathie aufnimmt und darstellt, lagen vor ihm: er kostete ihre Freuden aus; aber er schwelgte nicht darin: er legte nichts Neues hinein, er setzte nichts Neues zusammen. Die Decenz, die man in seinen Gedichten mehr, als in denen der übrigen Elegiker beobachtet findet, muß weniger einer sittlichen Verschämtheit, als einer natürlichen Züchtigkeit seiner Sinne und seiner Imagination zugeschrieben werden, die nicht mehr aus den Freuden, welche Beyde gewähren, herausnahm, als das Herz darin fand. Er ist darum so wenig lasciv in den Bildern des gröbern sinnlichen Genusses, weil er so wenig lüstern in allen Bildern überhaupt ist. –

Tibull war unstreitig mit natürlichen Anlagen zur Zärtlichkeit, mit dem Bedürfnisse nach Vereinigung der Herzen geboren. Ohne solche Anlagen liebt man nicht, wie er gethan hat. Aber mehrere Umstände haben gewiß dazu beygetragen, diese auszubilden: der Verlust eines ansehnlichen Vermögens in der Jugend, der ihn auf jenen Mittelstand zurückbrachte, welcher der Menschenliebe und der Zärtlichkeit so zuträglich ist: eine Kränklichkeit, wovon wir mehrere Spuren in seinen Gedichten finden: und endlich Erfahrungen, die mit großen Leiden für sein Herz verknüpft[WS 45] gewesen sind.

Die Geschichte dieses Herzens muß aber in zwey Perioden eingetheilt werden: in diejenige, worin er an der Delia und Nemesis, den Weibern zweyer Freygelaßnen, gehangen, und in einer andern entehrenden Verbindung gestanden hat: dann in diejenige, worin er sich um die Hand und das Herz der Neära beworben hat. [70] Ob diese beyden Perioden auf einander gefolgt sind, oder ob er erst die Delia, dann die Neära, und endlich wieder die Nemesis geliebt habe; darüber läßt sich nichts mit Gewißheit bestimmen, und nach dem Gange des menschlichen Herzens zu urtheilen, ist das eine ungefehr so glaublich als das andere. Man kann fallen, steigen und stehen bleiben: man kann auch wieder, aus einer edeln Leidenschaft, vorzüglich wenn man betrogen wird, in vorige Verirrungen zurückfallen.

Ich sehe die Verhältnisse, worin Tibull mit der Delia und Nemesis gestanden hat, als den minder edeln Theil der Geschichte seines Herzens an. Daß auch der zärtlichste Mensch nicht damit anfängt, sich durch solche Gründe in seiner Wahl bestimmen zu lassen, die seine Anhänglichkeit rechtfertigen: daß gemeiniglich Sinne, Eitelkeit, Leere, Trieb nach engerer häuslicher Verbindung, kurz! Geschlechtssympathie des Körpers und der Seele dem Herzen erst den Weg weisen; das ist natürlich, und wird durch Erfahrung täglich bestätigt. Tibull hing sich an Delia, das Weib eines Freygelaßnen, aus derjenigen Classe in Rom, worunter die Vornehmeren die Gegenstände ihrer Intriguen zuerst aufzusuchen pflegten. Nicht alle Weiber der Freygelaßnen waren aber Buhlerinnen, am wenigsten öffentliche, und von der Delia sagt es Tibull selbst, daß er sie zuerst verführt habe. [71] Allein nicht durch Geld: Er verabscheuete den Gedanken, Gunstbezeugungen zu erkaufen; sondern durch Gefälligkeit und Mittel, die freylich, von der moralischen Seite betrachtet, nicht unverwerflich, aber doch edler sind, als diejenigen, welche niedrigen Eigennutz bey der Geliebten voraussetzen. [72] Seine Verbindung mit Delia war nicht auf einen vorübergehenden Genuß gerichtet: er suchte nicht bloße Freuden für die Sinne, keinen baren Zeitvertreib, keine Befriedigung seiner Eitelkeit und seines Stolzes bey ihr auf; Nein! Gern will er allem Ruhme entsagen, wenn er nur mit ihr sein Leben zubringen kann, wenn sie am Ende ihm die Augen zudrücken wird. [73] Gern will er alle Bequemlichkeiten, die der Reichthum darbietet, in ihren Armen aufopfern, um mit ihr auf einsamen Hügeln die Herde zu treiben. [74] Unter welchen reitzenden Bildern des häuslichen Zusammenlebens und der Zurückgezogenheit aufs Land hat er sich die Vereinigung mit ihr gedacht! [75] Ich widerstehe nicht der Versuchung, diese Stelle, die Herr Manso [76] in unsere Sprache übertragen hat, nach seiner Bearbeitung hierher zu setzen:

Du, dacht’ ich, baust dein Feld, und wartest deiner Reben,
Und sie, die Treue, wacht, und sorget für dein Haus.
Sie wird für dich im Herbst der Speicher Vorrath messen,
Und, ist der Most gepreßt, sich seiner Pflege weihn;
Sie, ganz mit dir, die Stadt und ihr Gewühl vergessen,
Und sich, wie du, des Spiels des muntern Dorfes freun.
Sie wird Vertumnus Huld in freundlichen Geschenken
Und Pales Segen sich durch Korn und Obst erflehn;
Sie unumschränkt das Haus nach ihrem Willen lenken,
Und deiner Herrschaft du mit Lust entsetzt dich sehn.
Sie, deine Delia, wenn aus den Eitelkeiten
Des stolzen Roms entflohn, Messala dich besucht,
Eilt dann, mit eigner Hand ein Mahl ihm zu bereiten,
Und bricht, mit eigner Hand, für ihn des Baumes Frucht.

Eben dieser Tibull wünschte mit seiner Delia bis ins späteste Alter ein Beyspiel unzerstörbarer Vereinigung abzugeben. [77] Er verlangte Treue von ihr, aber nicht aus Zwang, nicht aus Furcht; nein! aus gegenseitiger Zuneigung. [78]

Alles dieß beweiset freylich nichts für Sittlichkeit, nicht einmahl für wahre Liebe! Aber verglichen mit der gröberen Art, wie die Geschlechtssympathie befriedigt werden kann, liegt allerdings eine Veredlung und Verschönerung dieses letzten Triebes darin. Wie reitzend, ich wiederhole es, sind die Formen, unter denen er sich seine Vereinigung mit der Genossin denkt! Wie reitzend ist die folgende! „Bleib treu in meiner Abwesenheit, bleib treu, und laß die alte Mutter, die Bürgin deiner Unschuld, nicht von deiner Seite weichen. Sie wird beym blassen Schimmer der Lampe die häuslichen Arbeiten tief in die Nacht hineinziehen, und dir die Zeit mit Mährchen vertreiben, bis endlich den ermüdeten Mägden um dich herum schlaftrunken das Werk aus den Händen fällt. Dann werde ich unangemeldet wie ein Himmelsbote erscheinen. Dann wirst du mir, so wie du bist, mit zerstreueten Haaren und nacktem Fuß entgegen stürzen!“ [79]

Doch! es ist Zeit, daß ich nun zeige, daß Tibull sich bis zum Gefühl wahrer Liebe gehoben hat! Er hatte das Unglück, an einem leichtsinnigen Weibe zu hängen. Er war allen Leiden der Zweifel an dessen Treue ausgesetzt; und dennoch war Delia eifersüchtig auf ihn, mit Hinwegsetzung über alle weibliche Zartheit! Er durfte kein anderes Frauenzimmer loben, ohne sich der gewaltsamsten Behandlung ausgesetzt zu sehen. „Nie, sagt er, würde ich mir eine ähnliche gegen dich erlauben. Nein! eher fallen mir die Hände ab, als daß ich mich an dir vergreife!“ [80] Ich habe schon die Stelle angeführt, worin er sich wünscht, mit Delia zu leben, und bey ihr zu sterben. Herr Manso hat diesen letzten Wunsch sehr glücklich übersetzt:

Dich sucht der irre Blick, wenn furchtbar meine Stunde
Mir tönet; dich allein die halb schon kalte Hand.
Laut weinst du dann um mich, und reichst dem welken Munde
Noch einmahl einen Kuß, der Liebe letztes Pfand.

Aber gleich darauf macht diese eigennützige Empfindung einer liebenden Platz. „Doch, ruft er aus, überlaß dich nicht der Verzweiflung! Schone der Ruhe meines Schattens, indem du deines Lebens schonest!“ [81] Wenn ihn sein Unmuth hinreißt, Strafen von den Göttern über die Ungetreue herabzurufen; wie bald lenkt er ein, und bittet, daß diese Strafen leicht seyn mögen! [82]

Eben diese Denkungsart und Stimmung des Gemüths leuchten aus seinen Verhältnissen mit der Nemesis hervor. Ueberall finden wir jene Veredlung der Geschlechtssympathie wieder, die im häuslichen und traulichen Zusammenleben, abgesondert von dem Gewühle der Stadt, die höchsten Freuden der Vereinigung sucht, [83] und eine solche Verbindung nicht bloß auf eine Zeitlang, sondern aufs Leben einzugehen Muth hat. [84] Ueberall finden wir Spuren jener Aufopferung für die Zufriedenheit und das Glück des Geliebten, die den Charakter der wahren Liebe ausmacht. Er ist bereit, sein väterliches Gut zu verkaufen, um die heischenden Wünsche der verschwenderischen Nemesis zu befriedigen. [85] Bereit, das Gespötte der Stadt zu werden, wenn sie ihn nur liebt. [86] Bereit endlich, jede Härte des Sklavenstandes für ihre Gunst zu dulden. [87]

Was kann rührender seyn, als die Stelle, worin der Dichter die Unwürdige bey der Asche ihrer Schwester, zu deren Grabe er zu fliehen droht, beschwört, sich nicht durch Habsucht zur Härte gegen ihn verleiten zu lassen, und nun sich schnell begreift, und sich zuruft: „Nicht weiter! erneuere nicht den Schmerz der Geliebten! Du bist nicht werth, ihr eine Thräne zu kosten! Das Mädchen ist gut. Verführer haben es dir abgeneigt gemacht! [88]

In der Verbindung mit der Neära hebt sich Tibull noch um eine Stufe höher. Schon an sich scheint diese seine Geliebte seine Wahl von Seiten der Sittlichkeit mehr gerechtfertigt zu haben. Er nennt sie immer casta Neaera; ein Beynahme, der sich wohl in unserer Sprache nicht gut anders, als durch sittig geben lassen dürfte. Aber auch in der Art, wie er der Verbindung mit ihr nachstrebte, herrschte mehr Elevation. Er fühlte, daß er sie lieben könnte, wenn sie ihm auch ihre Gegenliebe und den Besitz ihrer Person nicht schenken sollte. „Du wirst mir stets werth seyn, sagt er, du magst die meinige werden, oder nicht. [89] „Sollte ich dich nie Gattin nennen dürfen, so wirst du mir als Schwester noch immer theurer als mein Leben bleiben. [90] Sehr charakteristisch sagt er an einer andern Stelle: „du bist mir so theuer, wie keine Tochter ihrer Mutter, wie kein schönes Mädchen dem bloß begehrenden Manne ist!“ [91]

Uebrigens finden wir in diesem Verhältnisse wieder die nehmlichen Züge des Triebes nach Häuslichkeit, der Fähigkeit, sich ganz anzuhängen, und das Wohl der Geliebten seinem eigenen vorzuziehen. Mit ihr vereint, verschmäht er die Schätze der Erden, und wünscht in Armuth ruhig mit seiner Gattin zu leben. [92] Und o! des himmlischen Zuges wahrer Liebe! Als sie bereits ihre Hand einem Andern gegeben hat, da ruft er ihr noch zu: „Sey glücklich! Heiter sey der Lauf deiner Tage, ob ich dir gleich nichts mehr bin. Treulose! selbst treulos bleibst du mir noch werth!“ [93]

Ich glaube durch diese Ausführung mein oben gefälltes Urtheil über unsern Dichter gerechtfertigt zu haben. Uebrigens findet man bey ihm den Geist der römischen Intrigue, von der ich oben gesprochen, und die ich näher charakterisiert habe. Nicht innere Schamhaftigkeit und Selbstwürde seiner Geliebten; wohl aber die Wachsamkeit ihrer Hüter, ihr Wankelmuth, ihre habsüchtige Sprödigkeit, geben einen reichhaltigen Stoff zu Bildern der Feinheit, des Muths, und der Stärke einer unüberwindlichen und alles überwindenden Leidenschaft her.


Eilftes Kapitel.
Fortsetzung: Ueber die Gedichte der Sulpicia und des Cerinthus.

Unter die schätzbarsten und niedlichsten Kleinodien, die aus dem Alterthume auf uns gekommen sind, rechne ich die Lieder eines römischen Mädchens, denen eines von seinem Liebhaber beygefügt ist. Sie sind den Gedichten Tibulls angehängt, und weil sich eines darunter findet, das unstreitig von ihm ist, auf gewisse Weise damit vermischt. Sie werden ihm gemeiniglich zugeschrieben, und ich kann es nicht bezweifeln, daß sie von ihm herrühren. Einem Frauenzimmer gehören sie


Besonders das Carmen VIII. und die Stelle:

Sed peccasse juvat: vultus componere famae
Taedet: cum digno digna fuisse ferar.

Ich will nicht sagen, daß es mit dem geringsten Ueberbleibsel von Scham nicht zusammenstimmt, sondern nur dieß, daß es mit der ganzen übrigen Feinheit der Denkungsart der Sulpicia, ja was das Wichtigste ist, nicht mit ihrer Situation zusammenpaßt. Hier scheint der Mann, und besonders der Dichter durch, der (Lib. II. Eleg. III. v. 31.) sagen konnte: Sed cui sua cura puella est, fabula sit, etc.

gewiß nicht an: dafür bürgen mehrere nicht weibliche Stellen. [94] Uebrigens die nehmliche Empfindungsart, die ich am Tibull charakterisiert habe! Dieß ist für mich wichtiger, als der Umstand, daß sich eine Verschiedenheit im Styl des Ausdrucks zwischen diesen und den vorigen Gedichten findet. Der Styl der Gefühle ist der nehmliche: und das Anspruchslose, zum Theil Nachläßige, was die Einkleidung der Lieder der Sulpicia unterscheidet, dürfte bereits daraus erklärbar seyn, daß sich der Dichter an die Stelle eines Frauenzimmers gesetzt hat.

Genug! diese Liedersammlung macht eine kleine Liebesgeschichte aus, aber die lieblichste, die je geschrieben seyn mag. Kein Roman, in dem Sinne, wie wir das Wort zu nehmen gewohnt sind! Keine Intrigue, bey der die Eroberung eines Herzens, oder gar der Besitz einer Hand, als endlicher Zweck der fortlaufenden Handlung angesehen wird. Nein! eine Pieçe a Tiroirs, ein Drama das sein Interesse nicht sowohl der Verwickelung und Auflösung, als der Darstellung mehrerer zusammenhängender Scenen aus einer Situation des Lebens verdankt. Unsre beyden Liebenden sind schon bis zur engsten Vertraulichkeit vereinigt, und an eine Verbindung unter Autorität der Gesetze denken sie nicht. Der Plan ist auf Darstellung der kleinen Auftritte angelegt und eingeschränkt, die eine glückliche, durch keinen Bruch gestörte Liebe herbeyführt. Nur der[WS 46] einzige Umstand tritt hinzu, das Interesse ihrer Situation zu erhöhen: Sie müssen sich heimlich lieben! Sulpicia, die Tochter, eines vornehmen Hauses, darf ihre Neigung zum Cerinth, einem Jüngling, der nur an äußern Verhältnissen ihr ungleich ist, nicht bekennen. Also wieder eine römische Intrigue: und hier sogar von Seiten eines Mädchens geführt, das zur Classe der Matronen gehörte!

Ungeachtet der Einfachheit des Plans kann die Ausführung doch Bilder der Vollständigkeit und der Vollendung herbeyführen. Alle Auftritte, die sich in der Situation eines glücklich, aber heimlich liebenden Paars denken lassen, und Gelegenheit zu Ausbrüchen lebhafterer Gefühle geben, finden wir hier genutzt. Verdeckte Wünsche, dem Geliebten zu gefallen, und ihn ungestört zu sehen; [95] Festliche Tage in dem Lebenslaufe der beyden Verbündeten: [96] Gefahren, denen sich der Jüngling aussetzt; [97] Krankheit des Mädchens: [98] Empfindungen nach dem Momente des unnennbaren Genusses: [99] Störung in der Hoffnung, sich zu sehen: [100] unverhoffte Wiedervereinigung: [101] Furcht vor Untreue, [102] und vor Gleichgültigkeit: [103] endlich Reue über eine[WS 47] angenommene Sprödigkeit; [104] das sind die Veranlassungen zu Empfindungen, die an innerm Gehalt wahre Liebe, an äußerer[WS 48] Form echte Schönheit zeigen.

An moralische Veredlung der Liebe ist auch bey unserer Sulpicia nicht zu denken. Hin und wieder werden sogar die Forderungen, die wir an Reinheit und Züchtigkeit des weiblichen Herzens zu machen berechtigt sind, offenbar beleidigt. [105] Dagegen aber zeigt sich auch hier die ästhetische Veredlung der Liebe, auf die ich schon in den Gedichten des Tibulls aufmerksam gemacht habe, durch den vollkommensten Ausdruck eines für das Wohl des Andern sich aufopfernden Herzens! Ein Beyspiel dieser Art finde ich in dem Wunsche der Sulpicia, die Herstellung ihrer Gesundheit nicht wieder erhalten zu wollen, wenn sie dem Cerinth gleichgültig seyn sollte: [106] noch auffallender in der Bitte, die sie an die Götter richtet, den Jüngling wegen ihrer Krankheit zu beruhigen: [107] und in dem schönen Zuge von Reue, wenn sie ihrem Geliebten das Recht giebt, sie durch Kälte zu bestrafen, weil sie die Heftigkeit ihrer Leidenschaft durch willkührliche Trennung habe verbergen wollen. [108]

Es ist nicht möglich, Gefühle dieser Art zu lesen, ohne in unserer Seele Bilder ihres vollkommenen inneren Gehalts, mithin auch begeisternde Bilder aufsteigen zu sehen, welche dieser Liebe den Charakter des ästhetisch Edeln geben. Wie reitzend sind aber zugleich die Formen, worin diese ästhetisch edle Liebe eingekleidet, und dadurch zugleich verschönert wird! Ich führe statt aller Beyspiele nur eines nach der Uebersetzung des Herrn Manso an, obgleich die Schönheit des Originals nicht völlig erreicht ist:

Schutzgöttin Juno, nimm vom heiligen Altare
Des Weihrauchs süßen Duft aus deiner Freundin Hand!
Dein ist sie, dein: dir hat sie Stirn und Haare
So schön gekränzt, dir wallt ihr rosiges Gewand.

Zwar wünscht sie, wie sie sagt, dir einzig zu gefallen;
Doch strebt sie heimlich noch nach eines Andern Blick.
O laß des Jünglings Herz in Liebe für sie wallen,
Und gönn’ ihr diese Nacht das längst gehoffte Glück!
Du knüpfst den schönsten Bund. Vor allen Erdensöhnen
Ist er nur ihrer Huld, wie sie der seinen werth.
Es eile Beyder Wunsch Gott Amor selbst zu krönen,
Und blitze Zorn auf den, der den Verein erschwert!
Sieh, Göttin, süßer Duft steigt auf zu deinen Höhen!
Was säumst du? Schweb herab, und leihe mir dein Ohr!
Besorgt heißt dieß und das mich meine Mutter flehen,
Doch andre Wünsche trägt Sulpicia dir vor.
Sie brennt so licht und hell, wie dieses Opfer lodert,
Und wünschet dieser Glut nie, Göttin, zu entfliehn.
Nur ihn, für den sie brennt, (dieß ist es, was sie fodert,)
Nur ihn laß ewig auch in gleichen Flammen glühn!

Ist es möglich, diese Worte zu lesen, ohne das Bild der Liebe unter der Form des schlauesten, feinsten, und für Phantasie und Herz reitzendsten Wesens zu fassen?

Zwölftes Kapitel.
Properz.

Tibull scheint gedichtet zu haben, weil er liebte: Properz scheint geliebt zu haben, weil er dichtete. Ich bin zweifelhaft, ob des letztern Cynthia eine wirkliche Person gewesen sey; aber beynahe gewiß, daß viele Gefühle, die er vorgiebt, für sie gehegt zu haben, erlogen sind. [109] Properz besaß viel Lüsternheit des Körpers und der Seele: viel Eitelkeit, viel Imagination, aber wenig Herz. Seine Gefühle sind angelernt, ausgedacht: er hatte Witz; aber er besaß keine Zärtlichkeit.

Ich finde wenig Situationen im Properz, die den Charakter individueller Wahrheit an sich tragen. Die wenigen, welche damit gestempelt sind, zeugen nicht für Zärtlichkeit, und können ihm mit jedem Mädchen, bey einer bloß auf sinnlichen Genuß oder Unterhaltung abzielenden Verbindung, begegnet seyn. [110] Und selbst, wenn er diese darstellt, schildert er mehr die äußern Nebenumstände, als die innern Empfindungen, die ihn belebt haben.

Es kann uns nicht irre machen, wenn einzelne Stellen im Properz von Leidenschaft, Aufopferung und Treue zeugen: wenn er sein Glück und sein Unglück nur von Cynthien erwartet: [111] wenn er sie seine einzige und letzte Liebe nennt: [112] wenn er nicht den Tod, sondern das Ueberleben ihrer Liebe fürchtet: [113] wenn er sogar seine Neigung mit in die Unterwelt zu nehmen verspricht. [114] Dieß sind Ausdrücke der damahligen Galanterie; und sollten sie das auch nicht seyn; so ist es doch gewiß, daß wenn Ideen dieser Art einmahl berechtigt sind, das Interesse des Publikums zu erwecken, und dieser Ton einmahl in die Gedichte der Liebe eingeführt ist; alle diejenigen, welche sich darin versuchen, darin einstimmen werden. Dann aber kann nur eine Prüfung der Aeußerungen im Ganzen den Mangel der Harmonie, und dadurch die Unwahrheit der vorgegebenen Empfindungen aufdecken. Properz verräth nun durch eine Menge kleiner Züge, daß er zwar eine gewisse Veredlung der Neigungen, die auf Geschlechtssympathie beruhen, gekannt, aber nie jene Zärtlichkeit empfunden habe, die durch Vereinigung der Personen zu beglücken sucht. Eine Menge fremder und gelehrter Bilder, die gerade da vorgeschoben werden, wo man erwartet, daß das Herz reden werde, zeugen für die Kälte dieses Letzten. [115] Wie fern von wahrer Rührung sind sein Gebet für die Wiederherstellung der Geliebten, [116] und die Erzählung ihrer Erscheinung nach dem Tode! [117] Wie undelikat ist die Rede, die er ihr bey dieser Gelegenheit in den Mund legt! Mit welchem Leichtsinn scherzt er über die Untreue, die er an Cynthien begangen hat, als er von ihr in einer mehr als verdächtigen Lage zwischen zwey gutwilligen Mädchen überrascht wird! [118] Seine Klagen über die Grausamkeit seines Mädchens haben selten das Gepräge der Wahrheit. [119] Seine Eifersucht verräth die Anmaßungen einer kleinlichen Eitelkeit, oder muß wegen der Uebertreibung, die in ihren Aeußerungen herrscht, wohl gar für eine erlogene Empfindung angesehen werden. [120] Seine Vorwürfe sind ohne alle Zartheit des Gefühls: [121] seine Drohungen entweder von aller Beymischung liebender Schonung entblößt: [122] oder in einem mehr scherzenden als ernsten Tone geäußert. [123] Wer kann es für etwas anders, als für eine Dichterwendung halten, wenn er Cynthiens Untreue durch sein Stillschweigen von ihr, oder durch einen bloßen Vers zu bestrafen verspricht? Doch erscheint selbst in der Anmaßung, mit der er auf sein Dichtertalent trotzt, eine Verschiedenheit von der Denkungsart des Tibull.

Properz trotzt auf sein Verdienst, auf den Ruhm, den seine Gedichte der Geliebten bringen: Tibull erwähnt dieser nur mit Bescheidenheit, glaubt immer mehr zu empfangen, als zu geben. Properz erhebt die Talente seiner Cynthia, und legt diesen beynahe einen noch höhern Werth bey, als ihrer Gestalt. Aber seine Lobeserhebungen sind so übertrieben, und mit so weit hergehohlten Vergleichungen überladen, daß sie mehr der Sprache der Galanterie als des Herzens ähneln. [124] Auch scheint ein großer Theil des Werthes, den er auf die Ausbildung ihres Geistes setzt, dem Umstande zugeschrieben werden zu müssen, daß sie so viel Geschmack an seinen Versen findet [125] Properz kann bey einem Schmause vergessen, daß sein Mädchen seiner wartet, und wenn er es nun schlafend findet, aus bloßer Besorgniß, von ihm mißhandelt zu werden, es nicht wecken. [126] Er kann seine Geliebte bitten, bey seinem Leichenbegängnisse ihre Traurigkeit zugleich mit seinen Werken zur Schau auszustellen; [127] und überhaupt in den Qualen der Geliebten, die er verursacht, in den Thränen, die sie um ihn vergießt, den größten Beweis ihrer Liebe, und den süßesten Genuß der Verbindung setzen. [128]

Diese Proben, die noch sehr gehäuft werden könnten, zeigen deutlich, daß Properz Stolz auf den alleinigen Besitz, [129] Spannung der Imagination, Unterhaltung, Befriedigung einer üppigen Eitelkeit, und besonders einen feineren Sinnengenuß für das Wesen der Liebe ansah. Kurz! daß er gesellige Neigungen, bey denen die Geschlechtssympathie zum Grunde liegt, zur Befriedigung eines feineren Egoismus nutzte. Merkwürdig ist es hierbey, daß er von äußern Hindernissen keinen Gebrauch macht, um der engeren Verbindung mit seiner Cynthia einen neuen Reitz zu leihen. Denn diese wird als eine unabhängige Person von einem gewissen Alter dargestellt, mit der er aber doch in einer nicht gesetzlich geknüpften Verbindung lebte.

Zum Ueberftuß bemerke ich noch, daß seine Phantasie vorzüglich glücklich war, Bilder der körperlichen Lüsternheit darzustellen, und im sinnlichen Genuß zu schwelgen liebte. [130]

Die Gedichte des Properz sind mir darum so äußerst wichtig, weil sie die oben bemerkte zweyfache Art, wie man in Rom über die engeren Verhältnisse zwischen beyden Geschlechtern dachte, sehr deutlich an den Tag legen. Die eine Sekte setzte, wie gesagt, den Grund und das Glück der Liebe in einen stets abwechselnden und vorübergehenden, sinnlichen Genuß, der durch Befriedigung der Eitelkeit, und durch Reitze, welche die Phantasie ihm lieh, gehoben wurde. Diese Denkungsart scheint der Natur des Properz im Grunde die angemessenste gewesen zu seyn. [131] Da aber die andere Sekte dauernde Anhänglichkeit, ausschließende Treue und Aufopferung verlangte; [132] so hat Properz, der viel mehr für das Publikum, als für sich selbst dichtete, sich auch in diese Denkungsart geschickt. Er schildert uns daher Matronen, die es für ruhmwürdig halten, ihr Herz und ihre Hand nur einmahl zu verschenken: [133] Männer, die selbst nach dem Tode des geliebten Gegenstandes diesem unverrückte Treue bewahren, [134] und sogar ihre Leidenschaft mit sich in die Unterwelt nehmen. [135]

Properz hat hauptsächlich den Griechen nachgeahmt. Ich fühle mich aber nicht im Stande, dasjenige, was in seiner Darstellung der Liebe mehr griechisch als römisch ist, anzugeben.


Dreyzehntes Kapitel.
Horaz, Virgil, und Seneka der Tragiker.

Horaz war ein viel zu feiner Egoist, als daß er Begriffe und Gefühle von wahrer Liebe hätte haben können. Er hing ganz derjenigen Sekte an, welche aus der Liebe einen verfeinerten Sinnengenuß und einen unterhaltenden Zeitvertreib machte. Wenn er einigemahl Bilder einer treuen, aufopfernden Anhänglichkeit darstellt, so geschieht es in der Situation eines augenblicklich entzückten Genießers, der sein gegenwärtiges Glück ewig dauernd erhalten möchte, und es für keinen Preis zu theuer erkauft hält. [136] Vielleicht hatte auch der herrschende Ton der römischen Galanterie noch mehr Antheil daran, als die vorübergehende, eigene Empfindung. Es lag weder in seinem Charakter, noch in seinem Systeme, sich zu vergessen, und sich ganz und auf immer hinzugeben. [137]

Horazens Verdienst um die Liebe besteht darin, daß er der kosenden Unterhaltung, welche ihre Freuden vermehren kann, einen höchst reitzenden Ausdruck geliehen, und ihr neue geschmackvolle Wendungen und Spiele gelehrt hat. [138]

Virgil hat die allerniedrigsten Ideen von der Entstehung und dem Zweck der Liebe in seinen Eclogen und Georgicis verrathen. Er sieht sie für Begierde nach körperlicher Vereinigung an, [139] und nur diese schmückt er zuweilen durch ein reitzenderes Bild, worin sich Feinheit, Fülle und Stärke der Empfindung eines an sich gemeinen Triebes darstellt. [140] Dieß ist aber bey ihm Nachahmung der griechischen Idyllendichter, die sich absichtlich in ein roheres Zeitalter hineinversetzten.

In der Aeneide ist das vierte Buch wegen der pathetischen Darstellung der Leidenschaft der Liebe allgemein berühmt. Es ist aber nicht die Liebe; es ist die Leidenschaft der Geschlechtssympathie, die in der Dido dargestellt wird. Ein liebendes Weib würde Aeneas nicht mit seinen Flüchen verfolgt haben. Ihr Tod, die Aufopferung ihres Lebens sind Folgen, welche auch die Leidenschaft des Geitzes nach dem Verluste des Vermögens hervorbringen kann. Wir werden durch diese Aeußerung einer heftigen Begierde begeistert, weil der Eigennutz feiner ist, und allemahl ein großer Triumph des höheren Wesens über das niedrige erfordert wird, um der Süßigkeit des einsamen Lebens zu entsagen, wenn man auf die Vereinigung mit einem andern Menschen Verzicht leisten muß. Wir bewundern es, daß uns ein anderer Mensch so viel werth seyn kann: aber dieser Mensch ist es doch nicht, den wir lieben, sondern nur unser Wohl in der Vereinigung mit ihm. Es ist allemahl Eigennutz!

Dennoch hat Virgil in seiner Aeneide höhere Begriffe als in seinen übrigen Werken von dem Zuge zwischen dem beyden Geschlechtern an den Tag gelegt. Dido empfindet für den Aeneas nicht bloß Sinnlichkeit, sondern auch Schätzung, und den Trieb nach Häuslichkeit. Sie legt Werth auf treue Anhänglichkeit an dem ersten schon verstorbenen Gatten. Sie bekämpft ihre Triebe aus Schamhaftigkeit und Sorge für ihren Ruf. Der Dichter läßt sie mehr aus Verhängniß, als durch Schwäche fallen. Seine Camilla hat wahrscheinlich den späteren Dichtern zum Vorbilde ihrer hochherzigen, keuschen, und zugleich kriegerischen Heldinnen gedient.

Es ist der Mühe werth, die Trauerspiele, welche dem Seneka beygelegt werden, mit denen des berufenen Weiberhassers Euripides zusammenzuhalten, um zu erfahren, wer von ihnen Beyden das zärtere Geschlecht edler dargestellt hat. Man wird dann finden, daß Euripides Alles gethan hat, um selbst die Schwächen dieses Geschlechts von einer interessanten Seite darzustellen, daß hingegen Seneka, eine gewisse stoische Hochherzigkeit abgerechnet, Alles thut, um es verächtlich zu machen.

Seine Phädra erscheint wahnsinnig vor Begierde: dringt sich dem Hippolytus auf das schamloseste auf, und wird um so ekelhafter, da sie den Rath ihrer bessern Amme für nichts achtet. Medea, Oktavia, Dejanira, Clytemnestra sind rachsüchtig, wüthend, und die letzte wird zu einem Ungeheuer, wie es nur die Imagination des Dichters schaffen kann. Da überhaupt die Stärke des Seneka nicht darin besteht, seinen Charakteren innern Zusammenhang und Wahrheit zu geben; da er immer mehr daran denkt, was sich überhaupt in einer gewissen Situation sagen ließe, als was die dargestellte Person gesagt haben würde; so brechen zuweilen selbst bey denjenigen Weibern, die er zum Gegenstande unsers Abscheus macht, bessere Gesinnungen durch, als man ihnen ihrer Anlage nach zutrauen darf. Ganz im Wesen der Liebe sagt daher Medea: Kann es seyn, so lebe mein Jason wie er war! Aber auch verändert mag er leben!“

Diese Züge kommen aber zu einzeln vor, als daß man unserm Seneka einen wahren Begriff von der Liebe beylegen könnte. Wo er von ihr spricht, schildert er sie als eine leidenschaftliche Begierde nach Sinnengenuß, als eine Brut des Müßigganges und des Luxus.


Achtzehntes Buch.
Denkungsart der Römer und Griechen über Geschlechtsverbindung und Liebe von den Zeiten des Septimius Severus an, bis zum Untergange des Reichs dieser Völker im Morgen- und Abendlande.


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Ich halte mich berechtigt, in der Geschichte der Sitten, besonders in Rücksicht auf die Verhältnisse beyder Geschlechter zu einander, mit dem Septimius Severus eine neue Periode eintreten zu lassen.

Wahre Epochen, scharfe, grelle Abschnitte darf man in dem Charakter und den Schicksalen der Sitten nicht erwarten. Die Denkungsart der Menge bildet sich allmählig, und selbst neue Wahrheiten und Lagen bringen nicht sogleich verschiedene Grundsätze und Gewohnheiten bey ihr hervor. Inzwischen muß doch der Anfang der Veränderung irgendwo bestimmt werden, und wir können diesen nicht erst da annehmen, wo sie sich am auffallendsten zeigt. Nein! der Uebergang muß da ausgespähet werden, wo wir einen wichtigen Grund zur Veränderung und einige bemerkbare Spuren derselben antreffen.

Die vorige Periode hat das Weib, der guten Sitte nach, im Ganzen dem Manne wichtig, und einzeln dem Manne gleichgeachtet dargestellt: die folgende zeigt, eben dieser guten Sitte nach, das Weib im Ganzen dem Manne gleichgeachtet, und einzeln sogar dem Manne vorgezogen. Man begreift zum Voraus, von welchem wichtigen Einflusse dieß auf die Beurtheilung der Geschlechtsverbindung und Liebe hat seyn müssen.

Hiervon finde ich die ersten Spuren unter dem Septimius Severus: einen der Hauptgründe aber in der von ihm eingeführten militärischen Regierungsform, und in dem von seiner Gemahlin beförderten schlechten Geschmack. Alle übrigen Gründe, welche nachher zur Ausbildung der veränderten Denkungsart mitgewirkt haben, stehen mit jenen beyden ersten in genauer Verbindung.

Ich schließe diese Periode nicht früher, als mit dem Untergange des Reichs der Römer und Griechen im Abend- und Morgenlande. Zwar bin ich außer Stande, und auch nicht gewillet, Data über die Denkungsart dieser Völker bis zu jenem Punkte beyzubringen; aber es ist mir sehr wahrscheinlich, daß bey den nehmlichen fortwährenden Gründen sich auch die nehmliche Stimmung erhalten haben werde, und einzelne Werke, die noch bis ins zehnte und zwölfte Jahrhundert hinaufreichen[WS 51], geben dieser Vermuthung mehr Gewicht.

Zweytes Kapitel.
Entwickelung der Hauptursachen und des Wesens der[WS 52] veränderten Denkungsart.

Die Freyheit Roms war verloren gegangen; aber ihr Andenken hatte sich noch bey dem Volke erhalten. Wahrer Gemeinsinn war verschwunden; aber der Stolz auf den Nahmen und die Vorrechte eines römischen Bürgers, welche verhältnißmäßig gegen die Menge der Unterthanen nur Wenigen zu Theil wurde: Stolz auf die Größe des Reichs und die Unüberwindlichkeit seiner Waffen, kettete noch den Römer an das öffentliche Leben. Unter der glücklichen Regentenreihe vom Trajan bis zum Marc-Aurel hatte der Stolz auf den Monarchen, die Liebe zu ihm, diese Bande noch vermehrt, und zugleich den süßesten Genuß des Privatlebens gesichert.

Alles dieß veränderte sich im dritten Jahrhunderte. Septimius Severus legte den Grund zum militärischen Despotismus: er verband die schrecklichste aller Aristokratien, diejenige, worin die Gewalt in den Händen undisciplinierter Soldaten ist, mit einer eben so furchtbaren Monarchie, welche sich gegen die übrigen Unterthanen Alles erlaubt hält, wenn sie nur der Zügellosigkeit der Bewaffneten nachsieht. Von nun an war ein lohngedungenes Kriegesheer, geworben unter den Unterthanen und Barbaren an den Grenzen des Reichs, die einzige Menschenclasse, die Unabhängigkeit behielt und mißbrauchte. Statt eines Tyrannen, der seine Willkühr und Grausamkeit nur in dem Kreise, der ihn zunächst umgab, hätte wirken lassen können, fanden sich nunmehro unzählige Unterdrücker an allen Orten des unermeßlichen Reichs.

Caracalla gab allen freyen Einwohnern desselben den Nahmen und die Vorrechte römischer Bürger. Er untergrub dadurch vollends den Nationalgeist, raubte dem Römer den Stolz auf seine Abstammung und seine Bestimmung, und hob den Uebermuth des bezahlten Kriegsheers. Alexander Severus glaubte schon seine Soldaten durch die Benennung: Bürger! zu schimpfen. Als in der Folge die Barbaren das römische Reich anfielen, einschränkten, erniedrigten, und die Lasten der Unterthanen vermehrten; da zog sich der Mensch immer mehr vom öffentlichen Leben ab, und genoß nur mit Unsicherheit sein örtliches und häusliches Daseyn.

Zweyerley Hauptideen mußten nun in den Sitten herrschend werden, die aus einer Quelle entsprungen, leicht wieder zusammenflossen. Entweder, man suchte dem irdischen Leben durch eine weichliche Ruhe, und den zügellosesten Genuß des gegenwärtigen Augenblicks noch einigen Reitz abzugewinnen: oder, man verachtete diese Welt, und richtete seine Blicke auf eine künftige, welche für die Leiden hiernieden eine reiche Schadloshaltung darbieten würde. Beyde Denkungsarten gehören unterdrückten Menschen an: beyde leiten zum leidenden Gehorsam: und der Ueberdruß, den Weichlichkeit und ausgelassene Sinnlichkeit bald herbeyführen, zieht Alles zum Glauben an ein übersinnliches Reich, und zur Hoffnung auf dasselbe hin.

Niedrigkeit und Schwulst, Aberglaube und Verzweiflung, Sinnlichkeit und unthätiger Beschauungshang bezeichnen die sittliche Denkungsart in dieser unglücklichen Periode. Mehrere Beherrscher, aus Afrika und Syrien entsprossen, haben nebst ihren Familien zur Ausbreitung derselben beygetragen. Der Verfall des Geschmacks in allen Künsten ist gleichfalls bey dieser Stimmung mit in Anschlag zu bringen. Der gute Geschmack verhindert die schiefe Richtung der Beurtheilungskraft, und hindert den Fortgang metaphysischer Grübeleyen, welche die sinnliche Welt bey Seite setzen. Er befördert menschliche Empfindungen, kettet an den Genuß des Lebens, und erhält die Verbindung unsers höhern Wesens mit dem niedern.

Inzwischen bot sich der Mensch, der vom öffentlichen Leben abgezogen, in seinem Privatleben zum Genuß einer verfeinerten Sinnlichkeit unfähig geworden, und überher vom orientalischen Aberglauben umnebelt war, den Eindrücken der neuplatonischen Philosophie und des Christenthums gern und willig entgegen.

Indem er einen Halt in dem Reiche des Uebersinnlichen suchte, blieb er entweder bey der Volksreligion stehen, und suchte diese den Bedürfnissen seines reiferen Verstandes anzupassen: oder er suchte in einer fremden Lehre den Trost auf, den ihm die Lehre seiner Väter versagte. Dem ersten gefiel die neuplatonische Philosophie: dem andern die Religion der Christen. Jene fand zuerst bey den Vornehmern Eingang: diese bey dem Pöbel: beyde kamen in gewissen Hauptgrundsätzen überein, und boten sich am Ende, nach einigen Streitigkeiten, die mit aller Wuth der Sektenkriege geführt wurden, einander freundlich die Hände.

Der Neuplatoniker versteckte die Ungereimtheit des Volksaberglaubens unter dem Schleyer der Allegorie, und schuf die Vielgötterey in ein System von Dämonen um, die alle einem höchsten Wesen unterworfen waren. Diesem suchte er sich durch die Extase zu nähern. Während der Anschauung dieser Art verliert die Seele alle anderen Vorstellungen, außer dem Angeschaueten, der sie mit unaussprechlicher Seligkeit erfüllt, und sie in die unüberschwenklichste Ruhe versetzt, weil der Angeschauete durchaus unveränderlich, mithin in steter Ruhe ist. Man erblickt nichts als das herrlichste Licht, weil in Gott nichts als Licht ist.

Dieß Ineinanderfließen, diese Wiedervereinigung der von Gott in uns geflossenen Seele mit ihrem Urquell, verlangte viele leidende (ascetische) Uebungen, Anstrengung, Prüfung. Besonders ward eine Vernachlässigung aller menschlichen Dinge, und eine Erhebung über alle Freuden der Sinnlichkeit dabey zum Voraus gesetzt. Aber dagegen schmeichelte man sich auch bey Wegwerfung alles praktischen Wissens, und aller öffentlichen Thätigkeit, bey völliger Ruhe, und beständiger Kreuzigung des Fleisches, die Seele ganz aus ihrem körperlichen Gefängnisse zu lösen, und mit Dämonen und Geistern in einen vertraulichen Umgang zu bringen. So ward zu gleicher Zeit durch diese Philosophie der Mystik und der Magie der Weg gebahnt.

Die Christen der damahligen Zeit versprachen nicht sowohl eine Wiedervereinigung mit Gott und einen Umgang mit den Dämonen in diesem Leben, als vielmehr eben diese Vortheile vermischt mit vielen gröberen Genußarten in einem künftigen nach dem Tode.

Die gegenwärtige Welt war nur ein Kampfplatz auf dem man sich die Freuden der Zukunft erringen konnte. Aber dazu bedurfte es gewisser Waffen, welche die Moral erst jetzt dem christlichen Streiter in die Hände lieferte, und die von denjenigen, womit die Schüler des Sokrates nach Vollkommenheit gerungen hatten, völlig verschieden waren.

Das Sittensystem der Christen war nicht auf einen gewissen Staat, nicht auf gewisse Stände berechnet. Es empfahl Pflichten, die in jeder Verfassung, in jeder Lage galten. Ein leidender Gehorsam, der sich selbst unter Unterdrückung willig beuget; eine Achtung für jeden Menschen, als ein Wesen, das den nehmlichen Anspruch mit uns auf das Reich Gottes hat; eine Entäußerung alles eigenen Verdienstes, eine Herabwürdigung unsers Selbstes unter den geringsten und schwächsten unsrer Nebenmenschen; eine Liebe zu Gott, die jede irdische Neigung hinrafft; – das sind die Forderungen, welche das Christenthum nach den damahligen Begriffen an den vollkommenen Menschen machte.

Bald wurde das System der Neuplatoniker zu dem Christlichen gemischt, und beyde kamen dahin überein, die Erhebung über die Sinnlichkeit, die geduldige Ertragung aller Schicksale, die Verachtung aller Mittel, wodurch sich der Mensch Ruhm und Auszeichnung erwirbt, als den sichersten Weg anzusehen, wodurch man sich mit Gott und dem Reiche unsinnlicher Wesen vereinigen könne.

Obgleich diese Denkungsart nie ganz allgemein hat werden können, so hat sie doch gewiß selbst auf die gute Sitte eingewirkt, und diese in manchen Stücken modificiert. Man hat nicht mehr den nehmlichen Werth auf eine verfeinerte Sinnlichkeit, und auf alle diejenigen Leidenschaften gelegt, die man sonst edel nannte.

Eine tapfere Selbstvertheidigung gegen äußere Unterdrückung, der Muth, sich das Leben freywillig zu nehmen, das Gefühl des Stolzes, und der Ruhmbegierde sind geächtet worden. An ihre Stelle trat die Humilität: ein Wort, das beynahe alles dasjenige umfaßt, was ich unter den Hauptstücken der christlichen Moral aufgezählt habe.


Drittes Kapitel.
Einfluß der veränderten Denkungsart auf das wachsende Ansehn des Weibes: mitwirkende Ursachen.

Zur Kosmopolitischen Vollkommenheit, und zu allen denjenigen Tugenden wodurch der Neuplatoniker und die Christen der damahligen Zeit sich der Annäherung an Gott, und des ewigen Lebens würdig zu machen glaubten, hat das Weib gleiche Anlagen mit dem Manne. Ja! es übertrifft ihn in mehreren derselben. Weiber gerathen weit leichter in den Rausch der Phantasie, in Begeisterung, in Extase: Weiber haben viel mehr Selbstverläugnung, mehr Geduld, mehr leidende Stärke, und mehr Muth, sich den Angriffen des Schicksals zu überlassen. Sie erhielten in diesen Zeiten einen gerechten Anspruch auf die Achtung des Mannes, und gleiche Rechte mit ihm auf Menschenwerth.

Die christliche Religion, welche den Schwachen ein vorzügliches Anrecht aufs Himmelreich verspricht: die in ihrer Geschichte mehrerer durch Heiligkeit, Wundergaben und Märterthum ausgezeichnete Weiber, Freundinnen des Erlösers und der Apostel, aufstellt: die eine von ihnen als Mutter Gottes über alle Sterbliche setzt: diese Religion, sag’ ich, mußte das Ansehn des zärteren Geschlechts noch vermehren. Die Humilität, welche sie lehret, legte ohnehin dem Manne die Pflicht auf, sich vor denjenigen zu demüthigen, welche von den Heiden nur mit gefälliger Schonung behandelt waren. Weiber trugen viel zur Ausbreitung dieser ihnen so nützlichen Religion bey, und ihre Lehrer bewiesen ihnen dafür ihre Dankbarkeit durch Ausbreitung ihres Rufs.

Mehrere hervorstechende Fürstinnen zeigten sich an der Seite der Kaiser in wenig unterbrochener Folge. Die Julia Domna, Mäsa, Soämias, Mammäa Zenobia, Helena, Eusebia, Placidia, Pulcheria, Eudocia, Theodora und andere mehr, hielten entweder das Ruder des Reichs in ihren Händen, oder thaten sich durch besondere Talente und den Ruf der Heiligkeit hervor. Weiber übten vermöge der ihrem Geschlechte eigenen Gaben zur Intrigue eine desto größere Gewalt über die Höfe aus, je mehr sich diese nach den Zeiten des Diocletian auf morgenländische Weise von dem übrigen Reiche trennten, und dadurch heimlichen Ränken, und niedrigen Leidenschaften immer mehr ausgesetzt wurden.

Der schlechte Geschmack legte dem Frauenzimmer seine Huldigungen mit der Niederwürfigkeit und dem Pompe der Asiaten zu Füßen, und der Ausdruck der Achtung nahm den Schein der Anbetung und der Entzückung an. Jetzt ward das Weib oft über den Mann erhoben!

Viertes Kapitel.
Einfluß der Denkungsart über die Weiber, auf die Beurtheilung des Werths der Geschlechtsverbindung und der Liebe.

Was das zärtere Geschlecht an Ansehn bey dem Mann gewann, das verlor es vielleicht wieder an derjenigen Macht, welche ihm seine Reitze über das Herz des letztern sichern. Wenigstens gehörte es in das System der Vollkommenheit für das eine Geschlecht diese Macht nicht einzuräumen, und für das andere, sich ihrer zu entäußern.

Zur Erhebung über alle Sinnlichkeit, zur Selbsttödtung und vollkommenen Lauterkeit, scheint die Enthaltsamkeit von allen sinnlichen, besonders körperlichen, Freuden zu gehören. Die Neuplatoniker und die Christen glaubten beyde, daß jeder Genuß, der die sinnliche Natur des Menschen vergnügen könne, die geistige herabwürdige. Jungfräuliche Züchtigkeit war bey den ersten eine Hauptbedingung, wenn die Operationen der Mystik und Magie gelingen sollten, und bey den letzten war es eine Lieblingsmeinung, daß wenn Adam dem Schöpfer gehorsam geblieben wäre, er ewig im Zustande jungfräulicher Reinheit gelebt, und irgend eine unsträfliche Fortpflanzungsart das Paradies mit einem Geschlechte unschuldiger und unsterblicher Wesen bevölkert haben würde. Eine Abneigung vor der Ehe war davon die nothwendige Folge, und dieß heilige Band ward bloß als ein nothwendiges Mittel zur Fortsetzung der Menschengattung, und als ein Damm gegen die zügellosen Begierden unvollkommener Menschen betrachtet.

Freundschaft ließen jedoch die strengsten Sittenlehrer zwischen beyden Geschlechtern zu, und wirklich konnte in dieser Zeit ihr wahrer Begriff auf diese Verhältnisse passen. Denn hier trafen Mann und Weib in dem Genuß einerley Lieblingsneigung, nehmlich der nach dem Unsinnlichen, zusammen. Und so war der heilige Hieronymus der Freund der Marcelle, Eustochium und Pauline.

Aber in Leidenschaft durfte diese Freundschaft nicht ausarten! Keine Spur von jenem Vergleiche zwischen der Natur und den Forderungen einer eingebildeten Vollkommenheit, der den geistigen Genuß körperlicher Schönheit gestattet! Nichts von jener Vorbereitung zu der exstatischen Liebe zu Gott, auf der Stufe der Begeisterung für sein Ebenbild in dem reitzenden Weibe! Nein! alle Liebe zur Kreatur war ein Raub an der Liebe Gottes und des Himmels begangen. Jede andre Leidenschaft war nach der Meinung derjenigen, die einem höhern Grade von Vollkommenheit nachstrebten, eine Geburt sträflicher Sinnlichkeit, und ein Werk des Teufels!

Doch zu diesem Grade konnten nur wenige gelangen; und der größte Haufe gab sich, im völligen Gefühl der Unzulänglichkeit seiner Kräfte, nicht einmahl die Mühe, darnach zu ringen. Auch nahm man nach dem gangbaren Sittensysteme eine gemeine und eine höhere Tugend an, von denen die erste innerhalb der Regionen der Sinnlichkeit stehen blieb.

Für Menschen, welche sich mit dieser begnügten, behielt die leidenschaftliche Liebe zum Weibe noch ferner ihre Reitze. Aber sie gewann unstreitig durch die Bemühung ihr manche Züge zu leihen, welche dem Ideale der höheren Vortrefflichkeit abgestohlen waren. Das Weib wird im schönsten Lichte dargestellt, geziert durch Keuschheit und jede feinere weibliche Empfindung. Der Mann beweist ihm die Achtung deren es würdig ist, die Liebe zu den Lieblingen verschwindet, und die Ehe wird entweder der Zweck des Liebesverständnisses, oder das Band, dessen treue und standhafte Bewahrung man an beyden Geschlechtern als eine Tugend verehrt, und mit Interesse begleitet.[WS 53]

Bis jetzt war die Klasse wohlerzogener und wohlhabender Bürger in ihren Begriffen über Zucht, Ordnung und Vortrefflichkeit, durch Rücksichten auf das Wohl des Staats, und die Gefühle einer verfeinerten Sinnlichkeit geleitet worden. Was jenem Vortheil brachte, das war gut; was in dieser den Genuß auf die Dauer erhöhete, das war anständig. Aber die Menschen, die in dieser Periode lebten, hatten keinen Staat mehr, sie hatten nur eine Welt, in der die Frommen Gesetze gaben, welche alle Sinnlichkeit verdammten. Die gute Sitte, welche nie ganz den Gesetzen widerspricht, suchte diese mit der Schwäche ihrer Anhänger zu vereinigen, und nahm so viel davon an, als nöthig war, keinen offenbaren Streit mit einer kosmopolitischen Tugend zu bestehen.

Fünftes Kapitel.
Denkungsart der Sophisten und Grammatiker.

Seit den Zeiten des Septimius Severus bemächtigten sich die Asiaten der griechischen Litteratur, und seit dieser Zeit war der gute Geschmack verloren. Man begnügte sich nicht mehr den Alten nachzuahmen, man plünderte sie, und zierte mit den kostbaren Flicken die man ihnen entrissen hatte, ein Gewand, das eine regellose Phantasie, und ein schwülstiger Witz gewebt hatten. Von jetzt an, verdrängten die Schönredner (Rhetoren oder Sophisten) den Dichter. Mit ihnen vereinigte sich ein pedantisches Heer von Kritikern, Kompilatoren und Kommentatoren der Alten, bekannt unter dem Nahmen der Grammatiker. Beyde bildeten zusammen eine Zunft, die von Raub und Betrug lebte, und zugleich mit der religiösesten Anhänglichkeit an den Sitten und Gebräuchen des Alterthums hing. Eine wahre litterärische Judenschaft in jedem Betracht. Sie plünderten die Alten, sie logen ihnen Werke von ihrer Art an, und sahen den Glanz des Zeitalters des Perikles und Alexanders durch einen eben so dicken Nimbus ungewisser Traditionen, als wodurch der Jude den Flor des Israelitischen Staats unter den Richtern und Maccabäern betrachtet. –

Diese Zunft lebte gleichfalls in einer unsinnlichen Welt, aber es war nicht die der Gegenwart und der Zukunft, sondern die der Vergangenheit. Sie wollten die Sitten der ersten Philosophen und anderer berühmten Männer des Alterthums wieder hergestellt wissen, ob sie diese gleich aus höchst trüben Quellen kannten.

Die Sokratische Schule hatte Lieblinge geliebt, – darum mußten die Sophisten und Grammatiker dieser Liebe gleichfalls ergeben seyn. Sie lasen von einer Diotima, der Sokrates die Kunst zu lieben abgelernt haben wollte, schnell setzten sie eine Liebesintrigue zwischen beyden zusammen. Epikur sollte eine gute Freundin an der Leontium, Menander an des Glycere gehabt haben; nun mußte sich jeder Philosoph, jeder Dichter eine Beyschläferin zulegen.

Die mehrsten Werke welche uns einige Aufklärung über die Sitten dieser Zeit geben könnten, rühren von solchen Rhetoren und Grammatikern her. Es wird viel Behutsamkeit erfordert, um dasjenige, was Sitte ihrer Zunft ist, von den Sitten ihrer übrigen Zeitgenossen, und Beydes wieder von demjenigen abzusondern, was sie uns für Sitte der Vorwelt verkaufen. Inzwischen bey aller Mühe, die sie angewandt haben, sich in die Periode des Flors von Griechenland hinein zu versetzen, bricht doch die veränderte Denkungsart an unzähligen Stellen durch.

Sechstes Kapitel.
Liebesbriefsteller in Prosa: Philostrat, Alciphron, Aristänet.

Zwey merkwürdige Erscheinungen verdanken wir dieser Periode: die Liebesbriefe und die Liebesgeschichte, beyde in Prosa. Die ersten sind an die Stelle der Heroiden und Elegien getreten, nachdem man keine Verse mehr zu machen verstand, oder sie nicht mehr lesen mochte.

Unter den Gelehrten, welche Julia Domna um sich hatte, war Philostrat: ein Mann dessen schlechter Geschmack auf die Produkte der Nachkommenschaft den wichtigsten Einfluß gehabt hat. Außer dem Leben des Apollonius Tyanensis, dessen ich in der Folge noch weiter gedenken werde, verdanken wir ihm eine Sammlung von Liebesbriefen, in denen beynahe alle Ideen über die Verfeinerung der Liebe angetroffen werden, welche das Mittelalter aufweiset. Besonders aber scheint sein gesuchter und schwülstiger Styl seinen Nachkommen zum Vorbilde des Ausdrucks in den Darstellungen der Liebe gedient zu haben.

Man kann die Briefe des Philostrat als Redeübungen ansehen, als Deklamationen, als Muster, wie man in verschiedenen Situationen an Lieblinge und Geliebte schreiben soll. Oft findet man über eine und die nehmliche Situation mehrere Briefe. Allemahl aber ist ebendasselbe Süjet wenigstens zweymahl behandelt: anders für den Liebling, anders für das geliebte Weib.

Schon hieraus läßt sich abnehmen, daß die Sitten beym Philostrat nicht rein sind, und mehrere Stellen beweisen den materiellen Zweck, den er bey der Verbindung mit den Lieblingen vor Augen hatte. [141] Die Verfeinerung der Liebe besteht darin, daß die körperlichen Freuden durch Schwierigkeiten, die sich ihrem Genuß entgegen setzen, erhöhet werden, und daß er dem Ausdruck der Begierde einen Schmuck zu leihen sucht, welcher der Einbildungskraft der Leser Unterhaltung gewähren soll. Man findet bey ihm zuweilen den Witz der Empfindung, [142] aber nie hört man das Herz reden.

Besonders merkwürdig wird Philostrat durch den Ton der Galanterie, der hier schon so ausgebildet angetroffen wird, als er nur nimmer in den Romanen des vierzehnten und funfzehnten Jahrhunderts[WS 54] erscheinen kann. Gelehrte Anspielungen, gesuchte Vergleichungen, steife Antithesen, abentheuerliche Gesinnungen, ungeheure oder ärmliche Bilder, machen den Charakter seines Styls aus.

„Verstohlne Freuden, sagt er, sind allemahl die süßesten, und die Gefahr, mit der sie erkauft werden, erhöht ihren Reitz.“ [143] „Augen, heißt es an einer andern Stelle, sind die Rathgeber der Liebe. Du aber liebst einen Jüngling der bloßen Beschreibung nach. Dieß können nur diejenigen thöricht finden, die nicht wissen, daß auch die Seele Augen hat.“ [144]

„Du bist nicht aus der Luft zusammengesetzt, und aus Dingen, die sich mit dieser vermischen, sagt Philostrat zu seinem Lieblinge: Stein, Demant, und der Styx sind die Elemente aus denen du zusammengesetzt bist.“ [145] – „Das Getränk das du credenzest, sagt er zu dem geliebten Weibe, wird mit Küssen gemischt, und die Gläser werden durch deine Berührung in Gold und Silber verwandelt.“

„Ich sende dir einen Rosenkranz, schreibt er an einer andern Stelle, nicht weil ich glaubte daß er dich schmücken könne, sondern damit du ihn schmücken mögest. Ich sende dir diese Blume nicht um dich zu ehren, sondern[WS 55] damit du ihnen die Gnade widerfahren lassest, an deiner Seite später zu vertrocknen.“ [146]

„Sende mir einen Theil der Rosen zurück, auf denen du geschlafen hast. Dann wird der Reitz ihres angebornen Duftes noch durch denjenigen vermehrt werden, den du ihnen mitgetheilt haben wirst.“ [147]

„Meine Rosen waren frisch, als ich sie dir zusandte. Woher kommt es, daß sie vertrocknet sind, nachdem sie bey dir angelangt waren? Ich weiß es nicht. Doch! ich errathe! Sie ertrugen es nicht, von dir an Schönheit übertroffen zu werden, und sie verloren ihren Duft, sobald sie deine duftendere Haut berührt hatten. So verlieren die Sterne ihren Glanz beym Aufgange der Sonne.“ [148]

„Laß mich nur ein Haar von deinem Kopfe nehmen. Dann wirst du mir Rosen geschenkt haben, die immer duften und nie ersterben.“ [149]

„Verlangst du meinen Tod, Grausamer! So nimm dein Schwert! Ich weigre mich nicht! Stoß zu. Ich bitte dich nur um eine Wunde.“ [150]

Der 50ste Brief übertrifft alle übrigen an abentheuerlichem und spielendem Witze.

„Vögel setzen sich in Nester, Fische in Felsenhöhlen, schöne Gestalten in Augen. Aber jene hausen nur auf kurze Zeit in dem eingenommenen Aufenthalte; die schöne Gestalt weicht niemahls aus dem ihrigen. So habe ich dich gleichfalls aufgenommen, und führe dich in dem Netze meiner Augen allenthalben mit mir herum. Gehe ich über Gras, so scheinst du daselbst zu weiden, und selbst die Steine, auf denen du sitzest, zu bewegen. Bin ich auf dem Meere, so steigst du wie eine Venus daraus hervor. Bin ich auf der Wiese, so ragst du über alle Blumen weg. Kein Gewächs ist dir ähnlich: denn so schön es erscheint, so dauert es doch nur einen Tag. Steh’ ich am Flusse, so verschwindet er; du fließest an seiner Statt dahin: groß, schön, ansehnlicher als selbst das Meer! Seh’ ich den Himmel an, so scheint mir die Sonne herabgefallen zu seyn, unter dir zu schweben, und du an ihrer Stelle zu leuchten. Kommt endlich die Nacht heran, so seh’ ich zwey Sterne: den Hesperus und dich.“

Ungefehr mit gleichen Ideen über die Verfeinerung der Liebe angefüllt, aber gezüchtigter in den Reitzen, die er von der Einbildungskraft und dem Witze für sie entlehnt, auch in näherer Vertraulichkeit mit den Forderungen des Herzens, zeigt sich Alciphron, wahrscheinlich in der nehmlichen Periode mit Philostrat. Ihm verdanken wir eine Anzahl von Liebesbriefen, die den berühmtesten Hetären und ihren Liebhabern aus den Zeiten des Perikles und Demetrius Phalereus beygelegt sind. Es würde wenig Kritik verrathen, diese Briefe für vollgültige Zeugnisse über den Charakter der nahmhaft gemachten Hetären und ihrer Lebensart gelten zu lassen. Alciphron hat zu einer Zeit gelebt, worin er über diese Weiber aus den blühendsten Zeiten Griechenlands nur nach unzuverlässigen Traditionen urtheilen konnte. Er hat sie so geschildert, wie er sie sich von seinem Standpunkte ab dachte, und er hat jene Ueberlieferungen auf die Erfahrungen zurückgeführt, die er über die Sitten seines Zeitalters gemacht hatte. Ueberhaupt aber ist es ihm gewiß weniger darauf angekommen, wahre Darstellungen der Hetären und ihrer Verhältnisse zu liefern, als vielmehr einen Stoff zu finden, an dessen Behandlung sich sein Rhetortalent üben konnte. Denn schön zu sprechen und zu schreiben, gleich viel worüber, darauf kam es den Rhetoren an: so wie noch jetzt beym Verfall der Italiänischen Poesie, die Kunst der Improvisatoren dahin geht, über alles Reime machen zu können. Der große Haufe der Hetären erscheint bey ihm in dem Lichte, worin die Buhlerinnen aller Zeiten erschienen seyn müssen: als Weiber deren Gunst für Geld feil ist, und deren größtes Talent darin besteht, den Liebhaber durch Hoffnungen hinzuhalten, um desto mehr Gewinn von ihm zu ziehen. [151] Neidisch auf ihre Nebenbuhlerinnen, rachsüchtig, unbekümmert um das Wohl ihrer Liebhaber, ist ihnen jedes Mittel gleichgültig das sie zu ihrem Zwecke führt. [152] Die Unterhaltungen die sie unter sich aufsuchen, zeugen von der niedrigsten Ausgelassenheit. [153] Verfeinerte Lüsternheit, kosendes Geschwätz, Gesang und Spiel sind diejenigen, mit denen die gebildeteren ihre Liebhaber belustigen. [154]

Dieß Bild trifft ziemlich mit dem Charakter der heutigen Buhlerinnen in den größeren Städten von Europa zusammen. Einige wenige zeichnen sich inzwischen beym Alciphron durch Uneigennützigkeit, wahre Liebe, Treue und höhere Talente aus.

Zu diesen gehört besonders die Geliebte des Menander, Glycera. Der Brief, den sie an ihren Liebhaber schreibt, [155] ist voll von den liebendsten Empfindungen, und verräth zu gleicher Zeit so viel wahre Weiblichkeit, daß er der Kenntniß des Verfassers von den verborgensten Falten des menschlichen Herzens wahre Ehre macht. Es ist unmöglich, ihn zu lesen, ohne die Süßigkeit eines solchen Verhältnisses für einen Mann von schönerem Genie zu fühlen. Es herrscht ein Geist darin, wie er mehrere Jahrhunderte später über den Briefen der Heloyse an Abelard gewehet hat. Ich setze ihn seinem Hauptinhalte nach hieher.

Die Veranlassung ist folgende: Menander war vom Könige Ptolomäus eingeladen worden, nach Aegypten zu kommen, um dort einige seiner Schauspiele vor ihm aufführen zu lassen. Er fragt seine Glycera um Rath, ob er den Ruf annehmen soll. Darauf antwortet Glycera: sie habe den Brief gerade zu einer Zeit empfangen, als sie Gesellschaft zum Abendessen bey sich gehabt habe. Auch die gute Freundin sey bey ihr gewesen, die oft die Aufmerksamkeit des Menander durch ihren attischen Ausdruck auf sich gezogen habe. „Weißt du es noch, fragt sie neckisch, in welche Verlegenheit du bey dem Lobe kamst, das du ihr ertheiltest? Wie ich dich damit aufzog, und lächelnd Küsse auf deinen Mund drückte?“ – Wie fein, wie gutherzig zugleich! wie abstechend von der Verfahrungsart der mehrsten Weiber dieser Art! Dieser einzige Zug mahlt den ganzen Charakter.

„Alle Anwesende sahen mich an, fährt Glycera fort, und wunderten sich des frohen Eindrucks den dein Brief auf mich machte. Was erfreuet dich so sehr? fragten sie. Mein Menander ist vom Könige Ptolomäus gefordert, rief ich laut, und schwenkte dabey den Brief mit dem königlichen Siegel.“ – Ein Zug der weiblichen Eitelkeit abgestohlen! – „Freuest du dich denn, daß dein Geliebter dich verlassen wird, fragten die Gäste. Gewiß nicht, sagte Glycera, er wird mich nicht verlassen. Der König spielt in seinem Briefe auf unsre Verbindung an: und auch das freuet mich, daß die Nachricht davon nach Aegypten gekommen ist. Aber wie kann er sich vorstellen, daß Athen zu ihm kommen werde. Denn was ist Athen ohne den Menander, und was ist Menander ohne Glycera? Bin ich ihm nicht zur Einrichtung seiner Schauspiele nothwendig? Bin ich es nicht, die ihn auf den Beyfall, den sie erhalten, aufmerksam macht, und ihn in meinen Armen Muth und Erhohlung finden lasse? Nein, lieber Menander, was mich freuete, war, daß nicht bloß deine Glycera, sondern daß auch Könige jenseits des Meeres dich lieben, und daß dein Ruf sich allenthalben hin verbreitet. Mögen nun diejenigen, die dich sehen wollen, nach Athen kommen, dich bey deiner Glycera suchen, und mein Glück bewundern: hier diesen Menander anschauen, der durch seinen Ruf überall, mit seiner Person aber nur bey mir lebt! Wünschest du inzwischen die Merkwürdigkeiten Aegyptens zu sehen, o! so schiebe mich nicht vor, um deine Weigerung zu begründen. Gieb nicht zu, daß die Athenienser mich darum hassen; sie, die schon das Getreide messen, das der König ihnen um deinetwillen senden wird. Reise mit allen guten Göttern, aber auch mit deiner Glycera. Denn daß ich zurückbleiben sollte, darauf rechne nicht! Ich könnte es nicht, wenn ich auch wollte. Nein! Ich verlasse Mutter und Schwestern, um mit dir zu Schiffe zu gehen. Ich vertrage die Seereisen sehr gut, und ich will dich pflegen wenn du von der Seekrankheit leidest. Eine zweyte Ariadne, werde ich dich, zwar nicht den Bacchus selbst, aber seinen Diener und Priester, nach Aegypten führen. Und du wirst mich in keiner Einöde verlassen. Ich fürchte nicht von dir die Untreue eines Theseus. Jeder Ort, Athen und der Piräeische Hafen und Aegypten, wird unserer Liebe einen gleich festen Boden darbieten. Und sollten wir auf Felsen verschlagen werden, so wird auch da der Sitz der Liebe für uns bereitet seyn.“

„Ich weiß, fährt sie fort, daß du weder Schätze noch Geld suchst. Du setzest dein Glück in mich und deine[WS 56] Kunst. Aber du hast Verwandte, Vaterland, Freunde, die viel bedürfen, und durch dich reich werden wollen. Ich kenne dich! Du wirst mich nie eines großen oder kleinen Unfalls wegen anklagen, den ich dir zugezogen haben könnte. Seit langer Zeit bist du mir mit leidenschaftlicher Liebe ergeben gewesen, und jetzt ist Ueberlegung hinzugetreten. Dieß kettet mich noch mehr an dich, weil ich die kurze Dauer deiner Gesinnungen nicht mehr zu fürchten brauche.“ Denn eine Zuneigung, die nur auf Leidenschaft beruht, ist eben ihrer Heftigkeit wegen leicht vergänglich. Aber wenn das Band der Herzen sich auf Vernunft gründet, dann ist es unauflöslich. Es erhält dann neue Reitze durch die Uebereinstimmung der Sitten, und wird über die Furcht der Auflösung erhoben. „Sprich du selbst, du, der du mich dieß alles gelehrt hast! Also wie gesagt: ich fürchte nicht deine Vorwürfe. Aber ich fürchte die Atheniensischen Wespen, die mich anklagen werden, als ob ich ihnen durch meinen Rath einen Mann entzöge, der ihnen so viel Geld einbringt, daß sie ihn als den Gott des Reichthums betrachten. Laß uns daher die Sache noch weiter überlegen, Freunde und Götter zu Rath nehmen. – Ich will mich unterdessen gewöhnen, mein Vaterland und mein Landhäuschen nach und nach zu vergessen. Ich begreife noch nicht, wie ich mich von dem Allen trennen werde. Aber du kannst dich von mir nicht trennen. Du gehörst mir ganz an. Und wenn alle Könige an dich schrieben, ich würde dir mehr werth seyn, als ihre Gunst. Du bist treu, eingedenk deiner Schwüre. Aber komm bald zur Stadt, damit du, wenn du reisen willst, die Schauspiele aussuchest, die dem Könige am mehrsten gefallen werden. Ich rathe dir zu diesem und jenem (hier folgen die Nahmen einiger Schauspiele des Menander.) Doch bin ich nicht zu verwegen, daß ich dir im Urtheile über deine Stücke vorgreife! Aber hat nicht deine Liebe dafür gesorgt, daß ich auch dieß beurtheilen kann! Du hast mich belehrt, daß ein Weib mit einigen Anlagen leicht von seinen Liebhabern lerne: daß Liebe uns leicht etwas beybringe, und daß nur die Unempfindlichen sich durch Ungelehrigkeit Eurer unwürdig machen. Ich bitte dich, lieber Menander, nimm auch diejenige Komödie mit, in der du mich aufgeführt hast, damit ich mit dir zum Ptolomäus reise, wenn du mich zurücklassen solltest. Er wird um so mehr fühlen, was er über dich vermag, wenn du nur das Bild deiner Geliebten mit dir nimmst, und das Original zurückläßt. Doch! wird auch dieß nicht zurückbleiben, verlaß dich darauf. Ich will lernen, dein Steuermann zu seyn, und dich selbst überführen u. s. w.“

Ein dritter Schriftsteller, der die Liebe zum Stoff seiner Redeübungen in der Briefform genommen hat, wird Aristänet genannt, so ungewiß es ist, ob die Sammlung die unter diesem Nahmen geht, ihm wirklich gehöre. Wer aber auch der Verfasser seyn mag; so ist es höchst wahrscheinlich, daß er nach dem Philostrat und Alciphron gelebt habe. Bey den vielen Unanständigkeiten, die in diesen Briefen vorkommen, fällt es doch auf, daß der Männerliebe keine Erwähnung darin geschieht. Ein Beweis, daß sie aus Zeiten herrühren, worin man das Schändliche dieser Ausgelassenheit immer mehr zu fühlen anfing. Auch zeigen sich hin und wieder Spuren der Verschämtheit bey den Weibern, die nicht zur Classe der Freudenmädchen gehören, welche früheren Zeiten nicht eigen sind. So wird von der Cydippe gesagt, sie habe die Liebeserklärung, die Acontius auf einen Apfel geschrieben hatte, nicht auslesen wollen:

„Denn wohlerzogene Mädchen errötheten, wenn sie nur von Heirath reden hörten. [156]

Es sind im Grunde nur wenig Stücke in dieser Sammlung, die den Nahmen von Briefen verdienen, wenn gleich die Personen, von denen sie geschrieben seyn, und die sie empfangen haben sollen, darüber stehen. Man könnte sie besser abgerissene Stylübungen über die Liebe nennen. Einige enthalten Lobeserhebungen geliebter Personen: andere kleine Erzählungen u. s. w.

Aristänet verräth hin und wieder Gesinnungen wahrer Liebe. Der neunte Brief des zweyten Buchs scheint dem Tibull abgestohlen zu seyn. Der Liebende, der ihn schreibt, fürchtet die Strafe des Meineides für seine untreue Geliebte, und diese Besorgniß kümmert ihn noch mehr als die Beleidigung, die er erfahren hat. Er entschuldigt sie, und klagt nur sein Schicksal an. Er fleht die ewige Gerechtigkeit an, sie nicht zu strafen. Sollte sie auch wieder fehlen, so will er sie dennoch nicht gestraft wissen, und leichter sein Unglück, als das Bewußtseyn des ihrigen tragen. –

An einer andern Stelle [157] verräth er sehr verfeinerte Begriffe von dem Genuß der Geschlechtssympathie. Der entzückte Liebhaber erhebet die Gestalt seiner Geliebten, und fährt dann fort: „Nicht bloß ihre Gestalt, auch ihre Sitten gefallen mir. Denn, ob sie gleich zum Stande der Hetären gehört, so bewahrt sie doch ihre natürliche Einfachheit. Ihr Charakter ist tadellos, und ihr Betragen weit über ihrer Lage. Sie hat mich durch ihre Unschuld gewonnen. Das geringste Geschenk das ich ihr darbringe, nimmt sie mit Dankbarkeit an, anstatt daß andre Weiber ihres Standes alles mit Verachtung erwiedern. Der Reitz unsers traulichen Beyeinanderseyns nimmt nie ab. Was soll ich von den heimlichen unnennbaren Freuden der Liebe sagen? Wie weiß sie meine Begierden zu entzünden! Wie angenehm, wie süß ist der Duft, den sie ausathmet! Oft ruhe ich ohne Schlaf ganze Nächte durch auf ihrer Brust, und küsse jeden Schlag ihres Herzens auf! O wie irren diejenigen, die nur einen Weg zur Wollust kennen! Häßliche können keine wahre Freuden geben. Freylich stillt man bey ihnen ein Bedürfniß, wie man den Hunger mit Speise stillt; aber Schönheit giebt Nahrung und Wohlgeschmack zugleich. Wie glücklich macht die Geliebte meine Tage! Man sagt, daß Abwesenheit die Liebe schwäche, und das Sprichwort: wohl aus den Augen, wohl aus dem Sinn, ist bekannt. Aber ich schwör’ es bey den Reitzen meiner Pythias! ich bin mit gleichem Verlangen, mit gleicher Liebe zu ihr zurückgekehrt. Ja! meine Liebe hat sich durch Abwesenheit noch vergrößert: meine Sehnsucht nach ihr hat sich verstärkt. Ich danke dem Schicksal, daß ihr Andenken sich immer lebhaft bey mir erhält! Und so kann man den Vers des Homers auf uns anwenden:

Freudig fügten sie sich in die Bande der dauernden Liebe.“

Beym Aristänet finden wir die erste Spur jener freywilligen Enthaltsamkeit vom unnennbaren Genusse, in der Absicht, die körperliche Lüsternheit zu erhöhen und vor Sättigung zu bewahren. [158] An andern Stellen wird der Grundsatz aufgestellt, daß Entbehrung[WS 57] das Vergnügen erhöhe und dauernder mache: [159] daß die Vereinigung am süßesten sey, die durch Ueberwindung von Schwierigkeiten, Unruhe und Mühe erkauft wird: [160] und daß die Liebe oft durch verstellte Untreue herbeygeführt werde. [161] Kurz! die Grundsätze der Intrigue und der feineren Koquetterie finden sich hier bereits sehr ausgebildet. Natürliche Folge davon ist, daß diejenige Begeisterung bey dem Liebhaber entsteht, die den Hauptgenuß der Verbindung darin setzt, zu lieben und geliebt zu werden, die Schöne anzuschauen, und mit ihr zu reden. [162]

Ideen von Dienstleistung, Angehörung, Knechtschaft, dergleichen die Romane aus den Ritterzeiten so häufig aufweisen, erscheinen hier schon ganz bestimmt und klar. [163]

Ueberhaupt wird man die Uebereinstimmung der Galanterie des Mittelalters mit den Ideen des Aristänets über die Liebe nicht verkennen können. Eben so auffallend ist die Aehnlichkeit so vieler Züge bey unserm Verfasser, mit denen in den Romanen seiner Zeitgenossen. So wie in diesen wird das erste Entstehen der Liebe von den Zusammenkünften der beyden Geschlechter in den Tempeln abgeleitet. [164] So wie in diesen ist das Wechseln des Bechers bey Trinkgelagen, als Symbol des Kusses, ein sehr gewöhnlicher Genuß der Liebenden. [165] So wie in diesen werden die Liebenden oft bloß darum in gewisse Situationen hinein versetzt, um Beschreibungen anzubringen. [166] So wie in diesen endlich werden die Aeußerungen der Lüsternheit mit ansteckendem Feuer beschrieben, [167] ihr Genuß äußerst fein gefühlt, [168] und besonders der Kuß als die unmittelbare Vereinigung der Seele geschildert. [169]

Uebrigens findet man beym Aristänet manchen Beytrag zur Kenntniß der Hetären seiner Zeit. Nach der Schilderung, die er von ihnen liefert, müssen sie den hervorstechenderen Buhlerinnen in Paris ziemlich geglichen haben. So findet man, daß einige unter ihnen von Neulingen ihres prächtigen Aufzugs wegen für vornehme Damen gehalten wurden, die sich dennoch dem erfahrneren Auge des Kenners auf den ersten Blick verriethen. [170] Der ganze Auftritt könnte ins Palais Royal, (so wie es vor der Revolution war) hinein verlegt werden. Einige unter den Hetären sahen weniger auf Reichthum als auf Schönheit, und folgten ihren Launen. [171] Einige waren auf dem Theater: machten dort ihr Glück: gewannen durch die Celebrität ihrer Talente an Reitzen: hingen sich an einen Liebhaber, und wußten diesen so zu fesseln, daß sie durch ehliche Bande zum Range der Matronen erhoben wurden. Nun veränderte sich ihr ganzes Betragen, ja, sogar ihr Anstand, in Gang, Tracht und Reden. Sie nahmen einen Ton von Ehrbarkeit an, der ihnen so natürlich wurde, als ob sie ihn von Jugend auf beobachtet hätten. Sie veränderten ihren Nahmen, und konnten nicht empfindlicher beleidigt werden, als wenn man sie durch den Gebrauch des abgelegten an ihren vorigen Stand erinnerte. [172]

Ueberall zeigt sich Aristänet als einen sehr feinen Kenner der Welt und besonders des weiblichen Geschlechts. Wie wahr die Bemerkung, daß schöne Männer diesem oft durch den zu hohen Werth mißfallen, den sie auf ihre Figur legen, und daß sie durch das Gefühl beleidigt werden, daß der schöne Mann sie durch seinen Beyfall zu beehren glaubt. [173] Aber wie viel beweist dieß zugleich für das wachsende Ansehn des zärteren Geschlechts in der Gesellschaft!

Siebentes Kapitel.
Allgemeine Bemerkungen über das Wesen der griechischen Liebesgeschichten, ihren Ursprung und ihre Arten.

Es ist bekannt, daß man unter dem Nahmen der griechischen Erotiker einige Schriftsteller des späteren Alterthums zusammengefaßt, deren Arbeiten mit unsern heutigen Liebesromanen eine große Aehnlichkeit haben, und wahrscheinlich die ersten Vorbilder derselben gewesen sind.

Man hat viel über ihren ersten Ursprung gestritten. Um ihn zu bestimmen, hätte vorher der Begriff dieser Liebesgeschichten näher festgesetzt werden sollen.

Das Charakteristische dieser Kompositionen beruht theils in ihrem Inhalte, theils in ihrer äußern Form.

1) Den Stoff geben immer Begebenheiten her, denen man ihrer außerordentlichen Ursachen, Folgen und Verkettung wegen, sogleich das Erdichtete anmerkt. Es sind wunderbare Geschichten. In so fern gehören sie ins Gebiet der Imagination, und müssen nach den Regeln der Wahrheit, die in diesem gelten, beurtheilt werden. Allein sie gehen doch nicht dergestalt aus dem Kreise der wirklichen Welt (vorzüglich nach den Ideen der Zeitgenossen, für die sie geschrieben waren) heraus, um uns in eine Ideenwelt hineinzuschieben, worin übernatürliche Kräfte eben so übernatürliche Wirkungen hervorbringen. Es sind also nicht unglaubwürdige, sondern nur erstaunungswerthe Begebenheiten, die den Stoff zu diesen Liebesgeschichten hergeben. Dieß unterscheidet sie denn ihrem Inhalte nach eben so sehr von der wahren Geschichte, als von der Fabel und dem Mährchen.

2) Die Einheit und das Hauptinteresse dieser Begebenheiten beruht allemahl auf Verwickelung und Auflösung des Schicksals eines liebenden Paars, durch Entstehung und Wegräumung derjenigen Hindernisse, die sich seiner Vereinigung entgegen setzten. Dieser Umstand unterscheidet die Liebesgeschichte dem Inhalte nach von der Epopoe, von dem Romane, der nicht die Liebe zum Gegenstande hat, von der Biographie, und von jeder Erzählung, deren Zweck nicht dahin geht, einen Knoten in den Schicksalen liebender Menschen zu schürzen und aufzulösen.

3) Die Absicht dieser Kompositionen ist nicht diese, eine Situation, eine Katastrophe, sondern eine Reihe von Begebenheiten zu erzählen, die durch ihren innern Zusammenhang mit dem Zwecke, der Ueberwindung großer Hindernisse zur Vereinigung zweyer Liebenden, ein Ganzes bilden. Dieß unterscheidet die Liebesgeschichte von der kurzen Erzählung, von dem Schauspiele, u. s. w. schon dem Inhalte nach.

4) Die Form ist nicht die der bildlichen Darstellung, wie der Dichter sie braucht: aber sie ist auch nicht die des Vortrags der Wahrheit, wie der Geschichtschreiber sie anwendet, um zu überzeugen, zu belehren und zu nutzen. Der Erotiker braucht den Ton des rednerischen Beschreibers, der die Neugier spannen, die Phantasie beflügeln, das Herz rühren will, um gegenwärtige Unterhaltung zu gewähren.

5) Aber er rechnet auf Unterhaltung in einem längeren Zeitraume, mehr für den Leser als für den Zuhörer. Er ist umständlich, detailliert in seinen Beschreibungen, und überhaupt weitläuftiger, als man es dem bloßen Anekdotenerzähler, dem unterhaltenden Gesellschafter, selbst dem Volksredner auf der Bühne erlauben würde, welcher der Neugier einer gaffenden Menge durch wunderbare Geschichten Nahrung giebt.

Nach diesen Kennzeichen läßt sich der Begriff der griechischen Liebesgeschichte dahin angeben: Sie ist rednerische Beschreibung einer Reihe wunderbarer Begebenheiten innerhalb des Gebiets des gemeinen Lebens, deren Einheit und Hauptinteresse auf der Ueberwindung derjenigen Hindernisse beruht, die sich der Vereinigung eines liebenden Paares entgegen setzen.

Wenn man den Begriff der griechischen Liebesgeschichten so gefaßt hat; so wird man leicht einsehen, daß uns wenigstens keine Spur von einem solchen vor der Zeit der Antoninen verfertigten Werke übrig geblieben ist. Ganz etwas anders ist es, in andern Zusammensetzungen der Einbildungskraft dem Ursprunge der griechischen Liebesgeschichten nachspüren zu können; ganz etwas anders diese in ihrer vollständigen Form in früheren Zeiten vorfinden.

Die Milesischen Fabeln sind höchst wahrscheinlich Erzählungen unglaublicher Begebenheiten gewesen, zu denen die Liebe zuweilen, aber gar nicht ausschließlich, den Stoff hergegeben hat. Liebesgeschichten kann man sie eben so wenig nennen, als die Feenmährchen der neueren Litteratur.

Die Odyßee des Homer würde eher diesen Nahmen verdienen, wenn das Interesse, welches die Trennung des Ulysses von der Penelope und ihre Wiedervereinigung erweckt, die Axe wäre, um die sich das Ganze drehte, und wenn der Vortrag mindern Anspruch auf poetische Darstellung machte. Aber Homer hat gewiß nicht die Absicht gehabt, uns vorzüglich mit den Schicksalen der beyden Ehegatten, als eines liebenden Paars, zu unterhalten, und sein Ton ist keinesweges derjenige, eines rednerischen Beschreibers.

Unstreitig hat die Tragödie des Euripides, die den Nahmen Helena führt, so vieles von der griechischen Liebesgeschichte an sich, daß sie mit sehr geringer Mühe dazu umgeschaffen werden könnte. Eben dieß gilt von mehreren Komödien beym Terenz und Plautus. Aber es ist auffallend, daß nur eine Hauptsituation, eine Katastrophe aus dem Leben des liebenden Paares, nicht die ganze Reihe der Schicksale ihrer Liebe dargestellt wird, und daß die dialogische Form der rednerischen Beschreibung völlig widerspricht.

Viel näher liegen den griechischen Liebesgeschichten die Geschichten wunderbarer Begebenheiten, von denen uns Photius [174] eine, unter dem Titel: von den wunderbaren Merkwürdigkeiten der Insel Thula, im Auszuge aufbewahrt hat. Der Verfasser, Antonius Diogenes, hat kurz nach Alexander dem Großen gelebt. Nach diesem Auszuge zu urtheilen, hat Diogenes im Tone des wahren Geschichtserzählers geschrieben, und seine Absicht ist dahin gegangen, die Neugier seiner Leser durch umständliche Beschreibungen zu spannen und zu befriedigen, die zugleich ihre Phantasie in eine ungewöhnliche Thätigkeit versetzen sollten. Dieß hat viel vom Charakter des Romans. Es kommen sogar zwey Liebende, Dinias und Dercillis, darin vor. Demungeachtet kann man dieß Produkt für keine Liebesgeschichte halten. Dinias und Dercillis spielen bloß die Rollen leidender Wesen, denen viel Wunderbares begegnet, was aber mit ihrer Liebe in keinem unmittelbaren Verhältnisse steht. Die Ueberwindung der Hindernisse, die sich der Vereinigung des liebenden Paares entgegensetzen, war es nicht, welche den Leser hauptsächlich interessieren sollte. Der Roman schmückte nur die Reisebeschreibung.

Aus eben diesem Grunde kann man die Geschichten des goldenen Esels vom Lucius von Patras, vom Lucian und Apulejus nicht zu diesen Romanen rechnen: um so mehr da die Verfasser gleich durch den Inhalt ankündigen, daß sie Lachen erregen wollen, und auf Ueberzeugung und Rührung, selbst im Gebiete der Beschauung, keinen Anspruch machen.

Die Geschichte der Psyche beym Apulejus hat zwar Vieles, was sie den erotischen Produkten nähert; allein die Begebenheiten der beyden Geliebten gehen nicht allein aus dem Gebiete des gemeinen Lebens heraus, sondern ihre Darstellung ist auch zu kurz, zu gedrängt, als daß sie für etwas anders, als ein kurzes Mährchen gelten könnte.

Das Leben des Apollonius Tyanensis vom Philostrat hat den Geschmack an den Unterhaltungen der Neugier durch eine rednerische Beschreibung wunderbarer Begebenheiten sehr vermehren müssen. Es ist sogar zu glauben, daß die Zauberer, die im Heliodor, und weiterhin in den Romanen des Mittelalters vorkommen, diesem Apollonius Vieles von ihrer Entstehung verdanken. Inzwischen sieht ein Jeder ein, daß diese Biographie nichts von einer Liebesgeschichte an sich trägt.

So nahe nun der Gedanke zu liegen scheint, aus einer Epopoe, aus einem Schauspiele, dessen Interesse auf Liebe beruht, aus der kurzen Erzählung einer Liebschaft, aus einer wunderbaren Geschichte oder Lebensbeschreibung, ein Produkt zusammen zu setzen, das der griechischen Liebesgeschichte gleicht; so gewiß es ist, daß der erste Verfasser einer Liebesgeschichte durch alle jene vorgängigen Produkte der Einbildungskraft, des Witzes und der Empfindung, zu seiner Komposition gleichsam von selbst hingeführt ist; so läßt es sich doch zugleich sehr wohl begreifen, warum Werke dieser Art erst späterhin, entstanden sind. Zweyerley ward dazu erfordert, um ein Publikum zu finden, das daran Geschmack finden konnte. Größeres Interesse an der Intrigue der Liebe, und Verfall des Geschmacks an Poesie und wahrer Geschichte.

So lange der Mensch kein ernsthaftes Geschäft aus dem Bestreben nach Vereinigung mit dem andern Geschlechte macht; so lange wird ihm das Detail der Schwierigkeiten, die sich der Vereinigung eines liebenden Paares entgegen setzen, und die Darstellung ihrer Ueberwindung nie in der Maße interessieren können, um eine weitläuftige Geschichte darüber mit Vergnügen zu lesen. Er wird an einer kurzen Erzählung, wozu die Liebe den Stoff hergiebt, an einer dramatischen Darstellung einer hervorstechenden Situation in den Verhältnissen zweyer Liebenden Vergnügen finden; aber eine Biographie des liebenden Paars, eine Epopoe ihrer Schicksale zu lesen; dazu fehlt es ihm an Geduld.

Ferner: so lange der Dichter im Schauspiele, oder durch Deklamation der poetischen Erzählung dem Zuhörer den feineren und edleren Ausdruck der Liebe, und das Interesse zuführt, welches die Verwickelung der Schicksale zweyer Liebenden gewährt, so lange wird das Publikum dieß nicht in der Form einer rednerischen Beschreibung lesen wollen.

Also erst in der Zeit als der Mensch, von allem politischen Interesse abgezogen, sich um die Verknüpfung der Weltbegebenheiten wenig bekümmerte, den Genuß des Lebens immer mehr in den Freuden der Geselligkeit und engerer Verbindungen suchte, und aus dem Bestreben nach dem Besitz eines Herzens ein ernsthaftes allgemein wichtiges Geschäft zu machen anfing; in der Zeit als zugleich der Geschmack an Wettrennen und Pantomimen das Schauspiel und die Deklamation der Dichter verdrängt hatte; erst da fing man an, die rednerischen Beschreibungen einer Liebesintrigue mit Vergnügen zu lesen.

Nunmehr fanden sich Rhetoren und Sophisten, die Epopoen in wunderbare Liebesgeschichten umschufen, Schauspiele dazu ausspannen, und Idyllen, Lieder, Elegien, ja, jede Art von Redeübungen in dieselben einreiheten.

So entstanden die Erotiker.

Es sind gewiß eine Menge dieser Arten von Liebesgeschichten verloren gegangen. Die erste, von der wir eine gewisse Spur haben, ist im zweyten, die letzte von der wir die Zeit der Verfertigung angeben können, gegen Ausgang des zwölften Jahrhunderts geschrieben worden. Wie vielfache Veränderungen mag der Geschmack unterdessen erlitten haben! Inzwischen sehen sich diejenigen, die uns übrig geblieben sind, noch so ziemlich ähnlich: und dieß hat manche zu der Behauptung verführt, daß der eine allemahl dem andern nachgeahmt habe. Heliodors Liebesgeschichte, Aethiopika, soll die allgemeine Quelle seyn, aus dem alle übrigen geflossen sind.

So wenig sich mit Gewißheit etwas darüber festsetzen läßt, wie die uns noch übrigen Erotiker, (außer dem Jamblich, Heliodor und Prodromus) in der Zeitfolge hinter einander her gelebt haben; so sicher scheint es mir zu seyn, daß sie keinesweges einem und dem nehmlichen Vorbilde gefolgt sind. Sie lassen sich ziemlich bestimmt, dem Inhalte und der Form nach, auf drey Classen bringen, von denen die eine Spuren eines höheren Alters, die zweyte Spuren eines mittleren, die dritte Spuren der Jugend an sich trägt.

Unbekümmert darum ob Jamblich, Chariton und Xenophon früher gelebt haben als Achilles Tatius und Longus, und diese wieder früher als Heliodor und Prodromus; behaupte ich so viel, daß das Original, welches die ersten beyden vor Augen hatten, älter war, als dasjenige, dem die nachher genannten nacharbeiteten, und daß die zuletzt angeführten unstreitig den jüngsten Geschmack unter allen, in ihren Werken verrathen.

Ich werde dieß bey der Anzeige ihrer Werke näher auseinander setzen, und ich will hier nur vorläufig die dreyfachen Charaktere der uns noch übriggebliebenen Erotiker angeben.

Jamblich, Xenophon und Chariton haben in der ältesten Manier geschrieben.

Das Interesse beruht auf der Trennung zweyer bereits vermählter Gatten, und ihrer Wiedervereinigung, nachdem sie von den Verfolgungen mächtiger Nebenbuhler viel gelitten haben. Die Charaktere der Liebenden sind heftig, vordringend, thätig geschildert, und wirken wenigstens eben so viel als die äußern Umstände auf ihr Schicksal ein. Die Begebenheiten haben viel von den wunderbaren Begebenheiten der Mährchen des Lucians und Apulejus an sich, und der Styl nähert sich dem der Geschichte.

Man kann die Liebesgeschichte in dieser Manier wunderbare Geschichten der Standhaftigkelt und Treue zweyer Gatten nennen, etwa wie Menelaus und Helena beym Euripides erscheinen. Trauerspiele, und wie ich noch mehr vermuthe, Pantomimen, haben bey der Bearbeitung zum Grunde gelegen. Schon das Mährchen der Psyche zeigt etwas von dem angegebenen Charakter, und hat wahrscheinlich einer ähnlichen Veranlassung sein Entstehen zu verdanken.

Die zweyte, mittlere Manier finde ich im Achilles Tatius, und Longus.

Hier beruht das Interesse darauf, zwey nicht verheirathete Personen zur engsten Vereinigung in der Ehe zu bringen. Das Ziel der Intrigue ist die Lösung des jungfräulichen Gürtels unter Sanktion der Gesetze. Die Schwierigkeiten liegen aber nicht in der Schamhaftigkeit der Geliebten, sondern in äußern Umständen, in Unerfahrenheit, in der Furcht vor den Folgen. Der Charakter des Liebhabers und der Geliebten, beyde zeigen sich so träumend,[WS 58] leidend und unthätig, als es nöthig ist, um sie zum baaren Balle des Schicksals zu machen. Die Phantasie der Verfasser ist eben so üppig in den Beschreibungen der äußern Verhältnisse, als lüstern in der Darstellung der Empfindungen des liebenden Paares. Der Styl hat alle Fehler der Sophisten und Rhetoren an sich. Die Erotiker aus dieser Classe, scheinen durch die Komödie vorzüglich zu ihren Kompositionen geleitet zu seyn.

Die dritte und jüngste Manier ist die des Heliodor, und seines offenbaren Nachahmers, des Prodromus.

Diese scheint durch die alte Epopoe, besonders durch die Odyssea, auf die Bahn ihrer Kompositionen geleitet zu seyn. Auch hier macht die Vereinigung der beyden Liebenden durch die Heirath das Ziel der Intrigue aus. Aber diese Liebenden sind Helden. Wahre Keuschheit, bey dem Jünglinge sowohl als bey der Jungfrau, Seelenadel, unverbrüchliche Treue und Standhaftigkeit zeichnen sie aus, und sie überwinden durch diese Tugenden alle Hindernisse, die sich ihrer gänzlichen Vereinigung entgegen setzen. Der Charakter des Mädchens wird noch über den des Jünglings emporgehoben, und zieht das Interesse besonders auf sich. Der Styl ist etwas gezüchtigter, als der des Tatius und des Longus, aber rednerischer als derjenige, der die früheste Manier bezeichnet.

Achtes Kapitel.
Jamblichius, Chariton Aphrodinensis und Xenophon.

Der erste Roman, von dem wir Nachricht haben, ist vom Jamblichius. Er führt den Titel: Von den Schicksalen des Rhodanes und der Sinonis, und soll zu den Zeiten des Markus Antoninus geschrieben seyn; also gegen das Ende der vorigen Periode. Ich habe aber bis hieher die Anzeige seines Daseyns verspart, um den Zusammenhang nicht zu unterbrechen.

Wir kennen ihn bloß aus einem Auszuge den Photius [175] uns davon geliefert hat. Es ist schwer, den ganzen Lauf der Begebenheiten aus dem magern und unordentlichen Vortrage dieses Epitomators klar zu übersehen. Aber so viel fällt auf:

1) Die Helden des Romans, Rhodanes und Sinonis, sind verheirathet. Garmus, König von Babylonien, verliebt sich in die Sinonis, und sucht sie in seine Gewalt zu bekommen. Das Interesse beruht auf den Gefahren, welche den beyden Gatten aus dieser Verfolgung für ihre Vereinigung drohen, die jedoch am Ende erfolgt[WS 59].

2) Die Begebenheiten erscheinen theils an sich selbst, theils in ihrer Verkettung äußerst wunderbar. Gespenster, Zauberer, Ungeheuer, kurz, eine Menge übernatürlicher Maschinen spielen dabey ihre Rollen. Inzwischen liegen diese nach den Begriffen der damahligen Zeit nicht außer dem Kreise des Glaubwürdigen, und

3) Die Charaktere der beyden Gatten zeigen eine Selbstthätigkeit, die ihre Schicksale mit regiert. Die Eifersucht der Sinonis geht so weit, daß sie sich sogar mit einem andern Manne vermählt, und Rhodanes nimmt sie seinem Nebenbuhler mit den Waffen in der Hand wieder ab. Endlich

4) versichert uns Photius, daß der Styl des Jamblichius seiner Methode und seiner Würde wegen, sich dem der wahren Geschichte genähert habe.

Chariton Aphrodinensis hat uns die Liebesgeschichte des Chereas und der Callirrhoe geliefert.

Diese beyden Personen in Syrakus, und daselbst von den angesehensten Eltern geboren, sehen sich im Tempel der Venus, lieben sich, und werden mit einander verheirathet. Die Nebenbuhler des Chereas, neidisch über sein Glück, bestechen eine der Sklavinnen der Callirrhoe, ihren Liebhaber unter solchen Umständen ins Haus zu lassen, welche den Verdacht erregen, als wenn er zu ihrer Gebieterin ginge. Chereas wird zu gleicher Zeit von der vorgeblichen Untreue seiner Gattin unterrichtet: sieht, daß der Liebhaber in der Kleidung eines Mannes, der auf gut Glück ausgeht, in sein Haus schleicht; stürzt ihm nach, und mißhandelt, da der Buhle seiner Verfolgung entwischt, das treue Weib auf eine so grausame Art, daß es für todt hinfällt.

Callirrhoe wird begraben. Aber sie erwacht im Grabe, und Räuber, die es plündern wollen, führen sie gefangen mit sich fort. Sie wird nach Milet gebracht, und einem reichen Ionier, Dyonisius, verkauft. Dieser verliebt sich in sie. Sie nennt den Nahmen ihres Vaters, und ihren Stand: aber des Chereas und ihrer Verheirathung mit ihm erwähnt sie nicht. Sie verwirft Anfangs die Anträge des Dyonisius: bis sie sich schwanger vom Chereas fühlt. Aus Besorgniß, daß ihr Kind in der Knechtschaft geboren werden möge, giebt sie dem Zureden der Sklavin Plangon Gehör, und dem Dyonisius ihre Hand. Nach sieben Monaten gebiert sie ein Kind, das ihr zweyter Gemahl gutmüthig für das seinige erkennt.

Chereas erfährt unterdessen, daß Callirrhoe aus dem Grabmahle entführt, und nach Milet verkauft sey. Er eilt dahin, und wird von ihrer Verheirathung unterrichtet.

Die Leute des Dyonisius, die aus seinem Betragen Verdacht schöpfen, daß er etwas wider Callirrhoe unternehmen möge, rufen Perser zu Hülfe, die ihn mit seinem Freunde Polycharmus fangen, und Beyde nach Carien an den Statthalter Mithridates verkaufen. Hier müssen sie die niedrigste Sklavenarbeit verrichten.

Calirrhoe nennt im Schlafe des Chereas Nahmen. Dyonisius geräth darüber in Eifersucht, und sie gesteht ihm, daß es der Nahme ihres ersten Gemahls sey. Sie erfährt bald darauf, daß Chereas in Milet gewesen sey. Dyonisius wird dadurch in äußerste Unruhe versetzt. Allein die Nachrichten, welche ihm seine Leute gaben, daß Chereas todt, und sein Schiff zu Grunde gerichtet sey, beruhigen ihn wieder. Er giebt der Callirrhoe Nachricht von dem Tode ihres ersten Gatten. Diese bricht in die heftigsten Klagen aus, und will Anfangs sterben. Sie läßt es aber nachher dabey bewenden, ihrem Chereas zu Ehren ein Leichenbegängniß anzustellen, und ihm ein Denkmahl zu errichten. Bey dem Leichenbegängnisse ist auch der Herr des Chereas, Mithridates, zugegen, der sich aufs heftigste in Callirrhoe verliebt.

Durch einen Zufall erfährt dieser Mithridates, daß Chereas, der erste Gemahl seiner angebeteten Callirrhoe, sein eigner Sklave sey. In der Hoffnung, ihr näher zu kommen, wenn er sie nur dem reichen und mächtigen Dyonisius entrissen haben würde, befördert er die Absichten des Chereas. Er schickt heimlich jemanden ab, welcher der Callirrhoe einen Brief ihres ersten Gemahles einhändigen soll, worin dieser sie um Rückkehr ihrer Liebe zu ihm bittet.

Allein dieser Brief fällt dem Dyonisius in die Hände, der bey dem Artaxerxes, dem Könige der Perser, eine Klage gegen den Mithridates darüber anbringen läßt, daß dieser ihm seine Gattin habe verführen wollen.

Der König fordert beyde nebst der Callirrhoe vor sich. Am Tage des Gerichts läßt Mithridates den Chereas vortreten, der sogleich von Callirrhoe für ihren ersten Gemahl anerkannt wird. Die Sache wird dadurch äußerst verwickelt. Chereas hat die ersten Rechte auf Callirrhoe, aber er hat sie umgebracht, sie ist von den Todten auferstanden, Dyonisius hat sie aus der Sklaverey gerettet, und sie hat ihm einen Sohn geboren. Um die Schwierigkeiten zu häufen, muß Artaxerxes sich noch dazu in die schöne Syrakusanerin verlieben. Er schiebt das Urtheil auf, und seine Gemahlin Statira nimmt sie in ihr Gefolge auf. Callirrhoe verwirft standhaft die Anträge, die ihr der König durch seinen Liebling Artaxates machen läßt. Versprechungen und Drohungen vermögen nichts über sie. Sie hängt mit Treue an ihrem Chereas. Unterdessen empört sich Aegypten; der König zieht mit Weib und Schätzen gegen die Rebellen zu Felde, und Callirrhoe muß ihn unter dem übrigen Gefolge begleiten. Dyonisius geht gleichfalls mit zu Felde: er ist Unterthan des Königs, und hofft für die Dienste, die er dem Könige leisten würde, Callirrhoe zum Preise davon zu tragen.

Chereas, kein Unterthan des Königs, ist zurückgeblieben. Dyonisius hat die Nachricht aussprengen lassen, der König habe ihm Callirrhoen gegeben, um dadurch dem Chereas alle Hoffnung zu rauben, sie jemahls zu besitzen, und ihn von seinen Ansprüchen zurückzubringen. Chereas will sterben: allein Polycharmus bewegt ihn, vorher Rache an dem Könige zu nehmen. Beyde gehen zu dem Feinde über. Chereas zeichnet sich durch die Einnahme von Tyrus aus, erhält das Kommando der Flotte, erobert die Insel Aradus, wohin der König seine Weiber und Schätze hatte bringen lassen, und findet auch hier seine Callirrhoe und die Königin Statira. Unterdessen ist der König zu Lande glücklicher gewesen, und hat die Rebellen mit Hülfe des Dyonisius geschlagen. Dieser erhält dafür das Versprechen, daß ihm Callirrhoe zurückgegeben werden soll. Allein Chereas kehrt mit seiner Gattin nach Syrakus zurück, nachdem er vorher dem Könige von Persien seine Gemahlin wieder zugesandt hatte.

Callirrhoe glaubt, daß Billigkeit und Erkenntlichkeit es fordern, dem Dyonisius einige Nachricht von ihrer eigenen Hand zu geben. Sie thut es, ohne dem Chereas, dessen Eifersucht sie kennt, davon zu benachrichtigen. Der Inhalt des Briefes bezeugt Dankbarkeit und Anhänglichkeit wegen des gemeinschaftlichen Sohnes. Sie empfiehlt diesen seiner Sorge und Erziehung, und bittet, daß er ihm keine Stiefmutter geben möge. Sie wünscht, daß wenn er erwachsen seyn würde, Dyonisius ihn mit der Tochter, die er aus der ersten Ehe hat, verheirathen, und ihn nach Syrakus senden möge, damit er seinen Großvater kennen lerne. – Lebe wohl, setzt sie hinzu, und vergiß deine Callirrhoe nicht.

Dyonisius glaubt in diesem Briefe Spuren zu finden, daß Callirrhoe ihn ungern verlassen habe, und tröstet sich mit dem Sohne, mit der Erinnerung an das genossene Glück, und mit der Oberherrschaft über Ionien, die ihm der König eingeräumt hat.

Der Stoff zu diesem Romane ist vortrefflich, und gewiß so dramatisch, als möglich. Aber freylich, er ist in ungeschickte Hände gerathen, und die Behandlung entspricht dem Gedanken nicht.

Der Hauptfehler beruht darin, daß Callirrhoe ihre Verheirathung mit dem Chereas ohne alle Noth verschweigt, und daß auf diesem höchst unwahrscheinlichen Umstande die ganze Verwickelung beruht.

Außerdem wird das Interesse zu sehr zwischen dem Chereas und dem Dyonisius getheilt. Dieser erscheint als ein so würdiger Mann, als ein so zärtlicher Gatte, daß man ihm die Callirrhoe fast eben so sehr als dem Chereas gönnt.

Vielleicht würden aber alle diese Fehler übersehen werden, wenn die Erzählung nicht so äußerst langweilig und ermüdend wäre. Aber die ewigen Reden, die der Verfasser seinen Helden in den Mund legt, und die häufigen Wiederholungen der Begebenheiten, die wir schon wissen, ermüden den Leser auf eine unausstehliche Art.

Mich dünkt, die Aehnlichkeit der Ideen in dem Romane des Jamblichius, und dem des Chariton sey unverkennbar. Es scheint mir, daß Chariton das Ende der Liebesgeschichte des Rhodanes und der Sinonis bey seiner Komposition vor Augen gehabt habe.

Gleich die Intrigue ist bey Beyden die nehmliche. Es sind Gatten, die getrennt sind, und deren Treue und Standhaftigkeit über die Hindernisse siegt, die sich ihrer Vereinigung entgegen setzen. Die Eifersucht spielt in beyden eine wichtige Rolle. In beyden ist sie ungerecht, aber nicht ohne Veranlassung und Enschuldigung.

In beyden werden die Gattinnen an einen dritten Mann verheirathet, aber durch die Tapferkeit des ersten Gatten wieder gewonnen. In beyden haben endlich die Schönen von den Verfolgungen mächtiger Könige zu leiden.

Wichtiger noch ist die Aehnlichkeit in der Anlage der Charaktere, und in dem Einflusse der Handlungsart der Liebenden auf ihre Schicksale. Sie sind thätig, rasch, und stürzen sich dadurch in Schwierigkeiten, die unabhängig von den Zufalle, auf ihre Lage gegen einander wirken, die sie aber auch durch eigene Kraft überwinden.

Chariton hat in seinem Style nichts von dem Gekünstelten, und Blumenreichen der Rhetoren und Sophisten. Er nähert sich den älteren Geschichtschreibern, mit denen er vertraut gewesen seyn muß.

Es läßt sich nicht behaupten, daß Chariton unmittelbar auf den Jamblich gefolgt sey, aber es ist mehr als wahrscheinlich, daß der erste diesen zum Vorbilde genommen habe, oder daß sie Beyde nach einem noch früheren Muster gearbeitet haben.

Der Zweck beyder Geschichten scheint dieser zu seyn, zu zeigen, wie treue und standhafte Liebe endlich über alle Hindernisse, selbst über diejenigen siegt, welche die Liebenden durch die Heftigkeit ihrer Leidenschaft, und durch Unvorsichtigkeit sich selbst entgegen setzen.

In beyden erscheint der Gatte treuer, und zu größeren Aufopferungen fähig, als die Gattin. Diese kann einen dritten heirathen, Sinonis aus Eifersucht, Callirrhoe aus mütterlicher Zärtlichkeit. Rhodanes will gerne sterben, als er die Untreue seiner Gattin erfährt: es geht ihm nahe, daß er vom Kreuze abgenommen wird. Chereas ruft mitten unter seinen Besorgnissen, ob Callirrhoe nicht dem Dyonisius zu Theil werden wird, aus: Wohlan theure Gattin – noch nenn’ ich dich mit diesem süßen Nahmen, wenn du gleich einen andern liebst – lebe glücklich! Ich will dich nicht im Genusse eines Schicksals stören, das du für günstig hälst! Nimm denjenigen zum Gemahl, der dir am besten gefällt! Laß mich sterben, und schenke nur meinem Tode eine Thräne!

Ueberhaupt hat Chariton den Charakter eines leidenschaftlich liebenden Jünglings sehr gut geschildert. Fähig, in der ersten Aufwallung der Eifersucht selbst gegen den geliebten Gegenstand zu wüthen, ist er zugleich im Stande, seinen Fehler durch langjährige Büßungen wieder gut zu machen, und sich sogar für das Glück der Gattin selbst aufzuopfern. Dyonisius hat dagegen bey reiferen Jahren zwar mehr sorgsame Aufmerksamkeit für die Callirrhoe, aber es scheint ein feiner Egoismus durch sein Betragen durch, der dem Glück der Geliebten alles, nur nicht den Besitz ihrer Person, sollte er sich diesen auch wider ihren Willen aneignen, aufopfern kann.

Unanständigkeiten läßt sich Chariton nicht zu Schulden kommen. Aber der Betrug, den Callirrhoe ihren beyden Gatten spielt, besteht gewiß nicht mit Sittlichkeit.

Ich bin zweifelhaft, ob ich den Xenophon Ephesius vor oder nach dem Chariton setzen soll. Beyde haben viel Aehnlichkeit mit einander, selbst in den einzelnen Schicksalen, die sie ihren Helden widerfahren lassen. Aber dem Xenophon hatte die Natur ein zärteres Herz, hatten die Musen eine schönere Diktion gegeben. Er steht dem Chariton an Genie nach, aber an Geschmack geht er ihm vor. –

Ich muß es mir zum Gesetz machen, von jeder Art der griechischen Liebesgeschichten nur eine im Auszuge zu liefern. Ohnehin ist der gegenwärtige dem Publiko durch eine gute Uebersetzung von Bürger hinlänglich bekannt. Also nur einige Bemerkungen über das Ganze.

Die Bewerbungszeit der beyden Liebenden wird nur kurz, aber mit Wahrheit und interessant dargestellt. Die Idee, den Streit zwischen Liebe auf der einen[WS 60], Stolz und Schamhaftigkeit auf der andern Seite darzustellen, ist hier neu, und verräth das Zeitalter.

Die beyden Liebenden werden verheirathet. Die Beschreibung der Hochzeitnacht hat die zarteste Empfindung eingegeben. Ich widerstehe nicht der Versuchung, sie hieher zu setzen. Sie zeigt, wie sehr man damahls die Freuden der Sinnlichkeit durch das Herz, das sie darbot, zu heben, und dadurch ihren Genuß zu erhöhen wußte.

„Beyde waren von gleichem Gefühl durchdrungen, und lange wollt’ es keiner wagen, den andern anzureden, oder nur die Augen gegen ihn aufzuheben. Schmachtend vor Scham und Wonne lagen sie da. Eine wollüstige Ahnung hob ihre Busen, und süße, nie gefühlte Schauer durchdrangen ihr ganzes Wesen. Endlich erhohlte sich Abrokomas zuerst, und schlang seine Arme um Anthien, deren Gefühl in Thränen ausbrach. „O selige Nacht, rief der entzückte Jüngling, endlich, endlich bist du mir doch einmahl erschienen! O der traurigen, die ich durchquälen mußte, waren so viel! Süßes, theures Mädchen, theurer mir als das Licht meiner Augen! Sag’ mir, bist du nun auch von Herzen froh? Sey es, bestes Mädchen, du sollst an mir einen Gemahl haben, wie ein gutes Weib ihn nur immer wünschen kann!“ – So sprach er, und küßte ihre süßen Thränen weg. – „Ach Abrokomas, hub das schüchterne Mädchen an, findest du mich wirklich schön, du Schönster? Aber warum mußtest du selbst gegen deine Liebe ankämpfen! Doch ich verzeihe dir gern. Meine eigne Marter zeigt mir, was du gelitten haben mußt. Nimm nun dafür meine Thränen hin, und trockne sie mit deinen schönen Locken. Komm! wir wollen nun ganz eins, uns aneinander schmiegen und umschlingen, unsre Kränze mit diesen Thränen tränken, und ihnen unsere Liebe mittheilen.“ So sprach sie, umschlang schmeichelnd seinen Nacken, und trocknete ihre Augen mit seinen Locken. Nachdem sie ihre Kränze wieder in Ordnung gebracht hatten, fügten sie küssend Lippen an Lippen, und jeder Gedanke, jedes Gefühl ward aus der Seele des einen in die Seele des andern durch Küsse gesendet. Anthia rief, als sie seine Augen küßte. „O wie oft habt ihr mich betrübt! den ersten Pfeil der Liebe habt ihr in mein Herz geschossen! Aber ihr vormahls stolzen, nun so zärtlichen Augen, habt mir auch hernach die schönste Wohlthat erwiesen; ihr habt Liebe in des Abrokomas Busen eingelassen. O dafür küß’ ich euch nun tausendmahl, und gebiete meinen Augen, auf jeden eurer Winke zu achten. Ach möchtet ihr immer nur mich anschauen, und eurem Besitzer nie eine andere Schönheit verrathen! Den meinigen soll gewiß nimmermehr ein Anderer schöner erscheinen als Abrokomas. Empfangt die Huldigung der Herzen, die ihr überwunden habt, und erhaltet sie im ewigen Gehorsam.“ So schmeichelten die beyden Liebenden einander, bis sie in eins geschlungen allmählich zur Ruhe sanken. Sie genossen der ersten Früchte der Liebe, und eiferten die ganze Nacht durch, um in die Wette zu zeigen, welcher von Beyden der zärtlichste wäre.

Eben so interessant ist das feyerliche Gelübde ewiger Treue, welches die beyden Gatten nachher im Angesicht der Inseln Cos und Gnidus ablegen. Es ist der Ausdruck der reinsten Zärtlichkeit.

Aber das feindliche Schicksal fängt bald an, die Liebenden zu verfolgen. Ihre Standhaftigkeit wird auf mannigfaltige Proben gesetzt. Merkwürdig, höchst merkwürdig ist es, daß Anthia selbst ihren Geliebten bittet, sich in den Willen einer mächtigen Nebenbuhlerin zu ergeben, um sein Leben zu retten, und nur ihrer noch ferner zu gedenken. Eine wahrhaft liebende Empfindung!

Anthia sucht ihre Unschuld auf verschiedene Weise zu bewahren. Einmahl nimmt sie Gift: aber der fromme Betrug eines Arztes hatte ihr einen Schlaftrunk untergeschoben. Sie wird begraben, erwacht, und Räuber, die das Grab plündern, führen sie mit sich weg. –

Die Aehnlichkeit dieser Situation mit derjenigen, welche Chariton darstellt, beweiset einen gewissen Kreis von Vorstellungen, in dem sich die Erotiker vorzüglich gern herumtrieben.

Ein anderes Mahl rettet sich Anthia durch das Vorgeben, daß sie der Göttin Isis geheiligt sey, und aus Ehrfurcht für die Göttin wird ihrer Keuschheit geschont. Dieß Mittel hilft noch einmahl in einem ähnlichen Falle. Mehrere Spuren deuten hin auf die Vermischung des Aegyptischen Aberglaubens mit Ideen von dem Werthe der Jungfrauschaft.

Anthia wird selbst durch die eingebildete Ueberzeugung von ihres Gatten Untreue nicht bewogen, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. „Die Noth wird ihn gezwungen haben, ruft sie aus; mögen die Götter seinen Meineid nicht rächen! Mir ziemt es demnach, keusch zu sterben.“ – Als sie sich einst vor den Angriffen eines Unholds gar nicht weiter retten kann, so stößt sie diesem das Schwert durch die Brust.

Nicht minder treu, nicht minder zärtlich wird Abrokomas dargestellt. Sein Charakter ist aber für sein Geschlecht zu duldend, zu weichlich. Anthia zieht mehr als er das Interesse auf sich.

Was unsern Xenophon besonders auszeichnet, ist sein Hang, die Männer durch eine schmelzende Empfindsamkeit und eine hinschmachtende Beständigkeit interessant zu machen. Wir finden hier einen Hippothous, der aus Gram über den Verlust eines Lieblings zum Räuber geworden ist, nichts weiter von ihm übrig behalten hat, als seine Haarlocken, und diese noch lange nachher mit seinen Thränen benetzt. Wir finden einen Fischer, der den zärtlichsten Umgang mit dem einbalsamierten Körper seiner Geliebten fortsetzt, und dem Abrokomas den Ausruf abpreßt: daß echte Liebe nie ältere. –

Auffallend, und nur aus der Vorliebe der Sophisten für den Geschmack des ältern Griechenlands zu erklären, ist die Unbefangenheit, mit der von der ausgelassenen Liebe zu den Lieblingen, bey so vielen Spuren einer verfeinerten Sittlichkeit geredet wird.


Das Gedicht des Musäus, Hero und Leander, gehört eigentlich nicht in die Classe der Liebesgeschichten. Aber der Geist, der darin herrscht, der Charakter und die Situation der Liebenden, gewisse hervorstechende Ideen über das Entstehen, den Zweck und den Genuß der Liebe, geben ihm eine auffallende Aehnlichkeit mit den Romanen in der Manier, die ich eben bezeichnet habe.

Neuntes Kapitel.
Achilles Tatius, Longus und Eusthatius.

In der zweyten mittleren Manier der Geschichtschreiber der Liebesschicksale eines verbündeten Paares haben Achilles Tatius und Longus geschrieben.

Der erste hat uns die Liebesgeschichte des Clitophon und der Leucippe geliefert.

Clitophon sollte mit seiner Stiefschwester Calligone verheirathet werden, als sein Onkle, Sostratus, aus Byzanz, seine Gattin Panthea, mit ihrer Tochter, Leucippe nach Tyrus in das väterliche Haus des Clitophon sandte. Dieser verliebt sich in seine Cousine. Die Darstellung des ersten Erwachens der Leidenschaft, und ihres allmähligen Fortschreitens, ist mit Wahrheit und Reitz geliefert.

Besonders gehört hieher die artige, und so oft wiederhohlte Erfindung, durch welche Clitophon den ersten Kuß von seiner Geliebten erhielt.

Leucippe hatte eine Sklavin durch Besprechen von einem Bienenstiche geheilt. Clitophon erinnert sich dieses Vorfalls, als eine Biene um ihn her sumset. Er stellt sich als ob er von ihr auf den Mund gestochen wäre. Die gutherzige Leucippe will auch seine Wunde besprechen; nähert sich seinem Munde mit dem ihrigen, und er raubt ihr einen Kuß.

Möchten alle Bilder des Achilles Tatius so reitzend und zugleich so anständig seyn! Aber seine lüsterne und ausgelassene Einbildungskraft verführt ihn oft, die Grenzen der Ehrbarkeit zu überschreiten.

Der Männerliebe wird bey ihm, als einer sehr gewöhnlichen Schwäche, gedacht: es wird ihr sogar eine Lobrede gehalten, die mit derjenigen, die wir beym Lucian finden, die größte Aehnlichkeit hat.

Bey alle dem läßt er die beyden Liebenden nicht zum unnennbaren Genusse mit einander kommen.

Freywillige Enthaltsamkeit liegt aber bey dieser Entbehrung nicht zum Grunde. Sie versuchen es oft, werden aber immer gestört, und endlich, als sie schon bey einander im Bette liegen, von der Mutter auseinandergejagt. Dieser Vorfall zwingt sie aber auch zur Flucht.

Bey einem Sturme, den sie auf ihrer Seereise erdulden, kommt nichts von wechselseitiger Aufopferung der beyden Geliebten für einander vor. Leucippe wird nicht einmahl genannt. Nur Clitophon bittet den Neptun, daß er mit der ganzen Gesellschaft entweder gerettet werden, oder mit ihr umkommen möchte.

Die beyden Geliebten entgehen inzwischen den Fluthen, aber um ein viel schrecklicheres Schicksal zu erdulden. Sie werden von Räubern gefangen. Im Gefängnisse bejammert Clitophon besonders dieß, daß er seine Leucippe unglücklich gemacht habe. Sie schweigt. Er fragt sie um die Ursach: „weil mich meine Stimme eher als mein Muth verlassen hat,“ ist die heroische Antwort, die ihr der Rhetor in den Mund legt.

Leucippe wird am folgenden Morgen vom Könige der Räuber zum Sühnopfer gefordert, und zu ihm abgeführt. Was thut Clitophon? Er will sie aufhalten, aber er bekommt Schläge, und so läßt er sie gehen. Er selbst wird von einem Haufen fremder Bewaffneter aus den Händen der Räuber befreyet.

Die Opferung der Leucippe geht vor sich. Im Angesichte des Clitophon wird ihr der Bauch aufgeschnitten. Ihre Eingeweide werden herausgerissen, und sie selbst in ein Grab gesenkt. Bey diesem gräßlichen Anblicke steht ihr Liebhaber wie versteinert. Aber die Kriegsvölker, die ihn gerettet hatten, greifen das Lager der Räuber an, jagen sie heraus, und nehmen selbst davon Besitz. Clitophon will sich auf dem Grabe seiner Geliebten erstechen. Aber das Grab öffnet sich, und Leucippe kommt lebendig heraus. – Der Priester der sie hatte opfern sollen, war ein Freund des liebenden Paares, und hatte ihr einen falschen Bauch gemacht.

Jetzt müssen Diana und Venus den beyden Liebenden erscheinen, um ihnen Enthaltsamkeit von den letzten Vertraulichkeiten zu gebieten. Clitophon giebt sich leicht darin, da nach seinem Systeme der Kuß der höchste Genuß in der Liebe ist.

Leucippe wird mehreren Anfechtungen von Fremden ausgesetzt, die sich in sie verlieben, denen sie aber allen durch Standhaftigkeit und Klugheit entgeht. Endlich wird sie wieder von Seeräubern entführt. Clitophon verfolgt sie: schon ist er im Gesicht des Schiffes, das sie fortführt, als er ihr den Kopf abhauen, und den Rumpf ins Meer werfen sieht. Er begräbt diesen, und heirathet eine reiche Wittwe, Melite.

Allein er macht zugleich mit ihr aus, daß er sich erst nach Ablauf einer gewissen Zeit in den völligen Besitz seiner ehelichen Rechte setzen wolle. Umsonst sucht seine Gattin den Zeitpunkt früher herbeyzuführen. Er bleibt standhaft. Schon aber rückt die kritische Nacht heran, als er Abends vorher einen Brief von Leucippe erhält, die sich unter den Sklaven seiner Frau, auf einem ihrer Landgüter befindet. Die Seeräuber hatten eine Sklavin statt ihrer enthauptet, um den Clitophon von ihrer weiteren Verfolgung abzubringen. Leucippe schreibt an Clitophon: „Ich habe alles für dich geduldet und gelitten: du bist in einer neuen Verbindung glücklich. Bewege deine Gattin, daß sie mich loslasse, und nach Byzanz zurücksende. Dadurch werde ich mich für alles, was ich für dich gethan habe, belohnt halten. Lebe wohl! Sey glücklich! Ich bin noch unberührt!“

Clitophon antwortet, daß er noch eben so rein sey als sie, und Leucippe wird bald darauf davon überzeugt, als ihre Gebieterin sich bey ihr, die im Rufe der Magie war, Raths erhohlet, wie sie die Kälte ihres Mannes besiegen solle. Die Verlegenheit in welche die beyden Liebenden dadurch kommen, wird durch die Wiederkunft des ersten Mannes der Gattin des Clitophon gehoben. Man hat geglaubt er sey im Schiffbruche umgekommen, aber er ist gerettet.

Der eifersüchtige Mann, Thersander ist sein Nahme, läßt den Clitophon als einen Ehebrecher in Fesseln legen. Bey dieser Mißhandlung geht der Brief verloren, den Leucippe an ihren Geliebten geschrieben hatte. Melite findet ihn, und wird nun über den Grund seiner Kälte aufgeklärt. Sie schleicht sich in das Behältniß des Clitophon: sie überhäuft ihn mit Vorwürfen; aber bald kehrt ihre Liebe zu ihm zurück. Sie bittet ihn nur um eine Gunst! Sie erinnert ihn an seine Versprechungen. Sie verspricht, ihn mit Leucippe zu vereinigen. Sie stellt ihm vor, daß die Erhaltung seiner Geliebten von ihr abhänge. Die Situation ist vortrefflich angelegt; die Beredtsamkeit der Melite hinreißend. Sie nimmt ihm die Bande ab: sie küßt seine Hände, und legt sie an ihr klopfendes Herz. Wie wird sich Clitophon aus dieser schlüpfrigen Lage herausziehen? Auf die natürlichste Art von der Welt! – Er gewährt, was Melite verlangt: und zwar aus Gründen. Nach seiner Vorstellung beleidigt er nicht die Liebe zu Leucippe. Er würde vielmehr den Amor beleidigen, wenn er Meliten ferner widerstände. Er hatte Leucippen wieder: und Melite konnte seine Gattin nicht mehr werden. Was er also that, konnte nicht als Vollziehung der Heirath angesehen werden: es war eine Handlung des Mitleids: es geschah, um sich Leucippen mehr zu nähern, und zugleich das Schicksal des armen verliebten Weibes ein wenig zu erleichtern. – Welche Begriffe!

Clitophon entwischt in den Kleidern der Melite, wird aber vom Thersander wieder aufgefangen, und damit die Sache noch verwickelter werde, muß dieser letzte sich überher in Leucippe verlieben. Um den Clitophon ganz von ihr abzubringen, wird er mit der falschen Nachricht getäuscht, Melite habe die Leucippe umbringen lassen; Clitophon, der es abscheulich findet, daß er sich mit der Mörderin seiner Geliebten abgegeben habe, klagt sich selbst vor Gericht an, daß er auf Geheiß der Melite die Leucippe umgebracht habe. Die Richter haben bereits ihn zum Tode verdammt, als Leucippe, und sogar ihr Vater Sostratus erscheinen. Nun sollte man glauben, die Geschichte hätte ein Ende. Aber die gerichtliche Verhandlung wird fortgesetzt, damit der Verfasser mehrere sorgfältig ausgearbeitete Reden halten lassen könne. Endlich wird eine Art von Vergleich eingegangen: Thersander verlangt, daß Leucippe zum Beweise ihrer Reinheit als Jungfrau, in die Höle des Pan eingesperrt werden soll. In dieser hängt eine Flöte, die einen angenehmen Ton von sich giebt, wenn die Unschuld des verdächtigen Mädchens bewährt befunden wird. Auch öffnen sich dann die Thüren von selbst, und lassen die Jungfrau unverletzt heraus. Im umgekehrten Falle giebt die Flöte einen traurigen Ton von sich: die Thüren bleiben verschlossen, und wenn man sie einige Zeit darauf wieder öffnet, so ist die Flöte abgefallen, und das schuldige Mädchen verschwunden. Man denkt sich leicht, das Leucippe die Probe besteht.

Melite muß auf Verlangen des Mannes sich einer andern Prüfung unterwerfen. Sie soll schwören, daß sie während der Abwesenheit ihres Mannes mit keinem andern zu thun gehabt habe, und dann zur Bestätigung dieses Schwurs in die Quelle des Styxes steigen. Bleibt das Wasser ruhig, so ist sie unschuldig: steigt es bis an den Hals, an dem sie eine Tafel mit der Inschrift des abgelegten Schwures trägt; – so ist sie meineidig. Melite, die sich bewußt ist, nicht während der Abwesenheit ihres Gatten, sondern erst nach seiner Wiederkunft, gegen die eheliche Treue angestoßen zu haben, unterwirft sich der Prüfung, und die Quelle ist gefällig genug, den Gedankenvorbehalt für gültig anzunehmen, und sie nicht zu verrathen. –

Die Heirath des Clitophon und der Leucippe wird darauf geschlossen.

Hier haben wir eine ganz andre Intrigue, als in den beyden vorher von mir angezeigten Liebesgeschichten: eine Intrigue, die sich mehr dem Gange der Komödie nähert. Das Ziel der Handlung, (gleichsam das Ilium, dessen Eroberung das Süjet der Epopoe ausmacht,) ist die Lösung des jungfräulichen Gürtels, nach geschlossener Ehe zwischen den beyden Liebenden. Sobald sie durch dieß Band zusammengebracht sind, und der Liebhaber dadurch ein Recht erhalten hat, den Zweck seines Strebens zu erreichen; so hat die Intrigue ihr Ende erreicht.

Hieraus erhellet sogleich, daß Achilles Tatius von der Liebe einen viel weniger geläuterten Begriff hatte, als Jamblichius, Chariton und Xenophon. Bey ihm heißt lieben: nach dem unnennbaren Genusse, und nach dem Besitze der Person durch diesen streben. Standhaft lieben heißt bey ihm diesen Genuß unausgesetzt verfolgen.

Die Schwierigkeiten, welche ihm entgegengesetzt werden, liegen nicht in dem Stolze des Weibes, nicht in seinen Gefühlen von Schamhaftigkeit, Pflicht, kurz! in inneren Bedenklichkeiten der Geliebten. Nein! nichts ist leichter bey ihm, als die Eroberung des Herzens der Geliebten; nichts kürzer, als die Bewerbung um Gegenliebe. Es liegt auch nicht an der Leucippe, sondern an äußern Verhältnissen und Befehlen der Götter, wenn sie ihm vor der Hochzeit nicht alles einräumt, was sie einzuräumen hat.

Dieß hängt gewiß mit der Entstehungsart dieser Liebesgeschichte zusammen. Ich habe gesagt, daß wahrscheinlich die alte Komödie das ferne Muster dazu hergegeben hat. Vielleicht ist sogar der Stoff aus mehreren Komödien und Pantomimen zusammen genommen. Im Schauspiele kann mit der Bewerbung nicht viel Zeit verloren werden. Die jungen Leute lieben sich schon, ehe der Autor sie auf der Bühne erscheinen läßt. Nun kommt es nur darauf an, die Schwierigkeiten zu überwinden, welche Anverwandte, Nebenbuhler und andre äußere Verhältnisse der Heirath entgegen setzen.

Aber wozu die Heirath? Aber woher die Idee, daß nun der jungfräuliche Gürtel vor der Ehe nicht gelöset werden darf? Aber woher jene andere von dem hohen Werthe der jungfräulichen Unschuld, die durch feyerliche Prüfungen bewährt wird?

An der Gewissenhaftigkeit und Zartheit des Autors kann es nicht liegen. – Es ist nicht möglich, laxere Grundsätze über den Anstand zu haben, als Achilles Tatius sie hat. Natürlich! das Ziel der Vereinigung ist der unnennbare Genuß, und wenn die Liebenden zu früh dazu gelangten, so wäre es mit ihrem Streben zu Ende, und die Leser verlören das Interesse, das sie an ihrem strebenden Zustande nehmen. Es muß also ein Hinderniß eintreten, das ihn aufschiebt, und dieß ist – Heirath. Diese Feyerlichkeit ist ohnehin dasjenige, was in der Komödie die Handlung schließt, und in derjenigen Komposition, die nach ihrem Muster geschaffen ist, sie gleichsam schließen muß.

Inzwischen gehört doch Einiges davon, und besonders die Prüfung der jungfräulichen Reinheit, gewiß dem Geschmack, und den herrschenden Ideen des Zeitalters, in die sich der Sophist, ungeachtet seiner Vorliebe für das ältere Griechenland, gefügt hat.

Achilles Tatius schildert also den Zustand der Bestrebung zweyer Liebenden nach der Heirath, um des unnennbaren Genusses willen.

Dieß giebt ihm Gelegenheit, die Entstehung der Leidenschaft, ihre Entwickelung, ihre Versagungen und ihren Genuß, jedoch mit Ausschluß des letzten unnennbaren, darzustellen. Die Geschlechtssympathie der Seele beschäftigt ihn dagegen sehr wenig. Alle jene Unterhaltungen der kosenden Vertraulichkeit, des heimlichen Beyeinanderseyns, der Eitelkeit auf den ausschließenden Beyfall des Verbündeten, des Stolzes auf den Besitz des Herzens, scheinen seinen Liebenden fremd. Dagegen gefällt sich sein Pinsel bey den Schilderungen der Freuden der körperlichen Geschlechtssympathie, besonders des Kusses und der Umarmung. Hierbey zeigt sich die ganze Lüsternheit seiner Phantasie. Die Fülle von Bildern, die er mit diesen Liebkosungen verbindet, die Feinheit, die Leckerhaftigkeit, mit der er jeden Genuß aus ihnen herausschlürft, hängen genau mit den Erfahrungen der Alten über die Ausgelassenheit der Geschlechtssympathie zusammen, welche ihre Lieblinge erregten. Besonders zeigt diese ihren Einfluß bey dem hohen Werthe, den Tatius auf den Kuß legt. Er sagt an mehreren Stellen, daß er nie sättige, daß er aus der Seele seinen höchsten Genuß ziehe, und daß diese sich auf diesem Wege mit der Seele der Geliebten vereinige. Der unnennbare Genuß scheint ihm die Liebe zu endigen. Die Ausgelassenheit der Begierden gegen Lieblinge, scheint ihm darum so reitzend, weil ihre unvollständige Befriedigung die Lüsternheit erhöht, und dauernder macht.

Ideen dieser Art führen auf ein höheres Zeitalter hinauf als dasjenige ist, worin der züchtige Heliodor gelebt hat. Sie gehören den Rhetoren und Sophisten aus den Zeiten des Philostrat und Aristänet an, ja! es sind Ideen, die wir in ihrer völligen Ausbildung noch früher beym Lucian finden. So wenig ich behaupten mag, daß Tatius in dieser Zeit gelebt habe, so gewiß scheint es mir, daß die Muster, nach denen er sich gebildet hat, lange vor allen andern uns übrig gebliebenen Erotikern existiert haben.

Die Charaktere beyder Liebenden sind unthätig und träumend, und ganz dazu geschaffen, leidende Subjekte äußerer Einwirkungen des Schicksals zu seyn. Außerdem, daß dieß dem Zustande der ersten Leidenschaft bey allen Menschen ziemlich angemessen ist; so kommt es auch ganz mit den Charakteren der Liebenden in den Komödien der Alten überein, worin Jünglinge und Mädchen selten oder nie für sich handeln, sondern von listigen Knechten, und verschmitzten Müttern in ihrer Intrigue geführt werden.

Der Plan des Werks ist äußerst fehlerhaft, voller Abentheuerlichkeiten, voller Unwahrscheinlichkeiten, voller überflüssigen Nebenvorfälle, welche die Handlung ohne Noth aufhalten. Tatius läßt keine Gelegenheit vorbey, pomphafte Beschreibungen, blumenreiche Erzählungen, schwülstige und sophistische Reden, und Sentenzen, die Gemeinplätzen ähneln, anzubringen. Es ist mir wahrscheinlich, daß er zu einer Zeit lebte, worin es sehr gewöhnlich war, Kenntnisse des Alterterthums und der Sitten entfernter Länder, so wie Philosophie und Rhetorische Kunst dem Publikum unter dem Gewande der Liebesgeschichten annehmlich zu machen.

Bey dem Allen herrscht viel Genie in der Erfindung mancher Situation, und ein Detail, das oft äußerst anziehend ist. –

Dem Achilles Tatius reihe ich zunächst den Longus bey, dessen Werk unter dem Titel der Pastoralien des Daphnis und der Chloe bekannt ist.

Ich muß mich auch hier, um nicht zu weitläuftig zu werden, eines förmlichen Auszuges enthalten. Es ist der erste Hirtenroman, den wir kennen, und der zu allen folgenden nicht sowohl das Vorbild, als die Idee hergegeben hat. Zwey Fündlinge von reichen und vornehmen Eltern geboren, aber von diesen ausgesetzt, wachsen unter Hirten auf, lieben sich mit aller derjenigen Naivetät, welche diesem Stande in der Dichterwelt beygelegt wird, bestehen einige Gefahren, die ihrer Liebe drohen, werden aber endlich von ihren Eltern wieder erkannt, und mit einander verheirathet.

In den Hauptmomenten kommen Longus und Tatius mit einander überein. Bey beyden ist das Ziel der Handlung die Verheirathung eines liebenden Paares: bey beyden liegt der Knoten in den Schwierigkeiten, die sich der Ehe entgegensetzen: bey beyden erscheinen die Verliebten ohne Selbstthätigkeit als Bälle äußerer Umstände: bey Beyden ist das Mädchen treuer als der Jüngling: bey beyden biethet endlich der Zustand der Bewerbung, oder vielmehr der Verlobung der Herzen die bequemste Veranlassung zu Schilderungen der Freuden der Geschlechtssympathie an die Hand.

Daß der Gang des Schauspiels beyde in ihrer Intrigue geleitet habe, scheint mir außer Zweifel zu seyn. Wahrscheinlich hat Longus den Stoff eines alten satyrischen Dramas, eines Hirtenspiels, zu diesem seinen Hirtenromane ausgesponnen.

Inzwischen zeigt sich in der Behandlung eine große Verschiedenheit zwischen dem Tatius und dem Longus. Der Knoten, dessen Auflösung den Leser beschäftigen soll, ist auf gewisse Weise doppelt geschürzt. Er soll zwar wünschen, daß die beyden Liebenden sich heirathen, und die Schwierigkeiten, die sich ihnen in dieser Rücksicht entgegen setzen, überwinden mögen; aber er soll zugleich fürchten, daß sie diesen Zeitpunkt nicht abwarten, und durch eine zu frühe Erreichung des endlichen Ziels der Ehe sich um die schönsten Freuden der unschuldigen Liebe, und den Leser um den Genuß ihrer Schilderung bringen.

Platonische Ideen liegen hierbey gewiß nicht zum Grunde. Der Leser soll nicht in das Interesse für eine edlere Liebe hineingeführt werden, die sich körperlicher Freuden willkührlich enthält, um die Freuden der Seele und ihre Vortrefflichkeit zu erhöhen: Der Leser soll nicht fürchten, daß das liebende Paar einen Verrath an sich selbst begehe, und sich durch Sinnlichkeit erniedrige: er soll sich auch nicht für Daphnis und Chloe wie für Hüon und Amanda interessieren, und den Streit zwischen Natur und Pflicht mit ihnen kämpfen; nein! Dieß Alles hat Longus bey der Enthaltsamkeit seiner Liebenden nicht vor Augen gehabt. Die den Rhetoren, und besonders dem Aristänet, so gewöhnliche Idee, daß der unnennbare Genuß die Freuden der Liebe endige, daß der Zeitpunkt nach der Vereinigung der Herzen, und vor der völligen Vereinigung der Körper der reitzendste in der Liebe sey; und daß dieser Zustand der lüsternen, nicht völlig befriedigten Begierde die Dauer und die Höhe der Leidenschaft eben so sehr befördere, als er Veranlassung zu lieblichen Schilderungen gebe; diese Idee ist es, welche den Longus in seinem Plane geleitet hat. Darum stellt er zwey unerfahrne Herzen an den Rand eines Abgrunds, den sie selbst nicht sehen, in den sie bemüht sind hineinzustürzen, und vor dem sie allein durch ihre Unerfahrenheit gesichert werden. Ein Plan, der nach unsern heutigen Begriffen den Anstand auf mannigfaltige Art beleidigt, aber zugleich den doppelten Vortheil gewährt, einmahl, Gelegenheit zu einer Menge naiver Darstellungen zu geben, dann aber auch den Leser für die Entfernung des kritischen Moments zu interessieren, der dem glücklichen Zustande der Liebenden, und der Schilderung ihrer Freuden ein Ende machen wird.

Merkwürdig wird beym Longus die feyerliche Verlobung der beyden Liebenden, die völlig gleiche Rechte und Verbindlichkeiten für den Jüngling wie für das Mädchen festsetzt: noch merkwürdiger aber jener wahre Zug von Liebe, wenn Daphnis bereit ist, die Strafe, welche Chloe durch ihre Untreue verwirken konnte, für sie zu tragen. Uebrigens ist der Ursprung der Liebe beym Longus ganz sinnlich: ihr endlicher Zweck, und der Begriff, den er von ihr hat, unstreitig der eines leidenschaftlichen Strebens nach dem Besitze der Person. Die Verfeinerung, die er ihr giebt, liegt in der Erhöhung der Lüsternheit, durch die Entbehrung, und durch die Anreihung der Freuden der Geschlechtssympathie der Seele an die kleineren Gewährungen der Geschlechtssympathie des Körpers.

Aber in der Darstellung der Freuden der Geschlechtssympathie der Seele ist nun Longus ausgezeichnet glücklich. Niemand vor ihm hat den Genuß des heimlichen Zusammenlebens, des kosenden Zeitvertreibs, und aller der kleinen geselligen Unterhaltungen, welche nur die Vertraulichkeit junger Gemüther von verschiedenem Geschlechte herbeyführt, so umständlich und zugleich so lieblich beschrieben. In dem ganzen Werke herrscht eine Seelenüppigkeit, die den Leser unwillkührlich mit ergreift. Hierin geht Longus einen Schritt weiter, als Tatius, dessen Schilderungen des Genusses der Geschlechtssympathie sich hauptsächlich auf körperliche Lüsternheit beschränken.

Es kann übrigens meine Absicht nicht seyn, das Werk in ästhetischer Rücksicht zu prüfen. Ich würde ihm sonst sowohl in Rücksicht des Plans, als der Haltung der Charaktere viele und grobe Fehler vorzuwerfen haben.

Die Liebesgeschichte des Ismenias und der Ismene wird gemeiniglich dem Eustathius zugeschrieben, der zu Ausgang des zwölften Jahrhunderts gelebt hat. Allein es ist höchst ungewiß, daß sie diesem Kommentator des Homer gehöre. Andere nennen einen Eumathius als Verfasser.

Der Werth des Werks rechtfertigt nicht die Untersuchung über die Person des Verfassers. Man kann sich nichts Elenderes denken, als Erfindung und Ausführung in diesem Romane. Eben so wie beym Achilles Tatius und beym Longus liegt die Verwickelung in den Hindernissen, welche sich dem völligen Besitze der Jungfrau vor der Ehe entgegen setzen.

Auch hier wird die Keuschheit des Mädchens vorher in der Quelle der Diana geprüft. Merkwürdig ist es dabey, daß Ismene bereits den unnennbaren Genuß aus freyer Selbstbestimmung weigert, weil sie diesen vor der Ehe für unerlaubt hält. Aber man darf sagen, daß der Teufel wenig dabey verliert, und daß der Angriff, den Ismene gleich bey der ersten Zusammenkunft auf die Eitelkeit und Sinnlichkeit des rohen und unerfahrnen Jünglings macht, den Anstand auf mannigfaltige Art beleidiget. Die Liebkosungen des liebenden Paars liefern dem Rhetor in der Folge häufige Gelegenheit, seiner lüsternen Phantasie das freyeste Spiel zu lassen. Vielleicht hat dieser aber auch die ganze Geschichte nur als einen Einschlag gewählt, in welchen er recht viele Beschreibungen einweben könnte, und dazu mußten ihm jene schlüpfrigen Bilder äußerst willkommen seyn. Der Styl ist gekünstelt, blumenreich, wie der seiner Vorgänger, aber in jedem Betracht unter dem ihrigen.

Uebrigens ist der Charakter des Liebhabers hier wieder ganz so träumend, leidend und hinschmelzend dargestellt, als es erfordert wird, um ihn zum Balle des Schicksals zu machen. Aber er erscheint treuer als Clitophon und Daphnis.


Zehntes Kapitel.
Heliodorus und Prodromus.

Ich komme jetzt zu der dritten und jüngsten Manier, worin die griechischen Erotiker geschrieben haben. Sie ist eine Zusammensetzung der beyden vorigen, und eine Veredlung derselben. Ich wiederhohle aber nochmahls, daß ich dadurch nichts über das Alter der Schriftsteller entschieden haben will, die von dieser Manier Gebrauch gemacht haben, sondern bloß über das Alter der Manier selbst. Diese ist allen Kennzeichen nach jünger als diejenige, welche die bisher angezeigten Erotiker gebraucht haben.

Heliodorus lebte zur Zeit Theodosius des Großen, ungefähr ums Jahr 370 nach Christi Geburt. Er war Bischof in einer Stadt von Thessalien. Ob er als Bischof, oder vorher, die Liebesgeschichte geschrieben habe, deren Inhalt ich jetzt anzeigen werde, ist ungewiß. Sie führt den Titel: Aethiopika, äthiopische Merkwürdigkeiten, und enthält die Schicksale des Theagenes und der Chariklea.

Der Verfasser setzt den Leser gleich mitten in den Lauf der Begebenheiten hinein, und läßt erst in der Folge den Anfang der Geschichte erzählen. Ich will aber der natürlichsten Ordnung folgen, um die Verständlichkeit zu erleichtern, und überhaupt nur dasjenige anführen, was unmittelbar zu meinem Zwecke gehört.

Chariklea ist die Tochter der Persina und des Hydaspes, der Beherrscher von Aethiopien. Nach einer langen unfruchtbaren Ehe wird die Königin von einer Umarmung ihres Gatten im Anblick eines Gemähldes der nackenden Andromeda schwanger, und gebiert, vermöge des Eindrucks dieses Bildes auf ihre Imagination, ein weises Kind. Die Furcht, daß die Verschiedenheit der Farbe den Verdacht des Ehebruchs erwecken könne, bewegt die Mutter den Tod des Kindes vorzugeben, und es mit Windeln, worauf seine Geschichte, und besonders die Lehre, daß die Keuschheit eine wahrhaft königliche Tugend sey, gestickt waren, auszusetzen. Das Kind kommt durch Schicksale, die uns hier weiter nicht interessieren, nach Delphi in den Tempel des Apollo, wo sich das erwachsene Mädchen dem Dienste der Diana weihet.

Bey einem Feste des Apollo verliebt sich Theagenes, ein Thessalischer Fürst, in die Chariklea, beym ersten Anblick, und auch sie empfindet sogleich den Eindruck der stärksten Leidenschaft. „Ihre Seelen, sagt der Verfasser, schienen sich wieder zu kennen, und im Gefühl ihrer gegenseitigen Würde und Vortrefflichkeit einander entgegen zu streben. Sie staunten sich an, sie lächelten sich zu, sie errötheten und erblaßten.“

Stark wird die Wirkung der Leidenschaft bey beyden Liebenden geschildert; aber doch weit heftiger noch bey Chariklea, nicht bloß weil sie ihre Neigung in sich verschließt, sondern weil sie überhaupt viel lebhafter dargestellt wird als Theagenes. Aber nicht bloß lebhafter, sondern auch thätiger, gefaßter, klüger, als der Liebhaber, ist die Geliebte. Ein wichtiger Zug zur Charakterisierung des Zeitalters: nicht minder wichtig jener andre, daß es dem Theagenes zum Verdienst gerechnet wird, bisher alle Weiber geflohen zu haben.

Bey einem öffentlichen Wettrennen empfängt Theagenes den Preis aus der geliebten Hand, die er küßt. Welch ein mächtiger Beweis der veränderten Sitten!

Calasiris, ein Priester der Isis, (und zwar ein echter Priester, der sich Lug, Betrug, Mord und Entführung erlaubt, sobald es darauf ankommt, den Willen der Götter in Erfüllung zu bringen,) wird der Vertraute der beyden Liebenden, und befördert auf die Autorität eines Orakels, das ihre Verbindung verkündigt, die Entführung der Chariklea durch den Theagenes. Doch muß dieser seiner Geliebten vorher schwören, daß er die Rechte des Gatten nicht eher ausüben wolle, als bis diese in ihrer Heimath auf eine gesetzliche Art bestätigt werden würden. Und nun verläßt Chariklea ihren bisherigen Pflegvater und Wohlthäter, den Priester des Apollo, ohne das geringste Merkmahl der Traurigkeit und der Dankbarkeit zu zeigen. Nach unzähligen Gefahren, welche die Unschuld der Chariklea von Land- und Seeräubern drohen, und denen sie theils durch List, theils durch den Gebrauch der Waffen entgeht: nach dem keuschesten Umgange mit ihrem Entführer, dem sie zwar Küsse und Umarmungen, aber weiter nichts erlaubt, und dessen Begierden sie immer durch die Erinnerung an seinen Schwur zu zügeln weiß, kommen beyde nach Memphis, wo ihnen denn erst die Hauptprüfungen ihrer Standhaftigkeit vorbehalten sind. Arsace, die Gattin des Orondates, Beherrschers von Aegypten, ein stolzes und wollüstiges Weib, verliebt sich in Theagenes. Sie läßt nichts unversucht, um ihn zu gewinnen. Aber nicht Wohlthaten, nicht Ehrenbezeugungen, nicht Gefängniß, und Marter, ja! nicht einmahl die Furcht seine Chariklea zu verlieren, und diese bald einer verhaßten Heirath, bald dem Scheiterhaufen überliefert zu sehen, können ihn in seiner Treue wankend machen. Endlich entkommen beyde Liebenden der Gewalt der grausamen Arsace, aber das Schicksal ist noch nicht müde, sie zu verfolgen. Sie fallen in die Hände des Hydaspes, des Königs der Aethiopier, und Vaters der Chariklea, und werden, da sie sich Beyde für Geschwister ausgeben, zu Menschenopfern für die Sonne und den Mond bestimmt.

Aber um dazu würdig gefunden zu werden, müssen sie Beyde die Probe ihrer jungfräulichen Lauterkeit bestehen, und zu dem Ende durchs Feuer wandern. Es versteht sich von selbst, daß dieser Vorzug an ihnen bewährt gefunden wird. Nun soll Chariklea von der Hand ihrer Mutter sterben: aber sie giebt sich zu erkennen, und wird von ihren Eltern angenommen. Nur mit dem Theagenes setzt es größere Schwierigkeiten. Seine sonst so muthige Geliebte wagt es nicht, den Eltern zu gestehen, daß dieser Mensch ohne Nahmen ihr Verlobter sey. Ihr Bruder ist er nun einmahl nicht, und was er ihr seyn könne, nachdem sie so lange mit ihm umhergewandert ist, und dennoch die Keuschheitsprobe bestanden hat, das kann der grobe Verstand des Aethiopischen Hofes durchaus nicht begreifen. Endlich sagt sie, sie sey mit ihm verheirathet, aber der Vater glaubt, sie habe den Verstand verloren.

Theagenes bittet es sich zur Gnade aus, von Charikleas Hand zu sterben. Aber auch dieses wird ihm abgeschlagen.

Zuletzt entdeckt sich Chariklea ihrer Mutter, diese löset dem Vater das Geheimniß, und durch die Dazwischenkunft einiger Priester, die den Willen der Götter verkündigen, wird Theagenes nicht allein gerettet, sondern auch mit Chariklea verbunden.

Heliodor hat die Liebesgeschichte offenbar zur Epopoe erheben wollen. Seine Liebenden sind Helden in der Liebe. Ihre Schicksale zeichnen sich durch Ernst und Wichtigkeit aus, und die Form der Komposition hat die Feyer und die Oekonomie des Heldengedichts.

Die Sitten, welche uns Heliodor darstellt, unterscheiden sich auffallend von denen, die in allen bis jetzt von mir angezeigten Romanen vorkommen. Der Einfluß christlicher Ideen und des Standes des Verfassers auf seine Begriffe von der Würde des Charakters seiner Helden, und von dem Adel ihrer Liebe ist unverkennbar. Wir kommen hier in eine ganz neue Welt, worin die Verhältnisse der beyden Geschlechter zu einander sich von denjenigen völlig unterscheiden, die wir bis jetzt in den Schriften der Römer und Griechen angetroffen haben.

Chariklea ist ein hochherziges keusches Mädchen, eine Art von Diana, aber mit einem zärtlichen leidenschaftlichen Herzen. Heliodor versäumt keine Gelegenheit, sie ins Schöne zu mahlen. Gleich Anfangs erscheint sie muthig im Unglück, und bereit, ihr Leben zu endigen, wenn sie an dem ihres Geliebten verzweifeln müßte. Bey allen Gefahren bleibt sie voller Muth, Standhaftigkeit und Gegenwart des Geistes. Sie richtet gemeiniglich den Theagenes auf, ermuntert ihn zum Ausdauern, und windet sich durch ihre Klugheit aus den verwickeltsten Lagen heraus. Ihre Keuschheit geht ihr über alles, und sie widersteht den Begierden des Theagenes nicht aus Unerfahrenheit, nicht aus Sorge für ihren Ruf; sondern aus Gefühl ihrer Pflicht und ihrer Selbstwürde. Sie will nicht eher mit dem Theagenes allein bleiben, als bis er ihr schwört, ihre Unschuld nicht zu kränken, und den unnennbaren[WS 61] Genuß nicht eher zu verlangen, als bis sie in den Schooß ihrer Familie zurückgekehrt seyn würde. Sollte dieß nicht geschehen, so soll er warten, bis sie ihn freywillig geheirathet haben würde, und wenn auch das nicht geschehen sollte, so soll er allen Ansprüchen dieser Art entsagen. Ja, sie geht in ihrer Zartheit so weit, daß sie sogar fürchtet, daß ein lüsterner Traum der Reinheit ihrer Seele nachtheilig werden könnte.

Dieser jungfräuliche Sinn ist auch dem Theagenes eigen. Er hat nie der Geschlechtssympathie gehuldigt: er findet es überflüssig, daß er die Ehrfurcht, die er der Unschuld der Chariklea unausgesetzt beweisen will, noch mit einem Schwure bekräftigen soll. Die geringste Ermahnung seiner Geliebten zähmt seine Begierden mit leichter Mühe, und keine Versuchung ist im Stande, die Treue, die er ihr gelobt hat, im geringsten wankend zu machen.

Das Ziel der Intrigue ist zwar gleichfalls die Heirath. Aber keine Spur davon, daß diese feyerliche Verbindung darum von den Liebenden gesucht würde, um den unnennbaren Genuß von einander zu erhalten, und daß der Verfasser diesen Zweck der Leidenschaft nur darum an die Form der Ehe gebunden hätte, um die Zeit der Bewerbung, als den glücklichsten in der Verbindung der beyden Geschlechter länger auszudehnen. Nein! die Seelen der beyden Liebenden vereinigen sich gleich bey ihrer ersten Bekanntschaft, weil sie sich wechselseitig von dem Gefühle ihrer Würde durchdrungen fühlen. Sie suchen sich vor einander auszuzeichnen, und alle ihre Unterhaltungen mit einander athmen den Geist der Frömmigkeit und wahrer Liebe. Auch wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß ihre Tugenden durch ihre Verbindung mit einander belohnt werden sollen.

Man findet hier keine Darstellungen lüsterner Liebkosungen, oder eines kindischen Kosens. Die Liebenden sättigen sich mit keuscher und schamhafter Liebe, vergießen dabey warme Thränen, und wechseln reine Küsse. Wenn Theagenes sich ja einmahl vergißt, und über die Grenzen der Ehrbarkeit hinausschreiten will, so hält ihn Chariklea durch Erinnerung an seinen Schwur in Ordnung. Er läßt sich aber leicht zurecht weisen, da er der Liebe zwar unterthan, aber über seine Sinne Herr ist.

Die Beobachtung des Anstandes wird unter den beyden Liebenden so weit getrieben, daß Heliodor uns immer anzeigt, Theagenes und Chariklea hätten des Nachts verschiedene Zimmer eingenommen.

Der Ausdruck ihrer wechselseitigen Gefühle hat immer etwas Ernstes und Feyerliches. Völlig herrschend ist die Idee, daß gegenseitige Aufopferung der beyden Liebenden für einander das Wesen der Liebe ausmache. Kurz, die Liebe erscheint hier in ihrer wahren Gestalt, und zugleich auf einer hohen Stufe sittlicher Veredlung.

Bey allem dem hat sie keinen begeisterten, unternehmenden, rüstigen Charakter. Es ist ein schmelzender Enthusiasmus, der die Liebenden zu einander hinzieht. Sie widerstehen dem Schicksal, aber sie wissen es nicht zu lenken.

Dieß geht der Komposition unsers Heliodor noch ab, um ihr den Charakter einer vollständigen Liebesepopoe zu sichern. Uebrigens ist in der Form dem Heldengedichte nachgeahmt. Der Leser wird gleich in die Mitte der Handlung hineingesetzt. Der Styl ist zwar nicht frey von dem Schwulste der Rhetoren, aber doch minder üppig, als der des Achilles Tatius.

Der Ausdruck der Liebe ist nur selten ganz wahr, und fällt sogar hin und wieder ins Läppische. So ruft Chariklea einmahl aus: „Dieß Opfer Theagenes bring’ ich dir!“ – und hierbey raufte sie sich die Haare aus, und warf sie aufs Bett. „Diese Libation gieße ich aus den Augen, die dir so theuer sind!“ – und hierbey benetzte sie ihr Auge mit Thränen. – Heliodor hat mehr den wahren Begriff, als das wahre Gefühl der Liebe gehabt.

Ueberhaupt läßt sich in ästhetischer Rücksicht sehr viel gegen dieß Produkt sagen. Es fehlt sehr viel daran, daß es ein schönes Ganze sey. Kein einziger Charakter ist bestimmt, und mit Individualität gezeichnet. Dieser Vorwurf trifft selbst die beyden Helden der Geschichte. Chariklea geht aus ihrem Charakter heraus, wenn sie nach ihrer Wiedererkennung Anstand nimmt, ihren Eltern ihre Leidenschaft zum Theagenes zu erkennen zu geben, und diesen durch ihr Zaudern in Gefahr des Lebens bringt. Theagenes erscheint oft als ein Träumer, der die Hände ruhig in den Schooß legt, wenn er handeln soll. Calasiris soll eine Art von Ulysses seyn: Hydaspes ein großmüthiger König. Ueberall merkt man, daß die Natur nicht zu Rathe gezogen ist.

Die Begebenheiten sind sehr verwickelt, aber nicht gehörig verkettet, am wenigsten aber aus dem Betragen der handelnden Personen hergeleitet. Das letzte Buch ist das fehlerhafteste von allen, und es ist mir unbegreiflich, wie Huet [176] habe sagen können: die Auflösung sey bewundernswürdig. Die Handlung stockt: der Verfasser häuft einen Vorfall auf den andern, bloß um die Handlung aufzuhalten. Anstatt die Tochter von der Mutter in dem Augenblicke wieder erkennen zu lassen, worin sie von ihr zum Altare geführt worden wäre; muß eine gerichtliche und ermüdende Beweisführung eintreten. Theagenes erscheint dabey wie ein Possenreißer, und Hydaspes wie ein Blödsinniger.

Der Verfasser versteht sich nicht aufs Darstellen: er weiß nur zu beschreiben. Die geringsten Umstände werden mit ermüdender Weitschweifigkeit erzählt. Besonders sucht er seine Kenntnisse von Gebräuchen, Religionen, Ländern u. s. w. an den Tag zu legen.

Ueber dem Ganzen weht bereits ein mönchischer Geist, eine kindische mit Aberglauben angefüllte Phantasie. Sie äußert sich sogar in dem Kleide von Goldstoff, worin der Verfasser seine Chariklea wie ein Marienbild einkleidet, und das so oft vorkommt.

Doch, es darf hier nicht meine Absicht seyn, ein Urtheil über dieß Werk in ästhetischer Rücksicht zu liefern. Ich habe nur die Ideen des Verfassers über die Liebe zu entwickeln.

Eines muß ich aber doch noch anführen: nehmlich, daß mancher Zug in dieser Liebesgeschichte sich in den Romanen des vierzehnten, funfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts wieder findet. Z. B. daß Theagenes als Sieger im Wettrennen den Preis aus der Hand der Chariklea empfängt: daß er ihre Hand küßt: daß die Liebenden die Feuerprobe bestehen müssen, um dadurch ihre Unschuld darzuthun: daß die Rechtmäßigkeit der Nachfolge in der Hohenpriesterschaft zu Memphis durch einen Zweykampf entschieden wird, u. s. w. Das Ansehn, welches das Werk eines Bischofs bey den Christen gewinnen mußte, hat unstreitig auf die Schriftsteller und Leser von dieser Religion großen Einfluß haben müssen.

Die Liebesgeschichte der Rhodanthe und des Dosikles ist eine auffallende Nachahmung der Aethiopika des Heliodorus. Sie gehört dem Theodorus Prodromus an, von dem wir bestimmt wissen, daß er in der Mitte des zwölften Jahrhunderts gelebt hat.

Erfindung und Ausführung sind in diesem Romane gleich elend. Er hat nichts Eigenthümliches als dieß, daß er in Versen geschrieben ist. Aber diese sind so wässericht, und der Prosa so ähnlich, daß sie dem Werke den Nahmen des Gedichts auf keine Weise sichern können.


Eilftes Kapitel.
Athenäus.

Athenäus, ein Sophist aus dem dritten Jahrhunderte, hat uns im dreyzehnten Buche seiner philosophischen Tischgespräche eine Sammlung ohne alle Kritik aufgeraffter, und halb verstandener Anekdoten über die Liebe zu die Hetären und den Lieblingen hinterlassen. Sie klärt nicht die Sitten seiner Zeit auf: sie kann noch weniger zum Belege unsers Urtheils über die Vorzeit dienen; aber sie ist ein wichtiges Denkmahl des Geistes, der die Sophisten und die Grammatiker bey den Vorstellungen leitete, die sie sich von den Sitten Griechenlands während seiner blühendsten Periode machten.

Athenäus legt den Hetären zur Zeit der Republik und unter den ersten Nachfolgern Alexanders einen großen Stolz auf ihre gelehrten Kenntnisse und auf ihre Einsicht in den schönen Künsten bey, wodurch ihre Unterhaltung an Witz und leichtem Ausdruck gewonnen habe.

Es ist möglich, ich habe es schon gesagt, daß sich einige von diesen Weibern durch Geist und Talent ausgezeichnet haben. Aber was Athenäus zum Beweise beybringt, ist wahrlich nicht im Stande, einen hohen Begriff von ihrem Witze zu erwecken. Abgerechnet, daß ihre bon môts voller Unanständigkeiten sind, lassen sie sich auch mit demjenigen, was man in dieser Art von den filles de Paris, und besonders von der d’Arnoud erzählt, gar nicht in Vergleichung setzen. Und dann! Was rechnet Athenäus nicht alles zur Hetäre? Jedes Weib, das einmahl einer Leidenschaft gehuldigt[WS 62] hat: auch Sappho glaubt er mit diesem Nahmen zu ehren.

Es ist möglich, daß einige Philosophen und andre berühmte Männer Schwächen für Weiber dieser Art gehabt haben. Aber wird man es dem schmutzigen Grammatiker des dritten Jahrhunderts geradezu glauben, daß jeder berühmte Mann seine Beyschläferin aus dieser Classe gewählt habe, die Xenophon und die Komiker so verächtlich darstellen? Plato eine Archeanassa, Aristoteles eine Herpyllis, Epikur eine Leontium, Diogenes in Gemeinschaft mit dem Aristip eine Lais, Isokrates eine Metaneira, (die jedoch Demosthenes dem Lysias beylegen soll) Praxiteles eine Phryne, Menander eine Glycera?

Sieht dieß Alles nicht der Anekdotenjägerey eines Troßbuben der Litteratur ähnlich, dem die Lebensumstände eines bedeutenden Mannes wichtiger sind, als seine Werke, der um recht viel von jenen zu wissen, jede Schmährede seiner Zeitgenossen, jede apokryphische Schrift, die ihm untergeschoben wird, begierig aufrafft, und wohl gar aus der bloßen Nennung einer Person vom andern Geschlecht, die darin beyläufig vorkommt, Veranlassung nimmt, ihm ein Liebesverständniß anzudichten?

Welches Vertrauen kann ein Kompilator verdienen, der sich oft wiederhohlt, oft widerspricht, den nehmlichen Vers bald dem Homer, bald dem Sophokles zuschreibt, und die Ideen des Plato anführt, als ob er sie vom bloßen Hörensagen kennte!

Es ist endlich möglich, daß einigen dieser Hetären ausgezeichnete Ehrenbezeugungen widerfahren sind.

Reiche Wollüstlinge können, besonders nachdem sich ein Asiatischer Luxus durch die Eroberungen Alexanders in Griechenland eingeschlichen hatte, jene Mittel ihres Vergnügens im Rausche der Leidenschaft auf eine schamlose Art öffentlich geehrt haben. So mag ein Harpalus mit schändlich erpreßten Geldern den Hetären Pythionices und Glycera Denkmähler und Statuen haben errichten lassen. So kann der Enthusiasmus einer höchst sinnlichen Volksmenge der Lais auf einem Grabmahle den Beynahmen der Mutter des Amors gegeben, und der eben so schönen als verschwenderischen Phryne eine Statue im Tempel zu Delphi aufgestellt haben. Aber ist es nicht auch möglich, daß der leichtgläubige Schönsprecher die Ehre, deren ein Epigramm jene Weiber würdig hielt, als ihnen wirklich wiederfahren, angesehen habe!

Wie niedrig erscheinen sie bey ihm an andern Stellen. Eine unter ihnen hatte einen Beynahmen davon bekommen, daß sie sich vor der Thüre gewisse Thierchen absuchte, die selbst in Griechenland schwerlich zur guten Gesellschaft gehört haben. Und welche Ideen hat endlich unser Sophist von dem Zwecke der Verbindung mit den Hetären? Alles ging nach seinen Ideen auf den gröbsten Genuß hinaus, und er findet es um nichts unedler, von einer solchen Dame nach Andern für sein gutes Geld Besitz zu nehmen, als wenn man ein Haus oder ein Schiff kauft, das schon von Andern bewohnt und gebraucht ist.

Merkwürdig ist es, daß Athenäus bereits die Liebe zu den Lieblingen als eine grobe Ausgelassenheit betrachtet, sie mißbilligt, die Philosophen davor als vor ihrem Verderben warnt, und sie dennoch den berühmten Männern, die den Gegenstand seiner Bewunderung ausmachen, mit der größten Unbefangenheit zuschreibt.


Zwölftes Kapitel.
Griechische Anthologie.

Die Sammlungen griechischer Epigramme, die Konstantin Kephalas im zehnten, und Planudes im zwölften Jahrhunderte veranstaltet haben, enthalten gleichsam eine Musterkarte der verschiedenen Empfindungen, welche Geschlechtsverbindung und Liebe, seit den ersten Spuren der Kultur in Griechenland haben einflößen können. Inzwischen ist gewiß die größte Anzahl dieser kleinen Gedichte erst in späteren Zeiten, und in der Periode verfertigt, die ich hier umfasse.

Das griechische Epigramm ist weiter nichts, als der kurze aber glückliche Ausdruck einer einzelnen Bewegung unsers Herzens. Dieß unterscheidet es von der Idylle und der Elegie, die eine ganze Reihe von Bewegungen, eine Situation, eine ausgedehntere Stimmung unsers Herzens darstellen. Das Glückliche des Ausdrucks liegt theils in der Form, vermöge der Naivetät der Darstellung, und der Angemessenheit des Bildes; theils in dem Auffallenden der Empfindung selbst, in der Wahrheit und dem Zutreffenden der Bemerkung über uns selbst und Andere. Die Liebe muß natürlich vielen Stoff zu diesen Epigrammen hergeben.

Die eheliche Liebe äußert in dieser Sammlung die zartesten Gefühle, und kleidet sich in die reitzendsten Bilder. Mehrere Epigramme deuten auf wahre aufopfernde Zärtlichkeit unter den Gatten von beyderley Geschlecht hin: auf den Wunsch nach ungetrennter Vereinigung, selbst nach dem Tode: auf Achtung für Frauenwerth: auf Schönheit der Seele bey dem Weibe, die der körperlichen noch vorgesetzt wird. Mädchen und verheirathete Frauen, die zu der Classe der Matronen gehören, bekommen hier Kränze für ihre Tugenden, für ihre Talente; und selbst ihre gelehrten Kenntnisse, in Fächern die sonst nicht zur Kompetenz des zärteren Geschlechts gehören, z. B. in der Rechtsgelehrsamkeit, werden ein Gegenstand des Lobes. Daneben finden wir aber auch Spott über Weiber und ehliche Verbindungen, wiewohl nur sparsam ausgetheilt.

Hin und wieder zeigt sich der Ausdruck der verzehrendsten Leidenschaft, – und gleich darauf der einer frostigen Galanterie. Oft enthalten diese Gedichte ein reitzendes Geschwätz traulich in einander gelagerter Herzen; – oft steht das Bild einer zügellosen Ausgelassenheit zur Seite. Kurz! Alle Modifikationen der gröberen und feineren Geschlechtssympathie finden hier ihre Stelle: Lüsternheit, Begierde nach dem gröbsten körperlichen Genusse: Trieb nach kosender Unterhaltung, nach eitler Auszeichnung, nach dem Stolze auf den Besitz der Person, nach gänzlicher Vereinigung der Seelen zu einem Wesen; und alles dieß ist bald mit unverkennbaren Spuren wahrer Achtung und Liebe vermischt; bald völlig davon entblößt.

Eben diese Verschiedenheit zeigt sich in der Darstellung der Liebe zu den Lieblingen. Sie findet ihre Gegner, aber sie flößt auch Empfindungen ein, die auf den ausschweifendsten Begierden beruhen.

Auch den Hetären werden Blumen gestreuet, aber aus Achtung für ihren Charakter sind sie nicht entsprossen. Schönheit der Gestalt, gesellige Unterhaltungsgaben, Geschwätz, Musik, und die Kunst, bey Gelagen den Becher neckisch darzubieten; das sind die Vorzüge, die an ihnen gelobt werden!




Ende des dritten Theils.
Kurze Uebersicht
des Inhalts des dritten Theils.

Erste Abtheilung.

Dieser Theil entwickelt die allmählige Bildung derjenigen Begriffe über Geschlechtsverbindung und Liebe die noch heut zu Tage unter uns die gangbarsten sind, und setzt in Ansehung dieser Verhältnisse den Charakter und die Schicksale derjenigen Sitten auseinander, welche auf unsere jetzigen geselligen Einrichtungen Einfluß gehabt haben, oder deren Kenntniß wenigstens zum bessern Genuß der schönen Künste wichtig wird.

Die Geschichte der Liebe nach diesem vorgesetzten Plane, fängt mit Entwickelung der Denkungsart der Griechen an. Homer wird hier besonders wichtig. Aber um die Höhe genau zu messen, auf der seine Begriffe in diesem Punkte stehen, muß man die untern Stufen kennen, auf der sich die Denkungsart verschiedener Völker, in Rücksicht auf die Verhältnisse der beyden Geschlechter zu einander, befindet. Die größte Rohheit behandelt das Weib als Sklavin, mit Härte und Erniedrigung: beym Fortschritte der Kultur wird das Weib Mitglied der Familie; aber einige Völker kerkern es ein, und behandeln es bloß mit Schonung und Verzärtelung.

In einer solchen Lage kann Geschlechtsliebe der Regel nach nichts weiter heißen, als leidenschaftliches Streben nach dem Besitze der Person: man sucht das Weib nicht ihm selbst, sondern den äußern Verhältnissen abzugewinnen, und bey der Bewerbung um Gegengunst kann keine Achtung für Menschenwerth zum Grunde liegen. Beym Homer zeigt sich hingegen das Weib bereits als Matrone, als Hausfrau und Mitglied der örtlichen Gesellschaft, und es genießt diejenige Achtung, welche die treue Ausfüllung eines von dem Manne ihm vorgeschriebenen Zwecks einflößt. Hier heißt Geschlechtsliebe, der Regel nach, bereits ein leidenschaftliches Streben nach Einwilligung der Schönen in den Besitz ihrer Person, und in die Bewahrung ihrer Treue.

Diese Begriffe sind wahrscheinlich in allen griechischen Staaten bis zum Untergange ihrer freyen Verfassung, wiewohl mit einigen Modifikationen, die nehmlichen geblieben. Die Nachrichten welche wir von den Spartanern haben, verdienen eine nähere Kritik. Allem Ansehn nach haben ihre Weiber keiner ausgezeichneten Achtung und Selbständigkeit vor den übrigen Griechinnen genossen. Inzwischen ist in der Zeit vom Homer bis zum Untergange der Freyheit Griechenlands die Geschlechtssympathie sowohl des Körpers als der Seele sehr verfeinert, und der Genuß, den man aus den Geschlechtsverbindungen gezogen hat, vervielfältigt und erhöhet worden. – Die weitere Ausführung dieser Ideen enthält das dreyzehnte Buch.

Die Denkungsart der Athenienser verdient eine besondere Prüfung. Man muß aber diejenige, welche das Gesetz dem großen Haufen vorschreibt, von der guten Sitte des wohlerzogenen Menschen, und diese wieder von der Anschauungsart des einzelnen Philosophen absondern. Ferner kann die Matrone mit der Hetäre, oder dem Freudenmädchen, nicht in eine Classe gesetzt werden.

Der Gesetzgeber oder der Staatsmann, räumte dem Weibe keine bürgerliche, sondern nur gesellschaftliche Rechte ein, sah in ihm nur das Werkzeug der Population, der Pflege und des Wohlstandes des Bürgers, und hielt diejenige Gattin für die Beste, mit der sich die Sorge für die öffentliche Ruhe und Sicherheit am wenigsten zu beschäftigen brauchte. Er verstand unter Gattenliebe nichts anders als ein gesetzliches Band, das zum Kinderzeugen und zum gemeinsamen Wirthschaften eingegangen sey, und seine Festigkeit von der Ueberzeugung der beyden Verbündeten erhielt, daß sie sich einander zu Erfüllung jener Zwecke unentbehrlich wären.

Die gute Sitte räumte aber der Matrone zugleich einen Anspruch auf öffentliche Achtung für alle diejenigen Tugenden ein, die ein wirthschaftliches, sittsames, liebendes Weib im Kreise ihrer Familie, und in ihren Verhältnissen zu dem Ganzen der menschlichen Gesellschaft zeigen kann. Ja sie hat dem zärteren Geschlechte sogar Anlagen zu männlicher Weisheit, zu Kenntnissen, zur Seelenstärke und zum Patriotismus zugetrauet, und die einzelnen Weiber, die sich dadurch auszeichneten, mit ihrem Interesse und ihrer Bewunderung begleitet. Dieß beweisen besonders die Tragiker, und vor allen der wegen seines Weiberhasses so sehr berufene Euripides.

Inzwischen, wahren Anspruch auf Bürgertugend, und auf dasjenige was der wohlerzogene Athenienser eigentlich edel und schön nannte: ausgezeichnetes Verdienst in einem dem Wohl des Staats unmittelbar gewidmeten Leben, legte dieser der Matrone nicht bey, und darum schätzte er sie auch weniger als den Bürger. – Nach diesem Verhältnisse des Weibes zum Manne, war die Liebe des Letztern zur Matrone noch immer keine wahre Geschlechtszärtlichkeit, keine Freundschaft, sondern entweder ein leidenschaftliches Streben nach ihrer Gunst, um dadurch zu dem Besitze ihrer Person zu kommen: oder eine liebende Anhänglichkeit wie sie der Patron gegen seinen Klienten empfinden mag. Von Seiten der Matrone hieß Liebe ungefehr das nehmliche, nur daß sie im Verhältnisse des Klienten zum Patrone stand, und daß ihre Anhänglichkeit treuer, dienstgeflissener und aufopfernder erschien.

Der Athenienser interessierte sich mehr für die liebende Gattin, als für den liebenden Gatten, und selbst an jener hielt er die Kinder, Eltern und Geschwisterliebe für edler als die Gattenliebe. Der Grund war zwiefach: Einmahl standen die ersten Arten der Liebe im genauern Verhältnisse mit der uneigennützigen Vaterlandsliebe; zweytens konnte weniger davon auf die Mitwirkung gröberer Triebe gesetzt werden.

Dieß gilt im Allgemeinen. Wir finden aber auch Spuren, daß dem Athenienser wahre Freundschaft oder Zärtlichkeit zu der Gattin keine unbekannte Empfindung gewesen ist, und völlig falsch ist die Behauptung, daß er den moralischen Werth des Weibes verkannt, und gegen die Ehe eine von der guten Sitte gebilligte Abneigung empfunden habe.

Unter den Selbstdenkern hat sich Xenophon wenig von den Ideen seiner Landesleute entfernt. Plato mehr; aber eine Verachtung der Weiber, ihren Anlagen nach, ist ihm nicht Schuld zu geben. Er war nur Verächter des zärteren Geschlechts in seiner damahligen Lage, bey seiner vernachlässigten Ausbildung; und diese kam ihm besonders darum so tadelnswürdig vor, weil er das Weib fähig hielt, zum Range des Bürgers durch eine veränderte Erziehung hinaufgehoben zu werden.

Die Vorstellungen die man sich von den Hetären der Athenienser zur Zeit des Flors ihrer Republik macht, sind übertrieben. Sie können es in der Kunst zu gefallen, nach allen zuverläßigen Nachrichten, die wir darüber haben, nicht einmahl[WS 63] so weit gebracht haben, als die Freudenmädchen der ersten Classen in unsern großen Hauptstädten. Die gute Sitte hat die engere Verbindung mit ihnen nie gebilligt. Liebe zur Hetäre hieß, der Regel nach, Begierde nach körperlichem Genuß, Trieb nach kosender Unterhaltung, und da wo diese auch noch so sehr verfeinert gewesen seyn mag, hat das Verhältniß nicht sowohl allgemeinen Beyfall, als Nachsicht vor der Gesellschaft wohlerzogener Menschen in Athen gefunden.

Dieß ist der Inhalt des vierzehnten Buchs.


Wahre Zärtlichkeit, Freundschaft und besonders edle und schöne Liebe, hat der Athenienser vorzüglich in der Verbindung mit den Lieblingen aufgesucht.

Diejenige Ausgelassenheit der Begierden, welche Personen, die äußern Kennzeichen nach zu einerley Geschlecht gehören, bey einander erwecken, kann nicht für eine Verirrung der thierischen Natur in südlichen Ländern gehalten werden. Sie hat in Griechenland lange vor Gründung der Gymnasien existiert. Man hat aber früh das Unanständige und Schädliche, das darin liegt, eingesehen. In einigen Staaten ist sie durch Gesetze verboten worden, in andern hat sie die Mißbilligung der guten Sitte auf sich gezogen. In Athen wo nur diejenigen Schwächen und Laster ein Gegenstand der Gesetze waren, die mit den Pflichten gegen den Staat im unmittelbarem Widerspruche standen, wurden auch nur diejenigen Ausschweifungen bestraft, welche die Rechte des Eigenthums und der Freyheit des Bürgers kränkten. In so fern die Ausgelassenheit der Begierden gegen Lieblinge diese Gefahr besorgen ließ, waren ihr Grenzen von dem Gesetze gesetzt. Um dasjenige, was heimlich und freywillig geschah, bekümmerte es sich nicht.

Die gute Sitte in Athen behandelte diese Ausgelassenheit nicht mit Gunst, aber mit Nachsicht. Sie legte Werth auf Ehrbarkeit in diesem Punkte, aber sie sah den Mangel daran nicht mit dem nehmlichen Abscheu wie wir an.

Die Liebe zu den Lieblingen zog ihr Interesse keinesweges aus der leidenschaftlichen Begierde nach Befriedigung dieser Ausgelassenheit, sondern aus dem Ansehen der Heldenfreundschaften, deren Andenken die Mythologie, die frühere Geschichte des Vaterlandes, und die Künste theuer machten; verbunden mit den glücklichen Folgen, welche solche Verbindungen, und der rüstige thätige Enthusiasmus der die Liebenden beseelte, für das Wohl des Staats in Krieg und Frieden haben konnten. Diese wurden dadurch angewöhnet, sich für des Mitbürgers Werth zu begeistern, und sich für fremdes Wohl aufzuopfern: die Grundlage des Patriotismus!

Zufrieden aus solchen Gründen den leidenschaftlichen Charakter der diese Liebe allemahl von Freundschaft unterschied, erklären, und die gröberen Triebe, die mit unterliefen, durch diesen Schleyer bedecken zu können; sah man Schwächen nach, die nicht in zügellose Brutalität ausarteten, und die, durch große Vortheile ausgetilgt, zur Verstärkung des Bundes zwischen ausgezeichneten Bürgern dienten.

Xenophon und Plato suchten diese Art von Atheniensischer Cicisbeatur zu veredeln und zu verschönern. Von beyden wird Sokrates als Beyspiel und Lehrer in diesem Stücke aufgestellt. Nach dem Xenophon, will Sokrates für seine Person an seinem Lieblinge mit einer Zuneigung hängen, die völlig rein vom Zusatze körperlicher Triebe seyn soll.

Sogar die Gestalt ist ihm gleichgültig: glückliche Anlagen des Geistes und ein edles Emporstreben nach Ruhm und Bürgervortrefflichkeit in dem Jünglinge sind die Gründe seiner Freundschaft für ihn. Hingegen von seinen Schülern glaubt er diese Stärke nicht erwarten zu können, und er ist zufrieden, wenn sie nur dem Andringen der Begierden kräftig widerstehen, und bey dem Eindrucke den die schöne Gestalt auf sie macht, sich durch Pflicht und Anstand leiten lassen. Er rechnet sogar darauf, daß die verhaltenen Triebe des Körpers die Begeisterung erhöhen werden, und nutzt diese, um darauf Verbindungen zu gründen, die das Wohl des Staats befördern, und sich endlich in bloße Freundschaft auflösen. Sokrates fühlt, beym Xenophon, das Wesen der Liebe sehr gut, und setzt es in die Anerkennung des Werths eines andern selbständigen Menschen, und in die Beförderung seines Wohls.[WS 64] Diese Liebe erhält dadurch ihre höchste Veredlung, daß die Liebenden sich einander das höchste Gut, Bürgertugend, mitzutheilen suchen, und in dem Genuß ihres gemeinschaftlichen Ruhms zusammen treffen.

Weniger richtig faßt der Sokrates beym Plato den Begriff der Liebe. Er verwechselt sie, wo er sie tadelt, mit leidenschaftlicher Begierde nach Körperverbindung; wo er sie lobt, mit begeistertem Beschauungstriebe, und veredelter Selbstheit. Er ist auch nicht allemahl übereinstimmend mit sich selbst in den Ideen, welche ihm der versatile Geist seines phantasiereichen Schülers an verschiedenen Stellen in den Mund legt. Doch läßt sich Vieles in dieser Verschiedenheit daraus erklären, daß er seine Grundsätze auf verschiedene Lagen und Personen anwendet. Da wo er den großen Haufen, in den Staaten die wirklich existieren, durch Gesetze verbessern will, verbietet er alle leidenschaftliche Liebe zu den Lieblingen. In seiner idealischen Republik ordnet er Alles, selbst die Sittlichkeit des einzelnen Bürgers, dem allgemeinen Besten unter, und sucht in der Ausgelassenheit der Begierden ein Verwahrungsmittel gegen engere Verbindungen unter einzelnen Personen. Hingegen in dem Phädrus und in seinem Gastmahle betrachtet er den einzelnen auserlesenen Menschen, wie er in der Schule des Philosophen ausgebildet und bewacht werden kann.

In diesen beyden letztern Gesprächen sieht Plato den Trieb nach der Urschönheit als den Grund an, warum uns das Schöne hiernieden anzieht, setzt den Zweck der Liebe zu den Lieblingen in derjenigen Vollendung im Edeln und Guten, die uns des Anschauens der Urschönheit würdig macht, und preiset die Erhebung über die Sinnlichkeit als ein Mittel uns dem endlichen Ziele unserer Wünsche näher zu bringen. Eine leidenschaftliche Begeisterung, die auf solchen Gründen beruht, ist ihm edel und verehrungswürdig.

Inzwischen findet sich doch selbst nach diesen beyden Gesprächen einige Verschiedenheit in den Meinungen, die Plato dem Sokrates beylegt. Im Phädrus wird der Schüler des Philosophen geschildert, der noch nicht auf derjenigen Stufe der Vollkommenheit steht, die Sokrates im Gastmahle von sich selbst fordert. Jener ist noch nicht frey von den Anfällen der Sinnlichkeit, aber er weiß sie zu unterjochen; dieser braucht nicht weiter dagegen anzukämpfen, er sieht in der schönen Gestalt weiter nichts als ein schwaches Abbild der Urschönheit, das noch dazu mit demjenigen, welches ihm die Schönheit des Geistes darbietet, gar nicht verglichen werden kann. –

Dieß ist der Inhalt des funfzehnten Buchs.


Von der Zeit an, da die Republiken Griechenlands ihre Selbständigkeit verloren hatten, läßt sich kein zuverlässiges Urtheil über die Denkungsart der guten Gesellschaft in irgend einem Staate dieses Landes über Geschlechtsverbindung und Liebe fällen.

Man kann die Meinungen der philosophischen Sekten, den Gebrauch den die Dichter von der Liebe gemacht haben, angeben, aber die lokale gute Sitte läßt sich schwer bestimmen.

Indessen offenbart sich allgemein eine veränderte Denkungsart nach veränderter Regierungsform in folgenden auffallenden Zügen.

Mit den republikanischen Leidenschaften verlor sich auch die Achtung für die Liebe zu den Lieblingen. Dagegen gewann die Liebe zu den Weibern an Interesse. Dazu trug nicht allein die abgewandte Aufmerksamkeit und Neigung von dem öffentlichen Leben zu dem häuslichen und örtlich geselligen: nicht bloß die Ausgleichung beyder Geschlechter durch die verminderte Wichtigkeit des Mannes, als Staatsbürgers bey; sondern auch der Einfluß der Höfe, besonders in Alexandrien, und des daselbst herrschenden Ansehns der Königinnen. Die Philosophen verdammten von nun an alle Leidenschaft in der Liebe, die sie nur unregelmäßigen körperlichen Trieben zuschreiben konnten, und drangen auf eine kältere Anhänglichkeit: die Dichter erweckten noch ferner Interesse durch die Darstellung dieser Leidenschaft, aber an die Stelle des rüstigen Enthusiasmus, der die Liebe zu den Lieblingen in den Freystaaten Griechenlands charakterisiert hatte, trat eine leidende, hinschmelzende, üppige Empfindsamkeit für Weiber und Weichlinge.

Diesen Gründen ist es zuzuschreiben, daß die späteren Platoniker die Lehren ihres Vorgängers bald mißverstanden, und der thätigen mit republikanischer Tugend in genauer Verbindung stehenden Leidenschaft für das Schöne, einen unthätig beschauenden Vereinigungstrieb mit Gott untergeschoben haben. Der Mensch der sich von dem allgemeinen Wohl und von dem Aeußeren immer mehr zu seinem Innern, und zu demjenigen was ihm zunächst liegt, wendet, versteht unter Liebe kaum etwas anders als verschleyerten Egoismus. Derjenige Egoismus der bey dem Stoiker in näherer[WS 65] Verbindung mit dem geistigen Stolze[WS 66] stand, lehrte nicht den Freund, die Person, sondern die Freundschaft, das Verhältniß, als etwas Schönes in sich, und als einen Theil der Weisheit zu lieben; während daß bey dem Epikureer, derjenige Egoismus, der mit der Sinnlichkeit in näherem Verhältnisse steht, den Freund als ein Mittel betrachtete, sympathetische Wonne herbey zu führen. Aristoteles erkannte jedoch das wahre Wesen der Liebe, und ließ wirklich liebende Anhänglichkeit in der ehlichen Verbindung zu. Plutarch brachte sogar platonische Leidenschaft in die Liebe zu den Weibern, ohne diese mit der Befriedigung körperlicher Triebe unvereinbar zu halten.

Unter den komischen Dichtern dieser Zeit sind sowohl Terenz als Plautus zu den Darstellern griechischer Sitten zu zählen. Bey ihnen erscheint die Hetäre in keinem günstigen Lichte: die Matrone steht dagegen in Achtung. Beyde Schriftsteller fühlen sehr gut das Wesen der Liebe, und schildern sie in der Verbindung mit Weibern.

In Alexandrien, einer höchst luxuriösen Residenz und Handelsstadt, hat die verliebte Intrigue an Ausbildung gewinnen müssen. Die Elegie welche im Grunde nichts anders ist, als die poetische Darstellung der Lagen und Empfindungen, welche das Liebesverständniß im gewöhnlichen Leben herbeyführt, hat hier, nebst der Heroide, (dem Liebesbriefe ausgezeichneter Personen in außerordentlichen Lagen,) wahrscheinlich ihren Ursprung genommen. Die Hofdichter fangen schon an die Königinnen mit frostiger Galanterie zu vergöttern, und der freyere gesellige Ton in der Stadt leidet schon Aufmerksamkeiten der Freundschaft gegen die Gattin eines Andern.

Gegen das Ende dieser Periode hat man bereits den Stoff zu prosaischen Kompositionen zur unterhaltenden Lektüre, von der Liebe und Geschlechtsverbindung entlehnt. Lucian hat uns eine Redeübung hinterlassen, worin ein Ideal weiblicher Vollkommenheit beschrieben wird. Apulejus hat uns ein verliebtes Mährchen geliefert. Auch datiert der erste Roman aus dieser Periode.

Dieß ist der Inhalt des sechzehnten Buchs.


Bey den Römern zeigt sich der nehmliche Einfluß der Regierungsform auf die Begriffe von dem Werthe der Weiber und der engern Verbindung mit ihnen. Mit dem Falle der Republik, und des Ansehns des Mannes als Staatsbürgers und Patriarchen in seiner Familie, steigt die Frau an Wichtigkeit: sie[WS 67] wird unter den Monarchen den übrigen Unterthanen gleichgestellt, und ein unmittelbarer Gegenstand der öffentlichen Fürsorge. Die gute Sitte band das Frauenzimmer zu den Zeiten vor der Zerstörung von Karthago an die nehmliche Eingezogenheit und Absonderung von dem Manne, wie in Griechenland zu den Zeiten des Flors der dortigen Freystaaten. Nachher erhielten die Römerinnen mehr gesellige Freyheit, doch ist die Unbefangenheit des Umgangs zwischen beyden Geschlechtern nie bis zu dem Grade gestiegen, welche ihm diejenigen Länder gegeben haben, die den Sitten des ehmahligen französischen Hofes huldigen. Die Liebe zu den Lieblingen hat in Rom nie das Ansehn einer republikanischen Leidenschaft erhalten können. Unter edlerer und schönerer Liebe zu dem Frauenzimmer hat die gute Sitte eine sinnliche Leidenschaft verstanden, die zu großen Aufopferungen des einsamen Lebens für das Glück des Zusammenlebens aufforderte, und dieses Glück durch Feinheit und Fülle des Gefühls und des Witzes zu würzen wußte. Die Edelsten im Volke haben dieser Liebe wenig Werth beygelegt.

Das Wichtigste was uns der Römer in Rücksicht auf den Gegenstand unserer Untersuchung liefert, ist der Geist der Liebesverständnisse und ihrer Behandlung nach der Darstellung der Elegiker. Dieser Geist scheint gutentheils echt römisch zu seyn, und hat höchst wahrscheinlich nach einem Jahrtausend den Geist der Galanterie des Mittelalters erweckt.

Der römische Elegiker schildert arme aber talentvolle Liebhaber, die um die Gunst leichtfertiger Weiber buhlen, die gemeiniglich an Freygelassene verheirathet, oder von reichern Wollüstlingen unterhalten sind. Die Geliebten, wenig bekümmert um ihren Ruff, hängen desto mehr von der Furcht vor der Wachsamkeit ihrer Hüter, von ihren Launen, und ihrer Habsucht ab. Dieß giebt der Sprache der Liebhaber den Ton einer leidenschaftlichen Abhängigkeit von ihren Gebieterinnen als schwer zu gewinnenden Gegenständen sinnlicher Begierden, selbst da, wo sie die leichtsinnigste Verachtung für die Person in ihrem Herzen fühlen. Zu dem Genuß den die Verheimlichung des Verständnisses vor den Augen der Aufseher, und die Ueberwindung von Schwierigkeiten gewährt, gesellt sich ein pikanter Reitz für die Eitelkeit. Die nicht erkaufte Auszeichnung, giebt den geringsten Gunstbezeugungen einen höhern Werth, und dieser wird durch den Antheil erhöhet, den das Publikum an dem Gange der Intrigue nimmt, den ihm der Dichter unter fremden Nahmen vorsingt, oder den es an öffentlichen Oertern selbst belauscht.

So zeigen sich bereits hier einige auffallende Züge der Galanterie, eine Sprache in der Nichts wie Alles klingt: eine Befriedigung der Eitelkeit, die oft einem Nichts den Werth von Allem beylegt.

Zu mehrerer Bestärkung dieser Bemerkungen wird der Charakter einiger Dichter, und der Gebrauch den sie von der Liebe gemacht haben, entwickelt.

Dieß ist der Inhalt des siebzehnten Buchs.


Mit der Einführung des militärischen Regiments und dem Verfall des Geschmacks unter dem Septimius Severus fängt eine neue Periode an. Das Weib war bis jetzt, der guten Sitte nach, dem Manne im Ganzen wichtig, und einzeln ihm gleichgeachtet worden. Von jetzt an aber ward es, eben dieser guten Sitte nach, im Ganzen dem Manne gleichgeachtet, und einzeln sogar vorgezogen. Mehrere Gründe haben dazu mitgewirkt, und diese Denkungsart fort erhalten, bis sich mit dem Untergange des Reichs sowohl im Abend- als Morgenlande die Spur des Volkscharakters der Römer und Griechen verliert.

Nach dem Verluste des Nationalstolzes vermehrte sich bey dem Römer die Abneigung gegen das öffentliche Leben, und bey der Unsicherheit des Eigenthums, bey der Abnahme der Künste einer verfeinerten Sinnlichkeit konnte er selbst aus dem Privatleben keinen befriedigenden Genuß ziehen. Er wandte sich also zu einem Daseyn in einem übersinnlichen Reiche, und legte besonders Werth auf diejenigen Tugenden, die ihm seine Existenz erträglicher machten und ihm in einem künftigen Leben Belohnung versprachen. Die Neuplatonische Philosophie und die Lehren der christlichen Religion boten ihm dazu die Hände. Sie befahlen ihm Erhebung über die Sinnlichkeit, stete Rücksicht auf ein unsichtbares Reich, geduldige Stärke und Demuth bey allen noch so widrigen Schicksalen in dieser Welt.

Gerade dieß aber waren Vorzüge, worin das Weib dem Manne nicht nur gleich kam, sondern ihn auch übertraf. Die christliche Religion hob besonders das Ansehn des Weibes aus Gründen die in ihren Dogmen selbst, und in der Geschichte ihrer Ausbreitung liegen. Mehrere ausgezeichnete Fürstinnen, der Einfluß, den das zärtere und zu Intriguen besonders aufgelegte Geschlecht an den Höfen bekam, die immer mehr nach asiatischer Weise von der übrigen Gesellschaft abgesondert wurden; der pomphafte Ausdruck des morgenländischen Ceremoniels: die von den Christen gelehrte Pflicht, sich vor dem Hülfsbedürftigen und Schwachen zu demüthigen; alles dieß trug zu dem wachsenden Ansehn der Weiber bey.

Die höhere Tugend der damahligen Edlen im Volke verwarf freylich alle leidenschaftliche Anhänglichkeit an einem Weibe, so wie jede weltliche Freude, und ließ die Ehe nur aus Noth zu. Aber sie gestattete doch Freundschaft unter beyden Geschlechtern, und man darf sagen, daß erst in dieser Zeit der Begriff dieses Verhältnisses auf die Verbindung zwischen den beyden Geschlechtern zutraf, die von nun an gleiche Vorzüge an einander anerkannten, und gleiche Lieblingsneigungen mit einander theilten.

Die gemeine Tugend, oder die gute Sitte des wohlerzogenen größern Haufens, behielt inzwischen noch Interesse an der leidenschaftlichen und mit Sinnlichkeit vermischten Liebe. Aber die Denkungsart jener Edlern wirkte doch so viel, daß sie in diese Liebe mehr Achtung für den persönlichen Werth des Weibes und mehr Züchtigkeit brachten. Die Liebe zu den Lieblingen verschwand, und die Ehe ward entweder das Ziel der Liebesverständnisse, oder doch ein Band, worin man gleiche Treue und Beständigkeit von Seiten beyder Gatten erwartete, und mit Interesse bemerkte.

Inzwischen bildete sich diese Denkungsart nicht auf einmahl und allgemein um. Die Zunft der Sophisten und Grammatiker blieb noch lange aus Vorliebe zu den Meisterstücken der alten Litteratur an den Vorstellungen hängen, die sie sich von den Sitten des alten Griechenlands zur Zeit seines Flors, oft nach sehr ungewissen Traditionen bildete. Aber selbst in den Darstellungen, die sie uns von diesen liefern, zeigen sich manche Spuren der Denkungsart ihres Zeitalters.

Zwey merkwürdige Erscheinungen verdanken wir dieser Periode: den Liebesbrief und die Liebesgeschichte, beyde in Prosa. In der ersten Gattung haben sich Philostrat, Alciphron und Aristänet ausgezeichnet. Ungeachtet ihrer Vorliebe für das Alterthum brechen doch die Sitten ihrer Zeit an unzähligen Stellen durch. Einige der Hauptideen, besonders die, daß die Entbehrung des unnennbaren Genusses die Begeisterung erhöhe, und die Verbindung dauerhafter mache; ferner die Sprache frostiger Schmeicheley, werden hier beynahe in der nehmlichen Gestalt wie im Mittelalter angetroffen.

Die griechischen Romane lassen sich auf drey Gattungen bringen. Die erste enthält wunderbare Geschichten der Standhaftigkeit und Treue bereits vermählter Liebenden. Die Charaktere dieser Personen sind thätig und einwirkend auf ihr Schicksal. Der Styl nähert sich dem Ernst der Geschichte. Sie sind wahrscheinlich Trauerspielen oder Pantomimen nachgebildet. Hieher gehören die Werke des Jamblichius, Chariton und Xenophon Ephesius.

Die zweyte Gattung setzt das Ziel der Intrigue in die Lösung des jungfräulichen Gürtels unter Sanktion der Gesetze, und das Interesse beruht auf der Ueberwindung der Schwierigkeiten, die sich der Ehe widersetzen. Die Idee, daß der Stand des Strebens und der Bewerbung glücklicher sey, als der des Besitzes, liegt dabey zum Grunde. Die Schwierigkeiten liegen aber nicht in dem Innern der handelnden Personen, sondern bloß in äußern Verhältnissen. Sie selbst werden bloß leidend, träumend und als Bälle des Schicksals vorgestellt. Die Komödie scheint den Romanenschreibern dieser Gattung zum Muster gedient zu haben. Es gehören dazu Achilles Tatius, Longus, und Eusthatius. Der Styl hat alle Fehler und besonders die Lüsternheit der Sophisten.

Endlich liefert die dritte Gattung wahre Liebesepopäen, und die Verfasser scheinen wirklich Heldengedichte zum Vorbilde gehabt zu haben; denn die Liebenden sind Helden, die durch Seelenadel, Keuschheit, Treue und Standhaftigkeit alle Hindernisse überwinden, die sich ihrer ehlichen Verbindung entgegen setzen. Heliodorus und Prodromus müssen hierher erzählt werden.

Dasjenige, was Athenäus von der Liebe zu den Hetären und den Lieblingen schreibt, hat nur darum berührt werden müssen, weil es die Vorstellungsart der Sophisten und Grammatiker an den Tag legt. Die griechische Anthologie enthält eine Musterkarte der Empfindungen, welche die verschiedensten Modifikationen der Geschlechtssympathie von der ersten Spur der Kultur unter den Griechen an, bis zum zehnten und zwölften Jahrhunderte herab eingegeben haben.

Dieß ist der Inhalt des achtzehnten Buchs.


Verbesserungen zur ersten Abtheilung des dritten Bandes.

Seite 015 Zeile 16 von unten: diesen für dieser.
- 015 - 01  - -  daß für ßad.
- 020 - 14  - -  mehrerer für unserer.
- 025 - 14  - -  muß das aber weg.
- 028 - 18  - -  kein für keine.
- 052 - 15  - -  müssen die Worte: eine Klasse – hergenommen wurden in einer ( ) stehen, und dagegen die ( ) vor und nach dem Worte Hetären, so wie vor Freudenmädchen weg.
- 061 - 12 von unten: Theben für Troja.
- 064 - 07  - -  muß hinter Vettern ein (,) stehen.
- 065 - 09 von oben: vor für von.
- 072 - 11 von unten: muß hinter Gattin ein (,) stehen.
- 074 - 03 von oben: nun für nur.
- 079 - 01 von unten: muß hinter waren ein (,) stehen.
- 080 - 08 von oben: muß es weg.
- 084 - 11 von unten: das Klugheit und Muth mit Sittsamkeit paart, für: das Klugheit – gepaart.
- 094 - 03 von unten: Pyrrhus für Perseus.
- 103 - 01  - -  leidenschaftlichen für leidenschaftlicher.
- 105 - 09  - -  muß das (,) hinter entwickeln ein (:) seyn.
- 107 - 07  - -  ernsten für ersten.
- 112 - 09  - -  muß hinter Vermögen ein (,) gesetzt werden.
- 115 - 07 von oben: Nikerates für Nikeratus.
- 126 - 02 Ergötzung für Ergetzung.
Seite 126 Zeile 16 von oben: Aristenät für Aristenant.
- 126 - 19  - -  trieben für treiben.
- 130 - 10  - -  fehlt hinter der ein (,)
- 130 - 25  - -  berühmtesten für berühmten
- 131 - 03 und 4 von oben: müssen die (;) in (:) verändert werden.
- 155 - 05 von unten: Eindruck für Ausdruck.
- 185 - 11 von oben: bösen für bößen.
- 257 - 07 von unten: muß zwischen den Worten: worden. – Denn – folgender Satz eingeschaltet werden: Dies sind keine wahren Freunde.
- 259 - 01 von unten in der Note: Eudemiorum für Endemiorum.
- 267 - 07  - -  angesehener für angesessener.
- 284 - 05  - -  Charakterisierung für Chakterisierung.
- 289 - 16  - -  fehlt hinter hatte das (,)
- 292 - 02  - -  verstorbenen für verstor.
- 306 - 12  - -  wollen für wollten.
- 310 - 13  - -  fehlt das (,) hinter Sinnlichkeit.
- 327 - 06  - -  muß der weg.
- 328 - 06  - -  endlich Reue über eine, für: endlich über eine.
- 337 in der Note 74: Carmen 6. v. 18. für Carm. 6. v. 8.
- 342 - 02 von unten: hinaufreichen für hinreichen.
- 352 - 17  - -  verehrt für verehrte.
- 352 - 18  - -  begleitet für begleitete.
- 362 - 04  - -  mich für mir.
- 362 - 03  - -  deine für deiner.
- 378 - 01  - -  muß das (,) hinter zeigen weg.
- 380 - 06  - -  erfolgt für erfolgte.
- 427 - 01 von oben: nicht einmahl für nicht ein Mahl.
- 429 - 14 und 15 von oben: in die für in der.
- 432 - 14 von oben: näherer für näher.
- 433 - 03 von unten: sie für und.
- 433 - 03  - -  muß das (,) hinter Wichtigkeit ein (:) seyn.

Venus Urania.

Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung.

Dritten Theils zweyte Abtheilung.


Von
Fried. Wilh. Basil. von Ramdohr.

Leipzig,
bey Georg Joachim Göschen. 1798.
Dritter Theil.

Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe.
Neunzehntes Buch.
Denkungsart der Araber und Perser über Geschlechtsverbindung und Liebe.


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Die Ideen der Orientaler über Liebe und Geschlechtsverbindung können mich nur in so fern interessieren, als sie von einer gewissen Bildung des Herzens und des Geistes zeugen, die wieder auf die Bildung des Ideenkreises, worin wir leben, Einfluß gehabt haben kann. Dieß ist der Gesichtspunkt, den ich gleich zu Anfang dieser Geschichte der Liebe und der Geschlechtssympathie angegeben habe, und den ich auch hier nicht verlasse. Wie die rohen Völker am Caucasus über ihr Verhältniß zu dem zärteren Geschlechte gedacht[WS 68] haben mögen; oder welche Begriffe der Bramine und der Mandarin in Indien und China darüber gehabt[WS 69] haben können; das sind für mich Gegenstände einer unfruchtbaren Neugierde. Ich verfolge die Schicksale der Kultur unserer Begriffe über den wichtigen Theil der Sitten, dem dieses Buch gewidmet ist.

Nach diesen Grundsätzen gehe ich bloß auf dasjenige ein[WS 70], was die Araber und Perser über Geschlechtsverbindung und Liebe gedacht haben. Diesen beyden Völkern legt man einen großen Einfluß auf die Kultur des Abendlandes überhaupt, und besonders auf diejenige Sitte bey, welche wir unter dem Nahmen der Galanterie im nächsten Buche kennen lernen werden. In wie fern dieser Einfluß anzunehmen, und wohin er zu beschränken sey, das muß vorzüglich aus derjenigen Untersuchung erhellen, die wir jetzt anstellen wollen.

Es ist nicht von mir zu erwarten, daß ich die Arabische und Persische Litteratur aus der Grundsprache kennen soll. Ich habe mich an Uebersetzungen und an Auszüge halten müssen. Schade daß dieser bis jetzt nur wenige sind! Aber dieß Wenige habe ich nach bestem Fleiße genutzt. Ich wiederhohle hier den Dank, den ich schon in der Vorrede zum dritten Theile dem Herrn Professor Tychsen gezollt habe. Ihm bin ich die Einsicht der Werke schuldig, die ich zu der folgenden Arbeit genutzt habe.

Zweytes Kapitel.
Ideen der ältern Arabischen Dichter über veredelte Geschlechtsverbindungen.

Mich dünkt, Richardson [177] und Jones [178] fehlen beyde darin, daß sie bey der Darstellung der morgenländischen Litteratur und Gebräuche zwey Hauptperioden nicht unterscheiden, von denen die eine vor der nähern Bekanntschaft dieser Völker mit den Schätzen der Griechischen Litteratur und dem Aufleben der neueren Persischen Poesie, die andere nachher angenommen werden muß. Die erste Periode geht vom siebenten Jahrhunderte bis zum zehnten: die zweyte vom zehnten bis zum funfzehnten herunter. Ich werde eine nach der andern einer genaueren Prüfung zu unterwerfen suchen.

Abi[WS 71] Temmam, oder eigentlicher Habib Ebn Aus hat im dritten Jahrhunderte nach Muhammed eine Sammlung alter Arabischer Gedichte verfertigt, die in zehn Rubriken oder Bab’s vertheilt war, deren erste von kriegerischer Tapferkeit (Hamasa) handelt, und der ganzen Sammlung den Nahmen gegeben hat. Das vierte Buch soll die Liebesgedichte, das zehnte das Lob und den Tadel der Weiber enthalten. Aber beyde sind mir nicht bekannt geworden, und scheinen auch wenig unter den gelehrten Forschern der orientalischen Litteratur in Europa bekannt zu seyn. Schultens [179] hat bloß aus den drey ersten Büchern dieses Werks einige Excerpte geliefert.

In diesen erscheint ein kriegerischer Geist, der durch die Blutrache, die steten kleinen Kriege einzelner Stämme und Familien, so wie durch die ganze Verfassung des meist nomadischen Volks genährt und ausgebildet wurde. Dieser Heldengeist ist mit Leidenschaft zum Geschlecht genau verbunden, und giebt dieser den Charakter eines rüstigen, wackern Enthusiasmus.

So singt einer von diesen Dichtern: „Dein dacht’ ich, wenn Spieße zwischen uns geschleudert wurden, und schwarze Pfeile unser Blut tranken.“

In eben diesem Geschmacke ist eine andere Stelle, die Jones anführt: „Gewiß! ich dachte deiner, wenn Spieße sich von meinem Blute sättigten, und indischer Stahl darin gebadet wurde. Begierig war ich, jene Schwerter zu küssen, die deinen Zähnen gleich, wenn du lächelst, blitzen.“ [180]

Unstreitig mußte diese rüstige Liebe dadurch noch einen thätigern, unternehmendern Charakter annehmen, daß der Liebhaber bey der eingezogenen Lebensart des Frauenzimmers große Schwierigkeiten zu überwinden hatte, ehe er sich mit seiner Geliebten vereinigen konnte. In einem Gedichte des Amralkeis rühmt sich dieser, daß er, um die Freuden der Liebe bey dem eingeschlossenen Mädchen zu genießen, Nachts durch die Haufen der Wächter und anderer Menschen gedrungen sey, die alle begierig nach seinem Tode gewesen wären. [181]

Ein heißes Blut, ein feuriger Geist, zeichnen ohnehin den Araber aus. Jene Hindernisse, die sich seinen Begierden entgegen setzten, mußten seine Leidenschaft erhöhen, und seine Einbildungskraft doppelt entflammen. Die meisten Gedichte dieser Nation enthalten das Lob der Schönen unter Bildern, an denen die Phantasie ihre ganze Wirksamkeit im Idealisieren äußert. Die Geliebte erscheint dem Araber unter den reitzendsten Gestalten die er kennt: nicht bloß in Blumen und Bäumen, sondern auch in der lieblichen Ghazelle, in dem nützlichen Kameele, und sogar, wie wir eben gesehen haben, in dem Blitzen der Schwerter, die ihm, als Mittel seines Ruhms, so theuer waren. Daher aber auch der elegische Ton in diesen Gedichten, der mit demjenigen so sehr überein kommt, den wir bey allen Nationen antreffen, die etwas mehr als die Befriedigung einer bloß körperlichen Begierde in der Geschlechtsverbindung suchen. Der Liebhaber zeigt seine ganze Abhängigkeit von dem geliebten Gegenstande durch Klagen, die seine Qualen, Aengste, Sehnsucht und Verzweiflung ausdrücken. Oft lebt er nur in Erinnerungen an genossene Freuden, oder in kühnen Hoffnungen; oft ruft er die Naturkräfte, und besonders den Zephyr um Beystand in seinem liebenden Bestreben an.

„O meine Freunde, singt Ebn Feras, wo finde ich Schutz für meine Qual! Der Glanz der jungen Ghazelle, deren Euter von Milch strotzen, hat mein Herz verwundet. Er verlängert meine Nächte und verkürzt meinen Schlaf!“

„O Nacht, ruft ein Anderer, nie vergesse ich deine Süßigkeit; du vereinigtest alle Arten der Freude. Mein Mädchen lag an meiner Seite, und Amor war in unserer Mitte, bis die Morgenröthe uns grüßte, und ich dir Lebewohl! sagte.“

„Ach! wie süß, klagt ein Dritter, würde die Liebe zu ihr seyn, wenn sie die Treue bewahrte, und meine aufrichtige Zärtlichkeit erkennte! Aber Kummer und Schmerz, Treulosigkeit und Leichtsinn werden in der blutigen Liebe zu ihr gemischt!“

Ein Vierter redet den Zephyr an: „Ich beschwöre dich bey Gott, du Duft der Morgenlüfte, bring meinen Gruß den Bewohnern jenes Thals!“

Dieser Zephyr wird an einem andern Orte redend eingeführt: „Durch mich reifen die Früchte, durch mich glänzen die Blumen und wallen die Bäche, durch meinen Hauch werden die Geheimnisse der Liebe verbreitet. Früh verkündige ich die Ankunft des Freundes. Ich bin der Gesandte der Liebhaber an ihre Geliebten, und der Tröster derer, die unter Kummer erliegen!“[182]

Der Arabische Dichter hat also unstreitig seine Geschlechtsverbindungen durch einen geistigen Genuß zu veredeln und zu verschönern gesucht. Es fragt sich: hat er einen Weg verfolgt, den andere Völker vor ihm noch nicht gegangen waren? und wie hoch ist er darauf gestiegen?

Unstreitig würde es etwas Charakteristisches für seine Art zu lieben seyn, wenn er die Idee gehabt hätte, sich durch Heldenthaten auszuzeichnen, um seiner Geliebten würdig zu werden. Denn diese Erhebung des kriegerischen Muths um der Achtung willen, die der Liebhaber dem Weibe zollt, ist etwas der Vorwelt unbekanntes. Allein darüber finden wir durchaus keine sichern Beweise. So viel dürfen wir annehmen, daß der Araber sich durch Abenteuer auszuzeichnen gesucht habe, um seine Geliebte aufmerksam auf seinen Werth zu machen, und daß er keine Gefahren gescheuet habe, um zu ihrem Besitze zu gelangen. Diese Vereinigung des kriegerischen Muths, der Ruhmbegierde und des Unternehmungsgeistes mit der Liebe ist aber gar nichts Auszeichnendes für den Araber. Sie findet sich beynahe bey allen Völkern wieder, die zu gleicher Zeit dem Kriege und den Weibern ergeben sind. Die Bestrebung, sich durch die Vorstellung des Werths seiner Dame über sein niedriges Selbst zu erheben, und durch Bestehung außerordentlicher Gefahren ihrer würdig zu werden, ist weit verschieden von dem Wunsche, die Bewunderung der Schönen auf sich zu ziehen, damit sie unsern eiteln oder sinnlichen Wünschen dadurch geneigter werde. Jenes setzt Achtung der Person, Ueberzeugung von der unmittelbaren Wichtigkeit ihres Beyfalls zum voraus: diese Bemühung kann ein Wesen erwecken, das wir verachten, und findet ihre Belohnung in dem weiter liegenden Zwecke der Befriedigung einer höchst materiellen Begierde.

Nun scheint es allerdings, daß das Arabische Frauenzimmer zu den Zeiten Muhammeds ein gewisses Ansehn genossen habe. Die Weiber zogen mit ihren Männern, Vätern, Brüdern auf die Streifereyen aus, welche diese unternahmen. Sie thaten sich zuweilen durch ihren Einfluß auf die Krieger, durch Anfeurung derselben zum Muth, ja, durch persönliche Proben von Tapferkeit hervor. Man findet Beyspiele von klugen Gattinnen und Müttern, die im Nahmen anderer, und von Fürstinnen, die als Selbstherrscherinnen regiert haben. [183] Es ist glaublich, daß der Araber dem Beyfalle der Weiber, die nicht bloß Zeuginnen sondern auch Beurtheilerinnen seiner Thaten seyn konnten, mit doppelter Begierde nachgestrebt haben werde.

Aber woher kommt es, daß der kriegerische Muth der Frauen, so wie die Vorzüge ihres Geistes und ihres Charakters in den Gedichten der Araber so wenig gepriesen werden? Woher kommt es, daß das Lob, das ihnen ertheilt wird, sich so ganz auf ihre Gestalt einschränkt? Findet man auch nur eine Stelle, worin der Dichter sich um der Liebe, um der Würde seiner Schönen willen, zur Tapferkeit ermuntert und angefeuert hätte? Ich finde von allem diesem nichts, und die sehr geringe Rolle, welche die Weiber im Koran spielen, läßt mich kaum an die große Achtung glauben, in der das zarte Geschlecht im Ganzen gestanden haben sollte. Einzelnen Personen konnte die höhere Stufe des Ansehens dennoch gesichert bleiben.

Aber zugegeben, der Araber sey tapfer gewesen, weil er seiner Dame würdig seyn, und ihren Beyfall erwerben wollte, so ist doch gewiß dieser Beyfall nie Zweck seiner ganzen Verbindung mit ihr; ja, man darf es dreist behaupten, nicht einmahl Schadloshaltung für Versagung einer engeren körperlichen Vereinigung gewesen. Seine Leidenschaft hatte sinnliche Zwecke, und die Befriedigung gröberer Begierden wird oft auf eine höchst indelicate Art in seinen Gedichten geschildert. [184] Aber diese Sinnlichkeit stand mit seinem kriegerischen Enthusiasmus in genauem Verhältnisse; er sah seine Tapferkeit als ein Mittel zum Besitz der Schönen zu gelangen, und diesen Besitz als eine Belohnung seiner Tapferkeit an. Eine idealisierende Phantasie und die Füllung des Herzens traten außerdem hinzu, den körperlichen Genuß durch Beymischung von Freuden zu erhöhen, die mehr für die Seele gehören.

Diese Charakteristik der Liebe bey den ältern Arabern scheint mir um so richtiger zu seyn, als die Liebe im Koran gleichfalls sinnlich dargestellt wird. Auch die morgenländischen Erzählungen, deren Sammlung wir unter dem Titel der Tausend und eine Nacht besitzen, kennen keine andere Art von Geschlechtsverbindung.

Drittes Kapitel.
Ideen der spätern Araber und der neueren Perser über die Liebe.

Die spätern Araber sind mit den Griechischen Philosophen bekannt geworden, und haben Geschmack an den Dichtungen der Perser gefunden. Beydes scheint einige Revolution in ihren Ideen über die Liebe hervorgebracht zu haben. Wir können inzwischen die höhere Kultur nicht vor dem zehnten Jahrhunderte annehmen. Erst im neunten Jahrhunderte wurden die Araber mit der Philosophie und andern speculativen Wissenschaften bekannt. Der Kalif Al Mamum erstand Griechische Bücher mit ungeheuern Kosten, und ließ sie übersetzen. [185] Man kann sicher glauben, daß bey der großen Abneigung der Araber gegen eine Aufklärung, die sie nachtheilig für ihre Religion hielten, ein Jahrhundert habe vergehen müssen, ehe sich ihr Einfluß verbreitet habe. Im zehnten Jahrhunderte findet man die ersten Spuren der Persischen Poesie. [186] Die Verfasser der Persischen Liebesromane datieren aus einer noch spätern Zeit. Nezami lebte zu Ende des zwölften, Katebi im funfzehnten Jahrhunderte. [187]

Die Araber kannten den Plato, und nannten ihn den Göttlichen. [188] Sie kannten ein Werk des Aristoteles über die Liebe, das wir verloren haben. [189] Averroes, der selbst verliebte Gedichte schrieb, [190] folgte den Peripatetikern, und commentirte über Schönheit und Liebe. [191]

Die erste Veranlassung zur Vergeisterung der Ideen über die Liebe zum Geschlecht hat wahrscheinlich die mystische Liebe zu Gott gegeben. Die Schwärmerey, sich von sinnlichen Dingen gänzlich abzuziehen, und sich in Gott zu verlieren, war die höchste Stufe religiöser Vollkommenheit. Wer dieß an Wahnsinn grenzende Bestreben der Araber, sich zu entkörpern, kennen lernen will, wird eine sehr interessante Darstellung darüber in dem Romane des Ebn Tofail finden. [192] Der Held dieses Romans saß unaufhörlich im Innersten seiner Höhle, mit niedergesenktem Haupte, mit verschloßnen Augen, abgezogen von allen sinnlichen Dingen und körperlichen Kräften, mit Seele und Gedanken auf das Wesen von nothwendiger Existenz gerichtet. Er vergaß oft alles Andenken an andere Wesen außer dem seinigen. Endlich verlor er auch dieß, und er vernahm weiter nichts, als den Einzigen, Wirklichen, das Wesen ewiger Existenz.

Herbelot [193] sagt uns, daß die Araber fünf Stufen der göttlichen Liebe annehmen: die Freundschaft, (amitié) die Liebe, (amour) das Verlangen, (desir) die Begeisterung, (ardeur) und die Entzückung (extase.) Sie erklären, fährt er fort, die Liebe für die Zuneigung des einzigen und wahren Guts zu seiner höchsten Schönheit im Allgemeinen. Diese Liebe hat vier Arten:

1) des Allgemeinen zum Allgemeinen: so liebt Gott, wenn er sein eigenes Wesen in dem Spiegel seiner eigenen Essenz ohne Mittel einer andern Substanz betrachtet, und dann bringt er von Ewigkeit an die erste Liebe hervor.

2) Die zweyte Art ist die Liebe des Allgemeinen zum Einzelnen: nehmlich, wenn Gott eine Unendlichkeit von Blicken auf den Glanz seiner Schönheit wirft, die sich theils in der Vortrefflichkeit seiner Attribute, theils in der Vollkommenheit seiner Werke abspiegelt.

3) Die dritte Art der Liebe findet zwischen dem Einzelnen zum Einzelnen Statt. Die Menschen sind es, die auf diese Art lieben. Sie betrachten den Abglanz der höchsten Urschönheit an den vergänglichen Dingen, finden darin die Quelle ihrer liebsten Beschäftigungen und ihres Glücks, freuen sich, wenn sie diese besitzen, und trauern, wenn sie ihnen entrissen werden.

4) Endlich findet die vierte Liebe zwischen dem Einzelnen zum Allgemeinen Statt. Vermöge dieser entäußern sich die von Gott auserwählten Seelen aller Gedanken und Neigungen zu den irdischen Dingen, und bedienen sich nur der Betrachtung ihrer Eigenschaften, um sich zu demjenigen zu erheben, der ihr erster Urquell ist, und[WS 73] sich mit ihm zu vereinigen.

Diese Sätze kommen ziemlich mit denjenigen überein, welche Proklus, Jamblichius, und überhaupt die neueren Platoniker lehren. Sie waren in den Mysticismus der Christen und Juden übergegangen, und mußten um so mehr gefallen, da sie dem Geiste der Religion und des Volkes, das sie ausübte, so sehr angemessen waren.

Nun fand man aber im Koran die Geschichte Josephs, oder Jousoufs, und der Zoleikha, oder Zuleikah, Weibes des Potiphar, die mit jenen Ideen einer geistigen Liebe sehr wenig Aehnlichkeit hatte. Man suchte diese Begebenheit auszubilden, und nach den Begriffen der zugenommenen Kultur zu veredeln. Amak, der im eilften Jahrhunderte lebte, setzte aus dieser Geschichte einen Roman in persischen Versen zusammen. Giami folgte ihm im funfzehnten Jahrhunderte nach. [194]

Es geht mir sehr nah, daß ich von diesem Romane weiter nichts sagen kann, als was Herbelot uns darüber mittheilt. [195] Er behauptet, daß sich die Muselmänner der Nahmen und des Beyspiels der Helden dieses Romans bedienen, um die Herzen der Menschen über die gewöhnliche Liebe zu erhöhen, und daß sie unter dem Bilde ihrer Verbindung die Erhebung der Seele zu Gott verstehen. Er führt eine Stelle aus dem Hafiz an, worin dieser sagt: ich begreife sehr wohl, wie die außerordentliche Schönheit Josephs das Herz der Zoleikha über die Grenzen einer gewöhnlichen Liebe emporrücken konnte.

Herbelot behauptet ferner, daß dieser Roman nebst einem andern unter dem Nahmen Megnun und Leile, oder Leileh, eine eigene Classe ascetischer Dichtungen über die göttliche Liebe ausmachen, deren Autorität außerordentlich groß ist, weil sie sich auf Begebenheiten beziehen, die im Koran vorkommen.

In wie fern dieß in Ansehung des letzten Romans wahr sey, kann ich nicht beurtheilen. Mir ist die Geschichte des Megnun aus dem Koran nicht bekannt. [196] Dieser Nahme soll einer wirklichen Person eigen gewesen seyn, die unter dem Khalifen Moaviah, (der 667–679 regierte) und Kais el Ameri hieß. Leileh könnte man für die Schwester des Ibn Abu Leileh halten. [197]

Megnun bedeutet im Arabischen so viel als einen Besessenen, einen Begeisterten. [198] Die wirkliche Person, welche diesen Nahmen führte, gehört so wie seine Geliebte Leileh, in den Cyklus der ersten Begleiter und nächsten Nachfolger des Mahommed. [199] Diese beyden Umstände haben, wie ich vermuthe, ihren Nahmen und Begebenheiten das große Ansehn unter den Mahommedanern zugezogen.

Ich halte aber die Vorstellung, welche uns Herbelot von der Natur der Liebe und ihrer Behandlung in diesen Romanen giebt, für irrig. Nach ihm sollen die Muselmänner darin eine Allegorie der Liebe der Kreatur zum Schöpfer finden; so wie wir etwas Aehnliches in unserm hohen Liede Salomonis suchen. Allein wenn wir mehrere Stellen, die er darüber anführt, zu Rathe ziehen, so scheint darin nicht bloß eine allegorische Darstellung der unmittelbaren Liebe des Menschen zu Gott, (oder, wie die arabischen Philosophen sich ausdrücken, des Einzelnen zum Allgemeinen:) sondern vielmehr die Darstellung einer Liebe des Menschen zum Menschen (des Einzelnen zum Einzelnen) zu liegen, wovon aber der Grund in mystischen Ideen vom Abglanze der Urschönheit an den vergänglichen Geschöpfen, von den Mystikern gesetzt seyn kann. Zoleikah wird durch die außerordentliche Schönheit des Jousouf, über die Gränzen einer gewöhnlichen Liebe empor gehoben, sagt Hafiz an der von Herbelot angeführten Stelle. Diese erhält ihre nähere Bestimmung aus einer andern, worin eben dieser Dichter sagt: aus jener Schönheit, welche Joseph besaß, und die mit jedem Tage zunahm, habe ich erfahren, daß selbst die Liebe einer Zoleikah den Schleyer der Keuschheit abwirft. [200]

Herbelot [201] führt persische Verse an, worin ein Dichter sagt:

„Deine Schönheit, o Gott, deren Glanz sich vergebens unter Schleyern verbirgt, hat eine Menge von Liebhabern und Geliebten hervorgebracht. Dein Reitz war es, den Leileh ausathmete, und der das Herz des Megnun hinriß. Die Begierde dich zu besitzen gab dem Vamek die Seufzer nach derjenigen ein, die er anbetete.“

Deutlicher wird dieß noch aus der Stelle eines türkischen Dichters: [202]

„Wer seine Augen auf dich wendet, o Herr, der hält sich nicht länger dabey auf, Leileh zu betrachten. – Leb wohl! Leileh! Ich habe heute meinen Herrn gefunden: deine Liebe hat mich zur Liebe des wahren und einzigen Gutes geführt!“

Offenbar die Lehre der Platoniker! Die Liebe zur Kreatur erhebt zur Liebe Gottes! Dabey liegt weiter keine Allegorie zum Grunde: Jousouf und Leileh sind so wenig Symbole des höchsten Wesens, als Zoleikha und Megnun Symbole der Kreatur sind. Es sind wirkliche Personen, deren Leidenschaft durch den Zug der Kreatur zum Abglanze der Gottheit entschuldigt und veredelt wird.

Gentius liefert uns in seinem Kommentare über den Gulistan des Sadi eine Stelle aus den Auslegern der Geschichte des Joseph und der Zoleikha im Koran. Alle Weiber, sagen diese Interpreten, verabscheueten das Weib des Potiphar, daß es besonders in dem Range, den es in der Welt behauptete, durch unanständige Liebkosungen die Unschuld eines Cananäischen Knechtes zu verführen suchte. Um seine Schwäche zu entschuldigen, bat es diese Weiber zu sich, und gab jedem von ihnen ein Messer und einen goldnen Apfel zu schälen in die Hand. In dem nehmlichen Augenblicke ließ es aber auch den Joseph vortreten, und alle Weiber schnitten sich, in der Bestürzung über seine große Schönheit, in die Hand. Bey Gott! riefen sie alle, dieser ist kein Mensch; er ist der Schönste unter den Engeln! Zoleikha ward entschuldigt. [203]

Es läßt sich nach Allem, was ich angeführt habe, nicht glauben, daß die Liebe, so wie sie in diesem Romane vorkommt, rein von Sinnlichkeit gewesen sey. Schon Plato leitete den körperlichen Vereinigungstrieb aus dem Zuge zur Gottheit her. Bey dem Orientaler liegt aber zwischen dem Mysticismus und der Sinnlichkeit noch weniger Widerspruch. Ueberall findet man bey ihnen, wenn ich so sagen darf, Spuren einer verkörpernden Phantasie, einer Vergeistigung der materiellesten Dinge. Die deutsche Bibliothek der Romane [204] liefert einen Auszug aus dem Romane des Megnun und der Leileh, nach der Uebersetzung des Cardonne. Ich kann nicht beurtheilen, in wie fern er mit dem Originale übereinkommt. Aber er bestätigt völlig meine angegebene Vermuthung. Es ist ein wahrer Liebesroman, der sogar Vieles von der Oekonomie des griechischen hat. Zwey Liebende, die sich bald vereinigen, werden von ihren Eltern, die sich ihrer Heirath widersetzen, getrennt. Der Liebhaber verliert darüber den Verstand, und erhält dieses Umstands wegen den Nahmen Megnun. Nach mehreren abwechselnden Schicksalen, welche die Liebenden bald näher zusammen führen, bald weiter von einander trennen, wird Leileh an Megnun’s Nebenbuhler verheirathet. Aber sie verweigert diesem, treu ihrem ersten Gelübde, die Rechte der Ehe, und endigt ihr Leben vor Schmerz: Megnun folgt ihr bald nach, und die Gebeine des unglücklichen Paars werden neben einander begraben.

Man sieht wenigstens aus dieser Darstellung, so unbefriedigend sie übrigens ist, daß die Liebe hier auf keiner geistigen Vereinigung beruht. Der Zweck der beyden Liebenden ist Ehe, und Leileh setzt den Begriff des Besitzes ihrer Person in der Vereinigung der Körper. Megnun glaubt, daß die Treue, die sie ihm geschworen hat, dadurch gebrochen werde, daß sie in den Armen eines andern ruht, und sie glaubt diese dadurch zu bewahren, daß sie ihrem Gatten die letzte Gunst verweigert.

Wodurch aber kann sich die Liebe, wie sie in diesem Romanen dargestellt wird, von der Liebe in den übrigen Romanen unterscheiden, welche die Orientaler besitzen? Ich glaube durch die Autorität, welche ihre Helden aus dem Zusammenhange ihrer Begebenheiten mit dem Cyklus der heiligen Geschichte der Mahommedaner ziehen. Es sind verliebte Legenden!

Neben jenen Geschichten geheiligter Liebesabentheuer besitzen die Orientaler andere Romane, deren Süjets aus der profanen Welt hergenommen sind. Herbelot führt ihrer fünfe an:

1) Beschir ve Hend von Nagibeddin, Giarbadh Kani.

2) Gemil ve Schemba oder Schambah.

3) Bahram ve Gul-Endam von Katebi,

4) Khosrou ve Schirin von Nezami, und

5) Vamek ve Adra.

Von allen diesen Romanen wissen wir so gut wie nichts.

Gemil und Schambah sollen unter Abdalmalek 684 biß 704 gelebt haben. Dieser Khalife, der viel von diesem Paare gehört hatte, forderte Schambah vor sich. Er fand sie schwarz und mager. Welche Reitze, rief er voll Verwunderung aus, kann Gemil in dir finden, um dir vor so vielen andern Weibern den Vorzug zu geben! Schambah antwortete ihm: „welches Verdienst erkannten die Völker in dir, daß sie dich unter allen zum Regenten wählten? Wisse, derjenige allein verdient die Achtung der Männer, dessen Seele dem fehlerfreyen Diamanten gleicht.“

Dieser Zug läßt auf eine Geschlechtsvereinigung schließen, welche die Vorzüge der Seele für ein stärkeres Band als das der Schönheit hält.

Baharam war ein kühner Abentheurer, der seine Geliebte, Gulendam, eine Königstochter, durch seine Thaten erwarb. Seine Geschichte hat viel Aehnlichkeit mit unsern Ritterromanen. Die Scene wird in die Zeiten Theodosius des jüngern versetzt.

Bey dem Romane Khosrou und Schirin soll die Geschichte der Irene, der Tochter des Kaisers Mauritius zum Grunde liegen, die an Khosroes Parviz, König von Persien, verheirathet wurde. Herbelot führt noch einen andern Roman an: Schirin und Ferhad, und den Vers eines persischen Dichters, worin dieser sagt: „Die Liebe öffnete die Lippen Schirins, und raubte Herz und Verstand dem Khosrou und Ferhad.“

Die Orientaler besitzen viele Schriften über die Schönheit und Liebe, welche guten Theils religiösen und metaphysischen Inhalts seyn mögen. Andere scheinen mehr von praktischer Art zu seyn, und sich mit der eigentlichen Geschlechtssympathie zu beschäftigen. [205]


Viertes Kapitel.
Fortsetzung.

Das Wichtigste, was wir über die Liebe der Orientaler haben, finden wir in dem Rosengarten des Saadi oder Sadi. [206] Das fünfte Kapitel desselben handelt ganz von der Liebe und der Jugend. Der Ausdruck der sinnlichen Begierde steht hier neben Ideen von einer vergeistigten Geschlechtsverbindung. Vieles wird deutlicher, wenn wir wissen, daß Sadi ein Religiose, ein Sofi, war.

Hier fragt man: wie es zugehe, daß ein König, der die schönsten Jünglinge in seiner Begleitung hat, einen minder schönen liebe? Die Antwort ist, weil dasjenige, was der Seele gefällt, auch den Augen schön erscheint. – Ein vornehmer Mann liebt seine Magd mit anständiger Liebe. Einer seiner Freunde macht ihm Vorwürfe darüber: er antwortet: die Liebe hebt den Unterschied der Stände auf. – Ein Religiose ist das Opfer einer Leidenschaft zu einem Mädchen, die ruchtbar wird, und ihm die größten Qualen und Unruhen zuzieht. Vergebens macht ihm Sadi Vorwürfe darüber. Er schützt die unwiderstehliche Macht der Liebe vor: selbst die augenscheinlichste Gefahr des Todes würde in seinen Gesinnungen keine Aenderung hervorbringen. – Ein junger Religiose verliebt sich in eine Königstochter. Auch hier sind alle Ermahnungen seiner Gesellen umsonst. Man hinterbringt der Prinzessin den unglücklichen Zustand des jungen Mannes, der sich sonst durch seine Beredtsamkeit so sehr ausgezeichnet hatte. Sie erräth den Grund, und als sie ihn auf einem Spatzierritte antrifft, wendet sie ihr Pferd zu ihm, und redet ihn an. Anfangs findet er keine Worte, um ihr zu antworten; als sie ihm aber sagt, daß sie selbst eine Anhängerin und Dienerin der Religiosen sey, hebt er sein Haupt aus den Fluthen der Liebe, spricht: welch Wunder, daß ich in deiner Gegenwart mir selbst gegenwärtig bin! und giebt freudig den Geist auf. – Ein Lehrer liebt seinen schönen Schüler. Er fühlt die Gefahr, aber er kann seine Augen nicht von der Gestalt des Jünglings abwenden. Dieser bittet ihn, ihm seine Fehler zu entdecken. Der Lehrer antwortet: dem Feinde scheint die Tugend selbst ein Fehler: der Freund sieht, wenn sein Geliebter bey siebzig Fehlern nur eine Tugend hat, nur diese Tugend. – Sadi erhält einen nächtlichen Besuch von seiner Geliebten. Er stürzt ihr entgegen, und von dieser schnellen Bewegung erlischt seine Handfackel. Sie fragt ihn, warum er sie bey ihrem Anblick ausgethan habe? „Weil ich glaubte, daß die Sonne aufgegangen sey! antwortet Sadi sehr galant.

Mehrere witzige Repartien scheinen anzuzeigen, daß die Perser bey ihren Geschlechtsverbindungen einen großen Werth auf die schönere Form des Ausdrucks ihrer Empfindungen legten. Sadi macht seiner Freundin Vorwürfe darüber, daß sie so lange sich seiner Sehnsucht entzogen habe. Besser Sehnsucht als Ueberdruß, ist die Antwort. Ein andermahl wirft sie ihm vor, daß er während seiner Abwesenheit ihr keinen Boten gesandt habe. „Ich ertrug es nicht, antwortete er, daß ein Anderer deines Anblicks genöße, während ich desselben entbehrte. Ich bin neidisch, wenn dich Jemand bis zur Sättigung betrachtet: und dann sag’ ich mir wieder: Niemand kann von deinem Anblicke gesättigt werden.“ –

Ich habe, sagt Sadi, einen Religiosen gesehen, der eine anständige Liebe hegte, und dem es genügte, mit seiner Geliebten zu sprechen. Er stand unglaubliche Qualen aus, und zeigte eine außerordentliche Geduld. Ich ermahnte ihn. Ich weiß, sagte ich, daß die Befriedigung der Lüsternheit nicht der Zweck deiner Leidenschaft ist, und daß keine schändliche Absicht bey deiner Liebe zum Grunde liegt. Aber es ziemt sich demungeachtet nicht für den hohen Rang, den du unter den Lehrern einnimmst, dich verdächtig zu machen, und der Leidenschaft roher Menschen zu huldigen. O Freund! antwortete dieser, oft habe ich mir diese Ermahnungen selbst gegeben, aber ich habe gefunden, daß es leichter sey, jede Qual um der Geliebten willen zu erdulden, als das Auge ganz von ihrer Betrachtung abzuwenden.

Sadi liebt seine Geliebte um ihrer schönen davidischen Stimme und ihrer josephischen Schönheit willen. Aber es mißfällt ihm etwas an ihren Sitten, und er verstößt sie. Sie geht von ihm mit den stolzen Worten: Wenn gleich der Abendstern beym Glanze der Sonne nicht sichtbar ist, so wird dadurch der Werth dieses Glanzes nicht vermindert. Bald empfindet Sadi die Wahrheit dieser Worte durch die Entbehrung ihres Umgangs. „Kehre wieder, ruft er, und tödte mich! Es ist besser, in deiner Gegenwart zu sterben, als fern von dir ein elendes Leben hinzuziehen.“ Sie kehret wieder: aber Stimme und Schönheit sind verloren, und Sadi flieht sie: er liebt nur die Blüthe der Jugend.

Man legte einem Religiosen folgende Frage vor: Wenn Jemand mit dem schönsten Mädchen allein in einem Zimmer sitzt, die Thüren sind verschlossen, die Wächter schlafen, die Sinne sind gereitzt, und die Lüsternheit erwacht; kurz! wenn nach dem Ausdruck des Arabers die Dattel reift, und der Gärtner das Abbrechen nicht wehrt; Wie dann? Wird das fromme Gefühl der Pflicht den Sofi vor dem Falle bewahren können? Die Antwort ist: wenn ihn das Mädchen unversehrt läßt, so werden ihn die Zungen der Lästerer zerreißen.

Sadi hat in seiner Jugend ein Mädchen mit wahrer Liebe geliebt. Seine Schönheit war für ihn wie die Morgengegend, zu der man sich beym Gebete wendet, und die Unterredung mit der Geliebten machte den ganzen Gewinn seines Lebens aus. Engel können vielleicht schöner seyn, aber Menschen sind es nicht. Keiner wird ihr gleich geboren. Die Liebe, die er für sie empfunden hat, macht ihn unfähig, eine ähnliche für andere zu empfinden. Sie starb! Mehrere Tage brachte er klagend auf ihrem Grabe zu. Von dieser Zeit an floh er den Umgang mit der Jugend, und krümmte sich in seinem Schmerze wie eine verwundete Schlange.

Einem arabischen Könige wird hinterbracht, daß Megnun alle Geschäfte vernachlässigt, seine Talente ruhen läßt, und nur für Liebe lebt. Er macht ihm darüber Vorwürfe. Ach! sagt Megnun, du solltest meine Leileh sehen! Der König läßt sie kommen, findet aber in ihr nur eine ganz gewöhnliche Gestalt. Er schweigt. Megnun erräth ihn. Ach! spricht er, du müßtest mit Megnun’s Augen sehen!

Ein Jüngling von guten Sitten liebte ein ehrliches und schönes Mädchen mit keuscher Liebe. Sie fuhren übers Meer, und litten Schiffbruch. Ein Schiffer wollte den Jüngling retten. Aber dieser bat ihn, seine Geliebte aus dem Wasser zu ziehen, und sank unter. Der Kommentator führt in den Noten an, daß ein Jüngling in Balsora sich von einem Thurme herabgestürzt, und vorher gerufen habe: „Liebe wird erst durch den Tod versiegelt!“

Sadi sagt am Schlusse: er habe die Wege und die Weise zu lieben so gut gekannt, daß wenn Leileh und Megnun wieder auflebten, sie von ihm die Geschichte und die Kunst zu lieben lernen könnten.

So weit Sadi!

Felecki, ein anderer persischer Poet redet den Zephyr an, der seine Richtung nach dem Hause seiner Geliebten nahm: „Ich bezahle dich mit meinem Leben, wenn du in dem Augenblicke, worin du vor dem Hause meiner Geliebten vorbeyfliegst, ihr sagst; ich habe an der Ecke dieser Straße einen verzweifelnden Liebenden gesehen, der vor äußerster Begierde nach deinem Anblicke in Begriff ist, sein Leben aufzugeben.“ – Ein andermahl sagt er: „das Vergnügen, das ich empfunden habe, den Ton deiner Tritte zu hören, o du! die du auf öffentlichen Wegen den Verstand deiner Anbeter raubst; dieß Vergnügen hat mein Herz auf die Spitze meiner Augäpfel, und meine Seele an das Thor meiner Ohren gebracht.“ – Wieder singt eben dieser Dichter: „Glaube nicht, o Geliebte, daß ich je einen Augenblick deine Abwesenheit mit Geduld ertragen könne! Aber, was sag’ ich! Ist es nicht das Schicksal wahrer Liebenden, immer zu leiden?“ Und in diesen Grundsätzen erhält ihn auch seine Dame. „Bis du ganz verloren seyn wirst, sagt sie zu ihm, mußt du nie den Arzt um Hülfe anrufen, so tiefe Wunden die Liebe dir auch immer schlagen mag. Fürchte also kein Uebel, keinen Verlust in der Liebe; erst dann, wann du aufhören wirst zu seyn, wirst du ein vollkommener Liebhaber werden. [207]

Ein anderer persischer Dichter spricht ganz im Tone des Petrarka: [208] „Traurig und niedergeworfen fliehe ich zu unbewohnten Plätzen. Ohne dich wird mir die Stadt beschwerlich. Ich suche die Einsamkeit der Wildniß. Seit ich deinen treuen Busen verlassen habe, sind mir alle angenehmen Empfindungen fremd geworden. Umgeben von hundert Freunden fühle ich mich allein, und in der trockensten Einöde nicht einsam. Wo ich gehe, steht mir dein geliebtes Bild zur Seite: ich suche dich an allen Orten. Gefesselt von Liebe ist es mir Elenden gleichgültig, auf Rosen und seidenen Teppichen zu wandeln; sie würden zum dornigen, felsichten Pfade für mich werden, wenn mich der Weg nicht zu dir führte. Ich sagte zu meinem Geiste: verlaß mich! ich will kein längeres Daseyn ohne diejenige, die ich liebe! Er antwortete: Sey ruhig, o Jami! Dein Leben ist am Vorabend seiner Abreise!“

Zuletzt habe ich noch vom Haphyz oder Hafiz zu reden, dem Anakreon der Perser, der um das Jahr 1394 gestorben ist. [209]

Dieser Dichter hat die Liebe weniger ernsthaft als die bisher angeführten betrieben. Seine Ghazelen oder Oden sind von munterer Natur. Er schließt aus der Kürze des Lebens auf die Verbindlichkeit, keine Blume desselben auf die Erde fallen zu lassen. Inzwischen verläugnet er nicht den Geschmack seiner Landesleute an einem übertriebenen Ausdruck begeisterter Liebe. Seine Grundsätze in diesem Punkte sind nur in so fern leicht zu nennen, als man sie mit denen vergleicht, die in den Bruchstücken anderer persischen Dichter vorkommen.

Haphyz zeigt sich überall als ein zügelloser Derwisch, dessen Hauptvorzug darin besteht, daß er kein Heuchler ist. Er ist der ausschweifenden Liebe zu Lieblingen ergeben, und an diese sind alle seine Gedichte gerichtet.

Das Merkwürdigste in diesen sind die sonderbaren, weit hergehohlten Bilder. „Die Liebe, sagt er unter andern, die mir anfangs leicht und unschuldig erschien, ist mir zuletzt beschwerlich gefallen. Für wenig Moschusduft, den das Haupthaar des Geliebten ausgeduftet hat, und den die Zephyre aus seinem duftenden Haupthaare herausbliesen, wie viel Blut ist nicht aus jedem Knoten seiner wohlriechenden Locken in das Herz der Liebhaber geflossen!“ –

„Wenn der liebliche Mundschenk mir hold wäre, so würde ich mit den Haaren meiner Augenbraunen den Boden seiner Behausung kehren.“ –

„Der Wind berührte deine Haarlocken, und vor Eifersucht verfinsterte sich die Welt über mir.“ –

„Der Vogel meines Herzens hatte sich der Beute meiner Fassung bemächtigt; aber du entfaltetest dein Haar, und sie entfiel seinen Klauen.“

„O Weinschenk! entzünde meinen Becher mit blitzendem Weine! Wißt ihr, warum ich so gern trinke? Ich habe in meinem Becher den Wiederschein der Wangen meines Lieblings gesehen!“ –

„O Haphyz! Laß einen Tropfen von Thränen aus deinen Augen fallen, damit der geliebte Vogel, dadurch gekörnt, in meine Netze falle!“ –

Dieß sind Stellen, die in verschiedenen Oden vorkommen. In den wenigsten herrscht ein leichter Zusammenhang. Es sind mehrentheils abgebrochene Empfindungen, Sprüche u. s. w.

Eine von denjenigen, worin noch die mehrste Ordnung herrscht, setze ich ganz hierher: [210] „O Liebling! Des Mondes Glanz leuchtet aus deinem Gesichte hervor, und in der Grube deines Kinns liegt ein Quell von Reitzen! Wann, o Herr, wird die Zeit kommen, in der meine Seele beym Fall deiner Locken ihre Fassung behalte! Meine Seele verlangt nach deinem Anblicke, und schwebt auf meiner Zunge! Von deinem Befehle hängt es ab, ob sie mich verlassen, oder zurückkehren soll. Mein Herz ist seinem Untergange nahe: sagt es ihm, meine Freunde, dem Geliebten, denn ihr theilt meine Empfindungen. Nimm, Geliebter den Saum deines Gewandes auf, wenn du bey mir vorübergehst, denn der Pfad, den ich wandle, trieft vom Blute deiner Opfer! Wer mag sich seiner Keuschheit rühmen vor deinem Anblick! Vielleicht erwacht mein schlafendes Glück, wenn deine Schönheit seine Augen mit Wasser bespritzt. Sende mir mit dem Zephyr einen Strauß von den Blumen deiner Wangen, damit ich den Duft deines Gartens einathme. Seyd lange glücklich, ihr Zecher an des Königs Tische, wenn gleich eure Becher leer vom Weine bleiben. Zephyre! sagt den Einwohnern der Stadt Jezdi, daß Undankbarkeit auf den Kopf der Undankbaren zurückfalle. Selbst entfernt von euch denke ich oft an euch zurück! Ich diene einem Könige mit euch, und wünsche euch Heil! O König, geboren unter einem glücklichen Gestirne, gewähre mir durch Gott die Gnade, daß ich die Erde deines Palastes küsse, und mich in den Himmel versetzt wähne. Haphyz bittet darum! Höre es Liebling! und sprich Amen! Möge es mein Schicksal seyn, immerfort deinen zuckersüßen Mund zu küssen!“


Fünftes Kapitel.
Fortsetzung.
Endliche Bestimmung des Charakters edlerer Liebe unter den spätern Arabern und Persern.

Man kann nach diesen Proben an der Veredlung und Verschönerung nicht zweifeln, welche die neueren Araber und Perser den Geschlechtsverbindungen zu geben gesucht haben.

Reine Seelenliebe, Beschränkung der Wünsche auf einen bloß geistigen Genuß, besonders in der Voraussetzung, daß körperliche Begierden entehren, darf hier nicht gesucht werden. Alles, was dahin beym Sadi zu deuten scheint, findet seinen Grund in den Regeln des Anstandes und der Schicklichkeit, welche den Religiosen die Befriedigung ihrer Begierden unter gewissen Lagen um so mehr verbot, als diese oft von der Schönheit der Lieblinge angezogen wurden.

Also eine gezwungene Enthaltsamkeit war den Orientalern allerdings bekannt, und ihre strengeren Religionslehrer und Philosophen behaupteten unstreitig, daß alle Liebe zum einzelnen Abglanze der Gottheit, (zur Kreatur) der Liebe zum Allgemeinen, (zur Gottheit selbst,) nachstehen müßte. Aber der Regel nach scheint ihre edlere und schönere Liebe zum Menschen den Zusatz der Sinnlichkeit nicht ausgeschlossen, vielmehr als Grund und Zweck vorausgesetzt zu haben.

Das Charakteristische dieser Liebe scheint mir zuerst in der Begeisterung bis zum Wahnsinne zu liegen, welche die Lehrer derselben von dem Liebhaber forderten, dann in dem abentheuerlichen, bilderreichen, oft auch nur spitzfindigen Ausdruck der Empfindungen.

Jene Begeisterung stand mit dem religiösen Mysticismus der Orientaler in der genauesten Verbindung. Ihre größten Heiligen waren Schwärmer, die in ihrem Eifer, sich mit Gott zu vereinigen, bis zum Wahnsinn fortschritten. Die Dichter, deren Stellen ich angeführt habe, waren entweder Religiosen, oder sie beschäftigten sich doch mit der Theologie, welche bey den Muhammedanern mit allen ihren übrigen Kenntnissen, und besonders mit dem Talente der Dichtkunst in genauester Verbindung stand.

Im Koran fanden sie sinnliche Liebe. Der christliche Mysticismus, der alle Sinnlichkeit verdammt, würde diese geradezu zur göttlichen Liebe hinauf allegorisiert haben; so hat er es mit dem hohen Liede Salomonis gemacht. Der muhammedanische fand einen Mittelweg. Er entschuldigte diese Sinnlichkeit als die erste Stufe, um zur reinen göttlichen Liebe zu gelangen. Aber in wie fern konnte sie mit dieser Aehnlichkeit haben? In so fern beyde zur Erhebung über die Selbstheit, zur Abhängigkeit von andern Wesen, und zur Aufopferung für diese einladen, und den Zustand der Entzückung befördern. Der leidenschaftliche Liebhaber menschlicher Schönheit ist eben so wohl bereit, sein ganzes Leben hindurch in Qualen und Kummer hinzuschmachten, als der Derwisch, Fakir, oder Sofi: beyde werden durch die Wonne einer hinschmelzenden Begeisterung, durch den Stolz auf ihre Niedergeworfenheit schadlos gehalten: beyde entäußern sich Alles dessen, was das Leben angenehm macht, und sind fähig, dieß Leben auf den Wink eines äußern Wesens hinzugeben: beyde empfinden den höchsten Reitz in der Spannung ihrer Phantasie mit Bildern des Abwesenden, noch nicht Erreichten, aber Gehofften: beyde fühlen dadurch eine Erhebung über sich selbst, und über das Gegenwärtige: beyde werden an ihren Zusammenhang mit Wesen erinnert, die durch äußere und innere Schönheit selbständigen Werth haben: beyde leiden endlich einen innern Brand in ihrer Seele, der ein unauslöschbares Mahl darin zurückläßt!

Der Zustand von Besessenheit, der dem leidenschaftlichen Liebhaber menschlicher Schönheit so gut eigen ist, als dem entzückten Liebhaber Gottes, dieser war es, den die Orientaler so äußerst schätzten. Schon der Nahme Megnun, der einen Besessenen, einen Wahnsinnigen bedeutet, und dem Modell der Liebhaber beygelegt wird, muß darauf zurückführen. „Der erste Schritt auf dem gefährlichen und mühsamen Wege, der zum Hause der Leileh führt, sagt Giami, besteht darin, Megnun zu werden;“ das heißt: man muß sich selbst vergessen und begeistert seyn, um durch vollkommene Liebe Gegenliebe zu verdienen. [211] Die Tulpe Laleh ist bey den Orientalern das Symbol eines leidenschaftlich Liebenden, weil ihre rothen Blätter seinen Wangen, ihr schwarzer Samenstöpsel dem verbrannten Herzen ähnelt. [212] Beynahe alle Wörter, womit Liebe im Arabischen und Persischen angezeigt wird, bedeuten zugleich Schwermuth Raserey und Tod. [213]

Der übertriebene, oft abentheuerliche Ausdruck dieser Leidenschaft ist ihrem innern Wesen völlig angemessen: es ist die Sprache und die Handlungsart begeisterter Menschen.

So wie also die edlere Geschlechtsliebe der ältern Araber mit ihrem Heldenenthusiasmus in näherer Verbindung stand; so stand die der neueren mit ihrer religiösen Schwärmerey in näherem Verhältnisse.

Diese Schwärmerey nahm zuweilen durch verhaltene Begierden einen höheren Schwung: zuweilen war sie nur der Ausdruck körperlicher Begierden: sie ward zuweilen wirklich empfunden, zuweilen nur erlogen. Aber der Geschmack der guten Gesellschaft an ihrer Darstellung war allgemein, und selbst diejenigen, welche wie Haphyz sich nur ein leichtes Geschäft aus der Liebe machten, konnten nicht umhin in diesen Ton mit einzustimmen.

Sechstes Kapitel.
Ueber den Einfluß der griechischen Ideen über die Liebe auf die Denkungsart der Araber und Perser.

Ich kann nicht behaupten, daß die Araber und Perser die schönere Litteratur der Griechen gekannt haben, weil es mir darunter an hinreichenden Nachrichten fehlt; aber daß sie die Philosophen dieses Volks, und besonders den Plato und Aristoteles, gekannt haben, das ist unläugbar. Es bleibt wieder zweifelhaft, ob die arabischen und persischen Liebesdichter mit diesen Philosophen Griechenlands unmittelbar bekannt gewesen sind. Aber gewiß ist es, daß der muhammedanische Mysticismus auf ihre Ideen von der edleren Liebe zur Kreatur gewirkt hat, und daß dieser aus den Schulen der griechischen Philosophen herzuleiten ist, wenn er auch vorher durch noch so unreine Kanäle der Kabbalisten, u. s. w. zu den Orientalern hingeflossen seyn mag.

Siebentes Kapitel.
Spuren der Rittergalanterie unter den Persern und Arabern.

Wenn man den Geist der Rittergalanterie darin setzt, daß die Achtung des zärteren Geschlechts, oder wenigstens die Begierde, sich vor dessen Augen auszuzeichnen, unmittelbarer Anreitz zu Heldenthaten für den Abentheurer gewesen sey: daß dieser zu Ehren der Schönen Zweykämpfe aufgesucht, Unholde bekämpft, den Preis in Tournieren davon getragen habe: und daß er endlich die Hingebung für seine Gebieterin mit einer Art von ceremoniöser Anbetung öffentlich zu erkennen gegeben habe; so wird man von dieser Galanterie sehr wenig oder gar keine Spuren bey den Orientalern finden.

Jene Vereinigung von kriegerischem Muthe mit sinnlicher Liebe, wovon die älteren arabischen Gedichte zeugen, können für keine Rittergalanterie gehalten werden. Man findet sie bey allen nomadischen Völkern wieder, welche die erste Stufe der Kultur verlassen haben.

Dasjenige, was Herbelot unter dem Artikel Motassem anführt, verdiente eher hierher gezogen zu werden. Eine Frau von der Familie der Abassiden ward von einem griechischen Ritter entführt. Sie rief aus: Motassem, hilf mir! Der Entführer antwortete aus Spott: Da kommt er auf seinem Schecken! und führte sie mit sich weg. Man hinterbrachte dem Motassem diese Geschichte. Er schwur, das Weib zu erretten, und hielt Wort. – Allein dieser durch den Spott des Griechen gereitzte Ehrgeitz setzt nicht einmahl Mitleid mit der Unglücklichen, viel weniger Achtung für ihr Geschlecht, oder ihre Person zum voraus.

Unter dem Artikel Baharam meldet Herbelot, daß dieser persische König auf Abentheuer ausgegangen sey, ohne seinen Stand zu erkennen zu geben, und daß er durch seine Heldenthaten sich dergestalt im Dienste eines Königs ausgezeichnet habe, daß dieser ihn durch seine Tochter belohnen zu müssen glaubte. Es ist Schade, daß wir den Liebesroman nicht besitzen, zu dem diese Geschichte den Stoff hergegeben hat, und der oben unter dem Titel Baharam ve Gulendam von mir angeführt ist. Allein gesetzt auch, daß hier die Liebe den Abentheurer beseelt hätte, so würde doch eine so einzelne Erscheinung – die auch dem Heldenalter der Griechen nicht fremd war, – nichts für eine allgemeine Sitte beweisen.

Die Heldenromane der Orientaler scheinen übrigens nach demjenigen, was uns Herbelot darüber mittheilt, nur sehr wenig von Liebe zu enthalten. Unter dem Artikel Manougeher finde ich ein Liebesverständniß zwischen Zal, dem Vater des Rostam, und Roubadah. Diese beyden Personen verlieben sich in einander auf den bloßen Ruf von ihrer wechselseitigen Schönheit und ihren übrigen Vorzügen. Sie kommen heimlich zusammen, geben sich einander ein förmliches Heirathsversprechen, und vollziehen dieß mit Einwilligung ihrer Eltern nach Ueberwindung einiger Schwierigkeiten.

Einige andere Züge, woran Liebe Antheil hat, trifft man unter dem Artikel Caikaus an. Dieser persische König verliebt sich in Saudabah, Tochter des Königs Zulzogar, auf den Ruf von ihrer Schönheit. Er überzieht ihren Vater mit Krieg, und die Geliebte ist der Preis des Friedens. Sie wird die zweyte Gemahlin des Caikau, verliebt sich in dessen Sohn Siavesch, der ihre Anträge mit Abscheu zurückweist, und beschuldigt diesen bey seinem Vater, daß er ihr habe Gewalt anthun wollen. Aber eine Feuerprobe befreyet ihn von dem Verdachte,[WS 74] und stellt Saudabah als die Schuldige dar. – Dieß macht eine kurze Episode in einem langen Heldenromane aus.

Ueberhaupt dürfte das Institut der Ritterschaft und ihr Geist schwerlich aus dem Oriente herzuleiten seyn. Daß es dort kühne Abentheurer gegeben habe, deren Ruf auf die Abendländer gewirkt habe, daß solche Abentheurer sich zu einzelnen Korporationen gebildet haben können, das wird Niemand läugnen. [214] Aber eines Theils wird dadurch die zunftmäßige, an ein gewisses Ritual gebundene Verfassung nicht erwiesen; zweytens fragt es sich noch sehr, ob die Abendländer ihre Ideen über die Pflichten und Gebräuche der Ritterschaft nicht den Orientalern mitgetheilt haben? Es ist wahr, die Zweykämpfe waren unter den Arabern sehr gewöhnlich: [215] aber sie sind auch den Alten nicht unbekannt gewesen. Es ist ferner wahr, daß das Ringelrennen bereits im Jahre der Hegire 295 unter den Orientalern bekannt gewesen ist; [216] allein ein Tournier sieht einem bloßen Karoußel nicht ähnlicher, als den gymnastischen Spielen der Alten. [217] Wir wissen bestimmt, daß die Lateiner die Tourniere zuerst nach Konstantinopel gebracht haben, [218] und daß sie lange vor den Kreuzzügen bekannt gewesen sind.

Uebrigens finden wir keine Spur davon, daß der Araber die Huldigungen, welche er der Schönen darbrachte, öffentlich, und unter dem Schutze der guten Sitte ihr habe darbringen dürfen, wenn er nicht durch die bevorstehenden Bande der Ehe dazu berechtigt war. Oeffentliche Verbindungen mit verheiratheten Frauen von Stande waren gewiß nicht geduldet, wenn diese auch bloß auf Ruhmbegierde gegründet und beschränkt worden wären. Wir treffen nichts von jenem Hofmachen, von jenen Verständnissen an, die, wenn auch noch so materielle Absichten dabey zum Grunde liegen, äußerlich den Schein einer bloßen geselligen Unterhaltung, eines bloßen Austausches von Eitelkeitsgewährungen, oder auch einer begeisterten Verehrung der Schönheit und der Tugenden einer vornehmen Dame annahmen, und unter dem Schutze dieses Scheins von der guten Gesellschaft gebilligt werden. Kurz! von Allem demjenigen, was wir in der Folge Charakteristisch in der Galanterie der Abendländer finden werden, liefern die Gedichte und Romane der eigentlichen Orientaler keine Spur.

Was die Mauren in Spanien von einer ähnlichen Sitte zeigen, und was gemeiniglich als die glänzendste Art der Galanterie bezeichnet wird, ist auf das eigentliche Morgenland, auf die ursprünglichen Besitzungen der Saracenen gar nicht anwendbar. Wenn die Spanier, und durch diese das übrige Europa, viel von den Mauren angenommen haben, so haben diese hingegen den Einfluß ihrer Nachbarn gleichfalls empfunden, und ein großer Beweis dafür, daß die Galanterie von ihnen nicht zu den Abendländern hinüber gekommen ist, ist der gänzliche Mangel einer Beziehung auf maurische Sitten bey den ältesten Schriftstellern des Mittelalters über Liebe und Geschlechtsverbindung.

Ich will daher dasjenige, was Richardson [219] von der ungemeinen Hochachtung sagt, welche die Mauren in Granada dem schönen Geschlechte bey ihren Ringelrennen bewiesen haben sollen, nicht abläugnen, so unsicher auch die Quelle scheint, aus der er geschöpft hat; [220] Aber die Sitten dieses Stamms der Saracenen beweisen nichts für die übrigen, und ohnehin beschränkt sich sein Beweis auf den Umstand, daß bey den Caroußels oder Fertas de las Canas die Bildnisse der Geliebten des Mantenadors, oder des Herausforderers, aufgehangen sind. Daß die Frauenzimmer selbst, unverschleyert, als Richterinnen und Austheilerinnen der Preise dabey zugegen gewesen wären, wird dadurch um so weniger bewiesen, als es mit den übrigen Sitten der Orientaler, besonders zu der damahligen Zeit, im Mißverhältnisse steht.

Zwanzigstes Buch.
Denkungsart des Abendlandes über Liebe und Geschlechtsverbindung im zwölften und dreyzehnten Jahrhunderte. Erster Keim der Galanterie.


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Nächst derjenigen Veredlung, welche die Schule des Sokrates den geselligen, auf Geschlechtssympathie beruhenden Verhältnissen gegeben hat, hat keine so viel Anspruch auf unsere Aufmerksamkeit, als diejenige, die wir als eine Geburt des Instituts der Ritterschaft ansehen, und mit dem Nahmen der Galanterie bezeichnen.

Diese Galanterie lebt noch, wiewohl in einem hinsterbenden Zustande, in der Cicisbeatura der Italiäner und Spanier fort, und wir suchen in ihr, vielleicht nicht mit Unrecht, den Grund zu den Regeln des Anständigen und Schicklichen im Umgange zwischen beyden Geschlechtern, die wir von allen kultivierten Ländern heut zu Tage angenommen finden.

Inzwischen scheint der Begriff, den man mit dieser Galanterie verbinden muß, bis jetzt nicht hinreichend aufgeklärt und bestimmt zu seyn. Die Züge, welche uns die Geschichte davon aufbewahrt hat, sind in geringer Anzahl, schwankend, unbefriedigend. Jedermann ist berechtigt, nach der Anlage seines Herzens, in Gemäßheit seiner Erfahrungen, nach dem Einflusse seiner Launen, sich ein eigenes Bild von dieser geselligen Einrichtung zu entwerfen, und bald ihr übertriebener Lobredner, bald ihr eben so unbilliger Tadler zu werden.

„Nie, ruft der eine, ist das weibliche Geschlecht so sehr verehrt worden, als in den Zeiten des Mittelalters. Nie erschien die Liebe in einer edleren Gestalt! Damahls entschied der Ausspruch edler Frauen über den Werth des Mannes, und ihr Beyfall war die höchste Belohnung der Thaten des Helden! Lieben hieß achten: und um geachtet zu werden, mußte man lieben! Jeder Ritter wählte eine Dame seiner Gedanken, der er, gleich dem höchsten Wesen, alle seine Gefühle, alle seine Handlungen zum Opfer darbrachte. Diese war sinnlicher Antrieb für ihn zu allem Edlen und Schönen: sie war eine Heilige, sie war die verkörperte Tugend selbst! Ihrem Dienste war sein ganzes Leben geweiht: mit Aufopferung des Liebsten, was er hatte, gehorchte er ihren Wünschen! Ihrer werth zu seyn, im Rufe seiner Thaten bis zu ihr zu dringen, ihren Stolz durch seine Anbetung zu heben, ihren Nahmen zugleich mit dem seinigen im Munde des Volks und der Höfe, bey Tournieren und Gelagen, preisen zu hören, und so sich in ihr, sie in ihm doppelt geschätzt, doppelt schätzungswerth zu fühlen, – das waren die letzten Wünsche, die äußersten Hoffnungen des Liebhabers! Niedrige, sinnliche Begierden schwiegen, und wenn sie sich meldeten, wurden sie edel bekämpft, und glücklich überwunden. Darum zogen auch diese Verbindungen den Antheil, die Billigung, die Bewunderung aller wohlerzogenen Menschen an sich. Man gab sich Beweise ausgezeichneter Achtung und Zärtlichkeit unter den Augen des Gatten, in Gegenwart der versammelten Menge, unter dem Schutze des Anstandes, und der Gesetze! Kurz! die Liebe war damahls, wie Montaigne sagt, die Unternehmerin großer Thaten, und ihr Ausdruck trug den Charakter des Erhabenen, der Unbefangenheit, und der Feinheit der Gesinnungen an sich, die dem ganzen Institute der Ritterschaft eigen waren!“

Während daß einige Enthusiasten die Phantasie des Unerfahrnen durch solche Darstellungen von der Galanterie entflammen, suchen andere bald aus Mangel eines Herzens und einer Einbildungskraft, die sich in fremde Zeiten und Sitten hinein zu versetzen weiß, bald aus Unmuth über betrogene Erwartungen, bald endlich in der Schwäche träger Sinnlichkeit, den Glauben an das Gute in dieser Sitte des Mittelalters möglichst zu untergraben, oder gar ihr Daseyn selbst abzuläugnen.

„Nein! sagen diese letztern, jene Anbetung des weiblichen Geschlechts war weiter nichts, als der Ausdruck einer steifen und ungebildeten Höflichkeit: ein nichts bedeutendes Ceremoniel, eine nichts sagende Etiquette, die für die innere Achtung des Mittelalters für die schwächere Hälfte unserer Gattung eben so wenig zeugen mögen, als die Formulare des sogenannten guten Tons[WS 75] für allgemeine Menschenliebe, und Anerkennung des Menschenwerths in unserm egoistischen Jahrhunderte. Jene excentrische Liebe hat nie existiert, außer in Romanen, und sollten einige Schwärmer sie in der wirklichen Welt zur Anwendung gebracht haben, so giebt dieß mehr einen Beweis von der Verirrung ab, zu der sich der menschliche Verstand hinreißen lassen kann, als von der Veredlung, deren das Herz und die Liebe fähig sind. Spitzfindigkeit der Ideen ward mit Zartheit der Gefühle, Abentheuerlichkeit der Gesinnungen mit Größe verwechselt; Schwulst im Ausdruck galt für Erhabenheit, Plattheit für Naivetät. Die Natur ward in einen erschwerten Streit mit einer konventionellen Tugend verwickelt, deren Blende beyde das Laster und die Schwäche nutzten, jenes um die Unschuld desto sicherer zu berücken, diese um das Willkührliche des Fehltritts von sich abzuwälzen.“

Gleich entfernt von Schwärmerey und Spottsucht, suche ich Billigkeit und Behutsamkeit bey der Beurtheilung dieses geselligen Verhältnisses zu üben! Ich unterscheide die Zeiten: ich unterscheide die Denkungsart des Pöbels von der guten Sitte, und beyde von dem Ideale, das einige Edle in ihrem Umgange und in ihren engeren Verbindungen mit dem schönen Geschlechte vor Augen gehabt haben: ich unterscheide besonders das Bestreben, sich diesem Ideale zu nähern, von der wirklichen Ausfüllung desselben. [221]

Zweytes Kapitel.
Unsichere Spuren einer charakteristischen Denkungsart über Liebe und Geschlechtsverbindung im nördlichen Europa vor dem zwölften Jahrhunderte.

Zu allen Zeiten hat es gewisse Begriffe von dem Sittlichen und Anständigen in dem Umgange zwischen beyden Geschlechtern, sowohl in ihrem allgemeinen


wäre. Herr Hofrath Eschenburg, an den ich mich um eine Aufklärung über diesen Punkt gewandt habe, hat mir folgende interessante Antwort ertheilt:

„Ueber die eigentliche Entstehungszeit des Worts „Galanterie“ weiß ich Ihnen doch, nach allem Nachsuchen, keine gewisse Auskunft zu geben. In der Provenzalsprache aber war es wohl ganz gewiß nicht“ (Millot braucht es in einigen Uebersetzungen der provenzalischen Gedichte; da er die Originale aber nicht beyfügt, so kann man nicht beurtheilen, ob es sich in diesen findet.) „Auch habe ich, fährt Herr Eschenburg fort, des bekannten Alain de Chartrier Gedichte durchblättert. Von Courteoisie und Loyauté fand ich genug darin; aber das Wort Galanterie nirgends; selbst das Wort galant nicht. Dieß letztere soll indeß nach Patru in einer Note zu den Remarques de Vaugelas T. 3. p. 150. im Roman de la Rose vorkommen. Er führt zum Beweise die Stelle gegen das Ende des Romans an: Quand la douce saison viendra, Seigneurs galants qu’il conviendra. In meiner Ausgabe dieses Romans (Amstr. 1735 3 vol. 8.) steht aber seigneurs valets – – Menage hat Allerley über den etymologischen, nicht aber historischen Ursprung des Worts. Von dem sel. Reiske steht eine Abhandlung vom Urspr. des Worts Gala in den Schriften der Leipz. Ges. d. fr. Künste B. 3. S. 3. ff. wo er das Wort für arabisch hält, und von Challah, Feyerkleid, herleitet. Möglich indeß, daß gala und galant nichts mit einander gemein haben.

Verkehre, als in ihren engeren Verbindungen mit einander gegeben. Wenn man wenige, und außerdem nicht hinreichend bekannte Nationen ausnimmt, so haben weibliche Schwäche, weiblicher Reitz, weibliche Pflege und Emsigkeit überall Schonung, Beystand, Gefälligkeit bey dem Manne gefunden: so haben männlicher Muth, männliche Geschicklichkeit in eben dem Maße Dankbarkeit und die Bewunderung des Weibes auf sich gezogen. Ueberall ist Schönheit der Anreitz und der Preis der Tapferkeit des Mannes; sein Schutz, seine Werthschätzung für die Sittsamkeit des Weibes Belohnung gewesen. Die ältesten Urkunden des Menschengeschlechts zeigen uns Hirten, die durch beharrliche Dienstleistungen das Herz der Hirtentöchter gewonnen; Helden, die durch bestandene Abentheuer um die Hand der Heldentöchter geworben haben.

Die Völker brauchen nicht weit über die erste Stufe der Kultur hinaus geschritten zu seyn, um den Werth der Treue, der Aufopferung, und des Genusses, den die Seele, neben dem Physischen, aus den engeren Verbindungen zwischen beyden Geschlechtern zieht, zu fühlen. Hindernisse, welche die Schamhaftigkeit und das Schicksal der gänzlichen Vereinigung zweyer Liebenden entgegen setzen, verengen die Bande zwischen diesen selbst, und erhöhen das Interesse für ihre Verbindung bey andern, die darum wissen.

Eben so wenig wird ein hoher Grad von Verfeinerung der Sitten erfordert, um die Beweise des


Aus den Ritterzeiten hat dieß letztere Wort wohl gewiß seinen Ursprung. Im Englischen hat sich der Begriff tapfer von gallant als Hauptbedeutung erhalten.“

Schutzes und der Gefälligkeit, die der Mann dem zärteren Geschlechte in seinen entfernteren Verhältnissen mit ihm darbringt, an eine gewisse Form zu binden, wodurch er sich artig zeigen, daß heißt, Gefühle des Schönen neben denen des Guten erwecken will. Die bloße herumschweifende Begierde ist bereits bey Thieren mit dem Wunsche, durch kosende Geschmeidigkeit zu gefallen, verbunden, und Niedlichkeit der Formen, so wie Hülfsbedürftigkeit der Lagen, laden sogar die rohesten Männer zu einem schmeichelnden Betragen, nicht bloß gegen das zarte Weib, sondern sogar [WS 76] gegen Kinder ein.

Diese natürliche Folge einer aus der ersten Rohheit entwickelten Geschlechtssympathie mag, wenn man will, Galanterie genannt werden, und dann haben alle Völker im Süden und im Norden gleichen Anspruch auf ihre Hervorbringung. Simson und Herkules sind dann Paladine; die Delila’s und Omphalen die Damen ihrer Gedanken, der Erzvater Jakob ist ein Celadon, und seine Rahel eine Astrea.

So lächerlich diese Behauptung klingt, so hat sie doch ihre Vertheidiger gefunden, [222] und uns wird sie wichtig, weil sie die Nothwendigkeit lehrt, der Galanterie nicht eher ein Daseyn einzuräumen, und den besondern Ursachen ihrer Entstehung nachzuspüren, als bis wir in den Aeußerungen der Zärtlichkeit und der Urbanität der Abendländer im Mittelalter etwas so charakteristisch Verschiedenes von den Sitten anderer Völker und Zeiten in eben diesen Verhältnissen antreffen, um jene als etwas für sich Bestehendes zu erkennen, das sich aus allgemein wirkenden, in der Natur der Sache selbst liegenden Gründen nicht erklären läßt.

Vor dem Anfange des zwölften Jahrhunderts läßt sich schwerlich unter den Abendländern in Europa irgend ein charakteristischer Zug in dem Betragen der beyden Geschlechter gegen einander auffinden, der dieß von dem Betragen aller übrigen Völker unterschiede, die in der Kultur der Geschlechtssympathie die erste Stufe überschritten haben. Wenn er aber vorhanden gewesen ist, wovon ich das Gegentheil nicht zu behaupten wage, so entgeht er, bey dem Mangel aller Nachricht, gänzlich unsrer Kenntniß.

In dem zehnten und eilften Jahrhunderte war die Verdorbenheit der Sitten aufs Höchste gestiegen. Besonders übte man die äußersten Gewaltthätigkeiten gegen das zärtere Geschlecht aus. Dieß war damahls überhaupt sehr verachtet. [223] Man legte den Weibern etwas Unheiliges und Verunreinigendes bey, verbot ihnen, das Altartuch zu berühren, und machte es ihnen zur Pflicht, beym Empfang des Abendmahls Handschuhe anzuziehen. Es war den Ehemännern durch Gesetze erlaubt, ihre Weiber zu stäupen, und sie sogar zu verwunden, wenn sie nur nicht an ihren Gliedmaßen durch Verstümmelung oder gänzliche Lähmung litten. Der Vater durfte seine Tochter selbst nach der Verheirathung thätlich züchtigen, und die Statuten der Stadt Bourdeaux setzten fest, daß wenn der Ehemann im Zorn oder in der Heftigkeit des Schmerzes seine Gattin umbrächte, aber nachher schwören würde, daß es ihn von Herzen reue, alsdann die Strafe ihm erlassen seyn solle. [224] Der Weiberraub war äußerst häufig. In weniger als funfzig Jahren wurden allein drey Königstöchter gewaltsam entführt. [225] Ehemänner, die ihrer Gattinnen überdrüssig waren, verschmähte Liebhaber, eifersüchtige Stiefmütter und Nebenbuhlerinnen verläumdeten die Unschuld, welche sogar Otto der Erste an seiner einzigen Tochter durch einen Zweykampf mußte rechtfertigen lassen. [226] Dazu kamen die häufigen Streifereyen der Normänner, Hunnen, Saracenen, wobey die Weiber wie andre Beute fortgeschleppt wurden.

In solchen Zeiten wird es schon Tugend, des allgemein Bedrängten zu schonen, und der Beystand, den einige Wenige der gekränkten und wehrlosen Unschuld leihen, giebt diesen den höchsten Anspruch auf allgemeine Verehrung, so wie auf die besondere des weiblichen Geschlechts. Wer also in diesen Zeiten die Geraubte befreyete, die Bedrohten und Angeklagten mit Gut und Leben schützte, der weigernden Schamhaftigkeit schonte, der war ein sittlich ausgezeichneter, ein edler Mann, in Beziehung auf sein Betragen gegen die zärtere Hälfte der Menschen.

Folglich gab es unstreitig bereits in diesen Jahrhunderten einige Helden, deren Muth von sympathetischen Gefühlen geleitet, der Barbarey vieler Räuber und Unholden Einhalt that. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß ihre Denkungs- und Handlungsart bereits an eine gewisse charakteristische Form gebunden gewesen sey, die sie von den Halbgöttern des alten Griechenlands und ihrem Betragen gegen die Dejaniren, Ariadnen, u. s. w. deutlich unterschieden haben.

Der Halbgott tritt unter einer ganz rohen Nation auf, bestimmt selbst die Form und den Zweck seiner Denkungs- und Handlungsart; sein Betragen ist also der Natur angemessen, und hat keinen andern Charakter als denjenigen, der in der Sache selbst liegt. Nicht so der Edle, der unter Nationen hervorgeht, die ehemahls kultiviert gewesen sind, und in deren Barbarey sich allemahl noch Spuren einer ehmahligen Kultur zeigen. Solche Völker sind nicht sowohl roh, als entartet. Bey ihnen finden sich bereits religiöse Gebräuche, eine bürgerliche Organisation, Konventionen über Angelegenheiten des geselligen Lebens, gewisse Methoden in der Erlernung, gewisse Manieren in der Behandlung der Wissenschaften und Künste: alles dieß freylich einzeln, und von dem großen Haufen wenig ausgeübt, und schlecht beobachtet. Aber der Edle, der sich auszeichnet, tritt doch nicht so unbefangen auf, als bey einer ganz rohen Nation: er erkennt einige wenige andere Edle als Richter seiner Handlungen und sogar ihrer Formen an: seine Ueberzeugung von dem Zweckmäßigen und Schmückenden ist nicht seine einzige Führerin; Nein! er schmiegt sich in die herrschenden Ideen seiner Zeit hinein, denkt und handelt edel und schön, in Gemäßheit der Begriffe seines Zeitalters über Adel und Schönheit.

Ich wiederhohle es daher: es ist nicht unwahrscheinlich, daß schon vor der Mitte des zwölften Jahrhunderts gewisse Regeln des Sittlichen und Anständigen, so wie gewisse Ideale des Edeln und Schönen für den Umgang zwischen beyden Geschlechtern mögen festgesetzt gewesen seyn. [227] Allein sichere Zeugnisse haben wir darüber gar nicht, und wenn wir uns nicht an bloße Hypothesen halten wollen; so müssen wir eingestehen, den Charakter der Galanterie vor der Mitte des zwölften Jahrhunderts gar nicht angeben zu können. [228]

Diejenigen, welche behaupten, die Galanterie, so wie sie das Mittelalter zeigt, sey im Norden immer einheimisch gewesen, und habe daselbst von frühen Zeiten an geherrscht, scheinen ihre Behauptung nicht rechtfertigen zu können. [229]

Es sey wahr, daß deutsche Weiber an der Seite ihrer Männer gestritten, diese, wenn sie flohen, in die Schlacht zurückgetrieben, und gefangen vom Feinde, ihre Unschuld und Freyheit mit Aufopferung des Lebens erkauft haben; finden wir nicht ähnliche Beyspiele von weiblichem Edelmuth unter den Spartanern und andern südlichen Völkern? Es sey wahr, daß Weiber unter unsern Voreltern, den Deutschen, geweissagt, dem Gottesdienste vorgestanden, gerichtliche Händel entschieden, Krankheiten geheilt, Völker regiert haben; finden wir nicht Beweise einer eben so rühmlichen Bestimmung einzelner Weiber bey dem Homer, jenem Dichter, der so oft wegen der Herabwürdigung des zärteren Geschlechts angefeindet ist? Wie viel muß außerdem von der Glaubwürdigkeit der Zeugnisse solcher Schriftsteller abgerechnet werden, die vor ihrer eigenen, in ihren Sitten ausgearteten Nation die benachbarte zum Muster oder zum Vorwurf aufgestellet haben? Wie viel muß von dieser anscheinenden Achtung gegen das weibliche Geschlecht auf Rechnung des Aberglaubens abgesetzt werden, der unter wenig kultivierten Völkern in dem schwächern Wesen, und in seiner reitzbaren Phantasie, die mit der Gottheit vertrautere Seele ahnet[WS 77]!

Die Liebe, wie sie beym Ossian erscheint, ist treu, ist zärtlich bis zur Aufopferung, besonders bey den Weibern. Aber gesetzt, die Gesänge dieses Dichters wären in ihrer ursprünglichen Echtheit bis zu uns gekommen; sollten dann die Penelopen, die Andromachen, die Pantheen, die Thisben, und so viele griechische und asiatische


chez les Gaulois. Warton’s History of Englisch Poetry, Meiners Geschichte des weiblichen Geschlechts, und Mehrere.

Weiber, die unsers liebenden Antheils, unserer Bewunderung so würdig sind, den Lorma’s, Dar – Thulas, den Cuthonas und Minonas weichen müssen?

Mit mehrerem Anscheine würden die Sagen der Nordländer für den ersten Ursprung der Galanterie in diesen Gegenden angeführt werden können, wenn ihr Alter höher hinaufgesetzt werden möchte. [230] Aber es ist jetzt ausgemacht genug, daß sie aus einer Zeit herrühren, worin diese Insel schon mit dem übrigen Europa in Verbindung stand, und den romantischen Geschmack von diesem bereits angenommen hatte. [231]

Doch! gesetzt, diese Sagen wären völlig glaubwürdig; gesetzt, sie reichten wirklich in die Zeiten hinauf, worin die Normänner durch ihre Streifereyen noch nicht mit den romantischen Ideen bekannt waren, die im südlichen Europa herrschten; wie wenig gallant, ja! wie grausam in ihrer Behandlung des weiblichen Geschlechts zeigen sich nicht eben diese Normänner überall, wo sie in der früheren Geschichte erscheinen? [232] Und was können dann jene einzelnen Sagen beweisen? Weiter nichts, als dieß, daß im Norden so wie im Süden die Schönheit zuweilen der Preis der Tapferkeit gewesen, daß die Liebe überall zuweilen den Muth zu entflammen, Talente zu entwickeln im Stande sey, und daß Eigensinn, Herrschsucht und kluge Vorsicht der Geliebten die Leidenschaft des Liebhabers überall auf die Probe gesetzt haben.


Drittes Kapitel.
Herrschende Denkungsart im zwölften Jahrhunderte.

Erst im zwölften Jahrhunderte finden wir bey den Abendländern Spuren einer Denkungsart über die Liebe, und über den geselligen Umgang zwischen beyden Geschlechtern, die sich auffallend von derjenigen unterscheidet, die wir in früheren Zeiten angetroffen haben. Ein zusammenhängendes System, ein bestimmtes Ganze, dürfen wir jedoch nicht erwarten. Um aber diesen einzelnen Zügen besser auf die Spur zu kommen, müssen wir ein Bild der herrschenden Ideen in diesem Zeitalter überhaupt entwerfen.

Vom eilften Jahrhunderte an führt Alles auf ein Bestreben hin, eine bessere Ordnung der Dinge einzuführen, oder, wie ich es nennen möchte, die menschliche Gesellschaft in ihren Verhältnissen gegen Kirche, Staat, Sitten und Wissenschaften zu organisieren. Den nächsten Stoß zu dieser Bewegung hat wahrscheinlich Gregor der Siebente dem menschlichen Geiste durch seine planmäßigen Bemühungen gegeben, die Gewalt der Kirche auszubreiten, und die weltliche Macht zu untergraben. Allein die entferntere Veranlassung dazu mag in der aufs Höchste gestiegenen Unordnung und Anarchie gelegen haben. Wenn diese zu dem Gipfel gelangt, daß sie alle geselligen Bande aufzuheben, und eine völlige Ungewißheit in den Grundsätzen des Betragens, und des Beurtheilens nach sich zu ziehen drohet; so findet sich der Mensch von selbst gedrungen, gewisse Regeln seines Verhaltens gegen andere Menschen festzusetzen, und der Vernunft eine gewisse Methode vorzuschreiben, die sie bey ihrem Wirken beobachten soll.

Deutlich erhellet dieß aus der in diesem Jahrhunderte aufgekommenen Treuga dei, oder Gottesfrieden, wodurch Hülfsbedürftige gegen die Gewaltthätigkeiten der Befehdungen der Mächtigern unter einander von der Kirche in Schutz genommen wurden. Es erhellet aus der Organisation, welche die Hierarchie in diesem Zeitraume erhielt; es erhellet aus der häufigen Entstehung von Sekten und einzelnen Verbindungen, welche zur Verbesserung der Religionslehre und der Sitten gestiftet wurden; [233] endlich aus den Spuren einer zunftmäßigen Einrichtung, der die Stände der Geistlichen, der Ritter, der Gelehrten, der Künstler, und der Handwerker, besonders gegen das Ende dieses Jahrhunderts, unterworfen wurden. [234]

Vielleicht ist zu allen Zeiten dieß Bestreben nach einer bessern Ordnung der Dinge mit Schwärmerey verbunden gewesen, und vielleicht ist diese wieder eben so unzertrennbar vom Geschmack an dem Abentheuerlichen, als die Ausübung einer neuen Sitte von Pedanterey.

Zu Anfang des zwölften Jahrhunderts aber kamen noch einige besondere Ursachen hinzu, welche diesen eben angedeuteten Geist unterstützten.

Ueberall war die Idee ausgebreitet, daß der Mensch unter der unmittelbaren Führung der Gottheit stände, daß seine guten Handlungen durch ihren unverkennbaren Schutz bereits in diesem Leben belohnt, seine bösen durch ihre Rache schon hiernieden bestraft würden. Diese Idee, welche damahls so nothwendig war, um ausgeartete Menschen bey dem Mangel angewöhnter Anerkennung bürgerlicher Gesetze, und bey der Schwäche ihrer Handhaber, zur Befolgung gesellschaftlicher Pflichten anzuhalten, ward durch eine Menge von Wundergeschichten und Ceremonien unterstützt, welche auf die Sinne wirkten, und die Einbildungskraft spannten. Die Entscheidung streitiger Rechtsfälle, sogar Die streitiger Rechtsfragen, ward dem Ausspruche Gottes überlassen, der durch den Ausfall der Duelle, der Wasser- und Feuerproben und anderer Gottesgerichte verkündigt wurde. Hier mußten feyerliche und schreckenvolle Vorbereitungen das Gewissen rühren, den Muth des verhärteten Verbrechers schwächen, und den reuigen zum Geständnisse seiner Schuld bringen. Frömmigkeit bestand in unbedingtem Glauben an diese wunderbare Führung der Gottheit, und in ängstlicher Beobachtung sinnlicher Andachtsübungen, nach einer vorgeschriebenen Form. Der Tempeldienst war mit Ceremonien überhäuft, die zum Theil aus dem heidnischen Ritus aufgenommen, zum Theil aus den Gebräuchen der orientalischen Kirche entlehnt waren. Jene hatten ihre ursprüngliche Bedeutung verloren, und ließen daher der Imagination freyes Spiel, ihr Mythen von eigener Erfindung unterzulegen: diese trugen sofort den Stempel excentrischer Schwärmerey der morgenländischen Phantasie an sich.

Der Heilige der damahligen Zeiten war derjenige, der sich unter dem unmittelbaren Schutze der Gottheit, unter ihrer besondern Leitung befand, und gleichsam von ihr begeistert ward: der Gottgeweihete, der Inspirierte. Aberglauben und Andächteley waren die einzigen Mittel, diesen Vorzug zu erwerben. Was opferte man nicht auf, um sich dem Himmel angenehm zu machen! Welche Gefahren konnte man fürchten, welche Mühseligkeiten scheuen, welchen Verlust an Gut und Blut bedauern, um dahin zu gelangen! Nein! um Gottes Auserwählter zu seyn, bekämpfte man Ungläubige und Ketzer, wallfahrtete ins gelobte Land, verschenkte seine Güter an die Kirche, und endigte sein Leben unter Bußübungen und Enthaltsamkeit von Allem, was den Sinnen schmeichelt! Aber dann machte man auch diesen Vorzug vor seinen Brüdern geltend, und die theuer erkaufte Eitelkeit, der Liebling des Himmels zu seyn, fand auf dieser Erde bereits einen Vorschmack der Seeligkeit in der Erhebung über den größern Haufen durch sinnliche Zeichen der Absonderung von den übrigen Mitgliedern der Kirche. Daher die eigenthümlichen Trachten gewisser Orden: daher die dem Körper eingeprägten Merkmahle der Gottesweihe!

So stand es mit dem Begriffe von den Pflichten des Menschen in seinen Verhältnissen gegen das höchste Wesen. Derjenige, den man sich von Bürgertugend machte, war ihm nicht unähnlich. Eigentlicher Gemeingeist war nirgends anzutreffen. Die verschiedenen Glieder eines Staats machten kein Ganzes unter sich aus: sie gehörten nur in so fern zusammen, als sie einen gemeinschaftlichen Oberlehnsherrn anerkannten, dem sie alle zum Gehorsam, oder zur Dienstleistung verpflichtet waren. Ein König hatte mehrere Herzoge, Grafen, oder andere mächtige Vasallen von verschiedenen Nahmen unter sich, und diese wieder andere minder mächtige Vasallen, und so weiter herab bis zum Leibeigenen. Diese Stufenleiter von Ständen brachte eine Menge einzelner Staaten im Staate hervor, die sich unter einander oft bekriegten, oft sich gegen ihren Oberlehnsherrn auflehnten, oft durch keine äußere Zwangsmittel zur Ruhe und Ordnung zurückgeführt werden konnten. Daher wurden die Gefühle der Ehre, der Treue, des Biedersinns, eben so wichtig als sie selten waren. Daher suchte man aber auch diese Gefühle recht tief einzuprägen, die Gelübde, deren Erfüllung auf ihrer Stärke beruhte, so feyerlich, so sinnlich, und demjenigen, der sie einmahl übernommen hatte, so gegenwärtig als möglich zu erhalten. Daher die umständlichen Gebräuche bey den Lehnsinvestituren, bey den Huldigungen: daher die Aufwartungen bey Hofe, die geschenkten Paniere, Wappenschilder, Gnadenzeichen, das Tragen der Farben des Lehnsherrn. Auch hier Formen, Ceremonien in Menge, die für uns den Schein des Schwärmerischen, des Abentheuerlichen, des Pedantischen annehmen.

Wo die Beobachtung der Pflichten gegen den Staat und gegen die Menschheit bey Ermangelung hinreichender Zwangsmittel dem moralischen Gefühle eines Jeden überlassen bleiben muß, da pflegt zwar der große Haufe oft dagegen zu fehlen, aber die Wenigen, welche seine innere Stimme hören, sind um so gewissenhafter in ihrer Befolgung, werfen eine größere Verachtung auf diejenigen, die ihr zuwider handeln, und suchen durch eine ängstliche Aufmerksamkeit auf ihre Handlungen den Verdacht der Unredlichkeit, bis auf den geringsten Schatten, zu entfernen. Daher die spitzfindige Gewissenhaftigkeit der Edlen der damahligen Zeit, gewisse Pflichten der Ehre und des Biedersinns gegen den Lehnsherrn und Waffenbruder zu beobachten, während daß sie andere, durch Gesetze verpoente Verbrechen, ohne Scham und innern Vorwurf begingen. Daher aber auch die repräsentierende Anmaßung, mit der sie Tugenden, die von ihrer Willkühr abzuhängen schienen, in Worten, Geberden und Handlungen äußerten.

Die Pflichten gegen die örtliche Gesellschaft, die Regeln des Betragens im geselligen Umgange, konnten keine große Bestimmtheit, Leichtigkeit und Ungezwungenheit bey der Ausübung in Ländern erhalten, wo alle Einwohner entweder sehr reich, oder ganz arm waren: wo die Vornehmern den größten Theil ihres Lebens auf ihren weit aus einander liegenden Burgschlössern, oder auf Kriegszügen zubrachten, und die Städter ihre Bestimmung auf die Vertheidigung ihrer Mauern, oder auf den Handel, oder auf Handwerke beschränkten. Die Urbanität, das städtische Wesen der Alten, verschwand, und ward zur Courteoisie, zur höfischen Sitte. Diese war steif, abgemessen, übertrieben in Geberden und Worten. Achtung äußerte sich durch Knechtschaftsbezeugung, und Wohlwollen kleidete sich in sinnreichen Ausdruck. – Nur Wenige waren im Besitz dieser Bildung.

Die Gelehrsamkeit war ein Gewebe von Vorurtheilen und Spitzfindigkeiten, durch deren dichten Schleyer die Wahrheit nur wenige ihrer Strahlen durchschimmern lassen konnte. Die Lehrmethode war zunftmäßige Umständlichkeit, die Behandlung der Wissenschaften selten praktisch, und nie rein von pedantischer Charlatanerie. Aber auch dieser Vorzug, so gering er war, ward nur Wenigen zu Theil.

Je unbeträchtlicher die Bildung für die Gesellschaft und die Masse der Kenntnisse ist, um derentwillen der Mensch, der sie besitzt, von einem noch ungesitteteren und unwissendern Menschen angestaunt wird, um desto mehr sucht er ihren Gehalt durch ein äußeres Gepränge zu heben, und andern den Weg, sich ihm an die Seite zu stellen, durch Vorschriften unnützer Vorübungen und Formen bey der Anwendung zu erschweren. Wie erklärbar wird dadurch die steife Förmlichkeit, die Pedanterey, das Abentheuerliche der damahligen Hofleute, Gelehrten, Künstler, Handwerker, u. s. w.

Und dieser Geist der Unbehülflichkeit, der Ueberspannung, der Eitelkeit, der ist es nun, der das Mittelalter in allen Verhältnissen, und so auch in denen der beyden Geschlechter gegen einander auszeichnet.

Viertes Kapitel.
Entwickelung des Ganges, den die Veredlung der Begriffe über Geschlechtsverbindung und Liebe im zwölften und dreyzehnten Jahrhunderte nach dem herrschenden Charakter des Zeitalters hat nehmen müssen.

Ich werde mich aber bey der Denkungsart des Pöbels über Geschlechtsverbindung und Liebe nicht weiter aufhalten, da diese zu allen Zeiten und in allen Ländern beynahe die nehmliche ist. Ich werde dagegen die Denkungsart der guten Gesellschaft über den angezeigten Punkt desto sorgfältiger entwickeln.


Ehe ich zu den bestimmten Nachrichten übergehe, die aus diesen Zeiten auf uns gekommen sind, will ich den Gang zu zeichnen suchen, den die Denkungsart der damahligen guten Gesellschaft über die angezeigten Gegenstände nach der Lage der Dinge überhaupt, und der beyden Geschlechter gegen einander besonders, hat nehmen müssen.

So wenig Spuren einer ausgezeichneten Achtung für das weibliche Geschlecht im Ganzen das zwölfte Jahrhundert liefert, so gewiß ist es doch, daß einige Edle den Werth einzelner Weiber geschätzt haben, welche sich durch Tugenden, die der Geist des Zeitalters anerkennen konnte, auszeichneten. Diese einzelnen außerordentlichen Weiber mußten um so stärker auf die Imagination der Männer wirken, da die geselligen Zusammenkünfte zwischen beyden Geschlechtern höchst selten waren, kaum anders als bey öffentlichen Festen Statt fanden, und die Damen, welche daselbst erschienen, größtentheils verheirathet, und von hohem Stande waren. Diese Lage war der Begeisterung äußerst förderlich: sie hinderte aber auch die Politur der Sitten im geselligen Umgange. Die Vernunft ward nicht genug durch Erfahrung unterstützt, um das Zweckmäßige im Betragen gegen das zärtere Geschlecht auszufinden: und die Anwendung der Gesetze, die sie vorschrieb, konnte nicht das Schlanke, Ungezwungene, Leichte, erhalten, das zur Grazie so nothwendig ist, und das ohne frühe und häufige Anwendung so schwer zu erreichen steht.

Wie begreiflich wird es nun, daß der beschirmende Beystand, die menschenfreundliche Schonung, Gefälligkeit, Achtung, welche die hülflose Unschuld, die reitzende Sittsamkeit zu allen Zeiten, und die ausgezeichnete Fürstin besonders in der damahligen Periode von dem gebildeteren Manne erfuhren, den allgemeinen Charakter der sittlichen Verfeinerung angenommen haben, nehmlich den der Ueberspannung und unbehülflicher Förmlichkeit.

Wie begreiflich wird es ferner, daß dieser Geist sich auch in die engeren Verhältnisse zwischen bestimmten Personen eingeschlichen habe; daß die Aeußerungen der Liebe gleichfalls überspannt und förmlich geworden sind, und daß die Geschlechtssympathie einen Hauptgenuß in befriedigter Eitelkeit durch Auszeichnung vor andern Männern von Seiten der schönsten, sittigsten, und vornehmsten Weiber gesucht habe!

Und wodurch sollte der Edle diese Auszeichnung von Seiten eines Geschlechts verdienen, das er selten anders, als bey feyerlichen Gelegenheiten sah, das folglich durch eine an einander hängende Reihe von Aufmerksamkeiten, Dienstleistungen, Befriedigungen einer kleinlichen Eitelkeit, und einer unbestimmten Sucht nach Belustigung und Zerstreuung, nicht so wie heut zu Tage gewonnen werden konnte? Er hat suchen müssen, auf die Imagination der Schönen durch den Ruf seiner Thaten, durch solche Talente, die zum allgemeinen Vergnügen größerer und feyerlicher Zusammenkünfte dienten, und endlich durch den abentheuerlichen Ausdruck, einer ihn ganz verzehrenden Leydenschaft, zu wirken.

Muth im Kriege, Geschicklichkeit in Waffenübungen, das sind Vorzüge, welche zu allen Zeiten von dem zärteren Geschlechte geachtet sind. Aber in diesen unpolicierten Zeiten mußten sie den Schönen unmittelbar und doppelt wichtig werden. Der Ritter errettete oft ihre Personen aus der Hand der Räuber, oder vertheidigte ihre Unschuld im gerichtlichen Zweykampfe. Nicht selten waren diese Damen zugleich durch ihren hohen Stand ausgezeichnet, oder gar Erbinnen reicher Häuser, deren Besitz zunächst die Folge und die Belohnung des Sieges ward; und so mußte die an sich schon natürliche Idee, daß das Weib den Mann vorzüglich um der Tugenden willen schätzt, die ihm unter seinem eigenen Geschlecht Gewicht und Ansehn geben, durch alle diejenigen besondern Gründe unterstützt werden, welche den Hülfsbedürftigen an den Helfer, und diesen an das Mittel seines Ruhms, seines Glücks, und der Spannung seiner Kräfte knüpfen. So konnte der Grundsatz entstehen, daß der Held durch außerordentliche Beweise von Tapferkeit, im Dienste seiner Dame abgelegt, am sichersten den Weg zu ihrem Herzen finde: so konnte sich mit der Liebe jener rüstige, wackere Enthusiasmus vereinigen, der den Gefahren des Lebens trotzt, und durch Beharrlichkeit und Muth sein eigenes Schicksal lenkt: so konnte mit einem Worte Ruhmsucht und jede feinere Art der Selbstheit auf Geschlechtssympathie geimpft, und aufs genaueste mit ihr verbunden werden.

Oft aber setzen sich dem tapfern Liebhaber Schwierigkeiten entgegen, die sein leidenschaftliches Streben nicht überwindet. Das Zeitalter legt einen besondern Werth auf den ledigen Stand, auf das abgelegte und beobachtete Gelübde ewiger Keuschheit: die Ungleichheit der Geburt, verbotene Grade, der verheirathete Stand derjenigen Damen, denen er sich noch am mehrsten nähern kann, setzten ihm andere Hindernisse entgegen. Die Natur ist mehr als jemahls im Streite mit der Pflicht: die Leidenschaften erhalten eine ungewöhnliche Spannung. Wallfahrten und Kreuzzüge, Bekanntschaft mit fremden, zum Geschmack an übernatürlichen Kräften und Begebenheiten so geneigten Völkern, erhöhen die Imagination. Der Mensch fühlt, daß selbst in dem Zustande des Strebens, und in der Begeisterung, die dieser Zustand ihm einflößt, ein hoher Genuß und etwas Edles liegt. Er trotzt nicht bloß den Gefahren des Lebens, nein! er entäußert sich alles Anspruches auf ein einseitiges Glück für den Wunsch, mit seiner Geliebten glücklich zu seyn. Sein Herz wird dadurch für sympathetische Empfindungen erweicht, und für Menschenliebe und Sittlichkeit überhaupt empfänglicher. Das Bestreben, der eingeschlossenen Geliebten seine Gesinnungen zu erkennen zu geben, macht ihn sinnreich: flößt ihm neue Talente ein, und bildet ihn zum Dichter und zum höflichen Manne: die Bilder, die er sich in der Abwesenheit von seiner Dame entwirft, füllen seine Phantasie: das Interesse, welches seine Leiden bey andern erwecken, erhöht ihn vor seinen eigenen Augen: Der Geist, damahls so arm an Stoff zum Nachdenken, gewöhnt sich an die unterhaltende Beschäftigung der Intrigue, das Herz an die Spannung einer hinschmelzenden Begeisterung! Die vollkommene Liebe zu Gott, so lehrte es der religiöse Mysticismus, bestand in Niederwürfigkeit, Zerknirschung, Entäußerung aller Freuden des Lebens! Sollte der Dame, diesem vergötterten Wesen, nicht ein gleicher Dienst gefallen? Sollte die Vollkommenheit der Liebe zu ihr nicht nach gleichen Aeußerungen abgemessen werden?

Wie nah dieß Alles! Wie natürlich die Idee, daß selbst in Qualen unerhörter Liebe Wollust liege, und daß derjenige Mann der edelste und der vollkommenste Liebhaber sey, der nicht bloß im Kriege sein Leben, sondern auch im Zustande der Muße und des Friedens jeden Anspruch auf Genuß des Lebens für ein angebetetes Wesen hinopfern könne!

Tapfer und empfindsam zugleich genannt zu werden, die doppelte Seelenerhöhung zu erreichen, welche die Erhebung über unsere niedrige Sinnlichkeit, und die Unterwerfung unserer ganzen Selbstheit unter ein anderes verehrtes Wesen gewährt; das mußte nothwendig das Ideal eines Mannes werden, an dem das Zeitalter, das zwischen Kultur und Barbarey schwankte, den größten Antheil nahm.

Neben dem Anspruch auf diese zugleich rüstige und hinschmelzende Begeisterung besteht auch der, durch solche Talente zu gefallen, welche durch ihren Einfluß befördert werden, und bey öffentlichen Gelegenheiten zur Unterhaltung des großen Haufens, aber auch zur Verbreitung des Ruhms der Geliebten, und zur Verkündigung einer Leidenschaft des Liebhabers dienen, die übrigens wenig Gelegenheit findet, sich verständlich zu machen. Es ist begreiflich, daß die Geschicklichkeit bey Tournieren, die Poesie in Verbindung mit der Musik, oder die sogenannte muntere Kunst, und überhaupt die Courteoisie, oder die Fertigkeit, sich nach den Begriffen der damahligen Zeit höflich, oder artig im geselligen Umgange zu zeigen, Talente seyn mußten, welche mit zu dem Begriffe des vollkommenen Liebhabers gehörten.

Was sollte aber dieser edle Liebhaber wohl bey seiner Geliebten gesucht haben? Läßt es sich von diesen, in ihrer geistigen Bildung so sehr vernachläßigten Menschen erwarten, daß sie ihre Verbindung willkührlich auf den Genuß der Seele beschränkt, und die Freuden des Körpers, wenn sie Gelegenheit dazu fanden, als entehrend für die höhere Würde des Menschen verschmäht haben sollten? Gewiß nicht! Aber läßt es sich nicht denken, daß diese Edeln, wenn sie an verheirathete Frauen von hohem Stande hingen, oder wenn andere unüberwindliche Hindernisse sich ihren Wünschen nach gänzlicher Vereinigung entgegen setzten, in dem Bewußtseyn, wiedergeliebt zu werden, in der Befriedigung ihrer Ruhmsucht und Eitelkeit, endlich in der Unterhaltung und Spannung, welche ihnen Intrigue und Begeisterung gaben, Schadloshaltung gefunden haben mögen?

Allerdings! Ohne Besorgniß, sich zu weit von der Wahrheit zu entfernen, wird man den Begriff einer Verbindung zwischen beyden Geschlechtern annehmen können, die auf Ruhmsucht beruhte, deren Zweck, in Ermangelung einer näheren Vereinigung, in einer wechselseitigen Auszeichnung, in einem Austausche von Eitelkeitsgewährungen lag, und deren Form denjenigen steifen und pedantischen Charakter an sich trug, der damahls alle Sitten auszeichnete. Nach diesem Begriffe hat der höchst tapfere und zugleich höchst empfindsame Liebhaber – (oder, was einerley ist, der Mann, der gleich edel im Kriege und im Frieden gesinnt war,) – die Gunst einer Dame von hohem Stande und unversehrtem Rufe durch abentheuerliche Unternehmungen, und einen eben so abentheuerlichen Ausdruck seiner Leidenschaft zu erringen, seine Huldigung mit einer Art von religiöser Verehrung und lehnsmäßiger Aufwartung darzubringen, und durch die Talente der Courteoisie, der Poesie und Musik angenehm zu machen gewußt. Nach diesem Begriffe hat die Dame die Kunst verstanden, den Dienst ihres Liebhabers lange mit zurückhaltender[WS 78] Hoheit zu erwiedern, und den endlichen Sieg, den er durch das Bewußtseyn erhielt, vor allen andern Dienern ihrer Schönheit ausgezeichnet zu werden, desto kostbarer zu machen.

Diesen Schwung in der Denkart über die Liebe darf man von der damahligen Ausbildung des menschlichen Geistes erwarten. Aber man darf ihn nicht außerhalb der Höfe suchen, wo damahls der einzige Sitz der guten Gesellschaft war. Man darf ihn auch hier nicht zu allgemein annehmen, und am wenigsten voraussetzen, daß Verbindungen, welche diesem Begriffe angemessen waren, sehr häufig in der wirklichen Welt angetroffen wurden. Nein! man darf nur so viel vermuthen, daß es im Geschmack des Zeitalters lag, an solchen Idealen einer edleren Liebe Gefallen zu finden: daß Dichter und Romanenschreiber, die sie in ihren Werken nutzten, das Interesse vermehrt haben, welches die gute Gesellschaft daran nahm: und daß einige schwärmerische Köpfe sie zu realisiren gesucht, und die Zeitgenossen zur Nachahmung mit der ganzen Gewalt hingerissen haben, welche eine gespannte Phantasie, und ein ausgefülltes Herz allein zu gründen im Stande sind. Da, wo dieser leidenschaftliche Charakter nachließ, da hat der Geschmack an dieser Art von Verbindungen noch alle diejenige Macht beybehalten können, welche eine angewöhnte Sitte und die Verbindlichkeit, gewisse Förmlichkeiten zu beobachten, über Menschen ausübt, die bey einer einförmigen Lebensart wenig gesellige Zerstreuungen kennen: eine Macht, die um so erklärbarer in denjenigen Lagen wird, wo jener Geschmack mit gewissen Ideen von sittlichem Adel, und eitler Auszeichnung vor dem rohern Haufen zusammenhängt, und zu prächtigen Festen, prunkvollen Aufzügen, und sinnreichem Zeitvertreibe einen wichtigen Beytrag liefert.

So hat nach und nach diese Art, über die Liebe zu denken und sie zu behandeln, eine höfische Gesinnung und Sitte, eine Ausfüllung der Langenweile werden können, die man in der Nähe der Großen immer empfindet. Und hier hat sie erst im engsten Sinne eine zum Galla gehörige gesellige Einrichtung, oder Galanterie werden müssen. Hier hat erst der Angriff des Herzens, seine Vertheidigung, seine Uebergabe, seine Besitzergreifung, seine Erhaltung, kurz! Alles, was in den engeren Verhältnissen zwischen zwey Liebenden vorkommen kann, einen bestimmten Gang, eine gewisse Form erhalten, und bald mit dem Ernst einer wahren Beschäftigung, bald mit der spielenden Leichtigkeit eines bloßen Zeitvertreibes betrieben werden mögen.

So läßt sich der Gang der Denkungsart des Mittelalters über die edlere Liebe bis zu der höchsten Stufe der Ausbildung verfolgen, die wir ihr zutrauen mögen. Ihr Wesen würde in Ruhmsucht und Befriedigung des Triebes nach Spannung und Unterhaltung bestanden haben: ihre Form eine ceremoniöse und abentheuerliche Huldigung des zärteren Geschlechts gewesen seyn. In so fern erschiene die Verbindung, welche sie empfiehlt, als geistig, und mit den Vorschriften einer strengeren Sittlichkeit bestehend. – Laßt uns diese Vorstellungs- und Behandlungsart die ruhmsüchtig geistige Galanterie nennen!

Aber neben dieser höheren Art über die Liebe zu denken darf man eine etwas niedrigere, wiewohl von zügelloser Ausgelassenheit und verworfenem Leichtsinn noch sehr entfernte annehmen, welche zwar die körperliche Vereinigung nicht ausschließt, aber sich dieser durch lange Aufwartung, Treue, und Verschwiegenheit würdig macht. Man wird diese mit gutem Fuge als die gewöhnlichere annehmen und sie unter dem Nahmen der anständig sinnlichen Galanterie, von der ersten unterscheiden dürfen.

Eine völlige Enthaltsamkeit von körperlichen Freuden, eine Beschränkung auf bloße Gewährungen der Ruhmsucht und des Triebes nach geselliger Unterhaltung läßt sich nur von wenigen Menschen erwarten, und kaum scheint sie bey einer längeren Dauer der Verbindung unbedingt von der guten Sitte gefordert werden zu können. Es ist daher genug, wenn nur des äußeren Anstandes geschont, und der Fall mit der Schwierigkeit des Kampfs und mit glänzenden Folgen entschuldigt wird, um der ungesetzlichen Verbindung Nachsicht, und sogar Interesse bey der guten Gesellschaft zu sichern.

Dieß scheint der Fall zu seyn, wenn der Liebhaber sich um die letzte Gunst einer Dame von hohem Stande bewirbt, und sein Glück tapfern Thaten, achtungsvollen Huldigungen und langen Prüfungen seiner Beharrlichkeit, Aufrichtigkeit und Verschwiegenheit verdankt. Dann gewinnt das heimliche, und auf Sinnlichkeit beruhende Verständniß eben so sehr an Reitz für die Liebenden selbst, als es an Sträflichkeit vor den Augen der guten Gesellschaft verliert. Diese wird durch die Bürgertugenden, die eine solche edlere Intrigue hervorbringen kann, und durch den Einfluß, den sie auf die Vervielfältigung, Verfeinerung, Erhöhung der geselligen Vergnügungen, so wie auf die Milderung der Sitten überhaupt haben mag, versöhnt: jene, die Liebenden, genießen neben der Befriedigung gröberer Begierden, die ganze Spannung und Unterhaltung des Geistes, welche die Ueberwindung großer Hindernisse, die Besorgung einer heimlichen Verbindung, und das Interesse, was sie an sich selbst nehmen, und andern einflößen, mit sich führen.

Der Geist solcher Geschlechtsverbindungen würde sich von der Denkungsart der Griechen, Römer und Araber über diesen Gegenstand hinreichend unterscheiden. Nach diesen Begriffen würden die edleren Verhältnisse zwischen beyden Geschlechtern den Schein eines auf Befriedigung der Ruhmsucht und des Triebes nach Begeisterung und geselliger Unterhaltung abzweckenden Verständnisses mit Damen von hohem Stande und unbescholtenem Rufe an sich tragen, und unter Bewahrung dieses Scheines würden diese Verbindungen sogar öffentlich zur Schau ausgestellet werden können. Wir wollen nun sehen, ob die Begriffe der damahligen Zeit wirklich mit derjenigen Darstellung übereintreffen, die wir jetzt nach der bloßen Wahrscheinlichkeit entworfen haben.


Fünftes Kapitel.
Ideen der provenzalischen Dichter über diesen Gegenstand. Vorläufige Untersuchung der Frage: woher ihr Geschmack seine Bildung zunächst erhalten habe.

Die nördlichen Länder von Europa haben eben sowohl wie die südlichen von frühen Zeiten her Dichter gehabt, die bald mehr bald weniger diesen Nahmen verdient haben. Sie bewahrten die Thaten der Vorzeiten in ihren Gedichten auf, ermunterten zum Streit in der Schlacht und zur Fröhlichkeit bey Gelagen. Oft vereinigten diese Dichter alle diejenigen Talente in sich, die zur Belustigung roher Völker dienen: Sie deklamierten mit einer gewissen Mimik: sie waren Musikanten, Possenreißer, Taschenspieler, u. s. w. Oft aber hatten sie auch besondere Personen in ihrer Begleitung, welche die Deklamation ihrer Gedichte durch Ausübung dieser Künste unterstützten. [235] Diese Dichter nun sind keinesweges zuerst in denjenigen Gegenden erschienen, in denen die provenzalische Sprache herrschend war; aber hier haben sie sich zuerst zu demjenigen Grade von Vollkommenheit gehoben, der sie unsrer Aufmerksamkeit würdig macht. Fragt man


bald Joculatores, Mimi, Cantores, Chanteurs, Conteurs, Jongleurs, Singer, – (eigentliche mimische Declamateurs) – bald Ministeriales, Ménestriers, Minstrells, Fiedler, (eigentliche Musiker, welche die abgesungenen Lieder mit blasenden und Saiten-Instrumenten begleiteten.) S. histoire litteraire des Troubadours, vom Abbé Millot, T. 1. discours preliminaire, und dann besonders den Article Giraud Riquier im dritten Theile p. 329. worin dieser Troubadour selbst die verschiedenen Nahmen angiebt, und sie nach Rang und Würden ordnet.

Im gemeinen Leben nannte man sie bald mit diesem bald mit jenem Nahmen, welches aber die eigentlichen Troubadours sehr ungern sahen. Die ältesten Geschichtschreiber nannten sie Mimos, Mimen. Witichind S. 636. beym Schmidt, Geschichte der Deutschen p. 373. Es ist eine ganz unerwiesene Behauptung, welche der Herr Hofrath Eichhorn in der Geschichte der Kultur des neuern Europa in den Erläuterungen und Beweisen p. 49. äußert, daß sie von Adel gewesen, und ihren Nahmen „Menestriers, Minstrells,“ von der lateinischen Benennung des Dienstadels, „Ministeriales,“ erhalten hätten. Die hist. des troubadours zeigt, daß sehr viele unter ihnen von geringem Stande gewesen sind, und die Benennung „Menestrier,“ welche offenbar davon herkommt, daß sie dem Talent der Deklamateurs und Sänger behülflich waren, diesen accompagnierten, (ministrare,) war an sich verächtlich, und ward von den Troubadours nicht gern angenommen.

S. den angeführten Giraud Riquier in der hist. des troubad. T. 3. p. 329. und Velly hist. de France. T. 3. p. 239. Du Cange Dissert. V. sur Joinville nennt sie quasi parvos ministros, – petits officiers de l’hôtel du Roi.

daher: ob die provenzalischen Dichter ihre Kunst von den Morgenländern entlehnt haben? so kann dieß weiter nichts heißen, als: ob sie den höhern Grad an Ausbildung, den wir in ihren Gedichten bemerken, der Bekanntschaft mit der arabischen und persischen Poesie verdanken? Die Bejahung dieser Frage hat viele anscheinende Gründe für sich. Ich selbst habe lange in dieser Meinung gestanden. Allein bey der genauern Prüfung scheint wenigstens ein so vertrauter Umgang der Troubadours mit den morgenländischen Musen nicht Statt gefunden zu haben, daß ihre Werke ihnen zu Vorbildern hätten dienen können.

Gesetzt, daß die Erlernung fremder Sprachen auch nicht mit den Schwierigkeiten verknüpft gewesen wäre, die man damahls, besonders bey Völkern von ganz verschiedenen Stämmen, annehmen muß; so zeigt dennoch die grobe Unwissenheit der Abendländer in allem, was die Sitten und die Religion der Muhammedaner anbetrifft, wie wenig sie sich mit diesen bekannt gemacht haben müssen. Ueberall, und selbst bey den Troubadours, werden die Saracenen mit den Heiden verwechselt, und der Glaube an Muhammed als Gott, ja! an mehrere Götter, von denen einige sogar aus der alten Mythologie der Griechen und Römer entlehnt sind, wird ihnen an mehreren Stellen beygelegt. [236]

Viel wichtiger aber ist der Grund, daß der Geist, der in den Gedichten der Perser und Araber herrscht, so ganz von demjenigen abweicht, den wir in den Gedichten der Provenzalen antreffen. Jene ersteren haben einen Ueberfiuß an poetischen Bildern und Gleichnissen, die von einer mit der stärksten Sinnlichkeit verwandten Phantasie zeugen[WS 79]. Alles was sie denken, alles was sie empfinden, nimmt einen Körper an. Die Vernunft zügelt so wenig ihre Einbildungskraft als ihr Herz. Ordnung, Regelmäßigkeit, Zusammenhang, werden oft in dem Gange ihrer Ideen und Empfindungen vergebens gesucht. Ihre Lieder bestehen gemeiniglich aus einzelnen Strophen, die jede für sich als eine abgerissene moralische Sentenz, als ein einzelnes Gemählde, als Ausdruck eines augenblicklichen Affekts bestehen könnten. Uns Abendländern kommt ihre Poesie pomphaft, schwülstig, mit Bildern überladen vor. In Prosa übersetzt würde sie zum Theil für die Sprache eines Besessenen oder Fieberkranken gelten.

Bey den Troubadours ist dieß Alles anders. Sie haben mehr Witz als Phantasie: mehr Herz als Sinnlichkeit: mehr Leichtigkeit und Feinheit als Energie. Der Morgenländer kleidet simple Ideen und Gefühle in abentheuerliche Bilder ein: der Provenzale sucht nach abentheuerlichen Ideen und Gefühlen, und drückt sie matt und kraftlos aus. Es herrscht in den Kompositionen des letztern eine Ordnung, eine Verständlichkeit, die mehr Geschmack aber weniger Begeisterung anzeigt. Seine besten Gedichte in Prosa übersetzt, können durch den wahren und naiven Ausdruck rühren, der jede Aeußerung zärterer Gefühle und richtiger Beurtheilung in ungebundener Redeform dem Herzen und dem Verstande schätzbar macht. Diese Nüchternheit der Phantasie, diese Mäßigung im poetischen Ausdrucke, widerspricht aber ganz der Vermuthung, daß die Troubadours Vorbilder vor Augen gehabt haben, die sich durch einen pomphaften, bilderreichen Styl auszeichneten. Denn für Völker, die durch Nachahmung ihre Poesie kultivieren, ist dieser Schimmer in ihren Vorbildern äußerst verführerisch, und es liegt in der Natur des Nachahmers, daß er überall, und mit doppelt grellen Farben mahlt.

Der eben angegebene Grund erhält dadurch seine größte Stärke, daß sich eine näher liegende Quelle angeben läßt, aus welcher die Troubadours ihre Bildung geschöpft haben. Diese floß zunächst aus den lateinischen Gedichten der damahligen Zeit, und diese flossen wieder aus den klassischen Autoren der Römer, besonders aus dem Ovid. Es ist eine ganz falsche Vorstellung, wenn wir glauben, daß die klassische Litteratur der Römer jemahls ganz in Vergessenheit gerathen sey. Es läßt sich dieß nicht einmahl von der griechischen Litteratur mit Gewißheit behaupten. Ausgebreitet war diese Kenntniß freylich nicht, aber einzelne Gelehrte besaßen sie, besonders in Klöstern. [237]

Daß unter den Dichtern der damahligen Zeit, die in ihrer Landessprache Verse machten, mehrere mit der Litteratur der Alten vertraut gewesen sind, beweist schon das Beyspiel Abälards, der zu Ausgang des eilften, und im Anfange des zwölften Jahrhunderts lebte. Es ist bekannt genug, daß seine Gedichte in Jedermanns Munde waren, und die Schriften, die bis zu uns gekommen sind, zeugen für seine Kenntniß der alten Litteratur. Unter den Troubadours sind mehrere Geistliche gewesen, die folglich die Klostererziehung, und den Unterricht in der lateinischen Sprache genossen haben müssen. Pierre de Corbian rühmt sich, die Mythologie aus dem Ovid zu kennen, und Anspielungen auf diese Mythologie, so wie auf die alte Geschichte, sind häufig bey allen Troubadours anzutreffen. Ja! ganze Stellen aus dem Ovid sind


haben, darüber siehe Herrn Hofrath Eschenburgs Gesch. der englischen Poesie in den Beyträgen zum Sulzer, im ersten Bande, 2ten Stücke. Vergl. Sprengels Geschichte von Großbrittanien: Allgemeine Weltgeschichte 47ster Theil. S. 230. u. ff. Bayle Dict. hist. critique, Artikel Averroes. Schon 1209 wurden auf einem Concilio zu Paris einige Bücher des Aristoteles zum Feuer verdammt, die aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt waren. Ich hatte bereits diese Note ausgearbeitet als ich des Herrn Professors Heeren Geschichte des Studiums der klassischen Litteratur. Göttingen 1797 zu Gesicht bekam. Ich finde darin nicht allein meine Vermuthung, daß die klassische Litteratur nie ausgestorben sey, bestätigt, sondern ich werde sogar durch die von ihm angegebenen Data auf die Vermuthung geführt, daß der ganze Geist der späteren Sophisten und Grammatiker sich fortdauernd in den Schulen des Abendlandes erhalten, und von Konstantinopel aus immer neue Verstärkung bekommen habe.

in ihre Gedichte übertragen. Besonders aber bürgt für die Behauptung, daß die Troubadours die römischen Elegiker vor Augen gehabt haben, jene Nüchternheit des Geschmacks, von der ich oben geredet habe.

Wenn die Poesie eines unkultivierten Volkes eine gewisse Herrschaft der Vernunft über die Phantasie verräth, so läßt sich dieß nicht gut anders, als aus der Nachahmung solcher Muster erklären, die von einem gebildeten Geschmack hervorgebracht sind. Die Folge pflegt aber dann zu seyn, daß die Nachahmung der regelmäßigen, wohlgeordneten Originale, eben weil die Phantasie dadurch gezügelt wird, matt und kraftlos ausfällt. Dieß ist der Fall bey den Troubadours. Ihre Werke haben wenig dichterischen Geist. Dagegen ist ihnen die Gabe, sich mit Klarheit, Ordnung, Zusammenhang der Ideen auszudrücken, und mit wohlklingenden Worten zu mahlen, nicht abzusprechen: Vorzüge, die das Talent des Nachahmers geschmackvoller Muster leichter erreicht, als der Nachahmer genievoller, aber unregelmäßiger Produkte.

Endlich enthält die Art, wie die Troubadours die Liebe in ihren Gedichten behandeln, wirklich nur eine Ausbildung derjenigen Intrigue, aus welcher die römischen Elegiker ihre mehrsten Situationen hernehmen.

Beyde haben das mit einander gemein, daß sie lose, auf keine gesetzmäßige Verbindung abzweckende Liebesverständnisse zu den Situationen ihrer Darstellungen wählen. Beyde setzen daher freye Willkühr des Herzens, aber zugleich Hindernisse zum Voraus, welche sie zu überwinden haben. Beyde hängen gewöhnlich an verheiratheten Weibern: beyde sind zu einer heimlichen Besorgung ihres Liebesverständnisses verbunden. Aber Beyde sehen auch ihre Geliebten bey größeren geselligen Zusammenkünften, und finden daselbst eben sowohl die Gelegenheit, ihren Schönen unter den Augen der Männer ihre Huldigungen darzubringen, als einen Genuß für die Eitelkeit und die gesellige Unterhaltung. Beyde scheinen in ihren Klagen oft von der uneigennützigsten Liebe beseelt zu seyn, die sich in dem Dienste einer Gebieterin gänzlich aufzuopfern im Stande ist, und zur Belohnung nur daß Bewußtseyn fordert, daß die Grausame mit ihren Qualen Mitleiden empfindet. Ruhmsucht, Spannung der Phantasie, Beschäftigung des Witzes sind also bey Beyden Mittel, um die Befriedigung gröberer Begierden reitzender zu machen. Besonders haben Beyde von der eigentlichen Kunst zu lieben, oder von dem Inbegriff der Vorschriften, wodurch ein Herz besiegt, erhalten, und der Genuß des heimlichen Verständnisses vervielfältigt wird, die nehmlichen Begriffe. Bey den Troubadours sowohl als bey den römischen Elegikern finden wir die doppelten Sekten, von denen die eine die Liebe als eine ernste Angelegenheit, die andere wie ein Spiel behandelt.

Wenn wir den Umstand gehörig in Anschlag bringen, daß der römische Elegiker an den Weibern der Freygelassenen hing, daß hingegen der Troubadour seiner Fürstin, oder doch den Gattinnen der Großen seine Huldigungen darbrachte; wenn wir nicht vergessen, daß der Römer nur den Eigensinn und die Habsucht der Schönen, allenfalls die Wachsamkeit des Mannes, der Anverwandten, und der Nebenbuhler zu besiegen hatte, daß hingegen der Troubadour auch gegen Begriffe von innerer Würde und äußerem Anstande bey seiner Dame ankämpfte; so lassen sich die Abweichungen, die wir in der Denkart Beyder über die Liebe antreffen, beynahe alle erklären. [238]

Haben denn die Morgenländer gar keinen Einfluß auf den Geschmack der Troubadours und ihre Ideen über die Liebe gehabt? Ich wage dieß nicht zu verneinen. Aber Alles, was man Aehnliches unter ihnen antrifft, läßt sich aus den Verhältnissen der Abendländer für sich erklären, ohne daß man nöthig hätte, auf die Sitten der Orientaler zurückzugehen. Niemahls wird man doch die Aehnlichkeit so stark finden, um eine genaue Bekanntschaft mit der schönen Litteratur der Araber und Perser, eine Nachahmung ihrer Meisterstücke, vorauszusetzen. Es ist hinreichend, wenn wir eine gewisse allgemeine Kenntniß von den Sitten des Orient, welche auf die Imagination und das Herz der Abendländer im Ganzen wirkten, annehmen, um den gleichgestimmten Ton in den Liebesgedichten beyder Nationen zu erklären. Eben so wird es nur mündlicher Ueberlieferungen, und einer oberflächlichen Kenntniß fremder Ideen bedurft haben, um den Troubadour mit gewissen Dichtungsarten, und mit dem Stoff zu manchen Erzählungen, Bildern, Mythen, fabelhaften Wesen, u. s. w. [239] der Orientaler bekannt zu machen. Auffallend bleibt es jedoch, daß wir von den arabischen und persischen Fabeln nur so wenig Spuren bey den provenzalischen Dichtern antreffen: auffallend ferner, daß die mystisch religiöse Idee der späteren Orientaler, nach welcher der Liebende sich durch die Liebe zur Kreatur näher mit Gott verband, – eine Idee, die dem Troubadour in seinen Verhältnissen so sehr brauchbar gewesen wäre, – so viel ich weiß, nirgends von ihm genutzt ward.

Woher kam es aber, daß die Provenzalen, welche die nächsten Nachbarn der Araber in Spanien waren, die Poesie gerade zuerst zu einer höheren Stufe der Ausbildung gebracht haben? Man kann darauf antworten, weil ihre Sprache, welche unter allen damahls lebenden der lateinischen am nächsten kam, am ausgebildetsten war: weil überhaupt in den Ländern, worin sie gesprochen wurde, ein großer Wohlstand, und eine mehr aufgeklärte Denkungsart als in dem übrigen Europa, sowohl in Rücksicht der religiösen als politischen Denkart herrschte; weil in Spanien, dem südlichen Theil von Frankreich, und dem obern Theile von Italien die klassische Litteratur selbst in den finstersten Jahrhunderten mehr als anderswo getrieben wurde; [240] und weil endlich der Hof der Berengarn die Musen liebte und unterstützte. Man kann auch mit gutem Grunde zweifeln, ob nicht das übrige Frankreich und andere Länder, welche von den arabischen Besitzungen in Spanien noch entfernter lagen, eben so gute Dichter aufzuweisen gehabt haben, deren Werke nur nicht bis zu uns gekommen sind. Doch! wir wollen gern einräumen, daß die Politur der Maurischen Höfe in Spanien zu derjenigen, die wir an den benachbarten Höfen um diese Zeit bemerken, beygetragen haben könne. Nur wird uns diese mitwirkende Ursach um so weniger hinreichend scheinen, die orientalische schöne Litteratur als ein unmittelbares Vorbild der provenzalischen zu betrachten, als sich sonst schwerlich begreifen ließe, warum erst im zwölften Jahrhunderte diese Mittheilung des Geschmacks eingetreten sey, da die morgenländische Poesie schon lange vorher geblühet hatte.

Sechstes Kapitel.
Fortsetzung.

Nach dieser Einleitung, welche über den Geist der provenzalischen Dichter bereits einige Aufschlüsse geben wird, wende ich mich jetzt zu der Prüfung ihrer Ideen über Liebe und Geschlechtsverbindung.

Wir müssen uns wohl hüten, die Nachrichten über die Lebensumstände der einzelnen Dichter, die uns der Abbé Millot [241] geliefert hat, unbedingt für wahr anzunehmen. Sein Werk ist zwar mit mehr Kritik geschrieben, als diejenigen, welche uns frühere Schriftsteller über diese Materie geliefert haben; demungeachtet ist es mit großer Behutsamkeit zu gebrauchen. Die mehrsten Lebensumstände der Dichter beruhen auf ungewissen Traditionen, die oft keinen andern Grund für sich haben, als die Situationen, in welche der Dichter sich bey der Verfertigung seines Gedichts hineinversetzt hatte. Dieses darf nur an irgend eine Gräfin oder Fürstin gerichtet seyn, um dem Verfasser sogleich ein Liebesverständniß mit ihr zuzuschreiben, dessen Begebenheiten die Imagination des Biographen zum Theil mit Zügen ausgefüllt hat, die in Zeiten hineingehören, worin die Sitte der Galanterie bereits ihre völlige Festigkeit und eine Art von systematischem Zusammenhange erhalten hatte. Wir wollen uns bloß an die Stellen der Dichter selbst halten, welche uns Millot aufbewahrt hat.

Inzwischen ist doch so viel im Allgemeinen für gewiß anzunehmen, daß wenn auch einige Personen von dem höchsten Range und den größten Reichthümern, ja Könige und Fürsten sich damahls mit der Poesie abgegeben haben, bey weitem der größte Theil der Dichter aus Personen bestand, die von der Freygebigkeit der Fürsten lebten, an deren Höfen sie sich aufhielten. Ihre Talente machten das einzige edlere Unterhaltungsmittel der damahligen Zeit aus. Das Frauenzimmer in den höhern Ständen nahm besonders einen großen Gefallen daran, und empfand den Eindruck und die Wirkung ihrer Kunst in einem Grade von Stärke, wovon wir uns kaum einen Begriff machen können. Keine Sorgen, keine Beschäftigungen, welche die Führung des Hauswesens bey beschränkteren Umständen aufleget, raubte ihnen die Muße und den Wohlstand, welche zur Befriedigung des Geschmacks an geselligen Vergnügungen nothwendig sind. Aber kein Taumel anhaltender Zerstreuung hinderte auch den Eingang zärterer und edlerer Gefühle zu ihrem Herzen. Ihre Sittsamkeit durfte an den Gelagen der Männer keinen Theil nehmen: ihr Geist konnte aus den gewöhnlichen Gegenständen der Unterhaltung des stärkern Geschlechts, Jagd und Krieg, keine Nahrung schöpfen, und ihrer Zartheit ekelte vor seinen muthwilligen Scherzen.

Unter allen Völkern, bey denen der Geschmack an den schönen Künsten hervorgeht, pflegen es die Gattinnen der Großen zu seyn, welche ihnen den Eingang zum geselligen Zeitvertreibe bahnen. Nichts war daher natürlicher, als daß der Troubadour den Damen huldigte, die Antheil an seinen Talenten nahmen, und daß das Lob, welches er ihnen ertheilte, mit aller der Uebertreibung und Förmlichkeit gezollt wurde, die dem Geiste des Zeitalters und dem Ceremoniel der Höfe eigen waren.

So mußte schon der bloße Ausdruck der Dankbarkeit und der Ehrfurcht den Schein einer Bewunderung und Anbetung annehmen, die sonst nur Wirkung der Leidenschaft zu seyn pflegt. Aber wie natürlich war es nun auch, daß wirklich zärtere Gefühle in dem Herzen der Troubadours für die Damen gegründet wurden, um deren Unterhaltung sie sich so wesentlich verdient machten. Das Herz des schönen Genies ist ohnehin so weich und so empfänglich für zärtere Empfindungen, und Eitelkeit pflegt eine ihm sehr gewöhnliche Schwäche zu seyn. Wie war es möglich, von Liebe vor schönen Prinzessinnen zu singen, ihr Lob mit dem Ausdrucke der Abhängigkeit und Anbetung in diese Gesänge einzuweben, ohne daß der Dichter sich unvermerkt an die Stelle des Liebenden, die Dame an die Stelle der Geliebten geschoben hätte! Dadurch erhielten ja erst seine Werke den mächtigen Zauber der Wahrheit und der Individualität. Wie leicht ward auf der andern Seite der Beyfall, den die Dame dem unterhaltenden Talente des Troubadours schenkte, mit der Wirkung eines interessantern Eindrucks verwechselt, und dem armen Troubadour, der ihn durch seine Person hervorgebracht zu haben glaubte, vollends der Kopf verrückt! Kurz! Beynahe alle Troubadours waren entweder wirklich in die Damen verliebt, an deren Höfen sie von Liebe dichteten, oder schienen es wenigstens zu seyn.

Hier aber mußten sie in ihren Aeußerungen eine Behutsamkeit, in ihren Wünschen eine Beschränkung zeigen, welche diesen Gedichten oft den Anstrich der platonischen Liebe gab. Unverheirathete Damen wurden selten zu den Festen zugelassen, bey denen die Dichter erschienen. Es waren gemeiniglich gebundene Frauen, nicht selten die Gemahlinnen ihrer Wohlthäter und Beschützer, an welche sie ihre Verse richteten.

Man fühlt sehr leicht den Einfluß, den die Absonderung des Standes, und das Verhältniß zu der gebundenen Lage der Dame auf den Ausdruck und die Behandlungsart der Liebe haben mußte. Hatte man vielleicht im gemeinen Leben der Liebe darum eine abentheuerliche Gestalt gegeben, weil es im Geschmack des Zeitalters lag, sie allem zu geben, was man veredeln und verschönern wollte, so mußte der Dichter es darum thun, weil die Dame, die er sich als den Gegenstand seines Gedichts dachte, nicht auf die gewöhnliche Art verehrt werden durfte. Liebe und Eitelkeit wurden erfinderisch in den Mitteln, eine geheime Leidenschaft oder ihren Schein zu äußern, und sich einen nicht gefährlichen Genuß zu sichern. Worte, die nichts zu sagen schienen, weil sie zu viel sagten, wurden von denen, die sie brauchten, und die sie anhörten, nach Gefallen ausgelegt; der Ernst erschien als Spielerey, die Spielerey als Ernst; Allegorien und Symbole verdeckten oft geheime Wünsche, waren oft Zeichen ihrer Erhörung, und konnten doch für die Sache selbst ohne weitere versteckte Bedeutung angenommen werden. Daher muß man es sich erklären, daß Folquet und der Mönch von Fossan von der heiligen Jungfrau als von einer Geliebten sprechen, und ihre Devotion in das Gewand der Leidenschaft kleiden konnten. [242]

Der innere Gehalt dieser Verbindungen war unstreitig sehr verschieden. Eitelkeit und Trieb nach einer dem Zeitalter angemessenen Unterhaltung lag wohl vor allen Dingen dabey zum Grunde. Die Damen wollten besungen seyn, und beyden war wahrscheinlich die Spannung und die Beschäftigung angenehm, welche Einbildungskraft und Geist dadurch erhielten.

In denjenigen Verhältnissen, welche auf solchen Gründen beruhen, werden oft die geringsten Merkmale einer auszeichnenden Gunst wichtiger als die engste physische Vereinigung es für denjenigen werden könnte, der nur die Befriedigung gröberer Begierden zum Zweck hätte.

Guillaume de St. Gregory wirft in einem Wettstreite die Frage auf: wer den Vorzug verdiene, eine vornehme Dame, die einige Freuden der Liebe ausnehme, oder ein Frauenzimmer von geringem Stande, das alle ohne Ausnahme gewähre? „Die Leiden der Liebe, die ich erdulde,“ sagt Savary de Mauleon, „würden mir lieblich scheinen, wenn meine Dame mir nur ihren Handschuh schenken wollte!“ – „Sie wird mich sterben lassen,“ sang ein Anderer, „und doch könnte sie mir mit einem Faden aus ihrem Handschuhe, mit einem Haare ihres Pelzes das Leben retten!“ [243]

Bald mußte nun auch die Idee entstehen, daß man nur durch ausgezeichnete Vorzüge die Gunst der Dame verdienen, und wenn die Verbindung einmahl gegründet wäre, sie durch Ausbildung dieser Vorzüge ehren müsse. Pierre Roger führt in einem seiner Gedichte die Liebe redend ein; sie ermuntert ihn, durch ausgezeichnete Vorzüge sich den Reitzen einer Dame würdig zu machen, die an Rang und Verdiensten so weit über ihn erhaben sey. Vaqueiras, Sohn eines armen Ritters, liebt eine Dame von großem Stande. „Seyd mir willkommen,“ läßt er die Dame in einem seiner Gedichte zu ihm sagen, „seyd mir willkommen; sucht immer mehr Werth zu erlangen in Worten und Werken! Habt ihr jemahls gesucht liebenswürdig zu seyn, um geliebt zu werden, so verdoppelt jetzt eure Bemühungen!“ Blancas spricht in eben diesem Geiste: „das Verdienst allein giebt ein Recht, von der schönsten Dame geliebt zu seyn!“ „Wenn ich einigen Werth habe,“ sagt Carbonel, „wem verdank’ ich es, als meiner Dame?“

Ganz nahe lag nunmehro auch die Idee, daß der Liebhaber, der den Ruhm seiner Dame beförderte, und durch ihre Auszeichnung berühmt wurde, sich mit diesem Lohne begnügen, und ihr nicht solche Gunstbezeugungen abfordern dürfe, die ihrer Unschuld und ihrem Rufe gefährlich werden könnten. „Du, der du nach Verdienst strebst,“ singt Montagnagout[WS 81], „baue deine Hoffnung auf Liebe; sie erhebt uns zu großen Thaten, sie ladet uns zu einer anständigen Aufführung ein: sie verscheucht den Verdruß und ermuntert zur Freude. Wer liebt, der hintergeht nicht! Du liebst nicht, du verdienst keine Gegenliebe, wenn du der Dame deines Herzens Gunstbezeugungen abforderst, welche die Tugend verdammt. So brennend deine Begierden immer seyn mögen, so fordre nie etwas, was gegen die Ehre deiner Geliebten anstößt. Liebe ist eine mit dem Willen des geliebten Gegenstandes übereinstimmende Neigung nach allem demjenigen, was seinen Ruhm vermehren kann. Wer etwas anders sucht, verläugnet den wahren Charakter der Liebe. Der edle Liebhaber liebt mit Vernunft, und überläßt sich nicht der Leidenschaft. Die Vernunft hält die Mittelstraße zwischen dem zu vielen und zu wenigen. Dieß ist der Weg, den wahre Liebhaber wandeln; wer ihn geht, den segnet Gott: wer ihn verläßt, betrügt! Nie kam mir der Wunsch ein, etwas zu thun, was der Schönen, der ich mein Herz geschenkt habe, zuwider seyn könnte. Ich kann kein Vergnügen genießen, das ihre Ehre befleckt. Der wahre Liebhaber wünscht hundertmahl mehr das Glück der Geliebten, als sein eigenes!“ [244]

Diese edle Sprache führen die Troubadours noch an mehreren Stellen. Inzwischen dürfen wir daraus keinesweges auf eine Denkungsart schließen, nach welcher sie den körperlichen Genuß als erniedrigend für die Würde des Menschen und der Verbindung, worin sie mit ihren Damen standen, betrachtet hätten. Vielmehr ging der Sinn ihrer Enthaltsamkeit nur dahin, daß der Liebhaber nicht wider den Willen seiner Geliebten auf Kosten ihrer Unschuld und ihres Rufs die letzte Gunst fordern dürfte. „Ich liebe eine Dame,“ singt Sordel, „die an Werth über alle andere erhaben ist; ich diene ihr lieber ohne Lohn, als einer andern, die mir ihre ganze Gunst schenken würde. Aber was sag’ ich, ohne Lohn? Derjenige ist genug belohnt, der sein Herz an eine Dame voller Ehre und Tugend hängt. Das Vergnügen, ihr zu dienen, ist mir statt alles Gewinnstes! Mehr verlang’ ich nicht! Aber gäbe sie mir mehr, wie gerne würd’ ichs nehmen!“ [245]

Häufig sind die Klagen dieser dem Anschein nach so rein liebenden Dichter über zu lange Prüfungen und einen zu lange hinausgesetzten Lohn treuer Liebe. „Meine Dame, schreibt Rudel, unterwirft mich einer strengen Diät; ich gehe dabey zu Grunde!“ Giraud de Calanson liebt seine Dame mit mehr Treue, ohne die letzte Gunst zu erhalten, als ihr Ehemann, der sie genießt. Aber er bittet sie, ihm ihre zarten Blicke zu ersparen, die ihn vor Verlangen, sie zu besitzen, bersten lassen. Ein Glück, das er den Freuden des Paradieses vorziehen würde. Vidal singt: „wenn ich viel um meiner Dame willen litt, so werde ich endlich von der Liebe erhalten, was man von ihr erhalten kann: Blatt, Blüthe und Frucht!“ Elias de Barjols klagt sich seiner Verwegenheit wegen an: „Meine Dame hat mir eine Gunst gewährt, warum habe ich größere verlangt?“

Es findet sich kein Beyspiel einer willkührlichen Enthaltsamkeit in den Werken der Troubadours. Schwierigkeiten, die in der Sorge der Damen für ihren Ruf, oder in dem Gefühle ihrer gebundenen Lage zu suchen sind, flößten den Dichtern ihre Genügsamkeit ein. Clara d’ Anduse sagt: „Verläumder, Auflaurer und Mißgünstige, zwingen mich durch üble Nachreden, mich von dir zu entfernen. Liebe, die mich ganz für dich beherrscht, befiehlt mir, mein Herz dir allein aufzubewahren. Wie gern gehorch’ ich ihr! Könnt’ ich meinen Körper stehlen, so würde der, der ihn hat, ihn niemahls besitzen!“ Aimeri de Péguilain, dessen Gedichte sonst viel von jener reinen, uneigennützigen Liebe enthalten, kann demungeachtet die Frage aufwerfen: ob der Schwur der Enthaltsamkeit gebrochen werden dürfe, wenn die Dame dem Liebhaber durch unvorsichtige Annäherung Gelegenheit giebt, ihn zu brechen?

Dieß ist die edelste Gestalt, welche die Liebe in den Werken der Troubadours annimmt, und wornach sie in Ermangelung einer engeren körperlichen Vereinigung sich auf Befriedigung der Ruhmsucht und des Triebes nach Spannung der Phantasie, und Unterhaltung des Witzes, als letzten Zweck, zu beschränken scheint. Es ist nicht unmöglich, daß eine solche Liebe in der wirklichen Welt zwischen dem Troubadour und der vornehmen Dame, der er mit seinen Gedichten huldigte, hin und wieder Statt gefunden habe. Es ist begreiflich, daß der Regel nach der Gemahl so wenig wie das Publikum bey Verhältnissen dieser Art etwas zu erinnern haben konnte. Die Verschiedenheit des Standes flößte damahls eine natürliche Abneigung gegen eine zu enge Verbindung zwischen den Frauen der Großen mit dem Manne ein, der an Geburt oder Rang weit unter ihnen war. Die Gelegenheiten, sich ohne Zeugen zu sehen, waren selten. Die Anbetung, welche der Troubadour der Dame zollte, deren Reitze er besang, ward für eine Dichtung, für eine sinnreiche Erfindung gehalten, welche den Ruhm ihrer Schönheit bey allen kultivierten Nationen der damahligen Zeit verbreitete. Sie schmeichelte der Eitelkeit des Gatten, und trug zur allgemeinen Unterhaltung bey. Der Mann von Talent und exaltierter Phantasie hat ohnehin das Vorrecht, nach einem eigenen Maßstabe gemessen zu werden, und die Auszeichnungen, die ihm von Seiten der Damen wiederfahren, werden auf Rechnung eines bloßen Antheils an ihren Talenten gesetzt.

Allein wir würden sehr irren, wenn wir in der damahligen Zeit schon eine völlig organisierte Galanterie, Cicisbeatur, oder eine Sitte annehmen wollten, nach der eine jede Dame unter den Augen des Mannes und mit seiner Einwilligung einen Liebhaber haben durfte. Gewiß gehören die mehrsten Gedichte der Troubadours, worin sie ihre Empfindungen für Damen schildern, zu denen sie ihre Wünsche nicht erheben dürfen, und noch mehr diejenigen, worin sie von dreisten Hoffnungen und beglückter Liebe reden, zu fingierten Situationen der Dichterwelt, die schwerlich auf wahren Verhältnissen beruhen.

Noch weniger dürfen wir annehmen, daß es allgemeiner Ton gewesen sey, so geistig zu lieben, als es von mir bis jetzt geschildert ist. Schon früh im zwölften Jahrhunderte, von der ersten Zeit an, worin wir Spuren von den Werken der Troubadours finden, klagen diese bereits darüber, daß wahre Treue und edle Liebe aus der Welt verschwunden sey, und diese Klagen dauern fort, so lange uns noch Ueberbleibsel von ihren Gedichten aufbewahrt sind; zum sichern Beweise, daß diese Liebe wohl hauptsächlich in einzelnen Fällen, oder gar nur in der Dichterwelt Statt gefunden habe.

Neben jenen Zügen einer edleren Liebe finden wir Spuren der größten Ausgelassenheit der Sitten, und, einer völligen Vernachlässigung des Anstandes, und was höchst merkwürdig ist; wir finden sie gerade da, wo der Liebhaber durch seinen Stand berechtigt zu seyn glaubte, sich über Sittlichkeit und Achtung für das zärtere Geschlecht hinauszusetzen. Die Fürsten aus dieser Zeit, welche sich mit der Poesie abgaben, sind äußerst zügellos in ihren Gedichten. [246] Es war daher den Damen von geringerm Stande nicht rühmlich, mit vornehmern Herrn in Verbindung zu stehen. Azalais de Pourçairagues sagt: „die Weiber sind Thörinnen, die sich mit großen Herren einlassen. Solche Verbindungen sind eine Quelle von Demüthigung und Verachtung!“

Verschiedene Stellen deuten auf einen Unterschied zwischen den Verbindungen mit vornehmern Damen und denen mit Weibern aus einer niedrigern Klasse hin. Guillaume de St. Gregory wirft in der schon angeführten Stelle die Frage auf: welche Personen den Vorzug in der Liebe verdienen, eine vornehme Dame, die gewisse Freuden ausnimmt, oder ein Frauenzimmer von gewöhnlichem Stande, das Alles, ohne Einschränkung hingiebt? Deudes de Prades sagt von sich: er sey in eine Dame verliebt, von einer Person aus dem Mittelstande geliebt, und er finde noch außerdem sein Vergnügen bey den Freudenmädchen. Peyrols rühmt sich seiner Weisheit, seinen Ehrgeitz beschränkt, und sich von einer vornehmen Dame zurückgezogen zu haben. Er findet sich weit behaglicher bey einer Frau von niedrigem Stande, die oft von ihrem Manne Schläge bekommt, und dann Trost in seinen Armen sucht.

Nur unter der eben angenommenen Voraussetzung, daß nehmlich jene edlere Liebe hauptsächlich zur Unterhaltung der Höfe diente, und den Stoff zu denjenigen Gedichten hergab, die unmittelbar an die Fürstinnen und an andere Damen von hohem Stande gerichtet waren, oder wenigstens als an sie gerichtet angesehen werden konnten, läßt sich die außerordentliche Verschiedenheit der Grundsätze in den Gedichten eines und des nehmlichen Troubadours erklären. Es mußte nehmlich in den verliebten Gedichten bald eine eigene Gattung von Situationen ausmachen, wenn der Dichter sich in die Stelle eines Liebhabers von geringem Herkommen setzte, der eine Dame von höherm Stande anbetete. [247] Neben diesem Liebhaber bestand derjenige, der durch keine anderen Hindernisse von einer gänzlichen Vereinigung mit seiner Geliebten abgehalten wurde, als diejenigen, welche ihm die Sprödigkeit seiner Geliebten und die Sorge für ihren Ruf entgegen setzte.

In den Gedichten, welche diese letzte Art von Situationen wirklich eingab, oder einzugeben schien, findet man nun diejenige Denkungsart über die edlere Liebe wieder, die ich oben die anständig sinnliche Galanterie genannt habe, und welche auf einer verfeinerten Sinnlichkeit beruht.

Allgemein war die Idee, daß ein zu leichter Sieg der Liebe schade, und ihren höchsten Reitz abstumpfe. „Eine Dame, die sich zu leicht entflammt,“ sagte Savary de Mauleon, „weiß nicht zu lieben, und fehlt eben so sehr gegen die Klugheit als gegen die Pflicht der Liebe.“ – „Eine Dame, die durch lange Prüfungen ihres Liebhabers sich von der Aufrichtigkeit seiner Leidenschaft überzeugen will, ist bey gleichen Vorzügen einer andern vorzuziehen, die Alles gewährt, ohne sich lange bitten zu lassen,“ sagt Guillaume de la Tour. – Nach eben diesen Grundsätzen sagt Hugo Brunet: „der allzubald befriedigte Liebhaber verliert die Reitzungen seiner Begierden. Warum? Weil ein Geschenk, das die anständige Liebe lange zurückhalt, tausendmahl mehr werth ist, als dasjenige, welches die andere Liebe verschwendet.“ [248]

Man setzte den höchsten Werth der Liebe in jene Spannung der Phantasie, in jene Beschäftigung, welche die Ueberwindung eines weiblichen Herzens und seiner Bedenklichkeiten hervorbringt. Daher rührt auch die Meinung, daß der körperliche Genuß die Liebe tödte, und daß der Stand des Liebhabers unendlich glücklicher sey, als der des Mannes. [249]

Bald mußte die Intrigue nach dem Geiste der Zeit eine gewisse regelmäßige Form, wenigstens in der Dichterwelt, erhalten. Es wurden die Regeln beym Angriff, bey der Vertheidigung, bey der Dauer des Verhältnisses festgesetzt; kurz! es entstand eine Art von Taktik der Liebe. Es ward sogar die Zeit festgesetzt, wie lange der Liebhaber harren dürfe, ehe er die letzte unnennbare Gunst zu fordern berechtigt sey. Sieben Jahre mußte er warten nach dem Beyspiele des Erzvaters Jakob, der sieben Jahre um Rahel gedient habe. Ließ ihn aber seine Dame alsdann unbelohnt, so durfte er brechen, und sich an eine andere wenden. [250] Unterdessen ward seine Treue, und besonders seine Verschwiegenheit auf die Probe gesetzt. Diese Lehren wurden zuweilen in sinnreichen Allegorien vorgetragen, und lange ehe Guillaume Loris seinen Roman von der Rose in Frankreich schrieb, [251] hatte Pierre Vidal eine Kunst zu lieben in einem sinnreichen Gespräche zwischen sich und dem Amor, in Begleitung der Dame Mercy, der Demoiselle Pudeur, und dem Ecuyer Loyauté entwickelt. „Die Liebe, sagt er darin,“ entsteht im Herzen, wo sie vom Willen ernährt wird, wenn der Gedanke sie geboren hat. Sie lebt von Freude und Frohsinn: sie entzündet sich, und geräth in Flammen durch die Verfolgungen treuloser Nebenbuhler. Sie wächst und vervollkommnet sich, wenn die Falschheit dieser letzten aufgedeckt wird. Sie verdankt dem zärtlichen Blicke ihr Daseyn, und wenn Freude und Zufriedenheit hinzutreten, ist sie in ihrem größten Wachsthume. Der Schildknappe der Liebe, Loyauté durchbohrt den träumenden, nachdenkenden Liebhaber mit seinem Pfeile. Er dringt mit den Seufzern zwischen Ohren und Augen ein, und, o Wunder! der Streich trennt nicht die Herzen, er vereinigt sie, und bildet aus zweyen eins. Aber seine Pfeile können unter Männern und Weibern nur diejenigen erreichen, die ein offenes, biederes Herz haben. Menschen, die für Geld Weiber nehmen, Weiber, die sich für Geld hingeben können, sind keine Unterthanen der Liebe. – Der Ritter ist berechtigt, seine Dame zu verlassen, und sich nie wieder mit ihr auszusöhnen, wenn sie nach dem Geschenke der unnennbaren Gunst noch für einen andern die nehmliche Gefälligkeit hat. Dieß Laster kann nicht abgewaschen werden. Denn so wie die Tugend den höchsten Reitz der Frauen ausmacht, so giebt es nichts Schändlicheres, als ihre Ausschweifung. Die Damen sind das Modell der Courteoisie. Man muß sie außerordentlich ehren, wenn ihre Aufführung untadelhaft ist.“

Giraud de Calanson sagt in den Vorschriften, die er den Troubadours giebt: „Lehre die Regeln der Liebe, ihre Privilegien, ihre Gegenmittel. Erkläre ihre verschiedenen Stufen: wie sie schnell wächst, wovon sie lebt, wie sie abnimmt, wie sie betrügt und ihre Diener verzehrt!“

In diese Kunst zu lieben brachte man die Förmlichkeit der damahligen Zeit. Man weihte sich dem Dienste der Damen, und ward von ihnen darin aufgenommen, unter gewissen Ceremonien, die von der Lehnsinvestitur entlehnt waren. [252] Man trug Gürtel, Ringe, Aermel der Dame, und sie nahm wieder solche Zeichen der Liebe von ihrem Liebhaber an. [253] Man ließ Messen lesen, und brannte Kerzen, um die Spröde zu erweichen. [254] Man ließ sich, wenn man brechen wollte, durch einen Priester die Absolution geben, [255] oder die neue Geliebte forderte wenigstens eine Erlassung des Schwurs von der Verlassenen, [256] ehe sie die Aufwartung des vorhin gebundenen Liebhabers annahm.

So erscheinen die edleren Geschlechtsverbindungen von der gewöhnlicheren Art in der Dichterwelt der Troubadours, und bestehen neben denen von der höheren, geistigeren Art. Sie geben Veranlassung zu einer Menge von elegischen Situationen. Es fragt sich: waren sie in die wirkliche Welt übergegangen? und dann: waren sie allgemein verbreitet?

Es ist nicht unwahrscheinlich, daß dieser oder jener Ritter oder Troubadour mit seiner Dame wirklich in solchen Verbindungen gestanden habe. Aber häufig sind sie gewiß nicht gewesen, diese Verbindungen, und nirgends finden wir sichere, aus den Werken der Troubadours selbst genommene Beweise, daß dergleichen Verhältnisse zwischen einer verheiratheten Dame und ihrem Liebhaber unter Autorität der Sitten, und mit Genehmigung des Gatten bestanden hätten. [257] Vielmehr finden wir häufige Klagen über die Eifersucht der Männer, und die Verläumdung der Auflaurer.

Alle Schilderungen der Sitten der damahligen Zeit, womit die Sirventen der Troubadours so häufig angefüllt sind, beweisen ihre Verdorbenheit. Jene langen Prüfungen der Liebhaber, ihre Beharrlichkeit, Treue, Discretion, werden vom Anfange des zwölften Jahrhunderts an, bis zu Ende des dreyzehnten hin, als längst veraltete Vorzüge geschildert. Häufige Satyren auf die Weiber stellen diese in dem schlechtesten Lichte dar: einem Jeden feil für Geld, ausschweifend in ihren Begierden, ausgelernt in den Künsten der Koquetterie. Eben so häufig sind die Klagen über Ehebruch, und die Ungewißheit der Väter, ob die Kinder, welche ihre Gattinnen ihnen zuschrieben[WS 82], auch die ihrigen wären. [258]

Kein Wunder also, wenn jene edleren Verbindungen selbst den Dichtern, die sie zum Stoffe ihrer Kompositionen brauchten, oft lächerlich wurden; wenn Scherz und Ernst zuweilen in ein und das nehmliche verliebte Gedicht gemischt wurden! Manche Elegien haben einen so skurrilischen Anstrich, [259] daß man den Schalk, der im Herzen lacht, während Mund und Auge weinen, nicht verkennen kann. Daher denn auch jene dritte Art, über die Liebe zu denken, die wir neben den beyden ersten zuweilen in den Werken eines und desselben Troubadours antreffen. Denn wenn er bald von einer bloß auf Ruhm und Ehre gebaueten Liebe begeistert zu seyn scheint, so wird er bald darauf von den kühnsten Hoffnungen, oder von Dankbarkeit für die genossene Frucht seiner Beharrlichkeit belebt; und endlich versichert er: „man müsse in der Liebe die Sache nicht zu ernsthaft nehmen, darüber lachen und scherzen, nie bitten, ohne zugleich zu nehmen, und besonders jene Verwegenheit nicht vernachlässigen, ohne welche in der Liebe nichts auszurichten sey!“ [260]

Unstreitig hat es also damahls bereits Ketzer gegeben, welche an der Wirklichkeit der hohen Bestimmung der Liebe gezweifelt, und in ihr eine bloß sinnliche Leidenschaft, einen durch Beymischung von etwas Witz und Gefühl zur geselligen Unterhaltung dienenden Zug zwischen beyden Geschlechtern gesehen haben. Daher die häufigen Tenzons über die Fragen: ob eine Dame, die Allen gefällig wäre, derjenigen vorzuziehen sey, die nur die Aufwartung eines einzigen Liebhabers leide, aber gegen diesen grausam sey? [261] ob der Ruhm, den man vor den Augen der Geliebten gewinne, den leicht zu erwerbenden sinnlichen Genuß aufwiege? [262] Ob das lange Harren, oder der leichte Sieg den Vorzug verdiene? [263] u. s. w. Daher die höchst sittenlosen Gedichte, die sehr schlüpfrigen Erzählungen und Pastorellen worin berückte Männer und leicht errungene Siege geschildert werden: [264][WS 83] Daher endlich jene ruhmredigen eiteln Aufzählungen von besiegten Damen, unwiderstehlichen Vorzügen, und Verführungskünsten der Troubadours. [265][WS 83]

Kurz! Alles beweiset, daß wenn die edlere Art über die Liebe zu denken den Stoff zu einer höheren Gattung verliebter Gedichte hergab, diese dennoch keinesweges allein herrschender Ton in der Dichterwelt, und noch weniger in der wirklichen gewesen sey. Nirgends aber finden wir die Idee, daß der sinnliche Genuß entehrend für die Würde des Menschen und der Liebe sey, und daß der edlere Mensch, wenn die Umstände es gestatteten, sich dennoch desselben freywillig enthalten müsse. –

Siebentes Kapitel.
Ideen der Dichter unter den übrigen Nationen von Europa über Liebe und Geschlechtsverbindung[WS 84].

Im nördlichen Frankreich finden wir die Spuren derjenigen Denkungsart, wornach die Liebe eine bloß auf geistigen Genuß beschränkte Verbindung seyn sollte, viel weniger häufig. Dagegen ist diejenige, wornach die Liebe in einer verfeinerten Sinnlichkeit gesetzt wurde, hier ausgebildeter als im südlichen Frankreich anzutreffen. Ihr Wesen ist besonders von Wilhelm Loris in dem Roman der Rose, der ums Jahr 1260 geschrieben wurde, auseinander gesetzt worden. Er enthält eine allegorische Darstellung der Schicksale einer auf Galanterie gegründeten Verbindung, und er hat einen zu großen Einfluß auf den Geschmack seiner Zeitgenossen und der nachfolgenden Generationen gehabt, um nicht eine kurze Idee davon zu geben. [266]

Ein Jüngling wird beym Anblick einer Rose von Amors Pfeilen durchbohrt. Er sinkt ohnmächtig hin, aber bald ermuntert er sich wieder, und stürzt voll schnöden Verlangens durch die verwachsene Dornenhecke, um die Rose zu pflücken. Vergebens! Seine Verwegenheit wird mit unzähligen Stichen bestraft. Er würde auf immer geflohen seyn, aber Amor will den Vasallen nicht fahren lassen; er durchbohrt ihn mit einem neuen Pfeile beau semblant. Dieser schlägt zwar eine neue Wunde, führt aber auch einen Balsam mit sich, der ihre Schmerzen lindert.

D’une part m’oingt, d’autre me cuit,
Ainsi il m’aide, ainsi mé nuit.

Amor gesellt ihm einige Gehülfen bey: doux penser, doux regard, doux parler. Zugleich öffnet ihm bel accueil, fils de Courteoisie, den Weg durch die Dornenhecke zur Rose, aber unter der ausdrücklichen Verwarnung, sie nicht zu pflücken, nicht einmahl ein Verlangen darnach zu äußern. Unnütze Vorsicht! Kaum hat sich der Liebhaber der Rose bis auf einige Schritte noch[WS 85] genähert, so streckt er schon die Hand nach ihrem Besitze aus. In dem nehmlichen Augenblicke stürzt ein Ungeheuer auf ihn los, mit Nahmen Dangier, und verjagt bel Accueil und den Liebhaber. Zitternd flieht bel Accueil, und sein Freund zieht sich verzweiflungsvoll in einen Winkel, woraus seine Augen kaum den Ort entdecken mögen, der seine Geliebte umschließt. Dame Raison unternimmt es, ihn von seiner Liebe zu heilen; aber umsonst! Williger leiht er sein Ohr dem Trost und dem Rath eines jungen Mannes, Nahmens Ami. Dieser ermuntert ihn, zum Dangier zurückzukehren, und das Ungeheuer zu besänftigen, durch reuige Thränen, und heilige Versicherungen mehrerer Enthaltsamkeit wieder Eingang zu gewinnen. Der Liebhaber folgt dem Rathe. Dangier empfängt Anfangs Beyde mit Vorwürfen und schrecklichen Drohungen: aber auf die Länge widersteht er nicht ihren vereinigten Bitten. Franchise und Pitié, zwey sanfte, liebenswürdige und überredende Nymphen sprechen endlich den Dangier ganz zur Ruhe. Er zieht sich zurück, und läßt den Liebhaber unter den Händen des bel Accueil, der nur auf diese Gelegenheit gelauert hatte, um seinen Liebling bey der Rose wieder einzuführen. Der Liebhaber findet sie schöner als jemahls. Geblendet von ihrem Glanze, senkt er seine Augen nieder, erhebt sie bald aber zu neuer Bewunderung. Eine Zeitlang steht er in sich selbst verloren. Sein Herz schlägt hoch auf, und dem halbgeöffneten Munde entfahren brennende Seufzer. In diesem Augenblicke fährt Venus in ihrem mit Tauben bespannten Wagen vorüber. Die Schönheit, die Lage des Jünglings rühren die gutherzige Göttin. Sie nimmt ihn unter ihren Schutz, führt ihn selbst zum Rosenbusch, beugt ihm den Zweig, der die Rose trägt, entgegen, und der Glückliche drückt den feurigsten Kuß auf ihre Blätter. Noch kleben seine Lippen darauf, schon röthet eine höhere Farbe die Rose, – als ein widriges Geschrey zu früh dieses himmlische Entzücken stört. Es ist die Verläumdung Malebouche, die es erhebt. Sie hat das Glück der Liebenden mit schelem Blicke belauscht: Venus flieht erschrocken davon. Drey Ungeheuer, Furcht, Scham, Neid, angezogen durch die Losung ihrer Gefährtin Malebouche, eilen dagegen heulend herbey. Sie schleifen den Liebhaber, der ohnmächtig zu den Füßen des Rosenstocks niederstürzt, zugleich mit Bel Accueil in die Höhle, welche Dangier auf immer bewacht. Hier bauen sie für Beyde einen Thurm zum ewigen Gefängniß: hier beladen sie den Liebhaber mit Ketten. Verdammt zu unendlichen Qualen liegt er hier, und fleht vergebens den Himmel um Vernichtung an. Gramvolle Erinnerung, Schmerz, Vorwürfe, martern ihn mit jedem Augenblicke zu Tode, um ihn im folgenden zu noch härtern Qualen wieder zu erwecken.

So weit der erste Verfasser dieser ingenieusen Allegorie, die in der Folge von einem andern mit minderem Glücke geendigt ist.

Ihr Sinn geht dahin, den Gang, den ein edleres Liebesverständniß zu nehmen pflegt, zu beschreiben. Die Schönheit zieht an, und erweckt sinnliche Begierden. Aber der Liebhaber zieht sich bey den Schwierigkeiten, die sich ihrer Befriedigung entgegen setzen, zurück. Ein gütiger Blick der Dame giebt ihm neue Hoffnungen, und er sucht ihre Gunst durch ein einnehmendes Betragen und längere Aufwartungen zu gewinnen. Diese öffnen ihm auch den Weg zu ihrem Herzen, jedoch unter der Bedingung, daß er ihrer Unschuld schonen soll. Die Sinne verleiten ihn bald zu verwegenen Angriffen, und die Furcht vor den Folgen bewegt seine Geliebte, ihn aus ihrer Gegenwart zu vertreiben. Er ruft seine Vernunft zu Hülfe; aber umsonst! Ein Freund räth ihm, zu seiner Geliebten zurückzukehren. Seine Reue, sein Biedersinn, bewegen die Schöne zum Mitleid, ihre Besorgnisse verlieren sich, sie schenkt ihm ihre vorige Freundschaft wieder, zu der sich bald Gegenliebe gesellet. Die engste Vereinigung erfolgt: aber sie wird auch bald von der Verläumdung wieder gestört, und beyde Liebende werden ein Raub dauernder Qualen. [267]

Die Grundsätze dieser Art über die Liebe zu denken waren in der Dichterwelt des nördlichen Frankreichs die nehmlichen, wie in der des südlichen. Der Liebhaber muß sich durch ruhmwürdige Thaten vor den Augen seiner Geliebten auszuzeichnen suchen: dafür darf er öffentliche Beweise ihrer Gunst fordern, die seiner Eitelkeit schmeicheln, dem tapfern Ritter darf sich die Schöne ergeben: er muß aber seiner Seits verschwiegen, und von unverbrüchlicher Treue seyn. [268]

Daneben bestand eine sehr leichtsinnige Art, über die Liebe und über den Werth der Weiber zu denken. [269] Ich kann der Versuchung nicht widerstehen, die Grundsätze, welche Gujart, ein Dichter aus dieser Periode, in seiner Kunst zu lieben vorträgt, hierher zu setzen, da sie die Aehnlichkeit mit denjenigen, welche in der Kunst zu lieben des Ovid enthalten sind, beweisen. [270]

„Ihr müßt, sagt der Autor, der Dame euer Leiden klagen, sprechen: ich ziehe den Tod durch eure Strenge dem Glück durch die Güte jeder andern vor. Vielleicht ergiebt sie sich nicht gleich auf diesen ersten Angriff, und zeigt einigen Stolz. Laßt euch nicht abweisen, seht sie oft, verliert sie nicht aus den Augen: die Weiber sind leichtsinnig: es bedarf nur eines Augenblicks, um das Andenken langer Dienste auszulöschen. Vor allen Dingen empfehle ich euch nichts zu verlangen, als bis ihr von ihrer Gegenliebe überzeugt seyd. Aber sobald das süße Bekenntniß über ihre Lippen gekommen ist, so legt alle eure Talente aus, und denkt ernsthaft daran, Land zu gewinnen. Grüßt ihre Nachbarinnen, begegnet ihren Gespielinnen mit Artigkeit, gewinnt die Dienstboten mit Geschenken und Versprechungen: Vernachlässigt Keinen! Wenn die Dame von Jedermann euch loben hört, so wird sie sich ihrer Wahl freuen, und euch stärker lieben. Sicher von ihren Gesinnungen, späht den Augenblick aus, worin sie allein ist. Geht zu ihr: fordert einen Kuß. Sie wird ihn abschlagen: raubt ihn, und seyd versichert, in ihrer Seele weiß sie euch Dank dafür. Kehrt am folgenden Tage wieder zurück, und nehmt einen zweyten. Diesen wird man euch willig geben. Nehmt einen, zwey: sucht sie so schmackhaft, (savoureux,) als möglich, zu geben. Dieß entflammt die Sinnen der Weiber am stärksten. – Habt ihr endlich die letzte Probe der Liebe empfangen, so werdet ihr sehen, daß sie sich noch enger an euch hängt. Findet ihr sie von eurer Seite offenherzig, sanft, kurz! so wie sie euch gefällt; so hängt euch gleichfalls an sie, dient ihr mit Treue, steht allenfalls nicht an, sie zu heirathen. Aber wenn ihr Charakter, ihr Verstand, ihre Aufführung euch mißfällt, so verlaßt sie, u. s. w.“

Bey den Deutschen ist der nehmliche Geist sichtbar, den wir bey den Provenzalen finden, deren Dichter höchst wahrscheinlich auf den Geschmack unserer Minnesinger Einfluß gehabt haben. [271]

Wir finden auch hier Spuren jener uneigennützigen Denkungsart, die sich auf einen geistigen Genuß beschränkte. Bodmer [272] hat mehrere Beyspiele davon zusammengestellt, die aber dasjenige, was er daraus folgert, nehmlich willkührliche Bezähmung der Begierden, um des Stolzes der Selbstbeherrschung willen, [273] nicht beweisen.

König Wenzel von Böheim sagt zwar: [274] „Die Minne darf auf mich stolz seyn. Ich hatte sie umfangen, und küßte ihre klaren, zarten, süßen Lippen. Aber mein Wille lehnte sich nicht wider ihre Keuschheit auf, obgleich das vielgeliebte Weib mein Herz mit ganzer Liebe eingenommen hatte. Mein Wille war den Augen und dem Herzen leid. Mein Leib zürnte, daß ich den Genuß der Liebe mied. Dieß machte die Vollkommenheit meiner Liebe, und ihre keusche Vortrefflichkeit. Nun habe Dank, der seine Dame, (Frowe) so pflegt, wie ich der reinen sanften Frucht. Ich brach die Rose nicht, und hatte sie doch in meiner Gewalt u. s. w.

Diese Verse schildern die Empfindungen eines Mannes, der mit sich selbst zufrieden ist, daß er seine Pflicht gethan, und Begierden unterjocht hat, deren Befriedigung auf Kosten der Unschuld seiner Dame hätte erkauft werden müssen: eine Empfindung, die über eine fanatische Enthaltsamkeit eben so weit erhaben ist, als sie noch unter der platonischen Seelenliebe steht.

Eben dieser Wilhelm von Böhmen singt, als er zwey Liebende sieht, die sich umarmen und küssen: „da das erging, da ist auch mehr ergangen!“ [275] Man sieht daraus, welches Vertrauen er in die Selbstbeherrschung der mehrsten Liebhaber setzte.

Die übrigen von Bodmer angeführten Beyspiele beweisen gerade das Gegentheil von demjenigen, was sie beweisen sollen. Der Graf von Bottenlaube beklagt sich über die Sprödigkeit seiner Dame: „das Liebesschicksal spottet meiner, sagt er. Es gab mir etwas, das ich nicht habe. Was nützet mir Gold in Indien? Mir scheint das Glück der Liebe, wie dem Kaiser der Karfunkel in seiner Krone. Er hat ihn so, daß man ihn auf seinem Haupte nicht schimmern sieht. Mein Mädchen ist so wohl verwahrt, als dieser Stein, der zu Aachen im Rheine liegt.“ Diese gezwungene Enthaltsamkeit kann dem Liebhaber nicht zum Ruhme gereichen. – Die letzte Stelle endlich, die Bodmer aus dem Dietmar von Ast anführt, ist ein sehr unsittliches Gespräch zwischen dem Liebhaber und seiner Dame. Er hat geschwatzt, und darüber seinen Abschied erhalten. „Was er den Leuten von mir gesagt, das verdrießt mich heute und immerdar. Er verliert damit meine Huld.“ So spricht die Dame, und dieß ist die Veranlassung zu dem Gedichte. Der Liebhaber singt: „Was war es nöthig, daß ich wegen eines Weibes um Freyheit und um den Verstand kommen sollte. Es ist nicht so stark verwahrt! – Eine Sache wollte ich gerne der Dame in Erinnerung bringen, wäre sie nicht ein Schlag auf ihre Stirne: sie sollte daran denken, ob sie jemahls wie eine Närrin bey mir gelegen habe.

Diese nicht anständige Aeußerung enthält offenbar den Vorwurf einer Schwachheit der Dame, den ihr der Dichter macht, um ihre jetzige Sprödigkeit in ein unvortheilhaftes Licht zu setzen. Darauf antwortet die Dame mit einem noch unanständigern Vorwurfe: „Was half es, daß er wie ein Narr bey mir gelegen hat? Ich ward doch niemahls seine Frau!“ – Diese Worte können nie auf eine willkührliche Enthaltsamkeit, sondern nur auf ein physisches Unvermögen hindeuten.

Lassen wir daher die Idee an eine fanatische Enthaltsamkeit, oder gar an eine platonische Seelenliebe ganz fahren. Der deutsche Dichter fühlte so wie seine Nachbaren, daß Pflicht und äußere Umstände dem Bestreben nach gänzlicher Vereinigung zuweilen Grenzen setzten, und daß dieß beschränkte Verhältniß zu vielen, für die Dichtkunst brauchbaren Situationen, Anlaß gab. Hat es auch einen Robert d’Arbrissel unter ihnen gegeben; so ist sein Geschmack gewiß nicht der herrschende gewesen, und die Tugend hat unstreitig nichts dabey verloren. [276]

Uebrigens finden wir bey den Minnesingern neben jenen edleren Grundsätzen auch eine sehr leichtsinnige Art, über die Liebe zu denken.

In England schrieben die Dichter des zwölften und dreyzehnten Jahrhunderts französisch und lateinisch: [277] in Italien provenzalisch. [278] Sie treffen mit den Dichtern des nördlichen und südlichen Frankreichs zusammen. In den nordischen Sagen finden wir Spuren eines ähnlichen Geistes, die aber wenig ausgebildet sind. [279]


Achtes Kapitel.
Ideen der Romanenschreiber aus dem zwölften und dreyzehnten Jahrhunderte über Galanterie und Liebe. Romane vom Hofe Karls des Großen.

Es ist beynahe unmöglich, dem Alter der Romane und der Zeitfolge, worin sie verfertigt sind, auf die Spur zu kommen. Wir besitzen noch keine diplomatische Prüfung der äußern Form derjenigen Handschriften, welche für die ältesten angegeben werden. Außerdem wissen wir nicht, ob diese Handschriften den Roman, so wie er in Umlauf gekommen ist, und uns in unsern Exemplaren vorliegt, enthalten. Es ist höchst wahrscheinlich, daß der Stoff zu den mehrsten Werken dieser Art, die wir jetzt in Prosa, und in verschiedene Sprachen übersetzt, besitzen, aus älteren kürzeren Gedichten des nehmlichen Inhalts, oder wenigstens aus lateinischen Legenden, entlehnt sey. Aber die Uebersetzer haben gemeiniglich ihr Original durch Zusätze verlängert, welche das Urtheil über die Sitten der Zeit, worin das Gedicht verfertigt seyn kann, äußerst zweifelhaft machen. Bey jeder neuen Auflage, welche der Roman erhalten hat, ist beynahe immer etwas verändert. Sagt man uns daher gleich, dieser oder jener Roman sey der älteste: sey in diesem oder jenem Jahrhunderte verfertigt; so fragt es sich immer wieder: ist das Exemplar, was wir in Händen haben, eine getreue Abschrift, oder ein genauer Abdruck desjenigen, den der Zeitbestimmer vor sich hatte?

Der Ursprung der Romane des Mittelalters ist unstreitig in den Legenden zu suchen, welche im zehnten und eilften Jahrhunderte häufig verfertigt wurden, um den Verlust derjenigen zu ersetzen, welche die fast allgemeine Zerstörung der Klöster durch die Normänner vernichtet hatte. Man legte mündliche Sagen dabey zum Grunde, ließ aber zugleich eine Menge eigener Erfindungen mit einfließen, um die Gemüther durch das Wunderbare desto mehr anzuziehen, und die Ehre der Heiligen und Reliquien zu verherrlichen. Dieß Zeitalter war überhaupt sehr aufgelegt zu frommen Betrügereyen. [280]

Einmahl gewöhnt, zu Erreichung gewisser Absichten die heilige Geschichte mit abentheuerlichen Erfindungen zu schmücken, wandte man diese Kunst bald auf die weltliche Geschichte an, wenn die Hierarchie ihre Rechnung dabey fand, den Gemüthern eine gewisse Richtung durch falsche Ideen, und Ueberspannung der Phantasie zu geben. Die Mönche hatten den Hauptantheil an Werken dieser Art. Sie legten Sagen dabey zum Grunde, die sich durch Volkslieder auf ihre Zeitgenossen fortgepflanzt hatten. Die Geschichtsbücher in der heiligen Schrift, und die Chroniken der Zeit waren ihre nächsten Vorbilder, aber die Geschichtsschreiber der Römer, die alte Mythologie, und verschiedene orientalische Ideen, waren ihnen nicht unbekannt. Die ersten Romane sind weiter nichts, als wunderbare Geschichten, bey denen wahre Begebenheiten und Personen zum Grunde liegen. Je mehr sich der Roman der Legende nähert, und ascetische Absichten verräth: je weniger ausgesponnene Liebesintriguen er enthält: je unausgebildeter die Begriffe von irrender Ritterschaft darin erscheinen: endlich, je roher sich die Gefühle von Humanität, Courteoisie, und Galanterie, je ungebändigter sich die Leidenschaften darin äußern, um desto älter ist der Roman. Schon nach diesen Bestimmungen würde des: Joannis Turpini de vita Caroli Magni et Rolandi historia, (die Geschichte Karls des Großen und Rolands von Turpin) eines der ältesten Werke dieser Art seyn. Im Jahre 1094 ward ein Zug gegen die Saracenen in Spanien unternommen, und zwey Jahre darauf fingen die Kreuzzüge an. Um diese Zeit zog man die Volkssagen von Karl dem Großen, und Roland, dessen Schlachtgesang damahls noch in Jedermanns Munde war, hervor, und verfertigte davon eine Legende, die dem Erzbischoff Turpin beygelegt wurde. Es ist ausgemacht, daß dieß Werk zu Anfange des zwölften Jahrhunderts geschrieben sey. Es ist das älteste dieser Art, das wir besitzen. Daß kein älteres existiert habe, läßt sich darum nicht behaupten. Die Absicht dieser wunderbaren Geschichte geht dahin, zur schwärmerischen Tapferkeit gegen die Saracenen zu entflammen, und zu gleicher Zeit vor aller Ausgelassenheit der Sitten zu warnen, welche den Kreuzfahrern so sehr vorgeworfen wird.

In diesem Werke, welches bey weitem nicht so weitläuftig als die späteren Romane ist, wird auf die Bücher der Richter, der Könige, der Maccabäer, eine unverkennbare Rücksicht genommen. Der Riese Ferracutus ist offenbar nach Goliath, Roland nach Simson, Josua oder David geformt. In einer Schlacht, die Karl der Große den Saracenen liefert, und worin viertausend Mann auf dem Platze bleiben, muß die Sonne drey Tage lang still stehen. Simson und die Maccabäer werden als Heldenmuster aufgestellt.

Der Verfasser hat aber auch Kenntniß von der profanen Geschichte gehabt. Wenn er von der Schlacht von Ronceval spricht, eifert er gegen die Gewohnheit, Weiber in den Krieg und in die Läger mit zu nehmen, und beruft sich auf die Beyspiele des Darius und Antonius, die durch ihre zu große Anhänglichkeit an ihre Frauen unglücklich geworden sind.

Von orientalischen Ideen findet man nur schwache Spuren. Rolands Schwert, Duranda, das Felsen durchschneidet, und sein gewaltiges Horn, könnten vielleicht allein dahin gerechnet werden. [281]

In diesem Romane finden wir nicht die geringste Spur von Galanterie. Es herrschen vielmehr darin Mönchsideen von dem Werthe der Enthaltsamkeit von aller Liebe zur Kreatur.

Es ist höchst wahrscheinlich, daß die Reihe von Romanen, wozu die Geschichte Karls des Großen den Stoff hergegeben hat, zunächst auf diese Legende von Turpin gefolgt ist. Denn das große Ansehn, welches sie sogar durch päbstliche Sankzion erhielt, hat ihr wahrscheinlich Nachahmer verschafft.

In diesen Romanen vom Hofe Karls des Großen treffen wir gar nichts von jener höheren Denkungsart über die Liebe an, die sie als eine auf geistigen Genuß beschränkte Verbindung zwischen beyden Geschlechtern betrachtet. Selbst die veredelte Liebe der zweyten Art, die verfeinerte Sinnlichkeit, ist sehr wenig darin ausgebildet. Ueberhaupt sind die Liebesabentheuer den ritterlichen sehr untergeordnet, und dienen höchstens dazu, der Erzählung der Kriegesbegebenheiten einige Abwechselung zu geben.

Im Ogier le Danois [282] verliebt sich der Held in die Tochter eines Chatellain, – mithin in eine Person von geringerem Stande, als er war, – und sie wird ohne weitere Umstände schwanger von ihm. [283] Ogier tröstet sie, indem er ihr die Ehe verspricht, wenn er sich vorher durch tapfere Thaten würde ausgezeichnet haben. [284] Aber er hält nicht Wort. Nach seiner Wiederkunft meldet ihm seine Geliebte, daß sie einen Sohn geboren habe, und bittet ihn, zu ihr zu kommen. Aber Ogier begnügt sich, ihr mehrere Gewänder von Wolle und Seide zu senden, und den Sohn zu sich zu nehmen. Der Mutter wird nicht weiter gedacht.

Bey dem Zweykampfe zwischen Ogier und dem saracenischen Helden Caraheu läßt ihn der erste mit den Worten herausfordern: que je lui devancerai pour aller en France, et que sa Dame conquesterai au tranchant de l’epée, (daß er ihm


und vermuthe, das er unter Ludwig dem Siebenten oder Philipp dem Zweyten, (1068–1181.) verfertigt ist. Es hat aber offenbar ein älteres Gedicht dabey zum Grunde gelegen, dessen auch am Ende erwähnt wird.

den Weg abgewinnen würde, um ihn abzuhalten, in Frankreich einzudringen, und daß er ihm seine Dame mit der Schneide des Schwerts abgewinnen wolle.) Caraheu willigt sehr gern in die Bedingung, daß die schöne Gloriande dem Sieger bleiben solle. Denn sie macht sein höchstes Gut aus, und er kann sie keinem Bessern lassen. Er bittet darauf den Vater seiner Geliebten, sie mit ihrem schönsten Putze bekleidet als Zeugin des Kampfs auf das Schlachtfeld zu senden. „Denn, sagt er, ein so edles Bild und so süßes Konterfay ist das beste Mittel, Muth einzuflößen.“ [285] Er kündigt ihr auch selbst die Bedingung lachend an, und versichert sie, ihre Ehre würde dabey nichts verlieren, der Preis eines so tapfern Helden, wie Ogier, zu werden. Gloriande antwortet, daß sie ihm nichts abschlagen könne, und läßt es sich nicht merken, wie unangenehm ihr diese Lage ist.

Eine solche Bestimmung über eine Geliebte, die zum Preise des Kampfs ausgesetzt wird, wie man ein jedes kostbares Meubel dazu aussetzen würde, beweiset sehr wenig Achtung für das Geschlecht, und erinnert an die Zeiten der griechischen Helden. Ogier beträgt sich seiner Seits sehr wenig galant gegen die Dame. Während des Kampfs nähert er sich ihr zuweilen, um ihr mit Lachen zu sagen: Ihr sehet, wie’s geht; bald werdet Ihr mit mir fort müssen! Ich will nicht eher ruhen, als bis ich Euch gewonnen haben werde, und dann will ich Euch nach Frankreich führen, Euch taufen lassen und heirathen! Ogier hatte Glorianden vorher noch nie gesehen. Ich glaube nicht, daß Ajax sich hätte ungalanter ausdrücken können!

Gloriande erscheint in demjenigen schönen Lichte der Beständigkeit, Treue und Hingebung für ihren Caraheu, das auch eine Briseis bey den Griechen auszeichnet. Sie hat nichts von dem Stolze und der Hoheit an sich, die wir gemeiniglich den Damen des Mittelalters beylegen. Ogier hatte den Caraheu besiegt: war aber von den Saracenen aus einem Hinterhalte überfallen, gefangen fortgeführt, und der schönen Gloriande zur Bewahrung anvertrauet. Caraheu, ohne auf das Interesse der Liebe Rücksicht zu nehmen, hört nur den Ruf der Ehre, und stellt sich im Lager der Christen als Geißel. Darüber wird Gloriandens Vater so aufgebracht, daß er seiner Tochter verbietet, weiter an ihn zu denken. Diese ist äußerst betrübt darüber. „Ist es nicht schön von Caraheu, sagt sie zu Ogier, daß er aus Liebe zu euch sich aufopfert! Ach! wo sind sie hin, die süßen Küsse, und die Umarmungen, die wir so oft genossen! die lieblichen süßen Blicke, die wir oft mit einander wechselten! Ach! lieber Freund Caraheu, Mahommed nehme dich in seinen Schutz!“

Ihr Vater befiehlt ihr, einem andern Fürsten ihre Hand zu geben. Aber sie versichert, daß so lange er leben wird, sie lieber sterben, als das ihm gegebene Versprechen brechen will. Der Vater wirft ihr sein Trinkgefäß an den Kopf. Der Nebenbuhler des Caraheu will ihr Gewalt anthun, und als sie ihm widersteht, klagt er sie eines verrätherischen Einverständnisses mit den Feinden an. Der Vater schlägt sie unter den niedrigsten Schimpfwörtern [286] zur Erde nieder, und zieht sie bey den Haaren herum.

Inzwischen vertheidigt Ogier ihre Unschuld, und König Karl siegt über ihren Vater. Man sucht den Caraheu zur Annahme des christlichen Glaubens zu bewegen. Er lehnt es ab, [287] Glorianden werden ähnliche Anträge gemacht, unter dem Versprechen, daß Ogier sie heirathen solle. Sie antwortet, daß wahre Liebe dieß nicht litte, obgleich Ogier schöner und besser sey, als sie es verlangen könne. Sie danke inzwischen dem Helden, der mit Gefahr seines Lebens so viel Muth für sie bewiesen habe. Ogier antwortet lachend: „Der Dank sey Gott! Aber ihr habt mir Ehre und Dienst erwiesen, als ich euer Gefangener war!“

Es herrscht in diesen Unterredungen eine rührende Einfalt, Wahrheit und Unbefangenheit. Aber gewiß sehr wenig von jener Courteoisie und Galanterie, wovon wir in den Werken der Troubadours bereits so deutliche Spuren angetroffen haben.

Ogier, unzufrieden mit Karln dem Großen, flieht zum Könige Disier nach der Lombardey. Die Königin verliebt sich in ihn. Sie bewegt ihren Gemahl, ihn seinem Feinde auszuliefern, und dieserhalb einen Brief an Karln zu schreiben. Sie fängt diesen auf, nachdem sie die Boten hat erschlagen lassen, und geht nun mit dem Beweise der Treulosigkeit ihres Gatten zum Ogier. Sie thut ihm einen sehr materiellen Liebesantrag, den aber Ogier abweiset, indem er die Dankbarkeit vorschützt, die er dem Könige schuldig sey. Die Königin hebt seine Bedenklichkeiten durch Vorzeigung des Briefes, und es folgt nun eine Vereinigung, deren Beschreibung den Anstand aufs äußerste beleidigt. Ogier bedankt sich beym Weggehen für den guten Zeitvertreib. [288]

Die Königin wird des Ehebruchs und der Verrätherey angeklagt. Ogier schickt einen seiner Ritter ab, ihre Unschuld in einem Zweykampfe zu vertheidigen. Die Königin hält bey dieser Gelegenheit eine Anrede an ihren Vertheidiger, die zu merkwürdig ist, um sie nicht hieher zu setzen. „Ihr wißt, edler Ritter, was an der Sache ist. Ich glaube, daß ich keinen Meineid begehe, wenn um der Liebe und des Lebens willen der Mund auf die eine Seite spricht, und das Herz seine eigenen Gedanken hat. Gott verlangt nicht den Tod des Sünders, sondern daß er sich bessere und bekehre: und darum mein Vertheidiger, fürchte ich keine Gefahr für euch!“ Nein, nein! antwortet der Ritter; laßt mir die Sorge! – Die Königin wird gerechtfertigt. Ihr Ankläger, sagt der Autor, ward besiegt, so sehr das Recht auch auf seiner Seite war.

Bey der Gelegenheit, als der schönen Gloriande Gewalt angethan werden soll, schlägt sie ihrem Räuber dergestalt ins Gesicht, daß ihm die Zähne aus dem Munde fallen.

Nach dem Tode des Königs Archer von England, der Lehnsträger Karls des Großen war, läßt dieser dessen Tochter aus England kommen, um sie nach seiner Willkühr zu verheirathen. [289] Er giebt sie dem Ogier. Beyde sagen, sie wollen sich in den Willen des Königs fügen, und damit trauet sie Turpin.

Ogier wird als ein wüthender, rachsüchtiger, aber äußerst religiöser Mensch geschildert. Er wird zum Strassenräuber, um sich das nöthige Geld zur Besoldung einer Armee anzuschaffen, mit der er Karln den Großen bekriegen will. Als ihm endlich sein Beleidiger, Karls Sohn, ausgeliefert wird, so will er diesem den Kopf abhauen. Alle Fürsten bitten ihn um Gnade für den Sohn ihres Lehnsherrn. Aber er versichert, daß ihn das nicht kümmere, und daß er sich rächen wolle. Er würde ihn auch wirklich umgebracht haben, wäre nicht ein Engel vom Himmel erschienen, der ihm befohlen hätte, seines Feindes zu schonen.

Ogier geräth durch eine Verrätherey der Tempelherrn in die Gefangenschaft der Saracenen. Sein Neffe, Gauthier, befreyet ihn. Dieser verliebt sich in die Tochter des Sultans von Mecca auf den bloßen Ruf von ihrer Schönheit. Bey der ersten heimlichen Zusammenkunft siegt Gauthier über ihre Unschuld. Er übernimmt nachher einen Zweykampf für die Christen, die großes Vertrauen in ihn setzen, weil er nicht bloß sehr tapfer, sondern auch sehr verliebt war. Bey dem Zweykampfe giebt ihm der Anblick seiner Geliebten neuen Muth. Als er einmahl strauchelt, richtet er sich mit dem Gedanken wieder auf, daß es ihm große Schande bringen würde, wenn seine Geliebte ihn fallen sähe, und daß sie ihn nie lieben würde.

Ogier wird nachher von der Fee Morgue, Schwester des Königs Artus, in das irdische Paradies versetzt, wo er zweyhundert Jahre bleibt. Er zeugt mit ihr einen Sohn, trinkt aus der Fontaine Jouvenze, und erhält von der Fee Morgue einen Holzscheit[WS 88], an dessen unversehrter Aufbewahrung die Dauer seines Lebens hängt; außerdem aber einen Ring, der ihn in Jugend und Kraft erhält, so lang’ er ihn am Finger trägt. Er kehrt nach Frankreich zurück, wo ihm die Königin das Geständniß thut, daß ihr Mann bey seinem hohen Alter nicht mehr geschickt zu den Freuden der Liebe, dabey sehr eifersüchtig sey, und ihr wenig Freyheit lasse. Sie müsse daher ein anständiges Verständniß haben, [290] und bitte ihn, bey ihr zu bleiben. Ogier schlägt dieß zwar aus, will sich jedoch nach des Königs Tode mit ihr trauen lassen, als er von der Fee Morgue in den Himmel entrückt wird.

So viel über den Inhalt des Romans, in so weit er zu meinem Zwecke dient. Man trifft hier keine irrenden Ritter an, die auf Abentheuer ausgehen, keine Tourniere, keine Gefechte zur bloßen Ehre einer Dame. Es sind Kriegs- und Staatsaktionen, Schlachten, Zweykämpfe, die das Schicksal von Ländern und Städten entscheiden, oder doch zur Rettung der Unterdrückten und Hülflosen unternommen werden. Darauf hat sich auch gewiß die Ritterschaft im zwölften und dreyzehnten Jahrhunderte beschränkt. Unser Roman spricht von drey Orden: dem Orden der Priesterschaft, der Ehe und der Ritterschaft, vermöge welches letztern man in der Welt herumreiset, den Glauben an Jesum Christum aufrecht zu erhalten, und die Kirche, Armen, Witwen und Waisen zu vertheidigen.

Die Weiber erscheinen als geschonte, aber untergeordnete Geschöpfe, über die der Tapfere nach Willkühr disponiert. Dieser findet Muth im Anblick seiner Schönen, und setzt Werth auf ihren Beyfall und ihre Bewunderung; aber er hat keinen andern Zweck bey seiner Liebe als Sinnlichkeit, und die Grundsätze seiner Treue sind nichts weniger als streng. Die Heiligkeit der Ehe wird eben so wenig als die Unschuld des Mädchens geachtet. Dieses fällt, ohne die Niederlage durch innern Kampf, oder durch längeres Zögern mit Anstand und Sittlichkeit zu versöhnen. Die Tugenden der edleren Weiber sind Duldung und Treue: die Ausschweifungen der übrigen, selbst ihre Laster, werden mit einer Art von billigender Schonung erzählt. Ueberhaupt aber sind die Sitten roh, die Leidenschaften ungebändigt, und die Ritter zeigen nur diejenigen Tugenden, welche auch den wildesten Völkern, ja! verbrüderten Spitzbuben eigen zu seyn pflegen.

Der Einfluß orientalischer Ideen auf diesen Roman ist so auffallend, daß ich sagen möchte: es herrschte ein morgenländischer Geist darin. [291] Allein die Bekanntschaft mit der alten Geschichte und Fabel der Griechen und Römer ist gleichfalls darin unverkennbar, [292] und die Sagen seiner Zeit sind dem Verfasser auch nicht unbekannt geblieben. [293]

Die übrigen Romane vom Hofe Karls des Großen scheinen in der Form, worin sie mir zu Gesicht gekommen sind, jünger als Ogier zu seyn. Aber es herrscht doch der nehmliche Geist darin: keine irrenden Ritter, wenig Ideen von veredelter Liebe!

Im Doolin von Mainz gewinnt dieser Held sehr bald die letzte Gunst Nikolettens, unter dem Versprechen der Ehe, und der Romanenschreiber läßt sie sterben, um ihn davon zu entbinden. Er heirathet nachher Flandrine, die Tochter eines Königs der Sessenen, die ihm von ihrer Mutter zugeführt wird, und mit der ihn Turpin ohne viele Weitläuftigkeiten trauet. Unterdessen heirathete ein anderer Held, Roloaster[WS 90], gar nicht. Er trieb sein Wesen mit einem Fräulein, das, (ein sehr sprechender Nahme,) Plaisante hieß.

Der Roman Magis und Vivian zeigt gleichfalls nichts als einige sehr gewöhnliche, und höchst materielle Liebesverständnisse, welche der Erzählung der Kriegsbegebenheiten beygemischt sind, um diese anziehender zu machen. Magis, der Hauptheld, lebt mit der Fee Orlande, seiner Beschützerin, in der größten Vertraulichkeit: er verführt aber auch nebenbey die Königin von Toledo, und lebt mit ihr im fortgesetzten Ehebruche.


Unter andern der Umstand mit dem Holzscheit[WS 91], der aus der Fabel des Meleager genommen ist.

Die vier Aymonds Kinder sind in dem nehmlichen Geschmack. Die Helden, in ewigen Fehden mit Karln dem Großen begriffen, haben zuweilen bonnes fortunes.

Der Roman Karl und die zwölf Pairs von Frankreich enthält eine Intrigue zwischen Balduin und der Frau Wittikinds, die gewiß nicht viel Achtung für Sittlichkeit und verfeinerte Liebe anzeigt.

Im Hüon de Bourdeaux wird dieser zwar gestraft, als er sich mit der schönen Esclarmonde vor seiner Trauung mit ihr zu tief eingelassen hatte, allein das Unglück widerfährt ihm hauptsächlich dafür, daß er sich mit der saracenischen Prinzessin vor der Taufe abgegeben hat.

Eben so wenigen Antheil hat die edlere Liebe an dem Romane Valentin und Orson. Inzwischen wird doch in diesem und dem zuletzt genannten Romane die Treue der Liebhaber erprobt, und bewährt gefunden.

Ich unterstehe mich inzwischen nicht, einen der zuletzt genannten Romane in diese Zeit mit Gewißheit zu versetzen. [294]

Neuntes Kapitel.
Fortsetzung: Romane vom Hofe des Königs Artus, oder der Tafelrunde.

Die fabelhafte Geschichte Brittaniens von Gottfried von Monmouth wird gemeiniglich als eine Nachahmung der Geschichte Karls des Großen von Turpin, und als die Quelle der Romane vom Hofe des Königs Arthur oder Artus, angesehen. Aber Gottfried von Monmouth[WS 92] ist hauptsächlich den römischen Dichtern und Historikern gefolgt, und die Helden der Tafelrunde sind weder mit ihrem Nahmen noch mit ihren Begebenheiten bey diesem Schriftsteller anzutreffen.

Wenn man dieß Werk des zwölften Jahrhunderts liest, [295] so überzeugt man sich immer mehr von der geringen Kenntniß, welche die ersten Romanenschreiber von orientalischen Ideen gehabt haben, und von dem wahren Ursprunge der mehrsten ihrer Dichtungen.

Gottfried hat die Lücke ausfüllen wollen, die er in den Jahrbüchern seines Vaterlandes fand, und die Geschichte der Könige der alten Britten vor und nach Christi Geburt bis zu der völligen Unterwerfung Brittaniens unter die Oberherrschaft der Sachsen geliefert. Er hat die wenigen Nachrichten, welche uns die Römer von dieser Insel aufbewahrt haben, zum Grunde gelegt, und diese nicht ohne Witz zum Ruhme seiner Nation auszubilden, und mit einer Menge von erdichteten Begebenheiten zu erweitern und auszufüllen gesucht. Nach dem Beyspiele Roms ist Brittanien von Helden, Trojanischen Ursprungs, bevölkert und angebauet worden. Ihr Anführer Brutus hat ihm den Nahmen gegeben. Die Insel ist, (so wie nach der alten Mythologie die ganze Erde,) von Riesen bewohnt gewesen, deren schrecklichster,[WS 93] Goëmagot, (ein anderer Typhon,) vom Brutus besiegt wird. So wie Romulus mit seinem Bruder Remus über die Anlegung der ersten Stadt in Streit gerathen ist, so auch Brutus mit seinem Bruder Nennius. Ueberhaupt läßt sich der größte Theil der Begebenheiten, die hier vorkommen, in den Klassikern nachweisen. Nur wenige scheinen auf ältern Sagen zu beruhen. Aus dem Lucan und Juvenal werden Verse citiert: die genauere Bekanntschaft mit dem Virgil kann Niemand entgehen. Was mir aber am merkwürdigsten gewesen ist, ist dieß, daß die beyden Hauptmaschinerien der Ritterromane, die Riesen und[WS 94] die Zauberer, in derjenigen Gestalt, worin sie hier erscheinen, aus den Werken der Alten entlehnt sind.

Von dem Ursprunge der Riesen habe ich schon geredet. Die Giganten der griechischen und römischen Mythologie liegen dabey zum Grunde. Die Zauberer aber sind aus dem Apulejus genommen, dessen Werk vom Dämon des Sokrates ausdrücklich citiert, und zum Beweise angeführt wird, daß gewisse Dämonen, Incubi, sich mit Menschen vermischen und Zauberer zeugen könnten.

Es ist mir mehr als wahrscheinlich, daß der Zauberer Merlin nach dem Vorbilde des Apollonius von Tyane, oder des Apulejus selbst, die beyde aus dem gelesensten der Kirchenväter, dem heiligen Augustin, bekannt waren, gebildet sey. Feen kommen inzwischen beym Gottfried noch nicht vor.

Die Ideen von Ritterschaft, von Tournieren, von Galanterie und Courteoisie liegen hier noch im Keime. Irrende Ritter giebt es gar nicht: nur ein Paar Zweykämpfe finden wir, um das Schicksal einer Belagerung von Paris zu entscheiden, und eine geraubte Schöne zu erretten. Bey dem Krönungsfeste des Königs Arthur wird eine große Vorliebe für pomphafte Aufzüge, und ein abgemessenes Ceremoniel gezeigt. Die Verfeinerung der Sitten, und der gute Geschmack in der Kleidung an diesem Hofe werden gelobt. Die Damen begehen ihre festlichen Zusammenkünfte getrennt von den Männern, „und darin, sagt der Verfasser, folgen die Britten bis auf diesen Tag der Sitte der Trojaner. Die Weiber, fährt er fort, waren wegen ihres Verstandes berühmt. Sie hielten keinen Mann ihrer Liebe würdig, der nicht in dreyen Schlachten Beweise seiner Tapferkeit abgelegt hatte. So forderte die Tapferkeit des Mannes das Weib zur Sittigkeit auf, und seine Liebe war für jenen ein Sporn zur Tapferkeit.“

Nach dem Banquet, erzählt Gottfried weiter, gingen die Männer aufs Feld vor die Stadt hinaus, um sich dort mit einer Nachahmung der Gefechte zu Pferde zu belustigen. Die Damen standen als Zuschauerinnen auf den Wällen, und warfen auf eine unterhaltende Art ihren Anbetern verliebte[WS 95] Blicke zu, um ihren Muth zu entflammen. Der König Arthur theilte die Preise aus.

Dieß ist Alles, was man entfernter Weise zur Galanterie rechnen könnte, und was sich bey allen Völkern auf der nehmlichen Stufe der Kultur ungefähr in ähnlichem Maße wieder finden läßt. Die Liebe wird übrigens ganz sinnlich dargestellt. Uther Pendragon verliebt sich in die schöne Igerna, die Gattin des Herzogs Gorlois von Cornwallis, als er sie bey einem Feste sieht, und macht sie zum einzigen Gegenstande seiner Gedanken. Er bedient sie beständig mit neuen Gerichten, und sendet ihr durch seine Vertrauten goldne Becher zum Geschenke. Er wirft ihr freundliche Blicke zu, und redet sie mit muntern Worten an. Der Mann wird eifersüchtig und führt sie weg. Der König beklagt sich gegen seinen Vertrauten, daß seine Leidenschaft ihn um Gemüthsruhe und Gesundheit brächte, und daß ihn seine innern Qualen tödten würden, wenn seine Begierden keine Befriedigung fänden. Der Zauberer Merlin hilft ihm dazu, indem er ihm die Gestalt des Gatten der Dame giebt: eine Nachbildung der Intrigue zwischen Jupiter und Alcmene.

Von dem Orden der Tafelrunde kommt kein Wort in dieser Geschichte vor, so wenig wie von einem der Helden, die in dem Cyclus ihrer Fabeln eine Hauptrolle spielen. Hoel und Guerin sind die einzigen Namen, die man in beyden antrifft. Die Schwester des Arthur wird hier Anna genannt: seine Gemahlin Guanhumara: sein Schild heißt Prirven, sein Schwert Caliburn, seine Lanze Ron: alles anders als in den Romanen. Er wird als der tapferste aller Helden vorgestellt, der in einer Schlacht allein 470 Sachsen erschlägt. Sein Hofstaat besteht aus den tapfersten Männern aller Nationen, und ist ein Muster der Politur für alle übrige.

Vielleicht haben diese Lobeserhebungen des Königs Arthur und seines Hofes die nachfolgenden Romanenschreiber bewogen, ihre Helden daher zu entlehnen, und ihre Abentheuer dahin zu verlegen. Möglich bleibt es aber auch, daß ihre Dichtungen auf gewisse Sagen gebauet sind, die unabhängig von der Geschichte des Gottfried von Monmouth im Munde des Volks waren. [296] Gewiß ist es, daß bereits die ältesten Romane vom Hofe Karls des Großen, und die Troubadours von Arthur, Lancelot, der schönen Genevieva, Tristan und Yseult reden. Wie es aber zugeht, daß Gottfried davon keinen Gebrauch gemacht, ob er vielleicht gefürchtet hat, seiner Geschichte dadurch ein zu fabelhaftes Ansehn zu geben? – das vermag ich nicht zu entscheiden.

So viel bleibt gewiß, daß die Romane von der Tafelrunde, die wir in Prosa besitzen, deutliche Spuren enthalten, daß sie aus mehreren ältern Gedichten zusammengesetzt sind, deren Situationen mit vielen Zusätzen vermehrt in eine annalistische Form gebracht sind. Wahrscheinlich sind sie erst dann verfertigt, als der Geschmack an der Dichtkunst zu sinken anfing. Sie unterscheiden sich von den Romanen vom Hofe Karls des Großen und von der Geschichte Gottfrieds von Monmouth durch den Geist der irrenden Ritterschaft, der in ihnen herrscht.

Ich vermuthe, daß sie größtentheils in demjenigen Theile von Frankreich verfertigt sind, der normännischen Fürsten unterworfen war, und seit 1087 mit England in näherer Verbindung stand. Von den normännischen Abentheurern sind, wie ich glaube, die ersten Ideen von irrender Ritterschaft entlehnt, und die Kultur, welche wir früh im nördlichen Frankreich und in England antreffen, darf ich dem Zusammenfluß der Normänner aus diesen Gegenden mit den Griechen und Saracenen im untern Italien zuschreiben.

Doch ohne hier diese Vermuthungen weiter zu verfolgen und zu vertheidigen, will ich den Geist eines der ältesten Romane von der Tafelrunde in Beziehung auf meinen Zweck zu entwickeln suchen. Ich wähle dazu den Tristan le[WS 96] Lionois [297] und habe davon eine sehr alte Ausgabe vor mir. Der vollständige Titel lautet: Tristan Chevalier de la table ronde, nouvellement imprimé à Paris. Sie ist in Quart mit gothischen Lettern, bey Michel le Noir 1520 gedruckt. In der Bibliotheque des Romans par Mr. le C. Gordon de Percel wird keine gedruckte Ausgabe vor 1589 angezeigt. Eine deutsche, von dem Originale sehr abweichende Bearbeitung dieses Romans ist mir gleichfalls zu Gesicht gekommen. Sie ist ohne Jahrszahl bey Hofmann in Worms gedruckt, und aus den Reimen des Filhards von Oberet, der Angabe nach, gezogen.

In diesem Romane hält die Liebesgeschichte mit der Geschichte der Heldenabentheuer gleichen Schritt. Es sind die Begebenheiten zweyer Liebenden, ihrer unglücklichen Leidenschaft, ihrer Standhaftigkeit und Treue. Ihre Vereinigung geschieht sehr bald, sehr leicht, durch einen Liebestrank, den die Liebenden aus Versehen zu sich nehmen. Die Darstellung des Kampfs der Liebe gegen Pflicht, oder einer langen Bewerbung giebt nicht das Interesse her. Es liegt in den äußern Schwierigkeiten, welche die Liebenden bey dem Genusse ihrer Liebe finden, da die Dame Yseult la bleue an den König Marc verheirathet ist.

Es ist merkwürdig, daß die Romanenschreiber und die ihnen vorher gegangenen Dichter das Interesse ihrer Liebesgeschichten gerade in der Verbindung ihres Helden mit einer verheiratheten Frau gesucht, und aus diesem Umstande die Hindernisse hergeleitet haben, die sich der Liebe entgegen setzten. Die Gründe dieser ziemlich allgemeinen Erscheinung sind jedoch oben entwickelt. Die Situation ist unmittelbar aus den damahligen geselligen Verhältnissen der beyden Geschlechter gegen einander gezogen. Sie gewährt dem Romanenschreiber dasjenige Interesse, das wir allemahl an den Schwächen der Sinnlichkeit nehmen, wenn diese durch Umstände und Leidenschaft entschuldigt werden, und glänzende Folgen ihre Fehltritte bedecken.

Die irrende Ritterschaft erscheint hier in ihrem vollen Glanze. Die Ritter kämpfen nicht bloß im Kriege zwischen Nationen in gedrängten Haufen, in der Schlacht, sondern sie suchen einzeln Abentheuer auf, und messen ihre Kräfte mit denen anderer Abentheurer, ohne allen weitern Zweck als den, Proben ihres Muths, ihrer Stärke und ihrer Geschicklichkeit abzulegen.

Der Nahme Galanterie kommt nirgends vor. Die Weiber werden ziemlich so geschildert, wie wir sie bey Völkern auf der ersten Stufe der Kultur antreffen. Die Prinzessin Yseult von Irland versteht sich auf die Arzneykunst: sie wartet den Rittern bey Tische, ja! sogar in Begleitung ihrer Mutter im Bade auf. Wir finden mehr als ein Beyspiel von Prinzessinnen, die den Rittern zuerst Liebesanträge thun, und diese Liebe hat überall sehr materielle Zwecke. Der Vater hat ein unbedingtes Recht, die Hand seiner Tochter zu vergeben, und diese wird gar nicht um ihre Einwilligung gefragt. So verheirathet der König von Irland seine Tochter an den König Marc, und der König von Klein-Bretagne die seinige an Tristan. Die Söhne der Königin Dorcanie, Gauvain und Gahieriet, drohen ihre Mutter umzubringen, wenn sie ihr Liebesverständniß mit Lamoral de Galles fortsetzt. Telemach kann sich beym Homer gewiß nach unsern Begriffen nicht unanständiger gegen seine Mutter Penelope ausdrücken, als es hier diese beyden Ritter gegen die ihrige thun.

Die Damen sind nur selten bey den Tournieren zugegen, und wenn sie es sind, so stehen sie in der Entfernung an den Fenstern, verhüllt, und ohne den Antheil öffentlich zu zeigen, den sie an ihren Rittern nehmen. Diese empfangen nicht den Dank aus ihren Händen, tragen nicht ihre Farben, nicht die Geschenke, welche als Merkmahle ihrer Gunst gegeben sind. Alles das scheinen Ideen neuerer Zeiten zu seyn. Die Ritter schlagen sich um des Vorzugs der Schönheit ihrer Damen willen, wie sie sich darum schlagen, wenn einer dem andern seinen Nahmen nicht nennen, oder nicht aus dem Wege gehen will. Diese Veranlassung zum Streit scheint mehr dem Muthwillen der Kraft, als der Liebe anzugehören. Der Charakter der Haupthelden des Stücks wird bloß durch den Ausdruck ihrer Leidenschaft, durch ihre Standhaftigkeit und Treue interessant. Diese werden jedoch nicht sonderlich auf die Probe gesetzt. Yseult steht im Schatten gegen Tristan. Sie zeigt sehr laxe Begriffe von Sittlichkeit. Sie hat dem Gatten ihre treue Begleiterin, Brangien, in der ersten Hochzeitsnacht untergeschoben, damit dieser den Verlust ihrer Unschuld nicht bemerken solle, und sie zettelt nachher einen Plan an, diese treue Freundin umbringen zu lassen, und dadurch die Spuren ihres Betrugs völlig zu vertilgen. Sie ist es, die ein fortgesetztes heimliches Verständniß, wobey ihr Ruf nicht gefährdet wird, einer Entführung, wozu ihr Geliebter räth, vorzieht. Sie ist es, welche nachher, als dieser aus Rechtschaffenheit sich verheirathet, ihn seiner Gattin abspenstig macht. Sie ist es, die dem Schwager ihres Tristans durch einen heimlich an ihn geschriebenen Brief Hoffnungen giebt: sie ist es endlich, die ihrem Gemahl, als sie sich verrathen sieht, ihre Leidenschaft frech gesteht, und ihn sogar verläßt, um mit Tristan in einem doppelten Ehebruche öffentlich zu leben.

Tristan ist das Modell eines vollkommenen Liebhabers nach den Begriffen der damahligen Zeit, d. h. er ist höchst unternehmend zum Ruhm seiner Dame, und zugleich höchst empfindsam (langoureux.) Seine Bekanntschaft mit Yseult fängt damit an, daß diese ihn von seinen Wunden heilt. Inzwischen macht dieß keinen zärtlichen Eindruck auf sein Herz. Erst durch Eifersucht gegen Palamedes, der sich vor ihren Augen auszuzeichnen sucht, wird ihm der bloß eitle Gedanke eingeflößt, ihm den Rang abzugewinnen. [298] Als er gesiegt hat, wird er gefragt, wer den Preis davon getragen hätte? „Die schönste Demoisell, antwortet er, die ich je gesehen habe!“ Als er nachher Irland verlassen muß, vergißt er ihrer bald, wie der Autor sagt, und verliebt sich in die Frau des Segurades, mit der er auch eine sehr materielle Intrigue durchführt. Als er nachher seinem Onkle Marc schwört, daß er ihm die schöne Yseult als Gattin zuführen will, zeigt er keinen Schmerz darüber, sieht sie ohne Gemüthsbewegung wieder, reiset gleichgültig mit ihr ab, und wird nur gemeinschaftlich mit ihr durch einen Liebestrank, den Beyde aus Versehn mit einander leeren, von Liebe entflammt. Der Autor hat durch diese Maschinerie dem Interesse seines Werks unstreitig geschadet; aber er hat sie für nöthig gehalten, um das Unsittliche in dem Verständnisse seines Helden zu mildern.

Von dieser Zeit an lebt Tristan mit Yseult in der engsten Vertraulichkeit, die aber durch die Eifersucht des Königs Marc oft unterbrochen wird. Endlich entschließt sich Tristan im Gefühl der Unrechtmäßigkeit seiner Verbindung, sich zu verheirathen. Allein er lebt mit seiner Gattin, ohne die Ehe zu vollbringen, und kehrt bald zu seiner Geliebten zurück. Der Verdacht einer von ihr begangenen Untreue stürzt ihn in Verzweiflung, und bringt ihn um seinen Verstand. Er erhält diesen endlich wieder, setzt den König Marc gefangen, und zieht mit seiner Dame zum König Artus. Allein unterdessen, daß er den St. Graal sucht, wird Yseult mit dem Könige Marc durch Vermittlung des Königs Artus wieder ausgesöhnt. Tristan sieht seine Dame noch einmahl, und da er nach Bretagne zurückkehren muß, nimmt er mit ihr die Abrede, daß sie lebendig oder todt wieder zusammen kommen wollen. Schiffe mit schwarzen Segeln sollen ihre Leichen überbringen. Weiße Segel aber sind das Zeichen ihres Lebens.

Tristan wird einige Zeit darauf, als er einen seiner Freunde auf einem verliebten Abentheuer begleitet, mit einem giftigen Pfeile verwundet. Er läßt seine Dame bitten, überzukommen, um ihn zu heilen. Seine Frau, die sein Verhältniß mit ihrer Nebenbuhlerin, und die zwischen ihnen getroffene Verabredung erfahren hat, bringt ihm die Nachricht, daß ein Schiff mit einem schwarzen Segel ankomme. Tristan, der seine Geliebte für todt hält, stirbt vor Gram, und Yseult folgt ihm bald nach.

Ich übergehe eine Menge von Episoden: die Nebenbuhler, die Tristan an Palamedes und seinem Schwager Rehedin findet, von denen der letzte vor Liebe stirbt, der erste aber überall durch Heldenthaten um den Besitz des Herzens seiner Dame mit ihm wetteifert, sich aber weit weniger tapfer und edel darstellt u. s. w.

Das Charakteristische der Form, welche die Liebe in diesem Werke annimmt, ist die Mischung des Unternehmungsgeistes des Liebhabers und seiner Ruhmsucht mit der hinschmelzenden, weinerlichen Stimmung seines Gemüths. Man sieht, daß der Verfasser seine Helden besonders dadurch interessant zu machen sucht, daß er ihnen eine doppelte Art des Edelmuths: den rüstigen, wackern, und den hinschmelzenden, beylegt.

Inzwischen finden wir bereits einen Charakter, der über den Ernst in der Liebe spottet, und sie als ein Mittel zum geselligen Vergnügen betrachtet. Dieser Ritter heißt Dinadam. Er wird zwar nicht als der erste unter den Helden dargestellt, aber er ist doch Tristans Freund und Waffenbruder. Dieser Charakter kommt nachher in mehreren Romanen wieder vor. [299] Er beweist, daß es auch in der Welt der irrenden Ritter zwey Arten über die Liebe zu denken gab, und daß selbst die leichtere nicht völlig getadelt wurde. Der Ausdruck der Leidenschaft ist übrigens äußerst naiv und wahr, und die Situationen haben zum Theil eine ergreifende Individualität.

Merkwürdig bleibt es zu gleicher Zeit, wie ausgebildet die Begriffe von Humanität und Courteoisie in diesem Romane, in Vergleichung mit den ältern Romanen vom Hofe Karls des Großen erscheinen. Hier ist der Held immer bescheiden: hier streiten Tristan und Lancelot um den Vorzug, ihr Verdienst dem Verdienste des Andern nachsetzen zu können: hier entläßt der Wirth seinen Gast, den er als den Mörder seines Verwandten erkennt, weil er die Rechte der Gastfreundschaft ehrt: hier befreyet der Ritter seinen Feind, der ihm den Tod geschworen hat, und nimmt Abrede mit ihm, sich an einem andern Orte auf Leben und Tod zu schlagen: hier endlich beweint der Nebenbuhler den Tod des begünstigten Liebhabers, um des Verlustes willen, den die Ritterschaft an ihm leidet.

Auffallend ist neben diesen Zügen von Edelmuth der Mangel an sittlichem Gefühle in so manchen andern Dingen. Tristan macht sich kein Gewissen daraus, seinen Freund auf einem verliebten Abentheuer zu begleiten, und den Gatten, der ihn verfolgt, über den Haufen zu stoßen. Yseults Verrätherey an Brangien wird mit der größten Gleichgültigkeit erzählt, u. s. w. Ueberhaupt erhalten alle Vergehen, zu denen die Liebe Veranlassung giebt, den Schein leicht zu verzeihender Schwächen.

Ungeachtet eine gewisse ferne Bekanntschaft mit verschiedenen Ideen der Morgenländer nicht zu verkennen ist, so scheint mir doch ein vertrauterer Umgang mit den Werken der Römer noch mehr hervorzuscheinen. Verschiedene Situationen sind offenbar aus der alten Fabellehre entlehnt. So ist die Episode des Apollo, der seine Mutter Chlorinde heirathet, und seinen Vater Sadoc erschlägt, offenbar nach der Geschichte des Oedipus gebildet: so ist in dem Ausgange des Romans, dem Tode des Tristan, der durch die Verwechselung der Segel veranlaßt wird, die Geschichte des Theseus nicht zu verkennen. Was aber am allersonderbarsten ist, jene Enthaltsamkeit, die Tristan gegen seine Frau aus Liebe zu seiner Geliebten beobachtet, ist ganz im Geiste der griechischen Romane, und eine ähnliche Situation findet man namentlich im Achilles Tatius.

Ich wage es nicht, irgend einen der übrigen Romane von der Tafelrunde in das zwölfte und dreyzehnte Jahrhundert zu setzen. Die Gebräuche und Sitten der Romane Perceforest, Lancelot dü Lac, Bliomberis, und einiger andern, deuten, wie mich dünkt, auf eine spätere Zeit hin.

Inzwischen bin ich aller angewandten Mühe ungeachtet nicht so glücklich gewesen, irgend einen davon im Originale einzusehen. Ich kenne sie bloß aus Auszügen, welche St. Palaye und die Bibliothek der Romane davon liefern. Nach diesen zu urtheilen herrscht im Lancelot eine ähnliche Intrigue wie im Tristan. Aber die Gebräuche der Ritterschaft haben schon eine gebildetere Form erhalten, und die Huldigungen, welche der Muth der Schönheit bringt, nähern sich mehr den Lehnsgebräuchen. Lancelot erscheint als Dienstmann der Königin Genevieva; er wirbt um ihre Gunst durch Heldenthaten, und wird förmlich von ihr zum Ritter angenommen.

In dem Romane Bliomberis ist die Intrigue noch um einen Grad mehr veredelt. Der Ritter steht in einem geheimen und verbotenen Verständnisse mit der unverheiratheten Tochter des Königs Pharamund. Diese verspricht demjenigen ihre Hand zu geben, der sich binnen zwey Jahren am mehrsten auszeichnen würde. Natürlich muß dieß Bliomberis seyn, und die Gefallenen richten sich dadurch wieder auf, daß die Dame demjenigen öffentlich angehören darf, der schon lange vorher das Recht gehabt hatte, ihr im Geheimen anzugehören.


Zehntes Kapitel.
Spuren einer edleren Denkungsart über die Liebe in der wirklichen Geschichte im zwölften und dreyzehnten Jahrhunderte.

Gehen wir auf die wirkliche Geschichte zurück, so finden wir im dreyzehnten und vierzehnten Jahrhunderte nur sehr schwache Spuren einer edleren Denkungsart über die Liebe, wie sie in den Werken der Troubadours erscheint.

Der Glaube an unschuldige Verbindungen zwischen Personen von verschiedenem Geschlechte außer der Ehe kann gewiß nicht ausgebreitet gewesen seyn, da wir so viele Satyren, so viel lustige Erzählungen aus diesen Jahrhunderten besitzen, die betrogene Ehemänner und Eltern zum Gegenstande haben. Gewiß ist auch die Idee, daß eine ungesetzliche Verbindung Nachsicht verdiene, wenn nur der äußere Anstand bewahrt würde, nicht allgemein angenommen gewesen. Die Verdorbenheit der Sitten war zu groß, und die gesellige Kultur zu geringe, als daß der große Haufe auf diesen Vergleich zwischen dem sittlichen Gefühle und der Sinnlichkeit hätte gerathen sollen. Durch die Kreuzzüge ward ein sehr nachtheiliger Tauschhandel von Ueppigkeit und Lastern zwischen Europa und Asien eingeführt. Selbst der heilige Ludwig war genöthigt, durch gesetzliche Vorschriften den Handel einzuschränken, den Ehemänner mit der Keuschheit ihrer Weiber trieben. [300]

Von der Verehrung, welche dem weiblichen Geschlechte bey öffentlichen Gelegenheiten gezollt seyn soll, finden wir in diesen Jahrhunderten gar keine Spur. Selbst in der Romanenwelt erscheinen sie nicht öffentlich bey Tournieren, theilen nicht den Preis aus, und sind nicht Schiedsrichterinnen des Kampfes. Alles dieß gehört in spätere Zeiten.

Sicher hat man dem Ritter bey der Ertheilung seiner Würde die Verehrung des zärteren Geschlechts nicht weiter zur Pflicht gemacht, als in so fern dessen bedrängter Zustand seine Hülfe und seinen Schutz verlangte.

Wir haben noch die Formel, wornach Graf Wilhelm von Holland die Ritterwürde erhalten hat: [301] wir haben noch die Beschreibung der Feyerlichkeiten, mit denen die Ritter des heiligen Grabes und anderer Orden aufgenommen wurden. Alles erstreckt sich auf die Verbindlichkeit, hülflose Wittwen und Waisen zu beschützen. [302]

Ich finde nur einen einzigen Zug beym Joinville, der auf den Einfluß schließen läßt, den das Frauenzimmer auf den kriegerischen Muth der damahligen Zeit gehabt haben kann. Joinville, der bekanntlich im Gefolge des heiligen Ludwigs war, vertheidigte mit dem Grafen von Soißons eine Brücke gegen die Saracenen. Bey dieser Gelegenheit sagte der Graf von Soißons: „Bey Gott! von diesem Tage wollen wir vor den Damen sprechen, wenn wir erst wieder daheim sind!“ [303] Diese Eitelkeit, die nichts für Liebe zu einer besondern Dame zeugt, legt der Denkungsart des Zeitalters nichts Charakteristisches bey.

In das zwölfte Jahrhundert gehören die berühmten Briefe der Heloyse an Abeilard. Man findet in ihnen den Ausdruck der heftigsten und dauerndsten Leidenschaft, aber nichts, was ihre Form, als diesem Zeitalter besonders angehörend, auszeichnete. Was sie mir merkwürdig macht, ist die auffallende Nachahmung der Alten, und besonders der Heroiden des Ovid, die sich so deutlich zeigen. Auffallend, und mit dem Geiste der in den Werken der Troubadours herrscht, übereinstimmend, ist auch die Aeußerung Heloysens, daß sie lieber in ungebundener Liebe mit Abeilard leben, als seine Gattin hätte werden wollen, theils, um mehr von ihm geliebt zu werden, theils, um seinem Ruhme weniger zu schaden. Ein Gedanke, den man zwar schon bey den Alten findet, der aber Vieles in der Denkungsart des damahligen Jahrhunderts aufklärt. Endlich scheint auch der Umstand bemerkungswerth, daß Heloyse an ihrem Geliebten besonders zwey Vorzüge unwiderstehlich gefunden hat: seine Beredtsamkeit, und sein Talent für Dichtkunst und Musik. „Seine Gedichte, sagt sie, wären in Jedermanns Munde, und hätten ihr Lob und ihre Liebe eben so allgemein verbreitet, als Neid und Mißgunst unter ihrem Geschlechte erweckt.“

Wie sehr widerlegen aber auch diese Briefe die Meinung derjenigen, welche sich die edlere Liebe der damahligen Zeit rein von aller Sinnlichkeit vorstellen! Heloysens Liebe überlebte den Verlust körperlicher Freuden, aber sie beweinte ihn, und sehnte sich oft nach ihnen zurück.

Laßt uns aus allen diesen Zügen, welche die Welt der Dichtung, so wie die wirkliche im zwölften und dreyzehnten Jahrhunderte liefern, so viel schließen: daß nur wenig Menschen daran gedacht haben, ihre engeren Geschlechtsverbindungen zu veredeln: daß selbst von diesen wenigen kein Zusammenhang, keine Ubereinstimmung in ihrer Denkungsart über die Liebe zu erwarten sey: daß man bey ihnen keine Begriffe von reiner Seelenliebe annehmen dürfe: daß aber der Geschmack im Ganzen dahin gegangen sey, sich die Leidenschaft der Geschlechtssympathie als die Nährerin des kriegerischen Muths und der Ruhmbegierde, und als die Beförderin des sympathetischen Edelsinns, der feineren Sitten, und der geselligen Unterhaltung zu denken, und daß man endlich diese Vorzüge besonders von einem ehelosen Verständnisse mit Damen von hohem Stande erwartet, und ihnen entweder unvermeidliche Fehltritte nachgesehen, oder vorausgesetzet habe, daß diese letzten, äußerer Hindernisse wegen, nicht leicht Statt finden könnten.

Darstellungen der Liebe unter dieser Gestalt haben besonders in Gedichten und Romanen gefallen. Hin und wieder, aber gewiß nicht häufig, sind wirkliche Verbindungen auf ähnlichen Grundsätzen gebauet gewesen.

Versteht man nun unter dem Worte Galanterie eine allgemein ausgebreitete und festgegründete Sitte, wornach der Einfluß edlerer Geschlechtsverbindungen auf das wirkliche Leben anerkannt und gebilligt würde, so läßt sich in diesen beyden Jahrhunderten nur der Keim dazu antreffen.

Ein und zwanzigstes Buch.
Denkungsart des Abendlandes über Geschlechtsverbindung und Liebe, im vierzehnten, funfzehnten, sechzehnten Jahrhunderte, und zu Anfang des siebzehnten. Weitere Ausbildung der Galanterie.


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Ich halte mich berechtigt, mit dem vierzehnten Jahrhunderte eine neue Periode angehen, und diese bis in die erste Hälfte des siebzehnten fortdauern zu lassen. Die nähere und mehr ausgebreitete Bekanntschaft mit den Werken der Alten, und besonders mit denen des Plato, der romantische Hof Eduards des Dritten, die beginnende Ausbildung der Landessprachen unter den mehrsten Nationen von Europa, das Erscheinen des Petrarka und der spanischen Romane machen hier Epoche, in so fern eine solche sich in der Geschichte der Sitten annehmen läßt. Von nun an fängt das Bestreben an, dem Abentheuerlichen in den Gesinnungen des zwölften und dreyzehnten Jahrhunderts einen excentrischen Adel, der Förmlichkeit ihres Ausdrucks in den Verhältnissen des geselligen Lebens Grazie beyzulegen. Sowohl in dieser Periode als in der vorigen entfernten sich die Menschen von dem Natürlichen und Geschlanken. Aber die früheren aus Ueberspannung und Unbehülflichkeit: die letztern aus Anmaßung und Ziererey. Die Sitten behielten in ihren Grundzügen die nehmliche Gestalt, welche ihnen die vorigen Jahrhunderte gegeben hatten, aber die nachfolgenden arbeiteten sie aus dem Rohen aus. Dieß hat den Irrthum befördert, diejenige Denkungsart, welche im vierzehnten, funfzehnten, sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderte herrschend war, bereits dem zwölften und dreyzehnten, ja! dem ganzen Mittelalter beyzulegen.

Bis zur Majorennität Ludewigs des Vierzehnten in Frankreich scheinen die Sitten, ihrem Hauptcharakter nach, ziemlich die nehmlichen geblieben zu seyn, und bis dahin lasse ich auch die jetzt angefangene Periode fortdauern. Besonders hat die Galanterie in diesem Zeitraume ihren Nahmen, eine bestimmtere Form, und ihren höchsten Wachsthum erhalten. Man darf jedoch auch hier keinen ununterbrochenen Zusammenhang, keine Allgemeinheit der Grundsätze, und noch weniger Stätigkeit in ihrer Befolgung bey der Menge annehmen. Die Galanterie hat oft in einem und dem nehmlichen Jahrhunderte verschiedene Wechsel des Flors und des Verfalls erfahren. Sie ist nach Verschiedenheit der Länder und Nationen sehr verschieden modificiert worden. Dieser letzte Umstand unterscheidet die gegenwärtige Periode besonders von der vorigen, worin eine verfeinerte Art, über Geschlechtsverbindung und Liebe zu denken, nur auf wenig kultivierte Länder eingeschränkt war. Noch aber muß man die Galanterie hauptsächlich unter den obersten Ständen aufsuchen, und selbst hier nicht erwarten, daß ihr Ansehen völlig unbestritten gewesen sey. Es gab selbst unter den Hofleuten mehrere Indifferentisten, Ungläubige und Spötter ihrer Würde und ihrer Lehren. Was die Dichter und Historiker der damahligen Zeit – und diese letzten waren vermöge ihrer Liebe zu dem Wunderbaren oft bloße Romanenschreiber, – von der Achtung gegen das schöne Geschlecht erzählen, darf nicht unbedingt als wahr, und allgemein eingeführt angenommen werden. Kurz! bey dem Sittengemählde, das wir von dieser Periode aufzustellen haben, ist vielleicht mehr als irgend sonst die höchste kritische Behutsamkeit, und eine genaue Unterscheidung der Länder, Zeiten, Stände und Quellen unserer Nachrichten nöthig.


Zweytes Kapitel.
Philosophie des gemeinen Lebens, schöne Litteratur, Geist der Ritterschaft, geselliger Ton überhaupt, in dieser Periode.

Der Zeitraum, den ich hier umfasse, hat also diejenigen Sitten, wozu das zwölfte und dreyzehnte Jahrhundert die Anlage geliefert hatten, weiter ausgebildet.

Auffallend ist es, daß der wiederauflebende Geschmack in den schönen Künsten, in der Philosophie, und den Verhältnissen des geselligen Lebens, beynahe in eben der Gestalt wieder erscheint, worunter er zu den Zeiten des Verfalls des Römischen Reichs allmählig vor unsern Augen verschwunden war. Die Gründe sind nicht schwer zu errathen. Er war nie ganz untergegangen: weder in den occidentalischen Schulen, noch unter der guten Gesellschaft von Konstantinopel: und der menschliche Geist versuchte fortwährend seine Kräfte gegen den Druck des Aberglaubens und politischer Despotie.

Nachdem auf der allgemeinen Kirchenversammlung zu Vienne im Jahr 1311 verordnet war, daß auf den berühmtesten Universitäten des Abendlandes Lehrstühle der griechischen und arabischen Sprachen angesetzt werden sollten; nachdem die Gelehrten immer mehr anfingen, in ihrer Landessprache zu schreiben; so ward die Bekanntschaft mit den Werken der Alten, mit ihrer Philosophie und ihrem Geschmack immer genauer und ausgebreiteter. Aber die Scholastik, der Mysticismus, die Autorität der Kirche, hemmten den Flug des forschenden Geistes, und zogen ihn größtentheils vom Nachdenken über Angelegenheiten des praktischen, besonders des geselligen Lebens ab. Die Versuche dieser Zeit, über die Sitten zu philosophieren, enthalten spitzfindige Untersuchungen über die Natur und die Bestimmung des menschlichen Willens, wobey man die Lehren der ältern Philosophen, der Araber und der Kirchenväter zu vereinigen suchte; alle bemühen sich, den Menschen von den Dingen dieser Welt zur Vereinigung mit Gott zurückzuführen. Ein unnützer Prunk mit Citaten, Grübeleyen, allegorischen Bildern und Deklamationen zeichnet sie eben so sehr aus, als die Ueberspannung der Begriffe von menschlicher Vollkommenheit.

Man findet also gleich hier den allgemeinen Charakter der Zeit wieder: eingebildeten Adel, falschen Schmuck. Der Mensch sollte von der Sinnlichkeit abgezogen, und schon hier ins Reich der Geister eingeführt werden, und man nutzte diese Lehre, um Gelehrsamkeit, Erfindungskraft, Witz und Wohlredenheit an den Mann zu bringen. Die mehrsten Dichter der damahligen Zeit machten Anspruch auf tiefe Kenntniß der Philosophie, und die Philosophen auf Dichter- oder wenigstens auf Rednertalent. Citate aus der Bibel und aus den Kirchenvätern wechselten mit andern aus den Dichtern und Philosophen der Alten, und die Mythen des Plato dienten so gut wie die Schöpfungsgeschichte des alten Testaments und die Astrologie zur Erklärung unserer Triebe.

Zweyerley Hauptarten gab es damahls unter den Philosophen, welche über die Natur des Menschen und seine Bestimmung nachdachten. Die eine vertiefte sich in spitzfindige und metaphysische Spekulationen: die andere hing einem religiösen Mysticismus nach, der in frommer Einfalt und mit einem brennenden Herzen an Gott hing, und die Wirkungen, welche die Leidenschaft zum Geschlecht einflößen kann, auf die Liebe zu dem höchsten Wesen übertrug.

Nur einzelne Philosophen warfen späterhin die Fesseln ab, welche ihnen ihr Zeitalter anlegte. Aber ihre Untersuchungen waren entweder nicht auf Angelegenheiten des geselligen Lebens gerichtet, oder, so wie beym Montaigne, nicht mit demjenigen Enthusiasmus vorgetragen, der die Herzen ihrer Zuhörer mit sich hätte fortreißen mögen.

Die schöne Litteratur nahm Vieles von dem Geiste der damahls herrschenden Philosophie in sich auf: Besonders die metaphysische Wendung in der Betrachtung der Leidenschaften, und die excentrischen Ideen über die Bestimmung des Menschen. So wie ihre Schwester, – und in diesem Zeitraume zeigt sich zuerst im Mittelalter die Anerkennung ihrer Verwandtschaft – so wie die Philosophie, sag’ ich, prunkte auch die Dichtkunst mit einem unnützen Aufwande von Gelehrsamkeit. Das Bestreben, fremde Muster und einheimische Vorgänger an poetischem Schwunge und Ausdruck zu übertreffen, verbunden mit falschen Begriffen von Politur und Leichtigkeit, brachte weit hergehohlte Allegorien, überspannte Empfindungen, hyperbolische Redefiguren, und zugleich die Sucht hervor, überall elegant und witzig zu erscheinen.

Inzwischen gewannen doch die einheimischen Sprachen an Bildung, und die dichterischen und rednerischen Kompositionen erhielten mehr innern Zusammenhang, Ordnung und Wahrscheinlichkeit. Italien brachte im funfzehnten und sechzehnten Jahrhunderte auf gothischem Grunde Früchte hervor, welche der Geist der Alten genährt und gewartet hatte; England und Spanien lieferten Werke, in denen das Genie den Mangel an gutem Geschmack oft übersehen läßt. Aber dieß letzte Land ward auch vermöge des ausgebreiteten und starken Gewichts, das es in allen Ländern von Europa hatte, eine der Hauptursachen, wodurch das Uebertriebene, Abentheuerliche, Pomphafte, das Inhalt und Styl der spanischen Dichter und Romane auszeichnet, und das sie wahrscheinlich den Arabern zu danken hatten, den bescheidenern Glanz der Italiäner, und die Wahrheit, Natur und Einfachheit der Alten verdrängte. Ueberhaupt waren die Spanier und Italiäner die Lehrer der übrigen Nationen, deren Nachahmungssucht zwischen dem Geschmack beyder schwankte, und sich bald mehr zu dem einen, bald mehr zu dem andern hinneigte.

Man darf sich den Einfluß der schönen Litteratur auf die untern Stände in diesen Zeiten lange nicht so stark denken, als bey uns, wo die Gelegenheit, Bücher zu erhalten, durch die Buchdruckerkunst so sehr erleichtert, und die Neigung zur Lektüre so allgemein verbreitet ist. Die Bildung für das gesellige und handelnde Leben, welche durch Bücher erhalten werden kann, schränkte sich hauptsächlich auf die obern Stände, auf die Höfe, und die reicheren Bürger großer Städte ein.

In den Sitten dieser Klasse ist der Einfluß einer durch die genauere Bekanntschaft mit den Alten verbesserten Litteratur nicht zu verkennen. Das, was man den Geist der Ritterschaft nennt, hat ihn besonders empfunden, und sein Wesen in dieser Periode verdient um so mehr eine nähere Beleuchtung, da er mit der Galanterie in so genauem Verhältnisse steht.

Man hat unstreitig von sehr frühen Zeiten an den Stand der wehrbaren Männer, die zu Pferde stritten, von demjenigen der Soldaten, die zu Fuße kämpften, unterschieden. Man hat die Aufnahme in jenen ersten Stand mit Ceremonien begleitet, und ihm gewisse besondere Pflichten vorgeschrieben. Diese förmliche Wehrbarmachung ist um so wichtiger gewesen, da sie gemeiniglich mit der Belehnung über gewisse Güter verbunden gewesen ist. Es haben sich in diesem Stande früh einige Personen als kühne Abentheurer ausgezeichnet, und sich dadurch ein gewisses Ansehn bey den übrigen, einen gewissen Vorzug vor ihnen erworben, der in der Folge gesetzlich bestätigt, und unter gewissen Feyerlichkeiten als eine öffentliche Würde, und als ein Rang im Staate ertheilt ist. Dadurch sind gewisse Ordnungen in den berittenen Soldatenstand eingeführt, der sich bald wie eine jede andere Zunft organisiert, und sich in Lehrlinge, (Knappen) und Meister, (Ritter) als Stufen, getheilt hat. Endlich sind gewisse besondere Korporationen unter dieser organisierten Zunft gebildet worden, welche sich durch besondere Pflichten und Gebräuche auszuzeichnen gesucht haben; und von den Regenten bald mehr bald weniger begünstigt sind.

Daher die verschiedenen Bedeutungen des Worts, Ritter, das bald nur einen berittenen und wehrhaft gemachten, bald einen durch Belehnung zum Roßdienst verpflichteten Soldaten, bald einen zünftigen Krieger dieser Art, bald einen zünftigen Reuter von der ersten Rangstufe, bald endlich das Mitglied einer besondern Korporation von Abentheurern andeutet.

Dreist darf man nun annehmen, daß die zunftmäßige Einrichtung unter den berittenen Kriegern vom eilften, höchstens zwölften Jahrhunderte an bis tief ins sechzehnte Jahrhundert hinein in den mehrsten Ländern von Europa bestanden hat: nur mit der Bestimmung, daß ihre innere Einrichtung keinesweges in allen Ländern die nehmliche gewesen, darüber unter einigen Regenten strenger als unter andern gehalten, und daß ihr Ansehn in eben diesem Verhältnisse gestiegen und gefallen ist. Dagegen haben die besonderen Korporationen der Ritter, und besonders jene Art von Abentheurern, die man unter den Nahmen der irrenden Ritterschaft kennt, nur zuweilen, und gar nicht allgemein existiert.

Diese Bemerkungen sind äußerst wichtig, wenn man das Ritterwesen des Mittelalters darstellen, und aus den Gebräuchen und Sitten desselben seinen Geist entwickeln will. Sie sind von St. Palaye ganz übersehen, und bey allen Verdiensten, die er als Sammler hat, kann man ihm nur sehr wenige als kritischem Geschichtsschreiber beylegen.

Die Pflichten, die Rechte, die Denkungsart, die Gebräuche der Ritterschaft sind in keinem einzigen Lande, und am wenigsten in jedem,[WS 97] den ganzen Zeitraum hindurch, worin sie geherrscht hat, die nehmlichen gewesen. Man kann nicht behaupten, daß der Geist dieser oder jener besondern Korporation der ganzen Zunft eigen gewesen sey, ja! man muß sich besonders hüten, den Charakter, den dieß oder jenes Mitglied entweder wirklich gehabt hat, oder der ihm von seinem Lobredner beygelegt ist, dem ganzen Orden, oder auch nur dem größeren Haufen unter ihm zuzuschreiben. Man kann ferner dreist annehmen, daß gewisse Gebräuche, daß ein gewisses Betragen, daß gewisse Vorrechte und Pflichten bloß bey feyerlichen Gelegenheiten, besonders bey Tournieren, nicht selten als Ingredienzen eines pomphaften Schauspiels beobachtet sind, oder überhaupt mehr in den Vorschriften und in den aufgestellten Idealen, als in der Ausübung und in der Wirklichkeit existiert haben.

Es ist hier nicht der Ort, dieß alles weiter auszuführen. Genug! die glänzendsten Perioden der Ritterschaft sind unstreitig die Regierung Eduards des Dritten in England, und nachher Karls des Sechsten und Siebenten in Frankreich gewesen.

In diesen Zeiten findet man einen romanhaften Pomp an den Höfen, kühne Abentheurer und besondere Korporationen von Rittern. Zu gleicher Zeit zeigt sich aber auch ein bestimmteres Ritual bey der Aufnahme in die kriegerische Zunft, bey der Haltung der Tourniere, und bey den Huldigungen, welche dem schönen Geschlechte dargebracht wurden. Auf dieß Ritual hat unstreitig die zunehmende Geisteskultur Einfluß gehabt; und der Geschmack an Allegorien, Pomp, und umständlicher Förmlichkeit, der die Werke der schönen Litteratur in diesen Zeiten auszeichnet, findet sich zugleich mit der zunehmenden Ordnung und Ahnung des Anständigen und Schicklichen in den Gebräuchen der besonderen Ritterorden jener Höfe wieder.

Von diesen Zeiten gilt das Mehrste, was St. Palaye über den Charakter des Ritterwesens anführt, und es gilt nur von der Verfassung einzelner Korporationen, von demjenigen, was bey feyerlichen Gelegenheiten beobachtet ist, oft nur von dem Betragen und den Gesinnungen einzelner ausgezeichneter Helden, die dasjenige, was die Romane ihren excentrischen Idealen beylegten; zu realisiren suchten.

Wie unsittlich erscheinen nicht die Höfe Karls des Sechsten und Siebenten in Frankreich! Wie klagte der Ritter de la Tour im Jahre 1371 über die Abnahme der Rittertugenden! Wie waren im Jahre 1389 die Gebräuche der Ritterschaft schon wieder so sehr in Vergessenheit gerathen, daß der große Haufe die Gebräuche, welche Karl der Sechste wieder hervorsuchte, lächerlich fand!

Laßt uns ohne Vorurtheil sehen! Ein allgemeiner Geist der Ritterschaft hat entweder nie, oder wenigstens nicht in der Maße existiert, wie er gewöhnlich angegeben wird. Könnte man der ritterlichen Zunft in allen Ländern von Europa während der ganzen Dauer ihrer so oft veränderten Verfassung einen Esprit de corps beylegen: so würde es der einer tollkühnen Tapferkeit, und der eifersüchtigen Anhänglichkeit an Gesetzen einer eingebildeten und zunftmäßigen Ehre seyn, die viel weniger auf dem Gefühle sittlicher Selbstwürde, als auf Uebermuth, Folge der Absonderung von den übrigen Ständen, beruhte.

Aber dieß ist es nicht, was St. Palaye und Andre als den Geist des Ritterwesens darstellen. Es ist der Begriff aller Vorzüge und Tugenden, welche den vollkommnen Ritter bilden sollen: ferner der Gebräuche, der Gesetze, der Pflichten, welche dieser Held beobachten soll. Diesen Inbegriff haben sie aus den Vorschriften gewisser einzelner Korporationen, aus den Idealen gewisser Romane und panegyrischer Lebensbeschreibungen einzelner hervorstechender Ritter zusammengesetzt, und für den allgemeinen Geist der Ritterschaft ausgeben wollen.

Das war er nie! Aber merkwürdig sind diese Ideale, weil sie die excentrischen Begriffe von Sittlichkeit derjenigen, die sie aufstellten, und ihre Ziererey in Rücksicht auf Anstand und feine Lebensart beweisen. Merkwürdig sind sie ferner, weil sie in denjenigen Zeiten, worin die Ritterschaft längst abgekommen war, noch auf die Imagination der Nachkommen um so stärker wirkten, als sie das Ansehn des grauen Alterthums gewonnen hatten, und ihre Wahrheit und Zweckmäßigkeit nach ihrer Uebereinstimmung mit der damahligen Ordnung der Dinge in der Gesellschaft nicht mehr geprüft werden konnte. Aber wir, die wir mit kaltem Blute beobachten, wir finden darin weiter nichts, als die Arbeit müssiger, schwärmerischer und spitzfindiger Köpfe, die, so wie es noch heut zu Tage bey jeder Einrichtung einer zunftmäßigen Gesellschaft geht, alle Kardinaltugenden zu Gesetzen für die Mitglieder des Ordens machten, seine Einweihung an eine Menge kleinlicher und allegorischer Gebräuche banden, und bey den Darstellungen, die sie von dem vollkommenen Bruder liefern, diesen mit allen dem Prunke und der Charlatanerie auftreten lassen, der die Wirkung des glücklichen Abentheurers oder Virtuosen auf den großen Haufen sichert.

Daß der Geist, der zuweilen in den edleren Korporationen der Ritterschaft herrschte, auf das gesellige Verkehr, besonders bey Höfen, eingewirkt habe, das ist im Ganzen nicht zu läugnen. Aber sein Einfluß ist immer periodisch und theilweise anzunehmen. Die größte Ausschweifung der Sitten, die ungebändigsten Leidenschaften, eine beynahe unbegreifliche Rohheit in der Wahl der Vergnügungen, und eine gänzliche Unbekanntschaft mit den Gefühlen der Sympathie und des Anstandes, zeigen sich neben der strengsten Ehrbarkeit, und den höchsten Aufopferungen der Selbstheit. Die Liebe zu pomphaften Aufzügen, Festen, Jagden, Ritterschlag, Tournieren und dramatischen Schauspielen ward immer allgemeiner, je mehr der Wohlstand und das Bedürfniß nach Unterhaltung zunahm, und die Mittel dazu im engeren Zirkel kärglich blieben.

Der gesellige Ton gewann an Politur. Aber die unbehülfliche Förmlichkeit der vorigen Jahrhunderte wechselte nur mit einem eben so steifen Ceremoniel ab, das schöneren Formen nachstrebte. Man sprach besser, man geberdete sich reitzender. Aber alles war dabey auf das Verhältniß von Menschen berechnet, die sich selten, und nur bey feyerlichen Gelegenheiten sehen. Man konnte die Linie nicht treffen, wo sich Unbefangenheit von Ausgelassenheit, Zuvorkommung von andringlicher Schmeicheley, Selbstvertrauen von repräsentierender Anmaßung scheiden. Darum war man aufmerksamer auf sich selbst und Andre, als der tägliche Umgang es erlaubt. Man sann zu sehr darauf, sich in Geberden und Ausdrücken schön, und wohlgefällig zu zeigen: hielt methodische Gespräche, wo man Gefühle des Herzens und Gedanken des Augenblicks mit einander austauschen wollte, verwechselte Lobreden mit Höflichkeitsbezeugungen, und übertrieb aus ängstlicher Besorgniß, bey Andern widrige Empfindungen zu erregen, oder sich selbst etwas zu vergeben, die Beziehungen und Rücksichten auf die Verhältnisse um sich her. [304]

Hieraus entstand ein Ceremoniel, das nicht allein den Fehler an sich trug, das Zweckmäßige und Schöne im geselligen Umgange, (wie wir es etwa bey feyerlichen Gelegenheiten billigen würden) auf eine schwerfällige und steife Art im gewöhnlichen Leben auszuüben, sondern der zunftmäßige Geist der Höfe und der Ritterschaft vergrößerte diesen Fehler noch durch eine Menge willkührlicher Formen, die keinen andern Zweck haben konnten, als den, sich durch etwas Besonderes und Auffallendes im äußern Betragen sogleich als Mitglied einer abgesonderten und hervorragenden Gesellschaft anzukündigen.

Außerdem wurden die Gesetze der Sittlichkeit mit den Vorschriften dieses Ceremoniels in den Anleitungen zur Wohlerzogenheit zugleich vorgetragen, und der Begriff von beyden wurde beynahe immer verwechselt. Eine natürliche Folge davon war diese: daß die Aeußerungen der Courteoisie, der Höflichkeit, die ganze Form der Ausübung einer Tugendpflicht annahmen, und daß ein Ritter, oder höfischer Mann, der nach den Regeln der Courteoisie seinem Kameraden, oder einer Dame die natürlichen Gesinnungen der Gefälligkeit, der Aufmerksamkeit, der Menschenliebe und Achtung bezeugen wollte, sich dabey mit einer Wichtigkeit geberdete, als ob er dem höchsten Wesen in der tiefsten Niederwürfigkeit seine Huldigung darzubringen hätte.

Diese Bemerkung scheint mir sehr wichtig. Vieles, was in dem Ausdrucke geselliger Gesinnungen dem


Lateinischen Communis vitae inter homines scita Urbanitas. Lyon 1623.

Herzen und dem Gefühle anzugehören schien, war zunftmäßige Losung des Ritters oder höfischen Mannes: Ceremoniel, Courteoisie.


Drittes Kapitel.
Lage der beyden Geschlechter zu einander in den weiteren Verhältnissen des geselligen Umgangs.

Unstreitig haben die Romane und Gedichte der beyden vorher gegangenen Jahrhunderte dazu beygetragen, dem Frauenzimmer einen höheren Begriff von seiner Wichtigkeit einzuflößen, und den Männern mehr Achtung für dasselbe beyzubringen. Inzwischen scheint mir doch von dem immer wachsenden Ansehn des zärteren Geschlechts vieles auf Rechnung derjenigen Damen gesetzt werden zu müssen, welche sich am Hofe Eduards des Dritten durch ihre männliche Entschlossenheit, durch ihren kriegerischen Muth, in Verbindung mit allen weiblichen Tugenden, auszeichneten. Denn dieser Hof hat unstreitig damahls den Ton an den mehrsten übrigen angegeben, und so wie er selbst nach dem Muster älterer Romane gebildet war, wieder den neueren Romanen, in denen das Frauenzimmer eine weit wichtigere Rolle zu spielen anfängt, zum Muster gedient. Unter den Regierungen der nachfolgenden Könige von England und von Frankreich zeigt sich eben dieser heroische Geist unter dem Frauenzimmer, so wie ihr Einfluß auf die Regierung der Länder. Beynahe zu der nehmlichen Zeit standen in Italien einige gelehrte Damen auf, und in den nachfolgenden Jahrhunderten zeigten sich beynahe in allen Ländern von Europa Frauenzimmer, die sich durch ihre Talente und Kenntnisse einen Nahmen erwarben. Mehrere von ihnen strebten durch ihren unverheiratheten Stand, und mittelst des Rufs ihrer Unempfindlichkeit gegen die Liebe der Selbständigkeit ihres Geschlechts, der Gleichheit desselben mit dem unsrigen, ja! dem Vorzuge vor diesem nach. Die Königin Elisabeth von England ist eines der auffallendsten Beyspiele solcher Heroinen. [305]

Aber was mehr als dieß das Ansehn des schönen Geschlechtes hob, war das Bestreben des unsrigen nach einer höheren geselligen Politur. Wenn alle gesittete Völker die Weiber mit Schonung und Gefälligkeit behandelt haben, wenn im zwölften und dreyzehnten Jahrhunderte diese Behandlung eine unbehülfliche und eben darum umständliche Form angenommen hatte, so glaubte das Zeitalter, von dem wir reden, daß die höchste Stufe von Sittlichkeit, Menschenliebe und Bescheidenheit darin bestände, den schwächeren Theil des menschlichen Geschlechts zu vergöttern. Zu gleicher Zeit kleidete es seine excentrischen Gesinnungen, aus einem falschen Begriffe von Eleganz, in so hyperbolische Ausdrücke, daß man mit Recht von der Art, sich gegen das Frauenzimmer zu benehmen, sagen konnte, nichts klang in ihr wie Alles, und Alles wie nichts.

In diese Zeiten gehören eigentlich die öffentlichen Huldigungen, die dem Frauenzimmer bey allen feyerlichen Gelegenheiten dargebracht wurden. In diesen Zeiten wurde es den Rittern gewisser Korporationen zur Pflicht gemacht, nicht bloß hülfsbedürftige Weiber zu beschützen, sondern für die Ehre der Damen Blut und Leben aufs Spiel zu setzen. In diesen Zeiten endlich wurden sie Austheilerinnen des Preises bey Tournieren, Schiedsrichterinnen der Spielgefechte und übernahmen die Rollen allegorischer Personen, personificierter Tugenden u. s. w. bey den pomphaften Aufzügen, woran das Zeitalter so viel Geschmack hatte. Von nun an fangen sie auch an, bey Ritterschlägen gewisse Besorgungen zu übernehmen.

Aber wenn gleich dem schönen Geschlechte diese öffentliche Ehre oft widerfuhr, wenn es zum guten Tone gehörte, sie ihm nicht streitig zu machen; so war es doch gewiß nur eine eitle Ehre, die auf die Behaglichkeit des häuslichen Lebens, auf das Vergnügen des geselligen Umgangs, und auf ihre innere Zufriedenheit und das Ansehn bey ihren Gatten nur sehr wenig Einfluß hatte.

In keinem einzigen Lande von Europa, Frankreich seit der Zeit Franz des Ersten allein ausgenommen, kamen die beyden Geschlechter in gemischten Gesellschaften anders als durch Zufall oder bey öffentlichen Gelegenheiten zusammen. Aber auch alsdann waren sie von eifersüchtigen Männern und Anverwandten bewacht. Ueberall legen die Moralisten dem Manne die Oberherrschaft über die Frau bey. [306] Aus mehreren Zügen erhellet, daß der Gatte diese sehr despotisch ausgeübt, und die Theilnehmerin seiner Schicksale gemeiniglich auf die Sorge für ihren Putz und künstliche Handarbeit eingeschränkt habe. Ungeachtet sich einige Weiber durch höhere Geistesbildung auszeichneten, so war doch diese bey dem größeren Theile sehr kärglich, und erstreckte sich selbst bey jenen Virtuosinnen selten auf Dinge, die zur Ausfüllung ihrer Bestimmung und zur angenehmerern Unterhaltung in geselligen Zirkeln hätte dienen können.

Aber selbst jene dem zärteren Geschlechte öffentlich bewiesene Vergötterung war keinesweges allgemein. Man fand viele Spötter seines Ansehns, selbst unter den höheren Ständen, auf welche sich doch, wie wir schon oft bemerkt haben, die gesellige Kultur beynahe ausschließend beschränkte. Der Zustand der Weiber aus den untern Ständen verschwindet ganz in der Geschichte.

Von Franz des Ersten Zeiten an kamen die Damen des Hofes in Frankreich häufiger in Gesellschaft, und unter seinen Nachfolgern, besonders unter der Minorennität Ludwigs des Vierzehnten, in den damahligen bürgerlichen Kriegen, stiegen sie zur höchsten Stufe des Einflusses auf politische Angelegenheiten, die wir in der Geschichte kennen. Ihr Charakter war damahls im Ganzen stolz, intriguant, und nicht selten rauh und grausam; aber ihr Geist besaß eine seltene Bildung.

Viertes Kapitel.
Von den Lobeserhebungen der Weiber, und dem Streite über den Vorzug ihres Geschlechts vor dem der Männer.

Von dem vierzehnten Jahrhunderte an, ward es besonders in Italien Mode, dem schönen Geschlechte im Ganzen und im Einzelnen durch Lobschriften zu huldigen. Boccaz machte vielleicht den Anfang durch sein Werk, über die berühmten Weiber. Er fand eine Menge von Nachfolgern. Thomas [307] giebt uns eine Notiz von den Hauptschriftstellern, die sich in dieser Materie ausgezeichnet haben.

Bald warf man nun auch die Frage auf: ob das zärtere Geschlecht nicht den Vorzug vor dem stärkeren verdiene, oder mit diesem letzten nicht wenigstens gleichen Werth habe? Agrippa soll der erste gewesen seyn, der die Superiorität des Frauenzimmers zu behaupten wagte. [308]

Dieß Werk ist freylich kein bündiges philosophisches Raisonnement, aber es ist mit vielem Witz geschrieben. Man muß den Scharfsinn des Verfassers bewundern, der aus den Zügen der heiligen und profanen Geschichte, welche dem Ansehn des zärteren Geschlechts am nachtheiligsten zu seyn scheinen, Seiten hervorzuheben weiß, die es in dem vortheilhaftesten Lichte darstellen. Ich kann dieß kleine Buch, das ich mit Vergnügen gelesen habe, für nichts anders als für ein Spiel des Witzes halten, und nicht glauben, daß der Verfasser die ernsthafte Absicht zu überzeugen damit verbunden habe.

Unstreitig ist ein großer Theil der Schriften, die sich in der Folge mit diesem Gegenstande beschäftigt haben, aus dem Gesichtspunkte zu betrachten, daß ihre Verfasser einen Stoff zu Redeübungen suchten, worin sie ihre Gelehrsamkeit und ihren Scharfsinn[WS 99] zur Schau legen konnten, und Gelegenheit zu Deklamationen fanden. Alle Materien, worüber sich viel für und viel gegen sagen, und wobey sich viele Citate anbringen ließen, wurden in diesen Zeiten, worin Dialektik, und Rhetorik herrschten, begierig aufgesucht. Inzwischen möchte ich nicht läugnen, daß einige Kämpfer für die Ehre der Damen im wahren Eifer für die Gerechtigkeit der Sache die Feder geführt haben. Sie hatten zwey große Argumente für sich, deren eines ihnen die heilige Geschichte, das andere die platonische Philosophie darbot. Die Mutter Gottes, das erste Wesen unter allen Sterblichen, ist ein Weib gewesen; und wenn die Schönheit ein Abglanz der Gottheit ist, wer zeigt dann mehr davon, wer ist dadurch der höchsten Vollkommenheit näher, als das Frauenzimmer? [309]

Neben jenen Schriften zur Ehre der Damen findet man aber auch eine Menge, worin ihnen Hohn gesprochen wird. Schon Boccaz, ihr Lobredner, schrieb selbst ein Buch voll der unanständigsten Invektiven gegen Weiber und Liebe. [310] Er fand eine Menge von Nachfolgern. Eine der pöbelhaftesten Satyren wider die Weiber ist das Wörterbuch ihrer Bosheiten und Unvollkommenheiten. [311] Es verbindet mit der Unbündigkeit des Raisonnements die geschmackloseste Behandlung.

Man sieht hieraus, daß wenn es zum guten Ton gehörte, den Weibern öffentlich zu huldigen, dieß für die allgemeine und innere Achtung, deren sie genossen, sehr wenig beweiset. Ueberhaupt war es diesen Zeiten, worin die gesellige Bildung beynahe ganz auf die Höfe eingeschränkt war, mehr als allen andern eigen, den Schein von der Wirklichkeit, den Anstand von der Tugend, und besonders das öffentliche Leben von dem häuslichen und täglichen zu unterscheiden.

Fünftes Kapitel.
Begriffe und Grundsätze über die Liebe und engere Geschlechtsverbindung in diesem Zeitraume. Zuerst von den Ideen der Philosophen über diesen Gegenstand.

Ich glaube nunmehr alles vorbereitet zu haben, um zu dem eigentlichen Gegenstande dieses Werks übergehen zu können. Ich mache den Anfang mit Entwickelung der Ideen der Philosophen über Geschlechtsverbindung und Liebe. Denn von dieser Periode läßt es sich mit Gewißheit behaupten, daß die Schulen einen großen Einfluß auf den Geschmack in der schönen Litteratur, und durch diese auf das gesellige Leben gehabt haben.

Die Untersuchungen über die Natur der Liebe scheinen im[WS 101] Abendlande sehr früh ihren Anfang genommen zu haben. Equicola, [312] der zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts lebte, sagt uns, daß seit drey Jahrhunderten ein gewisses System darüber auf der Pariser Schule angenommen sey. Auch finde ich beym Millot in seiner Histoire des troubadours, daß Riquier, der zwischen 1254 und 1294 blühete, bereits eine methodische Eintheilung der Liebe, in die himmlische, natürliche, und körperliche angenommen habe, die mit der Lehre der Philosophen seiner Zeit, nach demjenigen was Equicola davon sagt, ziemlich übereinkommt.

Es ist nicht zu verwundern, daß dieser Gegenstand die Aufmerksamkeit der damaligen Weltweisen auf sich gezogen hat. Unsere Religion bauet ihre Moral auf Liebe; sie nimmt dieß Wort mit in den Begriff auf, den sie uns von dem höchsten Wesen giebt: die Kirchenväter, besonders Augustin, hatten viel über Liebe und Schönheit gesagt; Aristoteles hatte dieser Materie ein eignes Werk gewidmet, und die Araber machten sie zu einem Gegenstande ihrer spitzfindigsten Spekulationen.

Inzwischen scheinen sich diese Untersuchungen der Philosophie wenig mit der Geschlechtsliebe beschäftigt zu haben, die sie für eine schädliche Neigung, und für eine Geburt der Lüsternheit und der Faulheit hielten. Sie betrachteten die Liebe als den Grund des Zusammenhangs der Kreaturen mit Gott und unter sich: als die Aeußerung unserer Reitzbarkeit: als die Wirkung des Nützlichen, Guten, Angenehmen, Schönen auf unser Begehrungsvermögen: Kurz! die Lehre von der Entstehung der Welt, die Lehre vom menschlichen Willen, und ein großer Theil der Physik ward unter dieser allgemeinen Rubrik mit abgehandelt. Besonders aber suchte man mystische Ideen von der Beschauung Gottes und der Vereinigung mit ihm aus der Natur der Liebe herzuleiten, und das Bestreben darnach zur Pflicht zu machen. [313]

Nachdem jedoch Plato bekannter geworden war, und Petrarca seine Laura besungen hatte, fing man an, die Geschlechtsliebe mit in diese Erörterungen hinein zu ziehen. Man gab sich zu gleicher Zeit Mühe diesen Trieb zu veredlen, und ihn mit den Begriffen, welche man von der Würde des Menschen hatte, zu vereinigen. Von dieser Zeit an erhielten die Ausführungen über die Liebe zugleich den Reitz unterhaltender Deklamationen, über die interessantesten aller Leidenschaften, und über den Philosophen und den Dichter, die sie am erhabensten und feinsten in ihren Schriften dargestellt hatten.

Wir können inzwischen aus diesen Schriften wenig andern Gewinn erhalten, als den, zu erfahren, wie man damahls über diesen Gegenstand gedacht habe. Die Kenntniß des Wesens der Geschlechtsliebe ist, ich darf es dreist behaupten, wenig dadurch befördert worden. Es stand den Forschungen darüber geradezu im Wege, daß man den Beschauungshang und die Selbstheit niemahls von der Sympathie unterschied, und daß der Eindruck, den das Schöne und das Nützliche und Gute auf uns machen, von der Liebe nicht gehörig abgesondert wurde. Diejenigen, welche den Unterschied fühlten, wußten ihm dennoch nicht auf die Spur zu kommen, weil sie immer von der Idee ausgingen, daß das Schöne der Grund der Liebe sey, und daß der Zweck derselben im Genuß dieses Schönen liege. Selbst das Wahre, das in den ältern Philosophen, und besonders im Aristoteles zu finden ist, verdunkelte sich vor ihren


und Selbsttödtung, welche nach den Ideen der Mystiker der höchste Beweis der Liebe gegen Gott ist, auf die Art, wie man die Liebe zum Geschlecht zu veredlen gesucht hat, von dem größten Einflusse gewesen ist.

Augen, weil sie allemahl mystisch religiöse Gründe und Zwecke bey dem liebenden Zuge der Menschen zu einander voraussetzten.

Ich kann mich jedoch nach dem mir einmahl vorgesetzten Zwecke um so weniger der Pflicht entledigen, meinen Lesern Einiges von den Ideen der Schriftsteller aus der damahligen Zeit vorzulegen, als ihre Lehren gewiß auf die Ausbildung der Galanterie den größten Einfluß gehabt haben.

Der wichtigste ist Marsilio Ficino oder Ficinus. Man darf sagen, daß dieser Kommentator des Plato beynahe allen[WS 102] seinen Nachfolgern den Stoff zu ihren Ideen geliefert habe. In seinem Kommentare über das Gastmahl des Plato [314] erklärt er die Liebe für das Verlangen nach Schönheit. „Die Vereinigung des Mannigfaltigen nennt er Schönheit, und setzt drey Arten derselben fest, die geistige, welche aus der Vereinigung mehrerer Tugenden entsteht, die körperliche, die ihren Grund in der Vereinigung der Farben und Linien hat, und endlich die Schönheit der Töne, die in der Vereinigung der Konsonanzen und Accorde besteht. Diese drey Arten der Schönheit werden durch den innern Sinn, und durch die äußern des Auges und des Ohres erkannt und genossen. Wenn wir mit den übrigen Sinnen begehren, so ist dieß nicht Liebe, sondern eine übelgeordnete Neigung oder Wuth. Die Liebe flieht die Wollust des Geschmacks und der Berührung. Jeder wahrhaft Liebende ist gerecht und gut. Wo der Körper allein schön ist, müssen wir nur wenig lieben: wo der Geist schön ist müssen wir standhaft lieben. Wo aber beydes zusammen schön ist, dürfen wir uns ganz der Liebe überlassen.“

„Was liegt aber bey unserm Zuge zur Schönheit zum Grunde? Die Lust an der himmlischen Schönheit. Diese findet sich theils in der göttlichen Intelligenz, oder in den göttlichen Ideen, die sich nicht mit der Materie verbunden haben, theils in der Welt, oder in Allem, was nach jenen Ideen von Gott geschaffen ist. Die Lust an der Erkenntniß jener ersten Schönheit ist die himmlische Venus; die Lust an der Zeugung solcher Formen, welche einen Abglanz der himmlischen Schönheit an sich tragen, ist die zweyte Venus. In beyden ist also Liebe vorhanden: in der ersten ein Verlangen, das Geistige anzuschauen, in der zweyten ein Verlangen, das Schöne hervorzubringen. Beyde Arten zu lieben, sind ehrbringende: beyde folgen dem göttlichen Bilde. Wenn aber Jemand die körperliche Zeugung der geistigen, oder die Gestalt des Körpers der Schönheit des Geistes vorzieht; so ist dieß ein tadelnswürdiger Mißbrauch der Liebe.“

„Es giebt eine einfache und eine wechselseitige Liebe. In der ersten stirbt sich der Liebende selbst ab, um für den Andern zu leben. In der zweyten leben zwey Liebende einer für den andern. Diejenigen, die sich wechselseitig lieben, suchen Schönheit an einander zu genießen. Aber nur durch den[WS 103] innern Sinn und durch das Auge. Das Verlangen nach Berührung ist nicht Liebe, sondern ungeordnete Begierde, Perturbazion eines knechtischen Gemüths. Der Genuß der Schönheit des Geistes ist viel edler, als der der Schönheit der Körper.“

„Die Schönheit an sich ist nichts Körperliches. Man darf ihren letzten Grund nicht in der Uebereinstimmung der Theile suchen, sondern darin, daß diese Uebereinstimmung ein Abglanz der Einheit Gottes ist. Die Materie sucht sich nach dem Bilde ihres Urhebers einzurichten. Weil ein Körper mehr als der andere von dem Abglanze Gottes enthält, (eben so wie ein Gebäude mehr als das andere den Charakter und den Geist des Baumeisters ausdrückt) so liegt auch darin der Grund, warum ein Mensch besser gefällt, als der andre.

„Die Liebesgötter (amores) sind Mittelgötter, Engel, Dämonen, Diener Gottes und der Ideen, die in dem göttlichen Geiste sind. Der Mensch hat ihrer zwey in sich: einen guten und einen bösen. Dieß sind beständige Grundneigungen, Anlagen zum Wollen und Handeln, vermöge deren der Mensch sich auf der einen Seite zur Beschauung der himmlischen Schönheit, auf der andern zur Begattung hingezogen fühlt. In der Mitte liegen drey veränderliche Stimmungen des Willens, Affektionen, von denen die eine sich mehr dem Vergnügen der Beschauung der himmlischen Schönheit und dem kontemplativen Leben, die andere mehr der Wollust der Berührung, dem grobsinnlichen Leben, nähert. In der Mitte liegt die Stimmung zum aktiven, geselligen Leben, vermöge deren wir uns begnügen am Anblicke der Schönheit, und am Umgange mit ihr Vergnügen zu nehmen, ohne uns zur Betrachtung der himmlischen Schönheit dadurch zu erheben. Alle Liebe wird uns folglich durch das innere oder äußere Auge zugeführt: aber bey dem kontemplativen Menschen steigt sie zu einem Verlangen nach demjenigen, was nur der Verstand genießen und begreifen kann; bey dem wollüstigen sinkt sie zu demjenigen herab, was die gröberen Sinne genießen, und bey dem aktiven Menschen bleibt sie beym Genuß des geselligen Umgangs, und der gegenwärtig angenehmen Empfindungen für die edleren Sinne stehen. Also giebt es eine dreyfache Liebe: die erste heißt die göttliche, die zweyte die thierische, die dritte die menschliche.“

Dieß sind die hauptsächlichsten Ideen des Ficinus, in so fern sie in meinen Plan gehören.

Mario Equicola D’Aluetto liefert uns in seinem Werke Di Natura d’Amore, [315] im ersten Buche einen Auszug aus den Systemen mehrerer Philosophen und Dichter, die vor ihm geschrieben haben. Dieser Auszug ist aber größtentheils sehr mangelhaft, und dadurch unverständlich. So viel sieht man inzwischen daraus, daß die platonischen Ideen in dem freylich ziemlich entstellten Bilde, welches Ficinus davon geliefert hatte, beynahe allgemein angenommen, und nur mit einigen Zusätzen verbrämt waren.

Ein paar herrschende und mit Eigenthümlichkeit dargestellte Ideen in diesen Systemen will ich herausheben. Es giebt eine doppelte Welt. Eine intellektuelle, und eine sinnliche. Die erste, die auch Welt der Engel genannt wird, wird so erklärt: „Gott, als Baumeister der Welt, entwirft in seinem Geiste die Form derselben, und dieser Entwurf oder diese exemplarische Form ist immer vollkommener als die Ausführung, oder die Welt der Materie. Wer sich nun zu der Schönheit jener intellektuellen Welt zu erheben sucht, der empfindet die göttliche Liebe; wer hingegen bey der geschaffenen Schönheit stehen bleibt, der empfindet entweder die menschliche oder die thierische Liebe. Denn in so fern seine Vernunft über die edleren Sinne wacht, daß sie ihn nicht zum gröberen Genuß verführen, empfindet er menschliche Liebe; in so fern er aber nach Berührung strebt, wird er zum Thiere. Das vernünftige Wesen im Menschen hat also eine doppelte Bestimmung; theils die göttlichen Ideen zu beschauen, theils über die Beschäftigung mit den Geschaffenen die Aufsicht zu führen.“

Die menschliche Liebe rührt von einer feinen Bewegung des Bluts her, diese Bewegung fordert die Phantasie auf, sich Bilder zu schaffen. Wir suchen die Schönheit nicht bloß zu genießen, sondern auch darzustellen. Darüber verliert der Liebende das Bewußtseyn seiner selbst, indem er sich bloß mit dem Schönen außer sich beschäftigt. Der Wunsch, wieder geliebt zu werden, ist nur das Bestreben, den verlornen, in den Geliebten übergegangenen Geist wieder zu erhalten.“

Dieß ist das Wenige, was mir aus den Lehren des Giovanni und Francesco Pico della Mirandola, und Francesco Catani da Diacetto verständlich geworden ist. Man sieht, daß bey ihnen die menschliche Liebe in keinem großen Ansehn gestanden hat, und daß am Ende alles dahin abzweckt, uns von der Kreatur abzuziehen, und zur Beschauung der übersinnlichen Dinge hinzuleiten. Battista Fregoso ist, nach dem Zeugnisse des Equicola, sogar so weit gegangen, alle Liebe eine ungezähmte Begierde zu nennen, die mit Wollust verbunden von der Muße und Lüsternheit gezeugt wird. Ja einer von den Unterrednern, die er aufführt, nennt sie eine Krankheit der Vernunft, und ein anderer einen bloß physischen Drang nach Entledigung eines niedrigen Bedürfnisses. Platina [316] und Pier Hedo di Fortuna haben gegen die Liebe geschrieben.

Mario Equicola hat die fünf übrigen Bücher seines Werks über die Liebe dazu angewandt, uns sein eigenes System zu entwickeln. Man lernt besonders daraus, wie die unbestimmten Begriffe der Kirchenväter über die Liebe den Kredit der Platonischen Lehren über diesen Gegenstand gehoben, ihren wahren Sinn aber ganz haben verdunkeln müssen. Das Werk enthält außerdem mehrere interessante Nachrichten über die Art, wie verschiedene Nazionen der damahligen Zeit über die Liebe gedacht haben. Endlich hat Equicola bey einer Menge von unnützen Citaten, und nichtsbedeutenden Deklamationen doch auch Manches, was ihm eigenthümlich ist, und, in so fern es die Geschlechtsliebe betrifft, hier angeführt zu werden verdient.

„Die Liebe, sagt er, ist im Allgemeinen das Verlangen nach dem Guten, das wir immer haben möchten, und der Wunsch, es immer bey uns zu behalten. Sie ist so vielfach, als es Güter giebt. Der Verfasser nimmt aber nur eine Art heraus: das Verlangen, im Schönen zu zeugen, und zu gebären. Er theilt diese Liebe in zwey Hauptarten ab: in die himmlische, und in die menschliche.“

„Die himmlische empfinden theils Gott gegen die Kreatur, theils die Engel gegen Gott und die Geschöpfe.“

„Die menschliche ist entweder die Instinktartige, die wir mit allen unvernünftigen Geschöpfen gemein haben, oder diejenige, welche von der Selbstbestimmung des Willens abhängig ist. Diese letzte ist entweder anständig, indem sie auf Tugend beruht, oder unanständig auf dreyfache Art: erstlich, wenn wir das Schlechte anstatt des Guten lieben, zweytens wenn wir uns der Neigung zu demjenigen, was wir nicht lieben sollen, zu sehr überlassen, drittens endlich, wenn wir dasjenige, was wir über alles lieben sollten, zu wenig lieben.“

Equicola nennt nur dasjenige Schön, was durch das Gesicht und durchs Gehör gefällt. Durch diese beyden Sinne erheben wir uns bis zur Ahnung der Gottheit, in der alles wahre Schöne liegt, das wir erst nach dem Tode ganz erkennen werden.

Inzwischen sucht der Verfasser doch den Grund aller Affekte, und so auch der Liebe zu andern Menschen, in der Selbstliebe. „Der Zweck aller unserer Neigungen ist Vergnügen. Dieß hat zwey Arten: Seelenvergnügen, Ruhe ohne Beschwerde; und Vergnügen der Sinne. Glücklich seyn heißt: seiner Natur gemäß leben. Wir lieben folglich um glücklich zu leben, und vergnügt zu seyn.“

„Diejenigen, welche behaupten, man könne die Seele ohne den Körper lieben, sprechen wie Thoren. Der Mensch besteht aus Körper und Seele. Die letzte wirkt durch den ersten. Der ganze Mensch äußert Affekte, nicht bloß die Seele. Durch die Sinne, durch das Auge schleicht sich die Liebe bey uns ein. Wer daher ein schönes Weib liebt, irrt sehr, wenn er nur die Seele zu lieben glaubt. Aber wer nur den Körper genießen will, der hat einen völlig irrigen Begriff von der Liebe. Kurz! wer wahrhaft liebt, muß nothwendig Körper und Seele zugleich lieben. Beydes läßt sich nicht von einander trennen. Die Sinne des Liebhabers verlangen von dem geliebten Körper sinnliches Vergnügen, seine Seele von der Seele der Geliebten Gegenliebe, um den Sinnengenuß angenehm zu machen. Also ist Sinnengenuß, durch Gegenliebe dargeboten, wahrer endlicher Zweck der Liebe, die dann auch nicht abnimmt, wenn der Liebhaber gleich mit jenem begünstigt wird. Um diese Liebe zu veredeln, muß man sich an vornehme Damen halten, weil diese den Mann anfeuern, durch ausgezeichnete Vorzüge die Schwierigkeiten zu überwinden, die sich der Vereinigung entgegensetzen. Die Damen müssen ihrer Seits behutsam in der Wahl ihrer Liebhaber seyn, und nicht zu viel und zu leicht gewähren. Zuletzt ermahnt er zur Liebe Gottes, als zu demjenigen Wesen, das am würdigsten ist geliebt zu werden, und bey dem wir am sichersten auf Gegenliebe rechnen können.“

In diesem Systeme wird also nicht bloß die Liebe zum Geschlecht, sondern sogar die sinnliche Liebe unter gewissen Bestimmungen in Schutz genommen. Eben diese Ansicht finden wir von nun an ziemlich allgemein ausgebreitet, nur daß der ganz geistigen Liebe der Vorzug eingeräumt wird.

Man hat eine Philosophie der Liebe von Leone. [317] Nach ihm ist Liebe das Verlangen, sich bey der Vereinigung in den geliebten Gegenstand zu verwandeln. Mit dem gestillten Verlangen der niedern Sinne hört die Liebe zu den Gegenständen auf, welche diese reitzen. Nicht aber so bey den Sinnen des Auges, des Ohrs und dem innern Sinne. Der Liebhaber des Weibes kann inzwischen den Genuß der niedern Sinne mit dem der obern verbinden. Weil die Geister vereinigt sind in geistiger Liebe; so suchen auch die Körper sich zu verbinden, um die Vereinigung so vollkommen als möglich zu machen. Ja! durch diese letzte Verbindung nimmt die geistige Liebe zu, wie die Weisheit durch die Ausübung guter Werke.

„Die vollkommene Liebe des Mannes zum Weibe ist die Verwandlung des Liebenden in die Geliebte, verbunden mit dem Wunsche, daß sich die Geliebte wieder in den Liebenden verwandle. Lieben beyde Theile sich wechselseitig, so kann man vollkommene Liebe die Verwandlung zweyer Personen in einander nennen.“

„Diese Liebe ist von zweyerley Art. Die eine nimmt ihren Ursprung in der Sinnlichkeit, und hört mit dem Genusse auf, weil das Verlangen gesättigt wird. Die andere führt das Verlangen nach dem körperlichen Genusse nur in ihrem Gefolge. Diese Liebe dauert nach der Befriedigung des Wunsches nach körperlicher Vereinigung fort, weil ihr Grund nicht in den niedern Sinnen, sondern in der Erkenntnißkraft lag. Man schätzt die Vorzüge der Geliebten, und möchte mit ihr nur eine Person ausmachen, aus zwey Geistern eine Seele zusammensetzen, die einen Körper belebe und regiere. Bey der körperlichen Vereinigung sucht man weniger das sinnliche Vergnügen, als die möglichste Vermischung der Geister, die aus den angenäherten Körpern in einander übergehen.“

„Aber besteht es denn mit der Vernunft, einen solchen Wunsch zu hegen, und einen Andern mehr als sich selbst zu lieben? Freylich! edle Liebe wird nicht von Vernunft geleitet! Sie bereitet große Leiden zu, um so mehr, da die Freuden des Körpers ihr keine Erleichterung verschaffen. Reine Geister können in einander fließen, aber Geister die an Körper gebunden sind, können es nicht, und das macht ihr Leiden aus. Wie kann man aber dasjenige gut heißen, was die Vernunft nicht regiert? Die Antwort ist: es giebt eine doppelte Art von Vernunft: eine gewöhnliche, (ordinaria) die den Menschen lehrt, für sich selbst glücklich zu seyn, und eine außerordentliche (extraordinaria) die uns die Vollkommenheiten des Geliebten anzueignen gebietet. Dieser Zweck ist viel edler. Der Liebende opfert sich auf, um dem bessern Theile seines Selbstes, dem Geliebten, wohl zu thun. Dieß muß bey aller Liebe zum Grunde liegen.“

„Der allgemeine Vater aller Liebe ist das Schöne, ihre Mutter ist die Kenntniß des Schönen, mit dem Gefühle unserer Mängel vermischt. Sie wird in dem Gedanken dessen, der das Schöne kennt und fühlt, empfangen. Dieser Gedanke wird von dem Bilde der Schönheit befruchtet, und sucht nun eine ähnliche Frucht hervorzubringen. – Die Schönheit besteht nicht in der Proportion: sie ist Abglanz der Gottheit, von dem aber wohl proportionierte Gegenstände mehr als andere an sich tragen. Die Schönheiten der intellektuellen Welt sind höher zu schätzen, als die der sinnlichen; doch bahnen diese letzten den Weg zur Kenntniß der höhern Schönheiten. Der Zweck aller menschlichen Liebe ist Vergnügen, aber geistiges Vergnügen: Genuß der Vereinigung mit der geliebten Schönheit.“ – Das Buch endigt sich damit, daß die Dame Sophie, welche Philo zu gleicher Zeit zu belehren, und für seine Neigung empfindlich zu machen gesucht hat, ihm versichert, daß sie die Vereinigung ihrer Gedanken wünschet, und zwar nicht der seinigen mit den ihrigen, sondern der ihrigen mit den seinigen, als den vollkommeren. Was aber die andere körperliche Vereinigung anlange, so glaube und wünsche sie nicht, daß sie beyde Verlangen darnach tragen möchten.

Benedetto Varchi hat mehrere Lezzioni d’amore herausgegeben, wobey er verschiedene Sonnets des Petrarka zum Grunde gelegt hat. Sie sind in verschiedenen Akademien Italiens gehalten, und erst einzeln, nachher in einer Sammlung herausgekommen. [318]

Er theilt die Liebe der Menschen zu einander ein, in die himmlische oder Seelenliebe, in die thierische, und in die zusammengesetzte, wenn Körper und Seele zugleich geliebt werden. „Diese letzte Liebe hat mehrere Stufen. Erstlich: man liebt vorzüglich die Seele und den Körper in untergeordneter Maße, als einen Abglanz der Seele, durch die edleren Sinne. Dieß ist die anständige und tugendhafte Liebe (amore cortese o honesto, virtuoso, gentile.)

„Oder man liebt die Seele zuerst, und dann den Körper, aber den letztern mit allen Sinnen. Hält man sich nun hier in den Grenzen der Ehrbarkeit und der Mäßigung, so ist dieß eine gut bürgerliche Liebe: (amore civile.) Liebt man aber hauptsächlich den Körper, und die Seele nur beyher, so ist dieß eine gemeine pöbelhafte Liebe (amore volgare o plebejo.)

„Varchi hält in der himmlischen Liebe den Liebenden für edler als den Geliebten. In her gewöhnlichen hingegen hat nach seiner Meinung der Geliebte den Vorzug. In der ersten findet der Liebende immer Gegenliebe, seine Neigung schränkt sich auf einen Gegenstand ein, zieht diesen seiner eigenen Person vor, und ist keinem Wechsel und keinem Ende unterworfen. Alles, was der Körper an Reizen verliert, wächst der Seele zu!“

„Die Liebe überhaupt erklärt er für das Verlangen, das Schöne im Schönen hervorzubringen, entweder in


Lione 1560, und dann Lezzioni d’amore di Benedetto Varchi; Fiorenza 1561 vor mir.

einem schönen Geiste, oder in einem schönen Körper. Eifersucht nennt er die Furcht, daß ein Anderer die Schönheit genieße, oder Neid aus Liebe. Wir verlangen entweder den Genuß der Schönheit für uns selbst: Eifersucht der Verliebten; oder wir verlangen, daß sie ein Anderer nach unserer Bestimmung genießen soll: Eifersucht der Anverwandten. Die Verliebten empfinden drey Arten der Eifersucht. Sie wollen nicht, daß ein Anderer genieße, was sie genossen haben, oder was sie zu genießen hoffen, oder was sie nicht haben genießen können. Die Begierden nach Vergnügen, Besitz, Eigenthum und Ehre liegen dabey zum Grunde. Man kann nicht ohne Eifersucht lieben; sie ist eine natürliche Leidenschaft, an der nur der Mißbrauch zu tadeln ist.“

Die Azolani [319] vom Bembo enthalten drey Dialogen, die im Schlosse Azolo gehalten sind. Im ersten deklamiert Perotino gegen, im zweyten Gismondo für die Liebe: Im dritten muß Lavinello zeigen, daß die Liebe bald gut, bald schlecht seyn könne. Am Ende wird ein Einsiedler eingeführt, der die Liebe zum Ueberirdischen als die einzige gute und lobenswürdige empfiehlt. Es sind die platonisch religiösen Ideen, die wir schon aus dem Ficino und Andern kennen. Eben diesem Systeme ist Dominichi [320] ergehen, imgleichen Vito di Gozze [321] Agnolo Firenzuola, [322] und Zoppio in seinem Psafone. [323]

Augustinus Niphus [324] hat dagegen mehr Eigenthümliches. Er verwirft alle früheren Definitionen von der Liebe. „Eine allgemeine Definition, sagt er, kann davon nicht gegeben werden. Aber die Geschlechtsliebe (Kupido) ist Begierde nach Begattung mit dem Geliebten oder der Geliebten. Dieser Umstand, daß das begehrte Wesen geliebt werden muß, unterscheidet die Liebe von dem Begattungsinstinkt der Thiere. Der Mensch wählt; der Mensch erkennt das Schöne. Geliebt ist derjenige Mensch zu nennen, den wir vermöge der Schönheit seines Körpers und seiner Seele mit allen Sinnen zu genießen wünschen. Die Vollkommenheit dieser Liebe besteht in dem Streben der Seele, in den Körper des Geliebten überzugehen, und sich endlich selbst in ihn zu verwandeln. Dazu wird Gegenliebe erfordert. Das sicherste Zeichen der gelungenen Vereinigung ist der gleiche Wille, und die Uebereinstimmung der Gefühle.

Romei [325] nennt die Liebe eine wackere rüstige (gagliarda) Bewegung des menschlichen Gemüths, welche von der Erkenntniß der Schönheit, vermöge einer verborgenen Uebereinstimmung zwischen den Naturen des Liebenden und des Geliebten, erweckt wird, und sich in das Verlangen auflößt, sich mit wechselseitiger Liebe im Schönen zu vereinigen.“

„Diese Liebe ist dreyfacher Art. Die göttliche bringt uns die Schönheit Gottes ins Gedächtniß, von der die Schönheit des Weibes ein bloßer Abglanz ist. Sie ist Religiösen, Mönchen, unverheiratheten Personen, kurz! allen denjenigen erlaubt, die das Gelübde der Keuschheit auf sich genommen haben. Die bloß keusche Liebe begnügt sich mit Sehen, Hören, Unterreden, und beschränkt sich auf die Freuden des geselligen Umgangs. Aber sie erhebt sich nicht bis zu Gott. Sie betrachtet das schöne Weib nicht als ein Ebenbild Gottes, sondern als eine wahre für sich bestehende Schönheit. Einer solchen Liebe ist der Kuß erlaubt, weil diese Liebkosung mehr eine Vereinigung der Seelen als der Körper ist. Die dritte Liebe sucht sich zugleich mittelst der Körper zu vereinigen, aber auf eine erlaubte Art, in der Ehe.

Von den spanischen Philosophen, welche die Materie wahrscheinlich nicht unberührt gelassen haben werden, ist mir keiner zu Gesicht gekommen.

Unter den Franzosen hat Montaigne die Geschlechtsliebe für eine bloß sinnliche Begierde gehalten, von der er sogar die Freundschaft ausschließt, und die er bloß durch die Intrigue schmackhafter und dauernder zu machen anräth. [326] Nach der Darstellung die er uns von der Denkungsart seiner Landesleute über diese Materie giebt, scheint die Galanterie damahls in Frankreich nicht sehr im Schwange gewesen zu seyn. Er lebte von 1533 bis 1592.

Petrus Godofredus [327] schrieb ungefehr um die nehmliche Zeit eine Rhapsodie über die Liebe, halb moralischen und halb juristischen Inhalts. Im ersten Buche handelt er von der Liebe zu Gott, im zweyten von der ehlichen Liebe, und im dritten von der unerlaubten Liebe und den Mitteln, sich gegen die letzte zu verwahren.

Alles beweiset, daß man im funfzehnten und sechzehnten Jahrhunderte an den metaphysischen Spekulationen über die Liebe wenig Interesse genommen habe.

Mit dem siebzehnten Jahrhunderte fing aber dieser Geschmack daselbst zu herrschen an. In dieser Zeit schrieb Veyries eine Genealogie der Liebe. [328] Er theilte sie ein in die eigentliche Liebe, den instinktartigen Trieb, und in Dilection, welche Auswahl voraussetzt. In der letzten unterscheidet er wieder Charité, Zuneigung die auf Werthschätzung beruht, und Amitié, angewöhnte Stimmung zur persönlichen Zuneigung. Er will, daß die Geschlechtsliebe mit dieser amitié verbunden seyn solle, und hält es für einen Mißbrauch, wenn man die bloße Lüsternheit mit Wohlwollen verwechselt.

Man hat aus dieser Zeit mehrere praktische Werke über die Liebe. [329] Hauptsächlich aber ist dieser Gegenstand in den Romanen einer häufigen Erörterung unterzogen.

Merkwürdig ist es, daß Charron, in seinem über Verdienst berühmt gewordenen Werke de la Sagesse, von einer zwischen der ehelichen Liebe und den Ausschweifungen der Sinnlichkeit in der Mitte stehenden erlaubten Galanterie keine Kenntniß hat. Wäre, (so kann man billig sagen,) dieß Sitteninstitut damahls sehr ausgebreitet und allgemein gebilligt gewesen, so hätte der Moralist es unmöglich übergehen dürfen.


Sechstes Kapitel.
Ideen der Romanenschreiber, und zwar zuerst der spanischen, aus dieser Zeit.

Ich glaube die Romanenschreiber der Spanier von denen der Italiäner und besonders der Franzosen in dieser Zeit absondern zu müssen.

Auf die Spanier scheint mir der Geist der Mauren, ihrer Nachbaren, gewirkt zu haben. Ich finde in ihren Werken jene bis zum Wahnsinn fortschreitende Begeisterung, verbunden mit dem abentheuerlichen, bilderreichen, oft auch nur spitzfindigen Ausdrucke der Empfindungen wieder, der die edlere Liebe der Orientaler auszeichnet. Dieser Charakter ist auf den Rittergeist geimpft, und durch die Bekanntschaft mit den Werken der Alten, sogar auch mit den griechischen Romanen weiter ausgebildet.

Der berühmteste unter den spanischen Romanen, die wir kennen, ist der Amadis des Gaules. Die Scene ist wahrscheinlich nach Frankreich und England verlegt, weil der Verfasser französische Muster, und besonders den Tristan vor sich hatte. [330]

Inzwischen kommt in diesem Romane kein Verständniß mit einer verheiratheten Frau vor. Es ist eine Verbindung mit einer unverheiratheten Prinzessin, welche das Interesse auf sich zieht, und der Zweck ist Heirath. Aber das Verständniß wird heimlich gehalten, und die körperliche Vereinigung geht vor der Ehe vor sich. Die Beschreibungen dieser Scenen sind zum Theil so schlüpfrig, daß Crebillon dafür erröthet haben würde, sie zu schildern.

Die Bekanntschaft mit den griechischen Romanen ist unverkennbar. Die Prüfungen der treuen und biedern Liebenden in der Isle ferme durch den Bogen, die verbotene Kammer, und nachher durch den Degen und die Haube, sind daher entlehnt. Der Verfasser ist übrigens mit der klassischen Litteratur sehr bekannt, und er läßt nicht leicht eine Gelegenheit vorbey, diese Kenntniß durch Citate zu zeigen.

Der Geist der irrenden Ritterschaft ist hier bereits mehr ausgebildet, als in den früheren Romanen. Die Gebräuche bey der Aufnahme in den Orden dieser Ritterschaft haben eine bestimmtere Form erhalten: die Ritter weihen sich dem Dienste der Damen mit mehrerer Förmlichkeit, und geben ihnen öffentlichere Beweise ihrer Huldigung. Der Ausdruck der Leidenschaft ist bey den Männern bis zum Ekel schmelzend und weinerlich empfindsam. Die Helden fallen in Ohnmacht bey dem bloßen Gedanken an ihre Damen: ihre Seele quillt unter häufigen Thränen aus ihren Augen heraus, und selbst in den Augenblicken, worin sie die größten Beweise von Gegenliebe erhalten, glauben sie im Gefühl ihrer Unwürdigkeit verzweifeln zu müssen. Aber so abhängig die Liebhaber von ihren Geliebten dargestellt werden, so eifersüchtig diese darauf sind, den Werth der Damen über ihr eigenes Verdienst zu setzen; so wenig interessant werden doch die Weiber geschildert. Die besten sind gutherzige Geschöpfe: viele sind ausschweifend, grausam und undankbar. Die Gräfin von Solandra dringt sich unter andern selbst dem König Perion auf, und erlangt seine Umarmung durch die Drohung, sich im Weigerungsfalle selbst zu erstechen. Schön ist die Stelle, worin Oriane ihrem Amadis die Erlaubniß giebt, ein neues Abentheuer zu bestehen. Es ist billig, sagt sie, daß ich eure Ehre meinem Vergnügen vorziehe. Dagegen zeigt sie sich höchst ungerecht in ihrer Eifersucht, und unterschreibt den Brief, worin sie sich von ihm trennt, mit den Worten: Diejenige, der der Tod nur darum zuwider ist, weil ihr der Mörder seyd!

Der Charakter der Liebe in diesem Romane ist leidenschaftliches Streben nach sinnlichem Genuß, das aber durch schmelzende Schwärmerey und durch bewährte Treue im Leiden und im Genuß veredelt wird. Amadis zeigt die tiefste Unterwürfigkeit gegen seine Dame, und keine Aufopferung ist ihm zu schwer, wenn er ihren Ruf dadurch ausbreiten kann. Der Ausdruck seiner Leidenschaft ist förmlich, übertrieben, und oft orientalisch schwülstig.

Neben diesem Muster einer vollkommenen Liebe zeigen sich aber mehrere andere Helden, die dem Amadis an Treue und Edelmuth in der Liebe nicht ähneln. Unter andern ist der Bruder des Amadis, Galaor, nichts weniger als gewissenhaft in diesem Punkte. Ob er gleich an einer bestimmten Geliebten hängt, so läßt er sich doch jede Hülfe, die er den Schönen leistet, durch ihre Gunstbezeugung auf eine sehr materielle Art bezahlen. –

Eben dieser Geist zeigt sich in den Fortsetzungen des Amadis, welche sich mit der Geschichte seiner Familie beschäftigen: im Esplandian, Perion und Lisuart, Amadis de Grece, Don Florissel di Nichea und Anassarte, u. s. w. Ueberall die nehmliche weinerliche Empfindsamkeit, derselbe schwülstige Ausdruck: nur daß beydes noch steifer und unnatürlicher wird! Immer noch die nehmliche sinnliche Liebe und ihre Befriedigung vor der Ehe: immer noch die schlüpfrigen Beschreibungen, die Prinzessinnen, die sich selbst antragen, und die Ritter, welche die verliebten Abentheuer ohne Bedenken mit verheyratheten und unverheyratheten Damen zu Ende bringen. Auch erscheinen die Enkel nicht mehr so treu als ihr Aeltervater. Amadis de Grece verläßt seine erste Dame Lucelle, um Niquee zu heyrathen.

Merkwürdig aber ist es, daß in den jüngern Fortsetzungen des Amadis nun auch Heldinnen vorkommen, die sich durch kriegerische Thaten auszeichnen, und daß man anfängt, sich bey der Darstellung des Kampfs zwischen Sinnlichkeit und Pflicht bey den Damen zu gefallen. Inzwischen triumphiert die erste jedesmahl, wenn ein Versprechen der Ehe von Seiten des Ritters den Fall bedeckt.

Zu den Romanen der Spanier rechne ich diejenigen, deren Helden aus Griechenland und Konstantinopel hergenommen sind: Primaleon, Platir, den Sonnenritter, und Palmerin von Oliva. Der Geist des Amadis ist darin unverkennbar, ob er gleich hier mit schwächeren Schwingen schwebt.

So wie die Kultur durch bessere bürgerliche Einrichtungen und durch eine ausgebreitetere Bekanntschaft mit den Künsten und Wissenschaften zunahm, so fiel der Geschmack an der Beschreibung der Ritterabentheuer, denen nur die Liebesabentheuer, als ein untergeordnetes Interesse, zur Abwechselung beygemischt wurden. Man verfertigte nunmehr eigentliche Liebesromane, in denen die Geschlechtsverbindung das Hauptinteresse auf sich zog, und denen man eine epische Einheit gab. Dahin gehören denn besonders zwey, die mir zu Gesicht gekommen sind: Il Carcel d’amore, das Gefängniß der Liebe, und la Diana di Montemajor.

Der erste ist eines der abentheuerlichsten Geschöpfe der Imagination. [331] Ein Herzog, Constante, verliebt sich in die Prinzessin Rigorosa, [332] und befindet sich im Gefängniß der Liebe. Der Autor rettet ihn daraus, und führt ihn an den Hof des Vaters seiner Dame. Hier wirbt er um sie durch jede Art der Aufopferung. Aber umsonst: Rigorosa wird nicht erweicht. Constante stirbt, und findet keine andere Belohnung für seine treuen Dienste, als die, daß seine Geliebte ihn den Rest ihres Lebens durch betrauert.

Außer dem abentheuerlichen Ausdruck einer weinerlichen Empfindsamkeit und melancholischen Schwärmerey, den dieser Roman mit den früheren Ritterromanen gemein hat, zeigt er als etwas Unterscheidendes die unbezwingliche Sprödigkeit der Damen, eine grössere Sparsamkeit in den Begebenheiten, und dagegen die Einmischung mehrerer Erörterungen über Gegenstände, die mit der Liebe in Beziehung stehen. Unter andern findet man hier eine weitläuftige Rede, worin der Vorzug des weiblichen Geschlechts vor dem männlichen bewiesen wird.

Die Diana di Montemajor ist ein Schäferroman, der nach den Pastoralen des Longus gedichtet zu seyn scheint, und unstreitig der Astrée von d’Urfé zum Vorbilde gedient hat. Hier findet man zuerst Begriffe von Seelenliebe zwischen beyden Geschlechtern, wie sie von den Philosophen aus der damahligen Zeit gelehrt wurde. „Die wahre Liebe, heißt es darin, hat keinen andern Zweck, als den, unsre Seele mit der geliebten Person zu vereinigen, und ihre Tugend zu ehren, ohne andere Belohnung unsrer Leidenschaft zu erwarten, noch unser Verlangen nach unerlaubtem Genuß zu befriedigen. Diese Liebe ist nicht die Wirkung derjenigen Vernunft, die uns zur Selbstliebe auffordert.“

Die Unterredungen der Schäfer und Schäferinnen in diesem Romane enthalten häufige Erörterungen metaphysischer und praktischer Fragen über die Liebe. Allerwärts leuchtet eine grössere Kultur der Sitten und des Geschmacks hervor; aber an Genie steht das Werk weit unter dem Amadis.

Ich verweise auf die Bibliothek der Romane, um noch mehrere spanische Romane kennen zu lernen, in denen die Vollkommenheit der Liebe in einer hinschmachtenden Begeisterung gesucht wird. Neben diesen giebt es aber auch eine Menge anderer, welche diese Leidenschaft als eine sinnliche Begierde darstellen, die ihren Reitz für die Seele bloß durch die Besorgung einer heimlichen Intrigue erhält. Je verwickelter diese angelegt wird, um desto mehr glauben ihre Verfasser den Leser zu interessieren.

Siebentes Kapitel.
Fortsetzung. Romanendichter der Franzosen.

Bey den Franzosen hat der Geschmack an den Helden des Hofes Carls des Großen und des Königs Arthur noch eine Zeitlang fortgedauert. Sehr viele von denjenigen Romanen, die ich unter der vorigen Periode mit aufgeführt habe, dürften, wie schon oben bemerkt ist, hieher gehören.

In der Folge haben die Franzosen wirkliche Personen aus ihrer Geschichte zu Helden ihrer Romane gemacht. Dahin gehören Bertrand du Guesclin, Clisson[WS 106] und le petit Jehan de Saintré, u. a. m.

Diese Romane haben noch nicht die Form eines epischen Gedichts: keine Einheit der Handlung. Es sind Lebensgeschichten der Helden. In den mehrsten spielt die Liebe nur eine sehr untergeordnete Rolle. Le petit Jehan de Saintré zieht hingegen sein Hauptinteresse aus einer Intrigue mit einer schönen Wittwe, la Dame des belles Cousines genannt.

Diese Intrigue trägt alle Charaktere an sich, mit denen ich oben die anständig sinnliche[WS 107] Galanterie bezeichnet habe: ein heimliches, auf Sinnlichkeit beruhendes Verständniß, das aber durch das Verdienst des Liebhabers, durch seine bewährte Treue, die Sorge der Dame für ihren Ruf, und die Bewahrung des äußeren Anstandes veredelt wird. –

Diese Art der Galanterie erscheint hier sehr ausgebildet, und sogar auf gewisse Grundsätze gebauet. Unter andern sagt die Dame des belles Cousines: „die Sünde der Sinnlichkeit muß von den wahrhaft Liebenden aus allen Kräften gemieden werden. Sollten sie jedoch durch den zu heftigen Drang der Minne darein verfallen, so haben doch treue Liebhaber mit so viel nagender Unruhe und so vielen Gefahren zu kämpfen, daß es ihnen unmöglich zur Todsünde angerechnet werden kann!“ Zugleich befiehlt sie dem Saintré die größte Verschwiegenheit und Treue an.

Auffallend ist es, daß diese Dame nachher in einem sehr schlechten Lichte dargestellt wird, ihren Ritter mit Undank lohnt, und sich den gröbsten Ausschweifungen mit einem Prälaten überläßt, der nichts für sich hat, als das Talent, ihre Sinnlichkeit in hoher Maße zu befriedigen. Saintré rächt sich, und dieß Betragen des Ritters sowohl als der Dame zeigt hinlänglich, wie wenig man damahls an die allgemeine unverrückte Befolgung der Regeln der Galanterie geglaubt habe.

Dieser Roman, so wie die übrigen mit ihm genannten, gefallen sich bey der Darstellung der ausgezeichneten Achtung, welche der tapfere Held von Damen von hohem Stande erhalten hat. Sie schildern mit Umständlichkeit die Ceremonien, unter denen die Ritter von ihren Damen die Liebesweihe erhalten, und die Huldigungen, welche diese, ihre Diener, ihnen bey jeder Gelegenheit darbringen. Inzwischen ist es auffallend, daß noch immer die Weiber in Vergleichung mit den Männern zurück und im Schatten stehen, und daß reine Seelenliebe, oder auch nur eine Liebe, welche die Moral und die Gesetze ganz unbeleidigt läßt, vergebens gesucht wird. Auch hier zeigen sich zwar Spuren von weinerlicher Empfindsamkeit, aber sie sind nur vorübergehend, und die Liebe wird viel leichter behandelt, als in den spanischen Romanen.

Ich finde das Bestreben, sich der Sittlichkeit, dem Interesse des Liebesabentheuers unbeschadet, möglichst zu nähern, zuerst in der Geschichte des Pierre de Provence, und der belle Maguellonne. Dieser Roman, dessen Stoff wahrscheinlich aus dem Arabischen entlehnt ist, hat zugleich in seiner Oekonomie viel von den griechischen Romanen: einen zusammenhängenden Plan, einen Knoten, der geschürzt und aufgelöst wird. Zwey Liebende werden durch einen Zufall getrennt, und nach mehreren Gefahren endlich wieder vereinigt. Der Liebhaber schwört seiner Geliebten, die letzte Gunst nicht vor eingegangener Ehe zu fordern, und er hält Wort, ob er sich gleich – ganz im Geiste der griechischen Erotiker, – kein Gewissen daraus macht, während sie in seinen Armen schläft, sie aufzuschnüren, und sich der lüsternen Beschauung ihrer geheimeren Schönheiten zu überlassen.

Beynahe in dem nehmlichen Geiste ist Gerard de Nevers, oder der Chevalier de l’Epervier, gedichtet. Auch hier ziehen zwey Verlobte das Interesse auf sich, indem sie, durch Mißverständnisse getrennt, eine Menge von Gefahren und Versuchungen bestehen, ihre Treue bewähren, und endlich wieder vereinigt werden. Die Oekonomie des griechischen Romans ist hier gar nicht mehr zu verkennen. Sogar einzelne Züge sind daraus entlehnt. Ueberhaupt zeigt dieser interessante Roman eine Kultur, die mich berechtigt, ihn hinter alle bisher genannte zu setzen, obgleich die Scene ins zwölfte[WS 108] Jahrhundert verlegt ist.

Die Franzosen scheinen sich nunmehr eine Zeitlang mit Uebersetzungen und Nachahmungen aus dem Spanischen und Italiänischen beholfen zu haben. Selbst d’Urfé hat in seiner Astreé die spanische Diane di Montemajor zum Vorbilde gehabt. Allein er hat es weit hinter sich gelassen.

Dieser Roman ist 1610 zuerst erschienen. Ich glaube, die Denkungsart des Verfassers über die Liebe nicht besser schildern zu können, als wenn ich die zwölf Gesetze über diesen Gegenstand, welche darin aufgestellt werden, hieher setze.

1) Der vollkommene Liebhaber muß ohne Maß und Ziel lieben: wer anders liebt, macht sich der Untreue schuldig.

2) Er muß nur einen und den nehmlichen Gegenstand lieben, und in ihm sein einziges Glück finden.

3) Er höre auf sich selbst zu lieben, oder er liebe sich nur in Beziehung auf den geliebten Gegenstand.

4) Wenn er nach höherem Glück strebt, so sey es bloß in der Hoffnung, daß die Geliebte dadurch an Ehre gewinne.

5) Nie verlange er den Besitz der Geliebten auf Kosten ihrer Ehre und der seinigen.

6) Eher sterbe er, als daß er den geliebten Gegenstand in seiner Gegenwart ungestraft lästern höre.

7) Er finde Alles vollkommen in derjenigen, die ihm Liebe eingeflößt hat, und derjenige, der dieß bezweifelt, erscheine als Verbrecher vor seinen Augen.

8) Unter Seufzern möge er zwischen Leben und Tod hinschmachten, ehe er sagt, was er will, oder was er nicht will.

9) Er lebe nur in Derjenigen, die er anbetet, und in sie verwandelt, ehre und liebe er nur dasjenige, was sie ehrt und anbetet.

10) Er sehe alle Tage, die er entfernt von ihr zubringt, für verloren an, und er sey im Geiste bey ihr, wenn er körperlich von ihr getrennt ist.

11) Bey allen seinen Qualen, bey allen seinen Leiden erwarte er keine andere Belohnung, als allein die Ehre, zu lieben.

12) Nie stelle er sich die Möglichkeit vor, daß seine Leidenschaft endigen könne. Ein solcher Gedanke wäre Verrath an der Liebe. [333]

Nach dem Geiste dieser Gesetze handeln die hervorstechenden Liebhaber in diesem Werke, während daß ihre Damen bey der stärksten Leidenschaft im Herzen ihnen mit dem sprödesten Stolze begegnen.

Der Kampf der Neigung mit den Pflichten, welche das Gefühl der Selbstwürde und der Anstand dem zärteren Geschlechte auflegen; die Zartheit, womit das stärkere seine Wünsche äußert; geben den Darstellungen der Liebe in diesem Romane einen Reitz, der den früheren größtentheils unbekannt war. Zu gleicher Zeit trägt die engere Verbindung unter den Geschlechtern zur Unterhaltung bey größeren Zusammenkünften bey, und wenn gleich der gesellige Ton noch nicht das Ungezwungene und die Biegsamkeit zeigt, die er in späteren Zeiten erlangt hat; so ist er doch in Vergleichung mit den früheren Romanen bereits zu einer hohen Stufe der Kultur gediehen.

Obgleich die Sittlichkeit in diesem Romane auf keine grobe Weise beleidigt wird, und die Hauptpersonen vor der Ehe nicht vereinigt werden; so weht doch über das Ganze ein feiner Geist von Lüsternheit, der sich mit den Gesetzen der Moral und selbst des Anstandes nicht ganz vereinigen läßt.

Die Romane der Scudery stellen die Liebe als das ernsthafteste Geschäft des Lebens dar, und suchen in ihr den stärksten Antrieb zu heroischen Thaten, so wie das schönste Mittel zur geselligen Unterhaltung. Man kann die Begriffe von Pflicht und Anstand in den Verhältnissen beyder Geschlechter gegen einander nicht höher treiben, als es hier geschehen ist. Es ist nicht zu läugnen, daß herrliche Situationen in den Werken dieser Dame vorkommen, und daß überall die Gesinnungen der handelnden Personen durch Feinheit der Empfindungen und Seelenadel ausgezeichnet werden.

Aber alles dieß ist mehr von dem Witze ausgedacht, als von dem Herzen eingegeben. Den Charakteren der Helden fehlt es an individueller Wahrheit. Es sind Menschen, die nach den Grundsätzen der Moral erschaffen sind, keine Fehler und lauter Tugenden besitzen. Die Verfasserin legt ihnen einen Edelmuth bey, dem oft der Vorwurf des Uebertriebenen und Abentheuerlichen gemacht werden kann, und der Ausdruck ist nüchtern, schwülstig oder matt. Kurz! das höchste Lob, das man ihren Darstellungen beylegen kann, ist dieß, daß sie sehr ingeniös erfunden sind, und manche feine Bemerkung über die Verhältnisse des geselligen Umgangs enthalten.

Die Scudery hat von der Liebe keinen andern Begriff gehabt als den, daß sie eine feinere egoistische Neigung sey, die sich bald in dem edleren Stolze, durch außerordentliche Tugenden und Heldenthaten vor den Augen der Geliebten zu glänzen, bald in geselliger Eitelkeit, und in dem Triebe nach Beschäftigung und Unterhaltung äußert. Die Selbstheit nutzt bey ihr die Geschlechtssympathie zur Befriedigung ihrer edleren und feineren Neigungen. Daher setzt sie das Wesen der Liebe in steter Unruhe des Geistes: daher findet sie nichts langweiliger, als die Unterhaltung zweyer Liebenden, von denen der eine oder der andere nichts zu wünschen, oder sich über nichts zu beklagen hat: daher legt sie besonders einen so großen Werth auf die Galanterie. Diese ist nach ihrer Darstellung nichts weiter als die Kunst, den Empfindungen, welche die beyden Geschlechter sich gegenseitig einflößen, den witzigsten und zugleich nach den Begriffen der Zeit artigsten Ausdruck zu leihen. Die Artigkeit der Scudery und ihr Witz scheinen uns aber steif, umständlich und pretiös zu seyn. –

Ihre Romane so wie die des Calprenede und einiger anderer enthalten mehrere Darstellungen einer Liebe, die sich auf geistigen Genuß beschränkt, und sich in dem Bewußtseyn der gelungenen Vereinigung der Seelen glücklich fühlt. Nirgends werden die Gesetze des strengsten Anstandes beleidigt.

Unstreitig haben diese Werke besonders zu der irrigen Idee beygetragen, daß die Galanterie vom eilften bis zum achtzehnten Jahrhunderte eine reine, oder wenigstens anständige und gesetzmäßige Verbindung zwischen beyden Geschlechtern gewesen sey.

In der nehmlichen Zeit, worin die d’Urfé, die Scudery, u. s. w. die Liebe zu veredeln suchten, behandelten sie andere sehr leicht, oder lieferten die ausgelassensten Produkte einer lüsternen Einbildungskraft. [334]


Achtes Kapitel.
Fortsetzung. Romane der Italiäner.

In den Romanen der Italiäner finden wir früh eine höhere Kultur der Sitten und des Geschmacks, vermöge ihrer genaueren Bekanntschaft mit der alten klassischen Litteratur.

Sie hatten früh neben dem Ritterromane den bürgerlichen, dessen Stoff aus den Begebenheiten des gemeinen Lebens hergenommen war.

In der Theseide des Boccaz sind die Helden des Alterthums sämmtlich als Ritter dargestellt, die Tournier halten, Lanzen brechen, sich aus Liebe zu ihren Damen abhärmen, und um ihren Besitz sich auf Leben und Tod schlagen.

Dieser Roman hat eine epische Einheit. Zwey Nebenbuhler, Arcitas und Palemon, streiten sich um den Besitz Emiliens. Diese wird als ein harmloses Geschöpf dargestellt, das zwar die Eitelkeit eines jungen Mädchens, aber keine bestimmte Neigung für den einen oder den andern ihrer Liebhaber empfindet. Sie wünscht hauptsächlich sich dem Dienst der Diana widmen, und unverheyrathet bleiben zu können: sie läßt es sich aber auch gefallen, demjenigen zu Theil zu werden, der den andern überwinden wird, und so bald sich der Sieg für den Arcitas erklärt hat, hängt sie diesem mit voller Seele an. Allein da er bald nachher an seinen Wunden stirbt, so willigt sie auch in die letzten Wünsche desselben ein, und heyrathet seinen Freund Palemon.

Ein unnützer Aufwand von Gelehrsamkeit macht die Lesung dieses Romans um so widriger, da die neueren Sitten mit denen des Alterthums auf die lächerlichste Art vermischt sind, und oft mitten in der Darstellung der Empfindungen lange Einschiebsel aus der Mythologie vorkommen. Die Liebe erscheint hier gesetzmäßig und sittlich; aber von einer reinen Seelenliebe findet man keine Spur.

Ein anderer Roman des Boccaz, L’amorosa Fiammetta, enthält die Intrigue zwischen einer verheyratheten Dame und einem jungen Mann. Die Handlung ist äußerst einfach. Fiammetta verliebt sich in den Pamfilo auf den ersten Anblick: bekämpft ihre Leidenschaft, unterliegt ihr aber am Ende. Die körperliche Vereinigung (l’ultimo termino d’amore) erfolgt, und der Liebhaber verläßt die Gefallene. Fiammetta geht durch alle Wechsel und Krisen einer unglücklichen Liebe durch.

Dieß ist der höchst simple Stoff, den Boccaz behandelt hat. Eine wahre Darstellung der Empfindungen und ein schöner Styl würden dieß Werk äußerst schätzbar machen, wenn es nicht durch eine zu große Weitschweifigkeit und einen unnützen Aufwand von Gelehrsamkeit langweilig würde.

Die Bekanntschaft des Verfassers mit den griechischen Romanen ist übrigens nicht darin zu verkennen, und überhaupt ruht der Geist des Alterthums auf der ganzen Behandlung. Mir ist das Werk besonders darum wichtig, weil es das erste Beyspiel eines bürgerlichen Romans ist, den ich aus der neueren Zeit kenne, und weil es die Eingezogenheit des italiänischen Frauenzimmers im vierzehnten Jahrhunderte, und die Art der damahls herrschenden Intriguen, die gewiß nichts weniger, als rein von Sinnlichkeit waren, so auffallend darstellt.

Ganz im Geschmack dieses Romans ist ein anderer, der vom Aeneas Sylvius im Jahre 1444 unter dem Nahmen: Historia de Euryalo et Lucretia, geschrieben ist. [335] Lukretia, eine verheyrathete Dame aus Siena, verliebt sich in den Favoriten des Kaysers Siegismund, während der Anwesenheit dieses Fürsten in dieser Stadt. Die beyden Liebenden haben außerordentliche Schwierigkeiten zu überwinden, um sich nur zu sprechen. Denn die Italiäner, sagt der Verfasser, haben den Fehler, ihre Weiber wie Schätze zu verbergen, und zu verschließen. Inzwischen gelingen doch einige Zusammenkünfte unter unendlichen Gefahren. Die Beschreibung der listigen Anschläge, wodurch sie zu Stande gebracht sind, giebt diesem Romane das Hauptinteresse. Endlich muß Euryalus abreisen: Lukretia stirbt vor Gram, er aber heyrathet, nachdem er sie eine Zeitlang betrauert hat, eine Dame aus fürstlichem Geschlecht, die ihm der Kayser giebt. – Auch in diesem Romane ist die Liebe sinnlich dargestellt.

Späterhin haben die Italiäner viel aus dem Spanischen übersetzt, und der Geschmack an den Ritterromanen im Geiste der Amadis, der Primaleonen u. s. w. hat überhand genommen. Mir sind aber weiter keine Originalromane dieser Art in Prosa zu Gesicht gekommen. Der Stoff zu den Heldengedichten ist aus den älteren Ritterromanen entlehnt.

Ihre Novellendichter haben die Liebe im Geschmack des Boccaz behandelt: d. h. leicht und oft ausgelassen.


Neuntes Kapitel.
Fortsetzung. Ueber die Romane der Engländer und Deutschen.

Ich bin außer Stande über die Romane der Engländer etwas mehr zu sagen, als was ich in den Reliques of ancient English Poetry finde. Nach diesen zu urtheilen, dürften die Engländer schwerlich vor dem vierzehnten Jahrhunderte Romane in ihrer Sprache geschrieben aufzuweisen haben: und selbst nach dieser Zeit ist ihr Geschmack wahrscheinlich mit dem der Spanier, Italiäner und Franzosen zusammen gegangen. [336]

Die Deutschen haben sich gleichfalls diesen Nationen in ihren Romanen genähert. Ich finde in den wenigen Ritterromanen, die ich, in Ermangelung weiterer Nachrichten, für original halten muß, sehr viel Züchtigkeit und Biedersinn in der Liebe, bey einem wenig gebildeten Ausdrucke. [337]

Die späteren Romane Lohensteins, Buchholzens, u. s. w. sind Nachahmungen der gleichzeitigen französischen, nur in einem noch pomphafteren, geschmackloseren Style.

Zehntes Kapitel.
Ideen der italiänischen Dichter, und besonders des Petrarka, über Liebe und Geschlechtsverbindung.

Dante, der noch im Anfange des vierzehnten Jahrhunderts lebte, liebte Beatrix, die Tochter des Falco Pottinari, die in der Blüthe ihrer Jahre starb. Die Betrübniß unsers Dichters über ihren Verlust war so groß als seine Liebe. In den Gedichten, die er auf sie machte, herrscht der Ton der Troubadours. Ausschweifende Lobeserhebungen, Klagen über Grausamkeit, Ermahnungen zur Geduld, Hoffnungen auf den Tod, als das Ende aller Leiden, machen ihre Hauptgegenstände aus.

Uebrigens aber lehrt er an mehreren Stellen seines Inferno, daß alle übermäßige Liebe zur Kreatur Laster sey, und daß Gott als das einzige und höchste Gut über Alles geliebt zu werden verdiene. Ob er gleich von der Geschlechtsliebe keinen andern Begriff gehabt zu haben scheint, als den, daß sie eine sinnliche Leidenschaft sey; so mißbilligt er sie doch nicht, wenn sie in den Grenzen der Mäßigkeit erhalten wird. Er sieht sogar in ihr den Antrieb zu hohen Tugenden. Ja! er legt in seinem Paradiso der geliebten Beatrice, die er dort wieder antrifft, das Lob bey, daß sie seine Seele über das Irdische erhoben habe.

Ganz im Style der Troubadours haben nun auch die übrigen italiänischen Dichter vor dem Petrarka, Guido Guinicelli, Cino da Pistoja, Guido Cavalcanti, und andere mehr gedichtet. Es sind die gewöhnlichen Süjets verliebter Gedichte oft in einem höchst excentrischen und hyperbolischen Style ausgedrückt, die uns weiter nicht interessieren können, als in so fern sie über den Geschmack des Zeitalters, worin Petrarka auftrat, einen nähern Aufschluß geben.

Der Nahme dieses Dichters ist noch jetzt in Italien die Losung derer, die durch ihren Glauben an den geistigen Genuß der Liebe in ihrem Dienste eine eigene Sekte bilden. Es ist höchst interessant, die Natur seiner Leidenschaft zu Lauren, und die Verhältnisse, unter denen sie sich geformt hat, kennen zu lernen, um daraus seine Begriffe über die veredelte Liebe näher zu entwickeln, und wo möglich zu bestimmen.

Petrarka ward im Jahre 1304 zu Arezzo geboren: ein Italiäner mit aller Anhänglichkeit, mit aller Vorliebe für sein Vaterland, die dieser Nation so eigen, und in Rücksicht dessen, was die Natur für dieses Land gethan hat, so gegründet ist. Sein Vater ward aus Florenz vertrieben, und ging mit seinem noch jungen Sohne nach Avignon, dem damahligen Sitze des päbstlichen Hofes. Hier ward er erzogen: hier wählte er den geistlichen Stand, um darin sein Glück zu suchen.

Dieser Umstand ist aus mehreren Gründen wichtig. Die mittäglichen Theile von Frankreich waren der Sitz der Galanterie und der Poesie der Troubadours, deren Charakter ich in dem vorigen Buche entwickelt habe. Nichts natürlicher, als daß Petrarka den Geschmack daran mit den Ideen, worauf sie beruhen, früh eingeflößt erhielt. Avignon selbst war allen Italiänern äußerst zuwider. Päbste von französischem Herkommen hatten den heiligen Stuhl aus Rom hieher verlegt, und haßten die Italiäner. Diese hingen mit schwermüthigem Zurücksehnen an ihrem Vaterlande, und waren über den Vorzug, der einem fremden Volke am päbstlichen Hofe widerfuhr, äußerst erbittert. Nach ihrer Beschreibung war dieser ein Zusammenfluß von Abentheurern und Glücksrittern, die aus allen Theilen der Welt dahin strömten, eine völlige Sittenlosigkeit einführten, und durch die niedrigsten Mittel zu den ersten Stellen der Hierarchie hinaufzusteigen trachteten.

Vieles von den früheren Sitten des Petrarka, vieles von seiner nachherigen Stimmung muß aus der Lage derjenigen großen Welt erklärt werden, worin er zuerst auftrat.

Petrarka wußte früh durch seine Leibesgestalt und seine Talente die Aufmerksamkeit des großen Haufens auf sich zu ziehen: er wußte sich Freunde und Gönner zu machen, die er Lebenslang behielt. Petrarka hatte von der Natur einen unbestimmten Trieb nach Hervorragung erhalten. Er war eitel auf seine Figur und auf die Gaben seines Geistes. Noch in seinem Alter gefällt er sich dabey uns mit zweydeutiger Bescheidenheit zu sagen, daß die Vorübergehenden, durch seine körperliche Schönheit angezogen, stehen geblieben, und, ihm zum Ueberdruß und Ekel, mit Fingern auf ihn gewiesen hätten. Er klagt sich an, Tagelang mit dem Schmuck seiner Haare zugebracht, die Reinlichkeit seiner Kleidung ängstlich besorgt, und sich den Beschwerlichkeiten gewisser Trachten zur größern Zierde seines Aeußeren unterworfen zu haben. Das Gefühl seines Werths, welches durch eine astrologische Prophezeihung noch verstärkt wurde, gab ihm ein Selbstvertrauen, vermöge dessen er sich der größten Ehrenstellen würdig, und fähig hielt, auf Alles Anspruch zu machen. Er versuchte das, was man in der Welt sein Glück machen nennt, und trat in den geistlichen Stand, den einzigen, jedoch damahls ziemlich sichern Weg, bey einigen Talenten, zu Macht, Ansehn und Reichthümern zu gelangen.

Aber Petrarka hatte nicht die nöthigen Anlagen, um sich in der politischen Laufbahn auszuzeichnen. Er suchte daher einen andern Ausweg für seine Ruhmsucht, und strebte nach litterärischem Ruf.

Was gemeiniglich verbunden zu seyn pflegt, er war zugleich eitel und sinnlich. Noch in seinem spätern Alter klagt er über ein beynahe unbezwingbares Temperament. Inzwischen erhielt eine sehr religiöse Erziehung ihn lange in den Grenzen der Zucht und der Ehrbarkeit. In Avignon rissen ihn böse Beyspiele hin, er ward ausschweifend, und um diese Zeit war es, als er Lauren kennen lernte.

Wir wissen wenig von Lauren. Man hat sogar ihre Existenz bezweifelt: man hat sie für eine allegorische Person gehalten, für den Lorber, den Preis der Dichtkunst, mit dem Petrarka in Rom gekrönt wurde, und dem er lange nachstrebte. Allein die Wirklichkeit ihrer Person, als Geliebten des Petrarka, scheint außer Zweifel zu seyn, wenn gleich die Aehnlichkeit der lateinischen und italiänischen Benennung des Lorbers, (Laurus, Lauro) und des poetischen, aus Blättern dieses Baums geflochtenen Kranzes, (Laurea) mit dem Nahmen der Geliebten, für den nach Liebe und Ruhm gleich strebenden Dichter kein unbedeutender Zusatz gewesen seyn mag. Vielleicht ist es schon dem Genius der Zeiten angemessen, daß witzige Verbindungen entfernter Verhältnisse nicht bloß gedacht, sondern gefühlt wurden. Hier lag ohnehin das Verhältniß ziemlich nah. Apollo, der Gott der Dichtkunst, hatte Daphnen geliebt: er war nicht erhört worden: er hatte kalten Lorber statt eines warmen Herzens gefunden; aber der Baum war seit der Zeit dem Gotte und Allen, die er begeistert, geheiligt gewesen. Petrarka liebte Lauren: auch er erwärmte nicht ihr Herz; aber die Gedichte, die er auf sie machte, erwarben ihm den Lorberkranz. Und gewiß! manches Gefühl, das ihm Ehrgeitz einflößte, ward auf Rechnung der Liebe gesetzt: manche Empfindung der Liebe unterstützte den Ehrgeitz. Man hat mit Recht gesagt, Petrarka würde nicht berühmt seyn, wenn er nicht geliebt hätte. Man kann vielleicht mit eben dem Rechte sagen, er würde nicht so geliebt haben, wie er that, wenn er nicht ruhmsüchtig gewesen wäre.

Wahr bleibt es inzwischen, Petrarka hat eine Dame, die er unter dem Nahmen Laura besang, wirklich gekannt, und bey seinen Gedichten vor Augen gehabt: eine verheirathete Dame von Stande, nach der Sitte der Troubadours. Aber haben bey seinen Gedichten lauter wahre Situationen zum Grunde gelegen: waren seine Poesien lauter Ausbrüche wahrer Empfindungen? Schwerlich! In seinem Verhältnisse zu Lauren muß allerdings die Veranlassung zu der verliebten Stimmung seiner Muse, nicht aber der Grund zu jedem einzelnen Sonett, zu jeder einzelnen Canzone gesucht werden.

Petrarka zeichnet seine Geliebte schön von Körper und Seele. Inzwischen erhellet aus einigen Stellen seiner Gedichte und Schriften, daß Fremde die Höhe seiner Leidenschaft durch die persönlichen Vorzüge des Gegenstandes nicht völlig gerechtfertigt gefunden haben. In ihrem Betragen gegen ihn erscheint sie als eine Frau, der Mangel an Leidenschaft die Sorge für ihre Ehre erleichterte; über den Vorwurf einer eitlen Gefallsucht nicht völlig erhaben. Durch Anziehen und Zurückstoßen (hor benigne accoglienze ed hora Sdegni[WS 109]) hielt sie den nicht erhörten Liebhaber zwanzig Jahre lang in ihren Fesseln.

Dieser entbrannte nicht gleich für sie von einem heiligen Feuer. Er suchte Befriedigung gewöhnlicher Triebe. Aber Laura war verheirathet: sie hielt auf Anstand und Tugend, und wieß den andringenden Jüngling zurück mit den Worten: ich bin nicht diejenige, für die du mich hältst.

„Die Weigerungen der Keuschheit, sagt Montaigne, mindern die Liebe nicht.“ Gewiß nicht bey Seelen, die Gefühl für das sittliche Schöne haben! Und am wenigsten bey Männern von feuriger Imagination, bey Dichtern aus der Periode, worin Petrarka lebte. Hatten nicht die Troubadours, seine Vorgänger, Damen ihres Herzens gehabt, deren Bild, Vorzüge, Strenge, der Gegenstand ihrer Verse gewesen war? War nicht der Grundsatz unter ihnen allgemein, daß ein zu leichter Sieg der Liebe alle ihre Reitzungen nehme? Petrarka fing an zu achten, anzubeten, zu besingen: Seine Leidenschaft erhielt eine neue Spannung.

Es war die Spannung der Eitelkeit, sich geliebt zu wissen, und den äußern Umständen, nicht dem Herzen, diejenige Weigerung verdanken zu wollen, welche seine gröberen Begierden erfuhren. Ein unzweydeutiges Zeichen des innern Kampfes der Leidenschaft mit der Pflicht, wie selig würde es ihn gemacht haben! Aber auch diese Forderung ward nicht gewährt, und nun will er brechen, eine Leidenschaft aus seinem Herzen vertilgen, die nicht einmahl durch Hoffnung auf Gegenliebe genährt wird. Er steht auf diesem Punkte, und ein minder ernster Blick, ein halbfreundliches Wort hält ihn auf: ja! beflügelt ihn zu den verwegensten Wünschen. „Daß ich nur eine Nacht mit ihr zubringen könnte, ruft er in einer seiner Sestinen aus, nur eine Nacht beym Schein des Mondes in der Dickung des Gehölzes, und daß dann nie die Morgensonne wieder für mich aufgehe!“

Vergebliche Hoffnungen, vergebliche Wünsche! Laura liebt seine Aufwartung, nicht seine Person. Er klagt, er klagt in Versen. Die Liebe findet keine Erhörung, aber des Dichters Ruhm wird verbreitet: seine Sonnets gehen von Munde zu Munde, sie sind die Unterhaltung aller Menschen von Gefühl und Geschmack. Die unglückliche Liebe bringt also doch Früchte, giebt doch Genuß, freylich nicht für sich selbst, aber für die Ruhmsucht des verliebten Dichters, dessen andere beynahe gleich starke Leidenschaft sie war!

Und dieser litterärische Ruf wird unserm Petrarka doppelt interessant, da er auf seiner politischen Laufbahn lauter Versagungen findet. Er wirbt um den Dichterkranz, der ihn für die aufgegebene Bürgerkrone schadlos halten soll. Er fühlt, daß er zu diesem Kranze durch seine Gedichte an Laura die schönsten Blätter flicht, und daß er wieder diese der Begeisterung für seine Dame verdankt. So findet er in seiner Liebe zu gleicher Zeit Mittel, sich für die Versagungen einer Art des Ehrgeitzes zu trösten, und eine andere Art desselben zu befriedigen.

Aber nicht bloß den Schriftsteller machte die unglückliche, und eben daher der Begeisterung günstigere Liebe interessanter. Auch der Mensch im gemeinen Leben zeichnete sich aus durch den hinschmachtenden, schmelzenden Zustand der Leidenschaft, besonders nach den Begriffen des damahligen Zeitalters. Man sahe die begeisterte Empfindsamkeit als ein Zeichen des Edelsinns an. Man fand in der Zurückgezogenheit von Zerstreuungen und rauschenden Freuden, in der Beschränkung seiner Wünsche, in der Aufopferung für eine gesellige Leidenschaft, eine Erhöhung über die niedere Sinnlichkeit, und über den gröberen Egoismus. Selbst in Thränen unerhörter Liebe Wollust zu finden; ihre Qualen jedem Vergnügen, das sie nicht giebt, vorzuziehen; lieber für seine Dame sterben, als bey einer andern das höchste Glück genießen wollen; das waren Ideen, welche die damahlige Zeit bewunderte, schön fand, und welche die Werke der Troubadours und die Romanciers ausgebreitet hatten. Petrarka war mit ihrem Geiste vertraut.

Unzufriedenheit mit seiner Lage, Kränklichkeit, Launen, zwangen Petrarka oft, die Welt und seine Verhältnisse zu ihr in der Einsamkeit zu vergessen. Hier ward es ihm besonders wichtig, ein Bild mit sich herumzutragen, das seine Phantasie füllen, und diese zur verschönernden Schöpfung auffordern konnte. Die Hemmung seines Triebes nach Vereinigung mit seiner Geliebten leistete ihm hier mehr Diensie, als ihre Begünstigung, und die Entfernung ließ seiner Imagination ein freyeres Spiel, als die Annäherung.

Petrarka war sinnlich: aber er hatte Gefühl für Zucht und Reinheit der Sitten. Sein Stand und sein Herz legten ihm Keuschheit als Pflicht auf. Er verachtete sich selbst, wenn er gefallen war; so sagt er es selbst, und es ist zu glauben. Seine Leidenschaft zu Lauren schlug seine Begierden nieder: sie bewahrte ihn vor groben Ausschweifungen. So erleichterte sie ihm die Mittel, sich selbst zu achten, und seine Leidenschaft veredelte sich vor seinen Augen durch ihre Folgen.

Petrarka war devot. Alle zärtlichen Seelen, alle reitzbaren Imaginationen sind es, aber er ward dazu als Geistlicher und nach der Denkungsart seines Zeitalters doppelt aufgefordert. Freunde und Feinde machten ihm Vorwürfe über seine Liebe zur Kreatur. Der Kampf, den seine Seele empfand, verstärkte seine Leidenschaft: er suchte seine Schwäche mit seinem Gewissen auszusöhnen. Was er war, war er ja durch Lauren! Sie hatte ihn von größeren Lastern befreyet! Sie hatte ihn das Eitle ehrgeitziger Wünsche kennen gelehrt! Und seine Triebe zu ihr sind so rein! Was er an ihr liebt, sind ihre Vollkommenheiten, ihre Tugenden! Religiöse Schwärmerey gesellt sich zur Liebe: Er verehrt das höchste unsinnliche Wesen in dem vollkommensten seiner sichtbaren Werke.

Petrarka war ein enthusiastischer Verehrer des Alterthums. Er strebte unaufhörlich, die Denkungsart der Griechen und Römer zu seiner eigenen und zu der seines Zeitalters zu machen. Als er im Plato Ideen fand, die mit seiner Lage und mit seiner Denkungsart im Verhältnisse standen; wie reitzend mußten sie ihm nicht schon darum seyn, weil sie das Ehrwürdige des Alterthums für sich hatten!

Aus diesen Zügen läßt sich die Natur des Verhältnisses erklären, worin Petrarka mit Lauren stand. Es war nicht Liebe: es war begeisterte Empfindsamkeit, die sie ihm einflößte. Er strebte, seine Phantasie mit einem Ideale zu täuschen, wozu ihm Laura bloß den Stoff hergegeben hatte, theils um in dem Zustande der Spannung seiner edelsten Kräfte zu schwelgen, theils um den Stolz zu nähren, sich selbst so außerordentlich liebend zu fühlen, und seine Ruhmsucht zu befriedigen, von Andern für den lieblichsten Sänger der Liebe gehalten zu werden. Laura’s Bild in der idealisierten Gestalt, die er ihm gegeben hatte, fing am Ende an, ihn völlig zu besitzen. Aber mehr aus einem angewohnten Bedürfnisse, als aus anhaltender Leidenschaft. Diese hat nun wohl Petrarka überhaupt für Laurens Person nicht empfunden: und wenn gleich einzelne leidenschaftliche Aufwallungen darauf schließen lassen; so bemerkt man doch im Ganzen eine Nüchternheit des Herzens, welche die Oberherrschaft des Triebes, seinem Kopfe eine angenehme Unterhaltung zu verschaffen, über die sympathetischen Neigungen deutlich zu erkennen giebt.

Mit einem Worte: Petrarka’s Liebe zu Lauren war eine angewöhnte begeisterte Empfindsamkeit, vermöge deren er das Bild ihrer Person und seines Zustandes im Verhältnisse zu ihr zu idealisieren, und dadurch die Vorstellung von seinem Selbst zu verschönern suchte.

Nur dadurch wird es begreiflich, wie Petrarka den größten Theil seines Lebens in einer Stimmung habe zubringen können, die, wenn sie Folge einer Leidenschaft nach Vereinigung der Personen gewesen wäre, ihn um den Verstand hätte bringen müssen. Nur dadurch wird es begreiflich, wie er in seinen gelehrten Schriften so ruhig, so kalt, so überlegt, und in seinen verliebten Gedichten so schwärmerisch erscheinen kann. Seine Neigung zu Lauren hatte nie sein ganzes Wesen eingenommen. Sie beherrschte nur seine Phantasie, und ließ ihn kalt, wo er von dieser keinen Gebrauch machte. Lächerlich ist es, ihn als das Modell des uneigennützigsten Liebhabers aufzustellen. Er war so eigennützig als möglich; aber seine Selbstheit war von feinerer Art: sie war auf sympathetische Neigungen geimpft. Man kann ihm kein Verdienst aus seiner Beständigkeit und seiner Geduld machen. Er verzärtelte sich in seinem leidenden Zustande wie gewisse Kranke, die das körperliche Mißbehagen, das sie vor ihren eigenen und fremden Augen interessant macht, gegen das Bewußtseyn der vollkommensten Gesundheit, das sie in die Reihe gewöhnlicher Menschen zurückversetzen würde, nicht vertauschen möchten.

Den Beweis dieser Behauptung liefern alle Schriften des Petrarka, liefern alle Nachrichten, die er uns von seinem Leben hinterlassen hat.

Es ist schwer, einzelne Stellen auszuheben, die völlig beweisend sind, da der Charakter sich aus einer Menge kleiner Züge am besten zusammensetzen, und aus dem Geiste, der das Ganze belebt, am sichersten herausahnen läßt. Inzwischen will ich doch Einiges anführen. Er selbst gesteht, daß er seine Laura nie reitzender gefunden habe, als in der Abwesenheit von ihr: daß seine Imagination sie um so reitzender ausgemahlt habe, je entfernter sie von ihm gewesen sey. Er sagt uns, daß er jene wollüstigen Schauer geliebt habe, welche eine Mischung von heftiger Erschütterung der Lebensgeister und nachdehnender Mattigkeit zum Grunde hätten! – Eine deutliche Bezeichnung jener Lüsternheit der Seele, die in der Spannung einer süßen Melancholie ihre größten Freuden sucht!

Auf einer Reise, die ihn von Laura entfernte, wirft er in einem Sonnet die Frage auf: wie es möglich sey, daß er, als der Körper, von Lauren, seiner Seele, entfernt leben könne? und er beantwortet diesen Zweifel mit der Bemerkung: es sey das Vorrecht der Liebenden, entbunden von allen menschlichen Eigenschaften zu leben.

Ich gebe es gern zu: in den Zeiten, worin Petrarka lebte, lag Vieles, was uns jetzt weit hergehohlt, und bloße Sache des Kopfs zu seyn scheint, dem Herzen näher, und ward nicht bloß bemerkt, sondern gefühlt. Ich will daher gern unsern Dichter von dem Vorwurfe frey sprechen, diese entfernten Verhältnisse mühsam herbeygezogen zu haben, um witzig zu scheinen. Aber wahre Wesenverwebung, Leidenschaft der Liebe, oder auch nur der Geschlechtssympathie wirft solche Zweifel nicht auf, und beantwortet sie nicht auf diese Art.

Beynahe in allen seinen Sonnets und Canzonen liegt etwas Spielendes, das freylich nicht auf einen Mangel an wahrer Empfindung, wohl aber auf einen Mangel an jenen sympathetischen und liebenden Neigungen schließen läßt, die sich mehr mit der Person, als mit ihren Zufälligkeiten zu vereinigen suchen. Alles, was Lauren umgiebt, Alles, was von ihr ausgeht, wird zu einem Stoffe, der seine Phantasie zur sinnlichen Verschönerung, oder zur Vergeistigung auffordert. Er ruhet auf dieser Beschäftigung und Sorge mit einer Genügsamkeit, mit einer Muße, welche mit der einseitigen Belustigung eines angenehm Träumenden, und zuweilen eines Entzückten die größte Aehnlichkeit hat. Seine Schwermuth hat nicht den zärtlichen Ausdruck eines Tibull, nicht die Energie einer Sappho: sie gleicht ganz der Stimmung eines Weichlings, der in der Auflösung und hinschmelzenden Abspannung seiner Kräfte das sicherste Mittel zu einem üppigen und behaglichen Zustande findet. Nie überschreitet er in seinen Klagen und Vorwürfen die Grenzen der Ehrfurcht und Demuth: er genießt in seiner Niederwürfigkeit vor dem angebeteten Gegenstande die ganze Süßigkeit, welche diesen Zustand den Schwärmern in ihren Verhältnissen zu Gott so angenehm macht. Darum ladet er uns auch nie zu peinlichen Empfindungen des Mitleidens ein. Wir halten es gern mit ihm aus, uns mit einiger Mischung von Schmerz anzapfen und dehnen zu lassen, und der Eindruck, der nachbleibt, ist im Ganzen sanfte Spannung, süße Melancholie!

Wie leicht konnte Petrarka in einer solchen Stimmung die Abwesenheit von seiner Geliebten ertragen! Beym Anblick der schönen Ufer der Loire, welche die Mauern Avignons, ihres Wohnorts, bespühlt, geräth er in die höchste Bewegung: er eilt sich ihr zu nähern. Aber kommt nur bis Lyon, und obgleich nur wenige Meilen von Avignon entfernt, bleibt er an dem ersten Orte die heiße Jahreszeit über ruhig liegen.

Petrarka fürchtet seine Geliebte durch Krankheit zu verlieren. Ueberläßt er sich verzweiflungsvoll den Empfindungen seines Unglücks? Nein! er untersucht den Platz, den sie unter den Sternen am Himmel einnehmen würde. „Stellt sie sich zwischen der Venus und dem Mars, sagt er, so wird sie die Sonne verdunkeln; denn alle auserwählten Seelen werden sich zu ihr drängen, ihre unendliche Schönheit zu bewundern. Stellt sie sich unter der Sonne hin, so verfinstert sie alle Planeten, und sie allein wird man nennen. Im fünften Zirkel wird sie nicht wohnen wollen; aber fliegt sie noch höher; so wird sie, das weiß ich gewiß, alle andern Sterne auslöschen.“

Welcher Frost, welcher Schwulst, welche Kostbarkeit, wird man ausrufen! Und mit Recht, sobald man bloß die Lage eines Verliebten betrachtet. Aber man darf deßhalb nicht annehmen, daß Petrarka sich in die Gefühle, welche solche Bilder hervorbringen, willkührlich hineingelogen habe. Sie liegen nicht dem Herzen, wohl aber dem Beschauungshange ganz nahe, sobald man das Zeitalter des Petrarka, und den Werth, den er auf den platonischen Mythus, nach welchem reine Seelen nach ihrem Tode irgend einen Stern beleben, in Anschlag bringt. Die verweilende, beynahe ins Kindische fallende Spielerey mit diesem Bilde gehört freylich nicht dem Manne, der mit der Person seiner Geliebten Alles auf dieser Welt zu verlieren fürchtet; aber sie ist demjenigen eigenthümlich, der an ihrem Bilde hängt, und in dessen Verschönerung seinen süßesten Genuß findet.

Einst als er an den Küsten von Toskana nach einer Seereise aus der Provence aussteigt, ist das erste, was ihm in die Augen fällt, ein Lorberbaum. Bey diesem Anblicke sinkt er ohnmächtig zu Boden, und in eine Quelle, die zu den Füßen des Baumes rauscht. Was ist seine Empfindung dabey? Er erröthet vor sich selbst: er freuet sich, daß nun seine Füße naß geworden sind, statt daß ehmahls seine Augen weinten, und hofft, daß ein anderes Klima diese trocknen werde.

Gewiß hat Petrarka seine Phantasie mit vielen Bildern unterhalten, welche der gute Geschmack nicht billigen kann. Aber daneben finden wir auch andere, (und dieser ist gewiß die größte Anzahl,) welche auch die kältesten Seelen zur Bewunderung und zum Antheile an seinen Schönheitsgefühlen einladen, und zugleich einen erhöheten Reitz durch die sympathetischen Züge erhalten, die ihnen beygemischt sind.

Seine Sonnette und Kanzonen sind zu bekannt, als daß ich sie hier anführen sollte. Aber ich kann der Versuchung nicht widerstehen, eine der rührendsten Stellen aus seinem Triomfo della morte auszuheben. Nach diesem Gedichte erschien ihm seine Laura an eben dem Tage, als sie zu einem bessern Leben überging. Sie preiset sich glücklich: sie fängt nunmehro erst an zu leben, und Petrarka ist noch todt, wird todt bleiben, bis die letzte Stunde kommt, die ihn von dieser Erde weghebt. Sie geht eben so gern zum Himmel über, als der Verwiesene, der nach einem langen Elende wieder in sein Vaterland zurückkehrt. Ihr einziger Kummer ist, daß sie den Petrarka zurücklassen muß. – „Ist es möglich? ruft dieser. O sage mir, ich beschwöre dich darum bey der treuen Liebe, die ich so lange für dich gehegt habe, und die dir nicht zweydeutig seyn kann, hast du wirklich Mitleiden mit meiner Marter gehabt? Hab’ ich mich nicht betrogen, wenn ich in deinen Blicken und Worten bey mancher Aeußerung von Strenge auch Güte habe durchblicken sehen, und dadurch lange Jahre in Zweifel über deine wahren Gesinnungen geblieben bin?“ – Ein sanftes Lächeln überglänzte hier der Geliebten Antlitz. „Du hast stets mein Herz gehabt, sprach sie. Aber das Uebermaß deiner Leidenschaft erlaubte mir nicht, mich dem Ausbruch der meinigen zu überlassen. Ich mußte dir den wahren Zustand meines Herzens verhehlen, um unsern Ruf und unsere Seelen zu retten. Tausendmahl war der Ausdruck des Zorns auf meinem Gesichte, und brennende Liebe in meinem Herzen. Ach! die Gefühle, welche die Vernunft zu verhehlen befiehlt, sind nicht selten gewaltsamer, als diejenigen, die man ausläßt! Wie oft warf ich dir einen Blick voll Güte zu, wenn ich dich der Verzweiflung nahe sah! Wie oft drückten sich Schmerz und Furcht über deinen Zustand in meinen Mienen aus! Erinnre dich des Tages, da wir allein waren, und ich die Verse gütig aufnahm, die du mir mit den Worten überreichtest:“ das ist Alles, was die Liebe sagen darf! „Durfte die meinige mehr sagen? Nichts mißfiel mir in deiner Leidenschaft, als das Uebermaß. Deine Aufführung machte sie der ganzen Welt kund. Ich wechselte oft mit strenger und sanfter Behandlung ab; aber dieser Kunstgriff war nöthig, um dich und meine Tugend meinem Herzen zu sichern. Beydes nehm’ ich mit mir von der Erde weg, und das macht mein Glück und meinen Stolz aus. Mein Nahme ist durch deine Gedichte überall hin verbreitet: er wird mich überleben. Ich danke dem Schicksal: nur hätte ich in deinem Italien geboren werden mögen! Doch sollte mir das Land nicht gefallen, worin ich dir habe gefallen können? Wer weiß, ob nicht dein Herz, das jetzt meinen ganzen Stolz ausmacht, an diesem Aufenthalte deiner Jugend für einen andern Gegenstand entbrannt seyn würde! – Nie! rief Petrarka, nie! Die Natur schuf mich, um dich anzubeten!“– Der Morgen brach an, und Laurens Gestalt verschwand in den Lüften. –

Ein Paar Züge in Petrarka’s Charakter scheinen mir noch merkwürdig, um die Natur seiner Schwärmerey und seiner Liebe zu entwickeln. Das Außerordentliche, das Seltene, das Alte beflügelte leicht seine Imagination, und riß sein Herz mit sich fort. Er liebte den Aufenthalt in Mayland, mit aus der Ursach, weil er nahe an der Kirche des heiligen Ambrosius lebte. Der leidenschaftliche Antheil, den er an der Revolution des Rienzi nahm, der die römische Republik wieder herstellen wollte, gehörte weit mehr dem Reitze, den das Bild des wiederkehrenden Alterthums für ihn hatte, als der Ueberzeugung von der innern Güte der Sache selbst. Denn mit gleichem Enthusiasmus sehen wir ihn in der Folge für die Wiederherstellung[WS 110] der römischen Monarchie durch den Kayser Karl den Vierten, und sogar für die Wiederkehr des Sitzes der päbstlichen Hierarchie in den Mauern Roms sich interessieren. Ja! der schwärmerische Republikaner hing sich sogar an den größten Despoten von Italien, Johannes Visconti, trat in seinen Rath, und nahm Theil an den Planen, die Genua’s Freyheit untergraben sollten. Warum? weil, wie er selbst sagt, Johann Visconti ihm mehr Ehre erwies, als er verdiente, erwartete, und wünschte.

Ueberhaupt ist Eitelkeit, oder vielmehr Ruhmsucht, ein Hauptzug in seinem Charakter gewesen. Er schreibt an einen Griechen, daß er dem Kayser von Konstantinopel eben so bekannt zu seyn wünsche, als dem Kayser des Abendlandes. Auch Beweise einer enthusiastischen Bewunderung von Personen niedern Standes reitzten ihn durch das Ungewöhnliche in der Hingebung. Ein Goldschmidt, dem die Liebe zu den Wissenschaften den Kopf verrückt hatte, opferte sich auf um der Ehre willen, mit Petrarka in Verbindung zu stehen. Er bewies ihm eine Art von Abgötterey, und Petrarka ward so sehr dadurch gerührt, daß er Gefälligkeiten gegen ihn hatte, die er für keinen Großen der Erde gehabt haben würde.

Was mit einer lebhaften Imagination leicht vereinigt zu seyn pflegt, Veränderlichkeit in den Neigungen, zeichnete besonders unsern Petrarka aus. Er ward von einer beständigen Unruhe getrieben, seinen Wohnort zu verändern, und kaum war er an dem neuen angelangt, so sehnte er sich wiederum nach demjenigen zurück, den er verlassen hatte. Würde, fragt man billig, dieser Mann nicht eben so mit Herzen gewechselt haben, wenn er dasjenige wirklich eingenommen hätte, nach dessen vollkommenem Besitz er vergebens strebte? „Das Einerley, sagte er, ist die Mutter der Langenweile. Ich suche beyden zu entgehen, indem ich oft meinen Aufenthalt verändere.“

Er hing sich mit unendlicher Wärme an seine Freunde. Wenn er sie nicht sah, so nahm er, wie er selbst sagt, seine gewöhnliche Zuflucht zu seiner Einbildungskraft, und dachte sie sich, als wenn sie gegenwärtig wären. Die Besorgniß, sie zu verlieren, war ihm peinlicher, als der Schmerz über ihren Verlust.

Er war über mehrere Vorurtheile seiner Zeit erhaben, ohne sich ganz von den Fesseln seiner Erziehung frey machen zu können. Er glaubte, wenigstens in den letzten Jahren seines Lebens, weder an astrologische Weissagungen, noch an die Unfehlbarkeit des Pabstes; aber desto mehr an Träume, an Vorahnungen, und sogar an die Kraft der Steine, den Menschen, der sie trüge, unüberwindlich zu machen.

Noch ein Zug, der das Verhältniß seiner Vernunft zu seiner Einbildungskraft beweiset: er liebte die Karthausen und ihre Bewohner. Er hatte einen Bruder, der selbst dieß Gelübde auf sich genommen hatte. Auch lebte er gern in ihrer Nachbarschaft, füllte seine Phantasie gern mit den Bildern, die sie bey ihm erweckten; aber das Gelübde selbst auf sich zu nehmen, dazu fehlte es ihm an Muth. Er liebte die Einsamkeit, aber keine völlige Abgezogenheit von der Welt, und seine Freyheit ging ihm über Alles.

Diese Züge rechtfertigen also gewiß den Charakter, den ich vorhin unserm Petrarka und seiner Liebe beygelegt habe. Weich, sinnlich, eitel von Natur, nicht ohne Anlagen zu wohlwollenden geselligen Neigungen überhaupt, und zu zärtlicher Anhänglichkeit und Angewöhnung an bestimmte Personen, war er dennoch zu einer anhaltenden, sich aufopfernden Leidenschaft ursprünglich nicht geschaffen. Das Verhältniß, worin er zu Lauren stand, beruhte nicht auf Leidenschaft nach Vereinigung der Personen; es war eine angewöhnte gespannte Lage, eine zur Natur gewordene begeisterte Empfindsamkeit. Will man diesen Zustand Leidenschaft nennen, so war es Leidenschaft der Selbstheit, die den Beschauungshang und die sympathetischen Neigungen dazu nutzte, den Geist in einer üppigen, hinschmelzenden Spannung zu erhalten. Seine Schwärmerey war nicht von finsterer und wilder Art. Sie war auch nicht von der Stärke, um ihm das richtige Urtheil über die Verhältnisse zu seiner Sinnlichkeit und Vernunft zu rauben. Er würde sich gewiß nicht wie eine Sappho ins Meer gestürzt, oder wie ein Rance in ein Karthäuserkloster geworfen haben. Er vergaß sich selbst und sein Verhältniß zu den Dingen um ihn her nie weiter, als es nöthig war, um seiner Imagination ein freyes Feld zu lieblichen Schöpfungen zu lassen. Er liebte nicht Lauren selbst, sondern die Bilder, die er von ihrer Person und ihren Beschaffenheiten aufnahm, und vermittelst seines Schönheitssinnes verarbeitete.

Das Außerordentliche in dieser Stimmung ist bloß die Dauer derselben, der Reichthum und die Vortrefflichkeit der Bilder, die sie ihm eingab. Aber die Dauer läßt sich aus den Lagen und Umständen erklären, die ich vorhin entwickelt habe. Der Reichthum gehört großen Theils seinen Vorgängern, den Alten und den Troubadours. Die mehrsten seiner Bilder findet man schon bey diesen. Petrarka hatte weit mehr Talent als Genie, weit mehr Kunst, zu bearbeiten und auszuschmücken, als zu schaffen. Seine Bekanntschaft mit den Alten, und besonders mit den Ideen des Plato, hatte aber seinen Geschmack gebildet, und erhob ihn über die Dichter seines Jahrhunderts und der beyden vorhergegangenen. Daher finden wir so viel schönere und so viel erhabenere Bilder bey ihm als bey seinen Vorgängern.

Es läßt sich nach dem Charakter des Petrarka und nach der ganzen Art seines Genies kaum erwarten, daß er ein völlig zusammenhängendes System über die Liebe gehabt habe. Diejenigen, welche ihm das System des Plato beylegen, haben wahrscheinlich das Charakteristische des letzten nicht völlig begriffen. Es läßt sich kaum von Petrarka erwarten, daß er völlig in die Ideen dieses Philosophen der Vorzeit eingedrungen seyn sollte, um so mehr, da dieser sich darüber nicht völlig einstimmig mit sich selbst in allen seinen Schriften äußert.

Es läßt sich nicht läugnen, daß beyde aus der Vereinigung mit den Gegenständen ihrer Anhänglichkeit einen geistigen Genuß zu ziehen gesucht haben. Eben so wahr ist es[WS 111], daß beyde behauptet haben, das Geistige verdiene in der Liebe den Vorzug vor dem Körperlichen, oder sey vielmehr einzig würdig, geliebt zu werden. Endlich kommen beyde darin überein, daß sie in der Liebe einen Anreitz zur Tugend finden, und sich durch die Bewunderung der physischen Schönheit zur geistigen, und von dieser sogar zu dem übersinnlichen und höchsten Wesen erheben wollen. Aber dieser anscheinenden Aehnlichkeit ungeachtet trifft man bey genauerer Prüfung dennoch eine große Verschiedenheit unter ihnen an.

Petrarka dachte über die Liebe ganz anders als Dichter und als Laurens Liebhaber, ganz anders als Moralist. In dieser letzten Eigenschaft verdammte er alle Liebe zur Kreatur, und glaubte, daß alles falschen Adels ungeachtet, welchen man dieser Leidenschaft beyzulegen suche, sie allemahl auf Sinnlichkeit beruhe, von der Liebe zu Gott und von der Religion abziehe, die besten Kräfte des Menschen verzehre, und folglich sowohl den Pflichten gegen das höchste Wesen, als gegen uns selbst und die Gesellschaft entgegen sey. Das Beste, was sie allenfalls einflöße, sey die Begierde nach Ruhm, mit der der Mensch aber gleichfalls nicht weit reiche.

Dieß erhellet ganz deutlich aus seinen Unterredungen mit dem heiligen Augustin, worin dieser Kirchenvater offenbar die Rolle des bessern Selbstes unsers Petrarka übernimmt. Es erhellet aus seinen Briefen an den Pater Dionysius, und es liegt in den Begriffen seiner Zeit über Tugend und Religiosität.

Schon hier eine auffallende Verschiedenheit vom Plato, nach dessen sittlichen Begriffen die Liebe wirklich ein Weg zur Tugend, und ein Mittel zur Veredlung des Geistes und des Herzens war.

Wir können also bloß die Denkungsart des Petrarka als Dichter mit dem Systeme des Plato vergleichen. Hier fällt es wieder auf, daß die Ideen, welche dieser dem Sokrates in seinem Gastmahle in den Mund legt, mit den Schwärmereyen des Petrarka gar keine Aehnlichkeit haben. Jener Zug zur Urschönheit für ewige Harmonie und Vollkommenheit genommen, aus dem Plato dort den Zug zur Schönheit überhaupt, und weiter hinunter zur Unsterblichkeit, ja! sogar zur physischen Zeugung erklärt, war gewiß für den Petrarka zu abstrakt, als daß er ihm auf die Spur hätte kommen sollen. Auch findet man davon bey genauer Prüfung keine Spur in seinen Schriften. Näher stimmt er mit den Ideen des Plato in seinem Phädrus zusammen, worin dieser die erhaltenen Begierden als ein Mittel zur Begeisterung für das Edle und Schöne, nach den Begriffen seiner Zeit, betrachtet.

Allein die Begeisterung, welche Plato von der Unterjochung der Begierden erwartet, war rüstig, unternehmend, wacker. Hingegen ist diejenige, auf welche Petrarka rechnet, hinschmelzend und träumend. Auch waren sie in ihren Begriffen von der Art der Vereinigung, von dem Genusse des Geistigen, und von Tugend, Edelsinn und Schönheit sehr von einander abweichend.

Plato’s Liebhaber strebt nach Annäherung an den geliebten Gegenstand, um mit ihm gemeinschaftlich nach Bürgertugend zu ringen, sich dadurch über eine niedere Sinnlichkeit zu erheben, und mittelst dieser Vorbereitung der Wiedererlangung des verlornen Platzes in der Oberwelt würdig zu werden. Von der Ahnung einer schönen Seele aus einem schönen Körper ist dem Plato nichts bekannt, noch weniger sucht der Liebhaber, den er darstellt, seinen Liebling unter idealischen Gestalten zu sehen, sich Träume von ihren glücklichen Verhältnissen zu bilden, und überhaupt Genuß aus einer unglücklichen Liebe zu ziehen. Am wenigsten denkt er an die religiösen Ideen der neueren Zeit, den Werkmeister in seinem schönsten Werke zu bewundern, und in den Sitten seines Lieblings ein Bild des himmlischen Lebens zu finden. Ja! das ganze Verhältniß, welches zwischen dem griechischen Liebhaber und seinem jüngeren Lieblinge Statt fand, ließ die Ideen der neueren Galanterie, die Niederwürfigkeit vor seinen höhern Verdiensten, der Ausgleichung seines Werthes und Rufs, überall nicht zu.

Beym Petrarka ist die edlere Liebe ganz auf das Verhältniß eines unglücklichen Liebhabers zu einer Dame, die an Stand und innerer Würde über ihn erhaben ist, berechnet. Nach ihm beruht jede zärtliche aber leidenschaftliche Anhänglichkeit an einer Person von verschiedenem Geschlechte auf der Begierde, wieder geliebt zu werden, und durch den Besitz ihres Herzens zugleich einen Anspruch auf Alles zu erhalten, was Seele und Körper in der engsten Verbindung sich einander geben können. Wenn aber äußere Umstände, oder gar Mangel an Gegenliebe, eine völlige Vereinigung hemmen; so bleibt dem Liebhaber in seiner unglücklichen Liebe dennoch ein Genuß übrig. Petrarka drückt dieß so aus: „Hoffnung und Liebe nisten sich zusammen im Herzen ein. Aber wenn auch jene verschwindet, so bleibt doch diese zurück!“

Diese Liebe des unerhörten Liebhabers bildet sich dann die Person des Geliebten und alle seine wirklichen und möglichen Verhältnisse unter den schönsten Gestalten. Schon diese Beschäftigung der Imagination ist ein geistiger Genuß. Aber er wird dadurch noch mehr vergeistiget, daß diese Formen wieder Bilder unsinnlicher Vorzüge, ja! des höchsten aller Wesen erwecken. Man ahnet daher aus einem schönen Körper eine schöne Seele: man bewundert den Schöpfer in dem Schönsten, was man auf der Welt sieht. Das Herz wird dadurch zur Anbetung gegen ein so vollkommenes Wesen, und zur fernern Nacheiferung seiner Tugenden aufgefordert. Ob der Liebhaber gleich auf Gegenliebe nicht mehr Anspruch machen darf; so strebt er doch noch dahin, die Geliebte mit einem Bilde seines Wesens zu erfüllen, das demjenigen gleich sey, was er von ihr in seinem Herzen trägt. Sein Ruf, seine Tugenden, sollen ihn ihr interessant machen, und indem sie sich sagen kann: durch mich ist er dasjenige geworden, was er ist, soll sie fühlen, daß er würdig sey, von ihr geliebt zu werden, wenn gleich Pflicht und Anstand ihr verbieten, diese Gesinnungen in diesem Leben zu entdecken. In einem künftigen sind sie dann sicher, frey von allen Banden, die hier ihre verschwisterten Seelen trennten, auf immer vereinigt zu werden.

So sehr ich zweifle, daß dieß System je so zusammenhängend in Petrarka’s Kopfe existiert habe; so sicher bin ich, daß er es unterschrieben haben würde, wenn es ihm vorgelegt wäre. Denn es leuchtet aus allen seinen Schriften hervor.


Eilftes Kapitel.
Fortsetzung. Italiänische Dichter nach dem Petrarka.

Petrarka hat in und außer seinem Vaterlande viele Nachfolger gefunden. Inzwischen ist seine Denkungsart über die Liebe bey weitem nicht alleinherrschend geworden. Schon neben ihm stand Boccaz, der diesen Gegenstand nicht bloß leicht, sondern sogar ausgelassen in mehreren von seinen Schriften behandelt hatte. Luigi Pulci, Boyardo, Ariosto, Teofilo Folengo, und mehrere Andere folgten seinem Beyspiele, und stellten die Geschlechtsverbindungen als Verhältnisse dar, bey denen Sinnlichkeit und geselliges Vergnügen zum Grunde lägen.

Ueberhaupt konnte sich bey dem zunehmenden Geschmack an der klassischen Litteratur der Alten die metaphysische und excentrische Wendung der Ideen des Petrarka nicht halten. Selbst diejenigen, welche auf eine edlere Art von der Liebe dachten, Sannazaro, und Tasso, Vater und Sohn, strebten bey ihren Darstellungen von der Liebe einem natürlichen Ausdruck von Gefühlen nach, die mehr mit dem Herzen als mit der Imagination in Verbindung standen. Eine feinere Sinnlichkeit mischte sich mit ein. Man behielt aus den Ideen der Vorzeit nur dieß bey, daß der höchste Reitz der Geschlechtsverbindung in der Beschäftigung liege, die sie dem Geiste giebt: daß die Seele allein lieben könne, und daher allein der Liebe werth sey: daß diese die Freuden des Körpers hauptsächlich schätzbar mache: daß selbst in den Qualen unerhörter Liebe eine geheime Wollust liege: und daß endlich Treue, Aufopferung und Beständigkeit die einzigen zuverlässigen Beweise einer wahren und edlen Zärtlichkeit wären.

So erscheint die Liebe noch beym Guarini und Marino. Aber ihr Ausdruck hat sich schon wieder von der Natur entfernt, und den bald pomphaften, bald schmelzenden, und bald witzigen Ton angenommen, dessen Entstehung theils dem Bestreben, die Vorgänger an poetischem Schwunge und an tönender Sprache zu übertreffen, theils dem Einfluß der spanischen Litteratur zuzuschreiben ist.

Zwölftes Kapitel.
Liebe bey den spanischen, französischen, englischen und deutschen Dichtern.

Die Spanier haben wahrscheinlich von den Troubadours und Arabern zu gleicher Zeit gelernt.

Ihre erotischen Gedichte zeichnen sich durch den abgemessenen steifen Ausdruck einer schwärmerischen Verehrung der Schönheit aus. Es ist nicht genug, daß der Liebhaber traure; er muß in Verzweiflung gerathen, wenn er vollkommen lieben soll. Der Witz der Spanier braucht nicht bloß Seufzer und Thränen, sondern Feuer, Brand und Tod, um die Leidenschaft zu bezeichnen. Dabey mischt sich ihr religiöser Fanatismus allerwärts mit ein. Einige Dichter haben die Klaglieder der Propheten, andere den Psalm de profundis auf ihre Leiden parodiert. Andere haben diejenigen als Märtyrer kanonisiert, die aus Mangel an Gelegenheit, ihre Damen zu sehen, gestorben sind. Man hat kaum einen Begriff von den abentheuerlichen Bildern und dem falschen Witze, wodurch sie ihre Bewunderung der Schönheit, und ihre Leidenschaft auszudrücken suchen. „Seitdem ihr geboren seyd, sagen sie, ist die Schönheit aus der Welt verschwunden, ihr allein habt sie hingenommen.“ – „Ihr entfernt das Gegenwärtige, und vergegenwärtigt das Entfernte; denn euer Anblick raubt zu gleicher Zeit alle Erinnerung an das Abwesende, und alle Empfindung des Nahen.“ – „Wer eure Größe mit weltlichen Dingen vergleichen wollte, würde die Vernunft brauchen, um die Geheimnisse des Glaubens zu erklären. Es ist unmöglich, euch zu loben, weil das Wahre das Unwahre brauchen müßte, um sich deutlich zu machen, und die Vernunft dasjenige, was sie für vernünftig erkennt, verwerfen muß. Demungeachtet verdiene ich Entschuldigung wegen meiner Schuld, weil mich meine große Schuld entschuldigt.“ – „Ich fühle mich frey in meinem Gefängnisse, sicher in meiner Gefahr, im Widerspruche mit mir selbst bey meiner Entschlossenheit. Die Liebe ist für mich ein freudiger Schmerz, eine unvernünftige Vernunft, eine muthige Furchtsamkeit, ein langweiliges Vergnügen, ein finsteres Licht, ein unbelobter Ruhm, ein kränkliches Wohlseyn. Sie hört nicht auf, mich zu verbrennen, und verwandelt mich doch nicht in Asche.“ u. s. w.

Eine solche fade Uebertreibung der Abhängigkeit von dem geliebten Gegenstande, verbunden mit der Begierde, durch Witz zu glänzen, wo die Empfindung reden sollte, ist der Hauptcharakter der spanischen Galanterie, die sich sogar in ihr Theater eingeschlichen hatte, und die sich bald über alle Länder von Europa ausbreitete.

Inzwischen findet man auch unter ihnen Spuren einer leichteren Behandlungsart der Liebe, und besonders sehr viel List, und sehr viel pomphafte Intrigue, als Mittel gebraucht, um aus den Geschlechtsverbindungen eine gesellige Unterhaltung zu ziehen. Von einer willkührlichen Beschränkung auf geistigen Genuß findet man wenig oder nichts in ihren Dichtern; allein der Zustand eines unglücklichen und verzweifelnden Liebhabers nimmt jenen Genuß als eine Schadloshaltung an, und als solcher wird er natürlicher Weise oft von ihnen dargestellt.

Bey den Franzosen nahm die Dichtkunst mit dem vierzehnten Jahrhunderte sehr ab. Gegen das Ende desselben traten die sogenannten Chants royaux, die Balladen, Rondeaux und Pastoralen an die Stelle der Provenzalpoesie, und wurden zusammen mit der Benennung neuer Poesie bezeichnet. In dieser herrschte viel Gelehrsamkeit, viel Allegorie, ein schwerfälliger, geschraubter Witz, und ein schwülstiger, hyperbolischer Styl. Clement Marot, der unter Ludwig dem Zwölften und Franz dem Ersten lebte, hat in seinen Elegien noch ganz den Ton der Troubadours und des Petrarka. In seinen Contes ist er schmutziger wie Boccaz.

Diese Italiäner waren damahls die Muster und Lehrer aller Nationen. Marot hat sehr viel Leichtigkeit des Witzes, und hin und wieder wahres Gefühl in seine verliebten Gedichte gebracht. Inzwischen hat er doch im Ganzen die Geschlechtsverbindungen mehr als ein Mittel zum sinnlichen Vergnügen und zur geselligen Unterhaltung, als wie ein ernstes Geschäft behandelt. Der asotischen Gattung hat er seinen Ruf hauptsächlich zu verdanken, und hierin ist ihm auch wohl allein etwas Eigenthümliches beyzulegen. Dieser Ton scheint sich unter den Nachfolgern Franz des Ersten bis zu Ludewig dem Dreyzehnten herunter erhalten zu haben. Unter dem letzten schlichen[WS 112] sich die spanische Galanterie und der falsche Geschmack der neueren Italiäner in die französische Poesie ein, und die Liebe erschien auf dem Theater, in Gedichten, und in den Werken der Beredtsamkeit als das Hauptgeschäft des Lebens. Abentheuerliche Empfindungen wurden in gesuchte Ausdrücke eingekleidet. Selbst der große Corneille huldigte diesem Aberwitz, und schilderte Helden, welche die Liebe dem Ehrgeitz vorziehen, und Weiber, welche den Ehrgeitz über die Liebe setzen. Doch war dieser Geschmack nicht allgemein. Einige Schriftsteller wollten die Liebe mit Leichtigkeit darstellen, aber sie wurden matt, gemein, und zugleich geschroben.

In England hat Chaucer diejenigen Ideen über die Liebe verbreitet, welche seine Vorbilder, die Troubadours, Boccaz, und die Verfasser des Romans de la Rose darüber hatten. Er vermischt oft seine Darstellungen der Liebe mit abstrakten, metaphysischen Begriffen, und giebt ihnen einen pedantischen und scholastischen Anstrich, oft aber behandelt er sie auch mit einem Leichtsinn, der bis zum Muthwillen geht. Unter seinen Zeitgenossen soll sich Gower in seiner Beichte eines Verliebten ausgezeichnet haben, in der jene pedantischen Spielereyen und Zierereyen mit der Liebe und allen ihren Abstufungen vorkommen sollen, welche dazumahls den französischen und italiänischen Dichtern geläufig waren, und wozu die Troubadours den Ton angegeben hatten. Ich habe sein Werk nicht gelesen.

Späterhin, im Anfange des sechzehnten Jahrhunderts, soll sich Heinrich Howard Graf Surrey durch seine Gedichte auf die schöne Geraldine berühmt gemacht haben, in denen, wie man behauptet, die Gedanken natürlich und ungezwungen sind, auch Natur verrathen. In den Reliques of ancient Poetry findet man mehrere Stücke, von denen sich das nehmliche sagen läßt. Dem Zeugnisse des Warton zu Folge trugen sonst die Liebesgedichte unter der Königin Elisabeth alle Fehler an sich, die ich oben an den spanischen gerügt habe. „Wenn ein Liebhaber seine Dame pries, so geschah es in Deklamationen, die weder das Verdienst der Feinheit noch der Stärke hatten, ohne Eleganz und ohne Zärtlichkeit. Sie ward nicht in einem verständlichen, sondern bloß künstlichen Panegyrikus beschrieben, nicht mit echten Farben und natürlichen Vorzügen dargestellt, sondern als ein excentrisches Ideal aus einem andern Weltsystem, das Empfindungen einflößte, die eben so unverständlich hyperbolisch als unnatürlich waren.“

Mit Recht behauptet Warton, daß die Unterredungen zwischen beyden Geschlechtern in Shakespear den Fehler der steifen Galanterie an sich tragen, der eine Folge ihres wenigen Umganges mit einander war. Inzwischen müssen die Gespräche zwischen Julia und Romeo davon ausgenommen werden, in denen wahres Gefühl herrscht. Richtig ist dagegen die Bemerkung, daß die Weiber beym Shakespear, so wichtig sie auch in der Handlung sind, allemahl in den Hintergrund gestellet werden.

Nach dem Verfalle der schwäbischen Poesie in Deutschland kamen die Meistersänger ungefehr in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts auf. Ich bin außer Stande, etwas von dem Charakter zu sagen, den die Liebe in ihren Gedichten angenommen hat. Doch läßt sich nach dem platten Tone, der im Ganzen darin herrscht, kaum eine Veredlung in diesem Punkte erwarten.

Die schlesischen Dichter, besonders Hofmannswaldau und Lohenstein, haben den falschen Geschmack der Spanier und neueren Italiäner noch übertrieben, und Schwulst für Erhabenheit, abgeschmackte Bilder, Gleichnisse und Anthithesen für den Ausdruck wahrer Empfindungen und Leidenschaften verkauft.


Dreyzehntes Kapitel.
Ueber die sogenannten Cours d’amours, und andere gesellige Unterhaltungen, zu denen die Liebe den Stoff geliefert hat.

Mit der Poesie, besonders mit der erotischen, stehen die sogenannten Cours d’amours, Cours amoureuses, Parlamens d’amours in Verbindung. Sie verdienen eine nähere Untersuchung, weil man so viel über sie geschrieben, so viel aus ihnen hergeleitet hat, ohne hinlängliche Kenntnisse von ihrer Einrichtung und Bestimmung zu haben.

Man setzt ihre Entstehung in das zwölfte Jahrhundert, aber ohne allen hinreichenden Beweis. In den Werken der Troubadours kommt keine Spur wirklich angeordneter Gerichtshöfe der Liebe vor. Diese Dichter warfen zuweilen Zweifel über die Pflichten der Liebe auf, oder untersuchten den Werth, den gewisse Gesinnungen oder Handlungen in Rücksicht auf Vollkommenheit der Liebe hatten: Sie vertheidigten die eine oder die andere Meinung gegen einen andern Troubadour, den sie in ihren Gedichten redend einführten, und riefen am Ende ihrer poetischen Komposition eine oder mehrere vornehme Damen zu Schiedsrichterinnen auf. [338] Aber man würde sehr Unrecht haben, in einer poetischen Idee, die vielleicht die Veranlassung zu den Gerichtshöfen der Liebe gegeben haben mag, bereits eine förmlich eingerichtete und geordnete Gesellschaft zu suchen. [339] Man führt einen Gerichtshof der Liebe an, der gegen das Ende des zwölften Jahrhunderts von Maria Gräfin von Champagne zu Troyes soll gehalten seyn. Man will sogar die Erkenntnisse dieses Tribunals kennen. [340] Allein die ganze Nachricht beruht auf der Autorität eines italiänischen Manuscripts vom Jahre 1408, welches die Akademie della Crusca in ihrem Wörterbuche anführt, das wir gar nicht weiter kennen, und dem viel frühere Schriften vorausgegangen waren, worin man unter dieser Form dialektische Erörterungen über die Liebe vorgetragen hatte.

Es ist möglich, daß hin und wieder Gesellschaften zusammengetreten sind, die, nach Art der heutigen Akademien der Dichtkunst, unter dem Vorsitze eines Fürsten, oder einer Dame von Stande, welche die schöne Kunst beschützten, gewisse Aufgaben festgesetzt, und die beste Ausführung derselben in Versen mit ausgelobten Preisen belohnt haben. Da der gewöhnliche Gegenstand der Dichtkunst damahls Liebe war, so ist es sehr möglich, daß dergleichen Hofhaltungen Cours d’amours genannt sind. Aehnliche gesellige Institute wurden plaids et gieux sous l’Ormelle genannt, und in der Piccardie gehalten. [341] Diesen gab man gleichfalls oft den Nahmen Parlement. [342]

Nichts natürlicher nun, als daß in diesen der verliebten Dichtkunst gewidmeten Zusammenkünften auch zuweilen Streitfragen, zweifelhafte Fälle in der Liebe, Gegenstände der Aufgaben gewesen sind, und daß die Dichter sich in verschiedene Meinungen getheilt, der eine diese, der andere jene vertheidigt haben. Es ist nicht weniger wahrscheinlich, daß man nach dem ganzen Geiste der Förmlichkeit, der damahls selbst in den geselligen Belustigungen herrschte, und dem Jünglingsalter der Menschheit so angemessen ist, Partheyen habe auftreten lassen, daß Advokaten bestellt sind, und daß endlich der vorsitzende Fürst, Prince d’amour, oder die vorsitzende Dame ein förmliches Erkenntniß, Arrêt, ausgesprochen haben. Ja! es ist am allerwahrscheinlichsten, daß in diesem Zeitalter, worin Dialektik und Rhetorik so sehr zu Hause waren, und worin die ganze Philosophie und Theologie beynahe allein darauf ausging, Streitfragen aufzusuchen, und darüber für und gegen zu disputieren, dieses ernste Geschäft der Schulen zum Vorbilde einer geselligen Unterhaltung gedient habe. Mir ist es sehr glaublich, daß die sogenannten Tençons der Troubadours hierin ihren Ursprung finden.

Es können dergleichen Gesellschaften zu Pierre feu, zu Romanin und zu Signes häufiger als an andern Orten gehalten seyn. Ich will ferner glauben, daß die Personen, welche man gemeiniglich als Theilnehmer dieser Cours d’amours anführt, wirklich gewisse Aemter dabey verwaltet, und sich darnach haben nennen lassen. Eben dieß trifft man bey den neueren poetischen Gesellschaften in Deutschland, Frankreich und Italien an.

Aber haben die Aussprüche dieser Cours d’amours wirklich eine anerkannte Autorität, ich will nicht sagen in der bürgerlichen, sondern nur in der guten örtlichen Gesellschaft gehabt? Sind es wahre Sittengerichte gewesen, deren Ansehn auf Uebereinkunft, Anstand, allgemeiner Mode beruhte: deren Erkenntnisse mit derjenigen Gewissenhaftigkeit befolgt wurden, womit wohlerzogene Menschen sich den Gesetzen der Ehre unterworfen glauben? Ward der Ungehorsam, der Widerstand gegen ihre Entscheidungen mit Ausstoßung aus der guten Gesellschaft, oder wenigstens mit ihrer Verachtung bestraft?

Hierüber haben wir schlechterdings keine anderen Data, als diejenigen, welche die Kenntniß des Menschen überhaupt, und besonders in den damahligen Zeiten liefert.

Diese macht es nicht unwahrscheinlich, daß sich gewisse Schwärmer in der Liebe jenen Cours d’amours wirklich können unterworfen, ihre Sache vor denselben vertheidigt, und ihren Ausspruch befolgt haben. Möglich, und wahrscheinlich! Wir finden in den Werken der Troubadours, daß sich Freunde und Freundinnen zuweilen als Vermittler der Sache entzweyter Liebenden annehmen, oder daß diese in ihren Streitigkeiten einen Schiedsrichter wählen. Sehr leicht können sie auch auf eine Gesellschaft von Freunden und Bekannten, allenfalls unter gehöriger Beobachtung der Verschwiegenheit, compromittiert haben. Es ist auch möglich, daß die Resultate der Verhandlungen verliebter Materien in diesen Cours[WS 113] in der Folge unter den Liebenden im gemeinen Leben ein gewisses Ansehn erhielten, und daß man sich zur Vertheidigung seines Betragens in einzelnen Fällen gegen den Verbündeten und gegen die Gesellschaft darauf berief. Aber das liegt nicht in jenen Fragen! Es kommt vielmehr darauf an: hatten jene Cours d’amours eine Autorität, welche von der ganzen guten Gesellschaft anerkannt wurde?[WS 114] Haben sie eine beständige und anhaltende Gerichtsbarkeit ausgeübt, und hat man der Regel nach in Sachen, welche die Sicherheit und den angenehmen Genuß des geselligen Lebens betrafen, vor ihnen plaidiert, ihre Erkenntnisse abgewartet und befolgt: Kurz! sind es wahre Sittengerichte gewesen?

Dieß läßt sich nicht allein gar nicht beweisen, sondern widerspricht vielmehr allen Nachrichten, die wir von den Sitten der damahligen Zeit übrig behalten haben.

Zuerst ist es unbegreiflich, daß die gleichzeitigen Geschichtschreiber von diesen Cours d’amours entweder gar nicht, oder nur im Vorbeygehn, und als von einem Spiele sprechen. Die Troubadours erwähnen ihrer gar nicht. Der Roman von der Rose läßt freylich den Liebesgott ein Parlament von seinen Baronen zusammenrufen; aber diese poetische Fiktion beweist nichts für ihr wirkliches Daseyn, und vielmehr gegen ihre festgesetzte Organisation. Die Romanenschreiber, welche einen so vortheilhaften Gebrauch von dieser Sitte hätten machen können, nutzen sie gar nicht. Petrarka behandelt sie nicht mit demjenigen Ernste, den ein so ehrwürdiges Sitteninstitut erfordert haben würde, und deutet ganz offenbar auf eine gesellige Belustigung hin. Die Jeux floreaux, die im Jahre 1324 zu Toulouse errichtet wurden, haben sehr vieles mit den sogenannten Cours d’amours gemein, sind aber offenbar eine poetische Akademie, die sich in die Angelegenheiten der wirklichen Welt gewiß nicht mischte. Johann Boccaz, der im vierzehnten Jahrhunderte neben dem Petrarka lebte, hat uns die Auflösung von dreyzehn Streitfragen über die Liebe aufbewahrt. [343] Sie dient zur Unterhaltung einer Gesellschaft, die zufällig zusammenkommt, und des Dichters Geliebte, Fiametta, zur Königin wählt. Jedes Mitglied der Gesellschaft erzählt einen Fall, und wirft eine Frage zur Entscheidung auf. Die Königin giebt diese, der Erzähler macht Einwendungen, und zuletzt erfolgt das Endurtheil. Die Fragen sind höchst allgemein, und die Fälle betreffen nicht die Personen der Anwesenden. [344]

Man hat ein fabliau aus dem dreyzehnten Jahrhunderte, welches auch le Grand anführt, worin der Liebesgott einen Gerichtshof von Vögeln zusammensetzt, welche über die Frage urtheilen müssen: ob der Gelehrte, (le Clerc,) oder der Ritter in der Liebe den Vorzug verdiene? Es ist mir unbegreiflich, wie man diese poetische Spielerey zum Beweise eines ernsthaften Sittengerichts anführen könne.

Ohne alle Kritik bezieht sich Rolland [345] auf einen Ausspruch, der in Sachen Guillaume de Cabestaing gefället seyn soll. Dieser Cabestaing ist ein Troubadour aus dem zwölften Jahrhunderte, dem man sehr viele fabelhafte Geschichten und Situationen angedichtet hat. [346] Der Proceß, in den er verwickelt gewesen seyn soll, gehört unter die Erfindungen der späteren Zeiten. Und von welcher Art ist er? Wie wird er entschieden? Cabestaing wird der Untreue gegen seine Dame angeklagt, weil er sich mit einer Bäuerin abgegeben hatte. Die Bäuerin übernimmt seine Vertheidigung, und versichert, daß sie ihm freywillig ihre Gunst geschenkt hätte. Das Tribunal erkennt, daß Cabestaing Recht gehabt habe, von der Gelegenheit Gebrauch zu machen. – Wenn die vornehmen Damen, welche dieses Sittengericht hielten, wirklich ein solches Erkenntniß gefället haben, so muß man gestehen, daß die weiblichen Censoren wenigstens nicht die strengsten Grundsätze hatten.


in der Liebe mache, derjenige, der seine Ehre oder der sein Leben, oder seine Güter hingiebt? u. s. w.

Eine völlig von der Geschichte bewährte Nachricht ist die von der Cour amoureuse, die unter Carl dem Sechsten in Paris gehalten wurde. [347] Sie ist offenbar eine Nachahmung der vorigen Cours d’amours, und von diesem gewiß dem Wesen nach nicht verschieden gewesen: eine gesellschaftliche Einrichtung zur Unterhaltung und Belustigung eines müßigen Hofes! Sie trägt alle Charaktere einer lächerlichen Förmlichkeit, und eines steifen Hofceremoniels an sich, welche alle Belustigungen der damahligen Zeit auszeichneten. [348] Im funfzehnten Jahrhunderte schrieb Martial d’Auvergne, (er starb erst 1508) arrêts d’amour, et l’amant Cordelier à l’observance d’amour. Diese arrêts sollen aus den Werken der Troubadours ausgezogen seyn. Aber diese Meinung würde geradezu beweisen, daß es poetische Fiktionen sind. Denn es ist ausgemacht, und sowohl Millot als Papon [349] kommen darin völlig überein, daß die Troubadours keine Sittengerichte der Liebe anerkannt haben. Allein es ist auch ganz klar, daß sie von neuerer Erfindung, und wahrscheinlich das Machwerk eines müßigen und galanten Prokurators sind.

Ich habe ein Werk vor mir, [350] in dem alle diejenigen Erkenntnisse vorkommen, welche Rolland aus dem Martial d’Auvergne anführt. Auch den Prozeß wegen der Maskenfreyheit, und das Edikt, das ihre Rechte und Freyheiten bestimmt, (welche nach Rolland von Benoit de Court, dem Kommentator des Martial unter Nr. 52 hinzugefügt seyn sollen,) finde ich hinten angehängt, und die von Rolland ausgezogenen Stellen stehen wörtlich darin. Ich vermuthe daher mit Recht, daß dieß Werk die arrêts d’amour vielleicht nur mit einigen Abkürzungen enthält. Es läßt sich nichts abgeschmackteres denken, als diese Sammlung. Zugleich fehlt es nicht an Obscenitäten, und höchst ekelhaften und gemeinen Scherzen. Es wird z. B. darüber gestritten, ob der Liebhaber das Recht habe, eine Wachtel vom Fenster seiner Dame wegzunehmen, die allemahl Lärm mache, wenn er zu ihr komme? Welche Strafe eine Dame verdiene, die bey einem zu hart aufgedrückten Kusse ihren Geliebten verwundet habe? Die Entscheidung der ersten Frage fällt dahin aus, die Wachtel solle hängen bleiben: die der zweyten, die Dame solle bis zur Besserung die Wunde mit ihrem Speichel bestreichen. Erben eines Liebhabers, den seine Dame aus Furcht vor ihrem Manne nackend in einen Hünerstall geschlossen hatte, und der darin von dem Hünervieh todt gebissen war, fordern Gerechtigkeit. Ein Liebhaber beklagt sich, daß seine Dame ihm einen Eimer mit Wasser, ein anderer, daß die seinige ihm Blut beym Vorbeygehen vor ihrem Hause auf den Kopf geschüttet habe. Den Pastetenbäckern wird verboten, ihre Backofen nicht in der Nähe der Kirchen anzulegen, damit der Rauch die Liebhaber nicht verhindere, ihre Damen beym Ein- und Ausgehen aus der Kirche zu sehen. Ein Liebhaber, der sich an seiner Dame wegen eines gesellschaftlichen Spaßes thätlich vergriffen hat, wird verdammt, von vier Waschweibern in einer Decke voller Ungeziefer geprellt, und dann nackend auf einem Felde voller Disteln und Nesseln gewälzt zu werden. Den Masken wird endlich alle mögliche Freyheit gestattet. [351]

Uebrigens kommen auch hier juges ecclesiastes d’amour, und religieux de l’observance d’amour vor; kurz! Alles zeigt, daß hier eine gesellige Unterhaltung, und noch dazu für eine ziemlich schlechte Gesellschaft zum Grund liege.

Ungefähr von der nehmlichen Art ist eine Sammlung von Streitfragen über die Liebe, unter dem Titel: le Pourquoi d’Amours, welche Rolland nicht gekannt hat. [352] In der Vorrede wird dieß Büchelchen für einen Auszug aus den Kommentaren des Nikolas Leonicque aus Padua über die Ethic des Aristoteles ausgegeben. Die Fragen gehen auf Ergründung der Natur und Eigenschaften der Liebe, z. B. warum die Liebenden durch Blicke gefangen werden? warum die Liebenden des Nachts nicht schlafen können? u. s. w. Die Ausführung ist ärmlich; inzwischen zeigt der Ton der Decenz, der darin herrscht, daß dergleichen Fragen in der guten Gesellschaft haben aufgeworfen und beantwortet werden können.

Es ist bekannt, daß in spätern Zeiten in Frankreich, Deutschland, und besonders in Italien dergleichen Gerichtshöfe der Liebe zur Belustigung der Höfe bey feyerlichen Gelegenheiten, eben so wie die Tourniere, Caroußels, u. s. w. gedient haben. Auch Privatgesellschaften haben sich oft damit unterhalten. Mehrere italiänische Schriftsteller haben die Erfindung eines verliebten Hofes genutzt, um durch Darstellung der Unterhaltungen, die daran gewöhnlich waren, für die Belustigung der Leser zu arbeiten. [353] Andere haben Privatgesellschaften von Damen und Herren bey Landpartien dargestellt, die sich über die Natur der Liebe und ihre Pflichten unterreden. Andere haben verliebte Zweifel aufgeworfen und erörtert. [354]

Wenn im siebzehnten Jahrhunderte im Hôtel de Rambouillet zu Paris unter Mitwirkung des Kardinals von Richelieu und der Scudery noch eine Cour amoureuse gehalten wurde; so war dieß keinesweges etwas Ungewöhnliches, keine Erneuerung einer längst abgekommenen geselligen Unterhaltung; sondern eine der letzten Spuren von einer vorher sehr gewöhnlichen Belustigungsart. Man findet in der Astrée vom d’Urfé und in den Romanen der Scudery, des Calprenede, und anderer Verfasser aus dieser Zeit sehr viele Questions d’amour, die mit der damahls gewöhnlichen Förmlichkeit in geselligen Zusammenkünften erörtert und entschieden wurden.

Genug! ich glaube bewiesen zu haben, daß die sogenannten Cours d’amours nie zum Range fest organisierter Sittengerichte erhoben, sondern allemahl in der Klasse litterärischer Institute oder geselliger Belustigungen geblieben sind.


Aufzügen, Gerichtshaltungen, witzigen Unterredungen, u. s. w. die zum Zeitvertreib am Hofe der Venus beygetragen haben sollen.

Das Merkwürdige liegt also bloß darin, daß man sich in diesen Jahrhunderten mit Spitzfindigkeiten belustigen konnte, die uns jetzt die größte Langeweile machen. Allein man muß Vieles darauf abrechnen, daß dergleichen Gegenstände der Dialektik damahls Stoff zu Deklamationen abgaben, und in der Gesellschaft abgehandelt, von einem gewissen Ceremoniel begleitet waren. Es waren jeux d’esprit, woran aber in früheren Zeiten Herz und Imagination mehr Antheil nahmen, als sie bey uns daran nehmen würden.

Die Liebe diente damahls auf unendliche Art zur Unterhaltung: sie machte Alles schmackhaft und interessant, was ohne sie trocken und langweilig gewesen wäre. Man schrieb Pacht- und Kaufbriefe, deren Gegenstand das Herz war. Calliere schrieb eine Logik der Liebe: eine wahre Logik, worin aber die Beyspiele zur Erläuterung der vorgetragenen Sätze aus der Galanterie hergenommen sind. [355]

Vierzehntes Kapitel.
Einfluß der Liebe und der Geschlechtsverbindungen auf das handelnde Leben in dieser Periode.

Aus Allem, was ich bis jetzt gesagt habe, erhellet so viel unwidersprechlich, daß die Liebe und die engeren Verbindungen mit dem zärteren Geschlechte in der gegenwärtigen Periode der Lieblingsgegenstand der schönen Litteratur gewesen sind, und den Hauptstoff zur geselligen Unterhaltung hergegeben haben. Es erhellet ferner daraus, daß sie oft mit einem excentrischen Schwunge und mit einer Ziererey behandelt sind, welche der Geschmack des Zeitalters liebte, und daß man in dieser Art, sie zu behandeln, ihre Veredlung gesetzt hat.

Menschen, die zwischen Kultur und Rohheit schwanken, und ihren Zeitvertreib auf eine so ernsthafte und umständliche Art suchen, machen nicht so wie wir einen bestimmten Unterschied zwischen dem Reiche der Fictionen und der wirklichen Welt, zwischen Belustigung und dem handelnden Leben. Bey ihnen ist die Lust, zu realisieren, mit jedem Ideale verbunden, das ihre Phantasie lebhaft rührt, und der Zeitvertreib wird für sie ein ernsthaftes Geschäft.

Es ist daher höchst wahrscheinlich, daß sie die Grundsätze über die edlere Liebe, die in ihren philosophischen Rednern, in ihren Romanenschreibern und Dichtern angetroffen wurden, im wirklichen Leben anzuwenden gesucht haben. Es ist nicht minder wahrscheinlich, daß sie diejenigen Formen, welche ihnen bey feyerlichen Gelegenheiten in ihrem Betragen gegen das Frauenzimmer vorgeschrieben waren, auch im gewöhnlichen Umgange aus der Idee beybehalten haben, daß sie sich dadurch recht wohlerzogen zeigen würden.

Dieß bestätigt denn auch die Geschichte völlig. Die Geschlechtsverbindungen haben einen sehr großen und wichtigen Einfluß auf das handelnde Leben der Männer und auf die Begebenheiten der damahligen Zeit gehabt, und es hat unstreitig einen Theil der Wohlerzogenheit ausgemacht, diesen Einfluß öffentlich zur Schau zu legen.

Die Data darüber sind zu oft angeführt und zu bekannt, als daß ich sie hier wieder aufzählen sollte. [356] Wichtiger wird es mir, die Grenzen und die Natur dieses Einflusses so wie den Charakter der Verbindungen, denen man ihn zuschrieb, zu bestimmen.

Die Höfe Eduards des Dritten, und der Elisabeth in England, Karls des Sechsten und Siebenten, Franz des Ersten, Heinrichs des Vierten, Ludewigs des Dreyzehnten, und der Minorennität Ludewigs des Vierzehnten in Frankreich, stellen eine Menge von Helden auf, die sich zu Ehren ihrer Damen in die gefährlichsten Unternehmungen eingelassen haben, unter dem Ausruf ihres Nahmens Mauern erstiegen, und ihrer Leitung bey der Ausführung der wichtigsten Plane in Krieg und Frieden gefolgt sind. Andere Zeiten zeigen weniger von diesem Einflusse, und man darf daher annehmen, daß er nicht immer gleich gewesen sey. Er erstreckte sich auch nicht auf alle Stände, und ward in keinem allgemein empfunden. Dieß lassen schon die sehr verschiedenen Grundsätze in der Denkungsart über Liebe und Weiber, die wir bey Philosophen, Dichtern und Romanenschreibern antreffen, vermuthen. Die Geschichte lehrt uns aber auch, daß zu den nehmlichen Zeiten, worin so viel zu Ehren der Damen geschah, die ausschweifendsten Sitten herrschten, und das schwächere Geschlecht auf mancherley Art bedrückt wurde. Wenn man behauptet, daß jeder Ritter eine Dame seiner Gedanken gewählt habe, der er, gleich dem höchsten Wesen, alle seine Gefühle, alle seine Handlungen zum Opfer darbrachte, so ist dieß eine Uebertreibung, der kein Kenner des Menschen und der Geschichte Glauben beymessen wird. [357]

Ferner hat sich dieser Einfluß der Geschlechtsverbindungen auf das handelnde Leben gewiß nicht weiter, als innerhalb der Klasse der Höflinge gezeigt, bey denen es Ton und Mode war, ihn, oft auf die abentheuerlichste Art, an den Tag zu legen.

Es gehörte nehmlich zum Ideale eines vollkommenen Ritters, für Liebe Alles dulden, Alles überwinden zu können. Dieß Ideal hatten die Romane aufgestellt: es ging in den allgemeinen Charakter der pomphaften Unterhaltungen über, wozu die Höfe den Stoff aus jenen Romanen entlehnten. Dazu kam die natürliche Folge des excentrischen Schwunges, den die Begriffe von Sittlichkeit und Anstand im Betragen gegen das schwächere Geschlecht nahmen, indem man Anbetung mit schonender Gefälligkeit, Wegwerfung mit Bescheidenheit verwechselte. Bey Tournieren, bey andern öffentlichen Gelegenheiten mußte der Höfling einer Dame dieses Hofes, die durch Stand und durch persönliche Vorzüge sich auszeichnete, seine Geschicklichkeit, seinen Muth, seine Talente zum Opfer bringen, die Zeichen seiner Weihe aus ihren Händen nehmen, sie öffentlich tragen, und endlich den Preis von ihr empfangen. Dieß Spiel, das mit dem größten Ernste betrieben wurde, ging bey mehreren Personen in Wahrheit über, und ward von ihnen selbst in den gefährlichsten Angelegenheiten des Lebens beybehalten. Man trug fortwährend die Merkzeichen, die Unterpfänder, welche die vornehme Dame ertheilt hatte, mitten im Kriege. Man ermunterte sich zur Tapferkeit durch den Gedanken an den Beyfall dieser Dame, und stritt sich um der Ehre willen, ihre Farben zu tragen. Fleuranges rief, indem er zuerst die Mauern einer belagerten Stadt erstieg: Ach wenn mich meine Dame sähe! [358] Walter Manny, ein englischer Ritter, rief: daß ich nie Gnade vor meiner Dame erlange, wenn ich diesen Streit ausschlage! [359] Galeaz von Mantua zog in der Welt umher, um zwey Ritter zu überwinden, und diese der Königin Johanna als Gefangene darzustellen, weil sie ihn zum Tanz aufgefordert hatte.

Das Frauenzimmer bey Hofe durfte diese öffentlichen Huldigungen annehmen. Sie waren bloßes Spiel bey Tournieren und andern feyerlichen Lustbarkeiten, und den Ernst, den ihre Diener daraus machten, konnten sie als Wirkung einer bloßen Courteoisie betrachten.

Natürlicher Weise aber waren diese Verbindungen von sehr verschiedenem Gehalt. Gewiß sehr häufig lag bloßer Austausch von Eitelkeitsgewährungen dabey zum Grunde: oft Belustigungstrieb, oft Mode, oder zunftmäßige Loosung. Zuweilen aber stiegen sie zu einem hohen Grade von Schwärmerey. Agnes von Navarra, Gemahlin des Grafen Phöbus de Foix, war eine der tugendhaftesten Prinzessinnen ihres Zeitalters, und sie genoß allgemein dieses Rufs. Aber dieß hinderte sie nicht, einen der besten französischen Dichter aus dem vierzehnten Jahrhunderte, Wilhelm Machault, zu lieben. Sie machte Verse auf ihn, welche Leidenschaft athmeten: sie erlaubte ihm, in den seinigen von Zärtlichkeit zu ihr zu sprechen. Er ward eifersüchtig ohne Grund, und sie wandte ein sonderbares Mittel an, um ihn zu beruhigen. Sie sandte ihm ihren Beichtvater mit dem Auftrage, ihn durch Eröffnung des Inhalts ihrer Beichte von der Aufrichtigkeit ihrer Gesinnungen und der Ungerechtigkeit seines Verdachts zu überzeugen. [360]

Aber vieles von dieser Schwärmerey gehörte nicht sowohl der Liebe, als einer thörichten Jactanz, und dem Stolze, die abentheuerlichen Begebenheiten und Gesinnungen der Ritterromane zu realisieren. Geniesüchtige hat es zu allen Zeiten gegeben. Zu diesen würde allenfalls die Brüderschaft der verliebten Bußfertigen gehören, die unter dem Nahmen Galois und Galoises bekannt ist, wenn nicht ihre wirkliche Existenz auf dem höchst verdächtigen Zeugnisse des Ritters de la Tour beruhte. [361] Diese Thoren sollen nach dem Grundsatze, daß die Liebe hinlänglich erwärme, allen Schutz gegen Kälte verschmäht haben, und im Winter erfroren seyn.

So wenig sich die Natur dieser Verbindungen im Einzelnen bestimmen läßt, so sicher darf man die pomphaften Beschreibungen der allgemeinen Denkungsart darüber, welche neuere Schriftsteller aufgestellt haben, für unwahr erklären. Auffallend unwahr ist es, daß der Ausspruch der Frauen über den Werth des Mannes je in der Maße entschieden habe, daß ihr Urtheil von dem Publiko erwartet, und unbedingt angenommen sey. Eben so auffallend unwahr ist es im Allgemeinen, daß die Geschlechtsverbindungen rein von sinnlichen Begierden gewesen, oder auch nur allgemein dafür gehalten sind. Alles dieß widerspricht nicht nur der Kenntniß des Menschen überhaupt, sondern auch der herrschenden Denkungsart, die wir in den Werken der schönen Litteratur aus dieser Zeit antreffen, und welche gewiß den sichersten Maßstab für dasjenige abgiebt, was die gute Gesellschaft für anständig und edel gehalten hat.


Funfzehntes Kapitel.
Begriff der Galanterie; ihre Entstehungsursachen und ihre Arten, nach Verschiedenheit der Länder.

Demungeachtet läßt sich eine gewisse ziemlich allgemeine Denkungsart in Europa nicht verkennen, nach welcher man den Einfluß der Geschlechtsverbindungen auf das Betragen des Mannes, unter Beobachtung einer gewissen Form, für edel und für einen wesentlichen Bestandtheil der Wohlerzogenheit gehalten hat.

Diese Form hat, ich weiß nicht genau wann, aber sicher in dem Zeitraume, mit dem ich mich jetzt beschäftige, [362] den Nahmen der Galanterie erhalten. So verschieden sie in verschiedenen Ländern modificiert gewesen seyn mag, so hat sie dennoch im Wesentlichen überall die nehmlichen Züge an sich getragen. Diese setze ich in die wahre oder scheinbare Unterwürfigkeit unter den Willen des schönen Geschlechts, in der lauten Bewunderung seiner Vorzüge, und in der öffentlichen Darstellung dieser Gesinnungen, unter dem Schutze der guten Sitte, in Fällen, worin Moral und Gesetze die Bewerbung um die Gunst eines Weibes nicht billigen.

Unstreitig sondern diese Züge die Galanterie von allen ähnlichen Sitteninstituten ab, welche die Vorzeit gekannt hat. Keines gestattete dem Manne, dem Weibe eines Andern öffentlich zu huldigen: keines verlangte den Schein einer vergötternden Verehrung, einer gänzlichen Niederwürfigkeit gegen das zärtere[WS 116] Geschlecht. Die Galanterie zeigte eine enge auf Leidenschaft beruhende Verbindung zwischen den Geschlechtern, welche nicht Ehe war, ja! die sich nach den herrschenden Begriffen nicht einmahl mit der Ehe vertrug. Denn allgemein war die Idee, daß diese gesetzliche Verbindung das Grab der Galanterie sey, wenn sie vorhin Statt gefunden habe, und daß sie besonders in der Aufwartung bestehe, welche man verheyratheten und solchen Damen brächte, mit denen eine Vereinigung durch ein eheliches Band nicht zu hoffen war.

Ihre Entstehung ist nicht einem Umstande allein beyzulegen, und hat sich erst nach und nach gebildet.

Der erste Keim hat in den Werken der Troubadours und der Romanenschreiber des zwölften und dreyzehnten Jahrhunderts gelegen, deren Geist im vorigen Buche entwickelt ist. Dieser ist in den Pomp übergegangen, mit dem die Tourniere und andere Feyerlichkeiten der Höfe, wozu der Stoff aus jenen Romanen genommen wurde, gehalten wurden. Aus diesen mit Ernst getriebenen Belustigungen haben einige Abentheurer von Ansehn, die zugleich Schwärmer waren, die ceremonieuse Verehrung des schönen Geschlechts und den prunkenden Ausdruck der Begeisterung für Damen von großem Stande ins gemeine Leben übertragen. Ihr Beyspiel hat auf ganze Korporationen von Rittern gewirkt, und da es bereits in ihrem Gelübde lag, des Schwachen zu schonen, und das bedrängte Frauenzimmer zu schützen, so haben sie, vermöge eines in den damahligen Zeiten sehr natürlichen Schwunges, diese Schonung in eine Entäußerung alles Selbstgefühls, und diesen Schutz in gänzliche Aufopferung verwandelt. Mystische Ideen über die Vollkommenheit der Liebe zu Gott, welche nach diesen in Zerknirschung, Leiden und Duldung bis zur gänzlichen Selbsttödtung bestehen soll, sind auf die Vollkommenheit der Geschlechtsliebe übertragen. Die Bemühungen der neueren Platoniker haben diese Begriffe noch weiter ausgebildet, und ihre Lehren von dem geistigen Zweck der Liebe haben den Kredit der Galanterie immer weiter ausgebreitet. Endlich haben zufällige Umstände, die Denkungsart einiger Regenten, die Würde einiger Frauenzimmer, und der zurückwirkende Einfluß der Litteratur zu ihrer Ausbreitung und Herrschaft beygetragen, bis sie endlich zu einem Theile der Courteoisie, der Wohlerzogenheit bey Höfen, geworden ist.

Der Hauptgrund, welcher dieser Galanterie, ungeachtet aller Mißbräuche und aller Thorheiten, wozu sie die Veranlassung geben konnte und mußte, dennoch den Schutz der guten Gesellschaft sicherte, war unstreitig der beträchtliche Nutzen, den die gesellige Unterhaltung daraus zog. Wir können uns keinen wahren Begriff davon machen. Wir haben einen Ueberfluß an Mitteln zum Zeitvertreib und zu Zerstreuungen. Lektüre und angenehme Talente machen uns fast die Vergnügungen des Umgangs mit andern Menschen ganz entbehrlich. Wir brauchen uns mit keinem genau zu verbinden, um an Schauspielen, Bällen, Assembleen und andern öffentlichen Gelagen Theil zu nehmen. Wir wissen durch die Art, wie die gewöhnlichsten Vorfälle des Tages in der Unterredung behandelt werden, und vermöge unserer Kenntniß allgemein interessanter Wahrheiten aus dem Umgange mit den unbekanntesten Menschen die leichte Nahrung für unsern Witz und unsern Verstand zu ziehen, die wir zur Erhohlung oder zum Zeittödten aufsuchen. Das Herz und die Einbildungskraft haben nach unserm Klima und nach unserer Erziehung wenig Bedürfnisse, und über diejenigen, welche uns übrig bleiben, werden wir durch Geschäfte und Zerstreuungen betäubt. Weiber gehen jetzt mit Weibern um, verbinden sich sogar unter einander, ohne Furcht, durch den unbewachten Ausbruch beleidigter Eitelkeit in steter Zwietracht zu leben. Die Männer, gleichfalls mehr gewöhnt, ihre Leidenschaften zu unterdrücken, sammeln sich mehr unter einander in Haufen zusammen, haben mehr bloße Bekanntschaften, ohne Besorgniß, daß ein unvorsichtiges Wort, eine unüberlegte Handlung, Ungezogenheit, ängstliche Begriffe von Ehre, oder andere Triebe des Eigennutzes zur Selbstwehr oder zur Rache auffordern. Männer tändeln mit Weibern: Weiber lassen sich den Beyfall unsers ganzen Geschlechts genügen. Wie so ganz anders war damahls Alles! Man kannte Gelage, man kannte Horden von Menschen, die zusammen kamen, um pomphaften Festen beyzuwohnen bey feyerlichen Gelegenheiten. Aber bestimmte Gesellschaften in Privathäusern, Belustigungen für alle Tage, Zusammenkünfte zu einer Unterhaltung, wozu Jeder einen persönlichen Beytrag durch solche Talente lieferte, die ungefehr von jedem Menschen aus den höheren Ständen zu erwarten sind; die kannte man nicht. Der Stoff zur Unterredung war äußerst mangelhaft. Für die höheren Stände waren außer dem Kriege wenig Geschäfte. Jagd ward die Unterhaltung des Friedens, und wenn man Lektüre suchte, so bestand sie in Ritterromanen. Die Gattinnen der Großen saßen zwischen ihren Hofdamen, beschäftigt mit der Sorge für ihren Putz und mit Handarbeit, unterhalten durch Musik und durch eben jene Romane. Feste bey feyerlichen Gelegenheiten waren die einzigen Gelegenheiten, um mit Männern zusammen zu kommen. Franz der Erste führte zuerst die Damen seines Hofes in die Zirkel ein, wo sich beyde Geschlechter zum Spiel und zur Unterredung in größeren Haufen an bestimmten Tagen vereinigten. [363] Wie förderlich war diese ganze Lage der Neigung nach Verbindungen, woran das Herz und die Imagination Antheil nehmen können! Schon das Klima fordert die südlichen Nationen dazu auf, wenn nicht durch fremde Sitten ihre ursprüngliche Anlage verdreht wird. Einsamkeit und Muße befördern diese Anlage, und noch mehr die Wahl solcher Unterhaltungen, welche entweder der Imagination freyen Spielraum lassen, oder sie gar noch mehr beflügeln. Welche Beschäftigung lag nicht darin, auf die Mittel zu sinnen, eine wahre oder angenommene Leidenschaft sinnreich an den Tag zu legen! Welche Plane die Eitelkeit entworfen haben mag, an dem kommenden Feste einen möglichst starken Eindruck auf den Gegenstand ihrer Bemühungen zu machen! Wie wichtig müssen die Gewährungen und die Versagungen der Wünsche dieser Eitelkeit damahls gewesen seyn! Welche Unruhen nach der Entzweyung, welche Freuden nach der Wiederversöhnung! Kurz! welch eine unversiegliche Quelle von interessanterem Zeitvertreib in der Besorgung einer galanten Intrigue, nach einer ohnehin von gewissen Regeln vorgeschriebenen Form, deren Kenntniß und Anwendung schon allein ein gewisses Studium und einige Fertigkeit erforderte! Selbst das Publikum war bey dieser Sitte interessiert. Sie vervielfältigte die Feste, jene Gelegenheiten für die Liebenden, sich häufiger zu sehen, und sich ihre Gesinnungen zu erkennen zu geben: sie gab ihnen neues Leben. Erfindung, Pracht, Geschicklichkeit vereinigten sich zur Hervorbringung der Mittel, der angebeteten Dame zu huldigen, und der große Haufe nutzte sie entweder zu ähnlichen Zwecken, oder zum gaffenden Zeitvertreib.

Unstreitig hat sich auch die Natur dieser Verbindungen nach Verschiedenheit des Charakters der Nationen und ihrer Lagen besonders modificiert. Die Italiäner wurden bald ein Raub kleiner Fürsten, welche die Republiken, die sich auf kurze Zeit zwischen ihnen gebildet hatten, unterjochten. Diejenigen Freystaaten, welche sich erhielten, seufzten unter der zunehmenden Macht der Aristokratie. Die päbstliche Hierarchie schlug wieder ihren Thron in Rom auf. Auswärtige Mächte stritten um die Oberherrschaft und um die Eroberung einzelner Provinzen dieses Landes. Wenn der Trieb nach Freyheit und nach kriegerischem Ruhme in der Brust seiner Einwohner nicht ganz erstarb, so sank doch die Energie des Charakters und der Muth, welche nöthig sind, ihn zu befriedigen.

Dagegen wuchs bey diesem Volke der Geschmack an der Ruhe, am süßen Nichtsthun, an einer Muße, die durch die Reitze der Phantasie, der Sympathie, und einer zwanglosen angenehmen Beschäftigung erheitert wird. Zu dieser feinen Sinnlichkeit gesellte sich eine gewisse Melancholie über ihren bürgerlichen Zustand, und Beydes brachte einen Geist der Behutsamkeit, der Eingezogenheit, der Intrigue hervor, wodurch sich ein Jeder für sein Individuum die möglichst glückliche Lage in der allgemeinen Bedrückung ohne vordringende Aktivität zu verschaffen suchte.

Die Galanterie der Italiäner hatte allerdings einen gewissen Prunk, aber es war nicht der Prunk eines rüstigen, muthigen Egoismus, und er diente nur zum Schutzmantel eines weiter liegenden heimlichen Genusses. Der Italiäner verdeckte mehr als er zeigte. Er gab sich freylich das Ansehn einer hinschmelzenden Empfindsamkeit, welche selbst aus der Spannung des Leidens Genuß zieht, viel wünscht, wenig hofft, und nichts verlangt, sich mit der bloßen geselligen Unterhaltung, mit dem bloßen Anschauen begnügen läßt; er verbreitete den Ruhm seiner Dame durch Deklamationen und geschmackvolle Verse; aber sein Hauptgenuß bestand in der Besorgung einer geheimen Intrigue, die ihn angenehm beschäftigte, und zur engeren Vereinigung führte; und blutige Auftritte, welche Eifersucht und Ueberdruß hervorbrachten, offenbarten oft den wahren Gehalt jener anscheinend geistigen Verständnisse.

Der Spanier suchte in seiner Galanterie überall das Pomphafte und Abentheuerliche auf. Dahin führte ihn sein eigener Charakter, und die Bildung, die er von den Mauren erhalten hatte. Sein Ansehn in Europa nährte seinen Stolz, und häufige Siege hatten seinen angebornen Muth erhöhet. So wie der Italiäner fand er Vergnügen an heimlichen Intriguen, denen er das Ansehn einer edlen Leidenschaft zu geben suchte. Aber er liebte das Heimliche, nicht sowohl um desto sicherer zu seinem Zwecke zu gelangen, als vielmehr, um desto mehr Schwierigkeiten zu überwinden zu haben, und seinen Stolz durch das Bewußtseyn seines Unternehmungsgeistes und seiner Feinheit zu befriedigen. Dieser mit einem hervorstechenden Zuge zur Melancholie und einer finsteren Schwärmerey gepaart, bewog ihn, die Martern, welche ihm die Liebe erdulden ließ, möglichst zur Schau zu tragen, sich vor dem Fenster der Geliebten bey öffentlichen Prozessionen doppelt zu geißeln, um ihr Mitleiden zu erwecken, klagende Guitarren zur Nachtzeit hören zu lassen, und überall darauf auszugehen, daß seine Dame ihn bey seiner Unterwürfigkeit unter ihren Willen bewundern sollte. Dabey war seine Ruhmsucht rüstig und muthvoll. Er warf sich vor den Augen seiner Dame dem Stiere entgegen, und trotzte in ihrer Abwesenheit den Gefahren des Zweykampfs und des Getümmels im Kriege für die Ehre, von ihr beweint oder bewundert zu werden. Vielleicht kam es ihm bey allen seinen Tollheiten auch nur darauf an, sich selbst bewundern zu können.

Der Italiäner gab folglich seiner Verbindung, die heimlich auf feinerer Sinnlichkeit und dem[WS 117] Beschäftigungstriebe beruhte, den äußern Anschein einer süßen Empfindsamkeit zur Erhöhung der Freuden eines geselligen und kontemplativen Lebens. Der Spanier, der heimlich neben einer gröberen Sinnlichkeit die Befriedigung seines geistigen Stolzes suchte, gab seiner Liebe den Schein einer auf Heldenmuth im Dulden und Handeln beruhenden Leidenschaft.

Die nördlichen Nationen nahmen von der Galanterie der Spanier und Franzosen eine Mischung an, die sie noch mit einigen Eigenthümlichkeiten ihres Nationalcharakters vermischten. Die Liebe als eine auf Ruhmbegierde gebauete Leidenschaft zu betrachten, welche Sinnlichkeit nicht ausschloß, aber ihre Befriedigung auch nicht wesentlich voraussetzte, und die gesellige Unterhaltung beförderte, scheint die gewöhnlichste Ansicht an den Höfen Johannes des Zweyten, Carls des Sechsten und Siebenten in Frankreich gewesen zu seyn. Aber auch damahls schon zeigt sich in diesem Reiche die eitle Anmaßung, durch die Galanterie und mit der Gunst der Damen zu glänzen.

Franz der Erste zog die Damen seines Hofes öfterer in Gesellschaft, und unter ihm nimmt die Galanterie den unsichern schwankenden Charakter an, der den Regenten bezeichnete. Sie war zu gleicher Zeit edel und verworfen, kriegerisch und gesellig, ernsthaft und spielend. Man trifft Eifersucht, Haß, Rache, schreckliche Verbrechen, Heldenthaten und Verschwörungen im Gefolge der Liebe an, und dann erscheint sie wieder als ein petrarchischer Beschauungshang, oder als die Beförderin geselliger Freuden.

Unter Heinrich dem Vierten hatte sie nur diese letzte Bestimmung, und die Sinnlichkeit nahm sich nicht einmahl die Mühe, sich zu verstecken. Alles, was von der älteren Galanterie übrig blieb, war ein gewisser äußerer Schein von ceremonieuser Verehrung des Geschlechts, und ein kriegerischer Muth, der sich mit der Sucht nach Vergnügen verband. Beydes wurde mit der diesem Volke eigenen prahlenden Eitelkeit geltend gemacht. [364]

Unter Ludewig dem Dreyzehnten und während der Minorennität Ludewigs des Vierzehnten erreichte aber die Galanterie in Frankreich ihre größte Höhe, durch die Verpflanzung spanischer Sitten auf einen Boden, wo die Weiber weit mehr Freyheit hatten, die Huldigungen der Männer öffentlich anzunehmen, und auf sie einzuwirken.

Die Damen des französischen Hofes bekamen in dieser Zeit ein Gefühl ihrer Wichtigkeit, das sie auf alle mögliche Art durch ihre persönlichen Eigenschaften begründeten. Sie zeichneten sich durch Talente und Geistesbildung aus, und da ihrem Geschlechte besonders diejenige Klugheit zu Theil geworden ist, die zu Führung von Hof- und Stadtintriguen dient; so fanden sie in einem Lande und zu einer Zeit, wo diese so häufig waren, ein geräumiges Feld zum Wirken und Handeln. Damahls waren Weiber an der Spitze jeder Parthey: damahls geschah alles durch und für sie. Die Huldigungen, die ihnen dargebracht wurden, nahmen den Charakter der Pflicht an, und die geringste Gunstbezeugung von ihrer Seite ward als die merkwürdigste Begebenheit in dem Leben des Höflings betrachtet. Galant seyn, hieß damahls, für seine Dame Könige und Götter bekriegen. [365] Zu gleicher Zeit that man alles, um seine Leidenschaft möglichst laut werden zu lassen. Jedermann wollte für verliebt gehalten werden. Man bediente sich der hyperbolischen Sprache der Spanier, des glänzend sentimentalischen Ausdrucks der neueren Italiäner, und mischte beyden noch einen schalen und geschrobenen einheimischen Witz bey. Daß bey diesen Verbindungen geistige Liebe untergelegen habe, wird keiner glauben, der die Memoiren der Zeit gelesen hat: aber man schonte des Anstandes, und sprach nur von dem Ruhme, Gegenliebe zu gewinnen, und schönen Augen zu gefallen.

An dem Hofe Eduards des Dritten in England zeigt sich in der Verbindung dieses Königs mit der Gräfin von Salisbury eine Galanterie, die anfangs auf Sinnlichkeit von Seiten des Liebhabers ausging, aber von der Dame zurückgewiesen, auf Ruhmbegierde und geselliger Unterhaltung beruhen blieb. In den nachherigen Kriegen mit Frankreich erscheinen die englischen Helden wie die französischen, nur etwas schwerfälliger, und drückender anmaßend. Dieser Charakter bleibt ihnen unter der Königin Elisabeth eigen, und spanische Aufgeblasenheit und Schwulst scheinen sich in ihre Galanterie eingeschlichen zu haben. Unter Jakob dem Ersten und Carl dem Ersten nahm sie mehr von dem italiänischen und französischen Charakter an. Unter dem Protektor hatte die Galanterie ihr Ende erreicht. Alles verfiel in eine schwärmerische Devotion.

Den Deutschen scheint der Charakter der Nachahmung aller Nationen in der Galanterie, wie in ihren Sitten überhaupt, in dieser Periode eigen gewesen zu seyn, und schwerlich haben sie sich durch etwas anders als durch ihre Steifigkeit ausgezeichnet.

Zwey und zwanzigstes Buch.
Denkungsart der letzten Hälfte des vorigen,[WS 118] und unsers Jahrhunderts über Liebe und Geschlechtsverbindung bis zum Anfange der französischen Revolution.


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Es bleibt mir nun noch übrig, die Denkungsart der letzten Hälfte des vorigen,[WS 118] und unsers Jahrhunderts über Geschlechtsverbindung und Liebe zu entwickeln. Aber vielleicht läßt sich diese im Allgemeinen gar nicht angeben. Wir haben beynahe keinen einzigen von den Begriffen fahren lassen, welche die Vorwelt mit diesen Gegenständen verbunden hat, und wir haben sie noch mit einigen vermehrt. Vielleicht ist es gerade das Charakteristische unserer Sitten, daß sie keinen auffallend allgemeinen Charakter an sich tragen.

In der vorigen Periode rechneten es wenigstens die Höfe zur guten Sitte, über Geschlechtsverbindung und Liebe einerley Grundsätze, nehmlich die der Galanterie, anzunehmen. Aber jetzt ist die Gesellschaft, mithin auch die gute Sitte, nicht mehr auf die Höfe eingeschränkt; jeder etwas größere Ort macht darauf Anspruch, sich seinen Ton selbst anzugeben, und die Politur hat so sehr zugenommen, daß man kaum die Seite zu finden weiß, an der das Unterscheidende in den Gewohnheiten einer Gesellschaft von der andern aufgefaßt werden könnte.

Ohne es mir anzumaßen, die herrschende Denkungsart unserer Zeiten zu bestimmen, will ich die Hauptbegriffe und Behandlungsarten der Geschlechtsverbindungen und der Liebe angeben, und mich dabey theils an die Darstellungen unserer schönen Litteratur, theils an die Ideen unserer Philosophen, theils an meine eigenen Bemerkungen über die Sitten meiner Zeit halten.

Da die Quellen, welche ich nutzte, größtentheils bekannt sind, so werde ich mich im Ganzen kurz fassen können, und nur da etwas länger verweilen, wo ich dem Bekannten eine neue Ansicht geben zu müssen geglaubt habe.

Die südlichen Nationen des kultivierten Europa scheinen von den nördlichen abgesondert werden zu müssen. Zwar haben die Sitten von Versailles und Paris überall hin, folglich auch über Spanien und Italien, ihren Einfluß verbreitet; inzwischen ist dieser in den zuletzt genannten Ländern weniger merklich, und diese hängen fortwährend stärker an den Sitten der vorigen Periode.

Die Regierung Ludwigs des Vierzehnten macht unstreitig in der Geschichte unserer geselligen Gebräuche Epoche, und ihre Wirkungen werden sich wahrscheinlich über die, noch zur Zeit unzuberechnenden, Folgen der französischen Revolution hinerstrecken. Ich habe jedoch geglaubt, mit dem Eintritt dieser letzten Begebenheit, meinen Untersuchungen ein Ziel setzen zu müssen.

Das Gemählde, welches ich von dem geselligen Menschen überhaupt in der gegenwärtigen Periode liefere, gleicht auffallend dem Bilde eines einzelnen Menschen, der nicht mit ganz gewöhnlichen Anlagen geboren, lange eingezogen gelebt hat, in seiner Eingezogenheit den Verirrungen der Phantasie ausgesetzt gewesen ist, nun aber mehr unter Menschen kommt, und durch Reife und Erfahrung sein Herz und seinen Verstand stärkt und ausbildet. Anfangs pflegt er den sympathetischen Trieben und einer feineren Sinnlichkeit unter Leitung der Vernunft zu huldigen, und Anstand und Geschmack in die Freuden zu bringen, die er aus dem größeren geselligen Verkehre zieht. Aber bald wird er keck auf seine vermehrten Einsichten, überläßt sich zu sehr den geselligen Zerstreuungen, und egoistische Klugheit tritt an die Stelle derjenigen Weisheit, die alle unsere Triebe im Gleichgewicht zu erhalten sucht; oberflächliche Anmaßung, alles aus den gröbsten Ursachen zu erklären, oder völliger Unglaube verbannt die bescheidene Forschung: Zügellosigkeit aus Grundsätzen, Abneigung gegen die schönen Künste der Geselligkeit nehmen den Platz der Schamhaftigkeit und einer feineren Sinnlichkeit ein.

Zweytes Kapitel.
Einfluß der Regierung Ludewigs des Vierzehnten auf die Verhältnisse des geselligen Lebens, besonders in dem weiteren Verkehre zwischen beyden Geschlechtern.

Unter Ludewig dem Vierzehnten gewann die gute Gesellschaft an Umfang. Vorher hatten nur diejenigen Personen dazu gehört, welche zum Hofe gerechnet wurden. Aber bey dem zunehmenden Luxus der Großen mußten diese die Mittel, ihn zu bestreiten, durch Verheirathung mit den Töchtern der reicheren Financiers, Negocianten, und anderer Personen aus den mittleren Klassen zu ergänzen suchen. Diese letzten fingen an, ihr Geld zum Genuß des Lebens anzuwenden, und mit den Hofleuten gemeinschaftlich eine Gesellschaft in der Stadt zu bilden, die sich von dem Hofe, besonders nachdem dieser Versailles zur Residenz gewählt hatte, trennte. Im Ganzen blieb der Ton der Stadt abhängig von demjenigen, welchen der Souverain angab; aber in mehreren Stücken hatte er doch etwas Eigenthümliches, das sich auch wieder bey Hofe einschlich. Kurz! das höfische Wesen, die Kourteoisie, ward nach und nach wieder zum städtischen, zur Urbanität.

Denn dadurch, daß die gute Gesellschaft wohlerzogener Menschen nicht unmittelbar unter den Augen des Hofes ihr Verkehr trieb, ward sie von demjenigen Zwange befreyet, den ihr die Etiquette und ein eitles Ceremoniell aufgelegt hatten. Sie sonderte mehr das Ueberflüssige, bloß Prunkende von dem Zweckmäßigen und Schönen ab; durch die Vermehrung ihrer Mitglieder, und durch ihre Verstärkung mit Männern, die sich den Wissenschaften und Künsten gewidmet hatten, gewann das Urtheil über die gute Sitte an Vielseitigkeit der Ansicht, an Richtigkeit und an Bestimmtheit; dadurch, daß die Menschen sich häufiger sahen, mithin öfterer Gelegenheit fanden, die Regeln des guten Tons in Anwendung zu bringen, mußten sie an Fertigkeit und Ungezwungenheit gewinnen.

Die beförderte Mittheilung der Ideen, die vermehrten Mittel zu einem angenehmen Lebensgenuß, die häufigeren Zerstreuungen schwächten die Gewalt der Imagination, machten den falschen Witz fühlbar, und sicherten der Vernunft eine freyere Wirkung. Dadurch, und unter Mitwirkung einiger guten Köpfe, welche die Schätze der Alten unter einem reitzenderen Gepräge als vorhin in Umlauf setzten, gewann der gute Geschmack und jene feinere Sinnlichkeit, ohne welche er nicht bestehen kann.

Von nun an verschwanden nach und nach jene übertriebenen Höflichkeitsbezeugungen im gemeinen Leben, die ihrem innern Gehalte nach frostig unwahr, und ihrer äußern Form nach lächerlich kostbar waren. Von nun an setzte man den Adel der Seele nicht mehr in excentrischen Gesinnungen, und die Schönheit einer Handlung nicht mehr in marktschreyerischem Prunke. Von nun an verwechselte man die unterhaltende Unterredung nicht länger mit dialektischen Wettstreiten, und hielt nicht weiter metaphysische Dissertationen für Ergießungen des Herzens.

Sogleich wurden freylich die Fesseln alter Sitten und Gewohnheiten nicht abgeworfen. Vieles von der ehemahligen Courteoisie, von dem Maurisch-Spanischen Bombast, von dem sentimentalisch witzigen Schimmer der Italiäner ging mit in die neue gesellige Organisation und ihren Styl über, und klebt noch jetzt daran mit unvertilgbaren Spuren. Allein im Ganzen nähern sich doch diese Zeiten der Natur und der Vernunft.

Diese Stimmung hat nun besonders auch auf das Betragen gegen das Frauenzimmer, auf die Achtung und Gefälligkeit eingewirkt, die man ihm im weiteren geselligen Verkehre bewies. Die excentrischen Ideen von seiner Superiorität über unser Geschlecht, und die davon abhängende Niederwürfigkeit vor ihm haben nachgelassen. Das zärtere Geschlecht hat immer mehr gelernt, den wahren Gehalt der Huldigungen, die ihm dargebracht werden, zu wägen. Es hat sich nicht mehr mit dem äußern Scheine einer Verehrung begnügt, die eben darum beleidigend seyn mußte, weil sie den Stempel der Unverschämtheit, einer Lüge, oder einer Aufwallung von Lüsternheit an sich trug. Es hat gleiche Ansprüche auf Menschenwerth mit dem unsrigen, und solche Aufmerksamkeiten verlangt, die keine Herabwürdigung der Dame zu schönen Kindern oder zu eitlen Werkzeugen des Vergnügens verrathen. Von dieser Zeit an ist es eine Kunst geworden, zu loben, ohne in den Fehler der Schalheit und des Abentheuerlichen, oder in den Verdacht verwegener Wünsche zu fallen.

Inzwischen ist in die Urbanität gegen das Frauenzimmer gleichfalls vieles von der alten Courteoisie[WS 119] übergegangen; d. h. vieles, was nach einem richtigen Urtheil über das Wahre und Schöne im geselligen Umgange übertrieben, unzweckmäßig und unangemessen erscheint.

Alle Nachrichten kommen dahin überein: daß es Ton unter dem Frauenzimmer wurde, einer gewissen geselligen Liebenswürdigkeit nachzustreben, die in früheren Zeiten wenig bekannt gewesen war, und auch bald darauf wieder selten geworden ist. Frankreich hatte Damen aufzuweisen gehabt, die sich durch höhere Geistesbildung ausgezeichnet hatten. Aber diese war entweder nicht zum Vortheil der geselligen Unterhaltung angewandt worden, oder bloß auf einen eitlen Glanz, der nie ohne Kostbarkeit, Gernwitz und Demüthigung anderer erlangt zu werden pflegt, berechnet. Die Geißel des Lächerlichen vertrieb diese Anmaßung. Man fing an, sich ihrer zu schämen, und konnte doch der Kenntnisse und der Kultur des Verstandes zur Unterhaltung nicht mehr entbehren. Das zärtere Geschlecht suchte daher diese Kultur mit seinem schönsten Vorzuge, mit dem Herzen, in ein näheres Verhältniß zu setzen: es fühlte, daß diejenige Eigenthümlichkeit, welche es seiner Gabe im Beobachten und Darstellen des Gegenwärtigen, Einzelnen, und Zunächstliegenden verdankt, ihm zum wahren Vorzuge angerechnet werden müßte: es sah ein, daß das mühsam Erworbene und Gesuchte in der Bildung und den Aeußerungen seines Geistes ihm weniger kleide, daß hingegen eine Aufklärung, die so natürlich geworden ist, daß ihre Spuren sich gleichsam von ungefähr und unwillkührlich ankündigen, sich für jedes Geschlecht schicke: daß die Bestimmung höherer Talente bey dem Weibe vorzüglich auf die Behandlung desjenigen Stoffs gerichtet werden müsse, der zur Unterhaltung der örtlichen Gesellschaft dient; und daß endlich die Superiorität des Geistes alsdann leicht geduldet, und sogar geliebt wird, wenn sie mit anspruchloser Liebe gepaart, niemand zurückschreckt, und den großen Haufen zu keiner anhaltenden Spannung seiner Aufmerksamkeit verpflichtet.

Zartheit der Empfindungen, Feinheit der Bemerkungen, Lebhaftigkeit des Ausdrucks, leichte Behandlung aller Gegenstände, die im täglichen Leben vorkommen, unter Leitung des Geschmacks, des Anstandes, und der Bescheidenheit zeichnen die Werke einer Sevigné, la Fayette, la Sabliere, la Suze, Lambert, Deshoutieres und anderer aus. Sie konnten nur das Produkt einer Gesellschaft seyn, die sich oft genug sah, um das Abentheuerliche, Excentrische, Steife und Unnatürliche abzuschleifen, und nicht so viel, um das Neue, Auffallende, Hervorstechende bloß zur Verscheuchung der Langenweile herbeyzuhohlen.


Drittes Kapitel.
Folgen, welche die veränderte Denkungsart unter Ludewig dem Vierzehnten auf engere Geschlechtsverbindung und Liebe gehabt hat.

Diese veränderte Stimmung der Gesellschaft überhaupt und der Weiber insbesondere mußte Einfluß auf die engeren Geschlechtsverbindungen und die Art, sie darzustellen, haben. Das Natürliche und Vernünftige bekam auch hier die Oberhand. Der Glaube an wahre Freundschaft unter beyden Geschlechtern breitete sich immer mehr aus, und der Werth der Anhänglichkeit an einer bestimmten Person von verschiedenem Geschlechte ohne allen weitern Zweck als den, anzuhangen, ward immer fühlbarer. Vorhin hatte man geliebt, um sinnliche Begierden, um die Triebe nach Ruhm, nach Eitelkeit, nach Beschäftigung, zu befriedigen. Jetzt liebte man, – um zu lieben; wenigstens suchten die Dichter, die Romanenschreiber, die Weltphilosophen der Leidenschaft diesen Zweck beyzulegen, und sie von jeder andern weiterliegenden Absicht abzusondern. Von nun an durfte der Liebhaber mit dem Zustande seines Herzens nicht mehr prunken, und seine Huldigungen, so wie die Beweise der Auszeichnung, die er erhielt, nicht mehr öffentlich zur Schau ausstellen. Der Anstand verbot heimliche Verständnisse zur Befriedigung der Sinnlichkeit: er ließ aber geheime Verbindungen der Herzen zu. Da das Interesse ihrer Darstellung nicht mehr in der Ueberwindung äußerer Hindernisse gesucht werden konnte; so setzte man innere an ihre Stelle, und schilderte forthin die edelste Leidenschaft im Streite mit der Pflicht. Die Spannung, die Beschäftigung der Liebenden, lag nicht mehr in dem Kampfe wider Schwierigkeiten, welche Riegel, Hüter, höchstens Stolz und Rücksicht auf den Anstand hervorbrachten; er lag in dem Kampfe der Liebe gegen Tugend und Furcht vor innerer Unruhe. Der Sieg der einen oder der andern ward immer durch Thränen und Verzweiflung verkümmert. Der Liebhaber konnte das Herz, den edelsten Theil der Sinnlichkeit seiner Geliebten, ihrem noch edleren Selbst, ihrer Moralität, nicht abgewinnen, ohne seine stolze Freude durch die Aeußerungen ihrer Gewissensangst getrübt zu sehen. Die edle Frau konnte weder über sich selbst den Sieg erkämpfen, noch ihrem Herzen unterliegen, ohne ihren Triumpf und ihren Fall auf gleiche Weise zu bereuen!

So erscheint die Liebe bey der Princesse de Cleves, einem Romane der la Fayette, worin die Sitten ihres Zeitalters einem früheren beygelegt werden, und worin zuerst Wahrheit in die Charaktere, in die Verknüpfung der Begebenheiten, in die Empfindungen, und in ihren Ausdruck gebracht wird. [366] Nach solchen Grundsätzen kommentiert die Marquise de Lambert über die Freundschaft zwischen Personen von verschiedenem Geschlechte.

Neben den Darstellungen solcher Herzensverbindungen giebt es andere, worin die Leidenschaft sinnlicher und vielleicht darum stärker ausgedruckt wird. Sie zeichnen sich aber von den früheren Produkten immer durch Wahrheit und Geschmack aus. Die Lettres d’une Religieuse Portugaise, die theatralischen Werke des Racine und Quinault verdienen hier besonders genannt zu werden.

Die Galanterie nahm jetzt eine Gestalt an, die dem Geist der Zeiten angemessen war. Sie verließ ihren Anspruch an die Imagination und die Ruhmsucht, mit deren Hülfe sie sonst das Herz der Schönen zu rühren gesucht hatte, und wandte sich an den Witz und die Eitelkeit, um dadurch einen vorübergehenden Eindruck auf den Geist der Damen zu machen. Schon die Scudery, die Voiture, Balzac, Cyrano[WS 120] de Bergerac, und andere, hatten diesen Ton angestimmt, aber er erhielt späterhin durch Bussy, Boursault, Fontenelle, u. s. w. mehr Ausbildung. Die Galanterie ward in der Folge von der Liebe und Zärtlichkeit ganz abgesondert, und beym Richelet findet man die lettres tendres, und die lettres galantes unter zwey verschiedenen Rubriken.

Das Auffallendste[WS 121] in der früheren Galanterie war die öffentliche Huldigung des verheiratheten Frauenzimmers, die unbefangene Anerkennung seines Einflusses auf die Gesinnungen und Handlungen des Mannes gewesen, der nicht durch Bande der Ehe mit ihm verbunden war. Der Ernst, womit dieß war betrieben worden, fiel natürlicher Weise ins Lächerliche, nachdem die geselligen und die bürgerlichen Verhältnisse sich verändert hatten. Die repräsentierende Anmaßung, womit der excentrische Verehrer der Schönen das Panier seines Dienstes geschwenkt hatte, konnte bey geläuterten Begriffen über Schicklichkeit und Anstand nicht weiter geduldet werden, und der Einfluß der Weiber auf die öffentlichen Angelegenheiten verschwand vor der Alleinherrschaft Ludewigs des Vierzehnten.

Man behielt den Begriff der losen, ungebundenen Aufwartung des schönen Geschlechts bey, aber man verwandelte den Ernst in ein Spiel, in eine gesellige Belustigung. Den Damen ward noch ferner öffentlich gehuldigt, aber nur in dem engeren Zirkel der guten Gesellschaft, nicht vor den Augen der ganzen Welt; und die Huldigungen selbst waren ganz aus dem Kreise der geselligen Unterhaltungsmittel hergenommen. Es waren Verse, kleine Geschenke, Komplimente, und besonders Billets und Briefe, welche dazu genutzt wurden. Sie waren als ein Tribut anzusehen, den man der über alles gebietenden Schönheit brachte, und der kein besonderes Verständniß voraussetzte. Der Verstand mußte daran noch mehr Antheil haben, als das Herz, und vor allen Dingen mußte ein leichter, munterer, glänzender Witz, der mit dem Ausdruck wahrer Zärtlichkeit ganz unvereinbar ist, daraus hervorleuchten.

Diese Galanterie, die oft sehr vorübergehend gegen jede Dame von hohem Range, ausgezeichneter Schönheit, und hervorstechenden Talenten angewandt wurde, [367] machte auch zuweilen den Grundstoff dauernderer[WS 122] und engerer Verbindungen aus. Weiber, die ihren Verstand und ihre Kenntnisse geltend machen wollten, und die Censur des größeren Haufens bey einer öffentlichen Ausstellung ihrer höhern Geistesbildung fürchteten, vereinigten sich mit Männern von Talent, wechselten mit ihnen im Geheimen witzige Ideen in Briefen und in der mündlichen Unterredung aus, und gaben diesen Unterhaltungen zur Erhöhung ihres Reitzes oft einen zärtlicheren Anstrich. Das Artigste, was diese Verbindungsart hervorgebracht hat, sind die lettres de Babet an Boursault.

In unsern Tagen nennt man ähnliche Verhältnisse liaisons d’esprit.

Viertes Kapitel.
Einfluß der Regentschaft und der nachfolgenden Regierungen in Frankreich auf die Denkungsart über die nehmlichen Gegenstände.

Seit Ludwig dem Vierzehnten stand die Denkungsart über Geschlechtsverbindung und Liebe mit dem bürgerlichen Leben weiter in gar keinem Verhältnisse, sondern bloß mit dem Privatleben in der örtlichen Gesellschaft.

Die übertriebene Devotion, in welche Ludwig der Vierzehnte in den letzten Jahren seiner Regierung verfallen war, veränderte zwar den Ton, den die Stadt einmahl angenommen hatte, nicht völlig; aber sie ließ ihm doch einen gewissen Zwang fühlen. Sobald der Regent an seinem Hofe aller Sittlichkeit und allem Anstande Trotz bot, suchte die gute Gesellschaft in Paris die wiedererhaltene Freyheit doppelt zu nutzen, und verfiel in Ausgelassenheit. Durch die gänzliche Umwälzung der Glücksgüter, welche das System des Law hervorbrachte, ward der äußerste Luxus und das höchste Elend erzeugt, und beydes hatte sehr nachtheilige Folgen für die Sitten. Wenn es auch nicht allgemeiner Ton wurde, sich gänzlich über allen Anstand wegzusetzen, so zeigte sich doch ein Leichtsinn, der zugleich mit vielen unnützen Formen der alten Courteoisie und Galanterie auch viele wesentliche Bestandtheile der Urbanität wegwarf.

Die Geschlechtsverbindungen erhielten ganz sinnliche Zwecke, und diejenigen, welche die Liebe zu verschönern suchten, schränkten sich darauf ein, die gröbsten Begierden durch kurze Hindernisse und Beymischung solcher Verzierungen, woran der Verstand mehr Antheil hatte als das Herz, schmackhafter und dauernder zu machen. Das Wort Galanterie nahm nun eine ganz andere Bedeutung an. Zu Anfange des Jahrhunderts hatte Richelet noch von der Des Jardins ohne Vorwurf sagen dürfen: daß sie sich nach dem Verluste zweyer Gatten in die Galanterie geworfen hätte: d. h. den Umgang mit unserm Geschlechte nur zur Unterhaltung ihres Geistes aufgesucht habe. In der Mitte des nehmlichen Jahrhunderts, und schon früher, würde dieser Ausdruck eine sittenlose Aufführung bezeichnet haben, die sich nur von der Ausgelassenheit gemeiner Buhlerinnen durch Beobachtung solcher Formen unterscheidet, welche zur Erhöhung des Vergnügens und zur Bewahrung des Scheins der Achtung für das Publikum, der Selbstschätzung, und der Verehrung für die Damen dienen.

Die verworfenen Weiber, welche uns Crebillon und einige andere Schriftsteller aus diesen Zeiten schildern, geben sich bey aller Bereitwilligkeit zu den stärksten Gefälligkeiten immer das Ansehn, als ob sie gegen ihre Schamhaftigkeit und gegen Rücksichten auf ihren Ruf zu kämpfen hätten, und nur der Ueberzeugung von der Stärke und Dauer der Leidenschaft ihrer Liebhaber wichen. Diese geben sich gleichfalls den Schein der Achtung für das begehrte Weib, des Glaubens an die Schwierigkeit des Siegs, des Feuers und der Beständigkeit. Dieß konventionelle Benehmen, wobey man von beyden Seiten auf Wahrheit und Ueberzeugung keinesweges rechnete, hieß von nun an Galanterie, und bezeichnete eine Art von Buhlerey, welche die gute Gesellschaft dulden zu können glaubte, weil der äußere Anstand geschont wurde. Jetzt wie ehmahls bestand ihr Wesen in einer ungebundenen Aufwartung des schönen Geschlechts, die auf Rechnung einer bloß geselligen Unterhaltung und unschuldigen Verehrung der Alles beherrschenden Schönheit gesetzt werden konnte. Nur mit dem Unterschiede, daß ehmahls diese Form, eben weil sie durch Uebertreibung und Umständlichkeit zu viel verkündigte, nur wenig sagte: jetzt, da sie unter einer leichten Behandlung zu wenig errathen lassen wollte, alles vermuthen ließ.

Ein entnervtes, leichtsinniges, eitles Volk begnügt sich überall mit dem Schein, und läßt sich leicht bewegen, bey ähnlichen Wirkungen gleiche Ursachen anzunehmen. Das Feuer, das Schüchterne, die Gefälligkeit, die Beharrlichkeit der Begierde, gilt ihm für Stärke und Wahrheit liebender Empfindungen, für Zärtlichkeit und Standhaftigkeit. Aber wo sollte es selbst jene Vorzüge unter Personen finden, die von Jugend auf angelernt sind, Gesinnungen zu heucheln, die sie nicht haben, und die sich willkührlich betrügen, um nur dem gröbsten Vergnügen nicht alle diejenigen Reitze zu entziehen, die ihm der Anstand leiht? Seht alle Darstellungen nach, welche uns die Marivaux, die Riccoboni, die Graffigny, die Crebillon, die Voltaire, die Bernard und selbst noch die Marmontel von wahrer und schöner Liebe liefern! Woher nehmen sie ihre Helden? Aus dem Stande der Neulinge unter den Jünglingen und der unerfahrnen Mädchen! Wohin verlegen sie ihre Situationen? Aufs Land, zwischen die meist rohe Natur! Es ist nicht mehr der Streit zwischen Liebe und Tugend, der ihre Pinsel beschäftigt; es ist das Mißverständniß zwischen Begierde und Unerfahrenheit, zwischen niederer Sinnlichkeit und instinktartiger Scham! Und wie erlogen, wie geziert ist demungeachtet oft der Ausdruck der Naivetät, aus dem sie die größten Reitze für die Liebe zu ziehen suchen!

Ganz im Geiste der Zeit nahm man zwey Liebesgötter an, die beyde von der himmlischen Venus verläugnet worden wären. Der eine war der Sohn der Venus Pandemos, und ganz so schmutzig und niedrig, als Sokrates ihn beym Plato schildert: er sprach allem Anstande und selbst den Vorschriften des wahren Vergnügens Hohn. Der andere hatte dem wahren und edleren einen fremden Schimmer abgestohlen, der aber mit seiner Gestalt nicht mehr Aehnlichkeit hatte, als die Porcellainfigur aus der Fabrik von Seve mit den Meisterstücken von Marmor, die uns das Belvedere aufbewahrt.

Dieß brachte die größte Verwirrung in die Begriffe. Bernards Kunst zu lieben ist davon der sicherste Beweis. Diese Parodie des ovidianischen Gedichts gleiches Nahmens schwankt beständig zwischen Unanständigkeit und Rücksicht auf den Anstand, zwischen Witz und wahrer Empfindung, zwischen der eigennützigsten Begierde und liebender Aufopferung. Der herrschende Begriff bricht aber allerwärts durch; Liebe ist Begierde nach Vergnügen der Sinne, unterstützt von den Annehmlichkeiten, welche eine feinere Reitzbarkeit, eine feurige Imagination und ein glänzender Witz ihm geben können. [368]

Neben dieser leichten und unbeständigen Art von engeren Geschlechtsverbindungen gab es aber auch andere, die dauernder waren, und an denen das Herz bald mehr bald weniger Antheil hatte. Amours platoniques, Interéts oder Liaisons de Societé, Commerces d’habitude, u. s. w. Die ersten kamen besonders auf, seitdem Rousseau die Ideen der älteren Italiäner wieder in Umlauf gebracht hatte. Man verstand darunter eine Verbindung, worin gegen die Gewalt der Sinne zum Vortheil der Begeisterung angekämpft wurde. Aber oft ward dieser Streit bloß geführt, um den vorausgesehenen Fall zu beschönigen, und den Sieg kostbarer zu machen. Oft trotzte man auf Unschuld und Unsträflichkeit der Verbindung, wenn nur die Gesetze nicht Verbrechen strafen konnten, und überließ sich mit schamloser Verstocktheit und verruchtem Uebermuthe nahmenlosen Sünden, die dem Charakter nachtheiliger sind, als Schwächen, welche die bürgerliche Ordnung stören.

Die Interéts de Societé waren Verständnisse, die auf Eitelkeit und Belustigungssucht beruhten, nebenher auch die Sinnlichkeit körnten und befriedigten, und mit gutem Tone und Geschmack verbunden unstreitig viel zur Unterhaltung und Belebung geselliger Zirkel beytrugen: eine Art von Cicisbeatura, aber leichter, kürzer, und minder langweilig!

Die Commerces d’habitude wurden als eine Art von eheligen Verbindungen zwischen Personen angesehen, die sich ehmahls mit Leidenschaft geliebt hatten, und nunmehro, nachdem der längere Genuß des ungetrennten Zusammenlebens die Heftigkeit ihrer Neigung abgestumpft hatte, durch die Bande einer süßen Gewohnheit vereinigt blieben. Sie flohen einige Unannehmlichkeiten der Ehe, um sich einer Menge anderer, die ihr fremd sind, auszusetzen.

Männer, die vermöge eines dieser Verhältnisse häufigern und freyeren Zutritt zu verheiratheten Damen hatten, wurden unter dem Nahmen der amis de la maison von der guten Sitte gelitten und anerkannt.

Unter den höheren Ständen waren die Liebeshändel mit unverheiratheten Mädchen sehr selten, weil diese gemeiniglich in Klöstern, oder unter sehr strenger Aufsicht, ausgeschlossen von verführerischen Zerstreuungen der größern Welt, auferzogen wurden. Die französischen Romanenschreiber haben daher den Zustand der Bewerbung um die Hand des vornehmeren Mädchens, welches diese zugleich mit seinem Herzen verschenkt, minder häufig zu ihren Darstellungen genutzt.

Fünftes Kapitel.
Denkungsart über die Verbindungen mit den anerkannten Buhlerinnen (femmes entretenues et filles) in Frankreich.

Die anerkannten Buhlerinnen in Frankreich sind allemahl vor der Revolution von der guten Gesellschaft ausgeschlossen gewesen, und die gute Sitte hat die engeren Verbindungen mit ihnen nie gebilligt, sobald sie öffentlich zur Schau ausgestellet sind. Der sittenlose Umgang mit einer Frau, die sich nicht bezahlen läßt, kann geduldet werden, so lange der äußere Schein nichts Sittenloses zeigt; aber der nähere Umgang mit einer Person, von der es bekannt ist, daß sie ihre Gunst feil bietet, kann den Anstand nie ungekränkt lassen, weil er durch sich selbst schon auf sittenlose Begriffe führt.

Der allgemeine Charakter der Weiber aus dieser Classe lag in der Ueberzeugung, die das Publikum von ihnen hatte, daß sie ihren Unterhalt durch ihre Gefälligkeiten erwerben. Sie waren übrigens von sehr verschiedener Art. Einige unter ihnen verkauften diese nur einem Einzigen, und zwar auf Lebenszeit: oft ohne allen Eigennutz, und bloß gegen einen Ersatz für die Aufopferung, die sie dem Verbündeten mit ihrem Rufe und der Ausschließung von aller guten Gesellschaft brachten. Unter diesen waren Personen von guter Herkunft und Erziehung, die aber durch die gewählte Lebensart auf das Ansehn, das sonst diese Stücke gaben, Verzicht leisten mußten. Andere verkauften sich gleichfalls nur einem Einzigen, aber nach mehreren anderen, und nur auf einige Zeit. Wieder andere beschränkten sich mit einer Mäßigung, welche Ehrgeitz, Laune, und Eigennutz vorschrieben, auf vorübergehende Gefälligkeiten gegen vornehme, liebenswürdige, talentvolle oder reiche Männer. Derjenigen, welche ihre Gunst für jeden feil hatten, der den gesetzten Preis bezahlte, war eine größere Menge; und endlich bestand die größte Anzahl aus solchen, die nicht bloß aufgefordert gaben, sondern sogar die Gelegenheit aufsuchten, mit ihren Reitzen einen kärglichen Wucher zu treiben.

Alle diese Weiber, von derjenigen an, welche die mehrste Nachsicht verdient, bis zu dem Auswurf des Geschlechts herunter, unterschieden sich von ähnlichen Weibern in andern Ländern durch die Gabe, den gröbsten sinnlichen Genuß durch Geschwätz und andere Künste der Unterhaltung zu erhöhen, und durch eine gewisse Aufmerksamkeit auf ihr Betragen, vermöge der sie, selbst bey der sittenlosesten Aufführung, einer völligen Erniedrigung vorbeugten, und dadurch das Vergnügen noch zu würzen wußten. Die vornehmeren Buhlerinnen, (les filles hupées) strebten sogar dem Anstande vornehmer Damen nach, suchten Männer, die durch gesellige Liebenswürdigkeit, oder als Künstler ausgezeichnet waren, in ihre Gesellschaft zu ziehen, und legten in ihren Häusern einen Luxus aus, der den Künsten Beschäftigung, und der feineren Sinnlichkeit einen ausgesuchten und seltenen Genuß verschaffte. Einige von ihnen waren durch einen Witz berühmt, der selbst in der guten Gesellschaft wiederhohlt, überall und selbst bis zu den spätesten Zeiten hin Stoff zur Unterhaltung geben wird.

Dennoch bin ich durch eine oberflächliche eigene Erfahrung, und durch das Zeugniß solcher Männer, die lange in den Zirkeln der berühmtesten Weiber dieser Art gelebt haben, überzeugt worden, daß eine große Abstumpfung der Empfindungen, ich will nicht sagen der Sittlichkeit, sondern nur des Anstandes und der Urbanität, dazu gehört haben muß, um sich im engeren Umgange mit diesen französischen Hetären auf die Dauer zu gefallen. Mitten durch ihr Bestreben, den feineren Ton der großen Welt anzunehmen, brachen bäurische Ausgelassenheit und zwangvolle Verlegenheit allenthalben durch. Schmutzige, ungezogene Scherze, die sogar die Würze der Zweydeutigkeit verschmähten: Stellungen und Geberden, welche die ekelhaftesten Ideen erweckten, und überhaupt ein Ton von offenbarer Vertraulichkeit, der die geheimere ahnen ließ, die kurz vorher eingetreten war, oder gleich darauf eintreten sollte: ein Ton, der es laut verkündigte, daß hier für Geld alles zu haben, alles erlaubt sey; hoben in den Augen des Mannes von Gefühl die Reitze einer minder unterhaltenden, aber sittsamen Gesellschaft bey der geringsten unter den ehrliebenden Frauen. Und wie leer von innerem Gehalte war zugleich die Unterredung mit diesen Weibern! Wie so ganz auf das Bedürfniß vornehmer und reicher Weltleute berechnet, die entweder, an Geistesbildung vernachlässigt, ein jedes Geschwätz als eine Zugabe zu der Befriedigung des materiellen Hauptzwecks betrachten, oder absichtlich Gesellschaften dieser Art aufsuchen, um sich von der kleinen, aber für sie immer erschöpfenden, Anstrengung zu erhohlen, in der bessern Gesellschaft zu glänzen! „Warum leben Sie zwischen diesen Personen?“ fragte ich einen Mann von vielen geselligen Talenten. „Weil mein Geist hier im Schlafrocke seyn kann!“ war die Antwort.


Sechstes Kapitel.
Denkungsart einiger französischen Philosophen, und besonders Rousseau’s, über Geschlechtsverbindung und Liebe.

Die herrschende Denkungsart der guten Gesellschaft unter einer Nation hat immer einigen Einfluß auf die Grundsätze der Selbstdenker. Keiner der französischen Philosophen hat sich von diesem Einflusse in Rücksicht seiner Ideen über Geschlechtsverbindung und Liebe frey erhalten, selbst da nicht, wo die herrschenden Grundsätze gemißbilligt werden. Alle sehen die engeren Verhältnisse zwischen beyden Geschlechtern als die Wirkung eines verfeinerten Egoismus an.

Ein anonymischer Schriftsteller hat in einem Aufsatze über Liebe und Eifersucht einige obenher abgeschöpfte, aber übrigens vernünftige Bemerkungen vorgetragen. Er erklärt die Liebe für eine Zusammensetzung des physischen Bedürfnisses, an welches der Schöpfer die Fortpflanzung der Gattung gebunden hat, mit dem allgemeinen Zuge der moralischen Welt zur Gründung einer engeren Gesellschaft mit einer bestimmten Person. Das Glück der Häuslichkeit, verbunden mit der Befriedigung körperlicher Triebe, mithin bloß egoistische Gründe, sollen uns zur Liebe einladen. [369]

Helvetius hat in seinem Buche sur l’esprit, (einer Sammlung von Paradoxen und Anekdoten, deren Berichtigung nur darum schwer ist, weil sie zu weitläuftig werden würde, und beynahe jeden Perioden umfassen müßte,) die Freundschaft geradezu für die Wirkung des gröbsten Eigennutzes, und die Liebe für den Trieb nach physischem Vergnügen erklärt. Leider! muß man sagen, daß nach der Art, wie beydes unter dem großen Haufen in Frankreich getrieben wurde, viel Lokalwahres in diesen Behauptungen liegt.

Rousseau wird der Plato unsers Jahrhunderts genannt. Möglich! Man sagt, er sagt es selbst von sich: er sey der Liebendste der Menschen gewesen! Unmöglich!

Rousseau kannte den Rausch der Sinne und der Imagination: er kannte den Trieb nach engerem traulichen[WS 123] Zusammenleben mit der Gattin: hinreißende Stellen in seinen Schriften schildern den Einfluß der Geschlechtsverbindung auf Seelenerhebung; aber – wahre Liebe und Zärtlichkeit hat er nie gekannt.

Rousseau’s Lebensgeschichte liefert eine Gallerie von Gemählden, worin alle verschiedenen Wirkungen der Geschlechtssympathie, alle verschiedenen Arten der Vereinigung mit Weibern, bis auf die einzige noch, die auf wahrer Liebe beruht, vorkommen. Aus ihr sind zugleich seine Grundsätze über diesen Punkt zu erklären.

Er war in früheren Jahren Weib, der ganzen Reitzbarkeit seines Körpers und seiner Seele nach, und weit mehr dazu gestimmt, leidend und einnehmend, als angreifend und vordringend Lust oder Unlust zu empfinden. Gleich die erste Regung seiner Lüsternheit unter den Händen der Mademoiselle Lembercier gehört der Sinnlichkeit eines Mädchens, und nicht der eines Knaben. Daher auch sein Geschmack an dem Gefühle, sich verzärtelt zu wissen, mit dem ganzen Anhange, den die Eitelkeit hinzufügt.

Dieser Geschmack lag bey der Neigung zum Grunde, die er als Kind für die Demoiselle Vulson empfand: hingegen Regung körperlicher Triebe, und der Reitz der ersten Intrigue bey seinen Vertraulichkeiten mit der kleinen Goton. Rousseau nennt beyde Verhältnisse seiner Kinderjahre Liebe. Mit welchem Rechte, in welchem Widerspruche mit seinen übrigen Grundsätzen, das wird die Folge lehren. Das Schoßhündchen kann schon dasjenige empfinden, was ihm Mademoiselle Vulson einflößte; und der kleine Affe, l’ami des Dames, kann gegen eine Behandlung, wie diejenige war, die er von der kleinen Goton erfuhr, gleichfalls empfindlich seyn.

Eitelkeit, Sucht zu glänzen, war es, die in früheren Jahren nur Damen und Demoisellen seiner Aufmerksamkeit werth machte, die ihm die Hoffnung gab, die Augen der Prinzessinnen am Turiner Hofe auf sich zu ziehen, und ihm verliebte Neigungen zu allen Frauenzimmern einflößte, denen er sich als Dienstbothe oder als Zögling nahte. Wenn seine Aufwartungen nicht angenommen wurden, so erkaltete sein Eifer, sie fortzusetzen. In den kleinen Roman, den er mit Madame Bazile spielte, und den schon mehr als ein Page gegen seine Königin gespielt hat, mischte sich der Stolz, ein Herz auf eine feine Weise zu erobern. Aber wie wenig dieser vorübergehende Affekt auf Rechnung der Liebe zu setzen sey, das beweiset schon der Umstand, daß er während seines ferneren Aufenthalts an dem nehmlichen Orte mit ihr, sie sobald für andere Weiber vergaß.

Rousseau’s Verhältniß mit Madame de Warens verdient eine besondere Beleuchtung. Es würde uns viel erklärbarer seyn, wenn die Schilderung, die er uns von ihr geliefert hat, treuer wäre. Aber wir finden hier Züge zusammengestellt, die nach aller Erfahrung nicht zusammen gehören. Das Bild kann nicht ähnlich seyn: es ist verzeichnet; die Verhältnisse sind nicht in der Natur.

Madame de Warens soll nach R. wenig körperliche Geschlechtssympathie gehabt haben. Allein es kommt auf die Maße an, womit er mißt. Immerhin mag ihre Schwäche von dieser Seite nicht bis zur höchsten Ausgelassenheit gegangen seyn; aber warmes Blut hatte sie unstreitig, und zwar so gut als eine. Die übrigen Eigenschaften ihres Charakters scheinen es zu beweisen. Jene sorglose Gutherzigkeit und Weichheit, jener Leichtsinn in allen ihren Handlungen, jene Leichtgläubigkeit, mit der sie jedem Abentheurer folgte, jene Blindheit in der Verfolgung thörichter Projekte; – alles dieß bürgt für die Richtigkeit meiner Behauptung, da es nicht allein oft bey galanten Frauen angetroffen wird, sondern auch mit jenem warmen Temperamente ein beynahe unzertrennliches Ganze ausmacht. Noch mehr aber beweist es ihre Aufführung. Sie liefert sich mehreren Liebhabern, und endlich sogar ihren Dienstbothen nach der Reihe in die Arme. Rousseau behauptet, dieß sey ein bloßer Fehler ihres Verstandes gewesen: sie habe die Sache selbst für ganz gleichgültig gehalten, und aus dem Grunde, weil die Männer einen so großen Werth darauf legten, sie als ein Mittel gebraucht, diejenigen, die ihr angehörten, sich desto enger zu verbinden. Wer wird, wer kann dieß glauben, da R. selbst denjenigen für einen Dummkopf hält, der ähnlichen Versicherungen trauet! [370]

Sicherer geht man, wenn man der Frau von Warens sehr wenig Anlagen zur zärtlichen und leidenschaftlichen Anhänglichkeit, und zugleich sehr grobe Grundsätze über den Werth des unnennbaren Genusses beylegt. Dieser wird dann zum sinnlichen Bedürfnisse, oder zu einem Vergnügen, woran Seele und Herz keinen, oder sehr geringen Antheil nahmen. Weiber, die sich viel mit Wissenschaften, Geschäften, Experimenten und Künsten abgeben, welche eigentlich außer dem Kreise ihres Geschlechts liegen, kommen sehr leicht zu dieser Denkungsart. Ihre Seele ist, wie sie glauben, zu etwas Wichtigerem bestimmt, als der Leidenschaft der Liebe zu huldigen, und sie suchen der Störung, die sie durch Bekämpfung körperlicher Begierden erfahren würde, durch die leichte Art auszuweichen, mit der sie ihre Befriedigung behandeln. Darum legen sie auch auf die Untreue, welche sie gegen ihren Liebhaber begehen, einen sehr geringen Werth. Als Rousseau sich über eine solche von Seiten der Madame de Warens beklagte, und versicherte, sie würde ihn das Leben kosten, so antwortete diese: davon stürbe man nicht, er sey ein Kindskopf, darauf so viele Wichtigkeit zu legen. Mit dieser Denkungsart besteht übrigens ein weicher, mit dem Wohl und dem Leiden anderer Menschen sympathisierender Charakter sehr gut. Sie schließt sogar ein gewisses Gefühl von Anstand und Stolz nicht aus. Madame de Warens, die sich ihren Bedienten im Geheimen Preis gab, nahm es doch sehr übel, als der Abentheurer Venture einen zu freyen Ton in ihrer Gegenwart annahm.

Weil aber solche Frauen in dem unnennbaren Genusse gerade nur sinnliches Vergnügen von der vorübergehendsten und gröbsten Art suchen; so sind sie auch über die Art, wie sie dieses finden, weniger gleichgültig als zärtlichere Seelen. Und so kann man es erklären, wie R. nicht in den Fall kam, über die Lüsternheit der Warens ein vollgültiges Urtheil zu fällen. Er für seine Person scheint sie weder jemahls sehr rege gemacht, noch sehr befriedigt zu haben. Als er zu ihr kam, war er das, was man im Deutschen nicht gut ausdrücken mag, ein Nigaud. Sie war vor der Hand mit Claude Anet von einer gewissen Seite versorgt, und sie litt unsern R., weil sie gutherzig und sorglos war: weil es sie belustigte, weil es ihr schmeichelte, ihn an sich hängen, sich lieben zu sehen, ohne daß der Knabe wußte, wie und warum?

Leidenschaftliche Liebe hat sie nie für ihn empfunden. Wie hätte sie sonst ihn fortschicken, und gerade diese Zeit nutzen können, sich zu entfernen, ohne ihm die geringste Nachricht von ihrem Aufenthalte zu geben. Wie hätte sie ihn zum zweyten Mahle, nachdem sie ihm bereits den Besitz ihrer Person eingeräumt hatte, fortsenden, und sich unterdessen einem andern ergeben können! Es ist vielmehr sehr wahrscheinlich, daß sie des Jünglings, den sie sich unvorsichtiger Weise aufgehalset hatte, gern mit guter Manier wieder los gewesen wäre.

Dieß zum Voraus, ehe wir zur näheren Beleuchtung der Art von Neigung übergehen, die er, Rousseau, für Madame de Warens empfand. Das, was er darüber sagt, ist eben so unzuverlässig, als die Schilderung ihres Charakters.

Der erste Augenblick, worin er Madame de Warens sah, ist, seiner Behauptung zu Folge, der einzige gewesen, worin er eine leidenschaftliche Bewegung für sie empfunden hat. Dieß ist falsch, wie wir gleich sehen werden. Aber gewiß ist es, dasjenige, was er in diesem Augenblicke empfand, war nicht Liebe. Es war Verwunderung, untermischt mit Eitelkeit und geheimer Regung der Sinnlichkeit. Er hatte sich die Wohlthäterin, an die man ihn gewiesen hatte, als ein altes, grämliches, eingeschrumpftes Mütterchen gedacht, und er fand eine junge Dame, die ihn mit Freundlichkeit und einer gewissen Art von Achtung aufnahm. Die Empfindung, welche sie ihm einflößte, war nicht von langer Dauer. Als sie ihm Aussichten zu seinem weiteren Fortkommen in Turin eröffnete; wie gern verließ er sie: wie bald war sie über andere Weiber dort vergessen!

Nach seiner Wiederkunft gerieth er wirklich in eine Art von leidenschaftlicher Spannung, welche zu interessant zu meinem Zwecke ist, als daß ich sie nicht etwas näher auseinander setzen sollte:

„Dasjenige, was ich für Madame de Warens empfand, sagt er, war nicht Liebe. Wer nur diese fühlt, empfindet noch nicht den süßesten Genuß des Lebens! Ich kenne ein anderes Gefühl, das vielleicht weniger heftig, aber tausendmahl köstlicher, oft mit der Liebe verbunden, und oft davon getrennt ist. Dieß Gefühl ist nicht bloße Freundschaft: es ist wollüstiger, zärtlicher. Ich glaube nicht, daß es eine Person unsers Geschlechts uns einflößen könne!“

Roußeau gesteht selbst, dieß sey nicht klar; aber in der Folge, wenn er die Wirkungen dieser Liebe beschreiben würde, werde es deutlicher werden. Wir müssen also die Wirkungen kurz anführen.

Er behauptet bey der Vergleichung seines nachherigen Aufenthalts bey Madame de Warens zu Chambery mit dem früheren zu Amecy, er sey an dem letzten Orte in einer wollüstigen Trunkenheit gewesen. Und so war er wirklich. Bey den kleinsten Abwesenheiten von ihr, bey jeder Störung in dem unbefangenen Zusammenseyn mit ihr, gerieth er in die lebhafteste Unruhe, fühlte das heftigste Nachsehnen nach ihr hin, eine unbestimmte Traurigkeit, und den lebhaftesten Vereinigungstrieb mit allem, was der Freundin nur von fern angehörte.

Wer erkennt hierin nicht jene Lüsternheit der Seele, die ich schon oft berührt habe, bey der die Lüsternheit des Körpers unstreitig mit wirksam ist, aber ohne daß diese sich durch gröbere Symptome und deutliche, bestimmte Begierden ankündigt! Diese Lüsternheit, vermischt mit dem Geschmack am traulichem Zusammenleben, und an der Verzärtelung von Seiten einer[WS 124] an Einsicht, Jahren und Stande über den Jüngling erhabenen Frau, erklärt das ganze Räthsel. Rousseau hat hier Leidenschaft empfunden. Aber freylich, keine Herzensliebe! Es war Begeisterung, Rausch der Imagination, der bald verschwand, und sich von einem ähnlichen späteren Zustande, in den ihm Madame d’ H. versetzte, dadurch unterschied, daß in dem letzten Falle der Aufruhr der physischen Lüsternheit in deutliche Begierde nach Körpervereinigung überging, der in dem ersten nur seine Lebensgeister überhaupt erhöht hatte.

Warum aber verhallete diese leidenschaftliche Stimmung so bald? Weil die Frau von Warens die Sache zu natürlich, zu gleichgültig, zu tändelnd nahm. Sie hätte dieser Leidenschaft nur Schwierigkeiten in den Weg legen mögen, oder sie wichtig behandeln können; sie würde zu einer dauernderen Flamme Nahrung gegeben haben. Aber sie betrachtete ihn als ein Kind, und seine Neigung als eine Kinderey. Rousseau ward bald zur Vernunft zurückgebracht, und eine Abwesenheit that das Uebrige.

Jene arglose, unbefangene, tändelnde Behandlung, welche Rousseau von Madame de Warens erfuhr, verbunden mit dem Respekt, worin sie ihn demungeachtet zu halten wußte, schlug nun zugleich seine Begierden nach dem unnennbaren Genusse um so mehr nieder, als er die sonderbarsten Begriffe von diesem hatte, und längst gewohnt war, mehr durch Bilder der Imagination, als durch sinnliche Eindrücke in körperliche Bewegungen einer gewissen Art zu gerathen.

Es ist aber auch sehr zu zweifeln, ob die Frau von Warens gerade diejenigen Reitze besessen oder genutzt habe, welche stark auf die gröberen Sinne wirken. Schon die sorgfältige Verhüllung gewisser Theile, welche sonst die Lüsternheit am leichtesten aufrühren, ist bey dem Neuling von großer Wichtigkeit. Und dann ihre Kränklichkeit in dem Grade, nicht einmahl den Geruch der Speisen vertragen zu können, die ekelhafte Beschäftigung mit ihren Quacksalbereyen; – kurz! gewisse Eigenheiten an ihr müssen, den Annehmlichkeiten ihrer Person unbeschadet, die Begierden der Männer niedergeschlagen haben. Eine sehr gewöhnliche Erfahrung bey sonst schönen, aber durch Mangel an Gesundheit, durch die Art der Beschäftigung, Wahl der Kleidung, und Vernachlässigung der Reinlichkeit zurückstoßenden Weibern! Unmöglich hätte auch sonst Claude Anet den Besitz ihrer Person so ruhig mit Roußeau in der Folge theilen, unmöglich hätte Winzenried sich durch die Reitze einer alten häßlichen Kammerjungfer so leicht zur Untreue gegen sie verleiten lassen können; unmöglich würde sonst Roußeau selbst den Genuß, den er späterhin bey einer älternden Frau fand, demjenigen, den ihm Madame de Warens gegeben hatte, vorgezogen haben.

Fünf Jahre nach der kurzen Aufwallung von Leidenschaft, die R. für Madame de Warens empfunden hatte, räumte sie ihm den Besitz ihres Körpers ein, zu einer Zeit, als er für sie gewiß nichts als kalte Anhänglichkeit empfand. Warum erst jetzt? Aus Phantasie, aus gereitzter Eitelkeit und Mißgunst. R. war reifer geworden; die Weiber zu Chambery fingen an ihn zu bemerken, und ein Frauenzimmer besonders schien die Bemühung auf sich nehmen zu wollen, ihn völlig klug zu machen. Dieß Vorrecht ließ sich die Warens nicht nehmen. Man hätte glauben sollen, daß diese Gunst ihn wieder stärker an seine Wohlthäterin geknüpft haben würde; denn es ist eine ziemlich allgemeine Erfahrung, daß Neulinge für das Frauenzimmer, daß sie in diesem Punkte zuerst aufklärt, wenigstens etwas der Leidenschaft Aehnliches empfinden. Allein dieß war bey R. nicht der Fall; und zwar ganz natürlich. Bey Madame de Warens war es, wie gesagt, bloß Sache der Eitelkeit und der Mißgunst, allenfalls der Phantasie, den Neuling zuerst zu haben. Sie genoß also ganz egoistisch, und unbekümmert um die Entzückung, in welche sie den Jüngling setzen würde. Ja! da sie ihr Vergnügen sogar vorzüglich in einer Vorstellung suchte, welche er gar nicht theilen konnte, so erhielt er nicht einmahl den Genuß, den sonst das Gefühl, Vergnügen in einem hohen Grade zu geben, hervorbringt. Sie gab nichts: sie nahm nur,[WS 125] und noch dazu auf eine Art, woraus allenthalben die Sorge hervor scheint, sich von ihrem Ansehn bey ihm nichts zu vergeben. R. hatte die Vereinigung nicht gewünscht: sie ward ihm aufgedrungen, und zwar als Sache der Vernunft, als ein Mittel, sich vor gröberen Ausschweifungen zu bewahren, mit allen pedantischen Vorbereitungen einer Tugendübung. Der Antrag war mehr dazu gemacht, seine Phantasie zu schrecken, und seine Eitelkeit zu beleidigen, als ihn mit wollüstigen Bildern anzufüllen. Es war eine Pflicht, die ihm aufgelegt; es war kein Vergnügen, nach dem er lüstern gemacht wurde. Auch verfehlte Madame de Warens das Wesentliche ihrer Absicht; sie lehrte ihn nur die Form des höchsten sinnlichen Vergnügens kennen; ihn das wahre Gefühl desselben zu geben, war späterhin der Madame de Larnage vorbehalten, und genau genommen ist es diese, welche zuerst den Neuling in die Mysterien der Wollust eingeführt hat.

Ohnehin war R. damahls durch seine schönen Schülerinnen in Chambery zu sehr zerstreut, seine Eitelkeit fand bey ihnen zu viel Nahrung, als daß er einen Genuß, den er außerdem mit Claude Anet theilte, sehr hoch hätte schätzen können. Fünf Jahre früher würde er einen ganz andern Eindruck auf ihn gemacht haben.

In der Folge kam R. gegen Madame de Warens in diejenige Stimmung, welche er im Emil l’affection naturelle de l’homme pour sa compagne nennt. Er lebte ganz behaglich mit ihr im Genuß ihrer wechselseitigen Vertraulichkeit. Leidenschaftlich war dieß Verhältniß durchaus nicht, und man darf sagen, es war nicht einmahl zärtlich. Wie kalt sind die Briefe, die er nach einer kurzen Abwesenheit von Besançon an sie schrieb! Er will nur dann zu ihr wiederkehren, wenn er sicher seyn kann, in der Stadt Chambery eine gute Aufnahme zu finden.

Seine Unzufriedenheit nach seiner Zurückkunft enthält eine Menge von Beweisen, daß der Umgang mit seiner Freundin ihn vor der Furcht einer bedrängten ökonomischen Lage nicht bewahren, und für die Versagungen seines Ehrgeitzes nicht schadlos halten konnte, und seine nachherige Reise nach Montpellier steht nun gar mit aller Zärtlichkeit im offenbarsten Widerspruche.

Daß er sich von einer älternden koquetten Frau zur Untreue verleiten ließ, läßt sich entschuldigen. Aber daß ihn diese Schwäche nicht gereuete, daß er mit der größten Ruhe genoß, sich dergestalt in Wollust berauschte, daß er seiner bisherigen Wohlthäterin, wie er selbst sagt, völlig vergaß, die Verbindung fortzusetzen dachte, die Unterstützung an Gelde, die ihm Madame de Larnage (so hieß die galante Dame,) darbot, aus Eitelkeit ausschlug, und von Madame de Warens, deren bedrängte Umstände er kannte, Geld zur Fortsetzung dieses Verhältnisses fordern mochte; dieß alles ist mit Zärtlichkeit unvereinbar.

R. lernte hier zuerst die Freuden der – – Lascivität kennen: Körperliches Vergnügen, vereint mit dem eitlen Gefühle, es theilen zu sehen, und es zu geben. Die Beschreibung, die er von seinem Zustande macht, ist sehr richtig: „Wenn das, was ich für sie empfand, keine Liebe war, sagt er, so war es wenigstens eine Empfindung, die ihr sehr nahe kam. Ich war so zärtlich dankbar für die Liebe, die sie mir bezeugte, meine Sinnlichkeit war so brennend in dem Augenblicke des Vergnügens selbst, es herrschte eine so süße Vertraulichkeit in unsern Unterhaltungen, daß dieß Verhältniß alle Reitze der Leidenschaft, und nichts von der Raserey mit sich führte, welche den Kopf verdreht, und uns unfähig macht zum Genusse. Bey Madame de Larnage war ich stolz, mich als Mann und zugleich glücklich zu fühlen. Ich überließ mich meiner Sinnlichkeit mit Freude und Vertrauen. Ich theilte den Eindruck, den ich auf die ihrige machte. Ich hatte mich genug in meiner Gewalt, um meinen Triumpf mit eben so vieler Eitelkeit als Wollust zu betrachten, und für diese letzte doppelte Reitze herzunehmen.“ – „So, fährt er fort, berauschte ich mich mit dem süßesten Vergnügen. Ich genoß es rein, lebhaft, ohne Mischung von Leiden. Es ist das erste und das einzige, was ich genossen habe, und ich kann sagen, daß ich es Madame de Larnage schuldig bin, nicht ohne Kenntniß desselben gestorben zu seyn!“

Welch ein Beweis, daß R. nie die Freuden kennen gelernt hat, welche selbst auf diesem Wege das Herz bereitet! Wie gesagt, was er kennen lernte, war nur Lascivität, war nur Genuß einer damit genau verbundenen Eitelkeit, Mann für ein Weib von heftigen Begierden zu seyn. Aber ach! welch’ eine ganz andre Wollust, für das einzige Weib in der Welt der einzige Mann, der einzige Geber solcher Freuden zu seyn, deren höchster Genuß in der Empfindung der genauesten Vereinigung liegt, zu der Menschen gelangen können!

Ich übergehe billig die vorübergehenden Anwandlungen von Enthusiasmus, Eitelkeit und Sinnlichkeit, die R. schon früher für die Mädchen im Schlosse Toune empfunden hatte, und die ihn nachher noch für eine Madame de Mably, Demoiselle de Serre, Juliette, und Madame Dupin anwandelten. Das alles ist sehr interessant in der Art, wie er es in der Folge vermöge seiner schöpferischen Phantasie ausgemahlt und dargestellt hat, aber unter die Fackel der Menschenkenntniß gebracht, von sehr geringem inneren Gehalte. Die Liebeserklärung, die er der Demoiselle de Serre schrieb, und die wir noch haben, ist ein so weitschweifiges Romanengeschwätz, ein Produkt, woran das Herz, und sogar die Begeisterung so wenig Antheil haben, daß es unbegreiflich seyn würde, wie der Verfasser der neuen Heloyse so hätte schreiben können, wenn wir nicht billig voraussetzen müßten, daß Eitelkeit allein ihm dabey die Feder angeführt habe.

Jetzt verbindet sich R. mit Theresen, und diese Verbindung wird zur dauernden Anhänglichkeit.

Er behauptet, nie Leidenschaft für sie empfunden zu haben; und dieß ist in einer gewissen Rücksicht wahr. Er nahm sie aus Bedürfniß, um traulich mit einem weiblichen Geschöpfe zusammen zu leben, und den Gefahren gröberer Ausschweifungen, wozu ihn sein Temperament hätte verführen können, auszuweichen. Seine Absicht war gar nicht, sich mit ihr auf die Länge zu verbinden. Er behielt sie in der Folge bey aus Gewohnheit, und weil er fühlte, daß diese Häuslichkeit ihm zur Verfolgung seiner litterarischen Plane nützlich wurde. Es war die Neigung des Mannes zur Gehülfin und Gefährtin seines Lebens, die R. an Theresen fand.

So sehr also diese Verbindung auf Eigennutz beruhte, und weder durch Ideale, noch durch Eitelkeit, oder gehemmte Begierde einen hohen Schwung von Begeisterung erhielt; so gerieth er doch dabey Anfangs in eine gespanntere Stimmung, die von allem demjenigen, was R. unternahm, nicht zu trennen war. Er fühlte mit jedem Tage mehr, wie sehr sie und er für einander gemacht waren. Die geringsten häuslichen Freuden wurden durch den Reitz ihrer Vertraulichkeit gehoben. Es ist gewiß, daß R. hier der Zärtlichkeit näher als jemahls stand.

Aber Therese war, das einzige abgerechnet, daß sie sich in ihn zu schicken, und die Qualen der Einsamkeit ihm zu versüßen wußte, übrigens ein höchst unbedeutendes Geschöpf. Und so konnte keine Achtung für ihren selbständigen Werth in ihm entstehen. Er ließ sie an seinen Schicksalen Theil nehmen, weil er ihrer Gesellschaft nicht entbehren konnte, um sich zufrieden zu fühlen. Der Wunsch, ihr Wohl zu befördern, kam nur in untergeordneter Maße dabey in Betrachtung. Wo ihr Glück mit dem seinigen kollidierte, da ward das erste ohne Bedenken aufgeopfert. Wie hätte er sonst ihre Kinder wider ihren Willen, und ihrer Thränen ungeachtet, ins Findelhaus schicken mögen! Wie hätte er die Pension des Königs ausschlagen können, die ihre häusliche Lage verbessert haben würde, bloß um seinem Stolze und seiner Begierde nach Unabhängigkeit Nahrung zu geben! Wie hätte er ihren kranken Vater ins Hospital senden, und ihr dadurch den Gram bereiten können, den Greis entfernt von seiner Tochter, beraubt ihrer Hülfleistung und ihres Trostes, sterben zu sehen!

Nichts bleibt also sicherer, als daß nicht Theresens Person, sondern sein Verhältniß zu ihr ihm theuer war. Hundert andere Weiber des nehmlichen Charakters hätten sie ersetzen können: so deutet er es selbst an.

Aber einmahl hat Rousseau doch geliebt. Wenigstens sagt er es. Wir werden sehen, was an dieser Behauptung Wahres ist.

Rousseau’s frühere Eitelkeit hatte sich in späteren Jahren in geistigen Stolz verwandelt. Das Wahre, Gute, und Schöne, rührte ihn darum so stark, weil es ihn vor seinen eigenen Augen erhob, es so stark fühlen und darstellen zu können. Er opferte diesem Bewustseyn alle Triebe eines niedrigen Egoismus auf, und gerieth wirklich durch Selbstdünkel und Ehrgeitz in jene leidenschaftliche Stimmung, welche er selbst so treffend la folie de la vertu nennt. Aber diese Schwärmerey dauerte nur so lange, als er sich in Paris unter Menschen befand, in deren Gesellschaft er sich auszeichnete. Auf dem Lande, wohin er sich nachher begab, ward er ein Mensch, wie andere, und noch dazu wie einer von jenen Weichgeschaffenen, zu deren Klasse er seiner ursprünglichen Anlage nach gehörte. Aber dieser Zustand ward ihm unerträglich. Er suchte nach einem andern, worin er wenigstens den Vorzug, durch die Idee des Außerordentlichen gespannt zu werden, wieder erlangen könnte. Aeußere Verhältnisse traten hinzu. Der Reitz der schönen Natur, die ihn umgab, und ihn zur Zärtlichkeit einlud: die Langeweile, die er bey Theresen empfand, bey der er sich zwar von einem gespannten Zustande, den er anderwärts herhohlte, ausruhen, die ihn aber nicht darein versetzen konnte. Gerade die Versagung von dieser Seite scheint ihn auf die Spur eines bessern Ausweges geleitet zu haben. Er fiel darauf, daß ihm in Rücksicht der Liebe noch etwas fehle, um alle die gespannten Lagen durchgemacht zu haben, in welche eine reitzbare Phantasie, verbunden mit feiner Sinnlichkeit und Anlagen zu sympathetischen Empfindungen, uns versetzen können[WS 126], und daß gerade dieß auch wieder das wirksamste Mittel seyn würde, den Begriff, den er sich von seinem außerordentlichen Charakter machen wollte, zu vollenden, und die Menge selbst in seiner Einsamkeit zu interessieren. Denn an dem Interesse für seine Person lag ihm vielleicht noch mehr, als an dem für seine Schriften. Beydes ließ sich aber mit einander vereinigen; ja! beydes konnte sich wechselseitig unterstützen. Er mußte einen Roman von der Liebe schreiben, und dieser Roman mußte einen Mann zeigen, der so zu lieben verstand, wie kein anderer. Bey dieser Bemühung würde er sich selbst, vermöge seiner Imagination, in eine leidenschaftliche Stimmung versetzen, und man würde ihm die Gefühle beylegen, die in seinem Buche vorkämen, und noch mehr, sogar die Begebenheiten.

Daß ich R. hierin gar nicht Unrecht thue, beweiset die ganze Art, wie er selbst die Entstehung seiner Heloyse angiebt. „Zuerst fühlte ich, daß mir noch etwas zur Ausfüllung meiner Bestimmung fehlte, daß ich begabt mit so entzündbaren Sinnen, mit einem Herzen, so zur Liebe geformt, noch nie eine Leidenschaft für einen bestimmten Gegenstand empfunden hätte. Ich wollte nicht sterben, ohne das erste Bedürfniß meines Lebens befriedigt, ohne geliebt zu haben.“

Aber Liebe von der gewöhnlichen Art, die würde ihn nicht befriedigt haben. Er schuf sich also ein imaginäres Wesen, und verliebte sich in dieß. Verhältnisse, unter denen er sich mit ihm vereinigen konnte, mußte er gleichfalls haben, und so entstand ein Roman: zuerst in seinem Kopfe, dann auf dem Papier, dann in der Absicht ihn ins Publikum gehen zu lassen, endlich verbunden mit dem Zweck, die Vermuthung zu erwecken, daß ihm selbst die darin dargestellten Begebenheiten wiederfahren wären. Mithin setzte er auf das Titelblatt der ersten Ausgabe seiner neuen Heloyse folgende zwey Verse aus dem Petrarka.

„Die Welt kannte sie nicht während ihres Lebens; aber ich kannte sie, ich, der zurückblieb, um sie zu beweinen.“ Er fügte auch eine Vorrede hinzu, worin er eine so zweydeutige Sprache über die Wahrheit der Geschichte führte, daß sie die Vermuthung nur bestätigte, daß dieser Roman eine verschönerte Erzählung der eigenen Schicksale seines Herzens sey.

Alles dieß versetzte ihn in eine der Liebe ähnliche Spannung. Er war begeistert: er war es in der schmelzenden Art, welche der Liebe eigen ist. Während dieser Stimmung erschien eine Dame, die er vorher mit Gleichgültigkeit gesehen hatte. Sie erschien aber jetzt zu zweyen Mahlen unter etwas ungewöhnlichen Verhältnissen und Aufzügen. Sie entflammte seine Imagination; sie machte ihn zum Vertrauten ihrer Liebe für St. Lambert; er hörte vielleicht zum ersten Mahle in seinem Leben den Ausdruck eines wahrhaft gerührten Herzens; – – und Roußeau setzte Madame d’Houvetot an die Stelle seiner Julie, legte ihr alle Reitze seines Traumbildes bey, und liebte nun das lebendige Wesen.

Billig fragt man: war denn dieß Liebe des Herzens: Zärtliche, dauernde Anhänglichlichkeit an der Person der Madame d’Houvetot? R. weiß sich dieß selbst nicht recht zu erklären. Seine Sinne waren in Aufruhr; seine Begeisterung war aufs Höchste gestiegen. Er strebte nach ihrer Gegenwart, nach ihrer unschuldigen Umarmung, nach der Unterredung mit ihr, auf eine so leidenschaftliche Art, daß selbst sein Körper aufs Höchste dadurch angegriffen wurde. Und dennoch liebte Madame d’Houvetot einen Andern, und er war es zufrieden. Er verlangte nichts von ihr, als daß sie sich lieben lassen möchte. Er fand es eben so süß, der Vertraute, als der Gegenstand ihrer Liebe zu seyn. Nie betrachtete er ihren Liebhaber als seinen Nebenbuhler, sondern nur als seinen Freund. „Man wird sagen, setzt R. hinzu, auch das war nicht Liebe. Wohl, sagt er, so war es mehr!“

Mehr und weniger kann man antworten! Es war allerdings Leidenschaft; aber war es liebende Leidenschaft? War es ihm zur Natur, zum Charakter geworden, das Wohl der Madame d’Houvetot, schon für sich betrachtet, als unentbehrlich zu dem seinigen anzusehen? Nein! Von allem diesen war es nichts. Es war Wuth, Wahnsinn, wenn man will, das Bild, das in seiner Seele lag, realisiert zu sehen, und den einseitigen Genuß, den er von diesem nahm, möglichst zu versinnlichen. So haben oft Wollüstlinge, welche gröbere Begierden bey einem bestimmten Gegenstande nicht befriedigen konnten, feile Dirnen umarmt, indem sie sich das Bild der nicht erreichbaren Geliebten darunter dachten.

Roußeau sagt: „wenn schon nicht getheilte Liebe so glücklich macht, welche Freuden muß nicht Gegenliebe geben!“ Schwerlich würde diese ihm wahre Freuden gewährt haben. Eben der Umstand, daß er liebte, ohne wieder geliebt zu werden, gab dem Verhältnisse den höchsten Reitz; er machte das Ungewöhnliche, Außerordentliche aus, was er in allen seinen Schicksalen, Gesinnungen und Handlungen suchte: er gab ihm die Spannung, die Aufforderung zum Streben nach der Ueberzeugung, daß er hätte geliebt werden können, wenn das Herz der Madame d’Houvetot nicht vorher eingenommen gewesen wäre; eine Ueberzeugung, woran ihm in seinem Alter vielleicht eben so viel, und vielleicht mehr lag, als an dem Besitz eines Herzens. O gewiß! wäre er wieder geliebt worden, sein Streben hätte aufgehört, seine Imagination wäre erkaltet, alles wäre natürlich geworden, und er hätte sich wieder in dem Falle befunden, worin er schon so oft gewesen war, die Wirklichkeit unter der Vorstellung zu finden!

Diese Kenntniß des Charakters und der Schicksale Roußeau’s wird uns der Entwickelung seiner Ideen über die Liebe näher bringen. Einzeln darf man seine Schriften nicht lesen, um den gehörigen Zusammenhang dazwischen herauszubringen. Da R. nie wahre Herzensliebe empfunden, und, so viel wir wissen, diese nie eingeflößt hat, so sind seine Begriffe von dieser Art der Liebe bloße Ahnungen, denen er ohnehin nicht mit Stätigkeit gefolgt ist.

In seinem Discours sur l’inégalité entre les hommes scheint er nur zwey Empfindungen zu kennen, welche das zärtere Geschlecht dem Manne einflößt: den körperlichen Vereinigungstrieb und die Eitelkeit, von demjenigen Individuo vorgezogen zu werden, das wir vor andern durch Schönheit und Verdienst ausgezeichnet sehen. Ja! im Grunde nimmt er nur eine Empfindung, nehmlich die physische an, welche durch Eitelkeit besonders modificiert wird, und die Seele mit ins Interesse zieht.

In seinem Emil bezieht er sich auf diese früher geäußerte Meynung, giebt ihr aber eine andere Deutung. Er unterscheidet hier die süße Gewohnheit des Zusammenlebens mit der Gattin, die er noch natürliche Liebe nennt, von der zügellosen Aufwallung der Phantasie, die den Mann mit chimärischen Reitzen eines Gegenstandes berauscht, den er nicht mehr sieht, wie er ist. Die letzte Leidenschaft, sagt er, ist nur darin von der Eitelkeit verschieden, daß diese eine höchst unbillige Neigung ist, jene hingegen eben so viel giebt, als sie verlangt, mithin höchst billig ist.

Nach dieser Stelle zu urtheilen, die auch mit mehreren in seinen übrigen Schriften übereinkommt, hat er in späteren Jahren zwey Arten der Liebe angenommen. Die eine beruht auf der Gewohnheit, mit einem Gegenstande zu leben, der unsre körperlichen Begierden befriedigt, und uns im traulichen Zusammenleben, in der Häuslichkeit, die stillen, ruhigen, aber süßen Freuden der Pflege und des Kosens bereitet: affection de l’homme pour sa compagne. – Die andere sucht er in dem Aufruhre der Seelenlüsternheit, in der Begeisterung. – Zu einem deutlichen Begriffe von der letzten scheint er erst durch seine Verbindung mit Madame d’Houvetot gekommen zu seyn.

Aber offenbar giebt es doch noch eine andere Art der Liebe, welche ich vorher die Liebe des Herzens genannt habe, und auf die mehrere Stellen in der neuen Heloyse hinweisen. So sagt Julie zu St Preux: „Ich weiß in Ihnen sehr wohl die Gewalt des Herzens von dem Rausche einer erhitzten Einbildungskraft zu unterscheiden.“ [371] So wird auch ganz richtig bemerkt, daß jene nur vorübergehend sey, mit der Zerstörung des Idols, und nach der gelungenen körperlichen Verbindung endige: daß sie einseitig genieße: daß hingegen diese ausdauernd sey unter allen Verhältnissen, und daß das Glück des Geliebten eigentlich den höchsten Genuß für den Liebenden ausmache. R. bemüht sich auch, die Helden dieses Romans so handeln zu lassen, als wenn ihr Herz gerührt, nicht bloß ihre Imagination erhitzt sey. Aber deutlich fühlt man demungeachtet, daß die Kenntniß, die er von dieser Liebe hatte, weniger Sache der Erfahrung als des Verstandes war: daß sie mehr auf Ahnungen und Bildern von anhaltender und gänzlicher Hingebung beruhte, welche die Begeisterung zuweilen herbeyführt, als auf wahrer Ueberzeugung von ihrer Wirklichkeit. Darum widersprechen so viele andre Handlungen denjenigen, aus welchen wahre Liebe hervorleuchtet: darum ist die Sprache, welche die Liebenden führen, noch so sehr von der Sprache des Herzens verschieden.

St. Preux schreibt in den mehrsten seiner Briefe wie ein Begeisterter. Aus andern guckt der Autor hervor: es sind Aufsätze des Poeten und des Philosophen. Julie handelt in dem ersten Theile wie ein höchst leidenschaftliches Mädchen, und schreibt sehr oft wie eine kalte Vernünftlerin, die überher ganz vergißt, daß ihr Wandel sie zu solchen Tugendlehren gar nicht berechtigt. Kein Weib, das wahre Liebe empfunden hat, wird sich überzeugen können, daß diese ihre Feder geführt habe. Der Brief, den sie ihrem Geliebten nach dem Tode ihrer Mutter schreibt, enthält Vorwürfe, die nicht einmahl mit der Zartheit eines weichgeschaffenen Herzens, viel weniger mit der Liebe bestehen. Diese nimmt von den Vergehungen[WS 127], zu denen sie durch Leidenschaft hingerissen ist, allemahl die größte Schuld auf sich selbst. Juliens spätere Handlungsart läßt sich nur dann als möglich denken, wenn man nicht mehr liebt. Aber so, wie R. sie schildert, unfähig, ihre Leidenschaft aus ihrem Herzen zu reißen, noch auf ihrem Todbette Liebe für ihn bekennend; wie war es möglich, daß sie so schnell, so ruhig das Glück der Verbindung mit einem andern Manne fühlen konnte! Die Liebe kann sich der Pflicht und dem Glück des Geliebten aufopfern. Aber das Herz bricht: es ist unfähig jeder weiteren Freude. Es geht nicht mit dem Liebhaber als mit einem Freunde um, und thut ihm nicht aus kluger Vorsicht, sich selbst den Stand der Versuchung zu erleichtern, wohlüberlegte Vorschläge, sich freywillig in die Arme eines andern Weibes zu werfen!

Und St. Preux! Ja! ich weiß auch, was Liebe zu ertragen im Stande ist; aber den Anblick des geliebten und ehemahls besessenen Gegenstandes in den Armen eines Andern zu dulden, – ruhiger Zeuge, zufriedener Theilnehmer der häuslichen Freuden zu seyn, welche die Familie der Gebieterin giebt, die man nicht sein nennen kann; – Nein! es ist nicht möglich! Man kann fliehen, man kann sich des Glücks des Geliebten freuen; man kann, wenn es erforderlich ist, selbst gegenwärtig dazu beytragen; aber es ist kein Zustand der Zufriedenheit, des Genusses; es ist Aufopferung, es ist Qual; man geht dabey zu Grunde! Nach dem Laufe der Natur hätte St. Preux sterben müssen, und nicht Julie.

Laßt es uns daher gestehen: R. legte seinen Personen Sprache und Handlungen bey, die nicht immer mit dem Charakter ihrer Leidenschaft übereinstimmen, und dieser Charakter selbst war seinem Systeme von der Liebe, und seiner Ueberzeugung von ihrer wahren Natur zuwider. Gleich in der Vorrede sagt er: „Die Liebe ist nur Illusion: der Enthusiasmus ist ihr höchster Gipfel.“ – Uebereinstimmend mit der Denkungsart des Autors, nicht mit derjenigen, welche Julien in seinem Buche beygelegt wird, ist die Stelle, worin Liebe von der Ehe ausgeschlossen wird. „Wenn die Schönheit verschwindet, und das Alter herannaht, heißt es daselbst, so vergeht auch die Liebe. Früh oder spät hört man auf, sich anzubeten, zertrümmert das verehrte Idol, und sieht sich, wie man ist. Dann sucht man erstaunt und vergebens den geliebten Gegenstand. Man findet ihn nicht, und das, was übrig bleibt, wird uns doppelt zuwider. Die Einbildungskraft entstellt es eben so sehr, als sie es vorher verschönert hatte. Es giebt wenige Menschen, die nicht dann beschämt seyn sollten, sich geliebt zu haben, wenn sie sich nicht mehr lieben!“

Wie kontrastierend mit den Hoffnungen eben dieser Liebenden im ersten Theile! Doch! wer wird Konsequenz bey R. suchen? Hundertmahl behauptet er: Liebe bestehe nur mit Achtung, ja mit Begeisterung: sie endige mit dieser! Und doch liebt Eduard Bomston mit unüberwindlicher Leidenschaft ein Weib, das er selbst verachtet, und das seine Sinne nicht mehr in Bewegung setzt. Die Aufführung des Emil gegen die untreue Sophie ist eben so unerklärlich, eben so unharmonierend mit seinen Grundsätzen.

Diejenige Art der Liebe, welche R. wirklich und ganz gekannt hat, ist folglich diejenige, welche auf Begeisterung beruht. Hierüber sind seine Ideen wahr und edel. Im Emil sind sie am zusammenhängendsten und vollständigsten vorgetragen, und diesem werde ich daher bey der Entwicklung seines Systems am mehrsten folgen.

Liebe ist folglich ein leidenschaftliches Verhältniß, welches die Schönheit und das Verdienst eines bestimmten Gegenstandes in uns erweckt. Unsre Sinne kommen dabey in Aufruhr, und die Imagination wird erhitzt. Dadurch entsteht der Zustand von Begeisterung, worin wir den Geliebten zu einem Ideal der Vollkommenheit erheben, und uns zugleich mit ihm vor unsern eigenen Augen. Es ist Eitelkeit, aber eine sehr edle, die dabey zum Grunde liegt. Wir wollen von demjenigen, was wir anbeten, geschätzt seyn. Alles ist Illusion in der Liebe; nur nicht die hohe Empfindung des wahren Schönen, welche sie uns einflößt. Dieß Schöne liegt nicht in dem Gegenstande: es liegt in dem Wahnbilde, das wir uns schaffen. Allein darauf kommt es nicht an. Man opfert diesem Geschöpfe seiner Einbildungskraft darum nicht weniger alle seine niedrigen Neigungen auf: man erfüllt darum nicht weniger sein Herz mit den hohen Tugenden, welche man dem Geliebten beylegt, und erhebt sich darum nicht weniger über sein niedriges Ich! Wo ist der wahre Liebhaber, der nicht gern sein Leben für die Geliebte aufgeopfert hätte; und wo hat je das niedrige Verlangen der Sinne eine solche Aufopferung hervorgebracht!

Eine Wirkung dieser Begeisterung, worin wir unser niedriges Selbst vergessen, ist nun auch das Ankämpfen gegen körperliche Begierden. Man fürchtet, durch die Beymischung sinnlicher Freuden das schöne Bild und den Genuß der Seele zu beflecken. Die Versagungen, die man sich hierunter auflegt, erhöhen uns noch vor unsern Augen. Inzwischen früh oder spät gewinnen doch die Sinne die Oberhand, und mit diesem Siege, oder wenigstens mit dem ungestörten Besitze der Person, endigt die Begeisterung. Darum muß dieser Zeitpunkt so sehr als möglich entfernt werden. „Wenn ich meinen Emil den höchsten Gipfel des Glücks erreichen lasse, sagt R., so zerstöre ich den Zauber. Es ist unendlich viel süßer, den letzten Genuß zu hoffen, als ihn zu erhalten. Sein Reitz besteht hauptsächlich in der Erwartung. Darum, guter Emil, liebe, und werde geliebt! Genieße lange, ehe du besitzest! – – Ach! dieser Zauber muß bald aufhören; aber er soll dir wenigstens immer in der Erinnerung theuer bleiben!“

Eben so drückt er sich auch in der Anrede an den Emil selbst aus. „Das Glück der Sinne ist vorübergehend: allemahl verliert das Herz dabey. Du hast unendlich mehr in Hoffnung genossen, als die Wirklichkeit dir gewähren kann. Die Einbildungskraft, welche den Gegenstand während der Begierde schmückt, erkaltet bey dem Besitze. Außer dem einzigen Wesen, das für sich existiert, giebt es nichts Schönes, als dasjenige, was nicht wirklich ist.“ –

Dieß war Rousseau’s moralische, auf der Einrichtung unserer bürgerlichen Verfassung beruhende Liebe in ihrer edlern Gestalt. Nun urtheile man, ob das wahre Liebe, Liebe des Herzens war!

Siebentes Kapitel.
Denkungsart der Engländer, Deutschen und übrigen Nordländer über Geschlechtsverbindung und Liebe, von der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts an, bis jetzt.

Auf die Bigotterie und die Eingezogenheit Cromwells folgte der Unglaube und die Ausgelassenheit Carls des Zweyten in England. In diesen Zeiten zeichnen sich die Sitten der Großen und die Produkte des schönen Genies durch Leichtsinn und selbst durch Schmutz aus.

Es ist zu vermuthen, daß dieser Ton nur bey Hofe herrschend gewesen sey. Nach der Revolution, welche Wilhelm den Dritten auf den Thron setzte, gewann die Sittlichkeit auch bey diesem die Oberhand, ohne die französische Höflichkeit, welche Carl der Zweyte mit nach England herübergebracht hatte, zu verbannen. Die Regierungen der Königin Anna, und der Könige aus dem Hause Braunschweig-Lüneburg haben diejenigen Romane hervorgebracht, welche Muster für alle kommende Jahrhunderte in dieser Gattung abgeben werden: die Meisterstücke Richardsons und Fieldings.

In einem Staate, dessen Verfassung sich der republikanischen nähert; unter einem Volke, das sich viel mit dem Handel und öffentlichen Angelegenheiten beschäftigt, die jungen Mädchen nicht bis zu ihrer Verheirathung in Klöster eingesperrt, und dabey sehr religiös ist; müssen die Begriffe über den Anstand strenger, der Umgang unter beyden Geschlechtern minder häufig, mithin auch das Betragen gegen das zärtere zurückhaltender seyn, und dieß im Ganzen vielleicht mehr innere Achtung, aber weniger äußeres Ansehn als in dem monarchischen Frankreich genießen. Folgen davon sind, daß die weiblichen Ideale mit einer Verschämtheit, mit einer Zartheit der Empfindungen, und zugleich mit einem zurückhaltenden Stolze in jenen Romanen dargestellt werden, die an Schüchternheit, Hinschmelzung, und zuweilen an Eigensinn grenzen; daß die Helden unter den Liebhabern weit weniger leidenschaftlich als vernünftig zärtlich handeln, und daß die edleren Geschlechtsverbindungen allemahl auf Ehe, unter allen von den Gesetzen vorgeschriebenen Bedingungen, abzwecken müssen. Man findet also hier keinen Streit zwischen Liebe und ganz entschiedener Pflicht, wie ihn die Franzosen bey dem verheiratheten Frauenzimmer schildern; sondern es ist der Streit, den ein unverheirathetes und liebendes Mädchen wider den Willen unbilliger Aeltern, wider Vorurtheile der Religion, wider das Mißtrauen in den Charakter des Liebhabers, oder gar nur wider die Besorgniß führt, sich einer Neigung zu überlassen, die keine Erwiederung finden, oder deren Stärke seiner natürlichen Schamhaftigkeit, und dem Gefühle seiner moralischen Selbstwürde widersprechend und nachtheilig werden dürfte.

Hieraus bildet sich ein eigener Begriff von edlerer Geschlechtsverbindung bey dem Engländer, den wenigstens vor ihm keine andere Nation zur ästhetischen Darstellung genutzt hat. Er entspringt aus der Lage der Bewerbung eines Biedermannes, (oder eines Verführers, der diese Maske annimmt,) um das Herz und die Hand eines sittigen Mädchens, das nicht sowohl gegen vollkommene Pflicht und Ruf, als vielmehr gegen seine Weiblichkeit ankämpft, ehe es dem Geliebten den Besitz seiner Person unter Autorität der Gesetze zusichert. Die Engländer nennen dieses Verhältniß Courtship, Hofmachen; aber die Helden sind nicht Hofleute, und handeln nicht bey Hofe, oder in der großen Welt. Sie gehören vielmehr zu der bürgerlichen Welt, zu derjenigen Ordnung des wohlhabenden und wohlerzogenen Landadels und der vornehmeren Städtebewohner, die zwischen dem Hofe und den untern Ständen steht. Es sind die unverdorbenen und dennoch gebildeten Sitten der Mittelklassen, welche ihre Erotiker hauptsächlich schildern. Der Begriff wahrer Liebe ist bey ihnen häufiger als irgendwo vorher anzutreffen. Da sie aber weniger Müssiggang und gesellige Zerstreuung kennen; so wissen sie weniger von der französischen Galanterie in allen ihren Bedeutungen. Aeußerst bemüht sind sie, diejenigen Stände, für deren Bildung sie hauptsächlich arbeiten, vor der Ansteckung der verdorbenen Sitten der Großen zu bewahren. Sie streben eben so sehr nach Belehrung als nach Unterhaltung.

Englische Philosophen, welche die Geschlechtsliebe zum Gegenstande eigener Untersuchung gemacht hätten, sind mir unbekannt geblieben.

Da ich England nicht selbst bereiset habe, da ich, wenn ich es bereiset hätte, schwerlich die gute Gesellschaft genau genug würde kennen gelernt haben, um über das wahre Wesen der engeren Verbindungen, die dort Statt finden, urtheilen zu können; so begnüge ich mich damit, den hervorstechenden Charakter angegeben zu haben, den die Liebe in den Werken der schönen Litteratur dieser Nation annimmt.

In Deutschland war die gute Gesellschaft bis tief in unser Jahrhundert hinein hauptsächlich auf die Höfe eingeschränkt. An dem Wiener Hofe herrschten die Sitten des südlichen Europa: an den übrigen waren mehr die französischen eingeführt. Die Galanterie Ludwigs des Vierzehnten ward mit einer Steifheit, der freye Ton des Regenten mit einer Derbheit nachgeahmt, die Lachen und Ekel erregen. Die Schriften der Pöllnitz, Bielefeld und anderer geben nur einen schwachen Begriff von der Rohheit, womit der Adel von beyden Geschlechtern an den Höfen von Berlin, Dresden, u. s. w. unter sich zur Befriedigung der ausgelassensten Lüste zusammenlief, während daß er gegen die untern Stände mit einem falschen Anstrich französischer Artigkeit prunkte.

Ungefähr gegen die Mitte dieses Jahrhunderts fing der Begriff der guten Gesellschaft an, sich über die Mittelklassen auszudehnen. Seit dieser Zeit hat auch der Geschmack an der englischen Litteratur, und besonders an englischen Romanen gewonnen. Eine gewisse Gleichheit der Lagen zwischen der lesenden und schreibenden Klasse bey uns und derjenigen, welche in jenen Romanen als handelnd dargestellt wird, hat diesen Geschmack sehr befördert. Allein da unsre bürgerliche Welt, (ich nenne sie so in Vergleichung mit der Welt der Höfe,) gegen die englische an Originalität, vernünftigem Freyheitssinn und independenter Wohlhabenheit noch sehr zurücksteht: da die mehrsten unserer Schriftsteller nicht einmahl die gute Gesellschaft der Mittelklassen kennen; so haben sich in die Schilderungen, welche unsere schöne Litteratur von Liebe und Geschlechtsverbindung liefert, alle Fehler eingeschlichen, welche schlechte Erziehung, Nachäffung, Unbändigkeit und Aermlichkeit der äußeren Lagen nach sich ziehen. Ausnahmen, auf die wir stolz seyn können, und die uns die Achtung auswärtiger Nationen zugezogen haben, giebt es allerdings. Aber der herrschende Ton in unsern Romanen, Schauspielen, Liebesgedichten, u. s. w. zeigt Männer, die wie verliebte Schüler sprechen und handeln, und Mädchen, die den Stand der Nätherinnen nicht verläugnen. Einige dieser Erotiker haben die Veredlung der Liebe in einer anekelnden Empfindsamkeit, andere in den Aeußerungen einer ungezügelten Heftigkeit gesucht, die noch mehr den Wahnsinn der Begierde, als den Rausch der Imagination bezeichnet. Noch andere haben die Eleganz und die feinere Lüsternheit der Franzosen verdeutschen wollen, und sind in die lächerlichste Ziererey verfallen.

Die gute Gesellschaft in den Mittelklassen, und selbst hin und wieder bey Höfen, schwankt zwischen der englischen Courtship, der französischen Galanterie, der italiänischen Cicisbeatura, und der deutschen Romanenempfindsamkeit. Aber mit wahrer Freude und nicht geringem Stolze kann ich zugleich sagen, daß in meinem Vaterlande unter den höheren Ständen vielleicht mehr wie in jedem andern Lande, etwa Dännemark ausgenommen, viele glückliche Ehen angetroffen und geschätzt werden: Ehen, worin wahre Zärtlichkeit, Anerkennung eines gleichen Anspruchs auf Menschenwerth und Menschenwohl von Seiten beyder Gatten herrscht: Ehen, in denen der Mann in seiner Frau um so mehr die Freundin aufsucht, als in unsern egoistischen Zeiten das Zutrauen zu dem Freunde von seinem Geschlechte eine immer seltnere Erscheinung wird.

Deutschland hat verschiedene philosophische Abhandlungen über die Liebe aufzuweisen, von denen jedoch nur wenige sich mit der Geschlechtsliebe beschäftigt haben. [372]

Die Dänen nähern sich, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, in ihren Ideen hauptsächlich den Engländern. Die Unverdorbenheit der Sitten, die unter ihren ersten Ständen herrscht, läßt wenig ungebundene Liebesverständnisse zu, und die gute Sitte scheint sie kaum zu dulden.

Die höheren Stände unter den Pohlen, Russen, Schweden und Holländern neigen sich mehr zu den Franzosen hin. Die untern entgehen meiner Kenntniß, so wie ich denn überhaupt diese Länder nicht selbst bereiset, und über ihre Sitten wenig eigene Beobachtungen habe anstellen können. Der holländische Philosoph Hemsterhuys hat einen Aufsatz über das Verlangen geschrieben, dessen Grundsätze von mir im ersten Theile dieses Werks bestritten sind.

Die Schweiz kenne ich gleichfalls nicht. In den Schriften des Major Weiß kommen Stellen über die Liebe vor, worin Rousseauische Ideen mit Aeußerungen der eitlen Intriguensucht vermischt sind, welche die Langeweile in den ehemaligen französischen Garnisonen so leicht erzeugte.


Achtes Kapitel.
Denkungsart der südlichen Nationen von Europa über Geschlechtsverbindung und Liebe: Italiänische Cicisbeatur.

Die südlichen Nationen des kultivierten Europa weichen in ihren Sitten in Rücksicht auf ihre Geschlechtsverbindungen merklich von den nördlichen ab. Bey ihnen hat die frühere Galanterie, wie sie im vorigen Buche geschildert ist, zwar eine andere Form angenommen; aber sie dauert im Wesentlichen noch in der Cicisbeatur der Italiäner und Spanier fort.

Das Auffallende in diesem Sitteninstitute ist dieß, daß eine Verbindung zwischen Personen von verschiedenem Geschlechte, die durch keine Bande der Ehe vereinigt sind, nicht bloß von der guten Sitte geduldet, sondern für anständig, ja! auf gewisse Weise für die verheirathete Frau als nothwendig angesehen wird, um mit gehörigem Ansehn in der guten Gesellschaft aufzutreten. Unverheirathete Mädchen erscheinen darin noch weniger als in Frankreich.

Es ist für jeden, der sich nicht in der Lage befunden hat, diese Verhältnisse genauer zu beobachten beynahe unbegreiflich, mit welcher Wichtigkeit sie behandelt werden. Zuerst ist gemeiniglich die Einwilligung des Gatten, entweder stillschweigend oder ausdrücklich vorhanden, daß die Frau sich einen Cavaliere Servente, Patito oder Cicisbeo zulegen dürfe. [373] Dann ist es beyden Theilen erlaubt, sich oft allein zu sehen, sich öffentlich ohne Begleitung des Mannes zu zeigen, und sich Beweise einer ausgezeichneten Achtung und Zärtlichkeit, ja! sogar der Leidenschaft vor den Augen einer ganzen Gesellschaft zu geben. Ich habe in Genua bey Gelegenheit des Krönungsfestes des Doge gesehen, daß der Cicisbeo aus der nehmlichen Tasse mit seiner Dame Choccolade trank, und seinen Mund sorgfältig an die Stelle ansetzte, die ihr Mund berührt hatte: Ich habe in Rom gesehen, wie eine Dame im Unmuth über das Betragen eines Prälaten, der ihr erklärter Aufwärter war, in großer Gesellschaft vor ihm hin trat, und ihm in theatralischer Stellung und mit deklamatorischer Stimme Vorwürfe machte. Er selbst hörte diese mit demüthigem Stillschweigen, die übrige Gesellschaft aber mit gerührtem Herzen an. Ich habe gesehen, wie Freunde, Verwandte der Verbündeten, über ihren anscheinenden Bruch in Furcht gesetzt, alles angewandt haben, ihm vorzubeugen, und wie sie, nachdem die Aussöhnung erfolgt war, diese mit allgemeiner und freudiger Theilnahme feyerten. Ich habe endlich gesehen, wie allgemein diese Verhältnisse als eine Art von Ehe betrachtet wurden; und einmahl auf meine an einen gewissen Herrn gerichtete Frage: wer die Dame sey, die ich ihm in der Gesellschaft bezeichnete, die Antwort erhalten: Ich habe die Ehre, ihr zu dienen! [374] Nicht anders, wie bey uns ein Gatte sagen würde: sie ist meine Frau!

Sobald die Dame des Morgens sichtbar ist, findet sich der Cicisbeo bey ihr ein: ihr Zimmer ist ihm zu jeder Stunde des Tages offen: er begleitet sie des Morgens zur Kirche, des Nachmittags auf den Corso, und des Abends ins Schauspielhaus, wo er in ihrer Loge den Platz gegen ihr über einnimmt, und die Honneurs bey den Besuchen macht, die ihr in den Zwischenakten gegeben werden. Endlich folgt er ihr gegen die Nacht in die Konversationen, wo er der Regel nach nicht von ihrem Platze weicht. In Venedig ruht er an ihrer Seite in der Gondel, deren Gardinen zugezogen sind, und folgt ihr in die Casinos und Kaffeehäuser. Kurz! Ueberall ist er ihr Schatten!

Was hat dieser Sitte ihre Entstehung geben können? Sie ist ein Ueberbleibsel der alten Galanterie, die nach und nach durch den französischen Ton eines freyeren Umgangs zwischen beyden Geschlechtern besonders modificiert, unterstützt von dem Glauben an die Beschränkung der Liebe auf einen bloß geistigen Genuß, die Gestalt einer engeren Vereinigung angenommen hat. Sie verdankt ihre Ausbreitung dem Charakter der Südländer, der geselligen Einrichtung der Italiäner, und der politischen Verfassung einiger ihrer Staaten.

Jene alte Galanterie der vorigen Jahrhunderte erlaubte die öffentlichen Beweise der Achtung, welche in den Verhältnissen eines weitern Umgangs den Schönen, und von diesen wieder tapfern und talentvollen Männern bey seltenen feyerlichen Gelegenheiten vor den Augen vieler Menschen gegeben wurden. Diese Beweise nahmen nach dem Geiste der Zeit sehr oft die Gestalt der Zärtlichkeit und Leidenschaft an. Aber die Personen, welche sich auf solche Art wechselseitig auszeichneten, kamen selten in engeren Zirkeln ausgesuchter Bekannten zusammen, und sahen sich nicht allein. Die Dame ward entweder eingeschlossen, oder sie erschien nicht anders, als in Begleitung ihres Gatten, bejahrter oder naher Anverwandten.

Auf diese Eingezogenheit des Frauenzimmers, auf diese ängstliche Sorge der Gatten für die Tugend und den Ruf ihrer Frauen ward ein lächerliches Licht geworfen, als die Sitten des französischen Hofes von dem übrigen Europa angenommen wurden. Man fand darin mit Recht einen Beweis des geringen Vertrauens, das die Männer in die Liebe und die Stärke ihrer Weiber setzten, sich selbst zu bewachen.

Man suchte sich also den herrschenden Ideen bey den Nordländern mehr zu nähern; aber sie ganz anzunehmen, litt der verschiedene Charakter des Volks und dessen abweichende Lage nicht.

Die Weiber in den höhern Ständen von Italien gehen wenig oder gar nicht mit einander um. Noch seltener sind Freundschaften oder genauere Bekanntschaften unter ihnen. Von häuslichen Geschäften sind sie ganz abgezogen, und viel seltener, als man gemeiniglich glaubt, mit den Talenten geschmückt, deren Ausübung die Muße auf eine, dem Charakter unnachtheilige, Art ausfüllt. In einer solchen Lage, bey einer feurigen Imagination, und sehr entzündbaren Sinnen, im Kloster erzogen, und auf einmahl in die Welt an die Seite eines Gatten versetzt, dessen Wahl ihr Herz nicht bestimmt; würden sie den eigensinnigsten, ausschweifendsten und abwechselndsten Neigungen ausgesetzt seyn, sich und ihre Familie dem öffentlichen Scandal aussetzen, wenn man ihnen eine völlige Freyheit gestatten, oder auch nur bey einer beschränkteren nicht erlauben wollte, eine Verbindung einzugehen, die einen Theil ihrer Wünsche befriedigt, ihrer Eitelkeit schmeichelt, und ihre Muße ausfüllt.

Die geselligen Unterhaltungen in Italien sind bey weitem nicht so abwechselnd, so lebhaft und so häufig, wie in Frankreich. Das Herz und die Imagination werden hier nicht zerstreuet: der Verstand wird hier nicht allein belustigt. Unter solchen Umständen ist schon die Besorgung der Formen der Cicisbeatur von Wichtigkeit zur Ausfüllung der Muße; und diese Sitte der Italiäner scheint in der genauesten Verbindung mit ihrem dolce far niente zu stehen.

Die Ausgelassenheit des Pöbels, der rohere Ausbruch der Leidenschaften selbst in den Zirkeln höherer Stände, zeigt die Nothwendigkeit, daß die Dame, wenn sie außer Hause geht, einen Begleiter, einen Beschützer haben müsse. Der Mann konnte dieß nicht immer seyn, ohne sich dem Verdacht der Eifersucht auszusetzen. Man ließ den Cavaliere Servente, den Patito zu, und das Volk gewöhnte sich leicht an das Geleit von einem Fremden, den es von dem nahen Anverwandten nur selten zu unterscheiden wußte.

In den Freystaaten von Italien hat diese Einrichtung besonders viel Empfehlendes finden müssen. Der Mann, der sich öffentlichen Geschäften oder dem Handel widmet, kann weder seine Frau beständig begleiten, noch viel zu ihrer Unterhaltung beytragen. Junge Männer, die noch nicht das gesetzliche Alter zur Bekleidung von Bedienungen haben, werden durch Verbindungen mit Damen von anerkannter Würde und Tugend von Ausschweifungen zurückgehalten, für gesellige Liebenswürdigkeit ausgebildet, in und mit der Welt bekannter. Junge Damen, die erst eben in die Welt treten, erhalten an einem Manne von Gewicht und Ansehn, der ihr Cavaliere wird, eine Stütze, einen Rathgeber, und nicht selten ist dieser auch die Stütze des Gatten in Staaten, wo der Parteygeist so nothwendig ist, und alle Mittel angewandt werden, ihn zu erwecken, und zu erhalten.

Erwägt man diese Vortheile, welche die Cicisbeatura mit sich führt; so wird es erklärbar, warum man die Ideen von Unschuld und Unsträflichkeit solcher Verbindungen, die bereits in den Werken der Dichter und Philosophen herrschend waren, in der wirklichen Welt angenommen, und, so zu sagen, zur Glaubenspflicht gemacht hat. Unter hundert Ehemännern, die eifersüchtig sind, giebt es kaum zehn, die es auf die Personen ihrer Frauen sind: alle übrigen sind es auf ihre Ehre und ihren Ruf. Dieser letzte leidet nach den Sitten Italiens gar nicht. Die Ehre des Mannes bleibt ungekränkt.

Man darf aber sogar mit einiger Zuverlässigkeit behaupten, daß die eheliche Treue bey diesem Institut nicht mehr, und vielleicht weniger Gefahr läuft, als in andern Ländern, wo es nicht eingeführt ist.

Die Menschen wachsen mit den Ideen auf, daß ein unschuldiger näherer Umgang zwischen den verschiedenen Geschlechtern Statt finden könne. Es ist unglaublich, wie sehr sich die Sinne nach einer solchen Ueberzeugung gewöhnen, und ungerührt bey Gelegenheiten bleiben, welche für Menschen, deren Begriffe über Sittlichkeit und Anstand eine andre Richtung erhalten haben, einen sehr verführerischen Reitz erwecken würden. In verschiedenen kleinen Republiken der Schweitz und an mehreren Orten in Deutschland werden junge unverheirathete Personen von beyden Geschlechtern, sogar Verlobte, frey von aller Aufsicht der Aeltern und Vorgesetzten, bey den Lustbarkeiten gelassen, die sie unter sich anstellen, ohne daß die Ausgelassenheit der Sitten dadurch befördert würde. Es scheint, daß im Moralischen wie im Physischen die Idee von Gefährlichkeit, welche man mit gewissen Lagen verbindet, die Gefahr vergrößert. Oft geht derjenige unversehrt am Rande des Abgrunds vorüber, der gewiß hineingestürzt wäre, wenn man ihn durch den Zuruf, daß er fallen könnte, schwankend in seinem Tritte gemacht hätte. Freylich giebt es schlechte Menschen, die das Zutrauen des Publikums mißbrauchen; aber diese entscheiden nichts für den größern Haufen.

Die Gelegenheit, sich täglich, und mit so vieler Freyheit zu sehen, spannt die Imagination weit weniger, und reitzt dadurch viel minder die Sinne, als wenn Hindernisse und Trennung sie in beständiger Unruhe erhielten. Die Gewohnheit der Italiäner, nie die Thüren zu verschließen, die Bedienten immer im Vorzimmer zu haben, die langen Tage, die Ohrenbeichte, u. s. w.; alles dieß trägt dazu bey, wenigstens vor einer solchen Verirrung der Sinne zu bewahren, wodurch die Rechte der Paternität zweifelhaft gemacht würden.

Dieß vorausgesetzt, darf man den Italiänern keinen Vorwurf über ihre Leichtgläubigkeit an die Unschuld, oder wenigstens an die Abwesenheit gröberer Ausschweifungen bey diesen Verbindungen machen. Man hat daran um vieler Vortheile willen, welche diese Einrichtung gewährt, wohl glauben wollen: man hat daran um mehrerer Ursachen willen glauben können, ohne sich dem Vorwurfe der Unvernunft auszusetzen.

Inzwischen ist dieser Glaube keineswegs allgemein. Nur unter den höheren Ständen ist er ausgebreitet, und auch unter diesen verliert er sich immer mehr in denjenigen Städten, wo französischer Leichtsinn mit französischen Sitten täglich Oberhand gewinnt.

Es läßt sich durchaus nichts Allgemeines über den innern Gehalt dieser Verbindungen sagen. Ich bin überzeugt, daß es einige darunter giebt, in denen wahre Liebe mit unsträflichem Betragen gepaart wird. Ihre Zahl muß der Natur der Sache nach[WS 128] sehr gering seyn. Es giebt andere, die bloß auf Eitelkeit und Beschäftigungstrieb beruhen; ihre Zahl ist wahrscheinlich die größere. In einige mischt sich die Imagination: in andere die Sinnlichkeit ein. Viele haben nichts zum Grunde, als die Mode und die Idee, daß eine Dame nicht ohne Begleiter seyn dürfe.

Der Cicisbeo wird sehr oft für die junge Frau von den Anverwandten gewählt; und daß die Wahl nicht immer auf den Liebenswürdigsten falle, läßt sich leicht denken. Darum ist der Patito, der Gelittene, nicht immer der Gradito, der Geliebte, und die Cicisbeatur ist für die Dame eine zweyte Art von Heirath, oft drückender als die erste. Häufig gewinnt der Mann dabey, der seltener gesehen, seltener lästig wird. Zu der Zeit, als ich in Italien war, suchten die Weiber du bel air ein lächerliches Licht auf diese Verhältnisse zu werfen. Sie gaben ihnen das Ansehn einer bloßen Ceremonie, deren Langweiligkeit sie auf keine Art und Weise zu verbergen suchten. Nur diejenigen, welche an Cicisbeen von schöner Gestalt und angenehmen Manieren hingen, wagten ihre Neigung für diese zu gestehen, und bemühten sich zugleich, die Idee einer bloß platonischen Liebe als altfränkisch zu entfernen. Das alte System behielt inzwischen noch seine Anhänger unter beyden Geschlechtern.

Zu Anfang dieses Jahrhunderts hielt Gravina in seiner Ragione Poetica dem amore razionale ovvero Platonico eine schöne Lobrede. [375] Der Graf Algarotti versichert uns hingegen in seinem Congresso di Citera, der 1768 herauskam, daß zu seiner Zeit die gute Gesellschaft in Italien, (le gentile persone) in zwey Sekten getheilt gewesen sey, von denen die eine die Art zu lieben, die jenseits der Alpen die gewöhnlichere ist, die andere die alte vaterländische Weise in Schutz genommen hätte. Er läßt nun zwar die letztere Partey, als die bessere, die Oberhand behalten, und ihre Delegatin zu dem Congresse absenden; aber doch am Ende durch die Wollust (volutta) die Entscheidung fällen: Ovid sey der wahre Lehrer der Liebe: ihr Zweck sey Vergnügen, und dieß müsse durch Schwierigkeiten und gesellige Annehmlichkeiten gehoben werden. Er nennt in einem Briefe des Leonzius an den Eroticus die Lauren Jansenisten in der Liebe, und die Petrarchisten Quäker des Parnasses.

In der letzten Hälfte dieses Jahrhunderts ist überhaupt die Sittlichkeit, und die Beschränkung dieser Verbindungen auf einen bloß geistigen Genuß häufig bestritten worden. Ein merkwürdiger Brief über diesen Gegenstand erschien in den Lettere des Antonio Costantini. [376] Der Verfasser erklärt sich gegen die platonische Liebe, behauptet, daß sie gar nicht existiere, daß sie nur ein Netz sey, womit Einfältige gefangen würden, und setzt am Ende hinzu: daß, wenn Gott diese Liebe gut gefunden hätte, er nicht bloß einen Mann und ein Weib geschaffen, sondern ihnen auch gleich einen Cicisbeo zugegeben haben würde.

Zu Florenz kamen im Jahre 1770 zwey Briefe unter der angenommenen Maske eines Irländers und eines Engländers über die Cicisbeatur heraus. [377] In dem ersten dieser Briefe wird zwischen der engeren und weiteren Cicisbeatur, (stretta e larga) ein Unterschied gemacht. Die erste wird verdammt: sie raubt selbst dann, wenn sie sich noch so sehr vor gröberen Ausschweifungen bewahrt, dem Gatten das Herz seines Weibes: sie beschränkt diesen Gatten bloß auf die Freuden der sinnlichen Begierde, die ihm noch dazu bloß aus Pflicht eingeräumt werden; und der edlere Theil der Liebe, die Freundschaft, bleibt dem Cicisbeo. Dieß führt eine förmliche Bigamie herbey: es vermehrt die Reitze des Cölibats, indem der Cicisbeo alle Annehmlichkeiten, und keine der Unannehmlichkeiten des Ehemanns empfindet: es erschwert eben dadurch, und weil die verheiratheten Frauen zwey Männer haben, den Mädchen die Gelegenheit zur Versorgung.

Die Cicisbeatura larga, welche eine bloße Freundschaft, ohne allen Anspruch auf Auszeichnung und Vertraulichkeit enthält, wird dagegen in Schutz genommen, und durch die Autorität des heiligen Franziskus de Sales unterstützt.

Der zweyte Brief findet seine Veranlassung in der Vertheidigung, die Baretti [378] gegen die Angriffe des Dr. Sharp in seiner Reise in Italien wider die Cicisbeatur übernommen hatte. Unser verkappter Engländer begleitet diese Vertheidigung mit einigen Bemerkungen. Sharp hatte die Verhältnisse, welche man unter dem Nahmen der Cicisbeatur zusammenfaßt, als lauter ausgelassene Liebeshändel und Ehebrüche betrachtet. Baretti sucht zu zeigen, daß die Sitten in Italien nicht schlechter wären als anderswo, und unser Verfasser nimmt einen Mittelweg, worauf er die Cicisbeatura stretta wiederhohlend verdammt, die larga aber mit neuen Gründen vertheidigt.

Ich kann dieß Kapitel nicht endigen, ohne denjenigen Dichter zu berühren, der, der gemeinen Meynung nach, in unserm Jahrhunderte dem Herzen den mehrsten Genuß bereitet hat. Metastasio sucht oft den Ausdruck eines naiven und tief gerührten Herzens darzustellen. Es ist ihm zuweilen geglückt; aber doch selten auf eine Art, welche nicht mehr den Witz der Empfindung als ihre Wahrheit verriethe. Höhere Begeisterung ist ihm ganz fremd: Stärke der Leidenschaft drückt er selten glücklich aus, und man hört ihn nur dann mit Vergnügen reden, wenn er die Hingebung eines Herzens darstellt, das zu allem Widerstande unfähig ist.


Neuntes Kapitel.
Denkungsart der heutigen Spanier über Geschlechtsverbindung und Liebe.

Ueber Spanien kann ich nach eigener Erfahrung nicht urtheilen. Hier ist Einiges aus Joseph Towesends Reisen durch dieses Land über die Art, wie dort die engeren Geschlechtsverbindungen behandelt werden.

„Während meines ganzen Aufenthalts in Spanien, sagt dieser Verfasser, hörte ich nie etwas von Eifersucht unter den Gatten, konnte auch nie mit Gewißheit erfahren, ob sich diese Leidenschaft bey ihnen äußere. Doch merkt man an dem Betragen mancher Damen in Gegenwart ihrer Männer sehr deutlich mehr Vorsicht und Zurückhaltung: es sey, daß solches noch von einem Ueberrest feiner Empfindung, aus Gefühl des Schicklichen, oder aus Furcht herrühre.“

„Einige sind geschickt genug, ihren Cortejo geheim zu halten: und dieß wird in Spanien nicht schwer, weil die Damen, wenn sie zur Messe gehen, so verkleidet sind, daß es Mühe kostet, sie von einander zu unterscheiden. Ihre Kleidung hat bey dieser Gelegenheit etwas dem Lande Eigenes. Sie ziehen alle die Basquina, oder einen schwarzen seidenen Unterrock an, und hängen die Mantilla um, welche zu einem doppelten Gebrauche, als Mantel und als Schleyer dient, und wenn die Dame will, das Gesicht vollkommen verhüllet.“

„Diese Kleidung versteckt sie dergestalt, daß sie völlige Freyheit haben, hinzugehen, wohin sie wollen. Begleitet sie aber ein Bedienter, so ist dieser doch leicht zu gewinnen, und macht gar kein Hinderniß, oder doch nur ein geringes aus. Ueberdem steht das Haus den ganzen Tag offen: der Mann ist gewiß für niemand zu Hause, sehr selten sichtbar, und wenn er es ist, mit allen, die sein Haus besuchen, so wenig bekannt, daß der Liebhaber leicht, ohne bemerkt zu werden, entwischen kann.“

„Inzwischen lassen sich die spanischen Damen damit nicht genügen. Ihre Zärtlichkeit ist lebhaft, und sie zeichnen sich durch eine starke und treue Anhänglichkeit aus. Sie gerathen daher in große Verlegenheit, so bald sie ihren Cortejo nicht vor Augen haben. Er darf zu keiner Stunde des Tages fehlen, die Dame mag nun öffentlich erscheinen oder allein, gesund oder krank seyn. Wohin sie gebeten wird, muß man ihn zu ihrer Begleitung mit bitten. Man hat neuere Beyspiele von Damen von hohem Stande, die sich in der Abwesenheit ihres Cortejo Monate lang eingeschlossen gehalten haben, und zwar nicht bloß aus Unmuth, sondern um ihm nicht zu mißfallen. Ist die Dame zu Hause, so sitzt er bey ihr; geht sie aus, so führt er sie; setzt sie sich in einer Assemblee, so wird allemahl ein Stuhl für ihn ledig gelassen. In englischen Tänzen tanzt sie bloß mit ihm. Jede Dame tanzt zwey Menuette auf einem Balle: die erste mit ihrem Cortejo, die andere mit einem Fremden. Tanzt sie mit jenem, und sie ist lebhaft, so merkt man bald das Verhältniß, worin sie mit dem Tänzer steht: sie wird nicht unterlassen, sich so viel Grazie dabey zu geben, als sie nur kann. Tanzt sie hingegen mit letzterm, so verräth sie nicht bloß Gleichgültigkeit, sondern ein verdrießliches Wesen, und scheint auf ihren Mittänzer mit Verachtung herabzusehen.“

„So bald eine Dame heirathet, wird sie von allen Seiten von denjenigen geplagt, die sich um die ausgezeichnete Gunst bewerben, ihre Cortejo’s zu werden. Dieß dauert so lange, bis sie sich in ihrer Wahl bestimmt hat, worauf sich dann die in ihrer Hoffnung betrogenen Nebenbuhler zurückziehen, oder sich damit begnügen, in Zukunft sogenannte Cortejo’s bey der Kohlenpfanne zu werden, und auf nichts Anspruch zu machen, als im Winter um solche herum zu sitzen, und sich mit ihr an den glühenden Kohlen zu wärmen.“

„Man hält es für sehr unanständig, veränderlich zu seyn; gleichwohl trifft man unzählige Beyspiele von Damen an, welche ihre Liebhaber oft verändern.“

Natürlicher Weise giebt es Stufen bey dergleichen Liebeshändeln. Es läßt sich nicht denken, daß Damen von vorzüglichem Verstande, die sich von den frühesten Jahren an durch eine feine Denkungsart, durch Klugheit und durch eine erhabene Seele ausgezeichnet haben, es so geschwind auf den äußersten Punkt sollten kommen lassen, wo die Leidenschaft über alle Rücksichten der Wohlanständigkeit siegt. Andere kommen desto geschwinder zum Schluß, und einige wechseln so oft, und beweisen sich bey jeder Verbindung so treulos, daß sie die allgemeine Verachtung auf sich ziehen, und zuletzt gar keinen Cortejo finden.“

„Ich habe fast nie oder selten Eifersucht bey Ehegatten bemerkt. Dieß kann man aber von den andern Verbündeten nicht sagen, weil beyde Theile gemeiniglich von allerley Verdacht gequält werden. Da sie wissen, daß sie nichts zusammenhält, als das sehr willkührliche Band einer gegenseitigen Zuneigung; so müssen sie zittern, wenn sich jemand nähert, der ihre Einigkeit stören könnte. Sie sind genöthigt, unaufhörlich einer des andern Blicke zu beobachten, und aus Mißtrauen den Reitzen des geselligen Umgangs größtentheils zu entsagen. Auch in größern Gesellsellschaften leben sie gleichsam allein, ziehen sich von allen andern ab, und sind nur auf einander aufmerksam. Der Liebhaber darf sich um keine andere Dame bekümmern, und läßt sich ein Dritter mit der Geliebten in ein Gespräch von wenig Minuten ein, so geräth diese in Verlegenheit und in Furcht, den Cortejo zu beleidigen. Dieß ist auch gemeiniglich der Fall, und wäre sie die erste Herzogin im Reiche, und er ein Offizier außer Diensten, so wird ihre Person unwürdig behandelt. Mir ist sogar von einer Dame versichert worden, daß man sie bey den Haaren im Zimmer herumgeschleppt habe. Wird sie dagegen ihrer Seits beleidigt, so geht auch die Zärtlichste wüthend auf den Beleidiger los, und schlägt ihn braun und blau im Gesicht. Zuweilen wird eine Dame ihrer ersten Wahl überdrüssig, wirft ihre Neigung auf einen andern Gegenstand, und wünscht diesen mit jenem zu vertauschen. Seine Eitelkeit wird aber durch seine Verbindung zu sehr geschmeichelt, als daß er solche aufzugeben bereitwillig seyn sollte. Unter den geringern Ständen giebt dieses zu Ermordungen Anlaß, die in Spanien häufig sind: aber unter Höhern ist der Dolch längst verbannt. Der erste Besitzer behauptet, wenn er anders Muth hat, seinen Platz, und die Dame darf ihm den Abschied nicht geben, aus Furcht, ein Zweykampf könnte für den Liebling ihres Herzens unglücklich ablaufen. Bey diesen Händeln kommt der Ehemann gar nicht in Betrachtung: es ist so gut, als wäre er gar nicht vorhanden.“

Zehntes Kapitel.
Trauriger Zustand des Dienstes der Venus Urania in den neuesten Zeiten. Schluß des Werks.

So glaube ich denn die hauptsächlichsten Arten, über Geschlechtsverbindung und Liebe zu denken, und sie zu behandeln, entwickelt zu haben. Aber die wenigsten Menschen haben Charakter in ihren Ideen, oder Styl in ihrem Betragen. Sie folgen einem blinden Instinkt, der eben so veränderlich ist, als verschieden die äußeren Verhältnisse des Gegenwärtigen sind, die ihn allein bestimmen.

Wir sind freyer von Vorurtheilen und Aberglauben als unsere Vorältern; das ist nicht zu läugnen. Die Vernunft hat die Imagination mehr gezügelt: einen strengeren Beweis des Zusammenhangs zwischen Ursach und Wirkung bey den physischen und moralischen Erscheinungen am Menschen gefordert: die Erfahrung mehr zu Rathe gezogen, und das Zweckmäßige in den Regeln unsers geselligen Verkehrs näher bestimmt. Aber hätte man mit dem geistigen Stolze und mit der Schwärmerey zugleich alle Seelenerhebung verdammen; hätte man die Empfindungen des Herzens, das höhere Gefühl der Schönheit aus Eigennutz und körperlichen Trieben herleiten; hätte man endlich mehrere Formen des Umgangs, die einzeln genommen, keinen unmittelbaren Gewinn für die gesellige Selbstheit bringen, aber im Ganzen zur Bewahrung der Sympathie und des Beschauungshanges dienen, unter dem Schein des Ueberflüssigen wegwerfen sollen?

Wenn wir wirklich so weise sind, als wir es zu seyn wähnen; warum verkennen wir die deutliche Abhängigkeit des Wohls unsers vernünftigen Wesens von dem Wohl der vernünftigen Wesen überhaupt; warum entziehen wir uns der Gewalt, welche Ordnung und Angemessenheit selbst über unsere Sinne ausüben; warum sind wir so sehr Feinde unsers Vergnügens, um nicht wenigstens den Schein der Tugend, den Anstand, den Schein des Verstandes, den Witz, zur Würze unsrer Unterhaltungen zu wählen!

Jede philosophische Abhandlung, welche die Liebe aus materiellen Ursachen oder aus Eigennutz erklärt, wird mit Interesse und Glaubenswilligkeit von unserer Trägheit und Sucht, alles aus den auffallendsten Ursachen herzuleiten, aufgenommen. Wir verwechseln das Natürliche mit dem Sinnlichen: das Wahre mit dem leicht zu Fassenden. Wir suchen täglich mehr, uns gegen unsere Nebenmenschen nach den Regeln der Klugheit zu betragen, die so weit schont, als ihrer geschont wird, so viel giebt, als ihr vergolten wird. Jeder sorgt für sich und sein Vergnügen, so weit er es kann, ohne sich durch Unmäßigkeit oder Störung der allgemeinen Ordnung, die ihm zu genießen hilft, um den ferneren Genuß zu bringen.

Freylich ist diese Denkungsart zu allen Zeiten immer herrschend gewesen; aber doch nie mehr als in der gegenwärtigen, worin die Anmaßung unserer Vernunft die Aufwallungen des Instinkts der Sympathie und des Beschauungshanges aus System niederzudrücken, und dagegen die Selbstheit möglichst zu heben sucht.

Es ist vielleicht unmöglich, daß die ungebundenen Liebeshändel, das Hofmachen, die Galanterien, die Cicisbeaturen, nach unserer ganzen geselligen Einrichtung jemahls ganz verbannt werden könnten. Sie sind vielleicht unentbehrlich, um die geselligen Unterhaltungen zu beleben, und für das entbehrte häusliche Glück in der Ehe, das, allen unsern Verhältnissen nach, nur Wenigen zu Theil werden kann, Schadloshaltung zu gewähren. Aber wer mag es anders als mit Bedauern betrachten, wenn er die Weiber aus den vornehmern Klassen sich selbst durch die Verzärtelung und faden Huldigungen, die sie verlangen, unter den Rang erwachsener Menschen erniedrigen: wenn er den Mann der Dame von Stande, wie einem bloßen Werkzeuge[WS 129] der Sinnlichkeit und Eitelkeit begegnen sieht: wenn beyde, unbekümmert um ihren Ruf, keine andre Sorge anwenden, als die, gültige Beweise zu einer Ehescheidungsklage, oder die Gelegenheit zu vermeiden, von dem Pöbel mit Koth beworfen zu werden! Und doch ist dieß die Weise, wie die Geschlechtsverbindung in vielen Pallästen der Großen behandelt, und diese dadurch in die Tempel der Guimard, du Thé und anderer berühmter Pariser Freudenmädchen, ja! bey minderem Geschmack und geringerer Abwechselung in den Belustigungen, in wahre Tripots verwandelt werden. Da ist kein Gedanke an wahre Urbanität, welche gewiß in etwas anderm, als in dem äußeren Anstriche konventioneller Eleganz besteht: kein Gedanke an eine Unterhaltung, die dem Herzen, dem Verstande, oder auch nur dem Witze Nahrung gäbe: keine Ahnung einer höheren Bestimmung der Vertraulichkeit unter beyden Geschlechtern, als der, sich körperlich zu vereinigen, und die Zeit unter dem erbärmlichsten Geschwätz und den elendesten Zerstreuungen zu tödten. Ach! wer wünscht bey dem Anblick solcher Verhältnisse, die sich leider! täglich vermehren, nicht die Zeiten Ludewigs des Vierzehnten, oder sogar noch die des Regenten zurück, dessen Orgyen wenigstens durch Witz und Unterhaltungsgaben erheitert wurden!

Möchte dieß Werk vor allen Dingen die ehelige Geschlechtsverbindung und Liebe veredeln und verschönern helfen! Nur sie ist wahrer Vollkommenheit fähig, weil sie unter allen Beziehungen gut erscheinen kann. Aber wo dieß nicht zu erreichen steht, möge es da wenigstens jene ungebundenen Verhältnisse, welche die Gesetze und die Moralität nicht billigen, aber die gute Sitte dulden muß, ihrem innern Gehalte nach bessern, ihrer äußern Form nach schmücken. Mögen Personen, die sich in solchen Lagen befinden, nur so viel daraus lernen, daß keine Geschlechtsverbindung ohne jene Hindernisse und Weigerungen, welche Anstand und Selbstschätzung mit sich führen, ohne jene Reitze, welche der gute Geschmack der feineren Sinnlichkeit allein zu leihen im Stande ist, ich will nicht sagen den weisen, sondern nur den klugen Genießer auf die Dauer befriedigen kann.

Aber ich sehe es zum Voraus: ich werde nur bey Wenigen Gehör finden! Aber auch dann, liebes Buch, gehe hin getrost! Ist auch keiner unter deinen Lesern, bey dem du bessere Begriffe und Entschlüsse über eine der wichtigsten Angelegenheiten unsers Lebens erweckst; so wird sich dein Verfasser dennoch belohnt fühlen: belohnt durch Liebe, durch das Gefühl, nach dem Wohl seiner Mitmenschen aus wahrer Achtung für ihre Würde thätig gestrebt zu haben.

Kurze Uebersicht
des Inhalts des dritten Theils.

Zweyte Abtheilung.

Den Arabern und Persern wird ein großer Einfluß auf die Kultur des Abendlandes überhaupt, und besonders auf diejenige Sitte beygelegt, die wir mit dem Nahmen der Galanterie bezeichnen. Es ist daher wichtig die Denkungsart dieser Völker über Geschlechtsverbindung und Liebe kennen zu lernen.

In den Vorstellungen des Orients sind zwey Perioden zu unterscheiden, von denen die eine vor der näheren Bekanntschaft mit den Schätzen der griechischen Litteratur und dem Aufleben der neuern persischen Poesie, die andre nachher angenommen werden muß. In der ersten, die vom siebenten Jahrhunderte bis zum zehnten dauert, stand die Liebe des Arabers, die gewiß nur sinnliche Zwecke hatte, mit seinem kriegerischen Enthusiasmus in genauer Verbindung. Er sah seine Tapferkeit als ein Mittel, zum Besitz der Schönen zu gelangen, und diesen Besitz als eine Belohnung seiner Tapferkeit an. Eine idealisierende Phantasie und die Füllung des Herzens traten außerdem hinzu, den körperlichen Genuß durch Freuden zu erhöhen, die mehr für die Seele gehören.

In der zweyten Periode, die mit dem zehnten Jahrhunderte angeht, und bis zum funfzehnten herunter fortdauert, sind die Araber mit den griechischen Philosophen bekannt geworden, und haben Geschmack an den Dichtungen der Perser gefunden. Von nun an wird es für die Vorstellungen beyder Völker charakteristisch, daß sie das Edle in der Liebe in einer Begeisterung suchen, die an Wahnsinn grenzt: und das Schöne ihrer Form in dem abentheuerlichen, bilderreichen oft auch nur spitzfindigen Ausdruck der Empfindungen. Jene Begeisterung stand mit dem orientalischen Mysticismus in genauer Verbindung, und dieser unterscheidet sich darin von dem christlichen, daß er die Sinnlichkeit nicht ausschließt, vielmehr die Besessenheit, worin die Leidenschaft zur Kreatur den Menschen versetzt, als die erste Stufe betrachtet, um zur reinen göttlichen Liebe zu gelangen. Verschiedene ähnliche Wirkungen, welche beyde auf das Herz und die Imagination des Menschen hervorbringen, unterstützten diese Idee.

Von der Rittergalanterie findet man unter den Arabern und Persern nur sehr wenig oder vielmehr gar keine Spuren, wenn man anders nicht die Vereinigung des kriegerischen Muths mit sinnlicher Liebe dafür annehmen will. Ueberhaupt dürfte das Institut der Ritterschaft und ihr Geist schwerlich aus dem Oriente herzuleiten seyn. Was die sogenannte Galanterie der Mauren in Spanien an ähnlichen Gebräuchen zeigt, ist auf die ursprünglichen Besitzungen der Saracenen nicht anwendbar, und weicht auch, besonders in Rücksicht der Huldigung, welche dem schönen Geschlechte öffentlich dargebracht sind, wesentlich ab von der Galanterie, die an christlichen Höfen im vierzehnten und funfzehnten Jahrhunderte gewöhnlich war. –

Inhalt des neunzehnten Buchs.


Im Abendlande zieht, während des Mittelalters, die Galanterie unsre ganze Aufmerksamkeit an sich. Aber es kommt auf eine genaue Bestimmung ihres Begriffs, und der Zeit an, worin sie herrschend geworden ist.

Vor dem zwölften und dreyzehnten Jahrhunderte läßt sich überhaupt nichts Charakteristisches von der Denkungsart des Abendlandes über Geschlechtsverbindung und Liebe angeben. Aus dem Norden ist die Galanterie nicht zu uns herüber gekommen, und von den Arabern haben wir sie auch nicht entlehnt. Sie hat sich im Abendlande, und besonders im südlichen Frankreich von selbst und allmählig aus der herrschenden Denkungsart in allen Dingen überhaupt, aus der Lage der Stände und Geschlechter gegen einander im geselligen Verkehr, und endlich aus dem Ueberreste von klassischer Litteratur, die daselbst nie ganz verloren gegangen ist, entwickelt. Vom zwölften Jahrhunderte an suchten die Menschen der bisherigen Anarchie müde, eine bessere Ordnung in ihre Verhältnisse gegen Kirche, Staat, Sitten und Wissenschaften einzuführen. Dieß Bestreben war aber mit Ueberspannung und Unbehülflichkeit verknüpft, und ihre Folgen zeigten sich in abentheuerlichen Gesinnungen und Thaten, so wie in steifer und unnützer Förmlichkeit.

Nimmt man hinzu, daß die gesellige Kultur sich nur auf die Höfe beschränkte: daß sich dort die Geschlechter nicht anders als bey feyerlichen Gelegenheiten sahen: daß nur verheirathete Frauen vom hohen Stande bey diesen Zusammenkünften erschienen: daß die Vorzüge, welche damahls besonders geschätzt wurden, im kriegerischem Muthe, mit hinschmelzender Humilität gepaart, in Poesie, Musik und Courteoisie, bestanden: und daß endlich bey der Entfernung, worin der Liebhaber zu der Geliebten stand, der sicherste Weg zu ihrem Herzen durch die Imagination gebahnt wurde; so kann man schon hieraus mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit den Gang entwickeln, den die Veredlung und Verschönerung der Geschlechtsverbindung und Liebe hat nehmen müssen.

Zweyerley Hauptarten darüber zu denken, lassen sich ahnen[WS 130] und festsetzen. Beyde verlangten Anhänglichkeit an vornehmen Frauen: beyde suchten durch abentheuerliche Thaten vor ihren Augen zu glänzen: beyde brachten die schmelzendste Empfindsamkeit und die schmachtendste Niederwürfigkeit in den Ausdruck der Leidenschaft: beyde kleideten ihre Huldigungen in diejenige steife Förmlichkeit, welche dem Ritual der Kirche, und dem Ceremoniel bey Höfen und Lehnsinvestituren eigen war; beyde bedienten sich endlich der muntern Kunst, und der Courteoisie zu Schleyern und zu Waffen ihres Angriffs; aber in der Bestimmung des Zwecks, den sie mit diesen Aufwartungen verbanden, gingen sie von einander ab.

Eine willkührliche Enthaltsamkeit von aller Sinnlichkeit, aus der Idee, daß diese den Menschen und die Liebe erniedrige, läßt sich von diesem Zeitalter nicht erwarten. Es verdammte entweder die Geschlechtsliebe, als eine mit der Liebe zu Gott unverträgliche Leidenschaft; oder es verband damit sinnliche Zwecke. Allein wenn unüberwindliche Hindernisse sich der gänzlichen Vereinigung entgegen setzten; so konnte der Liebhaber in dem Bewußtseyn wieder geliebt zu werden, in der Befriedigung seiner Ruhmsucht und Eitelkeit, endlich in der Unterhaltung und Spannung, welche ihm Intrigue und Begeisterung gaben, Schadloshaltung finden, und seine Zufriedenheit mit einem so unkörperlichem Genusse laut verkündigen. Diese Art von Verbindung nenne ich die ruhmsüchtig geistige Galanterie.

Neben ihr konnte eine gewöhnlichere Veredlung der Geschlechtsverbindungen bestehen. Diese leistete keinesweges auf die körperliche Vereinigung Verzicht, wollte sie aber durch lange Aufwartung, Treue und Verschwiegenheit verdienen. Ich darf diese Art von Verbindungen die anständig sinnliche Galanterie nennen.

Außer diesen beyden Denkungsarten über die Liebe muß man aber auch die zügelloseste Ausgelassenheit bey Befriedigung der Geschlechtssympathie annehmen, besonders in den Verhältnissen mit Weibern von gleichem oder geringerem Stande.

Diese Bemerkungen werden durch die Werke der provenzalischen Dichter unterstützt.

Die Bildung ihrer Ideen und ihres Ausdrucks haben sie den Arabern nur in sehr entfernter Maße zu verdanken, weit mehr dem Tone der aus den Schulen der damahligen Rhetoren und Grammatiker heraus hallte, worin der Geist der griechischen und römischen Litteratur nie ganz erloschen ist.

Man trifft bey ihnen keine Idee von einer willkührlichen und fanatischen Enthaltsamkeit des sinnlichen Genusses an, wohl aber Spuren der ruhmsüchtig geistigen, auch anständig sinnlichen Galanterie: wiewohl diese Verhältnisse noch nicht den Zusammenhang und die Konsistenz einer Sitte erhalten haben, auch den Nahmen der Galanterie noch nicht führen. Die ersten finden bey diesen Dichtern besonders ihren Grund in dem Umstande, daß die verliebten Gedichte an Fürstinnen und andre vornehme Damen gerichtet wurden. Viele der dargestellten Situationen gehören aber bloß in die Dichterwelt, und schwerlich haben die Troubadours häufig in wirklichen Liebesverständnissen mit den Frauenzimmern gestanden, an welche ihre Gedichte gerichtet waren. Neben einer edleren Behandlung der Liebe, zeigen sie den schamlosesten Leichtsinn.

Bey den nördlichen Franzosen ist die anständig sinnliche Galanterie mehr ausgebildet worden, als die ruhmsüchtig geistige. Bey den deutschen Minnesängern findet man mehrere Spuren der letzten, aber nirgends Beweise einer fanatischen Enthaltsamkeit.

Die Romanenschreiber aus dieser Zeit kennen eben so wenig den Nahmen der Galanterie als die Dichter, und ihre Werke athmen weit weniger von ihrem Wesen. Das Alter, worin die Romane verfertigt sind, läßt sich nicht bestimmen. Diese sind aus den Legenden der Heiligen herzuleiten, und haben ursprünglich eine ascetische Tendenz gehabt.

Nach Gründen zu urtheilen, die aus dem Innern dieser Produkte hergenommen sind, ist Turpins Geschichte Carls des Großen eines der ersten. Der Stoff zu den Rittern und Riesen, die in diesem Romane vorkommen, ist aus der Bibel genommen, doch ist dem Verfasser auch die profane Geschichte nicht unbekannt gewesen.

Die Liebe spielt hier gar keine Rolle, und in den übrigen Romanen vom Hofe Carl des Großen nur eine sehr untergeordnete und niedrige. Der Geist der irrenden Ritterschaft, die Gefechte zu Ehren der Damen, die Tourniere, wobey sie den Preis ausgetheilt haben sollten, u. s. w. werden hier vergebens gesucht.

Mehr von diesem Geiste der irrenden Ritterschaft und der Galanterie zeigen die Romane von der Tafelrunde. Sie stellen beynahe lauter Intriguen zwischen Rittern und verheiratheten Königinnen dar; diese Verhältnisse sind jedoch nicht ruhmsüchtig geistig, sondern anständig sinnlich: noch dazu können sie nur nach sehr laxen Begriffen von Anstand so genannt werden. Alle, und besonders Gottfrieds von Monmouth fabelhafte Geschichte von Britanien, zeigen Bekanntschaft mit der alten Litteratur.

Nichts führt uns auf die Nothwendigkeit zurück, den Ursprung des Ritterromans von den Morgenländern herzuleiten; und die Nachbildung bestimmter Muster unter diesen ist höchst unwahrscheinlich. Das was sie mit den Abendländern gemein haben, läßt sich völlig aus einer Bekanntschaft mit den arabischen Mährchen durch Tradition, und aus der Aehnlichkeit der Lage ihrer Kultur und ihrer Verfassung erklären.

In der wirklichen Welt scheinen im zwölften und dreyzehnten Jahrhunderte die Weiber im weitern Verkehr mit den Männern nur wenig öffentliche Verehrung genossen zu haben, und nur selten scheint man der Veredlung der engern Geschlechtsverbindung nach den Grundsätzen, die eben entwickelt sind, nachgestrebt zu haben. Aber ihre Darstellung in Gedichten und Romanen hat gefallen, und in so fern ist der Keim der Galanterie, in der Dichterwelt dieser beyden Jahrhunderte zu suchen.

Inhalt des zwanzigsten Buchs.


Der Zeitraum vom vierzehnten Jahrhunderte an bis ins siebzehnte hinein, hat diejenige Gestalt der Sitten, deren roheste Züge das zwölfte und dreyzehnte angelegt hatte, weiter ausgebildet. Besonders verdankt ihm die Galanterie ihren Nahmen, eine bestimmtere Form, und ihren höchsten Flor. Die nähere Bekanntschaft mit den Werken der Alten, der romantische Hof Eduards des Dritten, die beginnende Ausbildung der Landessprachen unter mehreren Nationen von Europa, das Erscheinen des Petrarka und der spanischen Romane machen hier Epoche. Auffallend zeigt sich der wieder auflebende Geschmack in der Philosophie, in den schönen Künsten, und in den Verhältnissen des geselligen Lebens mit eben den Fehlern behaftet, die wir zur Zeit seines Verfalls unter den Römern und Griechen, nach der Zeit der Antonine bemerkt haben. Er hat sich also einer größeren Reinheit zurückgehend genähert, und strebt in dieser Periode noch nach eingebildetem Adel und falschem Schmuck.

Man sucht gemeiniglich in dem Geiste der Ritterschaft den Grund der mehrsten Erscheinungen, welche die Sitten dieses Zeitalters darbieten. Ein allgemeiner Geist dieser Zunft berittener Krieger hat nie existiert, und wenn er vorhanden gewesen ist, so hat er den excentrischen Idealen nicht geglichen, welche man gemeiniglich dafür ausgiebt. Nur zuweilen und in einzelnen Korporationen der Ritterschaft haben edlere Begriffe von ausgezeichneter Wohlanständigkeit, Folge der zunehmenden Geisteskultur, wiewohl vermischt mit vieler Abentheuerlichkeit und bloßer Konvention, geherrscht; aber ihr Einfluß ist immer nur periodisch und theilweise, besonders auf die Höfe der Großen anzunehmen. Der gesellige Ton hat in dieser Zeit an Politur gewonnen, aber er ist immer noch auf das Verkehr zwischen Menschen berechnet, die sich selten und nur bey feyerlichen Gelegenheiten sehen. Er ist nicht mehr unbehülflich, aber er ist anmaßend und geziert.

Der Zustand der Weiber hat an äußerem Schimmer nicht aber an innerem Wohlseyn gewonnen. Man hat Schmeicheleyen an sie verschwendet, man hat häufig über den Vorzug ihres Geschlechts vor dem unsrigen gestritten. Aber neben den Anbetern, fanden sich auch Spötter ihres Ansehns: und vieles was zu ihrem Lobe gesagt ist, muß als Redeübung der Rhetoren und Dialektiker betrachtet werden. Ueberhaupt verlieren die Huldigungen, welche dem zärteren Geschlechte dargebracht wurden, sehr viel an innerem Gehalte, wenn wir sie als Zubehör zu einem pomphaften Ceremoniel an Höfen, und besonders bey feyerlichen Gelegenheiten betrachten.

Diese Bemerkungen leiten zu einem richtigen Begriffe von der Denkungsart dieser Periode über Geschlechtsverbindung und Liebe.

Die Philosophen, größtentheils Neuplatoniker und Mystiker, verwarfen im Anfang alle Geschlechtsliebe, als eine schädliche Leidenschaft zur Kreatur, die von der Liebe zu Gott und seinem Reiche abzöge. Späterhin nahmen sie jedoch die Liebe zum Weibe, unter der Bedingung in Schutz, daß die Seele vorzüglich geliebt würde, und daß sie uns zur Tugend anfeure. Von ihnen, und besonders von den Italiänern, geht die Idee aus, daß eine freywillige Enthaltsamkeit vom körperlichem Genuß, die Liebe zum Weibe veredle. Es gab aber andere, welche die Liebe bloß als sinnliche Begierde betrachteten, und nur anriethen, sie durch die Besorgung der Intrigue schmackhafter und dauernder zu machen.

Die Romanenschreiber der Spanier setzten die Veredlung der Liebe in schmelzender Schwärmerey, in gänzlicher und dauernder Aufopferung für den angebeteten Gegenstand: die Verschönerung aber, in dem pomphaften, schwülstigen, gernwitzigen Ausdrucke jener Gesinnungen. Der Einfluß der Mauren wird hierbey sehr anscheinend.

Die Franzosen behandeln in den früheren Produkten dieser Art die Liebe leichter, in den spätern mit eben dem Ernst, aber mit feinerer Lüsternheit wie die Spanier, und gelangen gegen das Ende dieser Periode zu der höchsten sittlichen Veredlung, zu der sich die Leidenschaft der Geschlechtssympathie heben läßt. Allein es fehlt ihnen an dem Gefühle des wahren Wesens der Liebe, und an Geschmack.

Der Italiäner hat sich mit dem bürgerlichen Romane viel beschäftigt, und in der Liebe denjenigen Reitz gesucht, den feinere Sinnlichkeit und Heimlichkeit ihr gewähren.

Engländer und Deutsche sind größtentheils Nachahmer ihrer Nachbaren geblieben. Merkwürdig sind die beyden Bemerkungen: 1) daß der Einfluß der griechischen Erotiker auf die mehrsten Romane dieser Zeit unverkennbar ist: 2) daß neben den Produkten dieser Art, welche die Liebe als ein ernstes Geschäft behandeln, allemahl andere aufgestellt werden können, welche sie mit der größten Ausgelassenheit als ein bloßes Mittel zur Belustigung und zur Befriedigung noch gröberer Triebe schildern.

Unter den italiänischen Dichtern hat Petrarka den größten Einfluß auf die Denkungsart seiner Landesleute und der übrigen Nationen gehabt. Er sah sie anders als Philosoph, anders als Dichter an. In der ersten Eigenschaft verwarf er sie als schädlich: in der letzten war sein System ganz auf den Zustand eines unglücklichen Liebhabers berechnet, der aus dem Zustande einer hinschmelzenden Begeisterung, und aus den Träumen einer lieblichen Phantasie, selbst bey der Trennung von dem vergötterten Gegenstande, den reitzendsten Genuß zu ziehen weiß. Er hat viele Nachfolger in Italien gefunden. Andere Dichter dieses Landes haben aber der Liebe ein fröhlicheres Ansehn gegeben. Doch blieb, besonders gegen das Ende dieser Periode, der Grundsatz herrschend, daß die Seele allein Liebe verdiene, weil sie allein der Gegenliebe fähig sey, und daß sie die Freuden des Körpers gewähren, bewachen, und veredlen müsse. Der Ausdruck dieser Gesinnungen war zur Zeit des Flors der italiänischen Litteratur züchtig in seinem Glanze: späterhin verfiel er in den falschen Pomp und Witz der Spanier.

Eine Schwärmerey die an Wahnsinn gränzt, excentrische Ideale, matter Gernwitz, ungeheure und unverständliche Hyperbole, zeichnen größtentheils die erotischen Gedichte der Spanier aus. Ihr Geschmack hat sich nach und nach allen Nationen mitgetheilt. Selbst die Franzosen haben ihm gehuldigt, wo sie nicht den früheren Italiänern nachahmten; nur im asotischen Tone haben sie etwas Eigenthümliches.

Der Autor findet hier Gelegenheit von den Cours d’amours zu reden, und zu zeigen, daß sie nie über den Rang geselliger Einrichtungen, zur Belustigung, oder literärischer Gesellschaften gestiegen, und nie Sittengerichte gewesen sind.

Der wichtige Einfluß, den die Liebe auf die schöne Litteratur, und auf die gesellige Unterhaltung überhaupt in diesen Zeiten gehabt hat, ist unverkennbar. Aber nun bleiben die wichtigen Fragen übrig: welchen Einfluß hatte sie auf das handelnde Leben, und was ist am Ende der unterscheidende Charakter der Galanterie, als Sitteninstitut betrachtet?

Der Einfluß der engeren Geschlechtsverbindungen auf das handelnde Leben ist allerdings groß gewesen; aber er ist nur bey Höfen, und auch hier nicht allgemein, nicht in gleicher ununterbrochener Stärke anzunehmen. Vieles davon ist auf Rechnung des Hofceremoniels abzusetzen. Nirgends aber findet man eine sichere Spur, daß der Ausspruch des Weibes über das Ansehn des Mannes in den Augen des Publikums eine vollgültige Entscheidung abgegeben habe: nirgends daß die engeren Verbindungen zwischen den Rittern und Damen darum für edel gehalten worden wären, weil man im Allgemeinen ihre Reinheit von aller Sinnlichkeit vorausgesetzt habe.

Die Hauptzüge der Galanterie liegen in der wahren oder scheinbaren Unterwerfung unter den Willen des schönen Geschlechts: in der lauten Bewunderung seiner Vorzüge und in der öffentlichen Darstellung dieser Gesinnungen unter dem Schutze der guten Sitte, selbst in Fällen wo Moral und Gesetze die Bewerbung um die Gunst eines Frauenzimmers mißbilligen.

Die Galanterie hat erst nach und nach diese charakteristische Form erhalten. Mehrere Ursachen haben zur Gründung und Ausbreitung ihres Ansehns beygetragen. Hauptsächlich aber verdankt sie den Schutz, den ihr die gute Gesellschaft angedeihen ließ, dem Nutzen, den diese daraus für ihre Unterhaltung zog. – Sie hat nach Verschiedenheit des Charakters der Nationen, und ihrer Lagen, verschiedene Modifikationen erhalten müssen. Der Italiäner gab den galanten Verbindungen, die heimlich auf feiner Lüsternheit und dem Triebe nach freier Beschäftigung beruhten, den äußern Schein einer süßen Empfindsamkeit, zur Erhöhung einer geselligen Muße, und eines kontemplativen Lebens. Der Spanier, der heimlich die Befriedigung einer gröberen Sinnlichkeit und eines geistigen Stolzes suchte, gab jenen Verbindungen äußerlich den Schein einer auf Heldenmuth im Dulden und Handeln beruhenden Leidenschaft. Der versatile Franzose behandelte sie bald wie der Italiäner, bald wie der Spanier, und mischte allemahl viel prahlende Eitelkeit mit ein. Der Engländer ahmte seinen Nachbaren mit etwas Schwerfälligkeit und drückender Anmaßung nach, und dem Deutschen ist außer seiner Steifigkeit und Derbheit wohl schwerlich etwas Eigenthümliches in seiner Galanterie nachzuweisen.

Dieß ist der Inhalt des ein und zwanzigsten Buchs.


Unter Ludwig dem Vierzehnten breitete sich der Begriff der guten Gesellschaft und Sitte auch über die mittleren Stände in Frankreich, besonders in der Stadt Paris aus. Von nun an ward die Courteoisie zur Urbanität, und der Ton in den geselligen Verhältnissen wurde überhaupt, und besonders im Verkehr zwischen beyden Geschlechtern wahrer und natürlicher. Jetzt bekamen auch das Herz und der gute Geschmack immer mehr Antheil an den engeren Geschlechtsverbindungen, oder wenigstens an der Art sie darzustellen. Man unterschied von nun an wahre Zärtlichkeit von Galanterie, und bezeichnete mit diesem letzteren Worte diejenigen Huldigungen, welche dem schönen Geschlechte in ungebundenen Verhältnissen mehr zur Belustigung als im Ernste, mit munterer Laune und glänzendem Witze dargebracht wurden.

Unter dem Regenten riß eine große Sittenlosigkeit ein, und der herrschende Begriff, den man mit der Liebe verband, war der, einer Begierde nach sinnlichem Vergnügen, unterstützt von den Freuden, welche eine feinere Reitzbarkeit, eine feurige Imagination, und ein glänzender Witz ihm geben können. Galanterie hieß von nun an, das konventionelle Benehmen, wodurch die sittenlosen Verbindungen zwischen Personen, die zu der guten Gesellschaft gehören, sich von den Ausschweifungen der schlechten unterscheiden, indem der Schein eines zu leichten Sieges, so wie der einer Hinaussetzung über Anstand und Selbstachtung vermieden wird.

Inzwischen bestanden neben den leichten und unbeständigen Geschlechtsverbindungen auch andre, die dauernder waren, und unter dem Nahmen, amours platoniques, Interêts oder Liaisons de Societé, Commerces d’habitude u. s. w. bekannt sind. Der Nahme eines ami de la maison ward in das Wörterbuch der guten Gesellschaft aufgenommen.

Die Verbindungen mit den anerkannten Buhlerinnen sind in Frankreich von der guten Sitte nie gebilligt worden. Obgleich diese Weiber einen höhern Grad von Bildung fürs Vergnügen gehabt haben als anderswo, so hat dennoch ihr Umgang den Mann von feinerem Gefühle für Anstand und Geschmack, schwerlich befriedigen können.

Unter den französischen Philosophen, welche die Geschlechtsliebe zum Gegenstande ihres Nachdenkens gewählt haben, verdient Rousseau besonders angeführt zu werden. Er hat nie wahre Herzensliebe empfunden, und keinen wahren Begriff davon gehabt. Er nahm eine doppelte Art von Liebe an: die eine nannte er die natürliche, und verstand darunter theils sinnliche Begierde, theils Häuslichkeitstrieb; die andere hielt er für eine Folge unserer bürgerlichen Verfassung, und setzte ihr Wesen in der Begeisterung, die aus dem geliebten Gegenstande ein Ideal von Vollkommenheit schafft, und dieses Ideales würdig zu werden strebt.

Die Begriffe der Engländer über die Veredlung der Liebe, welche sie besonders bey den ästhetischen Darstellungen dieser Leidenschaft in Romanen zum Grunde legen, setzen die Lage der Bewerbung eines Biedermannes um das Herz und die Hand eines sittigen Mädchens zum Voraus, das nicht sowohl gegen vollkommene Pflicht und äußere Hindernisse, als gegen seine Weiblichkeit ankämpft, ehe es dem Liebhaber den Besitz seiner Person unter Autorität der Gesetze zusichert. Das schöne Geschlecht erscheint bey ihnen mit einer Verschämtheit, mit einer Zartheit der Empfindungen und zugleich mit einem zurückhaltenden Stolze, die an Schüchternheit, Hinschmelzung und zuweilen an Eigensinn gränzen: das stärkere behandelt die Liebe mehr mit vernünftiger Zärtlichkeit, als mit Leidenschaft.

Deutschland hat wenig Eigenthümliches in seinen Begriffen von der Liebe aufzuzeigen. Die eigentlichen Liebeshändel werden hier selten mit wahrem Adel und mit unverkünstelter Zartheit in den erotischen Produkten der schönen Litteratur, und im gemeinen Leben behandelt. Dagegen können wir darauf stolz seyn, in unsern höhern Ständen mehr glückliche Ehen zu kennen und diese mehr zu schätzen, als vielleicht in jedem andern Lande. Die Dänen nähern sich am mehrsten den Engländern. Von den übrigen nördlichen Nationen, welche der Verfasser nur sehr oberflächlich kennt, weiß er wenig zu sagen.

Die südlichen Völker von Europa haben mehr von der alten Galanterie beybehalten. Die Cicisbeatura der Italiäner, welche der Verfasser selbst zu beobachten Gelegenheit gefunden hat, zieht vorzüglich seine Aufmerksamkeit auf sich. Das Charakteristische in dieser Art von Geschlechtsverbindung zwischen Personen, die kein gesetzliches Band vereinigt, besteht in der Ueberzeugung von ihrer Nothwendigkeit für die Damen, um mit Anstand und einem gewissen Grade von Ansehn in der guten Gesellschaft zu erscheinen.

Diese Sitte ist ein Ueberbleibsel der alten Galanterie, die aber durch den französischen Ton eines freyern Umgangs zwischen beyden Geschlechtern besonders modificiert, und unterstützt von dem Glauben an die Beschränkung der Liebe auf einen bloß geistigen Genuß, die Gestalt einer engeren Vertraulichkeit angenommen hat. Sie verdankt ihre Ausbreitung der Neigung der Südländer überhaupt, zu dem dolce far niente, der besondern Einrichtung geselliger Unterhaltungen bey den Italiänern, und der politischen Verfassung einiger ihrer Staaten.

Ueber den innern Gehalt dieser Verbindungen läßt sich durchaus nichts Allgemeines sagen. Sie kommen immer mehr ab, und der Glaube an ihre Unschuld und Unsträflichkeit wird immer schwächer.

Von der Denkungs- und Behandlungsart der Geschlechtsverbindung und Liebe unter den Spaniern liefert der Verfasser nur wenige Nachrichten, nach dem Zeugnisse eines Reisebeschreibers, und schließt endlich sein Werk mit einem traurigen Ueberblick des Zustandes, worin sich der Dienst der Venus Urania in den neuesten Zeiten befindet, und mit dem aufrichtigen Wunsche, daß sein Buch etwas zur Besserung der Begriffe und Entschlüsse seines Zeitalters beytragen möge. – Inhalt des zwey und zwanzigsten und letzten Buchs.


Verbesserungen zur zweyten Abtheilung des dritten Bandes.

Seite 005 Zeile 05 von unten: gedacht für gehabt.
- 005 - 03  - -  gehabt für gedacht.
- 006 - 04 von oben: hinein für ein.
- 007 - 15  - -  Abi für Abu.
- 010 in der letzten Zeile der Note: Asiaticae für Arabicae.
- 017 - 02 von oben: und für um.
- 040 - 09  - -  muß hinter Verdachte ein (,) gesetzt werden.
- 047 - 01 muß das (,) hinter Tons wegfallen.
- 050 - 11 muß hinter sondern das Wort sogar eingeschaltet werden.
- 055 - 09 von unten: ahnet statt ahndet.
- 083 letzte Zeile der Note: S. 20 für 29.
- 090 - 06 von unten: Montagnagout für Montagnogout.
- 101 - 12 von unten: zuschrieben für zuschieben.
- 103 - 08 von oben: gehören die Nahmen von Granet bis Fiquieras u. a. m. in eine Note, Nr. 44.
- 103 - 14 von oben: eben so die Nahmen Sordel bis Marsan in eine Note Nr. 45.
- 105 - 12 von oben: nach für noch.
- 108 in der vorletzten Zeile der Note: treizieme für troisieme.
- 117 - 07 von unten muß es heißen: Josuas Posaune und Gideons Schwert.
- 124 - 05 von oben: Holzscheit für Holzschnitt.
- 126 - 16  - -  Roloaster für Roboaster.
- 126 in der Note 70: Holzscheit für Holzschnitt.
- 128 - 09 von oben: Monmouth für Monmuth.
- 129 - 08  - -  muß hinter schrecklichster ein (,) stehen.
- 130 - 03 von unten: verliebte für geliebte.
- 133 - 13 von oben: le für de.
- 155 - 15  - -  und am wenigsten in jedem, den etc.
- 165 in der Note 5: nobilitate für nobititate und Eminentia für Emnientia.
Seite 166 Zeile 10 von oben: muß das (,) hinter Scharfsinn weg.
- 167 in der Note 8: des für de.
- 168 - 15 von oben: im für in[WS 131].
- 171 - 12  - -  allen für alle.
- 172 - 05 von unten: aber nur durch den, aber nur den.
- 192 in der Note 28: Lelio für Lelis.
- 194 - 12 von oben: Clisson für Clissor.
- 194 - 21  - -  sinnliche für heimliche.
- 211 - 04  - -  ed für id.
- 211 - 05  - -  Sdegni für Idegni.
- 226 - 09  - -  Eben so wahr ist es, für: Eben so wahr ist, etc.
- 234 - 05 von unten: schlichen für schlich.
- 241 - 09 von oben: muß das (,) hinter Cours weg.
- 241 - 17  - -  muß das (!) ein (?) seyn.
- 251 - 02 von unten in der Note: Prerogatives für Preogatives.
- 257 - 12 von oben: zärtere für zartere.
- 263 - 02 von unten: und dem Beschäftigungstriebe für und Beschäftigungstriebe.
- 268 - 02 und 9 von oben: muß hinter vorigen ein (,) stehen.
- 277 - 04 von unten: Cyrano für Cyruno.
- 278 - 07 von oben: Auffallendste für auffallendste.
- 279 - 10 von oben: dauernderer für dauernder.
- 290 - 20  - -  traulichen für traulichem.
- 297 - 07  - -  Verzärtelung von Seiten einer für Verzärtelung einer.
- 299 - 10 von unten: Sie gab nichts: sie nahm nur, und noch etc. für: Sie nahm, und gab nichts, und noch etc.
- 305 - 04  - -  können für könne.
- 311 letzte Zeile: Vergehungen für Vergehen.
- 329 - 10 von unten: nach für noch.
- 340 - 12  - -  wie einem bloßen Werkzeuge für wie bloßen Werkzeugen.
- 346 - 06 von oben: ahnen für ahnden.

  1. Sur l’origine de l’inegalité. P. 1. gegen das Ende.
  2. The natural History of Aleppo, by Alex. Russel. The second Edition by Pal. Russel.
  3. Von den Tugenden der Weiber.
  4. Wolfii Catalogus feminarum olim illustrium.
  5. Plato de Legg. L. VII. p. 806.
  6. Man sehe die Reihe von Begebenheiten nach, die der Liebe ihre Entstehung verdanken, und die Parthenius Nicensis aus ältern Schriftstellern, die zum Theil aus dieser Zeit waren, gezogen, unter dem Titel: de amatoriis affectionibus zusammengestellt hat. Keine einzige läßt auf wahre Liebe schließen.
  7. Was ich damit sagen will, drückt ein Vers beym Theokrit, Idylle 3. 20. Edit. Harles. sehr gut aus: Inest et in osculis inanibus dulcis voluptas.
  8. Der Beweis der Richtigkeit dieser Darstellung liegt in den Geschichtschreibern, in den Schauspieldichtern, in den Schriften der Philosophen der damahligen Zeit: besonders in den Dialogen des Plato und Xenophon, wenn man die Art betrachtet, wie diejenigen Personen reden, deren Grundsätze Sokrates berichtigen muß.
  9. Oder vielmehr die Sammlung von Verordnungen, die man ihm beylegt. Daß hierunter viel Apokryphisches sey, ist mir höchst wahrscheinlich.
  10. Ueber die Heyrathen mit leiblichen Schwestern herrschen Widersprüche in den Nachrichten der Alten. Plato und die Dichter stellen sie als blutschänderisch dar. Solon soll sie ausdrücklich erlaubt haben.
  11. Barthelemy Voyage du jeune Anacharsis. T. 1. note 3. à la fin de l’introduction läugnet, daß Solon die Exposition der Kinder durch ein ausdrückliches Gesetz erlaubt habe. Aber wenn kein geschriebenes Gesetz darüber existiert haben sollte, so hat wenigstens das Herkommen diesen Gebrauch gestattet. Petitus de legg. Atticis. p. 219. Edit. Wessel. Plato de Republ. L. V.
  12. Man hat in diesen Einrichtungen Spuren der Rohheit angetroffen, und ganz lassen sie sich von diesem Vorwurfe [54] nicht retten. Aber zum Theil hat man sie auch unrecht verstanden. Solon hat z. B. die Zahl der monatlichen Umarmungen nicht allgemein, sondern bloß in Rücksicht der reichen Erbinnen vorgeschrieben, damit diese nicht Opfer des bloßen Eigennutzes werden sollten. Die Einlassung mit dem nächsten Anverwandten auf den Fall der Unfähigkeit des Gatten, muß von einer neuen Ehe nach Trennung von dem unfähigen Manne verstanden werden.
  13. Plato de Legg. Libr. VII.
  14. Euripides in der Andromache.
  15. Die Data zu diesen Bemerkungen habe ich hauptsächlich aus des Petiti Legg. atticis genommen.
  16. Vergl. Herodot II 35.
  17. Cyropädie, Buch 7. Kap. 3.
  18. Memorab. Socratis III. 2.
  19. Aethenäus XIII. 3.
  20. Eine merkwürdige hierher gehörige Stelle beym Plato de Legg. VIII. p. 836.
  21. Petitus de Legg. atticis. Libr. VI. Tit V.
  22. Vierzehntes Buch Kap. I.
  23. Athenaeus im dreyzehnten Buche, und Cic. Tusc. Quäst. Libr. 4.
  24. Fragmenta Euripidis.
  25. Man erinnere sich an das berüchtigte Gemählde, das Parrhasius von der Atalanta verfertigte, und das Tiber kaufte. Suet. in Tiber. 44.
  26. Dergleichen noch täglich aufgefunden werden.
  27. Memorab. I. 3.
  28. S. besonders die eben citierte Stelle beym Plato de Legg. VIII. p. 836.
  29. Xenophon in den Denkwürdigk. des Sokrates. Viertes Buch, viertes Kap.
  30. Aus mehreren Gründen, die aber anzuführen der Anstand verbietet, wird es mir mehr als wahrscheinlich, daß die Gunstbezeugungen die der Liebhaber von dem Geliebten erhielt, und das, was man Ergebung des letztern nannte, nichts mit der künstlichen und grausamen Befriedigung dieser Ausgelassenheit in einigen höchst verdorbnen Hauptstädten unserer Zeit gemein hatte.
  31. Cic. Tusc. Quaest. Libr. VI. Quis est iste amor amicitiae? Cur neque deformem adolescentem quisquam amat, neque formosum senem, etc.
    Die ganze Stelle ist sehr merkwürdig.
  32. Man vergleiche die angeführte Stelle des Cicero.
  33. Hiervon zeigen sich deutliche Spuren in den Schriften des Xenophon, Plato, Aristophanes, und den Zeugnissen, welche Plutarch, Athenäus, Cicero und Andere von der Denkungsart der früheren Athenienser beybringen.
  34. Ich übergehe eine Stelle, worin der Syracusaner seine Besorgniß äußert, daß man ihm den Knaben, den er mit sich führt, verderben möge, indem man ihn zu verworfenen Lüsten mißbrauche. Ein neuer Beweis für die Allgemeinheit dieses Lasters unter dem atheniensischen Pöbel.
  35. Wahrscheinlich liegt hier die Idee von dem Einfluße der Planeten unter.
  36. Mehrere Ausleger haben sich daran gestoßen, daß Alceste gegen das Ende dieser Rede dem Achilles entgegengesetzt, und als Liebhaberin von ihm, als Geliebten, unterschieden wird. Einige haben geglaubt, die Worte: τῆς Αλκήσιδος wären ein ungeschicktes Einschiebsel, das ganz weggestrichen werden müsse. Andere haben ihnen den Nahmen Orpheus substituirt; Allein mich dünkt, der Nahme Alceste muß stehen bleiben. Sie ist offenbar eine Liebhaberin in Vergleichung mit dem Achilles, welcher der Geliebte, der Begeisterte, war. Der Liebhaber heißt bey den Griechen offenbar derjenige, qui particeps est rei venereae voluptatum: bey dessen Anhänglichkeit gröbere Triebe zum Grunde liegen; und da dieß auf die Frau sowohl als auf den Mann zutrifft, so paßt dieser Nahme auch auf die erste. (Vergl. Xenophon im Gastmahle c. VIII. Nro. 21. den Phädrus des Plato, und dasjenige, was ich oben über den höhern Werth der Bruderliebe in Vergleichung mit der Gattenliebe, selbst bey dem Frauenzimmer, gesagt habe.) Alceste wird hier nicht im Gegensatze gegen den Admet die Liebhaberin genannt, sondern im Gegensatze gegen den Achilles. Dieser theilte die körperlichen Begierden nicht; bey ihm war die Aufopferung Folge reiner Begeisterung. Bey Alcesten war dieß der Fall keinesweges: ihre Aufopferung konnte mit auf Rechnung der Sinnlichkeit gesetzt werden. Es kann seyn, daß die Stelle auch ohne diesen Zusatz verständlich bleibt; aber sie [192] erhält durch die Vergleichung des Achilles mit der Alceste unendlich mehr Nachdruck. Orpheus kann aber gar nicht der Alceste substituirt werden. Dieser war nach dem Vorhergehenden von den Göttern bestraft: folglich kann es nicht heißen: Achilles ist ganz anders belohnt als Orpheus – der gar nicht belohnt war. Hingegen Alceste war allerdings von den Göttern belohnt. Diese hatten ihr eine seltene Gnade, die Rückkehr aus dem Orkus, gewährt. Nur freylich in der Maße, wie der Achilles, war sie nicht belohnt; denn dieser ward in die Inseln der Seligen versetzt.
  37. Es ist mir nicht völlig klar, wie die Alten sich den Unterschied zwischen Venus und Amor gedacht, und warum sie jener diesen als Sohn und Begleiter beygelegt haben. Wahrscheinlich hat dabey kein bestimmter und einstimmiger Begriff zum Grunde gelegen. Ich denke mir, daß Venus das Vermögen, den Eindruck der Liebe zu empfangen; Amor hingegen die Kraft, wodurch jenes Vermögen zum Streben wird, bezeichnet. Solchemnach würde sich die Mutter zum Sohne, wie das Gefühlvermögen [193] zum Begehrungsvermögen verhalten. Oft aber heißt auch Venus so viel als dasjenige, was beym Einflößen, Amor dasjenige, was beym Empfangen zum Grunde liegt. Dann stehen sie im Verhältnisse der Ursach und Wirkung zu einander. Endlich kann auch Venus so viel als die Anlage zum Lieben, Geschlechtssympathie, Amor so viel als die wirkliche Aeußerung, Leidenschaft, bedeuten.
  38. Männweibische.
  39. Der Grund, warum er eine Seherin hier auftreten läßt, liegt darin, weil er die Liebe als einen begeisterten Zustand betrachtet, Folge des Einflusses eines Gottes. Eine Person, die nach religiösen Begriffen berechtigt war, einen ähnlichen Zustand zu empfinden, war am Besten im Stande, Aufklärung darüber zu geben, und ihn durch ihr Ansehn zu heiligen. Vergleiche den Anfang der Schutzrede für den Amor im Phädrus.
  40. Libr. VIII. p. 836 – 842.
  41. Lib. III. S. 403.
  42. Lib. V. S. 468.
  43. De Republica. Libr. III. S. 403. Libr. V. p. 468.
  44. Daher verwirft er die leidenschaftliche Liebe in dem Buche von den Gesetzen völlig. VIII. 837.
  45. Questiones Tusculanae Libr. IV.
  46. Quaest. Tusc. Libr. IV. Stoici vero et sapientem amaturum esse dicunt, et amorem ipsum, conatum amicitiae faciundae ex pulchritudinis specie definiunt.
  47. Epist. 34.
  48. Epist. 55.
  49. Ib. 63. – Das Buch de tranquillitate animi liefert darüber noch mehrere Beweise.
  50. Epist. 104.
  51. In Excerptis.
  52. Quaest. Tusc. Libr. IV.
  53. Lucretius de rerum natura. Lib. IV. vers. 1024. seqq.
  54. Simulacra – nuncia praeclari vultus, pulchrique coloris.
  55. V. 1046. seqq.
  56. De moribus libr. VIII. et IX. und Eudemiorum libr. VII.
  57. Libr. III. cap. 4.
  58. De Moribus et Eudemiorum[WS 37] l. c.
  59. Lib. I. p. 583.
  60. Rhetoric. Lib. I. p. 686.
  61. Diesen letzten Satz legt ihm Niphus in libro de pulcro et amore ausdrücklich bey, und beruft sich dabey auf Ethicorum libro X. wo ich aber die Beweisstelle nicht habe finden können.
  62. Edition von Harles.
  63. In seinem Dialog über die Liebe in der Versteigerung der Philosophen, u. s. w.
  64. Die Belege zu diesem Kapitel finden sich in Bachii historia Jurisprudentiae Romanae: Sigonii antiquo jure populi Romani: de Selchow elementis Juris Rom. Antijustinianei: Grupenii Uxore Romana: D’Arvay vie privée des Romains und Meiners Geschichte der Weiber.
  65. Carmen 72. Cogit amare magis, sed bene velle minus. Vergl. Carm. 75. Carm. 85.
  66. Carm. 83. und 92.
  67. Carmen 3. 5. 7. 45. 48.
  68. Carmen 64.
  69. Der Abbate Galliani sagte mir, wie ich in Neapel war: Wir haben zwölf Weiber hier, Damen vom ersten Range, deren Reitze Jedem zu Gebote stehen. Diese haben dem ganzen Haufen den Ruf der Sittenlosigkeit zugezogen! – So habe ich es allerwärts gefunden.
  70. Ich setze nicht den mindesten Zweifel darein, daß Tibull diese Neära wirklich geliebt habe, obgleich Ovid nur von der Delia und Nemesis redet, und diese letzte sagen läßt, daß sie bey seinem Tode noch sein Herz besessen habe. Die Antwort ist: daß der Dichter zu seinem Drama nur diese Beyden brauchte. Und ohnehin sagt Ovid selbst, daß er den Tibull nicht genau gekannt habe.
  71. S. die sechste Elegie im ersten Buche.
  72. S. die vierte Elegie dess. B.
  73. S. die erste Elegie dess. B. v. 55 u. f.
  74. S. Elegie 2. v. 71 im ersten B.
  75. S. Elegie 5. v. 19 dess. B.
  76. Charaktere der vornehmsten Dichter. Zweyten Bandes erstes Stück. S. 203.
  77. Elegie 7. v. 91. des erst. B.
  78. Elegie 6. v. 75. dess. B.
  79. Elegie 3. v. 83. etc. im ersten Buche.
  80. Elegie 6. v. 71. im ersten Buche.
  81. Elegie 1. v. 55. dess. B.
  82. Elegie 6. v. 56. dess. B.
  83. Elegie 3. v. 5. im zweyten Buche.
  84. Elegie 2. v. 18. ebendaselbst.
  85. Elegie 4. v. 53. im zweyten Buche.
  86. Elegie 3. v. 31 ebendas.
  87. Elegie 3. v. 79. ebendas.
  88. Elegie 6. v. 41. u. s. w. ebendas.
  89. Elegie 1. v. 6. im dritten Buche.
  90. Ebendas. v. 25.
  91. Elegie 4. v. 51. ebendas. – So erkläre ich die Stelle: Sie deutet, wie mich dünkt, eine Empfindung an, die mehr wie Mutterzärtlichkeit, und mehr als Begierde ist.
  92. Elegie 3. v. 23. dess. B.
  93. Elegie 6. v. 29 und 56.
  94. [326] Besonders das Carmen VIII. und die Stelle:

    Sed peccasse juvat: vultus componere famae
    Taedet: cum digno digna fuisse ferar.

    Ich will nicht sagen, daß es mit dem geringsten Ueberbleibsel von Scham nicht zusammenstimmt, sondern nur dieß, daß es mit der ganzen übrigen Feinheit der Denkungsart der Sulpicia, ja was das Wichtigste ist, nicht mit ihrer Situation zusammenpaßt. Hier scheint der Mann, und besonders der Dichter durch, der (Lib. II. Eleg. III. v. 31.) sagen konnte: Sed cui sua cura puella est, fabula sit, etc.

  95. Carm. VI.
  96. Carm. II. und V.
  97. Carm. III.
  98. Carm. IV.
  99. Carm. VII.
  100. Carm. VIII.
  101. Carm. IX.
  102. Carm. X.
  103. Carm. XI.
  104. Carm. XII.
  105. Carm. VII.
  106. Carm. XI.
  107. Carm. IV.
  108. Carm. XII.
  109. Elegie 7. im ersten Buche v. 5. Elegie im zweyten B. scheinen mir zum Beweise zu dienen, daß Properz ein Mädchen hatte, weil – ein Elegiendichter eins haben muß.
  110. Elegie 3. im ersten Buche. Eine ähnliche individuelle Situation findet man im vierten Buche in der 8ten Elegie, die aber noch weniger für seine Treue und Zärtlichkeit beweiset.
  111. Elegie 11. im ersten Buch.
  112. Elegie 12. ebend.
  113. Elegie 19. ebend.
  114. Ebendaselbst.
  115. Dieß findet man beynahe in jeder Elegie.
  116. Elegie 28. im zweyten B.
  117. Elegie 7. im vierten B.
  118. Elegie 8. im vierten Buche.
  119. S. besonders die 18te Elegie im ersten Buche. Sie hat einige Aehnlichkeit mit dem Sonnet des Petrarka: Solo e pensoso i più deserti campi. Aber wenn man sie mit einander[WS 49] vergleicht, so kommt es einem vor, als ob Properz nur zum Scherz seine Klagen anstimme.
  120. Elegie 6. des zweyten B.
  121. Elegie 18. dess. B.
  122. Elegie 8. des dritten B.
  123. Elegie 5. dess. B.
  124. Elegie 2. im zweyten B.
  125. Elegie 13. dess. B.
  126. Elegie 3. im ersten B.
  127. Elegie 13. im zweyten B.
  128. Elegie 6. und 8. im dritten B.
  129. Besonders Elegie 7. des ersten Buches.
  130. Elegie 15. im zweyten B.
  131. Elegie 22. und 23. dess. B.
  132. Elegie 13. im ersten Buche.
  133. Die letzte Elegie im vierten B.
  134. Elegie 1. und 9. im zweyten B.
  135. Elegie 19. des zweyten B.
  136. Carmen 13. Lib. 1.   Carm. 12. L. 2.   Carm. 9. Lib. 3.   Carm. 2. Lib. 4.
  137. Carm. 6. v. 18.[WS 50]   Carm. 23. Lib. 1.
  138. Besonders Carm. 12. v. 25. Lib. 2.   Carm. 9. v. 21. Lib. 1.   Carmen 13. v. 15. Lib. 1.
  139. Eclog. II. v. 63. und 65.   III. v. 100.   VIII. 85.   Georgicon Lib. 3. 242. Viele der hier aufgestellten Bilder sind unserer Denkungsart nach widerlich.
  140. Ecl. III. v. 64. 65.   VII. 55. 59. 63.   X. 54.
  141. Der 54ste Brief und der 59ste.
  142. 44ste und 45ste Brief.
  143. 58ste Brief.
  144. 3ter Brief.
  145. 19ter Brief.
  146. 30ster Brief.
  147. 31ster Brief.
  148. 33ster Brief.
  149. 38ster Brief.
  150. 41ster Brief.
  151. 34, 36, 40ster Brief des ersten Buchs. 1ster Brief des zweyten Buchs.
  152. 37ster Brief des ersten Buchs.
  153. 39ster Brief des ersten Buchs.
  154. 38ster Brief des ersten Buchs.
  155. Der 4te im zweyten Buche.
  156. Erstes Buch. 10ter Brief und ebendaselbst 7ter.
  157. 12ter Brief im ersten Buch.
  158. Der 21ste Brief im ersten Buche.
  159. 1ster Brief des zweyten Buchs. 16ter Brief in eben dem Buche. 20ster ebendaselbst.
  160. 6ster Brief im zweyten Buche.
  161. 22ster Brief im ersten Buche.
  162. 21ster Brief im zweyten Buche.
  163. 2ter Brief im zweyten Buche.
  164. 2ter Brief im zweyten Buche.
  165. 25ster Brief im ersten Buche.
  166. 1ster, 7ter, 8ter Brief.
  167. 16ter Brief des ersten Theils.
  168. 6ter Brief im zweyten Theile.
  169. 18ter Brief des zweyten Theils.
  170. 4ter Brief des ersten Buchs.
  171. 18ter Brief des ersten Buchs.
  172. 19ter Brief des ersten Buchs.
  173. 25ster Brief des ersten Buchs.
  174. Photii Myriobiblon sive bibliotheca p. 355. edit. Andreae Schottii de 1653.
  175. Photii Bibliotheca p. 235.
  176. De l’origine des Romans p. 60.
  177. Abhandlung über Sprachen, Litteratur und Gebräuche morgenländischer Völker, aus dem Englischen übersetzt von Federau, Leipzig, 1779.
  178. Poeseos Asiaticae Commentariorum Libri sex. auctore Jones. Londini 1774.
  179. Excerpta Anthologiae veterum Arabiae Poetarum, quae inscribitur Hamasa Abi Temmam ab Alberto Schultens. – Hinter Erpenii Grammatica Arabica. Leyden, 1767.
  180. Poeseos Asiaticae Commentarii. Londini 1774. p. 359.
  181. Caab ben Zoheir Carmen Panegyricum in laudem Muhammedis, item Amralkeisi Moallakah. edid. Lette. Lugd. Batav. 1748. Amralkeis lebte zu Muhammeds Zeiten.
  182. Jones hat diese Stellen gesammelt in Commentariis Poeseos Asiaticae[WS 72] p. 361 seqq.
  183. Richardson über morgenländische Sprachen, u. s. w. S. 250. Deutsche Uebersetzung. Er übertreibt aber die Sache.
  184. Jam cum aliis, ut tecum, praegnantibus fui congressus,
    Lactantesque averti a cura puerorum;
    Ut cum pone eam vagiret (infans) seque ad eam converteret,
    Tamen latus ejus sub me non verteretur.

    S. Amralkeisi Moallakah. Nach der Ausgabe des Lette. Leyden 1748. p. 55. Der Commentator liefert eine andere Stelle p. 177. die eben keine Schonung weiblicher Schamhaftigkeit und Zartheit verräth. Der Liebhaber überrascht seine Schöne im Bade und raubt ihr die Kleider, die sie selbst auslösen muß.

  185. Herbelot Bibliotheque orientale. Article. Mamon. Allgemeine Welthistorie zwanzigster Theil S. 194.
  186. Richardsons Abhandlung über Sprachen, Litteratur und Gebräuche morgenländischer Völker. Deutsche Uebersetzung. Leipzig 1779. S. 45.
  187. Diese Bemerkungen verdanke ich dem Herrn Professor Tychsen.
  188. Herbelot. l. c. article Afflathoun.
  189. Idem article Ketab Eschk.
  190. Bayle Dictionaire histor. et critique Article Averroes.
  191. Augustinus Niphus de Pulcro Liber cap. 28.
  192. Der Naturmensch, oder Geschichte des Hai Ebn Joctan, ein morgenländischer Roman des Abu Dschafar, Ebn Tofail, übersetzt von Eichhorn. Berlin 1782. Der Verfasser war ein Zeitgenosse des Averroes und lebte im zwölften Jahrhunderte.
  193. Bibliotheque orientale par Herbelot. Paris 1697. Article Eschk Allah.
  194. Siehe die Artikel Amak und Giami beym Herbelot. Unter dem Artikel Zolaikha legt er diesen Roman dem Nezami bey.
  195. Article Jousouf Ben Jacob.
  196. Sadi verwechselt diesen Roman mit dem des Jousouf und Zoleikha’s, und legt der Leileh bey, was der Zoleikha gehört.
  197. Diese Nachrichten verdanke ich dem Herrn Professor Tychsen.
  198. Herr Professor Tychsen versichert mich, daß Megnun im Koran in der Bedeutung eines Besessenen vorkommt, der von bösen Geistern (Ginn) begeistert wird. Es läßt sich aber sehr wohl begreifen, wie der Nahme eines Menschen in diesem Zustande auf den leidenschaftlichen Liebhaber von den spätern Mystikern übertragen sey; besonders da nach der Lehre der neueren Platoniker die Leidenschaft der Liebe als Wirkung der Dämonen betrachtet wurde. Unläugbar ist der Nahme Megnun späterhin ehrwürdig geworden.
  199. Moaviah war einer der ersten und angesehensten Nachfolger des Propheten, und Ibn Abu Leileh einer seiner vorzüglichsten Cadis. S. Herbelot unter diesen Artikeln.
  200. Specimen Poeseos Persicae, sive Haphyzi Gazelae Vindob. 1771. Gazela 2.
  201. Art. Esck Allah.
  202. Idem. Art. Leileh.
  203. Gentii Speculum politicum. Lipsiae 1673. S. 352.
  204. Im zweyten Theile. S. 223.
  205. S. die Artikel: Catebi, Nezami, Sahabat, Targeman, Vaslat, Vaschach, (Buch über die Ehe) u. s. w. beym Herbelot.
  206. Meine Bemerkungen über den Gulestan des Sadi sind aus der Uebersetzung genommen, die Georgius Gentius unter dem Titel: Speculum politicum geliefert hat. Ich habe eine Leipziger Ausgabe von 1673 vor mir. Sadi lebte zu Ende des zwölften und im Anfange des dreyzehnten Jahrhunderts.
  207. Herbelot art. Felecki.
  208. Persian Miscellanies by William Ousely. Das angezogene Gedicht habe ich im Critical Review. March 1796. gefunden.
  209. Ich habe folgende beyden Uebersetzungen dieses Dichters zu Rathe gezogen: Reviczky specimen Poeseos Persicae, sive Muhammedis Schems – eddini, notioris agnomine Haphyzi Ghazelae, sive Odae sexdecim ex initio Divani depromptae. Vindobonae 1771. und Select Odes from the Persian Poet Hafez, by John Nott. London 1787.
  210. Es ist die vierzehnte beym Reviczky.
  211. Herbelot Article Jousouf Ben Jacob.
  212. Herbelot, Article Laleh.
  213. Richardson’s Abhandlung über Sprache, Litteratur und Gebräuche morgenländischer Völker. S. 251.
  214. Herbelot, Article Bathal, und Douaz deh Rokh. Vergleiche Richardson a. a. O.
  215. Richardson a. a. O. S. 240–248 der Deutschen Uebersetzung.
  216. Herbelot Article Mostader.
  217. Du Cange Dissertations sur l’histoire de St. Louis. Diss. VIII.
  218. Ibidem Diss. VII.
  219. Am a. O. S. 248 der Deutschen Uebersetzung.
  220. Historia de las Guerras Civiles de Grenada.
  221. Ich habe über den ersten Ursprung des Worts Galanterie aller Nachforschung ungeachtet keinen Aufschluß erhalten können. Ich selbst habe es in keinem Werke gefunden, dessen Verfertigung über das sechzehnte Jahrhundert hinauszusetzen [48] wäre. Herr Hofrath Eschenburg, an den ich mich um eine Aufklärung über diesen Punkt gewandt habe, hat mir folgende interessante Antwort ertheilt: „Ueber die eigentliche Entstehungszeit des Worts „Galanterie“ weiß ich Ihnen doch, nach allem Nachsuchen, keine gewisse Auskunft zu geben. In der Provenzalsprache aber war es wohl ganz gewiß nicht“ (Millot braucht es in einigen Uebersetzungen der provenzalischen Gedichte; da er die Originale aber nicht beyfügt, so kann man nicht beurtheilen, ob es sich in diesen findet.) „Auch habe ich, fährt Herr Eschenburg fort, des bekannten Alain de Chartrier Gedichte durchblättert. Von Courteoisie und Loyauté fand ich genug darin; aber das Wort Galanterie nirgends; selbst das Wort galant nicht. Dieß letztere soll indeß nach Patru in einer Note zu den Remarques de Vaugelas T. 3. p. 150. im Roman de la Rose vorkommen. Er führt zum Beweise die Stelle gegen das Ende des Romans an: Quand la douce saison viendra, Seigneurs galants qu’il conviendra. In meiner Ausgabe dieses Romans (Amstr. 1735 3 vol. 8.) steht aber seigneurs valets – – Menage hat Allerley über den etymologischen, nicht aber historischen Ursprung des Worts. Von dem sel. Reiske steht eine Abhandlung vom Urspr. des Worts Gala in den Schriften der Leipz. Ges. d. fr. Künste B. 3. S. 3. ff. wo er das Wort für arabisch hält, und von Challah, Feyerkleid, herleitet. Möglich indeß, daß gala und galant nichts mit einander gemein haben. [49] Aus den Ritterzeiten hat dieß letztere Wort wohl gewiß seinen Ursprung. Im Englischen hat sich der Begriff tapfer von gallant als Hauptbedeutung erhalten.“
  222. Ueber den Geist und die Geschichte des Mittelalters. Gotha 1786.
  223. Auf dem Concilio zu Mâcon, (im sechsten Jahrhunderte) stritt man noch weitläuftig darüber: ob die Weiber Menschen wären.
  224. S. Alexander history of Woman T. 1. Fabliaux et Contes du douxieme et troisieme Siecle par le Grand. T. II. p. 354.
  225. Schmidts Geschichte der Deutschen. Drittes Buch 7tes Kap. Meusels Geschichte von Frankreich: Allgemeine Welthistorie Th. 35. S. 139. 151.
  226. Schmidt a. ang. O. im 10ten Kap.
  227. Dieß ist um so glaublicher, da Europa durch die griechische Prinzessin Theophania, die Gemahlin Otto des Zweyten, mit dem griechischen Hofceremoniell bekannt geworden war. An diesem Hofe waren die Damen wegen ihrer Kultur in großem Ansehn. Mehrere Fürsten nahmen das Ceremoniel des kaiserlichen Hofes an.
  228. Und nicht bloß den Charakter der Galanterie, sondern auch der Ritterschaft überhaupt, ihrer Erziehung, Pflichten, Beschäftigungen, Tourniere, u. s. w. kann man vor dem angegebenen Zeitpunkte nicht bestimmen. Alles, was man von Zeugnissen über ihr früheres Daseyn beybringt, beweiset weiter nichts, als daß es zu allen Zeiten eine gewisse militärische Erziehung und Adoption, (Wehrmachung,) gewisse Grade im Militair, und gewisse kriegerische Vorübungen im Frieden gegeben hat.
  229. Mallet histoire de Dannemarc. St. Foix Essays historiques sur Paris. Rolland Prérogatives des Dames [55] chez les Gaulois. Warton’s History of Englisch Poetry, Meiners Geschichte des weiblichen Geschlechts, und Mehrere.
  230. Dahin gehören die Erzählungen von Regner Ladbrog, Prinzen von Dännemark, und von Harald mit den schönen Haaren, beym Mallet introd. dans l’histoire de Dannemarc chap. 12. p. 293. Edit. de Geneve 1763. in 12.
  231. Herrn Hofraths Eichhorn Allgemeine Geschichte der Kultur und Litteratur, erster Band. S. 251. u. ff.
  232. Als Beyspiele mögen Königs Magnus Laduläs Weiberfriede gegen die in Schweden so häufigen Entführungen, und die ebendaselbst hergebrachten Brautbegleiter dienen, welche das junge Ehepaar bewaffnet zur Kirche hin und zurückführen, und vor der Kirche Wache halten mußten, weil die Entführungen junger Frauenzimmer so häufig waren.
  233. S. Eichhorns Geschichte der Kultur. S. 435.
  234. S. Fischers Geschichte des deutschen Handels. Hannover 1785. Erster Theil. S. 381. Schon im Jahre 1106 zeigen sich landesherrlich bestätigte Innungen in Deutschland.
  235. Daher ihre verschiedene Nahmen. Sie hießen bald Inventores, Trubadores, Trouverres; (eigentliche Dichter,) [75] bald Joculatores, Mimi, Cantores, Chanteurs, Conteurs, Jongleurs, Singer, – (eigentliche mimische Declamateurs) – bald Ministeriales, Ménestriers, Minstrells, Fiedler, (eigentliche Musiker, welche die abgesungenen Lieder mit blasenden und Saiten-Instrumenten begleiteten.) S. histoire litteraire des Troubadours, vom Abbé Millot, T. 1. discours preliminaire, und dann besonders den Article Giraud Riquier im dritten Theile p. 329. worin dieser Troubadour selbst die verschiedenen Nahmen angiebt, und sie nach Rang und Würden ordnet. Im gemeinen Leben nannte man sie bald mit diesem bald mit jenem Nahmen, welches aber die eigentlichen Troubadours sehr ungern sahen. Die ältesten Geschichtschreiber nannten sie Mimos, Mimen. Witichind S. 636. beym Schmidt, Geschichte der Deutschen p. 373. Es ist eine ganz unerwiesene Behauptung, welche der Herr Hofrath Eichhorn in der Geschichte der Kultur des neuern Europa in den Erläuterungen und Beweisen p. 49. äußert, daß sie von Adel gewesen, und ihren Nahmen „Menestriers, Minstrells,“ von der lateinischen Benennung des Dienstadels, „Ministeriales,“ erhalten hätten. Die hist. des troubadours zeigt, daß sehr viele unter ihnen von geringem Stande gewesen sind, und die Benennung „Menestrier,“ welche offenbar davon herkommt, daß sie dem Talent der Deklamateurs und Sänger behülflich waren, diesen accompagnierten, (ministrare,) war an sich verächtlich, und ward von den Troubadours nicht gern angenommen. S. den angeführten Giraud Riquier in der hist. des troubad. T. 3. p. 329. und Velly hist. de France. T. 3. p. 239. Du Cange Dissert. V. sur Joinville nennt sie quasi parvos ministros, – petits officiers de l’hôtel du Roi.
  236. Hist. des troubadours, article Guillaume de Bergedan. Dieser Troubadour, der die Muhammedaner der Vielgötterey beschuldigt, war noch dazu aus Catalonien.
  237. S. was Deutschland anbetrifft: Schmidts Geschichte der Deutschen Th. 2. S. 370. ff. Edition von 1784. Daß die deutsche Aeneide des Heinrich von Veldek, der 1170 lebte, aus dem Französischen übersetzt sey, und diese französische Uebersetzung wieder aus einer provenzalischen herstamme, zeigt Bodmer in den neuen kritischen Briefen S. 89. Adenes, ein französischer Romanendichter übersetzte sogar den Aesop aus dem Griechischen ins Lateinische. Eichhorns Geschichte der Kultur. S. 86. Die Italiäner liebten besonders das Studium der ältern Autoren. Wilgard, ein Lehrer der Grammatik zu Paris, behauptete, daß die klassischen Autoren den Schriften der heiligen Väter vorzuziehen wären. Schmidts Gesch. d. Deutschen, Th. 3. S. 189. Daß die Mönche den Minstrells vorgearbeitet [79] haben, darüber siehe Herrn Hofrath Eschenburgs Gesch. der englischen Poesie in den Beyträgen zum Sulzer, im ersten Bande, 2ten Stücke. Vergl. Sprengels Geschichte von Großbrittanien: Allgemeine Weltgeschichte 47ster Theil. S. 230. u. ff. Bayle Dict. hist. critique, Artikel Averroes. Schon 1209 wurden auf einem Concilio zu Paris einige Bücher des Aristoteles zum Feuer verdammt, die aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt waren. Ich hatte bereits diese Note ausgearbeitet als ich des Herrn Professors Heeren Geschichte des Studiums der klassischen Litteratur. Göttingen 1797 zu Gesicht bekam. Ich finde darin nicht allein meine Vermuthung, daß die klassische Litteratur nie ausgestorben sey, bestätigt, sondern ich werde sogar durch die von ihm angegebenen Data auf die Vermuthung geführt, daß der ganze Geist der späteren Sophisten und Grammatiker sich fortdauernd in den Schulen des Abendlandes erhalten, und von Konstantinopel aus immer neue Verstärkung bekommen habe.
  238. Vielleicht aber haben die Troubadours auch gar keine bestimmten Muster unter den klassischen Autoren vor Augen gehabt; vielleicht hat sie nur der Ton geführt, der aus den Schulen herausschallete. Dieß ist gar nicht unwahrscheinlich. Ihre Ideen, ihr Ausdruck haben viel Aehnlichkeit mit demjenigen, was wir beym Philostrat, Aristenät, Alciphron und den griechischen Erotikern antreffen. Wie wenn die Nachfolger dieser Sophisten, die neueren Rhetoren, welche den Schulen vorstanden, die einmahl darin angenommene Vorstellungs- und Darstellungsart, selbst nach dem Verlust der Originale, beybehalten, sie in die Redeübungen wozu sie Anleitung gaben, übertragen hätten, und diese wieder durch einen oder mehrere ihrer Schüler, die sich in der Landessprache versuchten, nach der besondern Lage des Troubadours und seines Publikums verarbeitet, diesem letzten überliefert wären! Es ist damahls gewiß Mehreres aus den Schulen in die wirkliche Welt übergegangen, als wir gemeiniglich glauben. Die Briefe der Heloyse an Abeilard, sind sicher nach einer nahen oder fernern Kenntniß der Liebesbriefe im Geschmack der Sophisten verfertigt; und höchst wahrscheinlich sind die sogenannten Tençons Nachbildungen gewöhnlicher dialektischer Uebungen in den Schulen.
  239. Eichhorns Geschichte der Kultur. S. 20[WS 80]
  240. Z. B. Es traten hier die ersten Reformatoren der Kirche auf: die Albigenser, u. s. w.
  241. Hist. litt. des Troubadours. Paris 1774.
  242. S. Hist. des Troubadours unter diesen beyden Artikeln.
  243. Aehnliche Ideen liefern schon Philostrat und Aristenät. S. das 18te Buch.
  244. Im Grunde sind alle diese Ideen den christlichen Griechen nicht fremd gewesen. Man sieht dieß aus den Aethiopicis des Heliodorus.
  245. Der Marquis Malaspina verlangt Proben der Liebe und der Treue von seiner Geliebten. „Freund, antwortet ihm diese, durch Geduld und Unterwerfung gelangt man zum Ziele!“ Er beklagt sich über die Unerträglichkeit seines Uebels; sie giebt ihm einen Kuß auf Abschlag. Allein der Liebhaber bittet in Demuth und mit gefalteten Händen um etwas Höheres. „Marquis,“ sogt ihm die Dame, „ihr treibt die Anmaßung zu weit!“ – „Das rührt von dem Uebermaße meiner Liebe her! Ich sterbe vor der Begierde euch zu besitzen,“ erwiedert der Liebhaber. – „Ich will mich wohl hüten,“ antwortet die Dame.
  246. Guillaume IX. Comte de Poitou – Rambaud d’Orange.
  247. So konnte sogar der König Alphonsus von Aragonien sagen: qu’il avoit mis son coeur en trop haut lieu.
  248. Aehnliche Grundsätze habe ich aus dem Aristänet im achtzehnten Buche angeführt. Sie liegen auch bey den mehrsten griechischen Romanen zum Grunde.
  249. Artikel: Gui D’uissel, Alamanon, und Peyrols.
  250. Artikel: Comtesse de Dië, und Raimond Vidal de Besodin.
  251. 1229.
  252. Raimond Jordan, Vicomte de St. Antoni und Guillaume de St. Didier.
  253. Raimond Vidal de Besodin.
  254. Arnaud Daniel.
  255. Guillaume de Balaun.
  256. Bertrand de Born.
  257. Was Millot unter dem Artikel: Guillaume de St. Didier anführt, beweiset gerade das Gegentheil. Der Vicomte de Polignac sang seiner Gattin Verse vor, worin der Mann in die Intrigue einwilligt, aber ohne zu wissen, daß sie für ihn gemacht waren. Ohnehin ist das Ganze offenbar eine Dichterfiktion.
  258. S. besonders die Artikel: Arnaud de Carcasses, Pierre de Corbian, Gavaudin le vieux, Vaqueiras, Savary de Mauleön, Folquet, und andere mehr.
  259. S. besonders Bernard de Ventadour, und Doria, und Cigala.
  260. Giraud de Borneil, Deudes de Prades, Faidit, u. a. m.
  261. Folquet.
  262. Sordel.
  263. Guillaume de la Tour.
  264. Granet, Folquet, Marcabas, Hugues de St. Cyr, Guillaume de Bergedan, Arnaud de Carcasses, Pierre de Corbian, Figuieras, u. a. m.
  265. Sordel und Arnaud de Marsan.
  266. S. Corps d’extraits des Romans de Chevalerie par le Comte de Tressan. Paris 1782.
  267. Das Original dieses Romans enthält mehrere Stellen, welche den Anstand auf das gröblichste beleidigen, die Tressan aber verwischt hat.
  268. Beweise findet man beym Le Grand, Fabliaux, ou Contes du douxieme et troisieme Siecle: in den Geschichten: die drey Ritter mit dem Hemde: das Gespenst: das Lied von Laval: und das Thal der Ungetreuen. Ganz in diesem Sinne sind auch die Regeln der Liebe, die uns St. Palaye aufbewahrt hat. Es heißt unter andern darin: „Je freygebiger die Dame mit ihrer Gunst gegen euch ist, um so eifriger müßt ihr versichern, daß sie euch nichts gewährt. Laßt euch nie durch das Andringen eurer Freunde zur Verrätherey bewegen. Rühmt um so lauter die Tugend der Dame, je williger sie ist, euch damit ein Opfer zu bringen.“ S. 3ter Th. S. 399. in der deutschen Uebersetzung.
  269. Diese Denkungsart ist bey den Fabliers die häufigere. Man sehe die Erzählungen: das bezauberte Schwert: der übelgeschnittene Mantel: der Scharlachrock: die Franciskanerhosen u. s. w.
  270. Fabliaux et Contes du douxieme et treizieme[WS 86] Siecle par le Grand T. II. p. 61.
  271. Bodmers neue kritische Briefe. Zürich 1763. 13ter und 14ter Brief.
  272. In den eben angeführten neuen kritischen Briefen. S. 381.
  273. Er nennt es Meisterschaft über die Gedanken.
  274. Nach dem Originale in Gleims Gedichten nach den Minnesingern. Berlin 1773.
  275. Gleims Gedichte nach den Minnesingern. S. 26.
  276. Bayle Dict. phil. et crit. Article Fontevraux.
  277. Warton’s History of english Poetry. London 1774. p. 39. und Eschenburgs Geschichte der englischen Poesie. Nachträge zum Sulzer B. 3. St. 2. S. 267.
  278. Eichhorns allgemeine Geschichte der Kultur. Erläuterungen. S. 97.
  279. Mallet Introduction à l’histoire de Dannemarc.
  280. Die falschen Dekretalen, die Briefe Christi, u. s. w. dienen zum Beweise. Man nannte diese Verfahrungsart sehr naiv: pro pietate mentiri. Schmidts Gesch. d. Deutsch. 2. B. S. 375. Edit. 1784.
  281. Und diese lassen sich gleichfalls weit leichter aus der heiligen Schrift erklären. Z. B. aus Josuas Posaune und Gideons Schwert,[WS 87] aus Simsons Instrumente, womit er den Philistern vorgespielet hat, und welches noch jetzt in der Kunstgeschichte als ein Horn dargestellt wird, u. s. w.
  282. Ich habe diesen Roman in einer Edition, mit gothischen Lettern in Octav zu Paris bey der Wittwe Bonfons ohne Jahrszahl gedruckt, vor mir. Ich halte ihn für einen der älteren, [118] und vermuthe, das er unter Ludwig dem Siebenten oder Philipp dem Zweyten, (1068–1181.) verfertigt ist. Es hat aber offenbar ein älteres Gedicht dabey zum Grunde gelegen, dessen auch am Ende erwähnt wird.
  283. Der Auszug, der in der Bibliothek der Romane steht, weicht ganz von der Edition ab, die ich vor mir habe. In dieser steht ganz kurz: Cependant qu’il êtoit prisonnier, avoit fortifié leurs loyales amours, et par tant de fois, que la Dame se trouva grosse d’enfant. Jener Auszug schiebt hier Umstände ein, um den Fall des Mädchens zu beschönigen.
  284. Ha! Dame, disoit Ogier, laissez ces paroles; car Vous pouvez cognôitre la layouté, qui est en moi, et tant que Dieu me donnera vie, je ne Vous oubliérai. Mais pour l’amour de Vous ferais de beaux faits d’armes, quelque part que je sois, et moi retourné, s’il plaist à Vôtre pere, je Vous épouserai, et prendrai à femme.
  285. Car tout force surmonte à voir si noble image et si douce portraiture.
  286. Fauce putain, fauce paillarde.
  287. J’aimerai mieux endurer grand tourment, que de fausser ma loi.
  288. Bons passetemps.
  289. Pour la marier à son plaisir.
  290. Pourquoi m’est necessaire d’avoir quelque noble entendement.
  291. Dahin gehört vorzüglich: die Fee Morgue, das irdische Paradies, die Wundergeschichten in dem Gefängnisse des Königs Artur, der Brunnen der Jugend, und mehr als Alles das, das ganze Benehmen der Helden gegen ihre Freunde und Feinde, die Anhänglichkeit Caraheus an seinem Glauben u. s. w.
  292. [126] Unter andern der Umstand mit dem Holzscheit[WS 89], der aus der Fabel des Meleager genommen ist.
  293. Lancelot, Artur, Morgane und andere Personen aus dem Cyclus der Tafelrundemythen werden angeführt.
  294. Der Graf Tressan setzt sogar in dem Discours preliminaire zu dem Corps d’extrait de Romans de Chevalerie auch den Ogier ins vierzehnte Jahrhundert und nach allen Romanen von der Tafelrunde. Allein nach dem Grade der Kultur, die darin herrscht, zu urtheilen, muß er für älter gehalten werden.
  295. Ich habe folgende Uebersetzung zu Rathe gezogen: The brittish History, translated into English from the Latin of Jeffrey of Monmouth, by Aaron Thompson. London 1718. Das Original ist lateinisch geschrieben.
  296. Sprengel, Geschichte von England, (Allg. Weltgesch. 47ter Theil.) S. 91. behauptet, diese Sagen wären lange vor Gottfried bekannt gewesen.
  297. Der Graf Tressan behauptet in seinem Corps d’extraits de Romans, er sey zwischen 1110 – 1120 lateinisch geschrieben. Le Grand setzt ihn ans Ende des zwölften Jahrhunderts, und behauptet, er sey der erste, der ursprünglich in Prosa geschrieben worden. Ich weiß nicht, worauf sich diese Behauptung gründet. Aber ich halte ihn, nach dem geringern Grade von Ausbildung der Rittergebräuche zu urtheilen, für älter als die übrigen Romane von der Tafelrunde: z. E. Lancelot dü Lac, Perceforest, u. s. w. Aber wohl verstanden, in so fern wir diese in Prosa und weitläuftiger Ausdehnung besitzen. Denn kürzere Gedichte, welche sich mit den Begebenheiten dieser Helden, so wie auch Tristans, beschäftigt haben, sind gewiß schon früher vorhanden gewesen, da unser Roman darauf, als auf etwas Bekanntes, Beziehung nimmt.
  298. Son coeur monta en orgueil et en bombant pour la Demoiselle.
  299. Dinadam sagt unter andern: Oncques certes pour Dames ne pour Demoiselles ne me penay armes porter. Amours ne me poignent pas de si dures aiguilles, que j’en mette à mort mon corps pour elles. – Comment, sagt Yseult, Vous êtes Chevalier errant, et si n’aimez pas par amours?
  300. St. Palaye nach der deutschen Uebersetzung im zweyten Theile S. 265 bis 276. Meiners Geschichte der Weiber S. 246 und ff.
  301. Klübers Uebersetzung des St. Palaye S. 230 des ersten Theils.
  302. Diese waren befriedete Personen. In dem allemannischen und sächsischen Landrechte werden Geistliche, Frauenzimmer und Juden darunter gerechnet, und in eine Klasse gesetzt. S. Fischers Geschichte des deutschen Handels erster Theil S. 363.
  303. Et par la Creffe Dieu, encore parlerons nous, Vous et moy, de ceste Journée en chambre devant les Dames. Histoire du Roi St. Louis par Joinville, Edit. de du Cange à Paris 1668. p. 47.
  304. Die ersten Anleitungen zur Wohlerzogenheit rührten von den Mönchen her. Sie waren Frucht des Nachdenkens, nicht der Erfahrung in der größeren Welt. Ich habe ein Buch vor mir, das in dieser Rücksicht sehr interessant ist. Bienseances de la Conversation entre les hommes, eine Uebersetzung des [160] Lateinischen Communis vitae inter homines scita Urbanitas. Lyon 1623.
  305. Man vergleiche Thomas sur les femmes, p. 71 seq.
  306. Z. B. Charron, Montaigne u. s. w.
  307. In seinem Essais sur les femmes, p. 91. et seqq.
  308. Henrici Cornelii Agrippae ab Nettesheym de nobilitate et praecellentia feminei sexus, ejusdemque supra virilem Eminentia.[WS 98] Libellus lectu jucundissimus. Ich habe eine Ausgabe vor mir, die zu Haag 1653 gedruckt ist.
  309. Thomas Essais sur les femmes liefert S. 100 u. f. ein Verzeichniß mehrerer Schriftsteller über diese Materie, die sich noch leicht durch andere vermehren ließen. So habe ich ein Werk vor mir. La bella e dotta diffesa delle Donne in Verso e Prosa di Messer Luigi Dardano, Gran Cancelliero dell’ Illustrissimo Senato Venetiano. In Venetia 1554.
  310. Il labirinto d’Amore.
  311. L’Alphabet de la Malice des[WS 100] femmes à Paris 1716. par Jaques Olivier Licentié en droit. Es ward in dem nehmlichen Jahre widerlegt in der Schrift la defense des femmes par le Capitaine Vigoureux. Darauf folgte sogleich von dem Verfasser der ersten Schrift, der sich nunmehr nannte, La reponse aux impertinences de l’aposté Capitaine Vigoureux. Im folgenden Jahre trat der Chevalier de l’Escale mit einem Werke hervor unter dem Titel: le Champion des femmes!
  312. Maria Equicola d’Alueto, Di natura d’Amore, Venetia 1587. L. II. cap. 2.
  313. Nichts ist in dieser Rücksicht merkwürdiger, als ein kleines Werk des Raymundus Lullius: Blanquernae Anachoretae interrogationes et responsiones 365. de Amico et Amato Raymundo Lullio Eremita auctore claruit circa annum Domini 1311. Libellus omnibus viris spiritualibus non minus jucundus quam utilis Parisiis 1585. Hierin sind für alle Tage des Jahrs kurze Unterredungen zwischen dem Menschen und Gott enthalten, die hier in dem Verhältnisse von Liebhaber und Geliebten erscheinen. Es herrscht der höchste Ausdruck der Leidenschaft darin, und es leidet bey mir keinen Zweifel, daß die Niederwürfigkeit, Zerknirschung, [170] und Selbsttödtung, welche nach den Ideen der Mystiker der höchste Beweis der Liebe gegen Gott ist, auf die Art, wie man die Liebe zum Geschlecht zu veredlen gesucht hat, von dem größten Einflusse gewesen ist.
  314. Ich habe eine französische Uebersetzung vor mir gehabt, die von Symon Silvius, dit J. de la Haye, valet de Chambre de Marguerite de France Royne de Navarre verfertigt und zu Poitiers 1546 heraus gekommen ist.
  315. Ich habe eine Ausgabe vor mir die 1587 zu Venedig herausgekommen ist.
  316. Von dem Werke des Platina habe ich eine Ausgabe vor mir. Der Titel lautet: Veneres et Cupidines venales, Augustini Niphi Itali. Accedit Baptista Platina de Remedio Amoris. Lugd. 1646.
  317. Ich habe eine französische und spanische Uebersetzung vor mir. Die französische heißt: Philosophie d’amour de Mr. Leon Hebreu; par le Seigneur du Parc Champenois, Paris 1577. Die spanische: Los Dialogos d’Amor de Mestre Leon Abarbanel medico e filosofo. En Venetia 1568.
  318. Ich habe Due Lezzioni di M. Benedetto Varchi, l’ una d’amore, l’ altra della Gelosia, con alcune utili e dilettevoli quistioni, da lui nuovamente aggiunte. In [182] Lione 1560, und dann Lezzioni d’amore di Benedetto Varchi; Fiorenza 1561 vor mir.
  319. Ich habe eine französische Uebersetzung vor mir: Les Azolains de Bembo. 1555. en douze.
  320. Dialoghi di M. Ludovico Dominichi. Venezia 1562.
  321. Dialogo della Bellezza, detto Antos, secondo la Mente di Platone. In Venezia 1581.
  322. Prose di M. Agnolo Firenzuola Fiorentino[WS 104] 1552. In Firenza.
  323. Psafone Trattato d’Amore del Melchiore Zoppio. In Bologna 1590. Eine vermehrte Auflage ist 1627 herausgekommen. Psafone ist ein afrikanischer Prinz, der in den Gärten der Hesperiden lebt, um göttliche Ehre zu erlangen, mehrere Vögel abrichtet: il Gran Psafone zu rufen, und durch diese nachher seinen Ruf in der ganzen Welt ausbreiten läßt. Dieser Psafone ist Amor. Eine erbärmliche Allegorie!
  324. Augustini Niphi Medici de pulcro et amore Libri II. Lugduni 1549. eine zweyte Ausgabe ist von 1641.
  325. Discorsi del Conte Annibale Romei Gentilhuomo Ferrarese. In Venezia 1619.
  326. Essays de Montaigne. Liv. I. ch. 27. Liv. III. ch. 5.
  327. Petri Godofredi Carcasonensis Icti. Proc. Reg. in fide Dialogus de amoribus. Antwerpiae 1553.
  328. Genealogie de l’amour par Jean de Veyries, Docteur en Medicine. Paris 1610.
  329. Z. B. Traité de la Jalousie, ou Moyens d’entretenir la paix dans le Marriage. Paris 1682. Exercices de Josias Macherault de Chalons sur Marne, touchant l’amitié. Geneve 1611. etc.
  330. Ich habe das Original, aller angewandten Mühe ungeachtet, nicht einsehen können, und ich zweifle, daß es im nördlichen Deutschlande aufzutreiben sey. Die göttingische und wolfenbüttelsche Bibliothek enthalten es nicht. Die Uebersezzung, die ich zu Rathe gezogen habe ist von des Essars, Nicolas de Herberay: Ausgabe von 1550.
  331. Ich habe zwey Uebersetzungen vor mir: eine italiänische, die 1537 von Messer Lelio[WS 105] di Manfredi, Ferrarese, verfertigt, und zu Venedig herausgekommen ist. Die letzte deutsch vom Freyherrn Khuefsteiner 1660. Diese ist viel weitläuftiger als die erste.
  332. So nennt sie der deutsche Uebersetzer. Der Italiäner anders.
  333. L’Astreé de Mr. d’Urfé à Paris 1733. T. II. p. 189.
  334. Man erinnere sich an die Contes de la Reine de Navarre und an Rabelais aus dem sechzehnten Jahrhunderte. Ihre Nachahmer dauerten im siebzehnten Jahrhunderte fort. Man vergleiche: Gordon de Percel de l’Usage des Romans T. II. p. 254 und 310. Uebrigens herrschte in den asotischen Produkten dieser Zeit eine Plattheit, welche den guten Geschmack eben so sehr wie die Sitten beleidigt. Brantome ist gleichfalls hierher zu rechnen.
  335. Man findet ihn in des Hilarii Drudonis Practica artis amandi. Amstelodami 1652.
  336. S. unter andern den Auszug aus dem Libius Disconius, den Percy in den Reliques V. III. Introd. p. XVII. liefert.
  337. Außer dem Ritter Wigoleis vom Rade, den die deutsche Bibliothek der Romane anführt, nenne ich hier noch eine andere Komposition dieser Art, die wenig bekannt ist, und sich auf der Wolfenbüttelschen Bibliothek befindet: Eine schöne und liebliche History von dem edeln und theuren Ritter Galmien und von seiner züchtigen Liebe, so er zu einer Herzogin getragen hat, welche er in eines Mönchs Gestalt von dem Feuer und schändlichen Tod erlöst hat, zuletzt zu einen gewaltigen Herzogen in Brittannien erwählt, und mit schönen Figuren angezeigt. Am Ende steht: Gedruckt zu Straßburg bey Jacob Frölich im Jahre 1548. Ich stehe inzwischen nicht dafür ein, daß der Roman auf deutschem Boden gewachsen sey. Der Plan ist sehr gut angelegt. Schade daß ihm die Ausführung nicht entspricht.
  338. Millot hist. des Troubadours T. 2. p. 105. Article Savary de Mauléon.
  339. Dieß thut der Präsident Rolland, Recherches sur les prérogatives des Dames chez les Gaulois, sur les cours d’amours etc. à Paris, 1782. Herr Klüber hat, meiner Einsicht nach, mit Unrecht dieser höchst unkritischen Kompilation sein Vertrauen geschenkt. Uebers. von St. Palaye T. II. 260.
  340. Crescimbeni della volgar poesia. Memoires de la vie de Petrarque par l’Abbé de Sade in den Noten.
  341. Velly hist. de France. T. III. p. 242.
  342. Fauchet hist. des anciens poetes François. T. II. p. 578.
  343. Ich habe eine französische Uebersetzung vor mir. Treizes élegantes Demandes d’amours premierement composées par le trèsfaconde Poëte Jéhan Bocace et depuis translatées en François 1541 à Paris in 16.
  344. Z. B. Es wird gefragt, wer den Vorzug in der Liebe verdiene, der Tapfere oder der Weise? Wer die größten Aufopferungen [243] in der Liebe mache, derjenige, der seine Ehre oder der sein Leben, oder seine Güter hingiebt? u. s. w.
  345. Recherches sur les prérogat. des Dames p. 130.
  346. Millot hist. des Troub. T. I. article Cabestaing.
  347. Villaret hist. de France. T. XII, p. 97. Memoires de l’académie des inscriptions T. VII. p. 287. Melanges tirés d’une grande Bibliotheque. T. IV. p. 244.
  348. Beym Rolland Recherches S. 163 findet man nähere Nachrichten. Er behauptet aber ohne Grund, daß diese Cour amoureuse ihrer Einrichtung nach von den älteren Cours d’amours verschieden gewesen sey, weil jene den Charakter des Ernstes an sich getragen hätten. Dieser Ernst läßt sich nicht erweisen, und wird willkührlich vorausgesetzt.
  349. Hist. de Provence. T. II. Livre 3. p. 216–219.
  350. Der vollständige Titel heißt: Droits nouveaux publiez de par Messieurs les Senateurs de Cupido, sur lestat et police Damour pour avoir entendu le plusieurs amoureux et amoureuses. Avec Privilege. Am Ende heißt es: Lecta, publicata et registrata in parlemento amoris audito procuratore generali in vigilia Regum 1540. Es ist möglich, daß dieß Werk eben dasselbe sey, welches Rolland p. 43. von Coquillart unter dem Titel droit nouveaux d’amour anführt. Allein dann ist dieß letzte eine Abkürzung der arrêts d’amour von Martial d’Auvergne, die mir nicht zu Gesicht gekommen sind. Rolland selbst scheint es nur aus der Description de l’arc de triomphe d’Aix zu kennen.
  351. Il est permis à tous Masques taster, baiser, accoler, et passeront laisement, sauf aux demoiselles leurs defenses au contraire.
  352. Der vollständige Titel heißt: le Pourquoy d’Amours, auquel sont contenus plusieurs questions, demandes, ou problemes de ceste matiere desquelles s’ensuyvent les solutions et reponses, deduites par authoritez de raison naturelle, matiere fort joyeuse et delectable a ceulx principalement qui ont suyvi, suyvent, et ont desire de suyvir la triumphante Court du Seigneurial prince Cupido 1573. à Lyôn chez Morice Roy et Louys Pesnol mit gothischen Lettern in 16mo.
  353. Dahin gehören z. B. die Raguali di Amore e di Cipro. Venetia 1646. eine Sammlung von Erzählungen, [248] Aufzügen, Gerichtshaltungen, witzigen Unterredungen, u. s. w. die zum Zeitvertreib am Hofe der Venus beygetragen haben sollen.
  354. Dahin gehören unter den ältern die Dubbi amorosi di Gia Giacomo Canlandra Mantovano, welche bereits Equicola anführt: die Quistioni und Dubbi d’amore von Varchi, Zoppius, M. Agn. Firenzuola, Dominichi, Romei, die den von diesen Verfassern angezeigten Werken angehängt sind: Dubbi amorosi di Gia Franc. Loredano in Venezia 1652. u. s. w.
  355. Man findet sie auf der Wolfenbüttelschen Bibliothek. Rolland spricht davon, als wenn er das Werk nur vom Hörensagen kennte.
  356. Vergleicht Thomas Essay sur les femmes. Meiners Geschichte der Weiber. St. Foix Essays historiques sur Paris. Rolland sur les Prerogatives[WS 115] des Dames Gauloises, St. Palaye, u. s. w.
  357. Merkwürdig ist die Anekdote eines deutschen Ritters von großem Nahmen und ausgebreitetem Rufe, Reinharts von Westerburg. Er war beständig im Gefolge des Kaysers Ludwigs des Bayern, und zeichnete sich zu gleicher Zeit durch seine Ritterthaten und seine Gedichte aus. Als er einst nach einer Niederlage der Bürger zu Koblenz mit dem Kayser ritt, machte er folgende Verse:

    Ich dürfte den Hals mir brechen, wer rächet mir den Schaden dann?
    So hätt ich niemand der mich räche, ich bin ein ungefreundter Mann.
    Auf ihr (der Weiber) Gnad’ acht’ ich kleine Sach,
    Das laß ich sie verstahn, u. s. w.

    Erst als er auf Befehl des Kaysers das Gedicht „zu Ehren der Frauen“ bessern mußte, sang er:

    In Jammers Nöthen ich gar verbrinn
    Durch ein Weib so minniglichen, u. s. w.

    worauf der Kayser sagte: Westerburg hat es wohl gebessert. S. Klübers Uebersetzung des St. Palaye Th. 2. S. 58.

  358. St. Foix T. IV. S. 13.
  359. Warton Geschichte der englischen Dichtkunst. S. 256.
  360. Memoires de l’academie des Inscr. et belles lettres. T. XX. p. 403.
  361. St. Palaye noch der Klüberschen Uebersetzung 2. Th. S. 262.
  362. Ein anonymischer Schriftsteller behauptet in den Essays sur divers Sujets interessans de Politique et de Morale 1761. T. 1. Essay II. der Nahme Galanterie sey unter Franz dem Ersten aufgekommen.
  363. Vergl. St. Palaye und Alexanders history of Women.
  364. Wie leichtsinnig, wie ausgelassen die Franzosen damahls über die Galanterie dachten, sieht man aus des Brantome femmes galantes.
  365. Der Duc de la Rochefaucault richtete folgende Verse an Mad. de Longueville.

    Pour meriter son coeur, pour plaire à ses beaux yeux,
    J’ai fait la guerre aux Rois, je l’aurois faite aux Dieux.

    S. Thomas sur les femmes p. 165.

  366. Ihr früheres Werk, Zaide, hat lange diesen Werth nicht.
  367. Voiture rühmte sich: d’en avoir conté depuis le Sceptre jusqu’ à la houlette, et depuis la Coronne jusqu’ à la cale.
  368. Es ließe sich eine interessante Vergleichung zwischen Bernard und Ovid in Rücksicht ihrer Begriffe von Sittlichkeit und Anstand anstellen. Im Allgemeinen herrscht doch mehr Egoismus, mehr Frivolität, mehr wahre Verdorbenheit bey dem Franzosen als bey dem Römer. Dieser kennt wenigstens dauernde Anhänglichkeit: er lehrt das Mädchen, das uns gefällt, erweichen, (exorare,) und wenn wir seine Gunst erhalten haben, diese zu bewahren. Der Franzose hingegen sucht sein Mädchen zu entflammen, und zu genießen. (enflammer et jouir.)
  369. Essays sur divers sujets interessans de Politique et de Morale 1761 ohne Druckort. T. I. Ess. 2. sur l’amour et la Jalousie.
  370. Man vergl. eine Note im 5ten Buche des Emil: Je sais, que les femmes, qui ont ouvertement pris leur parti sur un certain point, prétendent bien se faire valoir de cette franchise, et jurent, qu’à cela près il n’y a rien d’estimable, qu’on ne trouve en elles. Mais je sais bien aussi, qu’elles n’ont jamais persuadé cela qu’à des Sots.
  371. Je sais fort bien distinguer en Vous l’empire, que le coeur a sçu prendre, du delire d’une imagination échauffée.
  372. Ueber die Liebe gegen das andere Geschlecht, ein Lesebuch für Jünglinge und Mädchen. Winterthur 1783. Ueber die Liebe, allen liebenden Jünglingen und Mädchen gewidmet. Leipzig 1795. Herder und Schlosser haben über die Liebe in einer weiteren Bedeutung geschrieben: Der erste in seinem Aufsatze: Liebe und Selbstheit; letzterer in der Fortsetzung des platonischen Gesprächs von der Liebe. Hannover 1796. Die Beurtheilung dieser Schriften liegt außer den Grenzen, die ich mir gesetzt habe. Doch kann ich mich nicht enthalten, Herdern für die schönen Blumen zu danken, die er nach seiner Weise über diesen Gegenstand ausgestreuet hat.
  373. Die Bedeutung des ersten Worts ist von selbst klar. Patito heißt ein Gelittener: Cicisbeo ein Ohrenflüsterer.
  374. Jo ho l’onore di servirla.
  375. Libr. II. §. 28. p. 232.
  376. Lettere Critiche, giocose Morali, Scientifiche ed erudite del Conte Agostino Santo Pupieri, o sia del avocato Guiseppe Antonio Costantini. Venezia 1768. T. I. p. 34.
  377. Lettera sopra la Cicisbeatura Scritta dal Signore T. B. Irlandese. dedicata alla Signora Strozzi Ugucioni – und Lettera seconda sopra la Cicisbeatura, scritta da un Signore Inglese, à S. E. il Sig. Duca N. N.
  378. Ragguaglio dei Costumi, e delle maniere d’Italia, con osservazioni sopra gli sbagli presi da certi Viaggiatori nello scrivere di questo paese.
  1. Thomas Christian Tychsen (1758–1834), Professor der Philosophie in Göttingen.
  2. Vorlage: dieser (siehe Verbesserungen)
  3. Vorlage: unserer (siehe Verbesserungen)
  4. Vorlage: Die Weiber aber (siehe Verbesserungen)
  5. Vorlage: keine (siehe Verbesserungen)
  6. Vorlage: eine Klasse, woraus die sogenannten Freundinnen, (Hetären,) (Freudenmädchen, hergenommen wurden,) (siehe Verbesserungen)
  7. Vorlage: Troja (siehe Verbesserungen)
  8. Vorlage: hinter Vettern fehlt das Komma (siehe Verbesserungen)
  9. Vorlage: von (siehe Verbesserungen)
  10. Vorlage: hinter Gattin fehlt das Komma (siehe Verbesserungen)
  11. Vorlage: nur (siehe Verbesserungen)
  12. Vorlage: hinter waren fehlt das Komma (siehe Verbesserungen)
  13. Vorlage: Sehr auffallend ist es (siehe Verbesserungen)
  14. Vorlage: das Klugheit, Muth und Sittsamkeit gepaart, (siehe Verbesserungen)
  15. Vorlage: ihren
  16. Vorlage: wurde
  17. Vorlage: Perseus (siehe Verbesserungen)
  18. Vorlage: leidenschaftlicher (siehe Verbesserungen)
  19. Vorlage: Philophen
  20. Vorlage: entwickeln, (siehe Verbesserungen)
  21. Vorlage: ersten (siehe Verbesserungen)
  22. Vorlage: hinter Vermögen fehlt das Komma (siehe Verbesserungen)
  23. Vorlage: Nikeratus (siehe Verbesserungen)
  24. Vorlage: mehmen
  25. Vorlage: Ergetzung (siehe Verbesserungen)
  26. Vorlage: Aristenant (siehe Verbesserungen)
  27. Vorlage: treiben (siehe Verbesserungen)
  28. Vorlage: hinter der fehlt das Komma (siehe Verbesserungen)
  29. Vorlage: berühmten (siehe Verbesserungen)
  30. Vorlage: Semikola hinter Genuß und Unterhaltung (siehe Verbesserungen)
  31. Vorlage: Sinnlichket
  32. Vorlage: Ausdruck (siehe Verbesserungen)
  33. Vorlage: bößen (siehe Verbesserungen)
  34. Vorlage: Krigestugenden
  35. Vorlage: unnenbaren
  36. Vorlage: der Satz fehlt (siehe Verbesserungen)
  37. Vorlage: Endemiorum (siehe Verbesserungen)
  38. Vorlage: die die
  39. Vorlage: angesessener (siehe Verbesserungen)
  40. Vorlage: hinter hatte fehlt das Komma (siehe Verbesserungen)
  41. Vorlage: vorstor- (siehe Verbesserungen)
  42. Vorlage: und und
  43. Vorlage: wollten (siehe Verbesserungen)
  44. Vorlage: hinter Sinnlichkeit fehlt das Komma (siehe Verbesserungen)
  45. Vorlage: verknüft
  46. Vorlage: der der (siehe Verbesserungen)
  47. Vorlage: endlich über eine (siehe Verbesserungen)
  48. Vorlage: äusterer
  49. Vorlage: eiander
  50. Vorlage: Carm. 6. v. 8. (siehe Verbesserungen)
  51. Vorlage: hinreichen (siehe Verbesserungen)
  52. Vorlage: des
  53. Vorlage: verehrte […] begleitete (siehe Verbesserungen)
  54. Vorlage: Jahrhunders
  55. Vorlage: sonern
  56. Vorlage: mir und deiner (siehe Verbesserungen)
  57. Vorlage: Entbehrund
  58. Vorlage: beyde zeigen, sich so träumend (siehe Verbesserungen)
  59. Vorlage: erfolgte (siehe Verbesserungen)
  60. Vorlage: einem
  61. Vorlage: unnennbareen
  62. Vorlage: geduldigt
  63. Vorlage: nicht ein Mahl (siehe Verbesserungen)
  64. Vorlage: setzt es in der Anerkennung […] und in der Beförderung seines Wohls. (siehe Verbesserungen)
  65. Vorlage: näher (siehe Verbesserungen)
  66. Vorlage: Solze
  67. Vorlage: Wichtigkeit, und (siehe Verbesserungen)
  68. Vorlage: gehabt (siehe Verbesserungen)
  69. Vorlage: gedacht (siehe Verbesserungen)
  70. Nicht korrigiert trotz Verbesserungen.
  71. Vorlage: Abu (siehe Verbesserungen).
  72. Vorlage: Arabicae (siehe Verbesserungen)
  73. Vorlage: um (siehe Verbesserungen)
  74. Vorlage: hinter Verdachte fehlt das Komma (siehe Verbesserungen)
  75. Vorlage: hinter Tons steht ein Komma (siehe Verbesserungen)
  76. Vorlage: hinter sondern fehlt sogar (siehe Verbesserungen)
  77. Vorlage: ahndet (siehe Verbesserungen)
  78. Vorlage: zurückhalten der
  79. Vorlage: zeigen
  80. Vorlage: S. 29. (siehe Verbesserungen)
  81. Vorlage: Montagnogout (siehe Verbesserungen)
  82. Vorlage: zuschieben (siehe Verbesserungen)
  83. a b Vorlage: die Noten 44 und 45 fehlen (siehe Verbesserungen)
  84. Vorlage: Geschlechtsverbinduug
  85. nicht korrigiert, entgegen den Verbesserungen
  86. Vorlage: troisieme (siehe Verbesserungen)
  87. Vorlage: Josuas und Gideons Posaune (siehe Verbesserungen)
  88. Vorlage: Holzschnitt (siehe Verbesserungen)
  89. Vorlage: Holzschnitt (siehe Verbesserungen)
  90. Vorlage: Roboaster (siehe Verbesserungen)
  91. Vorlage: Holzschnitt (siehe Verbesserungen)
  92. Vorlage: Monmuth (siehe Verbesserungen)
  93. Vorlage: hinter schrecklichster fehlt das Komma (siehe Verbesserungen)
  94. Vorlage: nnd
  95. Vorlage: geliebte (siehe Verbesserungen)
  96. Vorlage: de (siehe Verbesserungen)
  97. Vorlage: hinter und am wenigsten fehlt in jedem, (siehe Verbesserungen)
  98. Vorlage: nobititateEmnientia (siehe Verbesserungen)
  99. Vorlage: hinter Scharfsinn steht ein Komma (siehe Verbesserungen)
  100. Vorlage: de (siehe Verbesserungen)
  101. Vorlage: in (siehe Verbesserungen)
  102. Vorlage: alle (siehe Verbesserungen)
  103. Vorlage: Aber nur den (siehe Verbesserungen)
  104. Vorlage: Fiorentnio
  105. Vorlage: Lelis (siehe Verbesserungen)
  106. Vorlage: Clissor (siehe Verbesserungen)
  107. Vorlage: heimliche (siehe Verbesserungen)
  108. Vorlage: zwöfte
  109. Vorlage: id hora Idegni (siehe Verbesserungen)
  110. Vorlage: Wiederhersterstellung
  111. Vorlage: es fehlt (siehe Verbesserungen)
  112. Vorlage: schlich (siehe Verbesserungen)
  113. Vorlage: hinter Cours steht ein Komma (siehe Verbesserungen)
  114. Vorlage: wurde! (siehe Verbesserungen)
  115. Vorlage: Preogatives (siehe Verbesserungen)
  116. Vorlage: zartere (siehe Verbesserungen)
  117. Vorlage: dem fehlt (siehe Verbesserungen)
  118. a b Vorlage: hinter vorigen fehlt das Komma (siehe Verbesserungen)
  119. Vorlage: Courteosie
  120. Vorlage: Cyruno (siehe Verbesserungen)
  121. Vorlage: auffallendste (siehe Verbesserungen)
  122. Vorlage: dauernder (siehe Verbesserungen)
  123. Vorlage: traulichem (siehe Verbesserungen)
  124. Vorlage: Verzärtelung einer (siehe Verbesserungen)
  125. Vorlage: Sie nahm, und gab nichts, (siehe Verbesserungen)
  126. Vorlage: könne (siehe Verbesserungen)
  127. Vorlage: Vergehen (siehe Verbesserungen)
  128. Vorlage: noch (siehe Verbesserungen)
  129. Vorlage: wie bloßen Werkzeugen (siehe Verbesserungen)
  130. Vorlage: ahnden (siehe Verbesserungen)
  131. Vorlage: ei