Deutsche Bilder/Nr. 5. Ulrich von Hutten

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Autor: Max Ring
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Titel: Deutsche Bilder/Nr. 5. Ulrich von Hutten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 37–38, S. 581–583, 598–600
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Deutsche Bilder.
Nr. 5.


Sickingen, von Hutten
auf der Ebernburg unterrichtet.

Das Ende des fünfzehnten und das des achtzehnten Jahrhunderts zeigen beide eine unverkennbare Aehnlichkeit: hier wie dort das Wehen einer neuen Zeit, das Morgenroth, welches die aufgehende Sonne verkündet, das Ringen des Menschengeistes, sich aus den Banden der alten Knechtschaft zu befreien. In beiden Fällen war es die Wissenschaft, welche den Kampf mit dem Despotismus aufnahm und in Deutschland die Reformation, wie später in Frankreich die Revolution herbeiführte. Gegen den Glaubenszwang und Geistesdruck der römischen Kirche erhoben sich die durch das classische Alterthum gebildeten Humanisten, die Lehrer und Vorläufer eines Luther, während die Encyklopädisten, Voltaire und Diderot an der Spitze, der Tyrannei des absoluten Königthums und einer entarteten, alle menschlichen Satzungen mit Füßen tretenden Aristokratie den Krieg erklärten. Die Gegner waren dieselben: unwissende Pfaffen, gemeine Höflinge, welche die Religion mit ihren fetten Pfründen, die Loyalität mit ihren einträglichen Stellen verwechselten und Thron und Altar zu schützen vorgaben, während sie nur ihre eignen Interessen und Privilegien im Auge hatten. Auch die Massen waren die nämlichen: von der einen Seite Geist, Witz und Gelehrsamkeit, von der andern Verleumdung, Hinterlist und Bosheit.

Um die Parallele bis zur fast vollkommenen Gleichheit zu erheben, fehlt in beiden großen geschichtlichen Perioden Erscheinung nicht, daß aus den Reihen des Adels und der Geistlichkeit selbst einzelne erleuchtete Männer hervorgegangen sind, welche die Gebrechen ihres Standes und die Nothwendigkeit einer gewaltsamen Umwälzung einsahen, sich ohne Zögern der neuen Bewegung anschlossen und dafür ihr Glück, ihr Leben opferten.

Solch ein wahrer Ritter des Geistes war der edle Ulrich von Hutten, der aus einem alten angesehenen Geschlechte an der Grenze von Franken und Hessen stammte, wo die Stammburg seiner Ahnen drei Meilen von Fulda entfernt sich mit ihren stattlichen [582] Thürmen, Wällen und Zugbrücken erhob; jetzt ein öder Trümmerhaufen, aber noch immer die Stätte, welche jedem Deutschen heilig ist und bleibt. Ulrich wurde auf dem Schlosse Steckelberg am 20. April 1488 geboren. Der lebhafte Knabe zeigte gute Anlagen und große Lernbegierde, so daß seine frommen Eltern beschlossen, ihn dem geistlichen Stande zu widmen. Sie brachten den zehnjährigen Knaben nach der einst berühmten Klosterschule Fulda, wo er einen guten Unterricht genoß und bedeutende Fortschritte machte. Aber das ruhige und beschauliche Mönchsleben sagte seiner feurigen und unstäten Natur am wenigsten zu; sein ritterlicher Sinn, der ihm angeboren war, sträubte sich dagegen, und eine Ahnung, daß er zu Höherem geboren sei, als Messe zu lesen und die Hora zu singen, trieb ihn der Freiheit in die Arme. Noch bevor er das für ewig bindende Gelübde abgelegt, entfloh er 1504 nach Erfurt. Hier fand er Gönner, die ihn unterstützten, Freunde, welche ihn in seinen Studien förderten, Lehrer, die seinem aufstrebenden Geiste eine bestimmte Richtung gaben.

Damals ging ihm zuerst das neue Licht des Humanismus auf; der Geist des classischen Alterthums wirkte, wie auf so viele seiner Zeitgenossen, auch auf ihn befruchtend, die Nebel der scholastischen Philosophie verscheuchend und die Bande des religiösen Vorurtheils zersprengend. Es war die schöne Blüthenzeit der wiedererwachten Wissenschaft, das Auferstehungsfest der griechischen und römischen Bildung, welche auf den jungfräulichen Boden deutscher Tiefe und sittlichen Ernstes fiel. Jünglinge und Männer schwelgten an dem Busen der Weisheitsgöttin und badeten in dem Strome der ewigen Schönheit, der aus dem glücklichen Hellas ihnen entgegen floß. Mit gleicher Liebe umfaßten sie den christlichen Himmel und den heidnischen Olymp, Götter und Heilige, Apostel und Philosophen.

In solcher Schule und Umgebung lebte und strebte Hutten auf der Universität zu Erfurt, bis er seinem geliebten Lehrer Rhagius auf die durch den Kurfürsten Joachim I. von Brandenburg gestiftete neue Hochschule zu Frankfurt an der Oder folgte, wo ihm der edle Ritter Eitelwolf von Stein reichliche Unterstützungen zufließen ließ. Aber auch hier faßte ihn jene unwiderstehliche Wanderlust, die ihn von Ort zu Ort, von Land zu Land ohne Ruh und Rast trieb. Wie die fahrenden Ritter einer früheren Zeit, zog auch er auf Abenteuer aus, lockte es auch ihn, große und rühmliche Thaten zu Ehren seiner Dame zu bestehen, welche die Göttin der Wissenschaft war. Das ritterliche Blut regte sich in ihm und reizte ihn zu Kampf und Streit, bald mit der Lanze und dem Schwert, bald mit der spitzen Feder und der tönenden Lyra. So kam er wandernd und von jener Krankheit gequält, welche als pestartige Seuche damals zuerst in Europa erschienen war und keineswegs, wie heut, für die Folge schimpflicher Ausschweifungen gehalten wurde, nach dem nördlichen Deutschland. In Greifswalde und Rostock fand der junge Gelehrte vielfache Beachtung und gastliche Aufnahme, aber auch mancherlei Unannehmlichkeiten von Seiten einer habsüchtigen Familie, die ihn wegen einer Schuld, welche er nicht sogleich zu bezahlen im Stande war, auf offener Straße von bewaffneten Dienern überfallen und ausplündern ließ. Hutten rächte sich durch ein Gedicht, worin er seine Gegner der Verachtung preisgab. Jene Gewaltthat hatte ihn zum Dichter gemacht, das erlittene Unrecht ihn zum Mann gereift. Von nun an stand sein Geist im Dienste des unterdrückten Rechts gegen die Tyrannei der Mächtigen.

Von Wittenberg, wohin er sich zur Vollendung seiner humanistischen Studien begeben, knüpfte der verlorene Sohn wieder mit der Heimath an, indem er durch Vermittlung eines Freundes seinem Vater schrieb. Dieser erklärte sich bereit, seine Flucht ihm zu verzeihen, wenn Hutten zurückkehren, seine Narrenspossen, worunter die Wissenschaften und die Poesie verstanden wurden, für immer aufgeben und sich den einträglichen Rechtsstudien widmen wollte. Unter diesen Bedingungen verzichtete der praktische Vater auf seinen früheren Lieblingswunsch, den Sohn als Mönch zu sehen.

Kindliche Liebe und augenblickliche Geldnoth ließen ihn die Sache annehmbar finden; er kehrte in die Heimath zurück, wo er sich mit den Eltern aussöhnte; hierauf reiste er nach der berühmten Universitätsstadt Pavia in Italien, um unter Anleitung eines dort angesehenen Verwandten das römische Recht zu studiren. Bald nach seiner Ankunft kam es jedoch zum Kriege zwischen dem Kaiser Max und den Franzosen, welche Pavia besetzt hielten. Die vom Papst herbeigerufenen Schweizer erstürmten die Stadt und nahmen auch Hutten, trotzdem er ein Deutscher war, gefangen. Nur durch Aufopferung seiner ganzen Habe konnte er sich von ihnen loskaufen, so daß ihm nichts übrig blieb, als selbst Kriegsdienste zu nehmen, um nur sein Leben zu fristen.

Endlich gelang es ihm, wieder in die Heimath, wenn auch krank und elend, zurückzukehren. Leider entsprach der ihm zu Theil gewordene Empfang im elterlichen Hause nicht seinen Erwartungen. Der Vater war besonders unzufrieden, daß der Sohn ohne den gehofften Titel eines Doctor juris von der Universität gekommen war; seine begründeten Entschuldigungen wurden nicht gehört, und er selbst für einen ausgemachten Thunichtgut erklärt. Besser wußte sein alter Gönner, der Ritter Eitelwolf von Stein, das Talent und die Kenntnisse des jungen Gelehrten zu würdigen; er empfahl ihn nach Mainz dem neu erwählten Erzbischof Albrecht von Brandenburg, welcher ebenfalls daselbst eine Hochschule zu stiften beabsichtigte und zu diesem Behufe viele tüchtige Männer an sich zog. Auf den Rath seines Beschützers richtete Hutten zur Feier des Regierungsantritts ein Gelegenheitsgedicht an den Erzbischof, wofür ihm dieser zweihundert Goldgulden auszahlen ließ und das Versprechen gab, ihn nach vollendeten Studien an seinem Hofe anzustellen. In Mainz war es auch, wo Hutten die Bekanntschaft des berühmten Erasmus machte, für den er als das eigentliche Haupt der humanistischen Richtung eine fast religiöse Verehrung empfand. Leider starb bald darauf der gute Eitelwolf, mit ihm sanken auch Hutten’s Aussichten in das Grab.

Seine fortwährende Kränklichkeit zwang ihn, das Bad Ems zu besuchen; hier erhielt er die Nachricht von der grausamen Ermordung seines Vetters Hans von Hutten durch den Herzog Ulrich von Würtemberg, dessen Freund und Stallmeister jener war. Der Grund dieser furchtbaren That, die selbst in jener gewaltthätigen Zeit das größte Aufsehen erregte, war die Liebe des Fürsten zu der schönen Ursula, der Gattin seines Dieners. Weil dieser, um die Ehre seiner Frau besorgt auf den Rath seiner deshalb befragten Verwandten den Hof verlassen wollte, überfiel der jähzornige Herr auf der Jagd seinen früheren Günstling, indem er den Arglosen niederstach. Dem Morde fügte der Herzog noch eine Schmach hinzu; er schlang dem Leichnam einen Gürtel um den Hals und befestigte ihn an den zu Häupten des Todten in die Erde gestoßenen Degen, als hätte er nur ein gerechtes und ihm zustehendes Gericht an einem überwiesenen Verbrecher vollstreckt.

Die hinterlistige That schrie um Rache, die ganze Familie der Edlen von Hutten war beschimpft und tief verletzt; der alte Groll zwischen Fürsten und Adel, die sich gegenseitig mit eifersüchtigen Augen bewachten, loderte von Neuem hoch empor. Auch Ulrich fühlte die den Seinigen zugefügte Schmach und vergaß darüber die ihm oft zu Theil gewordene Geringschätzung seiner eigenen Verwandten. Während diese sich zum Kampfe gegen den Herzog rüsteten, griff er zu der Feder und schlug dem Mörder durch seine an die Öffentlichkeit gerichtete Anklage die tiefsten Wunden. Ohne Scheu und Menschenfurcht brandmarkte er die Stirn des fürstlichen Verbrechers in einer Reihe von Schriften, welche gelesen, bewundert und durch ganz Deutschland verbreitet wurden, so daß Kaiser und Reich sich bewogen fanden, den Herzog zur Verantwortung zu ziehen.

Nachdem Hutten so der Familienehre Genüge gethan und dadurch wieder in der Achtung seines unzufriedenen Vaters gestiegen war, wartete er nicht die ferneren Folgen seines kühnen Schrittes ab, indem ihm vor allen Dingen seine weitere humanistische Bildung am Herzen lag, die er in Italien zu erlangen hoffte. Diesmal war sein Vater um so mehr mit der Reise einverstanden, da er ganz gewiß hoffte, den Sohn mit dem juristischen Doctorhut bei seiner Rückkehr zu begrüßen. Hutten selbst hegte jedoch über das damals allgemein verbreitete römische Recht, dessen Lehrer und Kenner mit den höchsten Würden und Reichthümern überschüttet wurden, ganz abweichende Ansichten. Er erkannte zeitig genug die damit verbundenen Uebelstände. „Als hätte es nicht besser um Deutschland gestanden, ehe diese Menschen (Juristen) aufkamen mit ihren vielen Bücherbänden; dazumal, als hier nach Tacitus gute Sitten noch mehr galten als anderswo geschriebene Gesetze! Oder als ob noch jetzt nicht jedes Gemeinwesen um so besser verwaltet wäre, je weiter diese Glossatoren davon entfernt sind! Da sehe nur Einer jene Sachsen am baltischen Meere, wie sie ohne Aufschub und ohne [583] Gefährde Recht sprechen, indem sie zwar nicht die genauen Gesetzkrämer, aber die althergebrachten, heimischen Bräuche befragen; während hier eine Sache zwanzig Jahre zwischen sechsunddreißig Doctoren hangen kann.“ So richtig urtheilte, so genau erkannte schon damals Hutten den verderblichen Einfluß der römischen Gesetzgebung auf das gute, alte deutsche Recht.

Wie Luther ging auch Hutten diesmal nach Rom, um wie jener über die heillose Wirthschaft empört zurück zu kehren. Er schildert am besten in einem lateinischen Epigramm, an seinen Lehrer und Freund Crotus Rubianus gerichtet, den empfangenen Eindruck in sehr kräftiger Weise.

Wenn auch Hutten damals noch in lateinischer Sprache schrieb, so waren seine Gedanken wahrhaft deutsch. Dies bewies er auch durch die That, als er von Rom nach Bologna reiste, um daselbst seine Studien fortzusetzen. Unterwegs traf er mit einigen französischen Edelleuten aus dem Gefolge des Gesandten zusammen, die sich über den alten Kaiser Maximilian lustig machten. Hutten nahm sich seines Kaisers an; von Worten kam es zu Thätlichkeiten, und alle Fünfe fielen über ihn her; aber Hutten wußte sein Schwert nicht minder gut wie seine Feder zu gebrauchen; er stach den Nächsten nieder und schlug die übrigen Vier muthig in die Flucht.

Unterdeß hatte sich der Ruf des jungen Gelehrten nicht nur durch seine Reden gegen den Herzog Ulrich von Würtemberg, sondern auch durch verschiedene andere Streitschriften und meist politische Gedichte, worin sich eine tiefe Liebe zu seinem deutschen Vaterlande aussprach, immer mehr verbreitet, so daß sein Name schon damals mit hoher Achtung genannt wurde. Bald sollte derselbe noch berühmter werden durch seinen Antheil an dem Kampfe gegen die Kölner Pfaffen und Dunkelmänner, in den sich die aufgeklärten Humanisten gegen ihren Willen verwickelt sahen. Die Ursache dieses Streites war ein getaufter Jude Pfefferkorn, der nach Art solcher Apostaten seine frühern Glaubensgenossen vielfach anschuldigte und bei Kaiser und Reich darauf antrug, die Schriften der Juden ohne Ausnahme zu verbrennen. Dagegen erklärte sich der berühmte, durch Kenntnisse und Charakter gleich ausgezeichnete Reuchlin zu Köln in einem von ihm geforderten Gutachten mit ebenso großer Gelehrsamkeit als Unparteilichkeit. Als jedoch hierauf Pfefferkorn mit einer gemeinen Schmähschrift hervortrat, vertheidigte sich Reuchlin gegen all die albernen Anschuldigungen und Verleumdungen seines Gegners in seinem sogenannten „Augenspiegel“. Durch seine schöne Frau wußte der gemeine Pfefferkorn indeß ein Verbot gegen Reuchlin’s Buch von dem Pfarrer Peter Meyer zu erwirken und zugleich die Theologen der Kölner Universität auf seine Seite zu bringen, da die Meisten, dem verfolgungssüchtigen Dominicanerorden angehörig, Reuchlin wegen seiner Bildung und humanen Weltanschauung für einen ausgemachten Ketzer hielten.

Die Facultät bestätigte nicht nur das Verbot, sondern forderte einen förmlichen Widerruf, wogegen Reuchlin seine Vertheidigung veröffentlichte. Die Wirkung war ähnlich dem Aufsehen, welches in neuerer Zeit Lessing’s Auftreten dem orthodoxen Pastor Götze gegenüber in ganz Deutschland verursachte. Alle Freunde des Fortschrittes jauchzten dem ebenso kühnen, als besonnenen Reuchlin ihren Beifall zu, während seine Feinde, das heißt, alle Pfaffen und Heuchler, vor Wuth vergingen. An ihrer Spitze stand der berüchtigte Dominicanerprior und Ketzerrichter Jakob Hochstraaten, welcher Reuchlin’s Schriften öffentlich verbrennen ließ. Dieser appellirte dagegen an den Papst nach Rom; auch Hochstraaten eilte dahin, wohl mit Goldstücken ausgerüstet, um die vom Papst bestellten Richter zu bestechen. Zum Glück befand sich an der Spitze der Commission der ehrwürdige Erzbischof von Nazareth, der zu Reuchlin’s Gunsten entschied. Aber Leo X. fürchtete den mächtigen Predigerorden; weshalb er durch sein Machtwort den Proceß, ohne das gefällte Urtheil zu bestätigen, niederschlug und beide Parteien zur Ruhe verwies. Trotz dieses Ausganges feierte Reuchlin und in ihm die Partei der Humanisten einen glänzenden Sieg über seine Gegner. Diese wurden verhöhnt und verspottet und bald die Zielscheibe eines vernichtenden Witzes. Im Jahre 1516 erschien eine gegen diese Pfaffen und Ketzerrichter gerichtete Satire unter dem Titel: „Epistolae obscurorum virorum“, „Briefe der Dunkelmänner“, nach Form und Inhalt ein Meisterwerk der Kritik. Schonungslos wurde darin die Unwissenheit, Gemeinheit und Bosheit der Schwarzröcke aufgedeckt, ihre Schwächen enthüllt, ihr Verfolgungsgeist an den Pranger gestellt.

Diese Briefe waren für das damalige Deutschland ein Ereigniß von unabsehbaren Folgen, sie schlugen die pietistische Heuchlerzunft jener Tage wie ein flammender Blitz zu Boden und erhellten die dunkle Nacht. Die allgemeine Stimme bezeichnete sogleich Hutten als den Verfasser, ihm allein traute man diesen schneidenden Witz, den ritterlichen Muth zu, trotzdem er sich nicht genannt hatte. In der That hatte er auch im Verein mit gleichgesinnten Freunden diese Briefe geschrieben; die Mehrzahl rührt entschieden nach den neuesten Forschungen von ihm her, ebenso wie ein größeres Gedicht zur Verherrlichung Reuchlin’s. Als berühmter Mann kehrte diesmal Hutten aus Italien in das Vaterland zurück. In Augsburg, wo er in dem Hause des gelehrten Patriciers Conrad Peutinger die gastlichste Aufnahme fand, wurde er von diesem und andern Freunden in Gegenwart des Kaisers Maximilian dermaßen gerühmt, daß dieser ihn mit einem entsprechenden Lohn zu ehren beschloß. In feierlicher Sitzung setzte der selbst so poetische Fürst den von der Hand der schönen und tugendhaften Constanze Peutinger geflochtenen Lorbeerkranz dem Dichter auf das lockige Haupt, indem er ihn so vor aller Welt öffentlich krönte.

[598] Gern wäre Hutten in der Nähe des ritterlichen Herrn geblieben, aber die Pflicht der Dankbarkeit führte ihn an den Hof des Erzbischofs von Mainz zurück, wo er auch die versprochene Anstellung erhielt. Im Gefolge dieses Kirchenfürsten besuchte er auch den Reichstag zu Augsburg, den der Kaiser ausgeschrieben hatte, um gegen die dem Reiche von den Türken drohende Gefahr Hülfe zu verlangen. Hutten behandelte die Angelegenheit in einer ausführlichen Schrift, worin er die deutschen Fürsten und Ritter zur Einigkeit gegen den damaligen Erbfeind aufforderte, indem er über das alte Uebel seiner Landsleute, ihre Zerrissenheit, Eifersucht und Zwietracht klagte. „So bleibt,“ schrieb er damals, „unsere Tapferkeit stets eitel, unsere Kraft nutzlos, und unsere Nachbarn lassen uns wohl für gute Kämpfer, aber nicht für tüchtige Krieger gelten. Und das ist nicht der Soldaten, sondern vorzugsweise der Führer Schuld. Es lebt in Deutschland eine starke Jugend, große, nach wahrem Ruhm begierige Herzen: aber der Leiter, der Führer fehlt. So erstirbt die Kraft, die Tapferkeit spannt sich ab, und der glühende Thatendurst verkommt im Dunkeln.“

Noch kein Jahr verweilte Hutten am Hofe des Kurfürsten von Mainz, als er bereits das Hofleben so satt bekam, daß es ihm Gelegenheit zu einer Satire gab, die er seinem berühmten Freunde Wilibald Pirkheimer nach Nürnberg mit einem Briefe schickte, worin er seine Sehnsucht nach einer andern und bessern Thätigkeit aussprach. Er konnte nur einer Herrin dienen, der Freiheit, von der er in seiner „Zuschrift an alle freien und echten Deutschen“ folgendermaßen spricht: „In der That, wenn es Einen gibt, welcher die deutsche Freiheit so vernichtet wünscht, daß wir gegen kein Unrecht, keine Schmach mehr Einrede thun dürfen, der möge zusehn, daß nicht jene so geknebelte und fast erwürgte Freiheit einmal, zu der Unterdrücker größtem Schaden, plötzlich ausbreche und sich wiederherstelle. Wie weit klüger wäre es, verständig angesehen, wie viel gerathener vom Standpunkte unserer Unterdrücker aus, ihr immer noch etwas Athem zu lassen und sie nicht gar zu arg zusammenzupressen, als es dahin zu treiben, daß sie im Gefühl der drohenden Erstickung sich gewaltsam durch einen zerstörenden Ausbruch Luft machen muß! Denn einfangen und binden läßt sie sich wohl, zumal wenn es Einer schlau und geschickt anzugreifen weiß; umbringen und abschlachten aber läßt sie sich nicht, und sie ganz zu vernichten, ist unmöglich. Also Muth! und ihr, denen des Vaterlandes Freiheit am Herzen liegt, die ihr Deutschlands Ehre erkennt und noch nicht ganz dem Aberglauben verfallen seid, leset, waget Aehnliches und lebet wohl.“

Vor allen Dingen war es Hutten damals daran gelegen, die nöthige Muße zu einigen größeren literarischen Arbeiten zu gewinnen. Großmüthig entband ihn der Kurfürst von Mainz seiner Verpflichtungen, indem er ihm doch seinen ganzen Gehalt beließ. Zum Dank widmete er seinem Gönner die von ihm veranstaltete neue Ausgabe des Livius und eine Schrift über das Guaiak, ein medicinisches Mittel, dem er selbst seine Heilung von jener ansteckenden [599] Krankheit verdankte. Aber auch jetzt fand er nicht die gewünschte Ruhe, da ihn die veränderten Zeitereignisse in den Strudel der damaligen religiösen und politischen Bewegung fortrissen. Zunächst betheiligte er sich an dem Kriegszug des sogenannten schwäbischen Bundes gegen den alten Feind seines Geschlechtes, Herzog Ulrich von Würtemberg. Hier lernte er im Lager den edlen Franz von Sickingen, das Haupt der Ritterschaft, genauer kennen, „einen Mann,“ wie er an Erasmus schreibt, „wie Deutschland lange keinen gehabt hat, und von dem ich hoffe, daß er dieser Nation noch einmal zum großen Ruhme gereichen werde. Nichts bewundern wir an den Alten, dem er nicht eifrig nachstrebte. Er ist klug, ist beredt, greift Alles rasch an und entwickelt eine Thätigkeit, wie sie bei einem Oberanführer erforderlich ist – Gott möge den Unternehmungen des tapferen Mannes beistehen!“

Bald wurden Beide die innigsten Freunde, sie schliefen in demselben Zelte, sie aßen an demselben Tische und tranken aus demselben Becher. Ihre Herzen waren von derselben Liebe zum Vaterlande, von demselben Hasse gegen seine Unterdrücker und Tyrannen erfüllt. Auf Sickingen’s Burg fanden die Freunde der Wahrheit sicheren Schutz, sein starker Arm war stets bereit, die verfolgte Unschuld zu vertheidigen.

Unterdeß war in Deutschland durch Luther’s Auftreten die Reformation herbeigeführt worden. Anfänglich erblickte Hutten in dieser neuen Bewegung nur ein eifersüchtiges Mönchsgezänk, bald aber begriff er die hohe Bedeutung des gewaltigen Gottesmannes. Sogleich mit Luther Gemeinschaft zu machen, hinderte ihn wohl die Rücksicht auf seinen bisherigen Wohlthäter, den Erzbischof von Mainz. Dagegen bestimmte er seinen Freund Sickingen, dem verfolgten Reformator seinen Schutz anzubieten, und ihn zu sich auf die feste Ebernburg einzuladen, im Falle ihm Gefahr drohen sollte. Hutten selbst schloß sich mit dem ganzen Feuer seiner ungestümen Natur der neuen Bewegung an, indem er eine Reihe von Streitschriften gegen den Papst und die römische Kirche erließ. Eine mächtige Umwandlung war in seiner Seele vorgegangen: der classische Humanismus füllte ihn nicht mehr aus; er erkannte, daß die Gelehrsamkeit und die antiken Formen ohne einen tieferen Inhalt dem deutschen Volke nicht genügen konnten, daß neue Mächte auf dem Schauplatze der Weltgeschichte erschienen waren. Je tiefer er aber diese Wendung des Zeitgeistes erfaßte, desto ernster wurde sein Streben, desto gediegener seine Schreibweise, desto mehr näherte er sich wieder der heimischen, vaterländischen Auffassung, indem er seine ursprünglich deutsche Natur walten ließ und den Spielereien mit dem Alterthum entsagte.

Für diese große Umänderung legte zunächst sein erster Brief an Luther Zeugniß ab. „Es heißt,“ so schrieb ihm Hutten, „Du seiest in den Bann gethan. Wie groß, o Luther, wie groß bist Du, wenn es wahr ist! Denn von Dir werden die Frommen sagen: „Sie suchten die Seele des Gerechten, und das unschuldige Blut verdammten sie; aber Gott wird ihnen ihre Missethat vergelten, und in ihrer Missethat wird Gott der Herr sie verderben.“ Das sei unsere Hoffnung, das unser Glaube. Verfechten wir die gemeine Freiheit! befreien wir das unterdrückte Vaterland! Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein? Franz (von Sickingen) läßt Dir sagen, zu ihm zu kommen, falls Du nicht gehörig sicher bist; er wird Dich Deiner Würde gemäß ehrlich halten und gegen alle Feinde männlich vertheidigen. Grüße Melanchthon, Fachus und alle Guten dort; lebe freundlich und in Christo wohl.“

Aber noch lebte Hutten in dem Irrthume, daß die Reformation von den Fürsten ausgehen und bei ihnen Schutz suchen und finden müsse. Zu diesem Zwecke reiste er nach den Niederlanden, um den Bruder des neu erwählten deutschen Kaisers, Erzherzog Ferdinand, durch seine Schriften und mündliche Unterredungen dafür zu gewinnen, indem er ihm den gefährlichen Einfluß des Papstthums auf die weltliche Herrschaft des Kaisers darzuthun suchte. Wie vorauszusehen, wurde er mit seinen wohlgemeinten Vorschlägen nicht gehört.

Auf dem Rückwege begegnete ihm ein komisches Abenteuer. Wie er mit zwei Knechten heimwärts ritt, begegnete ihm der berüchtigte Ketzerrichter Hochstraaten in der Nähe von Löwen.

„Endlich,“ schrie ihm Hutten mit gezogenem Degen zu, „endlich fällst Du in die rechten Hände, Du Scheusal! Welchen Tod soll ich Dir nun anthun, Du Feind aller Guten und Widersacher der Wahrheit?“

Zitternd sank der feige Pfaffe ihm zu Füßen und bat um sein Leben.

„Nein,“ entgegnete der edle Ritter, indem er sein Schwert wieder in die Scheide stieß, „nein, mein Degen soll sich nicht mit so schlechtem Blut besudeln, das aber wisse, daß viele Schwerter nach Deiner Kehle zielen, und Dein Untergang eine ausgemachte Sache ist.“

Während seiner Abwesenheit von Mainz waren seine täglich sich mehrenden Feinde nicht unthätig geblieben. Sie hatten einen Erlaß des Papstes an den Erzbischof bewirkt, worin demselben aufgegeben wurde, Hutten aus seinen Diensten zu entlassen und wegen seiner Schmähschriften gegen die römische Kirche zur Verantwortung zu ziehen.

Die Ebernburg seines Freundes Sickingen bot ihm jetzt eine Zuflucht vor den drohenden Verfolgungen. Dort benutzte er die unfreiwillige Muße, um den tapfern Ritter vollends für die Sache Luthers und die Reformation zu gewinnen. In dem hohen Söller las er ihm die Schriften des Gottesmannes mit lauter Stimme vor, keine Mahlzeit ließ er vorübergehen, ohne ihn in die neue Lehre einzuweihen. Schweigend und in tiefen Gedanken hörte ihm der mächtige Krieger zu, bis er nach und nach dafür gewonnen wurde.

„Wie?“ fragte er anfänglich staunend, „das wagt Jemand erschüttern zu wollen, oder wenn er es wagt, hofft er es zu können?“

Aber Luther’s Muth fand in seiner eigenen tapferen Seele bald den mächtigsten Wiederhall; bedächtig folgte er dem stürmischen Eifer seines gelehrten Freundes, mit dem er fast täglich über das Wesen der Reformation sich besprach. Während draußen der Nordwind um die feste Burg stürmte und heulte, wurde es Frühling in des Ritters Brust, und die junge Saat begann zu keimen.

„Traun!“ rief er bewundernd aus. „Das Mönchlein ist ein starker Riese, und sein Geist gewaltiger denn hunderttausend gewappnete Krieger, dieweil Gott mit ihm ist.“

Endlich, da er überzeugt war, blieb er fest bei seinem neuen Glauben stehen, wie ein Fels von wilden Wogen umtobt.

„Luther’s Sache,“ sagte er, „ist die Sache Christi und der Wahrheit; überdies fromme es dem deutschen Gemeinwesen, daß Luthers und Hutten’s Mahnungen Gehör finden und der neue Glaube geschirmt werde.“

Von nun an war Sickingen der eifrigste Freund und Verfechter der Reformation, die ihm zu großem Danke verpflichtet ist. Wie es aber Hutten klar geworden war, daß nicht die Großen und Mächtigen der Nation, sondern das Volk zumeist die gewaltige Bewegung zu fördern und glücklich durchzuführen im Stande sei, so fühlte er auch jetzt die innere Nothwendigkeit, nicht die Sprache der Gelehrten, welche die lateinische war, sondern die deutsche des Volkes zu reden und zu schreiben. Darum sang er auch:

Latein ich vor geschrieben hab,
Das war ei’m Jeden nit bekannt;
Jetzt schrei ich an das Vaterland,
Teutsch Nation in ihrer Sprach’,
Zu bringen diesen Dingen Rach’.

Entschieden hatte auf diesen Entschluß Luther’s Beispiel einen großen Einfluß ausgeübt. Jetzt erst wurde Hutten ein wahrhaft populärer Schriftsteller; seine Worte und Lieder drangen in das Volk, während er früher nur von einigen Gelehrten gelesen und gepriesen wurde. In demselben Maße aber wuchs seine Bedeutung und sein Einfluß im gesammten Vaterlande. Jetzt erst wurde er einer der wirksamsten Förderer und Träger der deutschen Reformation. Seine Schriften zu Gunsten der neuen Lehre, seine Satiren gegen das Papstthum waren von einer unbeschreiblichen Wirkung für die gute Sache der religiösen Freiheit. Ohne Menschenfurcht und Scheu rief er: „Ich hab’s gewagt!“

Die Wahrheit muß herfür, zu Gut
Dem Vaterland, das ist mein Muth.
Kein ander Ursach ist, noch Grund,
Darum ich aufgethan den Mund,
Und mich gebracht in Armuths Noth,
Das weiß von mir der liebe Gott.
Der helfe mir bei der Wahrheit Sach’,
Laß gehen aus sein göttlich Rach’,
Damit das Bös’ nicht triumphir’
Und daß auch werd’ vergolten mir,
Ob ich vielleicht ohn’ Fug und Glimpf
Hätt’ gefangen an ein’ solchen Schimpf,
Der Niemand größern Schaden bringt,
Dann mir, als noch die Sach’ gelingt,
Dahin mich Gott und Wahrheit dringt.
 Ich hab’s gewagt!

[600] Aber es genügte Hutten nicht, blos in Worten seine Ueberzeugung auszusprechen; er war der Mann der That und bereit mit seinem Blute einzustehen. Nur mit Mühe hielt ihn der bedächtigere Sickingen zurück, für die neue Lehre sogleich das Schwert zu ziehen. Ebenso warnte und beklagte sich Luther über des Freundes Ungestüm. „Ich möchte nicht,“ schreibt dieser, „meine Freunde, daß mit Gewalt und Mord für das Evangelium gestritten würde; in diesem Sinne habe ich auch Hutten geschrieben. Durch das Wort ist die Welt überwunden, durch das Wort die Kirche erhalten worden; und auch der Antichrist, wie er ohne Gewalt angefangen hat, so wird er ohne Gewalt zermalmt werden durch das Wort.“

Hutten’s Befürchtungen sollten sich jedoch nur zu bald bestätigen. Auf dem Reichstage zu Worms, wohin Kaiser Karl V. Luther vorgeladen, lehnte dieser den ihm zugemutheten Widerruf mit den bekannten Worten ab: „Es sei denn, daß ich mit Zeugnissen der heiligen Schrift, oder mit öffentlichen, klaren und hellen Gründen und Ursachen überwunden und überwiesen werde: so kann und will ich nicht widerrufen, weil es weder sicher noch gerathen ist, etwas wider Gewissen zu thun. Hier stehe ich; ich kann nicht anders. Gott helfe mir! Amen.“ Hierauf folgte die Achtserklärung Luther’s auf Andringen seiner Feinde, denen er nur durch seine auf Anordnung seines Landesherrn, des Kurfürsten Friedrich von Sachsen, erfolgte Entführung auf die Wartburg entging. Sowohl Sickingen, dem der Kaiser zu großem Dank verpflichtet war, wie auch Hutten, waren auf diesen Ausgang nicht gefaßt. Gleich nach Luther’s Ankunft in Worms eilte Hutten von der Ebernburg, um den hochverehrten Mann zu begrüßen; er ermahnte ihn zum standhaften Ausharren und sicherte ihm von Neuem seinen und des Freundes Schutz zu. Zugleich erließ er an den Kaiser selbst einen Brief, worin er voll Feuer die Sache der Reformation vertheidigte, indem er ihn aufforderte, das römische Joch abzuschütteln und die päpstliche Zwingherrschaft zu zerstören. Auf die Nachricht von Luthers Verurtheilung wollte er sogleich zum Schwerte greifen; nur mit Mühe hielt ihn Sickingen, der noch immer eine friedliche Wendung erwartete, von der Unbesonnenheit zurück, die Nuntien des Papstes bei ihrer Heimreise anzugreifen und als Geiseln für Luthers Sicherheit gefangen zu nehmen.

Auf eigene Faust rächte er sich wenigstens im Geiste seiner Zeit an dem Prior der Straßburger Carthäuser, der in seinem Zimmer Hutten’s Bild aufhing, um es, so oft er daran vorüberging, anzuspucken. Er schickte deshalb dem Prior und Convent gedachter Carthause einen Fehdebrief, worin er für den ihm angethanen Schimpf zehntausend Goldgulden forderte, die er auch von den Mönchen, nachdem er seine Forderung auf zweitausend Gulden ermäßigt hatte, ausgezahlt erhielt. Ebenso bedrohte er den durch die Reuchlin’schen Händel ihm verhaßten Pfarrer Meyer, dem er längst eine wohlverdiente Züchtigung zugedacht. Daß er durch dergleichen Angriffe die große Zahl seiner Gegner noch vermehrte, kümmerte nicht den tapferen, aber auch unbesonnenen Mann.

Hauptsächlich aber lag ihm die Idee am Herzen, eine Vereinigung des Adels und des Bürgerthums zum Behufe einer kirchlich-politischen Reichsreform zu Stande zu bringen. Beide Stände sollten sich nach seinem Wunsche fortan mit einander vertragen, ihre Zwistigkeiten und Fehden aufgeben, um gemeinschaftlich die um sich greifende Fürstenmacht, die täglich wachsende Tyrannei der Herrscher zu bekämpfen. Nur durch solche Verbindung und Eintracht könnte Deutschland frei und die Reformation gerettet werden. Aber nicht nur Städte und Adel, auch den verachteten und schwer gedrückten Bauer hielt Hutten für würdig diesem Bunde beizutreten. Leider verhallten seine Worte ungehört, und sein Plan, der die ganze Gestaltung Deutschlands wesentlich verändert hätte, blieb ein schöner Traum. Selbst ein Mann wie Franz von Sickingen vermochte sich nicht über die Vorurtheile seines Standes und der Zeit zu erheben; statt Hutten’s weisem Rathe zu folgen, schloß er sich nur noch inniger seinen Standesgenossen an, mit denen er sich zunächst in ein Bündniß gegen den Kurfürsten von Trier und den Landgrafen von Hessen einließ, deren Uebermacht der edle Ritter endlich erlag. Von allen Seiten in seiner Burg eingeschlossen, vertheidigte er sich mit unerschütterlichem Muth. Von Podagra geplagt, ließ er sich auf die Mauer tragen, um die Seinigen anzufeuern; da fiel ein Schuß, der ihn zu Boden warf. Mit der Heldenfassung, die ihn nie verließ, befahl er seinen Dienern, kein Geschrei zu machen und ihn still fortzutragen. „Und wie er in Zeit seines Lebens,“ berichtet der Chronist, „sein männlich, ehrlich und trutzig Gemüth gehabt, das hat er auch bis in die Stund’ seines Todes bewiesen.“

In ihm verlor die Reformation ihren tapfersten Beschützer.

Schon vorher hatte Hutten den Freund verlassen, nachdem er eine Einladung des Königs Franz von Frankreich zurückgewiesen, mit einem Jahrgehalt von vierhundert Kronen und freier Wahl des Aufenthaltsorts in seine Dienste zu treten. Trotz des Undanks und der über ihn verhängten Verfolgung blieb er treu dem Vaterlande, weil er es für schimpflich hielt, „undeutsche Dienste“ zu nehmen. Zunächst wandte er sich nach Basel, um daselbst Ruhe und Sicherheit zu finden, nachdem er an seinem Freunde Sickingen seine einzige feste Stütze in Deutschland verloren hatte; aber Ruhe und Frieden waren Hutten nicht mehr hienieden bestimmt. In Basel gerieth er mit Erasmus, dem berühmten Verfasser des Lobes der Narrheit, in Streit. Dieser, der eigentliche Begründer des Humanismus, war, wie es oft zu geschehen pflegt, vor den Consequenzen seiner Lehre erschrocken; er verleugnete seine eignen Grundsätze, als dieselben zu der von ihm nicht beabsichtigten Reformation führten. Der diplomatische Gelehrte verbat sich den ihm angekündigten Besuch Huttens, um mit dem verfolgten Neuerer nicht in eine gefährliche Berührung zu gerathen. Das war zu viel für Huttens Stolz; der emancipirte Schüler schonte nicht des zaghaften Lehrers und erließ an ihn einen offenen Absagebrief. Sein Groll wurde noch durch die Nachricht verstärkt, daß Erasmus sich gegen die Reformation offen erklärt habe. Dieser Streit und die Nachricht von Sickingens Tod schlugen ihn vollends zu Boden. In Mühlhausen, wohin er von Basel zog, fand er ebenso wenig die gehoffte Zuflucht. Die Anhänger des alten Kirchenwesens bedrohten sein Leben, sodaß der Rath ihn bedeutete, die Stadt zu verlassen, um nicht Unruhen zu erregen. So mußte er von Ort zu Ort, von Land zu Land als ein heimathloser Flüchtling irren; die Behörden scheuten sich, den politisch und kirchlich anrüchigen Märtyrer der Wahrheit bei sich aufzunehmen. Krank und elend schleppte er sich nach Zürich, von wo er einem Freunde folgende rührende Zeilen schrieb, gleichsam den Schwanengesang des sterbenden Dichters und Helden: „Wird es denn einmal Maß und Ziel finden, o Eoban, das widrige Geschick, das uns so bitter verfolgt? Von ihm zwar glaube ich das nicht; aber wir, denke ich, haben Muth genug, um seinen Anläufen Stand zu halten. Diesen einzigen Trost, diesen Hort hat uns derjenige gelassen, der das Uebrige jener feindseligen Macht überlassen hat. Mich hat die Flucht zu den Schweizern geführt, und ich sehe einer noch weiteren Verbannung entgegen. Denn Deutschland kann mich nicht dulden in seinem gegenwärtigen Zustande, den ich jedoch in Kurzem erfreulich geändert zu sehen hoffe durch Vertreibung der Tyrannen.“

Er selbst kämpfte noch bis zum letzten Augenblicke gegen „diese Tyrannen“, worunter er die damaligen deutschen Fürsten verstand; mit vor Schwäche zitternder Hand schrieb er noch einmal gegen ihre Anmaßung, Ländergier und Volksbedrückung. Vor ihren Verfolgungen fand er endlich nur Ruhe auf der Insel Ufnau im Zürchersee, wo er sich unter dem Schutze des großen Schweizer Reformators Zwingli verborgen hielt. Hier ereilte ihn der Tod. Er starb in der äußersten Dürftigkeit; wie Zwingli schreibt, hinterließ er „lediglich nichts von Werth“. Bücher hatte er keine, Hausrath auch nicht, außer – einer Feder.

Ein fränkischer Ritter ließ in dem folgenden Jahre einen Stein mit einer lateinischen Inschrift auf sein Grab setzen. Stein und Inschrift, selbst die Kunde von dem Ort, wo er begraben, sind verschwunden; aber sein Gedächtniß lebt in der Geschichte des deutschen Volkes als das des ritterlichen Vorkämpfers der Reformation, des edelsten Sohnes seines undankbaren Vaterlandes. In seinem Nachlasse fand sich eine Schrift unter dem Titel „Arminius“, worin er sich selbst folgende Grabrede hielt: „Nicht um Ruhm, Reichthum oder Herrschaft kämpfte ich, sondern das Ziel meines Strebens war, dem Vaterlande die ihm gewaltsam entrissene Freiheit zurückzugeben.“
Max Ring.