Die Gartenlaube (1855)/Heft 42

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1855
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 42. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle. Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Eine dunkle Vergangenheit.
Novelle von Bernd von Guseck.
(Fortsetzung.)


„Sie sind’s?“ rief Kuno überrascht.

„Ja, leider! So kann’s einem armen Oekonomen gehen, wenn er Malheur hat. Herr Stargau ist nicht mehr hier, der würde sich meiner doch wieder angenommen haben. Wissen Sie vielleicht eine Condition für mich? Sie kennen mich doch auch?“

„Ich kenne Sie allerdings. Aber kommen Sie nach der Rinkenburg, das heißt nach Rinkleben, verstehen Sie? Nach dem Dorfe, dort erwarten Sie mich an Gasthofe.“

„Kann ich nicht hier auf Sie warten?“ entgegnete der Oekonom, „Ich habe mir die Füße durchgelaufen.“ Er zeigte seine zerrissenen Stiefeln.

„Mit mir fahren können Sie nicht,“ erwiederte Dießbach, die Stirn runzelnd.

„Na, so muß ich mich schon durchschlagen! Also beim alten Semmler, der lustige Wirth lebt doch noch?“

Dießbach machte eine unwillige Bewegung, die ihn deutlich gehen hieß.

„Recommando, Herr von Dießbach!“ sagte der zudringliche Mann und schwenkte nochmals seinen alten Filz, wobei ihm der Wind das dünne weißliche Haar von dem sonst kahlen Schädel strich. Dann ging er fort.

Das junge Mädchen hatte während des ganzen Gesprächs, von Kuno, der sie nicht kannte und für eine Dienende hielt, unbeachtet am Gitter gestanden. Als Kuno nun, auf die Schulter des abgesprungenen Knechts sich stützend, vom Wagen stieg, trat sie ihm entgegen und bat ihn mit einer gebildeten Stimme, näher zu treten, ihr Vater sei zwar nicht zu Hause, doch werde er jeden Augenblick erwartet.

„Verzeihen Sie, mein Fräulein,“ sagte Dießbach, indem er das junge Mädchen mit einer so rücksichtslosen Aufmerksamkeit betrachtete, daß sie vor ihm die Augen niederschlug.

Er folgte ihr dann in das Haus und Zimmer. Die Mutter war noch immer mit ihrer Toilette nicht fertig, und überließ getrost ihrer Tochter die Sorge, den Gast zu unterhalten. Dießbach wurde dadurch aber nicht so in Anspruch genommen, daß er die Einrichtung des Zimmers nicht hätte mustern können. Sie war reich genug, hatte Broncespiegel, Consolen von Marmor, Sopha und Sessel mit Plüsch überzogen, aber ein guter Geschmack in der Auswahl und Anordnung fehlte und die Polstermöbel sowohl, als der Kronleuchter waren mit Hüllen bedeckt, was wieder auf eine kleinliche Schonung deutete und von Kuno’s überstrenger Kritik gemein genannt wurde. Jetzt öffnete sich endlich die Thüre und die Frau Oberamtmann Siebeling rollte herein – wir können nicht anders von ihrem Gange sagen, denn sie war eine kleine, kugelrunde, ungemein bewegliche Frau. Ehe sie diese vollkommene Gestalt gewonnen hatte, mochte sie vielleicht ganz hübsch gewesen sein, ihre Gesichtszüge waren freundlich und hatten noch immer blühende Farben, die nur allzu leuchtend genannt werden mußten. Dem Gaste aus der Nachbarschaft zu Ehren, der ihr mit einer Visite zuvorkam, hatte sie sich in ein brillantes Kleid geworfen, und eine ganz neue Haube ausgesetzt, an welcher zum großen Schreck ihrer Tochter noch die Etikette aus dem Putzladen hing, die sie in der Eile vergessen hatte, abzuschneiden.

„Ich bitte sehr um Excuse, Herr Nachbar!“ redete sie den Gast an, dessen Figur sie mit einiger Verwunderung füllte. „Wo noch gar nichts eingerichtet ist, hat man alle Hände voll zu thun. Mein Mann wird sehr bedauern, daß er nicht schon seine schuldige Aufwartung bei Ihnen gemacht hat, wir sind ganz beschämt, Herr Baron, aber wir werden uns so bald als möglich die Ehre geben – darf ich nicht bitten? Agnes – ein Paar Weintrauben! Sie lieben doch Weintrauben? Wir haben prächtige frühe Sorten gefunden – gewiß haben Sie auch Wein auf der Rinkenburg, ich denke, die Lage muß gegen Mittag ganz schön sein – “

In dieser unhemmbaren Fluth plätscherten ihre Worte noch fort, während sie Platz genommen hatten, und dabei war sie so beweglich, daß sie trotz ihrer Fülle auf den kräftigen Springfedern des Sopha’s auf und nieder hüpfte, wie eine Marionette, und die verrätherische Firma mit dem Ladenpreise an ihrer Haube gleichfalls in tanzender Bewegung blieb. So ernst Kuno war, konnte er doch ein Lächeln nicht unterdrücken. Die Tochter hatte sich entfernt und kam erst nach einer geraumen Weile mit einer Fruchtschaale voll köstlicher Weintrauben zurück.

„Hast Du auch recht reife schneiden lassen, Agnes?“ rief die Mutter. „Langen Sie zu, Herr Baron – oder Ihnen lieber aussuchen, ich kenne die Sorten besser – hier diese! Sehen Sie, die hat der Fuchs geleckt und da sehen Sie auch schon Stiche von den Wespen – wie war doch Dein hübsches Verschen, Agnes? Die schlechtsten Weintrauben sind es nicht, die sich die Wespen aussuchen – oder so etwas?“

„Da kommt der Vater!“ rief Agnes, welche glühend erröthet war. Dießbach stand auf.

Durch den Thorweg rasselte im scharfen Trabe ein offener Wagen, mit zwei starken, schönen Braunen bespannt.

[552] „I, wen bringt er uns denn da mit?“ fragte die Frau Oberamtmann, mit dem Gaste an das Fenster tretend.

Es war ein Bekannter aus früherer Zeit, der hier in dem benachbarten Ballenstedt von seinem Gelde lebte, ein reicher Kapitalist ohne bestimmte Beschäftigung, der aber dafür ein wahres Conversationslexikon über alle Verhältnisse der Gegend war, die er in seinen unbeschränkten Mußestunden schon Jahre lang gründlich studirt hatte. Oberamtmann Siebeling war heut in Ballenstedt Geschäfte halber gewesen und hatte den alten Bekannten aufgesucht, der seine Einladung gleich auf denselben Tag gefaßt und angenommen hatte.

Dießbach erkannte ihn auf den ersten Blick; wer hätte sechs Meilen und mehr in der Runde Herrn Egelmann nicht gekannt? Daß er gerade heut und hier mit ihm zusammen treffen mußte, war ihm unangenehm, doch verrieth er das nicht, sondern nannte den Frauen, die ihn Beide nicht kannten, seinen Namen.

„Egelmann? Deine Pathe, Agnes!“ rief die Mutter. „Ja, Herr Baron, das ist ein alter Freund meines Mannes, den er auf viele Meilen weit zu Gevatter gebeten hatte, als dies kleine Wurm getauft wurde – er konnte nicht kommen, steht aber mit im Kirchenbuche – verzeihen Sie, Herr Baron, wenn ich meine Schuldigkeit als Wirthin thue –“

„Ich werde Sie begleiten,“ sagte Dießbach. – Agnes blieb zurück.

„O!“ brummte der Oberamtmann halblaut noch auf dem Wagen zu seinem Freunde, als er hinter seiner Frau die auffallende, ihm fremde Gestalt erblickte. „Wen haben wir denn hier?“

„Stille!“ raunte ihm Egelmann zu. „Das ist der Herr von Dießbach von der Rinkenburg. Kennst Du ihn noch nicht und seine Frau Mutter? Da kann ich Dir Geschichten erzählen!“

Sie stiegen aus und der Oberamtmann begrüßte Dießbach mit jener ungezwungenen Offenheit, welche Landbewohnern eigen ist und etwas Wohlthuendes hat; er war ein praktischer Mann von wenig Formen, das bemerkte Dießbach gleich nach den ersten Worten, durch welche er sein Hiersein erklärte.

„Mit mir über eine Angelegenheit sprechen?“ erwiederte Siebling. „Kommen Sie. Keine Umstände. Geniren muß man sich auf dem Lande nicht. Lache nur, Du alter Komplimentarius!“ wandte er sich an seinen Freund Egelmann, der bis jetzt vergebens gesucht hatte, seine Verbeugung bei Dießbach anzubringen, und in diesem mißglückten halben Versuchen unendlich komisch aussah.

Jetzt schien Dießbach den langen, spitzköpfigen Mann erst zu bemerken. „Ah, Herr Egelmann!“ sagte er mit frostiger Vornehmheit, während er gegen Siebeling frank und zuvorkommend gewesen war.

„Gehorsamster Diener, mein Herr von Dießbach!“ verneigte sich nun Egelmann. „Wohl auf? Und auch die Frau Mutter, wenn ich mir unterthänigste Nachfrage erlauben darf? Der Herr Bruder sind auch hier, ich habe ihn neulich gesehen, als er durch Ballenstedt ritt, um unserm gnädigen Herzog die Aufwartung zu machen. Roth und goldene Schnüre und die prachtvolle, von Gold starrende Zipfelschabracke mit dem Stern, und die schöne Pelzmütze – alle Fenster wurden aufgerissen und die Mädchen hätten Sie hören sollen: schlank wie eine Tanne gewachen –“ hier erschrak der höfliche Mann und biß sich auf die Lippe, denn konnte das der verwachsene Bruder nicht für eine malitiöse Anspielung auf seine eigenen unglückliche Figur halten?

„Wir glauben’s Dir!“ sagte Siebeling. „Die Mädchen sind auf buntes Tuch wie toll. Kommen Sie, Herr von Dießbach – Sie haben mit mir zu reden. Nimm meinen alten Egelmann unter Deine Flügel, Frau, bring’ ihn zu Agnes, daß sie ihren Pathen kennen lernt!“ Er reichte Dießbach seine große, wetterbraune Hand, welche nur bei feierlicher Gelegenheit mit Handschuhen belästigt wurde und führte ihn in seine eigene Stube, aus welcher ihnen trotz der vielstündigen Abwesenheit des Bewohners noch ein durchdringender Tabacksgeruch entgegen strömte. Vom Lehnstuhl, der an einem altfränkischen Schreibschranke stand, sprang ein krummbeiniger Dachshund und fuhr den Fremden mit heftigem Gebell an, wurde aber von seinem Herrn mit einem Fußtritt zur Ruhe gebracht und aus der Stube geworfen.

„Setzen Sie sich!“ sagte Siebeling und kehrte den Lehnstuhl nach dem Gaste. „Ohne Umstände! Eine Cigarre gefällig? Es spricht sich besser.“

Dießbach dankte und hatte seinen Entschluß gefaßt. Jetzt, wo dieser Herr Egelmann im Hause war und jedenfalls gleich nach seiner (Kuno’s) Entfernung den Inhalt seines Gesprächs mit dem Oberamtmann erfahren mußte, jetzt konnte Dießbach nicht besprechen, was ihn eigentlich hergeführt. Er hatte daher schon einen andern Grund gefunden.

„Sie werden es vielleicht von Ihrem Standpunkte aus nicht begreifen, wie ich zu der Anfrage komme, die ich Ihnen thun will,“ begann er. „Es verlautet in der Gegend, daß die alte Warte hier oben abgetragen, und ihre Quadern anderweitig als Baumaterial benutzt werden sollen. – ist das begründet?“

„Ja wohl, Herr von Dießbach. Es ist genehmigt worden.“

„Auf Ihren Vorschlag, Herr Oberamtmann?“

„Ja. sie wollten Anfangs nicht recht d’ran, aber endlich sahen sie doch ein, daß es vernünftig ist. Was soll das alte Krähennest oben stehen, das gar keinen Nutzen mehr hat?“

„Sie nehmen die Sache nur von der praktisch-ökonomischen Seite und darin mögen Sie Recht haben. Aber sie hat wohl noch eine andere. Es ist doch von Interesse, Denkmäler der Vorzeit zu erhalten, und abgesehen davon, verliert die ohnehin flache und reizlose Gegend dadurch einen Schmuck, der ihr Charakter verleiht, ein Merkmal, weithin sichtbar, einen Ruhepunkt für das Auge.“

„Einen Schmuck?“ wiederholte Siebeling, der nur das eine Wort herausgriff, da ihm sonst Alles ziemlich unverständlich war. „Nun, ich dächte, das alte viereckige graue Ding wäre häßlich genug.“

„Es würde allen Grundbesitzern, deren Familien schon von Alters her hier ansässig gewesen sind, gewiß sehr schmerzlich sein, wenn dies Monument einer gewaltigen Vorzeit vertilgt würde.“

„Ja, ja, aus einer Zeit der Gewalt mag’s sein. Ich habe mir sagen lassen, daß hier oben ein Raubritter gehaust, dessen Nest die Bürger abgebrannt haben – die Warte allein soll stehen geblieben sein. Nun begreife ich aber nicht, Herr von Dießbach, was die jetzigen Grundbesitzer – ?“

„Wir verständigen uns nicht, Herr Oberamtmann, wenigstens nicht von der ideellen Seite. Lassen Sie uns die materielle betrachten. Wenn nun die Bausteine, die Ihnen die Warte liefern kann, taxirt würden, und der Adel der Gegend zahlte Ihnen den Betrag?“

Siebeling lacht laut. „Davon ließe sich eher reden. Ich kann freilich nicht glauben, daß sie so – nehmen Sie mir’s nicht übel, was ich sagen wollte. Aber wenn Sie so viel Geld übrig haben, daß Sie es um nichts und wieder nichts wegwerfen können, so möchte sich die Sache vielleicht machen.“

„Ich werde mit Ihnen weiter Rücksprache darüber nehmen, sobald ich kann,“ sagte Dießbach aufstehend. „Bis dahin wird hoffentlich das Abtragen noch nicht angefangen werden.“

„O nein, vor nächstem Frühjahre baue ich nicht,“ erwiederte Siebeling.

„Unter Ihrem Vorgänger Stargau war auch schon einmal die Rede davon,“ warf Dießbach hin.

„O der!“ sagte Siebeling. „Der fing viel an und führte nichts aus. Nun hat er die Folgen.“

„Wie so? Wissen Sie etwas von ihm? Es geht ihm wohl schlecht?“ fragte Dießbach, die Handschuhe anziehend, im Tone jener Gleichgültigkeit, die nur fragt, ohne wirklichen Antheil zu fühlen.

„Kann nicht anders sein. Ich weiß gar nichts von ihm, er hat sich wohl ganz aus dem Staube gemacht. Verdenk’s ihm nicht; was soll er hier, wo er sonst die erste Violine in der ganzen Gegend gespielt, mit Vieren lang gefahren, ein halb Dutzend Oekonomen hinter sich, wenn er auf’s Feld ritt, immer offene Tafel und große Herren bei sich! Und nun ein Bettelmann – die Leute würden ihn nur auslachen.“

„Leben Sie wohl, Herr Oberamtmann. Auf Wiedersehen!“

Der Oberamtmann drückte ihm kräftig die Hand und verhieß ihm seinen baldigen Gegenbesuch.



VI.

Egelmann hatte es kaum erwarten können, bis sein alter Freund zur Familie zurückkehrte, die Eröffnungen, die er über Dießbach’s Familienverhältnisse zu machen hatte, drückten ihm fast das Herz ab, doch versparte er sie, weil er gern vor einem vollzähligen Auditorium vortrug, und begnügte sich nur mit allerlei [553] geheimnißvollen Anspielungen, welche Frau Siebeling vor Neugier zittern ließen. Als nun der Oberamtmann endlich eintrat, hatte der ballenstedter Krösus vorerst einige Vorwürfe zu bestehen.

„Sage mir, machst Du Geschäfte mit dem Manne, oder willst Du sonst Vortheil von ihm ziehen?“

„Wie so? Wie so, Alterchen? Ich habe noch nichts mit ihm gemacht – der sitzt in der Wolle, der braucht nichts.“

„Nun, was katzenbuckelst Du denn vor ihm? Du bist Dein eigener Herr, lebst von Deinem Gelde, brauchst keinen Menschen und Niemand hat Dir was zu sagen und doch machst Du einen krummen Buckel, wie ein Neujahrsgratulant. Schäme Dich, Kerl!“

„Ei, man hat auch Lebensart. Aber es hat noch eine andere Bewandtniß – man muß dem Teufel ein Licht anstecken,“ setzte er geheimnißvoll hinzu.

„Stecke Dir nur erst eine Pfeife an! Agnes! Das bietet ihm nicht einmal eine Pfeife an – nicht wahr, keinen Tabaksrauch mehr vertragen, seit Du von der hohen Schule gekommen bist? Ich wollte, ich hätte etwas Klügeres gethan als das Mädel in die Pension zu geben!“

„Aber, Mann!“ rief Frau Siebeling. „Bildung ist doch die Hauptsache, und auch ein Landwirth weiß sie heut zu Tage zu schätzen. Laß lieber Herrn Egelmann erzählen, warum er den Baron einen Teufel nennt – etwas graulich kann er Einem mit seinen Augen schon machen, ich habe mich ein paar Mal vor ihm gefürchtet.“

„Ja, verehrteste Frau Oberamtmann, da sollten Sie erst seine Mutter sehen! Das ist eine große, stattliche Dame, sieht aus, wie eine Fürstin, und doch überläuft Einem ein kalter Schauder, wenn man in ihre Nähe kommt.“

„Sagen Sie!“ rief Frau Siebeling dringend und rückte sich in angenehmster Erwartung, etwas recht Schauerliches zu hören, in ihrer Sophaecke zurecht.

„Aber – wir sind doch ganz unter uns?“ fragte Egelmann, indem er sich nach der Thüre umsah. „Es kann uns doch von draußen Niemand belauschen?“

„Kein Mensch!“ versicherte Frau Siebeling dringend.

Herr Egelmann steckte seinen spitzen Kopf zwischen die Gruppe der gespannten Zuhörer und wisperte. „Sie hat ihren Mann vergiftet!“

Frau Siebeling schnellte vor Entsetzen hoch auf, der Oberamtmann brummte.

„’St! Ganz stille!“ flüsterte Egelmann. „Natürlich darf man davon nicht reden – wo kein Kläger, ist auch kein Richter, wer kann’s ihr beweisen? Eine Obduction, will sagen, eine Oeffnung der Leiche hat nicht Statt gefunden, der plötzlich verstorbene Mann ist ebenso plötzlich beerdigt worden, es hieß, wegen der Sommerhitze, und nun ist schon zwanzig Jahre Gras darüber gewachsen, aber die Sache hat ihre Richtigkeit, in der ganzen Gegend war nur eine Stimme darüber, und die besten Bekannten haben sich von der schrecklichen Frau zurückgezogen.“

„Das ist ja entsetzlich!“ seufzte der Oberamtmann.

„Alter,“ sagte Siebeling, „ich finde es viel schlimmer, daß solche Beschuldigung ohne Beweise aufkommen kann. – Was ist der Grund? Hat Jemand die Zeichen von Vergiftung gesehen? Wie ist er gestorben? Was hat die Leiche für Spuren gezeigt? Dienstboten können nur das Geträtsch unter die Menschen gebracht haben, und die arme Frau weiß am Ende gar nicht, daß man ihr eine solche Scheußlichkeit zur Last legt.

„Erlaube doch, Alter, ich will Euch ja Alles erzählen,“ – sagte Egelmann. „Der alte Dießbach war ein ganzer Herr, so recht, was man einen Cavalier nennt. Wenn Ihr sein vollkommenes Ebenbild sehen wollt, hier war es vor einer Viertelstunde – natürlich ohne den Auswuchs an der Schulter, denn der alte Herr war gewachsen wie ein Eichbaum. Die gnädige Frau, wenn ich vorher sagte, daß sie wie eine Fürstin aussieht, so meine ich damit nicht, daß sie von vornehmer Geburt war, im Gegentheil, sie ist die Tochter eines Seidenhändlers.“

„Deshalb mögen sich wohl die Herrschaften nach dem Tode ihres Mannes von ihr zurückgezogen haben,“ äußerte Frau Siebeling. „Sie thun der armen Frau Unrecht, bester Herr Egelmann, und ich möchte sie schon sehen. Wie müssen doch bald unsere Visite auf der Rinkenburg machen, nicht wahr, Männchen?“

„Laß ihn doch erst ausreden,“ sagte der Oberamtmann. „Wie lebten sie denn zusammen?“

„Na, darüber hörte man so Allerlei. Der alte Herr war schon einmal verheirathet gewesen, eine ganze Portion von Jahren älter als sie, aber er hielt ihr, obgleich er sie doch aus Liebe geheirathet hatte, den Daumen auf das Auge, sie durfte im Hause nicht viel mitsprechen. Nun war sie aber schlau und wußte doch immer auf krummen Wegen zu erreichen, was sie wünschte, und ihre rechte Hand dabei ein Frauenzimmer, das sie mitgebracht hatte, denken Sie sich, ein Frauenzimmer, das bei einer Kunstreiterbande gewesen war.“

„I pfui!“ rief Frau Siebeling. „und das duldete der Mann?“

„Ja, das hatte vielleicht auch seine eigene Bewandtniß, man ist nicht recht dahinter gekommen. Kann sein, daß es übrigens pures Mitleid war und er nur die unglückliche Creatur aus ihrem Elende gerettet und bei sich aufgenommen hat. Es war ein resolutes Weib und ihrer Herrschaft blind ergeben, wie man’s nicht so leicht wieder findet. – Sehen Sie, die Ehe hatte so eine lange Reihe von Jahren gedauert, gnädige Frau waren auch nicht mehr die Jüngste, als auf einmal in der Gegend ein Gemunkel ging – werde nicht ungeduldig, Alter! wer kann dafür – ein Gemunkel, sag ich, daß sich Herr Stargau um sie niedlich mache.“

„Stargau?““ rief der Oberamtmann. „Unser Stargau?“

„Ja, derselbige. O, verehrteste Freundin, den hätten Sie damals sehen sollen. Es war nur ein kleines Männchen, aber sehr angenehm von Exterieur, feine Manieren, cordial mit den Vornehmsten, bei den Damen insinuant, ich sage Ihnen, sie rissen sich nach ihm –“

„Pfui!“ sagte Frau Siebeling wieder und warf einen Blick auf ihre Tochter, welche schweigend mit gesenkten Augen zuhörte.

„Allerdings pfui, das meine ich auch,“ bestätigte Egelmann. „Absonderlich, wenn man verheirathet ist und einen erwachsenen Stiefsohn hat. Die Sache galt denn bald in der ganzen Gegend für richtig, und wie die Menschen nun einmal ohne Grundsätze sind, sie verdachten’s der Frau nicht, die doch am Ende mit ihrem alten, grämlichen Manne nicht glücklich sein konnte. Der war denn auch, wie es immer in der Welt geht, der Einzige, der nichts davon merkte, bis an sein Ende oder vielleicht, bis kurz vor seinem Ende, denn es hieß, er habe das Paar einmal in einem heimlichen Lauscheplätzchen im Gebirge, wo die Dießbach’s ein Sommerhaus haben, überrascht und – das sei eben sein Ende gewesen, lebendig hat er das Haus nicht wieder verlassen. Eine Kalteschaale, hieß es, sei ihm dort mit Gift eingerührt worden

„Siehst Du? Siehst Du, Euer Altweibergeklatsch, des Nächsten Ruf und Ehre zu zerreißen?“ rief der Oberamtmann hitzig und schlug auf den Tisch, daß die Frauen zusammenfuhren. „Mag’s mit dem Stargau wahr sein oder nicht, wer weiß das von der Kalteschaale? Der Mann hat auf die Hitze und den Aerger sich den Tod getrunken, da braucht kein Gift drin gewesen zu sein!“

„O nein, braucht nicht!“ erwiederte Egelmann kaltblütig. „Aber da war ein gewisser Staub hier, ein toller Kerl, dem der Stargau zu seinem Unglück zu viel anvertraute, die Schlüssel zum Kornboden und zu Allem ließ, die Kassenabschlüsse übertrug, kurz sein Factotum. Dem hat es Stargau in einer bösen Stunde einmal selbst gesagt, und von dem weiß ich’s –“

„Und von Dir die ganze Gegend!“ rief der Oberamtmann mit zornrothem Angesicht.

Egelmann zuckte die Achseln. „Glaube doch nicht, daß ich – dieser Staub hat es auch Andern erzählt, warum nicht?“

„Aber was denn? Wie ist es denn zugegangen?“ forschte Frau Siebeling eifrig.

Genaues hat man darüber nie erfahren, auch Stargau hat darüber nur in einer Anwandlung von Gewissensbissen, nicht allzu lange ehe es mit ihm hier auf die Neige ging, so ungefähre Andeutungen gegen seinen Staub gemacht, die sich dieser, ein pfiffiges Haus, erst ausgelegt hat. Kurz, der Dießbach ist nach dem Trunke gleich krank geworden, und weil blos seine Frau und die schwarze Nina, so hieß die alte Bereiterin, bei ihm gewesen, ohne ärztliche Hülfe nach einer halben Stunde verstorben. Sie haben ihn dann eingeschlossen, kein Mensch hat zur Leiche gedurft, nicht einmal der Tischler, der zum Sarge Maaß nehmen wollte, die schwarze Nina hat Alles besorgt, und wie er hat hineingelegt und begraben werden sollen, ist ihm das Gesicht zugedeckt gewesen, und der Pfarrer [554] hat nicht einmal am offenen Sarge die Leichenpredigt halten dürfen, sondern erst in der Erbgruft, wo er hingefahren worden ist bei verschlossenem Deckel. Das Sommerhaus im Gebirge aber ist zugemauert worden und noch bis aus diesen Tag hat kein Mensch wieder einen Fuß hinein gesetzt.“

Er schwieg und sah seine Zuhörer nach der Reihe an, des Eindrucks gewiß, den er hervorgebracht hatte. Alle schwiegen ebenfalls, es waltete eine lange Stille im Zimmer.

„Und was noch?“ fragte endlich der Oberamtmann mit gerunzelter Stirn.

„Ja, Alterchen, was willst Du noch wissen? Der Mann war todt, ein paar Monate darauf wurde noch ein Söhnchen geboren, das war der bildhübsche Husar, der seinem Vater und Bruder so gar nicht ähnlich sieht –“

Wem sieht er ähnlich?“ fragte Frau Siebeling rasch, aber ihr Mann ballte schon wieder die Faust, um vor Aerger über die boshafte Insinuation auf den Tisch zu schlagen.

„Seiner Mutter, verehrteste Freundin, nur seiner Mutter,“ antwortete Egelmann beschwichtigend. „Wenigstens glaube ich es, denn wem sollte er sonst ähnlich sehen? Es giebt jedoch Exempel von Beispielen, daß Kinder ihren Großeltern ähnlich werden, und so könnte es wohl möglich sein, daß der schöne Husar seinem Großpapa, dem Seidenhändler –“

„Hör’ auf, ich bitte Dich!“ unterbrach ihn der Oberamtmann mit dröhnender Stimme, indem er aufstand und seinen Stuhl heftig zurückstieß. „Von der ganzen dummen Geschichte will ich kein Wort mehr hören, uns geht sie nichts an. Ich kann’s nicht leiden, wenn man andere Menschen mit Koth wirft – das thun Gassenbuben, Egelmann. – Ist es nicht Zeit zum Abendbrot, Frau? Sind die Knechte schon herein? Ich bin selber ganz verdreht im Kopfe geworden.“

Damit war die Sitzung aufgehoben, und Frau Siebeling, welche gern noch mehr über die interessante Geschichte gehört hätte, durfte nicht wagen, Herrn Egelmann zu weitern Mittheilungen zu veranlassen. Dieser war sehr betreten, daß er den Unwillen seines alten Freundes auf sich gezogen hatte – wie mußten ihm auf dem Heimwege nach Ballenstedt die Ohren klingen! Hätte er nur hören können, was der Oberamtmann über ihn äußerte!

„Was ist aus diesem Menschen geworden!“ rief er einmal über das andere. „Der soll mir wieder kommen!“

Kuno von Dießbach war unterdessen in finsterer Stimmung den Bergen zu gefahren. Mochte er ahnen, daß nach seiner Entfernung durch Egelmann, den er wohl kannte, die düstere Vergangenheit seines Hauses zur Sprache kommen werde? Gleichviel! Er trotzte ihr, er war ja auch im Begriff, sie wieder herauf zu beschwören. Licht mußte er hineintragen, und wenn er durch die Fackel, die er anzuzünden im Begriff stand, das ganze Haus in Brand setzen sollte! Lange genug hatte er die schwüle Luft geathmet, endlich mußte er es zur Entscheidung bringen!

„Sind das nicht Schafe dort drüben?“ fragte er auf einmal den Knecht, der hinter ihm saß, mit der Peitsche nach einem grauen Strich auf der Flur in ziemlicher Entfernung zeigend.

„Das wird der alte Klupsch sein, der dort hütet – er nimmt immer die Grenzraine mit,“ sagte der Knecht.

Kuno hatte eigentlich im Sinne gehabt, den Schäfer Klupsch zu sprechen, jetzt gab er es aber auf und eilte nach Hause zu kommen; im Wirthshause des Dorfes wartete ja Einer auf ihn, der ihm viel wichtiger war. Er fand ihn auch schon am Eingange der ersten Häuser, wo er die Hände auf dem Rücken, lungernd auf und ab ging und tiefsinnige Betrachtungen über seine schadhaften Stiefeln anzustellen schien, denn er blickte vor sich nieder und hob den Kopf nicht eher, als bis Dießbach’s Wagen ganz in seiner Nähe war. Da schwenkte er wieder lustig seinen alten Filz und ging ihm entgegen.

Kuno ließ halten, stieg ab und befahl dem Knecht, nach dem Schlosse hinaufzufahren, er werde zu Fuß nachkommen. „Nun, Herr Staub,“ wandte er sich dann zu dem schiffbrüchigen Oekonomen, „Ihnen scheint es schlecht gegangen zu sein.“

„Es geht mir noch schlecht, Herr von Dießbach,“ erwiederte der Mann. „Wenn Sie mir doch eine Condition verschaffen könnten?“

„Warum haben Sie denn Ihre gute Stelle in Sanct Pankraz aufgegeben?“ fragte Dießbach.

Staub zwickerte schlau mit den Augen. „O, stellen Sie sich doch nicht, Herr von Dießbach, als ob Sie nicht wüßten, daß ich nicht meine Stelle, sondern daß meine Stelle mich aufgegeben hat – gemein ausgedrückt, daß ich fortgejagt worden bin.“

„Man sprach davon,“ erwiederte Dießbach kalt, „ich konnte es indessen immer nicht glauben. Sie besaßen Stargau’s volles Vertrauen, und da er doch auch seine schwachen Seiten hatte, so war es mindestens unklug von ihm, sich mit Ihnen, der alle seine Verhältnisse kannte, zu überwerfen. Es macht Ihnen alle Ehre, daß Sie sich nicht an ihm gerächt haben.“

Staub zuckte die Achseln und sagte: „Was hat man davon? Freilich eben so wenig von der Großmuth! – Wollen Sie mir eine Condition verschaffen, gnädiger Herr?“

„Ich könnte vielleicht für Sie sorgen,“ versetzte Dießbach. – „Warum sind Sie denn eigentlich wieder in unsere Gegend gekommen, die Ihnen vielleicht unangenehme Erinnerungen weckt?“

„O nein, sehr angenehme! Was habe ich hier fidel gelebt! Nun, ich wußte nicht, daß Stargau schon so rasch um die Ecke gegangen ist, ich dachte ihn noch zu finden, und er war der Mann nicht, Einem lange etwas nachzutragen oder gar einen armen Kerl im Peche sitzen zu lassen –“

„Sie stellen ihm da ein gutes Zeugniß aus!“ bemerkte Dießbach mit einem finstern Blicke.

„Ja – bis auf die letzte Geschichte, wo er es mit meinen Rechnungen etwas zu genau nahm, kann ich nicht über ihn klagen. Sie sehen sehr unwillig aus – mit Ihnen ist das freilich ein anderer Fall.“

Dießbach warf ihm einen stolz zurückweisenden Blick zu, der aber auf den Frechen seinen Eindruck ganz verfehlte, im Gegentheil machte sich auf seinem Gesichte ein lauerndes Lächeln bemerkbar. „Gnädiger Herr, Sie werden mir’s nicht verdenken – ich bin kein Schaf, bin vielmehr, wie man sagt, mit allen Hunden gehetzt. Sie wollen etwas von mir wissen und gehen dabei, Euer Gnaden verzeihen mir die pöbelhafte Rede, wie die Katze um den heißen Brei. Fragen Sie doch geradezu, und wenn Sie für mich sorgen wollen, so bin ich Ihr Mann. Was hilft das lange Sondiren – auf diese Weise lasse ich mir nichts herausspinnen.“

Bei diesen Reden überfiel den stolzen Gutsherrn plötzlich eine brennend heiße Scham, daß er sich so weit erniedrigt habe, von dem verlorenen Menschen durchschaut zu sein. Er mußte einlenken um jeden Preis, sollte auch darüber das glühende Verlangen, das ihm keine Ruhe mehr ließ Tag und Nacht, ewig ungestillt bleiben. „Herr Staub,“ sagte er mit frostiger Gelassenheit, die er nur mühsam fest hielt, „ich will allerdings von Ihnen etwas wissen, und wenn ich nicht geradezu fragte, so war es nur aus Schonung für Sie selbst. Wenn ich Ihnen eine Stelle verschaffen soll, so ist es gewissermaßen eine Bürgschaft, die ich für Sie leiste. Ich bin es mir selbst schuldig, daß ich sicher gehe, um meine Verwendung bei Ehren zu erhalten. Also rund und klar die Frage: Können Sie über die Zeit Ihrer Entfernung aus hiesiger Gegend gute Zeugnisse aufweisen?“

Staub hatte zuerst etwas ganz Anderes erwartet und sah Dießbach, als er diese Wendung nahm, zweifelhaft an, indessen hatte sich dieser zu sehr in der Gewalt, als daß es ihm nicht gelungen wäre, Jenen wenigstens für den Moment zu täuschen. Da es nun so kam und ihm gewissermaßen das Messer an die Kehle gesetzt wurde, faßte er einen desperaten Entschluß und setzte, wie er als leidenschaftlicher Spieler oft genug gethan, Alles auf eine Karte. „Ich habe als freier Mann gelebt,“ sagte er, „von wem hätte ich also ein Zeugniß gebraucht? Meine Paßkarte kann ich Ihnen zeigen, sie ist in Richtigkeit für das laufende Jahr, ohne eine solche ließe mir ja die löbliche Polizei nicht eine Stunde die eigene Wahl meines Aufenthalts. Wollen Sie aber ein Zeugniß für mich durchaus haben, so wenden Sie sich an Ihre Frau Mutter, die wird mir schon eins ausstellen.“

(Schluß folgt.)
[555]

Karl Simrock.

Ein Bild vom Rhein von Arnold Schloenbach.


Karl Simrock.

„An den Rhein, an den Rhein, zieh’ nicht an den Rhein,
Mein Sohn, ich rathe Dir gut;
Da geht Dir das Leben zu lieblich ein,
Da blüht Dir zu freudig der Muth.
Sieh’st die Mädchen so frank und die Männer so frei,
Als wär’ es ein adlig Geschlecht:
Gleich bist Du mit glühender Seele dabei:
So dünkt es Dich billig und recht.
Und die Schiffe, wie grüßen die Burgen so schön
Und die Stadt mit dem ewigen Dom!
Zu den Bergen, wie klimmst Du zu schwindelnden Höh’n
Und blickst hinab in den Strom.
Und im Strome, da tauchet die Nix aus dem Grund,
Und hast Du ihr Lächeln geseh’n,
Und fang Dir die Lorlei mit bleichem Mund,
Mein Sohn, so ist es gescheh’n:
Dich bezaubert der Laut, Dich bethört der Schein,
Entzücken faßt Dich und Graus.
Nun singst Du mir immer: Am Rhein, am Rhein,
Und kehrst nicht wieder nach Haus.“

Mit dieser „Warnung vor dem Rhein“ hat sich Karl Simrock schon vor Jahren in die Herzen aller Rheinländer eingesungen, und schon seit Jahren ist er dem ganzen deutschen Vaterlande der bedeutendste Schatzgräber im reichen und mächtigen Lager des mittelalterlichen Lieder- und Sagengoldes; der volksthümlichste und feinste Spürer und Sammler nach altdeutscher Sitte, Anschauung, Poesie und Sage; einer der gelehrtesten und gründlichsten Forscher und Interpreten in jenen Richtungen, wie in der deutschen Mythologie, und einer der tüchtigsten, echt rheinisch-deutschen Balladen- und Liederdichter unserer Gegenwart. – Diesen weitgezogenen Kreis voll ausfüllend, in jedem Einzelnen desselben durchaus sicher, ganz wie ein Mann, ist Simrock eine merkwürdige und seltene Erscheinung in unserer Literatur. Der Dichter bei ihm steht auf dem concreten Boden des rührigen, gesunden, frischen Gelehrten, und hat dadurch etwas Tüchtiges, Concises und Dauerbares gewonnen, während der Gelehrte bei ihm seine Gesundheit und Frische dem Poeten verdankt, und daher mit in das Unfruchtbare, Canonische des specifischen Professors gerieth.

So steht er nach beiden Seiten hin gewappnet da; beiden Sphären ein geliebter, hochgeachteter Genosse. – Und wie er in so langem Verkehr mit dem Besten und Urkräftigsten deutschen Volks- und Liederthums sich daraus das echte Mark deutschen Sinnes, deutscher Kraft und ernster Würde gesogen, so aus [556] dem Duft und Glanz und Wein seines herrlichen Rheinstromes, den heitern Sinn, den leichten Humor, die liebe Schalkhaftigkeit und Ironie, die ihm und seinen Liedern ebenfalls zu eigen sind. Eine außerordentliche Anzahl guter Werke zeigt auch den eisernen Fleiß, womit Simrock gearbeitet hat, und in allen Stürmen seines eigenen und des vaterländischen Lebens, ein sicheres Ziel klar vor Augen, ruhig und stät verfolgt: so ist er auch ein seltenes Beispiel eines redlich angewandten Daseins, einer rast- und hastlos angewendeten Kraft.

Es kann uns hier natürlich nicht um eine Kritik der Werke Simrock’s zu thun sein, wir geben am Schluß dieser Skizze nur eine gedrängte Ueberschau seines außerordentlich reichen Wirkens; doch gewiß muß man auch nach dem unten Angeführten darüber staunen, was eine einzige Kraft zu leisten vermag. – Und all’ dies Geleistete: wir verdanken es eigentlich, – natürlich nur mittelbar genommen, – der französischen Julirevolution! – Sie begeisterte den achtundzwanzigjährigen Auscultanten im königl. preußischen Kammergericht in Berlin zu seinem damals berühmt werdenden Gedichte: „Die drei Farben,“ wofür er durch königliche Kabinetsordre aus dem Staatsdienste ausgeschlossen wurde. Da widmete sich denn der junge Mann ganz der Wissenschaft und Poesie; zwanzig Jahre lang wirkte er so ganz allein auf eigene Faust, bis er erst vor fünf Jahren zum Professor an der Universität zu Bonn ernannt wurde. Diese zwanzig Jahre schufen nun alle jene unten verzeichneten Werke, die wir also der Julirevolution oder jener Kabinetsordre zu danken haben. – Wir griffen hier mitten in das Leben Simrock’s ein; verfolgen wir es flüchtig von seinem Anfange an. – Der Vater unseres Simrock, Nikolaus Simrock, kam schon vor der ersten französischen Revolution vom Oberrhein nach Bonn und trat als Musikus in die kurfürstliche Kapelle ein. Er begründete später eine Musikalienhandlung, die er durch Talent, Umsicht und Fleiß immer bedeutender und gewinnreicher machte, und als er im Jahre 1832 starb, hinterließ er einer zahlreichen Familie ein ansehnliches Vermögen. Der Sohn, Karl, wurde an Goethe’s Geburtstag, am 28. August 1802 geboren. Seinen Jugendunterricht genoß er auf dem französischen Lyceum zu Bonn und wuchs er denn auch in der Familie unter Vorliebe für Frankreich auf. Seine innerste Natur aber drängte ihn schon von früh an zu deutscher Sitte und Anschauung, zu deutscher Sprache und Literatur und las er lieber den Eulenspiegel als die Pücelle. Er studirte dann Jura, ging zur Verfolgung dieses Studiums nach Berlin und trat dort schon 1826 als Referendar in preußische Dienste. Daneben hörte er aber noch bei Hegel Philosophie, besonders aber bei Lachmann Literatur des Mittelalters, und dies führte ihn denn mächtig seinem eigenen Wirken zu.

Schon im Jahr 1827 erschien seine erste Uebertragung des Nibelungenliedes; sie gewann sich bald Anerkennung und gemahnte den Altvater Goethe an den bekannten Ausdruck: „als ob ein verdunkelnder Firniß von einem Gemälde weggenommen wäre, und die Farben in ihrer Frische uns wiederum ansprächen.“ – So war Simrock auf einmal in eine erregsame und fördernde Stellung gekommen: er trat in die damals von Hitzig gegründete „Mittwochsgesellschaft,“ wo sich alle Kunst-Notabilitäten der Hauptstadt versammelten; der greise Chamisso näherte sich ihm freundlich, und es schloß sich Simrock’s Freundschaft und Zusammenwirken mit Wilhelm Wackernagel; Franz Kugler trat auch mit hinzu. – Nun gründete Simrock im Verein mit Curtius, später mit Ceggenhagen die „Berliner Stafette,“ die später den Namen „Oppositionsblatt“ annahm und in Sachen der Kunst, namentlich des Theaters, eine einflußreiche und angesehene Stellung gewann. Die jungen rührigen Redacteure gründeten hier die erste Theaterkritik, die schon am andern Morgen über die Vorstellung des Abends Berichte lieferte und von Saphir mit dem Namen „kuchenwarme Kritik“ bezeichnet wurde. Die Kritiker trafen sich am Tage der Vorstellung nach dem Mittagessen in der berühmten Conditorei Stehely, hier vertheilten sie die Theater der Residenz unter sich; nach der Vorstellung schrieb ein Jeder seine Kritik, die um Mitternacht von dem Setzer abgeholt, mit dem anbrechenden Tage abgezogen und um sechs Uhr Morgens den Lesern an’s Bett gebracht wurde. – Es war das ein frisches, regsames Wirken. Dahinein trat nun die Julirevolution mit ihren Folgen für Simrock. Indessen blieb derselbe doch noch zwei Jahre in Berlin, bis ihn die todesgefährliche Krankheit des Vaters in die Heimath zurückrief. Er kam drei Stunden nach dem Tode des Vaters dort an. – Hier nun zu bleiben, war eigentlich nicht sein Wille gewesen; doch die verführerisch-bannende Macht seines geliebten Rheinstroms, die er in dem Eingangs gegebenen Gedichte selbst so verführerisch warnend besingt, übte auch auf ihn ihren Zauber und er blieb. Als begüterter Mann hatte er Muße, sich nun ganz seinen schriftstellerischen und poetischen Intentionen hinzugeben; die kleine, aber von allen Strömungen der Gegenwart mitberührte Vaterstadt, die Universität daselbst mit ihren bedeutsamen Kräften und jungen Nachwüchsen der Poesie, konnten ihm nur förderlich sein.

Am 22. Juli 1843 vermählte er sich mit seiner Jugendliebe, der liebenswürdigen und vortrefflichen Landsmännin, Gertrud Ostler, die ihm ein innig befriedigendes Glück als Gatte und Vater schenkte. In seinen Gedichten hat er der Theuern Lieder gewidmet, die wir dort unter dem Titel: „Mit einem Kranz“ finden. – Abwechselnd lebte er in Bonn und auf seinem Weingut Menzenberg, gelegen auf dem klassischen Boden seiner Heldensage. „Es schat (sagt G. Kinkel in seinem vormärzlichen Buche „vom Rhein“) auf das blühende, im Schlachtlied gefeierte Thal von Honnef, dessen Gleichen an Fruchtbarkeit, Quellenreichthum und Nachtigallenschlag das ganze Rheinland nicht hat; nordwärts schließt der Drachenfels, vom Zauber der glänzendsten Sage umflossen; gegen Osten aber dehnen sich im Bergwald die Schluchten, in welcher nach alter Völkerüberlieferung Dietrich von Bern den Ecke und dessen Brüder erschlug.“ – Die Göttin Saga folgte ihm hier nach oder er folgte ihr nach diesem großen Schauplatz ihrer Thätigkeit. Der Dichter singt darüber also:

„Du winkst mir, Saga, wieder, o Lust, ich folge gern
Wohin du mich auch führest, und wär’ es noch so fern.
Sie sprach aus goldnem Munde: Du bist mir hold, ich weiß
Und gingst in eine Wüste auf deiner Göttin Geheiß.
Das will dir heute lohnen die Herrin deiner Wahl:
Sie will am Rheine wohnen, in dein geliebtes Thal,
Dein trautes, dich begleiten, wo die die Rebe blüht
Und an den sieben Bergen die Sonne scheidend verglüht.“

Das Jahr 1850 rief ihn von dieser Stätte weg und wieder dauernd nach Bonn, seiner Berufung als Professor daselbst. Hier wirkt er nun vor einem stets großen Zuhörer-Kreis; sein Vortrag ist scharf, klar, bestimmt; den ersten Kenner der deutschen Literatur bekundend, und – durchhaucht vom Zauber der Schönheit und Poesie, – die strenge Wissenschaft popularisirend im besten Sinne des Wortes; also auch hier eine Aufgabe lösend, die zu den wichtigsten Errungenschaften unserer Zeit gehört.

Die Persönlichkeit Simrock’s sei von dem oben bezogenen Dichter geschildert, der Jahre lang sein junger Freund und mitstrebender Genosse war. Derselbe spricht sich in dem schon genannten Buche dahin aus: „Wie im Gesange, ist Karl Simrock auch im Leben ruhig und schlicht: wer ihn zum ersten Mal sieht, mag ihn eher kühl heißen. Fleiß, Ernst, Besonnenheit sind die Grundzüge, die zuerst an ihm hervortreten. Aber trifft er die Kreise, in denen sein Geist oder sein Gemüth verwandte Luft athmet, dann schlüpfen die kleinen Schlängelchen aus dem Versteck hervor, und der Scherz wird frei. So muß man ihn unter den Kindern, so in erregtem Kreise, wo Lebensansichten streitig sich austauschen, so als Wirth beim „Eckenblut“ auf seinem Menzenberg gesehen haben, um auch in seinen Helden ganz diese unverbildete Frische, diese unzerstörbare Heiterkeit ihres Schöpfers wieder zu erkennen. – Jetzt gesunder als wohl je vorher, geliebt, geachtet, und von dem, was alle Männer dieser Tage zu tragen haben, bewegt, aber nicht verbittert – so steht er in der kräftigen Mitte des Lebens in rüstiger Schöpferkraft da, voll von Entwürfen.“ – So der Dichter über den Dichter. – Das sind nun wohl zehn Jahre her und zwar zehn Jahre ernster Schwere; sie haben des starken Mannes Haare grau gefärbt; aber sie haben auch jetzt ihn nicht verbittert, sie haben seine rüstige Schöpferkraft noch nicht gestört; in Mitten voller Thätigkeit hat er noch immer bedeutungsvolle Entwürfe. Seine Göttin Saga ist ihm treu nachgefolgt in die gelehrte Stube des akademischen Professors, und in den Sommerferien quillt noch auf dem Menzenberg das edle Eckenblut „für alle Wanderer, die des Weges ziehen.“ Das ist „das Bild vom Rhein,“ das Bild Karl Simrock’s.




Seine zahlreichen Werke lassen sich (hier schon der leichteren Ueberschaulichkeit wegen) in fünf Hauptgruppen zusammenstellen:

I. Das große Heldenbuch in sechs starken Bänden, enthaltend: Gudrun, Nibelungen, kleines Heldenbuch, Wiedland der [557] Schmied und das Amelungenlied. Dies ist eigentlich die Hauptthat seines Lebens, und wahrlich, eine Lebensthat kann man die vollendete Lösung der großen Aufgabe nennen: „die ganze volksthümliche Heldendichtung unseres frühen Mittelalters in der Sprachform der Gegenwart dem deutschen Volke wieder zu schenken;“ sein köstliches Erbgut aus dem phantasiereichen und thatlustigen Jünglingsalter, die Heldensage aus dem Schutt und Moder der Zeit wieder hervorzuholen; dasjenige, was daraus in der Blüthe des Mittelalters schon gute Bearbeiter fand, zu übersetzen, die andere, größere Hälfte aber, die einzig in prosaischem Bericht oder auch nur in loser Andeutung auf uns gekommen ist, den Geist der alten Dichtung schöpferisch neuzugestalten und das Ganze sich zu einem mächtigen Ringe zusammenschließen zu lassen.

„Mir ward ein Lied zu singen, des deutschen Sinnes Bild,
Der lange lau und lässig, im Zorn erhaben schwillt.“

Mit diesen Worten begann der Gelehrte und Dichter sein außerordentliches Werk. Er führt uns darin durch alle Stämme hindurch, welche das Drama der Völkerwanderung durchspielen; er führt uns zuletzt noch durch Norwegen, Schweden und das Land der Dithmarsen, nach Thüringen zum Spessart, an den Rhein, und ihm hinauf nach Italien. – Und zum Dichterischen stets die gründlichste, klarste Untersuchung und Interpretation. — Diesem großartigen nationalen Wirken schließt sich an die Gruppe:

II. Nachbildungen und Uebertragungen vereinzelter Werke und einzelner Dichter des Mittelalters. Dazu gehören: Zwanzig Lieder von den Nibelungen, die Eddalieder, Hartmann’s von der Aue: „der arme Heinrich“, Walther’s von der Vogelweide Gedichte und Wolfram’s von Eschenbach: „Percival und Titurel.“ Eben so treu, wie Simrock dort den alten Heldengeist wieder gab, so hier (bei den drei Dichtern) den Ritter- und Minnegeist jener Zeit, und zwar bei stäter Treue in frisch lesbarer Weise; nicht blos in altem Erneuen und einem unzugänglichen Zusamenflicken moderner und alter Ausdrucksweise, sondern in lebensvoller Neugeburt echt alten Sinnes und Geistes.

III. Sammlung und Wiederherstellung nach den echtesten Lesarten der altdeutschen Volksbücher. Wer kennt sie nicht, die – bis jetzt auf vierzig herangewachsenen – Büchlein mit den lieben, alten, treuen Erzählungen, Schwänken und Possen, worin sich der Volkscharakter, sein Witz, sein Humor so kernig und gesund wiederspiegeln? Wer hat sich nicht erfreut an ihren alten, treuen, charakteristischen Holzschnitten? – Das Puppenspiel vom Faust und Reinecke Fuchs sind daraus besonders berühmt geworden. Zur ersten Wiederherstellung dieser Bücher trat Simrock mit den bedeutendsten Germanisten in Verbindung; ging er auf die ältesten, zum Theil sehr seltenen Ausgaben zurück, und that denn auch manch glücklichen neuen Fund. Man sieht es dem kleinen, unscheinbaren Büchlein nicht an, welcher Aufwand von tiefem Studium und ernstem Fleiß darauf verwendet wurde. Dasselbe gilt von den dieser Richtung angehörenden Sammlungen: Deutsche Volkslieder, deutsche geschichtliche Sagen, rheinische Sagen, Karolingisches Heldenbuch, deutsche Sprichwörter (12,396 Stück, die einen wahren Schatz poetischer Lebensweisheit und schlagender Charakteristik enthalten), deutsches Räthselbuch (700 Stück der köstlichsten Volksräthsel), deutsches Kinderbuch; – mittelbar gehört auch noch dazu: Altchristliche Kirchenlieder und geistliche Gesänge, lateinisch und deutsch.

Mit wirklich bewundernswerthem Fleiße und Spürtalent hat der Dichter hier überall gesammelt, mit dem feinsten Takte gesondert und zur klaren Ueberschaulichkeit zusammengestellt.

In IV. Gruppe: die Arbeiten nach und für ausländische Literatur. Hier ist es besonders eine vortreffliche, dem deutschen Wesen und dem deutschen Theater glücklich angepaßte Bearbeitung von Shakespeare’s Macbeth, als der Beginn einer weiter intentirten Aufgabe: „Shakespeare, als Vermittler zweier Nationen“; damit zusammen hängt: „Quellen des Shakespeare in Novellen, Sagen, Mährchen“; diese Aufgabe führte dann zu dem nun begonnenen „Novellenschatz der Italiener.“

Tritt nun bei all den genannten Werken, nur mehr oder weniger, schon der original-schaffende Dichter und Prosaist hervor, so ist dieser doch nicht immer ganz klar und einzig zu trennen vom Uebertrager, Sammler und Interpreten, und so bleibt uns denn noch als letzte und

V. Gruppe: der reine Originaldichter und Prosaist. Als solcher gab der Poet: Einen großen Band „Gedichte“, ein kleines Epos: „Der gute Gerhard von Cöln“; eine poetische Erzählung, halb Reim halb Prosa: „Bertha, die Spinnerin“ und neuester Zeit: „Legenden.“ – Hier tritt nun überall hervor, was wir oben bei Gelegenheit des Gelehrten und Dichters sagten; darum handelt es sich bei Simrock’s Gedichten auch nie um Empfindelei, vages Vernebeln und Verschwebeln und ein süßliches Hintorkeln in unbestimmten Begriffen; da hat Alles Fleisch und Knochen und gesundes Blut, mit kräftigen Muskeln und Sehnen zusammengehalten; eine lebendige Thatsache, ein bestimmter Gedanke wird knapp, kurz, resolut hingestellt, und klingt es auch oft etwas kühl, etwas herb und spröde und kann der Dichter seine meisterhaft gebildete Sprache auch nicht um sich schlagen im kühnen Faltenwurf des Purpers, – so entschädigt dafür doch stets der Inhalt, oft eine glückliche, epigrammatisch auslaufende Pointe, ein köstlicher Humor, eine liebenswürdige Ironie und Schalkhaftigkeit. Am Glücklichsten ist Simrock als Romanzen- und Balladen-Dichter; doch schlägt er auch oft echt lyrische Töne an und hat er Lieder der innigsten, naivsten Empfindung und Unmittelbarkeit gegeben. –

Der Prosaist bildet mit seinem vielberühmten herrlichen Werke: „Das malerische und romantische Rheinland,“ den Uebergang aus der Sphäre der Poesie, Kunst und gelehrten Forschung zur specifisch gelehrten Wirksamkeit, die sich schon in seinem früheren kleinen „Handbuch der deutschen Mythologie“ präsentirt, weit mehr aber noch in seinem neuesten umfangreichen Werke: „Die deutsche Mythologie mit Einschluß der nordischen.“ Hier hat denn nun, wie schon angedeutet, der Dichter dem Gelehrten genützt, so daß dieser uns ein so lebendiges, warmes, klar überschauliches Werk gab, daß dasselbe für jeden gebildeten Deutschen angenehm zugänglich, für Jeden nothwendig ist, der Sinn und Strebsamkeit für das Kulturleben der Nation hat, wie es sich in seiner Mythologie abspiegelt.




Küchen-Chemie.

Von Dr. H. Hirzel.




Kochgeschirre.
(Schluß.)
c. Töpfergeschirr.

Das Töpfergeschirr fehlt wohl keiner Küche. Reiche und Arme gebrauchen es schon seit Jahrhunderten, um ihre Speisen darin zuzubereiten und aufzubewahren, und doch giebt es, gerade weil es so allgemein benutzt wird, am Häufigsten zu gewöhnlich sehr schlimmen Vergiftungen Veranlassung. Die Haupt- und Grundmasse aller Töpfergeschirre ist ein Gemenge von Thon mit Kiesel, Sand, Kalkstein oder anderen ähnlichen Gesteinarten. Die Oberfläche dieser Masse ist aber mit einem glasartigen, mehr oder weniger durchsichtigen, gewöhnlich gelb, weiß, grün, blau, braun oder schwärzlich gefärbten Ueberzuge, der sogenannten Emaille oder Glasur bedeckt, welche fast immer und überall aus einer viel Bleioxyd (einer Verbindung von Blei mit Sauerstoff) enthaltenden Glasmasse besteht und die Ursache der Gefährlichkeit dieser Waaren ist. Man verfährt nämlich bei der Anfertigung der Töpfergeschirre im Allgemeinen auf folgende Weise. Zuerst werden alle Substanzen, die man dazu gebraucht, der Thon, Mergel Kalkstein, Sand, Kiesel u. s. w. auf Mühlen sehr fein gemahlen, dann auf die Weise gemischt, daß man sie zusammen mit Wasser zu einem nicht zu dünnen Brei anrührt. Der erhaltene Brei wird rasch etwas getrocknet, hierauf gehörig durchgeknetet oder mit den Füßen durchgestampft, bis er eine gleichmäßige bildsame Masse darstellt. Aus [558] dieser Masse, dem sogenannten „irdenen Teig“ werden nun die Geschirre theils mit der freien Hand, theils durch Eindrücken in Gyps oder Thonmodelle geformt, an der Luft oberflächlich getrocknet, glasirt und endlich gebrannt. Zur Glasur nimmt man meistens Bleiglätte (unreines Bleioxyd) oder andere bleihaltige Körper, mehr oder weniger reinen Sand, Thon oder Lehm, oft auch Kreide und um eine Färbung hervorzubringen, Hammerschlag (färbt braun), Kupferasche (färbt grün), Zaffer (färbt blau), Zinnasche (färbt weiß), oder Braunstein (färbt schwarz), je nachdem sich der Töpfer die eine oder andere dieser Substanzen leichter und billiger verschaffen kann.

Diese zur Bildung der Glasur bestimmten Stoffe werden ebenfalls zuerst fein gemahlen und mit Wasser zusammen zu einem Brei angerührt. In diesen Brei taucht man nun die zu glasirenden Waaren entweder ein oder man bespült oder bestreicht sie damit, und zwar, je nachdem das Geschirr zu feinern oder gröbern Zwecken verwendet werden soll, entweder auf beiden oder nur auf der innern Fläche. Manche Geschirre werden auch erst schwach gebrannt und dann erst in den Glasurbrei eingetaucht, oder wie man sich ausdrückt, „glasirt.“ Nach dem Glasiren folgt endlich das Brennen. Die Geschirre werden in dem eigens hierzu eingerichteten Töpferofen aufgeschichtet und 25 bis 30 Stunden einer ziemlich bedeutenden Glühhitze ausgesetzt. Hierbei schmilzt die an der Oberfläche haftende Glasurmasse und bildet eine zusammenhängende glasige Decke. Nachdem dies erfolgt ist, wird der Ofen verschlossen und das Geschirr erst, nachdem er sich vollständig abgekühlt hat, aus demselben herausgenommen; denn je langsamer die Abkühlung, desto fester und dauerhafter die Waare. Ein gutes Töpfergeschirr muß einen raschen Temperaturwechsel ertragen können, ohne zu springen, beim Anklopfen mit dem Finger einen reinen Klang geben und eine Glasur besitzen, die keine Sprünge bekömmt, nicht abblättert und sich nicht mit einem scharfen Messer ritzen läßt. Dennoch kann Geschirr, welches allen diesen Anforderungen entspricht, Vergiftungen veranlassen. Der Grund hiervon liegt, wie schon erwähnt, in der bleihaltigen Glasur. Die Töpfer sollen zwar nur möglichst wenig Bleiglätte zur Glasur nehmen, damit sich das Bleioxyd vollständig mit der Kieselsäure oder Kieselerde, aus welcher der Sand und zum Theil auch der Thon oder Lehm besteht, zu sogenanntem Bleiglas verbinden kann, das von den Speisen nicht oder wenigstens nicht leicht angegriffen wird. Allein dann ist eine hohe Temperatur und daher viel Brennmaterial, auch viel Zeit erforderlich, um eine solche Glasur zum Schmelzen zu bringen. Je mehr Bleiglätte aber zur Glasur kömmt, desto leichter schmilzt dieselbe. Der Töpfer kann dann sein Geschirr mit Hülfe von weniger Brennmaterial und in kürzerer Zeit brennen, dasselbe billiger, ja selbst besser aussehend darstellen.

Ist es daher zu verwundern, daß die Töpfer, denen größtentheils unbekannt ist, welch’ großen Schaden sie mit solchem bleireichen Geschirr anstiften können, so viel als möglich Bleiglätte zur Glasur nehmen; besonders, da man trotzdem, daß das Holz, überhaupt das Brennmaterial, immer theurer wird, von ihnen doch ein ganz billiges Geschirr verlangt? Die Folgen dieses Mißverhältnisses, die Bleivergiftungen, treten daher auch immer häufiger auf. Enthält nämlich die Glasur des Töpfergeschirres verhältnißmäßig viel Bleioxyd, so lösen besonders saure und salzige Speisen, die man darin kocht oder aufbewahrt, nach und nach einen Theil des Bleioxydes auf und werden bleihaltig. Oefterer Genuß solcher Speisen ist außerordentlich schädlich, und es treten darnach besonders folgende Krankheitserscheinungen ein: das den Zähnen zunächst liegende Zahnfleisch nimmt eine bläuliche bis schiefergraue Farbe an, sein äußerster, die Zähne berührender Theil erscheint wie eine graue Linie, der Geschmack im Munde wird unangenehm süßlich, der Athem übelriechend, die Haut schmutzig gelb oder erdfahl, der ganze Körper, vorzüglich aber das Gesicht, magert ab und die Gesichtshaut wird runzelig. Doch das sind erst die Vorboten der langsam aber sicher tödtenden Bleivergiftung oder Bleikolik. Nach einiger Zeit stellt sich periodenweise ein äußerst heftig werdender zusammenziehender Schmerz in der Nabelgegend ein, der so furchtbar werden kann, daß selbst der gleichmüthigste Mensch in laute Wehklagen ausbricht. Dieser Schmerz ist dadurch vor ähnlichen zu unterscheiden, daß er sich durch Druck eher etwas vermindert als steigert. Der Vergiftete leidet oft an tagelanger Stuhlverstopfung, oft an plötzlichem heftigem Durchfall, häufigen Uebelkeiten, fortwährendem, sehr bitter schmeckendem Aufstoßen und häufigem Erbrechen; der Durst ist bedeutend, der Appetit tritt gewöhnlich während der Schmerzanfälle ein, der Unterleib ist zurückgezogen und fühlt sich hart an, die Gesichtszüge sind durch Todesangst und unbeschreibliche Schmerzen entstellt, die Kräfte vernichtet. Oftmals gesellen sich hierzu die heftigsten Kopfschmerzen, Krämpfe, Empfindungslosigkeit oder Lähmung einzelner Glieder; doch das Bewußtsein bleibt ungetrübt und der Unglückliche wünscht zuletzt sehnlichst, daß der Tod seinen Qualen ein Ende machen möge, was aber nur sehr langsam geschieht.

Diese Gefahr ahnen wohl die wenigsten Menschen; sie bereiten ihre Speisen sorglos in dem Töpfergeschirr und bewahren sie auch oft Tage darin auf. Wir halten es daher für unsere Pflicht, hierauf aufmerksam zu machen, und wollen nicht versäumen, wenigstens anzudeuten, auf welche Weise man einen nachtheiligen Bleiglanz im Geschirr leicht entdecken kann; und jedes neu eingekaufte glasirte Geschirr, auch das emaillirte Eisengeschirr sollte vor dem Gebrauche auf diese Weise geprüft werden. Man füllt das Gefäß mit Essig an, den man vorher mit der 6–12fachen Menge Wasser vermischt hat, setzt zugleich etwas Salz zu, erhitzt es zum Kochen, läßt die Flüssigkeit in kleineren Gefäßen eine halbe, in größeren eine ganze, in sehr großen mehrere Stunden lang kochen, und in dem Topfe erkalten. Hierauf schickt man eine Probe derselben in die Apotheke oder zu einem Chemiker mit dem Bemerken, derselbe möge etwas Schwefelwasserstoffwasser dazu setzen; oder will man den Versuch selbst anstellen, so bewahrt man ein faules Ei in einem gut schließenden, im Dunkeln stehenden Glase (einer gewöhnlichen Arzneiflasche) auf, und setzt von diesem etwas zu der Flüssigkeit. Färbt sich dieselbe nach Zusatz von Schwefelwasserstoffwasser oder faulem Ei (die faulen Eier verdanken einem Gehalte an Schwefelwasserstoff ihren übeln Geruch) braun oder bilden sich schwarze Flocken darin, so ist der untrügliche Beweis geliefert, daß sich Blei aus der Glasur des Geschirres darin aufgelöst hat, indem die dunkle Färbung oder Bildung von schwarzen Flocken, von Schwefelblei abhängt, das nach Zusatz von Schwefelwasserstoff entsteht. Das Geschirr ist dann verwerflich. Bei gutem Geschirr bleibt dagegen die Probeflüssigkeit klar und farblos. Jedenfalls ist die schon in vielen Familien eingeführte Sitte, die neuen Kochgeschirre, bevor man sie benutzt, erst ein oder mehrere Male mit Wasser auszukochen, dem man etwas Essig und Salz zugesetzt hat, der allgemeinsten Nachahmung dringend zu empfehlen.

Immerhin ist die bleihaltige Glasur ein großer Uebelstand und kann unter Umständen, auch wenn sie gut gebrannt war, allmälig an die Speisen übergehen und schädlich wirken. Das Beste wäre daher, wenn endlich einmal ein Töpfergeschirr mit bleifreier Glasur gebrannt würde, was keine Unmöglichkeit ist. Allerdings ließe es sich dann wohl kaum für einen so billigen Preis darstellen, allein im Vergleiche zu dem hohen Werthe der Gesundheit, die unnöthiger Weise gefährdet wird, wäre eine geringe Preiserhöhung, aber bleifreies, unter jeder Bedingung unschädliches Geschirr, gewiss kein unvortheilhafter Tausch und ein Opfer, welches wohl alle vernünftigen Menschen sich selbst und den Ihrigen gerne bringen würden.

Dasselbe gilt von der etwas feineren Fayencemasse, aus welcher die weißen, oft auch bunten Schüsseln, Teller, Tassen etc., die nicht zum Kochen, sondern hauptsächlich zum Tischgebrauche dienen, in den verschiedensten Größen und Formen verfertigt werden. Das Fayencegeschirr erhält meistens eine dicke, bleireiche Glasur, die sich beim täglichen Gebrauch ziemlich rasch abblättert oder abnutzt, auch leicht Blei an die Speisen abgiebt. Es ist daher noch gefährlicher als das gemeine Töpfergeschirr, namentlich dürfen Speisen, vorzüglich Salat, durchaus nicht lange darin liegen bleiben. Der Salat darf überhaupt nur in Holz, gewöhnlichen bleifreien Glas- oder Porzellangefäßen, welche niemals schädliche Bestandtheile abgeben können, zugerichtet und aufbewahrt werden.

Der Blick in die Küche und auf das in dieser befindliche Kochgeschirr hat uns gezeigt, daß dieser Gegenstand nicht gleichgültig, sondern im Gegentheil einer ernsten Beachtung werth ist, indem bei größerer Vorsicht in der Wahl der Kochgeschirre viel Unglück und Elend verhütet werden könnte. Wenn Niemand mehr schlecht glasirtes Töpfergeschirr kaufen wollte, so würden die Töpfer dazu gezwungen, ihr Geschirr gut und mit möglichst bleifreier Glasur zu brennen. Zum Kochen der Speisen bediene man sich, wo es nur immer möglich ist, des ordinären Schwarzblechgeschirres; [559] zum Aufbewahren derselben verschaffe man sich Gefäße von Holz, echtem Steingut (Steingut ist ein Geschirr, welches wie das Porzellan keine oder wenigstens keine bleihaltige Glasur hat, doch nennt man auch manchmal das oben erwähnte Tischgeschirr fälschlich Steingut), Porzellan oder Glas (z. B. ganz ordinäre Zuckergläser, die in jeder Glashandlung in allen Größen zu bekommen sind. Den Essig bewahrt man am besten in gläsernen Flaschen, gewöhnlich in grünen Bouteillen auf).




Fabrikmädchen als Schriftsteller.

Die Fabriken zu Lowell in den Vereinigten Staaten beschäftigen etwa 8000 Arbeiter, die zur guten Hälfte aus jungen Mädchen bestehen. Die Höhe des Arbeitslohnes und die Abneigung vor der untergebenen Stellung einer Hausmagd leiten überzählige Töchter der unbemittelteren Klasse besonders gerne hierher. Nachdem sie einige Jahre so gearbeitet, ihr Heirathsgut erworben oder vermehrt, pflegen sie sich mit dem Stolze der Selbstständigkeit zu ihren Aeltern oder dem erwählten Gatten zurückzuziehen. Was selbst während ihrer Fabrikzeit, bei zwölftäglichen Arbeitsstunden, ein tüchtiges und auf Bildung gerichtetes Selbstgefühl zu leisten vermag, wird man in dem nachstehenden Aufsatz bewundern. Er ist einer Zeitschrift (The Lowell offericy) entlehnt, welche ausschließlich von Fabrikmädchen geschrieben wird, die sich zu einem „gegenseitigen Bildungsverein“ zusammengethan haben. Schilderung und Gefühl, Urtheil und Gesinnung sind in ihm gleich schön und edel.


Die graue Locke.

Rührendes Gedenkzeichen geschiedener Würde und Liebe, wie traurig süße Erinnerungen weckst du in meiner Brust! – Ich denke daran, wie ich dich abgeschnitten, da der Tod den theuren Zügen seinen wandellosen Stempel schon aufgedrückt. – Wie lebhaft rufst du mir die Zeit zurück, wo ich im kindischen Spiele die Flechten auf der ehrwürdigen Stirn meiner Großmutter glättete! Die Jahre mochten sie gefurcht haben, aber eine erhabene Schönheit thronte darauf. Keine Gewalt hatte das Alter, das Licht des Wohlwollens zu dämpfen, welches von deinem Auge strahlte, noch das gütige Lächeln zu trocknen, das deine Züge belebte. Wieder glaube ich die milde Stimme zu vernehmen, deren Laute all meine Launen bezwangen. Wohl haben zehn Sommer das Gras grün gemacht auf deinem Grabe, und die weiße Rose ist in Schönheit aufgebrochen ob deinem verehrten Haupte, doch dein Name ist grün geblieben in unserem Gedächtniß und deine Tugenden haben unverwelklichen Geruch gelassen in den Herzen deiner Kinder.

Sie, von der ich erzähle, durfte sich den Hochgeborenen der Erde nicht nachstellen. Aber die Reinheit ihres fleckenlosen Charakters, ihr nützliches Dasein, ihre Pflichterfüllung, ihre hohe Unterwerfung unter den Willen des Himmels umstrahlten sie glänzender, als die Krone den Grafen und dauernder, als der Sonnenkreis das Genie. Kein Schloß fremder Zonen oder unseres fernen Südens nannte sie Herrin – in Neuhampshire’s Bergen war ihre verborgene Heimath.

Ich erinnere mich wohl des Morgens, an dem sie mir, dem schäkernden Mädchen von dreizehn Jahren, die Ereignisse ihrer jungen Tage erzählte. Auf ihr Ersuchen hatte ich sie zu einem Morgengange um unser altes Hauswesen begleitet. Plötzlich stand sie still und schaute gespannt auf die grüne Erde. Zuletzt deutete sie auf eine fast überwucherte Vertiefung und sagte:

„Dieser Platz ist mir der liebste auf Erden.“

Ich schaute sie fragend an, da ich nichts Besonderes zu entdecken vermochte. Die Thräne theurer Erinnerung stand ihr im Auge, als sie erwiederte:

„Auf diesem Platze habe ich die hellsten Stunden meines Lebens verbracht. Hier hat unser erstes Blockhaus gestanden und hier hat mein Erstgeborner das Licht erblickt.“

Ich bat um Weiteres und sie setzte sich auf den breiten Stein, der ihr Herd gewesen war und begann:

„Es war ein heller Sommerabend, als mein Großvater, den Du nicht gekannt hast, mich als seine glückliche Frau hierher brachte. Am selben Morgen hatten wir am Altare gestanden, am selben Morgen hatte ich mit den bangen Gefühlen eines achtzehnjährigen Mädchens meiner Kindheit Lebewohl gesagt und, mit dem letzten Kusse einer lieben Mutter auf der Wange, die Reise zu meines Gatten Heimath in der Wildniß angetreten. Wir ritten langsam auf dem grünen Waldpfade dahin, dessen Windungen abgeschälte Bäume allein kennzeichneten. Doch keine neumodische Braut in ihrer prächtigen Kutsche, in Seide und Spitzen, hat ihr Herz auf dem Wege zur stattlichen Behausung höher schlagen gefühlt, als ich. Wie ich auf den kräftigen Mann zu deiner Seite blickte, wie er mit sorgsamer Hand meine bräutlichen Zügel leitete – oder dem vollen Strahl seines dunkeln Auges begegnete, da fühlte ich, seine Liebe sei wandellos.

„So verfolgten wir unsern einsamen Weg durch den weitgestreckten Forst, wo Natur noch herrschte in fast ursprünglicher Willkür und Schöne. Dann und wann kam ein angebauter Fleck mit einer neuen Hütte, die junge Mutter davor mit dem Kindlein an der Brust, ein leises Lied im Munde, dazu das ferne Gekrach fallender Bäume – eine Siedler-Heimath.

„Das Zwielicht hatte seinen milden Schleier auf die Erde geworfen, das schlingende Gebüsch einen tiefern Schatten angenommen, der Waldvogel sang seinen letzten Ton, da tauchten wir auf aus dem Walde und gelangten zu einer Rodung. Es war ein Raum von wenigen Ackern, wo noch voriges Jahr der Baum in seinem Stolze stand. In der Mitte, umgeben vom hohen indischen Korn, lag das niedere Häuschen, welches meine Heimath werden sollte – wie zitterten die seidenen Aehren im Nachtwind. Unter jener alten Eiche, die man als ein Mal der Vergangenheit geschont hat, waren wir abgestiegen und betraten unsere Wohnung. Kein Laut rings außer dem Wispern des Windes, wie er durch das Blättermeer fuhr. Aber gesegnet mit Jugend, Gesundheit, Liebe, Hoffnung – was hatten wir zu fürchten? Nicht daß die Entbehrungen und Mühsale früher Siedler uns unbekannt gewesen wären, aber wir scheuten sie nicht.

„Der frühe Morgen und der thauige Abend sahen uns unerschlafft an der Arbeit, und der Himmel krönte unser Werk. „Die Wildniß begann zu blühen wie die Rose,“ und unsere Scheuern füllte der Ueberfluß.

„Doch eine verhängnißschwere Zeit zog für die damals noch jugendliche Colonie herauf. Die Unzufriedenheit, welche schon längst in unseren Häfen gemurrt hatte, ward lauter und anhaltender unter den wiederholten Thaten britischer Bedrückung. Wir wussten, die verderblichen Wolken sammelten sich jeden Tag schwerer. In jenen Tagen erfuhr man nur, was ein gelegentlicher Besucher zu melden hatte.

„Unsicher und zweifelhaft, wie das Gerücht ging, war es genug, um den Trotz manches männlichen Herzens zu erwecken. Das treue Gewehr ward in Stand gesetzt und hing in blanker Bereitschaft über jeder niederen Thür. Zinnernes Geschirr ward zu Kugeln, Tod dem Feinde lebte in jeder Brust, gewärtig des Signals.

„Es war an dem denkwürdigen 17. Juni 1775, daß Dein Großvater auf einem entfernten Theile seiner Besitzung der gewöhnlichen Arbeit nachging. Da schlug plötzlich ein hellerer Ton an sein Ohr als das Gekrach fallender Bäume, das Echo antwortete die Berge entlang. Er wußte, die Stunde war gekommen und eine Flamme sei ausgebrochen, die Blut allein zu löschen vermöchte. Er war kein Mann, beim Schlachtruf zu schlummern. Hin warf er sein Geräth und betrat das Haus mit einem Antlitz, das ich nie vergessen werde. Ein wildes Feuer glühte in seinem Auge, eine fliegende Hitze spielte auf der Wange – so schaute er auf mich und sein Kindlein und zuckte in Schmerz. Aber bald glänzte der hohe Ausdruck ruhiger Entschlossenheit auf seinen Zügen.

„Da fühlte ich, daß wovor ich lange gebangt hatte, sich erfüllen solle. Eine Weile rang das Weib in mir fürchterlich – doch der Kampf war kurz; und obwohl ich nicht mit meinen Lippen sagen konnte: Geh, klang es doch in meinem Herzen: Gottes Wille geschehe! Denn nur als solchen konnte ich die heilige Sache betrachten, in der Alles, wofür wir lebten, auf dem Spiele stand. [560] Ich übergehe das qualvolle Scheiden und die Verlassenheit meines Herzens. Ein paar hastige Vorkehrungen, und er eilte mit der grünen Berg-Schaar auf den Posten der Ehre. Bald, in dem hartnäckigen Kampfe auf den Ebenen von Bennington, hatte er sich gegen den hochmüthigen Briten ausgezeichnet und seinen gemietheten Soldaten.

„Lang und düster war die Abwesenheit meines Gatten, doch der Gott meiner Väter verließ mich nicht. Ihm empfahl ich meinen Abwesenden im Vertrauen, er werde Alles gut machen. Dann und wann kam ein flüchtig hingeworfenes Zettelchen wie eine Taube des Friedens in meine Einsamkeit. Es sprach von unvergänglicher Liebe und unerschüttertem Glauben an die Sache, für die er Alles verlassen.

„Aber er kehrte heim. Wieder einmal war er bei mir. Ich sah ihn den Erstgebornen an seinen Busen pressen und den kleinen Dunkeläugigen, den er noch nicht erblickt, mit neuer Liebe in seinen väterlichen Armen empfangen. Er erlebte den Abschluß jenes rühmlichen Streites, den wir Alle so gut kennen. Er schaute die Sterne und Streifen unserer Fahne und erfreute sich der Segnungen des kurzen Friedens. Aber ehe das dürre Alter auf seiner Stirn erschien, legte die welkende Hand des Siechthums sein edles Haupt in den Staub. Wie der Sonnenuntergang eine fröhliche Auferstehung weissagt, also war sein Tod. Manche Jahre sind vergangen, seit wir ihn gebettet, wo ich in wenigen kurzen Tagen süß an seiner Seite schlummern werde.“

So war ihre schmucklose Geschichte; und so ist das Wesentliche von der Geschichte mancher Aeltermutter von Neu-England. Während die Feder der Historie von den hohen Thaten unserer patriotischen Väter berichtet, erzählt sie zu wenig von der Entbehrung und Mühsal unserer Mütter, von ihren Nächten voll jäher Unruhe und lautlosen Kummers. Aber ihre Tugenden blieben in den Herzen ihrer Töchter aufgezeichnet, und in den Charakteren, die nicht vergehen. Lasset die rohe Hand der Entartung nicht den geheiligten Schein ihres Gedächtnisses entweihen!




Die letzten Tage der deutschen Flotte.

Von Hannibal Fischer.
Ein Stück deutsche Geschichte.[1]

Getrennt von meiner Familie, durch den Druck der Verhältnisse zu einer meinen vorgerückten Jahren so wenig anständigen vagabundirenden Lebensweise genöthigt, im Gefühle des Trübsinns über so manche gescheiterte Plane einer bestimmten Berufsthätigkeit, verlebte ich zu Frankfurt a. M. ein freudenloses Dasein.

Es war an meinem 67. Geburtstage, als ein hochangesehener Staatsmann mir freundschaftlich mittheilte, daß sich bei dem Bundestage vielleicht eine Gelegenheit darbiete, mir ein wichtiges Dienstgeschäft zu übertragen. Es war das damalige Bedürfniß, zu der beschlossenen Auflösung der deutschen Flotte ein dem höheren Beamtenstande zugehörendes Organ zu finden, welches bewandert, in höheren Administrativgeschäften, zugleich in seinem persönlichen Charakter die erforderliche Bürgschaft darbiete, mit der nöthigen Energie die vorauszusehenden Schwierigkeiten, welche dies Geschäft in Aussicht stelle, zu überwinden. So freudig mich diese Gelegenheit, wenn auch nur temporär, zu einer öffentlichen Wirksamkeit wieder zu gelangen, ansprach, so niederschlagend war mir das Bedenken, daß mir von Seiten des Oldenburg. Gouvernements besonders dessen Bundestagsgesandten, meinem entschiedenen politischen Gegner, ganz gewiß die möglichsten Hindernisse zur Uebernahme eines solchen Antrags entgegnet werden würden. Ueberraschend war mir die Beruhigung meines Gönners: „Sie sind im Irrthum! Gerade dieser Mann hat sie in der Versammlung recht warm empfohlen, und diese Empfehlung hat einen für Sie um so günstigeren Eindruck gemacht, als es gar nicht unbekannt ist, daß dieser Herr Ihr politischer Gegner ist.“ – Mein Erstaunen wuchs, als mir am folgenden Tage die Kunde wurde, daß der Vorschlag meiner Person vollständig durchgegangen sei. Tief bewegte mich der Edelmuth eines Mannes, der ohnerachtet der ganz antipodischen Richtung seiner politischen Charakters, seinem Gegner doch das Zugeständniß vorzüglicher Qualification zu einem Geschäfte nicht versagt hatte, bei welchem jedenfalls Gewandtheit mit strenger Gewissenhaftigkeit und unbestechlicher Charakterstärke vereint sein mußten. Der Drang meines Herzens, den Mann, den ich eher die giftigste Neigung, mir zu schaden, als einen solchen Edelsinn zugetraut hatte, ließ mich nicht rasten, das gegen ihn in meinem Herzen getragene bittere Unrecht aufrichtigst abzubitten. Als nun der wirkliche Antrag von Seiten der Bundesversammlung die Erfüllung meines so lange ersehnten Wunsches, noch dazu auf eine so eigenthümliche Weise, in die so lange vermißte öffentliche Geschäftsthätigkeit versetzt zu werden, realisirt war, zog mich mein erfreutes Herz zu diesen Gönner, um mit meiner Dankbezeugung auch noch die vom innigsten Gemüthsdrang gebotene Ehrenerklärung zu verbinden. Wie aus den Wolken gefallen stand ich aber da, als der durch diese Erklärung sichtlich in eine sehr peinliche Stellung versetzte Diplomat, ganz verblüfft und in übel zusammenhängenden, die größte Verlegenheit bekundenden Redensarten mir versicherte: hier walte ein großes Mißverständniß! Seine Aeußerungen über mich seien von der Ausschußversammlung in einem ganz unrichtigen Sinne aufgefaßt worden, und da ich den Antrag angenommen habe, so dürfe er mir nicht bergen, daß mir dieses zum größten Mißfallen des Herzogs gereichen werde. In großer Gemüthsbewegung referirte ich einem hochstehenden Diplomaten diese arge Mystification meiner Arglosigkeit. Meine Relation versetzte denselben in ein lautes Gelächter: „Aber konnten Sie denn in Ihrer naiven Taubeneinfalt nicht auf der Stelle in diesen Lobsprüchen des Herrn von *** dessen Absicht verkennen, Sie bei dem Großherzog unheilbar zu ruiniren?“ Natürlich weit entfernt, H. von *** eines solchen diplomatischen Kunststücks zu zeihen – „denn Brutus ist ein ehrenwerther Mann!“ – aber doch nicht ohne einige Beschämung, einer solchen Täuschung mich hingegeben zu haben, erzählte ich den Vorfall dem Bundespräsidialgesandten Grafen Thun, der mir rieth, den Antrag anzunehmen, indem mich die Bundesversammlung gegen die Folgen irgend einer Intrigue zu schützen wissen werde. Unmittelbar, nachdem ich den Grafen verlassen hatte, meldete sich Herr von ***. Es mögen in dieser Conferenz bei der bekannten rücksichtslosen Geradheit, und biedern Offenheit des Grafen Thun nicht die freundlichsten Explicationen stattgefunden haben.

Nachdem ich einige Tage mit den erforderlichen Instruktionen auf der Bundeskanzlei zugebracht hatte, eilte ich nach Bremerhaven, als den Ort meiner Bestimmung. Dort kaum angekommen, überraschten mich zwei Depeschen sehr verschiedenartigen Inhalts, die eine, in welcher mir von Sr. Majestät des Königs von Preußen, die Erhebung in die zweite Classe des rothen Adlerordens huldreichst zu erkennen gegeben, die zweite von dem oldenburgischen Ministerium, in welcher mir, bei Vermeidung sofortiger Dienstentlassung die Uebernahme des Bundestagsauftrages untersagt wurde. Es verstand sich von selbst, daß ich als ein in oldenburgischen Pflichten stehender Diener, meine Unterwerfung unter des Großherzogs Befehle pflichtschuldigst anzeigte, und an den Bundestagsausschuß über dieses Inhibitorium Bericht erstattete. Vom Bundespräsidium erhielt ich alsbald die Entschließung:

„Sie werden hiermit im Namen hoher Bundesversammlung aufgefordert, sofort nach Empfang der gegenwärtigen Weisung Ihre Amtsthätigkeit anzutreten, und ehe Ihnen weiter Befehle von der Bundesversammlung zugehen, weder Ihre Entlassung aus dem oldenburg. Staatsdienste zu begehren, noch die Ihnen von der großherzoglichen Regierung etwa angesonnene Entlassung anzunehmen.

„Die bei Erörterung dieser Angelegenheit allseitig kund gegebenen Gesinnungen der Bundesversammlung, sowie der hiermit beifolgende Beschluß derselben, können Ew. übrigens genügende Beruhigung gewähren, daß die Bundesversammlung bereit ist, Sie der großherzoglichen Regierung gegenüber zu vertreten, ohne Sie Ihre persönliche Interessen verletzenden Folgen Preis zu geben.“

Nichts desto weniger erfolgte wenige Tage darauf von dem oldenburgischen Ministerium die Verfügung:

„Dem Herrn Geheimen Staatsrath Dr. Fischer, wird hiermittelst notificirt, daß Sr. K. H. der Großherzog Sich bewogen gefunden haben, denselben mittelst Verfügung vom heutigen dato des Dienstes zu entlassen unter Beilegung einer Pension von 1200 Thaler Courant.

„Unter diesen Umständen haben Sr. königl. Hoheit der Großherzog den diesseitigen Bundestagsgesandten, Herrn Staatsrath von Eisendecher, instruiren lassen, der Bundesversammlung anzuzeigen, daß Höchstdieselben die Auflösung der Flotte von Seiten des Herrn Geheimen Staatsrath Dr. Fischer einstweilen wollen geschehen lassen.“

Ich protestirte begreiflich gegen meine Dienstentlassung, und trat, vertrauend auf den Schutz hoher Bundesversammlung, in meine Funktion ein.

Es begann damit das kläglichste Jahr meines dienstlichen Lebens. Die Flottenangelegenheiten waren damals dem Bundestagsausschuß in Militärangelegenheiten übergeben, dessen technisches Organ der österreichische Oberst von Bourguignon, der preußische Oberst von Wangenheim und der Marinerath Jordan waren. Der Präliminarpunkt, meine Instruktion bildete von vorn herein einen Gegenstand ziemlicher Verlegenheit. Die Herren waren einverstanden, daß sich diese nur in ganz generellem Umfange bezeichnen lasse, und deren speciellere Ausbildung sich erst im Fortgange [561] des Geschäfts herausstellen würde. Ich wurde aufgefordert, mir selbst eine solche Instruktion zu entwerfen, welche auch bis auf einige Punkte die Billigung des Bundestagspräsidiums erhielt. Uebrigens glaubte ich unterstellen zu müssen, daß, wenn man dieses Geschäft nicht einem Techniker, oder Mercantilisten, sondern einem Staatsmann übertrüge, doch die in dieser Angelegenheit eintretenden politischen Verhältnisse und deren Erledigung die Hauptsache sein, und zunächst zu meinem Ressort gehören würden. Nur diese Idee konnte mich zu dem Wagestück bestimmen, einem Administrativgegenstand mich zu unterziehen, der einen nautischer Kenntnisse total fremden Laien billig hätte abschrecken müssen. Natürlich war bei meiner Ankunft mein erstes Beginnen, einige bei der Angelegenheit durch kein Interesse befangene Fachmänner zu meiner Belehrung zu gewinnen. Ich wandte mich an einen meiner Adressaten, dessen ausgedehnte Personalkenntniß mir vorzugsweise empfohlen war, und bat ihn, mir ein oder zwei bei den Flottenverhältnissen nicht betheiligte, ehrliche Männer zu bezeichnen. Er versicherte mir ganz trocken: diese Anfrage setze ihn in nicht sehr geringe Verlegenheit, denn in ganz Bremerhaven gebe es nur zwei ehrliche Männer in dem Sinne, wie ich solche ihm bezeichne. Das war eine erbauliche Notiz für einen Mann, der fast ausschließlich auf fremden Rath und Beurtheilung gewiesen war, und dessen Arglosigkeit ihm schon manche schlimme Streiche gespielt hatte.

Die Ermittelung des Preises, um welchen die vor Anker liegenden neun Kriegsschiffe zum Zweck des Umbaues in Handelsschiffe anzubringen sein dürften, mußte begreiflich meine erste Aufgabe sein. Das Resultat fiel gegen das von der Marinecommission aufgestellte Taxat so enorm gering aus (kaum 25 Procent), und war dennoch so motivirt mit dem klarsten Calcul nachgewiesen, daß ich zu der Ueberzeugung gelangte, nur dann, wenn die Schiffe nach ihrer eigentlichen Bestimmung als Kriegsschiffe verkäuflich anzubringen seien, der an zwei Millionen Gulden anzuschlagende Verlust namhaft gemindert werden könnte. Da man mir inzwischen schon in Frankfurt die Andeutung gemacht hatte, daß bei dem Verkauf dieser Flotte an irgend eine europäische Seemacht auch noch manche politische Bedenken aufstoßen dürften, so konnte begreiflich nur ein transatlantischer Markt in Consideration gezogen werden. Unter diesen Umständen glaubte ich, daß ohnerachtet die von Seiten Hannover und Oldenburg mit so großem Eifer angeregten Anträge auf Erhaltung der Flotte durch einen Bundestagsbeschluß verworfen worden waren, doch zwei neue wichtige Momente vorlägen, um diese Frage bei dem Bundestage noch einmal zu reproponiren.

Es gründeten sich diese

1) auf den Umstand, daß bei der früheren Verhandlung die Voraussetzung, die vorhandenen Kriegsdampfschiffe würden zum Zweck des Umbaues in Handels- und Transportschiffe mit mäßigem Verlust verkäuflich anzubringen sein, durchaus als fehlgeschlagen sich darstellte, und ein solcher Verkauf ohne die enormsten Verluste nicht zu realisiren sei;

2) auf die Thatsache, daß sowohl Oesterreich als Preußen, seit jenem Beschluß, zur Erwerbung einer Marine Anstalten getroffen hatten.

Ich gründete hierauf den Vorschlag:

a) eine der kleinen Kriegscorvetten im Interesse von Hannover, Hamburg und der Elbuferstaaten in die Elbe;
b) eine Zweite im Interesse von Oldenburg, Bremen und der Wesergebietsstaaten in die Weser zu legen,
c) die übrigen Schiffe aber zu gleichen Theilen an Oesterreich und Preußen, sei es selbst unentgeltlich, zu vertheilen.

Obwohl Graf Thun, dem ich diese Idee zunächst vertraulich mitgetheilt hatte, sie aus mich nicht überzeugenden Gründen verwarf, so glaubte ich es doch der von dem Großherzog in Oldenburg, meinem Dienstherrn, am Bundestage so kräftig befürworteten Erhaltung der deutschen Flotte es schuldig zu sein, auch diesen letzten Versuch zu wagen. Mit einiger Beschämung gestehe ich dabei eine verschuldete Inconsequenz, die mich in diesem Versuch auch noch bestärkte. Ich, der doch durch die Erscheinungen der ganzen Revolutionszeit zu der Erfahrung gelangt war, daß die öffentliche Meinung, wo sie sich so recht eigentlich massenhaft ausspricht, immer etwas Unverständiges oder Schlechtes bezweckt, ließ mich doch verleiten, sie diesmal ausnahmsweise für berücksichtigungswerth zu halten. Die mir dafür gebührende Züchtigung ist nicht ausgeblieben.

Zur möglichsten Unterstützung meines Projekts bereiste ich die betreffenden Regierungen. In Bremen, welches bekanntlich zur Reichsparlamentszeit das Hauptorgan zur Errichtung der Flotte gestellt hatte, ward ich sehr überrascht, als mir gewichtige Stimmen in’s Ohr raunten, daß dieser Vorschlag, der ja das bremer Localinteresse ganz aufhebe, für Bremen nicht das mindeste Anziehende habe. Denn eine deutsche Flotte sei an sich, für das bremer Handelsinteresse nicht nur ganz indifferent, sondern sogar gefährdend. Gerade die politische Unwichtigkeit der deutschen Seestädte, ihre hieraus natürlich hervorgehende Neutralität, schütze sie vor den Nachtheilen, welchen andere seefahrende Nationen bei jeder politischen Verwickelung unter den größern Mächten sich ausgesetzt sähen. Man rieth mir, von der ganzen Sache zu abstrahiren, indem vollends meine Idee, die Flotte an Oesterreich und Preußen zu überlassen, Bremens einziges Interesse das Localinteresse, vernichte. In Hamburg schüttete Bürgermeister Dammert mir auf das Zutrauensvollste sein Herz aus, wie er im Einverständniß mit seinen einsichtigsten Collegen hinsichtlich der Zwecklosigkeit einer deutschen Flotte je und allezeit mit der bremischen Ansicht ganz einverstanden gewesen sei. Gegen die tollen Haufen im Jahr 1848 habe man von Seiten des Senats natürlich um so weniger aufkommen können, als sehr bald dasige Privatinteressen diese Volksstimmung zu ihrem eigenen Nutzen auszubeuten verstanden hätten. In Lübeck führte man ganz dieselbe Sprache.

Ziemlich entmuthigt, wandte ich mich nach Hannover. Meine Idee schien das damalige Staatsministerium an sich ganz gut anzusprechen, nur zweifelte dasselbe an dem mindesten Erfolg beim Bundestage. Als aber beiläufig die Rede darauf kam, wo denn der nach meinem Projekt Preußen zugewiesene Antheil der Flotte stationirt werden sollte? und ich in aller Unbefangenheit aus dem Umstand, daß Preußens gewerbreichste Provinzen in Rheinland und Westphalen ihren natürlichen Ausgang an der Nordsee hätten, argumentirte, daß sonach Preußen eine Station an der Nordseeküste nach Billigkeit nicht versagt werden könnte – erfuhr ich die entschiedenste Zurückweisung!

Zuletzt versuchte ich mein Glück in Berlin. Von dem Kriegsministerium und dem höchsten Marinechef ward mein Plan mit unverkennbarem Interesse und sehr freundlich aufgenommen, ich auch aufgefordert, dem Finanzminister meine Idee näher zu entwickeln. Nie in meinem Leben bin ich aber mit einem staatsmännischen Projekt übler angekommen! Herr v. Bodelschwingk erklärte mir unverholen: er sei mir höchlich verbunden für das interessante Nessushemde, womit ich den preußischen Staat zu beschenken gedächte. Er werde sich aber berufen finden, ein solches die Finanzen wie mit einem unersättlichen Vampyr bedrohende Geschenk, sich mit allen Kräften vom Leibe zu halten. Preußens politische Macht finde er in der Aufrechthaltung eines tüchtigen Finanzstandes weit sicherer begründet, als in der Ausdehnung seiner militärischen Kräfte und deren Zersplitterung auf eine der Situation des Staats in keinem Bezug entsprechende Kriegsmarine etc.

So klägliches Fiasko mein Vorschlag bei den interessirten Regierungen gemacht hatte, so war doch noch empfindlicher die Zurechtweisung, die mir der Bundestagsausschuß darüber zukommen ließ, daß ich in dieser Angelegenheit ganz aus meiner Geschäftssphäre herausgetreten sei, und über die Erhaltung der Flotte Discussionen herbeigeführt hätte, wo meine Thätigkeit nur auf die rasche Auflösung sich hätte richten sollen.

Später, nach dem Verkauf, erkannte ich mit noch größerer Beschämung, wie meine Inconsequenz in dieser Angelegenheit der öffentlichen Meinung ausnahmsweise eine Concession zu machen, wenn sie einen günstigen Erfolg gehabt hätte, die die Flotte übernehmenden Staaten enorm verletzt haben würde. Nie hat diese öffentliche Meinung etwas Unverständigeres gewollt und zu erstreben sich bemüht, als diese Flottenconservation, und nie hat die Bundesversammlung etwas Zweckmäßigeres in politischer wie in finanzieller Hinsicht ausgeführt, als daß sie das „Hammergeschrei“ nicht beachtend, diese als geborne Wraks von den Flottenschöpfern in der Revolutionszeit erworbenen, mit Schwamm und Dryrott durch und durch inficirte Fahrzeuge à tout prix hat veräußern lassen. Bezüglich jenes glühenden Patriotismus, welcher die rasche Flottenaufstellung nicht eilig genug zu improvisiren wußte – war auch manches – ziemlich faul, was dereinst die Geschichte näher enthüllen dürfte.

Wenn mich aber der Bundestag dafür, daß ich die Flotte habe erhalten wollen, mit Nesseln gepeitscht, die öffentliche Meinung aber dafür, daß ich sie auf höhern Befehl aufgelöst habe, mit Skorpionen gezüchtigt hat, so wird mir für diese Doppelgeißelung die Martyrerpalme in jedem Fall zuerkannt werden müssen.

Meine nicht unbekannt gebliebene Bemühung für die Erhaltung der Flotte ward von dem ganzen Flottenpersonal, sowie auch der Einwohnerschaft zu Bremerhaven mit großer Gunst aufgenommen; man überhäufte mich mit Freundlichkeit. Als sich aber der Erfolg heraus stellte, daß dieser Plan von dem Bundestagsausschuß nicht nur mit der entschiedensten Mißbilligung verworfen, sondern mir selbst zur Verantwortlichkeit gestellt worden war, daß ich durch dieses Intermezzo meine Thätigkeit von der eigentlichen Aufgabe meines Berufs, dem Veräußerungsgeschäfte, abgelenkt hätte, und ich nun mit verdoppelter Kraft dem raschesten Betriebe der Veräußerung eifrigst mich hinzugeben verpflichtet achtete, da überzog sich mein Popularitätshimmel von allen Seiten mit schweren Gewitterwolken. Bis zum ersten Mai 1852 hatte die Unterhaltung der Flotte täglich 1000 Rthlr. gekostet; an diesem Tage war sie durch Entlassung des größten Theils der Mannschaft auf die Hälfte reducirt worden. Das übrig gebliebene Marinepersonal, wie die gesammte Einwohnerschaft von Bremerhaven hatte begreiflich das größte Interesse, den Status quo so lange zu erhalten als nur möglich, und in diesem Hinhaltungsstreben vereinigten sich die Kräfte Aller gegen Einen.

Die Rathschläge der competentesten Männer vom Fache, welche an der Nothwendigkeit der Veräußerung der Flotte und der möglichst baldigen Sistirung des noch immer so lästig auf die Bundestage zurückwirkenden Kostenaufwandes für ihre eigenen Staatsgebiete ein Interesse hatten, – sachkundige Männer, wie die Senatoren Dammert, Büsch und Merk zu Hamburg waren einverstanden, daß nur in der Möglichkeit, eine überseeische Concurrenz zu gewinnen, die Hoffnung zu begründen sei, einen höhern Preis als 10 bis 15 Procent der Anschaffungskosten aus dem gesammten Flottenmaterial zu ermöglichen. Dazu war aber ein dringendes Bedürfniß, eine die verkäuflichen Gegenstände möglichst detaillirende Beschreibung und zwar in französischer, englischer und selbst spanischer Sprache an die überseeischen Seeplätze zur Kunde gelangen zu lassen. Eine von dem Admiral Brommy abgefaßte Schiffsbeschreibung fanden die Sachverständigen unzureichend und einer nothwendigen Ergänzung bedürfend.

Wohl sah ich ein, daß ohne eine erweiterte Vollmacht, welche das höhere Marinepersonal zur unbedingten Fügsamkeit unter meine Anordnungen anwies, an eine rasche Förderung des Geschäfts nicht zu denken sei; den unmittelbaren Verkehr mit den deutschen Consulaten in den überseeischen Ländern hatte man mir schon in meiner Instruktion abgestrichen. Die Idee, einem oldenburgischen Geheimen Staatsrath, der auch auf seiner, dem Generalmajor respective Contreadmiral gleichstehenden Rangstufe immer nur ein Civilist blieb, eine Autorität über einen Contreadmiral einzuräumen, konnte eine Militärcommission nur abenteuerlich finden, ich wurde – abgewiesen! Nun ersuchte ich den Marinechef, die verlangten Ergänzungen in seiner Beschreibung nachzuholen. Er erklärte mir trocken, das sei gar nicht nöthig. Die hierüber bei dem Bundestagsausschuß von mit geführte Beschwerde hatte für mich wieder einen nachdrücklichen Verweis, meiner dem Admiral Brommy gemachten Zumuthung und [562] die Entscheidung zur Folge, daß die verlangte Ergänzung allerdings unnöthig sei! Daß dieser Verweis und die Entscheidung, „ob die Angabe der Dimensionen, der Innhölzer, Deckbolten, Balkweichern, der innern und äußern Haut, der Knieen, Schweine, Kimmplanken, kupfernen und eisernen Verboltungen, der Ankergewichte u. s. w.“ zur wesentlichen Beschreibung eines zum Kauf angebotenen Schiffs gehöre, nicht ein Gegenstand war, den der Bundestagsausschuß zu entscheiden sich auch nur berufen finden konnte, ist klar. Verweis und Entscheidung konnten nur von den berathenden Technikern ausgegangen sein. Hatten aber diese Techniker, denen mit dem Absegeln des letzten Flottenschiffes das veteres coloni migrate! mit Flammenzügen in der Perspektive stand, einen sonderlichen Beruf, meinen raschen Eifer zu fördern? Wäre es ein Unglück gewesen, wenn durch diese vermeintlich unnöthigen Einschiebsel die gedruckte Beschreibung um dreißig Zeilen länger geworden wäre? Gewiß war dieses kein Grund, um ein so wichtiges Geschäft Monate lang zu verzögern. Es blieb eben nicht bei dieser Zänkerei. Es handelte sich weiter von einer Uebersetzung dieser Beschreibung. Nach der Natur der Sache konnte diese nur ein der technischen Schiffssprache kundiger Marinier machen. Der Admiral Brommy war der französischen wie der englischen Sprache kundig, dennoch verweigerte er mir die Uebersetzung als einen nicht zu seiner Funktion gehörigen Gegenstand. Ich ersuchte ihn, durch einen seiner Seeoffiziere diese Arbeit anfertigen zu lassen (sie erforderte einen Umfang von einem gedruckten Viertelbogen). Er erklärte mir: keiner derselben sei dieser Arbeit gewachsen! Dies mußte mich zu einer neuen Beschwerde bei dem Bundestagsausschuß veranlassen. Unter den Seeoffizieren befanden sich notorisch mehrere, welche Französisch und Englisch als Muttersprache redeten; ich nannte die Aeußerung des Admirals ein ungegründetes Armuthszeugniß, welches er seinem Offiziercorps ausstellte. Abermalige Abweisung! Der Admiral habe ganz recht, daß er sich dieser Zumuthung entzogen habe! Dieser Competenzstreit verzögerte das Geschäft abermals um vierzehn Tage, und kosteten diese Häkeleien der Techniker dem Bundesärar mindestens 50,000 Gulden. Endlich gelang es mir, in Bremen für schweres Geld einen Uebersetzer zu finden, aber dieses Herumziehen und die Verzögerung des Drucks hatten eine neue Verschleppung zur Folge.

Ich hatte gleich Anfangs darauf aufmerksam gemacht, wie es doch zu gar nichts dienen könnte, das Marinerechnungswesen in dem minutiösen Detail, wie es das Intendanturregulativ vorschrieb, fortzuführen, solches vielmehr ganz fallen zu lassen, und nur auf die Untersuchung sich zu beschränken, ob die Zahlmeister an die Marinekasse noch etwas zu fordern hätten, oder in dieselbe schuldeten, oder sonst erhebliche Unterschleife sich herausstellten. Der Marineintendant gestand zu, daß auf diese Weise freilich binnen drei Tagen die ganz Sache abgethan werden könne. Mein Antrag wurde gleichwohl verworfen und mir zu verstehen gegeben, daß ich mich um den Verkauf der Schiffe und sonst um nichts zu bekümmern habe. Von der Einmischung in das Rechnungswesen hielt man den Bundescommissair ohnehin fern. Von den größeren Kaufleuten kann ich nichts Anderes sagen, als daß sie mich mit allem kaufmännischen Anstande behandelten. Es bot mir keiner eine Bestechung an, wohl aber fixe Provisionen als Stillcompagnon von 2000 Thlr. bis zu 1500 Pfd. Sterling.

Die kurzgebundene Zurückweisung konnte natürlich die Achtung für mich nicht erhöhen, sie bestätigte in den Augen dieser Herren ja nur den Verdacht, daß aus Dr. Engelkens oberneuländer Irrenanstalt wohl noch etwas in mir zurückgeblieben sein möchte. Je mehr ich mich aber nun dem Ziele näherte, und durch das Verschwinden der Flottenschiffe die Leute gewahr wurden, daß es mit der Sache ein Ernst war, und ich ihnen die melkende Kuh wirklich entführt hatte, um so zügelloser wuchsen die Aeußerungen des Hasses von allen Seiten. Mochte ich mich auch trösten, daß derselbe nicht meiner Person, sondern meinem Repräsentativ-Charakter galt, und mir Niemand widersprochen haben würde, wenn ich die eigenthümlichen Sentiments eines verehrungswürdigen Publikums meinen hohen Committenten in getreuer Berichterstattung hätte transferiren wollen, so glaubte ich wenigstens darin eine Anerkennung von der hohen Behörde mir zu verdienen, daß ich diese Rücksichtslosigkeiten mit stolzem Gleichmuth, ohne ihr mit unliebsamen, persönlichen Reklamationen lästig geworden zu sein, auf mich nahm. Selbst die Behörden suchten etwas darin, das System der Gleichheit vor dem Gesetz im ächten Republikanersinn nicht minder schroff, als die koburger Kriminalbehörde zu großem Beifall ihrer gleichgestimmten Bürger an den Bundestagsrepräsentanten zur Geltung zu bringen.

Bei einer gerichtlichen Verhandlung in einer Bundescommissariats-Angelegenheit wies man mich in das Gerichtsvorzimmer als Wartezimmer. Alle Bänke waren mit einer sehr gemischten Gesellschaft von Matrosen, Handwerksburschen und einer Dame derselben Classe besetzt. Das höfliche Erbieten eines freundlichen Matrosen, mir altem Manne seinen Sitzplatz zu überlassen, konnte von mir in geziemender Bescheidenheit nicht angenommen werden, und so hatte ich die Wahl, mich in die Vorhalle neben den nicht minder freundlichen Kettenhund oder auf der Straße zu placiren. Herr Amtmann Gröning würde seiner richterlichen Autorität nichts vergeben haben, wenn er dem Repräsentanten der höchsten Behörde Deutschlands eines seiner Privatzimmer als Wartesaal hätte anweisen wollen. Ich könnte ein ganzes Buch solcher charakteristischer Züge meines bremerhavener Geschäftslebens schreiben. Bei der Uebergabe der sechs Corvetten mußte ich mich zur Sicherung gegen persönliche Mißhandlungen auf die Warnung des englischen Consuls zu Brake unter den Schutz der englischen Flagge flüchten.

Die persönlichen Insolenzen, denen ich von allen Klassen, selbst einer ministeriellen Persönlichkeit, wegen dieses unpopulären Geschäfts ausgesetzt war, kannte keine Grenze. Drei Tage war mir der Genuß warmer Speisen versagt, weil kein Restaurateur mich aufnehmen wollte. Am Abend, wo die letzten untern Schiffsoffiziere, Zahlmeister u. dgl. entlassen worden waren, und diesen Abschied in einer nächtlichen Orgie, man kann denken, mit welchen patriotischen Trinksprüchen feierten, überfielen mich vier dieser bis zur Bestialität betrunkenen Seehelden an meinem in demselben Hotel befindlichen Schlafzimmer, versuchten meine Thüre zu sprengen, und versetzten mich in eine Lage der Nothwehr, daß ich, entblößt von jeder andern Waffe, kein anderes Rettungsmittel in Aussicht zu nehmen wußte, als mich mit einer eisernen Ofenhacke neben die Thür zu stellen, mit dem Vorsatze, den ersten durch die gesprengte Thür Eintretenden vor den Schädel zu schlagen. Zum Glück befreite mich der Wirth durch seine Dazwischenkunft von diesen im unverkennbaren Zustand der Unzurechnungsfähigkeit sich befindenden Unholden. Welche Situation für einen so bejahrten Mann, gewöhnt, sich nur in den Kreisen höherer Sitte zu bewegen, solchen Pöbelhaftigkeiten auf jedem Schritte zu begegnen. Dazu kam noch das drückende Gefühl, in allen Unternehmungen der entschiedensten höheren Mißbilligung sich auszusetzen, weil in allen diesen auf administrative und technische Details hinauslaufenden Geschäftsdifferenzen der Militärausschuß auf die Gutachen befangener und zum Theil recht untergeordneter Behörden einzig seine Entscheidung gründen konnte. Für alle diese Unbilden konnte mich nur der Genuß entschädigen, der an sich in dem Ankampfe gegen die Gelüste der Untreue, Schlechtigkeit und des Unrechts liegt, und das Bewußtsein, dem Bundesärar etwa 50,000 Rthr. erkämpft zu haben, die vielleicht ein anderer, minder kampflustiger Sachführer nicht errungen hätte.

Wenige Bundescommissariate möchten ein solches Martyrthum zu bestehen in der Lage gewesen sein, – mit unerschütterlicher Standhaftigkeit einen so allgemeinen, alle Stände des deutschen Volkes durchdringenden Haß mit Seelenruhe zu ertragen und mit Gleichmuth sich als Stichblatt alles nur denkbaren Hohns und Spottes der Tagespresse behandelt zu sehen. Es war ein schwacher Trost für mich, daß bei diesem unermüdlichen Trachten der Presse, alles denkbare Gehässige mir aufzubürden, von dieser doch auch nicht ein Schein eines Zweifels an meiner Rechtlichkeit vorgebracht worden ist. Vielleicht kommt noch eine Zeit, wo diese Flottenangelegenheit in das freie Gebiet der Geschichte zurückgetreten ist, und Diejenigen, denen mein Andenken lieb ist, Gelegenheit finden, meine nicht uninteressante Flottenpassionsgeschichte in ihren Einzelnheiten vor ein ungefangeneres Forum zu bringen, als mir in der politischen Richtung meiner Zeitgenossen offen stand.

Im Juni 1853 erstattete ich dem Bundestagsausschuß meinen Schlußbericht und wurde mit einer etwas kühlen Zufriedenheitserklärung meines Commissorii entbunden.




Blätter und Blüthen.

Noch ist Deutschland nicht verloren, wenigstens die deutsche Literatur nicht. So eben kündigt die Doeger’sche Buchhandlung in Tangermünde eine neue, die siebente gänzlich umgeänderte Auflage des allbekannten Rinaldo Rinaldini an und sagt dazu:

„Wie einst Schiller durch seine Räuber, Goethe durch seinen Werther und Götz das Publikum zur freudigsten Anerkennung hinzureißen wußte, wie diese unsterblichen Werke noch heute unerreichbar dastehen; – so thut auch Vulpius zu Ende des vorigen Jahrhunderts einen glücklichen Griff in die Stimmung des durch obige Werke erregten Volkslebens, und schrieb seinen Rinaldo. Und wie jene Heroen der Dichtkunst durch die zahllosen Nachahmer nur in höhere Strahlenglorie glänzten, so glänzt auch Rinaldo unter den zahllosen Nachahmungen als ein Stern erster Größe in dem Kreise, welchem diese romantische Dichtung angehört. Sechs Auflagen, ungerechnet die Nachdrücke, sind vergriffen, und doch, – ich frage die Herrn Leihbibliothekare, – greift jeder neu eintretende Leser, der in der angedeuteten Art Unterhaltung sucht, nach dem Rinaldo. Aber in welcher kläglichen, abgelesenen und abgegriffenen äußeren Hülle wird die ansprechende Lectüre ihm geboten? Er schlägt das anspruchslose, und doch von jedem Deutschen, er weile in Europa, Amerika, Asien und Australien, gekannte und gesungene Lied: „„In des Waldes tiefsten Gründen,““ – auf, und, o weh! die Verse sind förmlich weggelesen! Und im Buchhandel existirt kein Exemplar mehr. Darum habe ich mich entschlossen, den alten Gesellen in neuem Gewande erscheinen zu lassen. Nein, nicht nur im Druck, nein, auch in Sprache und Schreibart, in welcher er früher sich oft, nach Art solcher Kerle, etwas nonchalant gehen ließ. Denn auch die Räuber sind gebildeter geworden, – der unsterbliche Rinaldo will nicht zurückbleiben. Ein Freund der belletristischen Literatur will ihn für den verlangenden Leserkreis zustutzen, daß er 1855 sich sehen lassen kann. Er soll auch, denn auch dies verlangt unsere Zeit, nicht theuer werden, darum bleibt das Bildwerk, und alles Ungehörige und Langweilige hinweg, wogegen der anmuthige ansprechende Kern, in ungestörter schmackhafter Frische den Leser erquicken soll.“ Kaufe also, deutsche Publikum, diese gebildeten Räuber!!


  1. Wir entnehmen diese Skizze dem soeben unter dem Titel: Politisches Martyrthum, eine Kriminalgeschichte mit Aktenstücken, erschienenen Buche des durch seine koburger Gefangenschaft neuerdings wieder oft besprochenen einstigen Flottenauctionators und weiland lippe’schen Staatsmininster Hannibal Fischer. Wie weit die hier mitgetheilten Thatsachen auf Wahrheit beruhen, wollen und können wir nicht untersuchen, eben so wenig, wie wir den Standpunkt und die oft kläglichen politischen Auslassungen des Verfassers einer Kritik unterwerfen mögen, die z. B. das sogenannte politische Martyrthum dieses Mannes in einer für ihn sehr unangenehmen Weise beleuchten würde, jedenfalls sind aber die Mittheilungen nicht ohne Interesse und geben ein ganz hübsches Bild jüngstvergangener vaterländischer Zustände.
    D. Redakt.