Die Gartenlaube (1863)/Heft 37
Moritz Krahn war Dortchen von ganzem Herzen zugethan. Er hätte kein echter Ohllander sein müssen, wäre es ihm völlig gleichgültig gewesen, ob seine Braut vermögend oder arm sei. Bei dem jungen Manne aber, der die Welt kannte und mit den Sitten und Gebräuchen anderer Länder und Nationen wohl vertraut war, überwog der materielle Besitz bei der Wahl einer Lebensgefährtin nicht so ganz alles Andere, daß er auf die Vermögenslage allein Werth gelegt hätte. Ihn freute es, daß Dortchen ein reiches Heirathsgut zu erwarten hatte, er würde sie aber schwerlich weniger geliebt haben, wäre sie arm gewesen.
Selbst begütert und von Natur zur Freigebigkeit geneigt, wollte der Capitain die Erwählte seines Herzens durch eine reiche „Echte“ überraschen und, wie er glaubte, auch beglücken. Er befand sich im Besitz verschiedener Silberstücke indischen Gepräges, von denen er wußte, daß Doubletten davon sich im alten Lande nicht vorfinden könnten. Diese entnahm er seiner Reiseschatulle, in der er sie seit Jahren schon aufbewahrte. Ehe er sie aber Dortchen überreichte, zeigte er sie den eigenen Eltern, um deren Ansicht zu hören. Denn bei der großen Vorliebe der eigen gearteten Ohllander für alles Hergebrachte hätte er mit einem Verlobungsgeschenk, das dem Morgenlande entstammte, und das seine Entstehung heidnischen oder doch dem Christenthum abgeneigten Künstlern verdankte, leicht Anstoß erregen können.
Hans Krahn indeß war in Bezug auf Geld und Geldeswerth nicht heikel. Ihm gefielen die großen schweren Silberstücke ausnehmend gut, und er billigte die Absicht des Sohnes, seine Braut am Verlobungstage damit zu beschenken. Nur fand er es nicht schicklich, daß der Capitain die fremden Münzen allein als „Echte“ überreiche, weil dies doch von den Verwandten der Braut übel vermerkt werden könne. Deshalb mußte die eigene Mutter die vor dreißig Jahren als Braut erhaltene „Echte“, zwei dünne, helltönende silberne Medaillen, die eine ein sich schnäbelndes Taubenpaar, die andere zwei flammende Herzen darstellend, dem Sohne überliefern.
Der Vater, höchst glücklich über des verständigen Sohnes kluge Wahl, wollte aus seiner Privathabe auch noch einige seltene Stücke hinzufügen und ging, diese zu holen. Für ihn war es aber nicht leicht, eine Wahl zu treffen, die zugleich auch dem Geschmack des jungen Paares entspreche. Er liebte altes Silbergeld, am meisten recht alte Thaler und Gulden, die im gewöhnlichen Verkehr entweder gar nicht, oder doch nur ausnahmsweise vorkamen. Bei größerer Bildung würde der reiche Baumhofsbesitzer wahrscheinlich eine Münzsammlung angelegt und bedeutende Summen auf deren Ergänzung verwendet haben. So begnügte er sich mit gelegentlichem Eintausch seltener Stücke, wobei er seinen Vortheil nie aus den Augen verlor. Was ihm von alten Münzen vorkam, brachte er an sich, legte es in den dafür bestimmten Kasten, zu welchem er den Schlüssel immer bei sich trug, und ergötzte sich in einsamen Stunden, wenn Niemand ihn beobachtete, an Betrachtung des blinkenden Schatzes, der von Jahr zu Jahr größer ward.
Nach langem Prüfen und Wählen entnahm der Baumhofsbesitzer zwei viereckige Münzen feinsten Silbers und ein größeres rundes thalerähnliches Stück, welches die Mitgift des Erzvaters Jakob, nämlich die buntgesprenkelten Schafe aus Laban’s Heerden, darstellte. Diese gab er dem Sohne, damit dieser sie zu den übrigen Werthstücken lege und sie am nächsten Tage Dortchen einhändige.
Im Hause Osten’s, das von der Diele bis unter den Dachfirsten blank gescheuert war, herrschte Frohsinn und munteres Leben. Die Thüren der festlich geschmückten Besuchszimmer standen weit offen, die musivisch mit bunten Kacheln ausgelegten Wände, die eben so viele verschiedene Figuren, auch Schiffe, Landschaften, Thierkämpfe etc. zeigten, wie die bunten Ziegelfächer der Hauswände, glänzten, als wären sie mit frischem Lack überstrichen, und um die bereits gedeckten Tafeln drängten sich in fröhlichem Durcheinander die zahlreichen jungen Freundinnen der Braut in der schönen, farbig funkelnden altländischen Nationaltracht.
Dortchen war noch nicht sichtbar. Erst an der Hand des Verlobten, von Vater und Mutter begleitet, trat sie nach Ueberreichung der „Echte“ in den Kreis der Verwandten. Sie harrte mit sehnsüchtig klopfendem Herzen des Bräutigams im vornehmen Zimmer, feiertägig, wie alle Gäste, nicht aber ungewöhnlich glänzend gekleidet. Das funkelnde Prunkgewand der altländischen Hausfrau wird erst am Tage der Vermählung nach beendigter Tafel angelegt.
Endlich traf Moritz Krahn mit seinen Eltern im Baumhofe ein. Heinz Osten begrüßte ihn mit herzlicher Freundlichkeit an der Thür seines Hauses und führte ihn dann über die Diele nach dem vornehmen Zimmer. Hier ergriff Dortchens Mutter die Hand des Capitains und geleitete ihn zur Tochter, die leicht erröthend das versiegelte Packet, welches die „Echte“ enthielt, in Empfang nahm, den Geber durch einen Kuß belohnte und das erhaltene Angebinde, ohne es zu öffnen und den Inhalt zu mustern, auf einen mit [578] Blumen bestreuten, im Zimmer bereit stehenden Teller legte. Erst nach dem Verlobungsmahle, wenn der Bräutigam und die gesammte Freundschaft das Haus wieder verlassen hat, pflegt von der Braut, deren Eltern und Geschwistern die „Echte“ besichtigt, ihrem Werthe nach abgeschätzt und zu dem Heirathsgute der Frau, doch in besonderem Verschluß, gelegt zu werden.
Es war später Abend, als nach Entfernung aller Verlobungsgäste die Familie Osten im vornehmen Zimmer sich wieder zusammen fand. Mit zaghaftem Finger löste die erwartungsvolle Braut die kreuzweise das Packet umschlingenden blauen Seidenbänder, entfaltete es und ließ beim Erblicken der großen Silberstücke ein frohes Ah! hören.
Aus der Hand der Tochter empfing zunächst die Mutter des freigebigen Capitains reiche Verlobungsgabe. Die Mutter reichte sie dem Vater, der mit Kennermiene Gewicht und Klang der einzelnen Münzen prüfte.
Das größte Stück betrachtete Dortchen zuletzt. Es schien ihr besonders gut zu gefallen, denn ihr Auge ruhte mit freudigem Lächeln darauf.
Als die Mutter es empfing, begann sie zu zittern, und klirrend fiel die große, glänzende Münze auf die Erde.
„Wie ungeschickt!“ sprach Osten und bückte sich, sie aufzuheben. Kaum aber hatte er sie flüchtig angeblickt, als er sich entfärbte, das werthvolle Silberstück fallen ließ, als sei es von seiner bloßen Berührung glühend geworden, und mit dem Angstrufe sich Luft machte:
„Was ist das? … Will Krahn mich verhöhnen?“
Die Mutter deckte seufzend beide Hände über die Augen und ließ tief betrübt ihr noch immer anmuthiges Haupt auf die Brust sinken. Dortchen stand wie versteinert und sah mit ihren unschuldigen klaren Augen fragend den Vater an, der in größter Aufregung die Zimmerthür aufstieß und sogleich das Haus verließ.
Dortchens jüngster Bruder hatte inzwischen das verdächtige Silberstück wieder aufgehoben und es dem älteren Bruder gezeigt. Beide betrachteten es mit ungetheiltem Interesse, konnten aber begreiflicherweise nichts Auffälliges daran bemerken.
„Dem Vater muß das Gepräge nicht gefallen, obwohl ich es ganz allerliebst finde,“ meinten beide Gebrüder, legten das Stück zu den übrigen und folgten dem Vater, um von diesem wo möglich zu erfahren, was ihn so aufgebracht haben könne.
Heinz Osten durchschritt seinen umfangreichen Baumhof in tiefen Gedanken. Seine Brust hob sich unter schwerem Stöhnen, als ringe er mühsam nach Athem. Manchmal nur murmelte er leise vor sich hin: „Es ist unmöglich! … Es kann nicht sein! …“
Die Stimmen der laut sprechenden Söhne verscheuchten ihn aus dem Baumhofe. Osten verließ ihn und ging die Hecke entlang nach dem Deiche. Diesen erstieg er, überschritt ihn und klomm auf der andern Seite zum Flußufer hinab, wo seine Schiffe ankerten. Hier blieb er stehen und ließ seine Blicke flußabwärts gleiten bis zu der Biegung, welche von dicht stehenden Bäumen überschattet war.
„Dort war es, wo wir den Streich ausführten,“ sprach er leise. „Und dort erreichte mich ihr Ruf nach Rache, den ich nie vergessen werde! Sollte sie – es ist undenkbar! Sie muß todt sein lange, lange Jahre!“
Osten verweilte so lange am kühlen Flußufer, bis er sich erleichtert fühlte. Dann ging er auf demselben Wege, den er gekommen war, wieder in’s Haus zurück, gebot den ihm entgegeneilenden Kindern mit ernstem Blick und barschem Wort Ruhe, und winkte seiner treuen Frau, indem er sagte:
„Mit Dir muß ich allein sprechen!“
Heinz führte seine Frau in das Schlafgemach. Es brannte kein Licht darin, halb nur dämmerte von leichtem Gewölk gedämpfter Mondschein durch die Fenster. Neben einem derselben nahmen die Eheleute Platz.
„Kennst Du die Münze, die Deiner Hand entglitt?“ fragte Osten die Gattin, ohne sie anzublicken.
„Ich kenne sie und eben deshalb erschrak ich.“
„Sie gehört zu Deiner Echte! An dem schräg abgeschliffenen untern Rande würde ich das Stück aus tausend ähnlichen oder gleichen leicht herausfinden. Es giebt aber keine zweite Münze im alten Lande, die dieser gleicht. Mein Urahn brachte sie mit aus der Fremde! Du hast sie schlecht verwahrt!“
„Sie lag seit Jahren unangetastet bei den andern Münzen, die Du mir am Verlobungstage schenkest!“
„Wo?“
„In dem Ebenholzkästchen mit der Perlmutterkrone. Die große Bernsteinkette, der Lieblingsschmuck meiner verstorbenen Mutter, bedeckte sie ganz.“
„Und wo verwahrst Du das Kästchen?“
„In der rothen Blumenkiste.“
„Ist sie verschlossen?“
„Immer.“
„Seit wann hast Du sie nicht mehr geöffnet?“
„Seit dem Confirmationstage Dortchens.“
„Zünde Licht an! Wir wollen die Kiste und das Ebenholzkästchen untersuchen.“
Dortchens Mutter gehorchte ohne Widerrede. Osten ging in’s vordere Dielenzimmer und nahm den Schlüssel von dem gekrümmten Messinghaken, der hinter dem schmalen Fenster in die mit Kacheln ausgelegte Wand eingefügt war. Dieser Schlüssel öffnete das hintere Dielenzimmer.
„Leuchte vor!“ befahl er, als die Frau mit einem hell brennenden Lichte zurückkam.
Das genannte Dielenzimmer ward in der Regel nur von der Hausfrau betreten, weil es ausschließlich die Schätze des Baumhofsbesitzers, in Leinen, werthvollen Kleidern, Gold, Silber und alten Juwelen enthielt, wie sie bei allen wohlhabenden Bewohnern des alten Landes im Gebrauch sind.
Die rothe Blumenkiste, so genannt, weil sie auf purpurrothem Grunde eine Menge Phantasieblumen des inventiösen Malers zeigte, war stets verschlossen. Der Schlüssel, welcher sie öffnete, lag in einer kleinen unter dem Charnier befindlichen Oeffnung des schweren Deckels, über welcher ein Metallplättchen lag, das sich mit Leichtigkeit zurückschieben ließ. Aus diesem verborgenen Behälter nahm jetzt die Hausfrau den kleinen Schlüssel, worauf Osten mit eigener Hand öffnete und den Deckel der Kiste zurückschlug. Das Ebenholzkästchen war aus derselben verschwunden!
„Gestohlen!“ stöhnte Osten. „Alle Deine Ketten, die alten Silberketten von meiner Großmutter und die ganze Echte gestohlen! Wer hat mir das gethan?“
Die erschrockene Hausfrau rang schluchzend die Hände. Nicht sowohl der Verlust schmerzte sie, als der Kummer ihres Mannes über denselben; denn sie wußte, daß ihr Heinz an den jetzt verschwundenen Kleinodien mit Leidenschaft hing.
„Aber wie kommt Krahn in den Besitz unseres Jakobsthalers?“ stieß er heraus, nachdem er die ganze Kiste nochmals gründlich durchsucht hatte. „Er war doch immer ein ehrlicher Mann.“
„Kannst Du zweifeln?“ entgegnete die Frau, die Heftigkeit ihres Mannes fürchtend, auf dessen Mienen sich Aerger und Zorn malten.
„Ich werde irre an den eigenen Kindern,“ sprach Osten. „Nur ein Eingeweihter, der alle Winkel und Ecken des Hauses kennt, und unsere Gewohnheiten dazu, kann den Raub begangen haben! Wenn einer unserer Jungen …“
„Heinz! …“
„Ich könnte eine so nichtsnutzige Creatur kaltblütig erwürgen!“
„Beide sind sparsam! Sie gerathen nach Dir! Und an fleißigem Schaffen lassen sie es früh und spät nicht fehlen.“
„Es ist die Wahrheit! Wer sonst aber findet den verborgenen Schlüssel?“
„Ich habe keine Ahnung!“
„Und ich muß es erfahren, und sollte ich das ganze alte Land durchsuchen lassen!“
„Keine Uebereilung, Heinz!“ bat die Frau. „Wir schänden uns selbst, wenn wir unsere Nachbarn für unehrlich halten! Schweigen wir über das Geschehene. Der Verlust läßt sich verschmerzen. Und ich putze mich nicht mehr!“
„Der Inhalt des Kästchens hat einen Werth von mehr als zweitausend Thalern!“
„Wenn auch, Heinz! Er drückt uns doch nicht!“
„Trotz alledem muß und will ich den frechen Dieb ermittelt wissen, der seine Hand nach meinem liebsten Eigenthume ausstreckte! Ehe dies nicht geschehen ist, bleibt Dortchen unverheirathet! Die [579] Verlobung gilt ohnehin nichts. Eine gestohlene Echte bringt Unglück und ewigen Fluch in’s Haus!“
„Mein armes, armes Kind!“
Die betrübte Frau begann zu weinen. Heinz Osten aber kümmerte sich nicht um sie. Seine Gedanken waren nur bei dem entwendeten Schatze, für dessen Wiedergewinnung er gern das Doppelte seines Werthes ausgegeben haben würde. Nach längerem Schweigen und Sinnen legte er seine Hand sanft auf das Haupt der noch immer weinenden Frau, die gebückt vor der offen stehenden Kiste saß.
„Laß jetzt das Greinen sein, Mutter!“ sprach er. „Mir ist, hoff’ ich, ein guter Gedanke gekommen. Unser Kind wollen wir nicht verschimpfiren, die falsche Echte aber muß der Capitain wieder zurücknehmen! Morgen schon gehe ich zu Krahn. Er muß wissen, wie der Jakobsthaler in sein Haus gekommen ist. Ich denke mir, er hat ihn erhandelt! Es ist seine Art, auf alte Münzen ein scharfes Auge zu haben, und wer mit solchen Dingen handelt, den kennt auch der Krahn. Kennen wir aber erst den Verkäufer, so sind wir auf der rechten Spur, auch den Dieb zu entdecken, der mir diesen Streich gespielt hat. Ich vermuthe, es ist ein verkappter Freund oder ein unversöhnlicher Feind früherer Jahre, der mir den Tod geschworen.“
Dortchen ward sehr betrübt, als der Vater ihr am nächsten Morgen die von Moritz Krahn erhaltene Echte wieder abforderte. Osten ging dabei sehr offen zu Werke, da Sentimentalität durchaus nicht in seinem Wesen lag. Die Tochter ward von dem Diebstahle, der wahrscheinlich schon vor längerer Zeit verübt worden war, unterrichtet und ihr dabei bedeutet, daß nicht von einer Rückgabe, sondern nur von einem Tausch des Verlobungsgeschenkes die Rede sei. Vorher aber habe allerdings entweder der Capitain oder dessen Vater den Nachweis zu liefern, auf welche Weise sie in den Besitz des merkwürdigen Jakobsthalers gekommen seien.
Ohne viel auf die Niedergeschlagenheit der Tochter und die Bekümmerniß der Mutter zu achten, verließ Heinz Osten frühzeitig den Baumhof, die Echte, die ihm ein Gräuel war, in der Tasche. Krahn wollte eben an Bord seines Ewers „Die Glorie“ gehen, als er den Vater seiner zukünftigen Schwiegertochter den Deichsteg herabsteigen sah. Dieser unerwartete Besuch fiel ihm auf und hielt ihn zurück.
„Ist der Capitain daheim?“ rief ihm Osten zu.
„Noch ist er’s, aber er hat Eile. Die Rheder in Hamburg erwarten ihn. Ich will ihn begleiten und Einkäufe zur Hochzeit machen, ’s giebt noch vielerlei herzurichten.“
„Jetzt nicht, vielleicht später! Aus der Fahrt nach Hamburg kann nichts werden!“
„Oho!“
„Ist die Wahrheit. Mußt mir Rede stehen!“
„Worüber?“
„Drinnen im Hause, gegenüber dem Capitain!“
Krahn schlang die gelöste Kette wieder um den Uferpfahl und rief den beiden Knechten zu, sie möchten an ihre ländliche Arbeit gehen. Dann erst gab er Osten die Hand und führte ihn in’s Haus.
Ohne Antwort auf dessen rasche Fragen zu geben, verlangte der Vater Dortchens nur ein Gespräch unter sechs Augen, und legte, als Krahn ihm willfahrte, die mitgebrachte Echte, ganz wieder so verpackt, wie der Capitain sie dem jungen Mädchen überreicht hatte, vor diesen hin, indem er, einen eisig kalten Blick auf ihn richtend, sagte:
„Das da gilt nichts, weil es Dir nicht rechtmäßig zugehört!“
Vater und Sohn fuhren gleichzeitig beleidigt empor und nahmen eine drohende Haltung an. Der kaltblütige und entschlossene Osten ließ sich dadurch nicht irre machen.
„Nur still!“ fuhr er fort. „Ich will Euch nicht zu nahe treten und am wenigsten Euch Unrecht thun. Aber Ihr müßt mir Rede stehen, oder ich nehme mein Wort zurück! Da liegt die Echte! Oeffne das Packet, Moritz, und sieh’ zu, ob Du Alles darin findest, was Du hineinlegtest!“
Der Capitain that es murrend und finster. Er besah und zählte die einzelnen Silbermünzen und bejahte die Frage.
„Wer gab Dir dieses Stück?“ sprach Heinz Osten, den Jakobsthaler aufhebend und ihn klingend wieder hinwerfend. „Ist’s etwa ein Erbstück?“
Moritz Krahn sah seinen Vater fragend an und reichte ihm die seltene Münze.
„Es ist Dein Geschenk für meine Braut,“ sagte er mit erzwungenem Lächeln.
Der alte Krahn verfärbte sich, den Jakobsthaler um und um wendend.
„Ein Erbstück ist’s nicht,“ sprach er nach einer Weile, „aber es gehört mir, und weil ich es für besonders werthvoll hielt, bestimmte ich es meiner Schwiegertochter zum Geschenk.“
„Besitzest Du es schon lange?“ fragte Osten.
„Seit vorigem Herbst.“
„Du hast’s gekauft?“
„Nein!“
„Oder in Zahlung genommen?“
„Auch nicht.“
„Wie bist Du denn dazu gekommen?“
„Mußt Du’s wissen?“
„Wenn Dortchen die Frau Deines Sohnes werden soll!“
Krahn zauderte ein paar Secunden. Dann sagte er ärgerlich:
„Nun denn – ich hab’s gewonnen!“
Die Blicke beider Männer begegneten sich, und Einer suchte die Gedanken des Andern zu errathen.
„Gewonnen!“ wiederholte Osten. „Im Spiel gewonnen! Wer war’s, der solches Stück auf eine Karte setzte?“
„Du hast kein Recht danach zu fragen,“ erwiderte Krahn trotzig. „Im Spiel nimmt man’s nicht immer genau, weder mit den Geldsorten, noch mit den Partnern. Die besten sind immer die, welche das meiste Geld haben und nicht damit geizen. Du bist selbst kein Kostverächter!“
„Seit zwölf Jahren habe ich keine Karte und keinen Würfel mehr in die Hand genommen,“ entgegnete Osten. „Doch darauf kommt es hier nicht an. Spiele, wer Gefallen daran findet, nur hüte sich Jeder, daß er weder mit falschem, noch mit gestohlenem Gelde sich bezahlen läßt! Dieser Jakobsthaler gehört mir und ist mir vor längerer Zeit mit vielen anderen Werthsachen durch einen schlauen Dieb entwendet worden!“
Diese Mittheilung versetzte beide Krahn in große Unruhe. Der Capitain namentlich war in hohem Grade unglücklich; denn er erblickte in dem unseligen Zufall, daß er seiner Braut ein gestohlenes Geldstück als Echte gegeben hatte, ein böses Omen.
„Es ist sehr unrecht von Dir, Heinz,“ sprach der alte Krahn, „daß Du keine Anzeige von dem in Deinem Hause verübten Diebstahle gemacht hast. Es sieht’s Niemand einer Münze an, wem sie von Rechtswegen zugehört.“
Osten erzählte nun, daß er erst bei dem Erblicken des ihm wohlbekannten Jakobsthalers stutzig geworden sei und sich veranlaßt gefunden habe, die Kiste nachzusehen, in welcher seine Frau ihren Schmuck aufbewahre. „Du begreifst also,“ schloß er, „daß ich den Namen des Spielers wissen muß, von dem Du das Stück gewannst!“
„Ich kenne ihn selber nicht,“ versetzte Krahn, „und wahrscheinlich weiß er eben so wenig, an wen er den alten Thaler verlor, den er nur einsetzte, weil er kein anderes Geld mehr bei sich hatte. Uebrigens bin ich fest überzeugt, daß Du von ihm, auch wenn ich Dir ihn nennen könnte, den Dieb eben so wenig erfahren würdest, wie ich Dir ihn namhaft machen kann“
„Du weißt aber doch den Ort, wo Du den Mann trafst?“
„Gewiß! In Hamburg.“
„Die Stadt ist groß.“
„Dicht am Hafen giebt es Verkehrsorte, die viel von unseren Landsleuten besucht werden, da sie bequem für uns liegen und verhältnißmäßig billiges Logis in ihnen zu finden ist. Ueber einem dieser Häuser hängt ein Schild, das ein Schiff im Sturme darstellt. An der Gaffel flattert die Helgolander Flagge. In diesem Hause gewann ich den verhängnißvollen Thaler. Es verging kein Abend, an dem nicht hoch daselbst gespielt wurde, und immer war der mir unbekannte Mann der Erste und Eifrigste unter den Spielern.“
„Würdest Du ihn wieder erkennen ?“
„Sicherlich!“
„Wir müssen nach Hamburg,“ sprach Osten, rasch aufstehend. „Spieler sind pünktliche Leute, wenn sie ihrer Leidenschaft fröhnen. [580] Wir kehren in dem von Dir bezeichneten Hause ein und bleiben so lange, bis Du sagst: Der ist’s! Von ihm habe ich den gestohlenen Jakobsthaler gewonnen!“
„Und was dann?“ fragte Krahn. „Meinst Du damit den Dieb ermittelt zu haben?“
„Was ich später thun werde, hängt ganz von den Umständen ab,“ erwiderte Osten. „Es ist möglich, daß ich mich in eine recht böse Geschichte verwickele, daß ich einen kostspieligen Proceß führen muß, vielleicht gar dem Criminalgerichte in die Hände falle. Gleichviel, ich gehe nach Hamburg! Wer meinen Thaler von dem Diebe oder dessen Helfershelfern kaufte, hat jedenfalls noch andere mir zugehörige Werthsachen mit an sich gebracht.“
„Ich begleite Euch,“ fiel der Capitain ein. „Wenn wir mit der Abendfluth aufsegeln, liegen wir noch vor Mitternacht am Baume.“
„Du bleibst hier,“ sagte Heinz Osten gebieterisch. „Dortchen hatte schon rothgeweinte Augen, als ich von ihr ging. Es ist Deine Pflicht, ihr das Herzeleid tragen zu helfen, das die unreine Echte ihr zugefügt! Bilde Dir nicht ein, daß sie Deine Frau wird, wenn ich den Dieb nicht finde und zur Verantwortung ziehen kann, der diesen Tort mir angethan! Es ist eine niederträchtige Vorausberechnung dabei im Spiele, oder ich will nicht ehrlich sein! Wer aber die Schlechtigkeit angezettelt hat und was man eigentlich damit beabsichtigen wollte, darüber kann ich trotz alles Nachdenkens nicht in’s Klare kommen.“
Der Capitain durfte sich Osten nicht widersetzen, wenn er den ohnehin schon sehr gereizten Mann nicht gegen sich aufbringen wollte. Mit Aufträgen an Dortchen und deren Mutter verließ er bald nach Mittag den Baumhof seines Vaters, während dieser mit Osten den Ewer klar machte. Bei Sonnenuntergang tanzte das schlanke Fahrzeug mit seinen rothbraunen Segeln schon mitten auf der Elbe und trieb mit der Fluth schnell stromaufwärts der geräuschvollen Weltstadt zu, welche die beiden Ohllander diesmal nicht in der hoffnungsvollsten Stimmung betraten. Auf dem hohen Thurme der St. Michaeliskirche schlug die Uhr elf, als der Ewer am alten Blockhause, dessen Laterne trübrothe Kreise im weißlichen Stromnebel bildete, geräuschlos anlegte. Am nächsten Morgen erst, nach Oeffnung des Baumes, konnte das Fahrzeug in den Binnenhafen gelangen.
Osten war von Natur zwar leidenschaftlich, durchaus aber nicht unvorsichtig. Bei Allem, was er that, behielt er den eigenen Vortheil im Auge. Diesem konnte er sogar Opfer bringen, unter denen sein besseres Selbst litt. Der Egoismus, die eigentliche Triebfeder seines Handelns, überwand die edleren Regungen in ihm und trug stets den Sieg davon.
Während der nächtlichen Fahrt auf der Elbe hatten die beiden Ohllander hinlängliche Zeit, die für sie wichtige Angelegenheit nach allen Seiten zu erwägen und sich über einen gemeinsamen Operationsplan zu einigen. Die Nachtluft kühlte den leidenschaftlich erregten Osten vollkommen ab, so daß er seinen Gleichmuth und seine Kaltblütigkeit vollkommen wiedergefunden hatte, als sie unter einer Menge anderer Fahrzeuge am Blockhause anlegten.
Am andern Morgen nahmen beide einander befreundete Männer Logis in dem von Krahn bezeichneten Hause. Osten hatte noch niemals daselbst gewohnt, es gefiel ihm aber sehr wohl; denn der Wirth war ein freundlicher, alter, sehr schlau blickender Mann, der sich mit seinen Gästen gern unterhielt, und in Bezug auf Sauberkeit konnte es das Logishaus mit der Wohnung des eigensinnigsten Holländers aufnehmen.
Krahn, als Bekannter des Wirthes, erkundigte sich unter der Hand, ob des Abends noch dieselbe Gesellschaft in seinem Hause verkehre, die er im vergangenen Herbst habe kennen lernen. Der Wirth bejahte und warf dabei einen vielsagenden Blick auf den still beobachtenden Osten, indem er heimlich die Geste des Geldzählens machte. Krahn, welcher diese Bewegung richtig deutete, nickte bejahend mit dem Kopfe. Darauf spielte der Wirth mit seinen Fingern, bis er Gelegenheit fand, acht gegen Krahn aufzuheben. Nun wußte der Ohllander, daß sich um die achte Abendstunde die erwartete Gesellschaft, die in einem Hinterzimmer dreimal die Woche sehr hoch spielte, einfinden werde.
„Wir wollen uns den Leuten nicht aufdrängen.“ raunte Krahn dem Freunde zu, „sondern es an uns kommen lassen, damit wir ihre Manier und ihre Finten kennen lernen. Ist unser Mann dabei, so wird er nicht lange Ruhe geben; denn daß er mit Leidenschaft und in der Regel auch glücklich spielt, habe ich schon im Herbst vorigen Jahres bemerkt. Er hätte es gar zu gerne gesehen, wenn ich mich noch einmal von ihm und seinen Genossen zur Theilnahme hätte bereden lassen. Ich fürchtete aber übervortheilt zu werden und dabei mit allem Gelde auch den Jakobsthaler zu verlieren, an dem mir das Meiste gelegen war. Darum zog ich mich zurück, obwohl sie das sehr übel vermerkten. Fordern sie mich heute zum Mitspielen auf, so darf ich mich nicht weigern, ohne von ihnen des Geizes bezichtigt zu werden und vielleicht gar Streit zu bekommen.“
Osten versprach sich ganz ruhig zu verhalten, bis sich für ihn Gelegenheit finde zur Anknüpfung eines Gespräches. Um die Zeit hinzubringen, schlenderte er den Hafen entlang, machte einige kleine Einkäufe und trat, als es dunkelte, wieder in den „Verkehr zur glücklichen Fahrt“, wie sich das Haus nannte.
Noch vor Acht fanden sich einige Herren ein, die ihrem ganzen Auftreten nach dem wohlhabenden Mittelstande angehören mußten. Der Wirth empfing diese Abendgäste mit zuvorkommender Freundlichkeit und öffnete ihnen das am Tage verschlossene ziemlich große Hinterzimmer. Auch die beiden Ohllander nöthigte er, daselbst einzutreten, indem er bemerkte, die Herren seien da ganz unter sich, würden von Niemand gestört und könnten thun und treiben, was sie wollten.
Erst etwa nach Verlauf einer Stunde ward ein Kartenspiel vorgeschlagen und von den sich Kennenden einstimmig angenommen. Nach einigen Winken lud man die Ohllander ebenfalls dazu ein.
„Ich kenne die Karten nicht und würde nur stören,“ meinte Osten, die Einladung freundlich ablehnend. „Wenn es aber erlaubt ist, so sehe ich zu. Wer weiß, ob ich von den Herren nicht etwas lernen kann?“
Krahn kam der an ihn ergangenen Aufforderung nach und gab sogleich Proben großer Gewandtheit im Spiele. Jeder der Mitspielenden stellte einen großen Stapel blanker Silberstücke, sogenannte Drittel, die zur Zeit unserer Erzählung noch allgemein üblich an der Niederelbe waren, vor sich hin. Hinter seinem Freunde, und so, daß er diesem in die Karten sehen konnte, saß Osten.
Aller Fortschritt beruht auf den großen Forschungen und Erfindungen, welche uns die Naturkäfte dienstbar machen. Die Druckkraft der Luft, die Fallkraft des Wassers, die Spannkraft der Dämpfe, sie übernehmen, woran früher viel tausend Hände thätig waren; dem Menschen aber bleibt fast nur übrig, die natürlichen Bewegungskräfte in Bewegung zu setzen und zum Stillstand zu bringen, überhaupt die Bewegung zu leiten und zu beaufsichtigen.
Was Wunder, daß die Arbeit immer leichter und ergiebiger wird, daß sich die Productionsfähigkeit in außerordentlichem Grade steigert, daß die blos mechanische Muskelthätigkeit des Arbeiters mehr und mehr durch Naturkäfte ersetzt und dadurch Zeit und Kraft zu geistigerem, rationellem Schaffen gewonnen wird. So ist es in der Industrie, so in der Landwirthschaft; die Maschinen sind gewissermaßen die Sclaven unsers vorgeschrittenen Jahrhunderts geworden, und die menschliche Arbeit geht immer größerer Vergeistigung entgegen. Wenn man den hohen Werth des Ackerbaues für die Fruchtbarmachung des Bodens, für den steigenden Reichthum der Völker, überhaupt für die gesammte Culturentwicklung der Menschheit, in’s Auge faßt, wird man die enorme Wichtigkeit der großartigen Entdeckungen und Erfindungen gerade auf diesem Gebiet zu würdigen wissen. Und in dankbarem Angedenken wird es bewahrt, was nach solcher Richtung hin einzelne hochbegabte Männer
[581] und ganze Vereine, vornehmlich in Centraleuropa, Großes gewirkt haben.
In England stellte sich, wie bekannt, der unvergeßliche Prinz Albert, jedem geistigen und praktischen Streben ein mächtiger Förderer, auch an die Spitze der Agriculturbewegung. Unter den vielen Männern, die in Deutschland mit Eifer und Thätigkeit der Landwirthschaft sich annahmen, steht Herzog Ernst von Sachsen-Coburg-Gotha mit in vorderster Reihe. Beide Brüder richteten ihr Hauptaugenmerk auf die Lösung des Problems, zugleich wohlfeil und zweckmäßig zu bauen. Dem Prinzen Albert war, bei der
Fülle der ihm zu Gebote stehenden Mittel, die Ausführung wesentlich erleichtert worden; nach vielen Versuchen hat er mehrere Musterfarmen errichtet, die, gleich so vielen andern Schöpfungen, immer von dem glänzenden Geist ihres Erbauers Zeugniß ablegen werden.
Nach diesen Vorbildern und den während des Betriebs neugewonnenen Erfahrungen hat nun Herzog Ernst aus Privatmitteln gleichfalls, und zwar für Deutschland, ein Modell hingestellt, zum Zweck, daß danach gearbeitet werde und der denkende Oekonom Anregung und Vorbild darin finde. Der Schauplatz ist der Kallenberg bei Coburg. Nicht leicht kommt heutzutage ein Fremder in die freundliche Hauptstadt des Herzogthums Sachsen-Coburg, der bei noch so flüchtigem Aufenthalt versäumte, das eine halbe Stunde entfernt gelegene Schloß Kallenberg aufzusuchen. Seit dem Jahre 1842 ist es die Sommerresidenz des Herzogs und unstreitig einer der reizendsten Fürstensitze Deutschlands. Mit verschwenderischer Hand hat hier die Natur über Hügel und Thäler, Wiesen und Wald die Fülle ihrer Schönheit ausgestreut; und wer, an die alte Schloßmauer gelehnt, in die weit sich dehnende, heiter lachende Landschaft hinausblickt, dem mag das Herz höher schlagen bei so fröhlicher Ausschau. Und ebenso, wenn er die hellleuchtenden Zinnen des von Herzog Ernst restaurirten Schlosses betrachtet oder in die freundlich lichten Räume eintritt, in denen überall Behagen und feinster Kunstsinn waltet. Natur und Kunst im schönsten Bunde vereinigen sich, zu erfreuen und zu ergötzen; und fällt dann der Blick des Beschauers hinüber auf die altersgraue Veste Coburg, steigt auch der Zauber historischer Erinnerungen vor der entzückten Seele auf.
Hier also, damit dem Schönen das Nützliche nicht fehle, ist die neue Schöpfung entstanden, nach den persönlichen Vorschlägen des Herzogs und ausgeführt unter der Leitung des kundigen, längst rühmlichst bewährten Bauraths Rothbart; eine Musterfarm, wie sie in solcher streng systematischen Gediegenheit wohl einzig in Deutschland dastehen möchte. – Im Folgenden sei nun eine kurze Darstellung dessen versucht, was so, nicht ohne beträchtliche Opfer, durch den hervorragend praktischen Sinn des Herzogs in’s Leben gerufen worden ist.
Die bei der Anlage der Gebäude gestellten Bedingungen waren im Wesentlichen folgende: Alle Räume so zu vertheilen, daß die vorkommenden Arbeiten stets die kürzesten Wege zu machen haben. Trockene, luftige und geräumige Stallungen mit zweckmäßiger Ventilation und so eingerichtet, daß sowohl im Winter als im Sommer eine möglichst gleichmäßige Temperatur in denselben erzielt werden kann. Stets frisches reines Wasser in allen Theilen der Gebäude. Wo es thunlich ist, Maschinenarbeit. Möglichste Billigkeit bei strenger Solidität; Vermeidung von allem Luxus.
Die Gebäude nehmen einen Flächenraum von 320 Fuß Länge [582] und 120 Fuß Breite – englisches Maß – ein und sind durchaus massiv, in den Fundamenten und Sockeln aus Sandstein, im Uebrigen aus Rohbacksteinmauerwerk aufgeführt. Die Dachdeckung ist Asphaltpappe. Die Decken der Rindvieh- und Pferdestallung sind zwischen schmiedeeisernen Trägern mit Hohlbacksteinen flach ausgewölbt, mit Cement verputzt und durch gußeiserne Säulen unterstützt. Zu den übrigen Decken und zu den Dachconstructionen ist durchaus geschnittenes hochkantiges Holz verwendet, Verputz an diesen Decken und an den Wänden überall vermieden.
Alle Stallungen haben Doppelfenster, welche jedoch nicht zum Oeffnen eingerichtet sind, da durch die dicht unter den Decken angebrachten Ventilirapparate, die je nach Bedürfniß leicht regulirt werden können, immerwährend frische Luft zugeführt wird. Krippen und Raufen im Pferdestall, sowie die Tränktröge im Rindviehstall sind aus Schmiede- und Gußeisen. Die Raufen im Pferdestall nicht, wie es bisher üblich war, über den Krippen, sondern neben diesen in derselben eisernen Platte hängend, so daß die Pferde das Heu wie aus einem Korbe fressen. Die Krippen im Rindviehstall sind aus Eichenholz, da dieses Vieh, wie in England, nur Trockenfutter erhält. In den Tränktrögen, von denen immer zwischen zwei Stück Rindvieh einer in die Krippen eingelassen ist, ist stets frisches Wasser vorräthig, und dasselbe wird aus einer 5000 Fuß von den Gebäuden entfernten Quelle in eisernen Röhren hergeleitet, von zwei Reserven aufgenommen und von diesen nach allen Theilen der Gebäude vertheilt. Das täglich der Wirthschaft zu Gebote stehende Wasserquantum beträgt 1200 Cubikfuß.
Durch die ganze Länge des an der Westseite liegenden, 94 Fuß langen Maschinengebäudes läuft eine Transmission, welche die Kraft einer acht Pferdekraft starken Dampfmaschine auf folgende Hülfsmaschinen überträgt: Mühle, Dreschmaschine, Rübenschneider, Grünfutterschneider, Häckselschneider, Strohschneider, Haferquetsche, Leinkuchenbröckler und Kartoffelmusmaschine. Der von der Dampfmaschine abgehende Dampf erwärmt das zum Waschen und zur Reinigung der Gefäße nöthige, ebenfalls in einer Reserve vorräthige Wasser bis zu einem ziemlich hohen Grad.
Von dem Raum, in welchem durch die Maschinen das Futter vorbereitet wird, läuft eine über den Futtergang sich hinziehende Eisenbahn, aus welcher mittelst eines kleinen Wagens das Futter in die Stallungen gefahren und sofort in die betreffenden Krippen vertheilt wird. Die gewonnene Milch wird in dem nach englischer Art eingerichteten Milchgewölbe in Porcellanschalen, welche auf gußeisernen Tischen stehen, aufbewahrt. Ueber diese Tische fließt immerwährend frisches Wasser. In der Mitte des Gewölbes befindet sich ein Springbrunnen mit Schale, in welcher die Butter frisch erhalten wird. Die Butterbereitung geschieht in dem vor dem Milchgewölbe liegenden Zimmer.
Das Schweinehaus hat, abweichend von der englischen Einrichtung, eine doppelte Fütterungseinrichtung, und zwar so, daß im Winter in dem im Schweinehaus selbst liegenden Futtergange, dagegen im Sommer in den Vorhöfen der Schweinekothen gefüttert wird. Auch hier sind die Futtertröge aus Gußeisen. Die Zubereitung des Futters geschieht mittelst eines in der dicht an den beiden Futtergängen liegenden Küche aufgestellten Dampfkochapparates. Sämmtliche Jauche wird durch in Cement gemauerte Canäle in ein vollständig geschlossenes Jauchengewölbe abgeführt, von wo aus sie mittelst einer Druckpumpe entweder auf die überdachte Miststelle verbreitet oder auf das Fuhrfaß gebracht werden kann.
Getreide und Heu werden wie in England in Feimen auf schmiedeeiserne Gestelle aufgestellt und von da aus auf die Maschinen zum Verarbeiten gebracht. Zu bemerken ist noch, daß, da das Dienstpersonal nicht im Hause verköstigt wird, auf Kücheneinrichtung und dergleichen Räume keine Rücksicht genommen worden ist.
Dies ein flüchtiger Ueberblick des Baues. Man sieht, es handelt sich hier, wenn von Fortschritt und Bedeutung für die Landwirtschaft die Rede ist, nicht um leere Phrasen oder hohle Theorien; vielmehr ist etwas praktisch und durch die That in’s Leben geführt worden, wovon wir nur wünschen können, daß es Nachahmung finde.
Daran wenigstens kann wohl nicht gezweifelt werden, daß die neu errichtete Musterfarm ihre nächste Aufgabe, die rationelle Landwirthschaft zu heben, glänzend zu erfüllen im Stande ist.
Das Jahr 1813 und der Feldzug in Deutschland fügten neue und noch reichere Lorbeeren zu den früheren, die sich Eugen in Rußland erkämpft hatte. Die Schlacht bei Lützen am 2. Mai 1813, die, wenn sie nach des großen Scharnhorst Plane am frühen Morgen von dem zaudernden russischen Oberbefehlshaber v. Wittgenstein eröffnet worden wäre, einen für die verbündeten Waffen sieggekrönten Ausgang genommen haben würde, flocht den ersten Ruhmeskranz um die Stirn unseres 25jährigen Helden, und erwarb ihm die Freundschaft und das Wohlwollen des alten York, der an diesem Tage Gelegenheit fand, des Prinzen Muth und Feldherrnblick zu bewundern. Nach einem hartnäckigen Wechselfieber, von welchem sein, obschon an Strapazen gewöhnter, an sich aber schwächlicher Körper heimgesucht wurde, gewahren wir ihn in der zweitägigen Schlacht bei Bautzen, am 20. und 21. Mai, wieder an der Spitze seiner Truppen, mit denen er zwar keinen Sieg erfechten konnte, wie es wohl auch nicht in der Absicht der Verbündeten lag, dem Feinde jedoch namhafte Verluste beibrachte. Das historisch denkwürdige Treffen bei Reichenbach und Markersdorf am 22. Mai war eigentlich das erste, was er ganz selbstständig leitete, und er traf in demselben seine Dispositionen so trefflich, daß der an allen Waffengattungen vielfach überlegene Feind bis zur hereinbrechenden Nacht, ohne große Verluste Seitens der Russen, von ihm aufgehalten wurde. Mit gleichem Glücke hielt er am 20. August das Armeecorps Vandamme’s bis spät Abends, zwischen Krischwitz und Struppen, auf, obschon bereits an diesem Tage ein unseliger Gast bei ihm eintraf, der geisteskranke General Graf Ostermann-Tolstoy, welcher, gestützt auf einen beschmutzten Zettel Papier, den Oberbefehl auf dem rechten Flügel der Verbündeten beanspruchte und vielfache Verwirrungen unter Eugen’s Generalstab, wie unter seinen Truppen, veranlaßte. Zwar gelang es dem Prinzen, ihn inmitten des Kampfes nach seinem Standquartier zurückschaffen zu lassen, allein er wich nicht von seiner Seite, und schon nach wenig Tagen trat die unglückliche Gestalt des verwirrten Grafen ihm bei Priesten und Culm vielfach hindernd und störend entgegen. Es war am 29. August 1813, als in der Nähe von Culm sich eine der entscheidenden Waffenthaten den fast tagtäglichen Gefechten des Prinzen anreihte, die Schlacht von Culm am 30. August glorreich vorbereitete und die Heere der Verbündeten zu neuen Siegeshoffnungen berechtigte.
Die große Wichtigkeit des Treffens bei Priesten mag es entschuldigen, wenn wir hier den nur zu bescheidenen Bericht des Prinzen Eugen über dasselbe wörtlich mittheilen: „Um 1 Uhr Mittags begann der russische Oberstlieutenant Bistrom das Feuer, was eine starke Batterie auf den Culmer Höhen ohne allen Erfolg erwiderte. Während sich die französischen Truppen um Culm her in dichten Massen zusammenzogen und für’s Erste den von dieser Seite begonnenen Andrang aufzugeben schienen, begann das Gefecht bei Straden gegen den General Bistrom mit äußerster Heftigkeit, sodaß dieser Flügel bis an die Eggenmühle zurückweichen mußte. General Yermolow sendete ihm sofort das Regiment Semenov zu Hülfe, und vermöge dieser Unterstützung ging Bistrom gegen den zuerst Vortheile erringenden Feind wieder vor. Ich selbst ließ den General Helfreich bei der Juchten-Capelle in die Intervalle zwischen dem linken Flügel und dem Dorfe Priesten einrücken und später auch noch die Regimenter Czernigoff und Tobolsk in dieser Richtung vorrücken, während Fürst Schachowskoy bei dem Dorfe Priesten zurückblieb. Der Feind näherte seinerseits das Gefecht durch die Division des Generals Mouton-Duvernet und warf in erneuertem fürchterlichen Kampfe die Truppen unter Bistrom wieder nach der Eggenmühle zurück. Yermolow ließ nun auch
[583] 2½ Bataillone Preobraschensk vorgehen, um das hartbedrängte Regiment Semenow zu degagiren, und andererseits eilten die Regimenter Czernigoff und Tobolsk dem General Helfreich zu Hülfe. Hier gewann das Gefecht rings um die Juchten-Capelle her einen wahrhaft schauerlichen Anstrich. Von allen Seiten gedrängt, zog sich nach und nach die Schaar der Vertheidiger in eine große Masse zusammen, die nach Umständen vor- und zurückwogte und Truppen von der Garde und von der Linie umfaßte. Man konnte dieses ganze wüthende Handgemenge eine wahrhafte Metzelei nennen, in welcher die Truppen beider Theile mit Löwenmuth fochten, in der aber einzelne Thaten im Gewühl des ganzen großen Hergangs verschwanden.
Während sich nun zur Linken das Gefecht eine Weile im Gleichgewicht hielt, versuchte der Feind, auch im Centrum vorzudringen, und griff Priesten mit großer Uebermacht an. Die Schützen wurden daraus verdrängt, als der Feind aber diesseits des Dorfes zum Vorschein kam, prallte er unter dem Feuer der Batterien zurück, und der tapfere Fürst Schachowskoy trieb ihn darauf mit dem 4. Jägerregiment, dem Regiment Reval und dem Ueberreste von Minsk wieder aus dem Dorfe.
Unmittelbar nach diesem Vortheil ließ ich die Batterieen von Baikoff und Czeremissinow links von Priesten dergestalt vorrücken und durch den Obersten Wachten aufstellen, daß sie, selbst durch das Terrain gegen das feindliche Kanonenfeuer geschützt, mit ungemeiner Wirkung die französischen Colonnen bestrichen, welche am Saume des Waldes die fechtenden russischen Truppen zu umfassen strebten. Auf diese Weise wurde hier (in derselben Art, wie es früher bei Reichenbach am 22. Mai glückte) der Feind im Schach gehalten, an Umgehung gehindert und auf die Thatkraft seiner Colonnenspitzen verwiesen, welche trotz aller Tapferkeit und Anstrengung nicht hinreichten, um den ihnen entgegengesetzten Damm zu durchbrechen. Nochmals verdoppelte jedoch der Feind trotz der ungeheuersten Verluste seine Streitkräfte, trieb die 8 im Kampf begriffenen Gardebataillone und die 9 schwachen Bataillone unter General Helfreich vor sich her und war, des Kartätschenfeuers nicht achtend, eben im Begriff, sich meiner beiden Batterien zu bemächtigen, als ich unter diesen dringenden Umständen und in dieser äußersten Gefahr den zunächst stehenden General Krapowitzky mit dem Garderegiment Ismailow zu Hülfe rief. Man konnte wohl dem General Yermolow bei dieser Gelegenheit einen Scrupel nicht verargen, denn es galt fast seine letzte Reserve; auch rief er meinem an ihn gesandten Adjutanten Helldorf zu: „Der Prinz ist allzuverschwenderisch mit dem Blute der kaiserlichen Garden!“ – Aber General Krapowitzky hatte keine Zeit zum Bedenken gewährt und augenblicklich der ihm durch meinen Adjutanten gewordenen Aufforderung genügt. Aufbruch, Angriff und Sieg war das Resultat eines Augenblicks; – gleich darauf sah man das Schlachtfeld mit feindlichen Leichen bedeckt, die nächsten feindlichen Colonnen flüchtend, unsere ganze Linie im erneuerten Vorrücken und die Batterien wieder in vollständigster Wirkung. Es war eine wahrhafte Heldenthat, die zugleich aber auch dem tapferen Regimente große Opfer kostete. General Krapowitzky und Oberst Martünow wurden schwer verwundet.“
Wenn auch Plotho in seinem bekannten Geschichtswerke sich über diese Heldenthat ausspricht: „Dieser hartnäckige und ungleiche Kampf der auserlesenen Kriegerschaar erinnert an die Vertheidigung von Thermopylä, an der Schweizer geringe Zahl, wenn sie mit eben so viel Heldenmuth ihre Gebirgspässe vertheidigten, – und es wird der Kampf in der Geschichte fortleben, gleich jenen, zum Vorbild künftiger Zeiten;“ – so wird sich wohl Niemand einer gerechten Entrüstung erwehren können, wenn er vernimmt, daß über diese heroischen Waffenthaten innerhalb der letzten acht Tage, deren sich das zweite Corps unter Eugen’s Befehlen rühmen konnte, in den russischen Berichten auch nicht ein einziges Wort zu lesen ist. Mit gleichem Löwenmuthe kämpfte Eugen in der Schlacht von Culm, am 30. August, wo er mit seinem Corps das Centrum der verbündeten Armee bildete, auf Barclay’s Befehl die Culmer Höhen erstürmte, 21 Kanonen erbeutete und den General Vandamme gefangen nahm. Es ist zwar bekannt, daß diese Schlacht durch das glückliche Eintreffen des preußischen Generals von Kleist im Rücken der Franzosen entschieden wurde, aber die stürmische Tapferkeit des Prinzen und seiner Treuen trug nicht minder zu dem glänzenden Erfolge dieses Tages bei. Auch bei dieser Gelegenheit blieb der Name Eugen’s in dem Armeebericht vom 31. gänzlich unerwähnt. Wer wird es daher dem Tiefgekränkten verdenken, wenn er im gerechten Unwillen, in einem Briefe an den Kaiser, um seine Entlassung aus dem russischen Kriegsdienste bat? Der Kaiser Alexander, dessen Prinz Eugen immer und allezeit mit den liebevollsten Worten gedenkt, ertheilte ihm zwar auf dem Schlachtfelde den St. Wladimirorden 1. Classe, wie es in dem später erfolgten Rescripte heißt, „für ausgezeichnete Thaten und umsichtige Anordnungen bei Vernichtung eines Corps französischer Truppen am 29. und 30. August 1813“; trotzdem that er aber nichts, um dem Schwerverletzten eine billige Genugthuung zu verschaffen, und der hochherzige Prinz vergaß seinen Groll und hielt sein Entlassungsschreiben zurück, als kurze Zeit darauf, bei seinem Zusammentreffen mit Alexander, dieser, sein Unrecht fühlend, den jungen Helden mit den Worten anredete: „Ich weiß Alles, was wir Ihnen verdanken! Die Selbstverleugnung ist die schönste Tugend!“ Kann man noch fragen, wer bei diesem Zusammentreffen sich am edelsten benommen? Noch tiefer mußte es aber den Prinzen schmerzen, als nach 22 Jahren, wo doch füglich die Stimmen persönlichen Neides und gemeiner Intrigue verstummen konnten und mußten, die entscheidende Betheiligung am Siege bei Culm mit Stillschweigen übergangen wurde. Im bitteren, aber wohlbegründeten Unwillen äußert sich der Prinz über diese Thatsache in seinen nachgelassenen Memoiren: „Ueberaus empörend ist die neue Erfahrung, welche ich 22 Jahre später erprobte, und von der folgende Documente ein Zeugniß reden, vor dem die Nachwelt im Namen der Theilnehmer zu erröthen haben wird. Ich weiß in der That unter diesen Umständen nicht, was ich neuerdings für bemerkenswerther halten muß, die Größe des erkämpften Resultats oder die beispiellose Undankbarkeit der Zeitgenossen.“
Am 29. September 1835 bei der Grundsteimlegung des russischen Denkmals bei Priesten trat Fürst Metternich in Gegenwart der drei Monarchen von Oesterreich, Rußland und Preußen mit folgender, später von jenen drei Souveränen unterzeichneten Erklärung vor: „An dieser Stelle, wo die ausgezeichnete Tapferkeit und heldenmüthige Ausdauer einer Abtheilung der kaiserlich russischen Garde, unter dem Befehle des Grafen Ostermann-Tolstoy, dem Eindringen eines französischen Armeecorps unter Anführung des General Vandamme, der Vorhut des großen französischen Heeres, am 29. August 1813 ein Ziel setzte und durch diese Waffenthat den glorreichen Sieg der verbündeten Heere bei Culm am 30. August 1813 vorbereitete, errichtet nach der Absicht des verewigten Vaters, Kaiser Franz I. glorreichen Andenkens, der Sohn Kaiser Ferdinand I., dieses Denkmal. Den Grundstein haben gelegt und gegenwärtige Urkunde eigenhändig unterfertigt:
- Kaiser Ferdinand I. von Oesterreich.
- Kaiser Nicolaus I. von Rußland.
- König Friedrich Wilhelm III. von Preußen.“
In solcher Weise versuchte der kaiserlich österreichische Haus-, Hof- und Staatskanzler die Geschichte zu fälschen, sie ist aber das Weltgericht und ihr Endurtheil unterliegt keiner Verjährung.
In dem blutigen Gemälde der großartigsten aller Schlachten, der Völkerschlacht von Leipzig, das wir jetzt unseren Lesern entrollen müssen, tritt das Bild des Prinzen Eugen von Würtemberg strahlend und in antiker Größe aus dem Vordergrunde heraus, jenes der übrigen Heerführer und Generale fast verdunkelnd.
Nachdem am Morgen des 16. Octobers, der erhaltenen Disposition gemäß, Prinz Eugen im Centrum der Verbündeten, unterstützt von der preußischen Brigade Klüx, nördlich von Güldengossa, Wachau gegenüber, Stellung genommen hatte, erdröhnte früh 8 Uhr von der zum Corps des Prinzen gehörigen Batterie Nikitin der erste Kanonendonner, den Beginn des entsetzlichen Kampfes verkündend. Bald waren die wenigen gegenüberstehenden Geschütze der Franzosen zum Schweigen gebracht, bald hatte der russische Oberst v. Reibnitz Wachau besetzt, die wenigen dort postirenden Franzosen vor sich hertreibend, und schon frohlockte nur allzuvoreilig General Wittgenstein über das Zurückweichen des Feindes, allein Prinz Eugen war anderer Ansicht und erkannte vorahnend, aber klar, die Bedeutung des anbrechenden Tages, wie die folgenschwere Wichtigkeit seiner Stellung. Urplötzlich zeigte sich auch auf dem ganzen Höhenzuge von Wachau bis Liebertwolkwitz eine Unmasse feindlicher Geschütze, mehr als hundert an der Zahl, die sofort aus ihren düsteren Schlünden tausendfachen Tod auf die russischen Heeresmassen schleuderten. Der Donner krachte, die Erde zitterte; Rauch und Flammen, Blut und Tod rings um uns her – so beschrieb [584] diese entsetzlichen Stunden Eugen’s Adjutant Molostwow in seinem Tagebuche – verkündeten, daß wir durch unser leises Auftreten den schlummernden Löwen geweckt hatten. Vernichtung traf die Lebendigen, Zertrümmerung das Leblose. Siebzehn russische und fünf preußische Geschütze lagen in wenig Minuten zerschmettert auf der Erde und dem aus dem Gefechte zurückgebrachten, schwerverwundeten Oberst Reibnitz folgte der Haufen seiner flüchtigen Schaaren, vom siegestrunkenen Feinde hart und blutig gedrängt. Mit unerschütterlichem Muthe stand unsere übrige Linie, doch von Ueberraschung noch wie versteinert. Der Prinz äußerte hierbei: „Ich hatte es ja vorausgesagt!“
„Das kann uns aber nichts mehr helfen,“ fiel ihm Fürst Schachowskoy in’s Wort, „wir gehen alle zu Grunde, schon fährt die Artillerie ab!“
„Alles soll stehen bleiben!“ rief der Prinz, „nichts sich von der Stelle rühren, was noch stehen kann!“
Adjutanten flogen nach allen Richtungen, um diesen Befehl zu verkündigen, jedoch geschah dies mit Gefahr, von den demontirten Geschützen, die man aus dem Treffen zog, überfahren zu werden. Vergebens tobte ein furchtbarer Kampf um Wachau, dessen Besitz Russen und Preußen in mehrfachen Stürmen den Franzosen streitig zu machen versuchten. Ringsum war das Schlachtfeld mit Leichen besät, aber eine weit reichlichere Ernte hielt der grimmige Tod unter den in der Ebene Gewehr bei Fuß aufgestellten Schaaren des Prinzen von Würtemberg. Ein feuerspeiender Berg schleuderten die französischen Geschosse mit ihren eisernen Kugeln Tod und Verderben unter die Tapferen, die, gleich dem blauen und gelben Regiment Südermannland unter Gustav Adolph auf Lützens Ebenen, Mann neben Mann, wie sie im Leben bei einander gestanden, so jetzt entseelt das schreckliche Schlachtfeld bedeckten. In düsterem Schweigen, während Flintenkugeln ihn umsausten und die Kanonen mit ihren Geschossen die Erde neben ihm durchfurchten, durchritt der Prinz die furchtbar gelichteten Reihen seiner Kampfgenossen; es war eine trübe Musterung, und die Anfrage bei jedem Bataillone: „wie viel habt Ihr bereits verloren?“ wurde meist schweigend mit einem Blick auf die Menge Entseelter, die rings umher lagen, erwidert. Hier war es, wo der Oberst Galubzow zu ihm heransprengte und ihm mit ängstlichen Worten die seiner Batterie drohenden Gefahren schilderte; in demselben Augenblicke tödtete eine Kanonenkugel das Pferd des Prinzen und gleichzeitig das des Obersten und raubte dem danebenhaltenden Adjutanten, Lieutenant von Kursell, sowie einem preußischen Ordonnanzhusaren, das Leben. Sofort bestieg der Prinz ein neues Pferd, rief aber dem Obersten, der seine Batterie verlassen hatte, statt einen seiner Adjutanten zu senden, die mit etwas Spott vermischten Worte nach: „Sie sehen, Oberst, daß wir hier auch nicht auf Rosen wandeln!“
Allein es galt, noch Entsetzlicheres an diesem Tage mit felsenfestem Muthe zu bestehen. Um 3 Uhr Nachmittags verstummte plötzlich das Brüllen der feindlichen Kanonen, aber gleichzeitig vernahm man ein Gerassel wie von hunderttausend ehernen Ketten; die Erde erdröhnte unter dem Hufschlag von 8 bis 10,000 Rossen, die in Sturmeseile auf die gelichteten Schaaren des Prinzen Eugen heranbrausten. König Murat versuchte an der Spitze seiner Geharnischten in diesem welthistorischen Reiterangriff, das feindliche Centrum zu durchbrechen und zu zerschmettern; mit kalter Todesverachtung rief der Prinz in hastiger Eile die wenigen Truppen, die ihm noch verblieben waren, zu sich heran und warf sie kühn dem athemlos heraustürmenden Feinde entgegen. Wie grausig auch das jetzt beginnende Gemetzel war und wie viele der Tapfern auch unter den Säbeln und Lanzen der Feinde erlagen, dennoch wurde derselbe geworfen, und gleich mächtigen Klippen trotzten und widerstanden die Granitcolonnen des Prinzen der Fluthengewalt und behaupteten, als die Ebbe wieder eintrat, kühn und unbeweglich noch ihre früheren Plätze, sodaß ihre Erhaltung in dem tobenden Kriegssturm für ein Wunder gehalten werden mußte. Als die Nacht hereinbrach, sandte der Prinz seinen Adjutanten, Oberst von Wachten, zum General Barclay de Tolly, um ihm über die Verluste des Tages zu rapportiren. Von 10,000, die er am Morgen auf das Schlachtfeld geführt hatte, blieben ihm am Abend nicht viel über 2000 kampffähige Streiter. Barclay, der die Größe dieses Verlustes nicht glauben wollte, mußte von dem rapportirenden Oberst die bitteren Worte vernehmen: „Versagen Ew. Excellenz den noch Lebenden Ihre Theilnahme, so werden Sie beim Anblick unseres Schlachtfeldes die Todten überzeugen!“
Der Held von Wachau – bewahre dies im treuen Gedächtniß, mein deutsches Volk – war Eugen, Herzog von Würtemberg!
Wie schon früher bemerkt, ist es nicht unsere Absicht, einen bis in’s Einzelne gehenden Lebensabriß des Prinzen in diesen Spalten zu entwerfen. Obige Skizzen genügen sicher, dem Leser ein hellleuchtendes Bild von einem jugendlichen Heros zu liefern, den die antike Welt Griechenlands und Roms unter ihre Halbgötter versetzt haben würde, während die moderne Zeit ihm nur eine Fülle strahlender Orden reichte, mit denen er sein wundes, so oft auf’s Tiefste verletztes Herz bedecken sollte. Wir übergehen daher Eugen’s muthvollen Sturm auf Probstheida am 18. October 1813, die Treffen und Schlachten, in denen er während des Kriegszugs nach Frankreich zu Anfang des Jahres 1814 glänzte, wir erwähnen nur vorübergehend den überaus ruhmvollen Antheil, den er an der Eroberung von Paris genommen, und der ihm die Genugthuung verschaffte, zuerst an der Spitze von 1000 Mann in diese Hauptstadt, die sich noch vor Kurzem die erste der Welt dünkte, einzuziehen, das Stadthaus zu besetzen und die drei Monarchen von Oesterreich, Preußen und Rußland an der Barriere von Pantin zu empfangen.
Der Krieg war beendigt und der heißeste Wunsch des Prinzen, die Besiegung des einst so mächtigen Dictators Europa’s, erfüllt. Ebenso flüchtig verweilen wir bei Eugen’s späteren Waffenthaten während des Türkenkrieges, für welche ihn zwar der Kaiser Nikolaus mit schönen Redensarten und den Diamant-Insignien des St. Andreasordens belohnte, während er die in der Anciennetät dem Prinzen nachstehenden Generale Diebitsch und Paskiewitsch mit dem Obercommando in der asiatischen Türkei betraute und nachmals zu Feldmarschällen ernannte. Zwar trat die Versuchung oftmals an den Prinzen heran, die russischen Kriegsdienste zu verlassen – hatte ihn doch selbst Napoleon zu wiederholten Malen in die seinigen zu locken gestrebt – allein stets hinderte ihn das seiner Tante und mütterlichen Freundin, der Kaiserin Maria Feodorowna, gegebene Versprechen, den russischen Dienst nicht ohne ihre ausdrückliche Genehmigung zu verlassen. Da seine liebevolle Gönnerin aber starb, ohne ihn seines Wortes entbunden zu haben, so hielt er sich fortwährend an die russischen Fahnen gefesselt.
Dennoch nahm er nach beendigtem Kampfe mit Frankreich Urlaub auf unbestimmte Zeit und benutzte die ihm dadurch gewordene Muße, um nach seinem geliebten Carlsruh in Schlesien überzusiedeln. Hier beschäftigte er sich zunächst mit Studien über Politik, Staaten- und Militairorganisation, während sein reicher Geist sich in vielfachen poetischen Gestaltungen und musikalischen Compositionen übte. Hierhin führte er auch seine erste Gemahlin, die Prinzessin Mathilde von Waldeck (20. April 1817), der er in seinen Memoiren nachrühmt: „Diese herrliche Seele verdiente ihre Stelle in den Werken aller edlen Dichter, die weibliche Tugenden und Vorzüge besingen;“ allein schon nach acht kurzen Jahren wurde ihm auch dieses Glück durch den Tod der Prinzessin am 13 April 1825 entrissen. Eine zweite Ehe ging er am 11. September 1827 mit Prinzessin Helene von Hohenlohe-Langenburg ein, welche äußere Schönheit mit allen Vorzügen des Herzens vereinigte. Nach des Prinzen eigener Aeußerung war sie ein Musterbild einer herrlichen Frau für Jeden, der ihr nahte. Die Geburt einer Tochter, Prinzessin Agnes (geboren am 13. October 1835, nachmals vermählt mit Erbprinz Heinrich XIV. von Reuß-Schleiz am 6. Februar 1858) erhöhte noch im reichsten Maße das Glück des liebenden Paares, das fortan nur in der Ausübung häuslicher Tugenden und in stiller Zurückgezogenheit das schönste Ziel seines Lebens suchte und fand.
Im vertrauten Kreise mit Freunden und Waffengenossen bot die Erinnerung an eine glorreiche Vergangenheit manch lichtstrahlendes Bild, und nur zuweilen, wenn das Gespräch die Ereignisse des Jahres 1813 berührte, zeigte die Heldenstirne des Greises einige bald wieder entschwindende Falten, denn selbst die Alles mildernde Zeit vermochte nicht immer den Unmuth über absichtliche Zurücksetzungen und Intriguen zu verscheuchen. Am 16. Septbr. 1857 endete zu Carlruh ein sanfter Tod das ruhmgekrönte Leben des Prinzen.
Das deutsche Volk aber möge nie vergessen, daß es der aufopfernden Wirksamkeit des Prinzen Eugen von Würtemberg wenigstens bei drei Gelegenheiten ganz allein zu verdanken [585] ist, daß unser Vaterland vom Joche der Fremdherrschaft und von der Gefahr, zu einer französischen Provinz herabzusinken, erlöst wurde! Diese drei Fälle waren:
Erstens die Schlacht von Malojaroslawecz am 24. Oct. 1812, wo sich Eugen dem gesammten Heer Napoleon’s entgegenwarf, als dasselbe auf der bequemen und hülfsmittelreichen südlichen Straße über Kaluga von dem eingeäscherten Moskau her sich zurückzuziehen beabsichtigte. Der hartnäckige, trotz Kutusow’s Gegenbefehlen und feigem Rückzug fortgesetzte Widerstand Eugen’s veranlaßte allein Napoleon, die nördliche, geplünderte und dem harten Winter ausgesetztere Straße über Smolensk zu wählen, auf welcher dann sein ganzes Heer zu Grunde ging. (Vergl. außer der Helldorf’schen Schrift auch den Bericht des General Wilson, englischen Bevollmächtigten bei der russischen Armee, über den Feldzug von 1812.)
Zweitens die Gefechte bei Pirna, Gießhübel und Culm, vom 26. bis 29. August 1813, wo Prinz Eugen ganz allein, wieder zum Theil entgegen den confusen, widerwilligen und störenden Befehlen des russischen Obercommando’s, die Armee der Verbündeten vor gänzlicher Zersprengung und Vernichtung gerettet hat. Er hielt den General Vandamme, welcher heranzog, um die Höhen zu besetzen, auf denen die Verbündeten sich zurückziehen mußten, Schritt für Schritt auf und ermöglichte so, daß die gesammten russischen Garden und ein Theil des übrigen Heeres durchschlüpfen und sich schlagfertig im Thal bei Teplitz ansammeln konnten. Er allein setzte es dann durch (siehe Aster’s Werk), daß die Verbündeten bei Culm wirklich gegen Vandamme’s Nachdrängen Stand hielten und der Kaiser von Rußland zu diesem Behufe (und um die noch in den Gebirgen steckenden Truppen zu retten) seine Garde opferte, deren Heldenmuth wir nicht herabsetzen wollen. Nur so ward es möglich, Vandamme erst aufzuhalten, dann zu umzingeln und endlich dem glücklich auf Vandamme’s Rückzugslinie anlangenden General Kleist (von Nollendorf) entgegen zu werfen.
Drittens endlich in der Schlacht bei Leipzig, wo nur Prinz Eugen es war, welcher die von Napoleon durch seinen großartigen Artillerie- und Cavallerieangriff bei Wachau beabsichtigte (und sogar als ausgeführt mittels Siegesfests gefeierte) Durchbrechung des Centrums der verbündeten Armee vereitelt und seine Bataillone in den Fluthen jener Reitermassen, wie kleine Felsen in den Brandungen des Oceans, feststehend und schlagfertig gehalten hat.
Wo jemals von den damaligen Befreiern Deutschlands die Rede ist, da muß der Prinz Eugen von Würtemberg in erster Linie genannt werden. Und dies um so mehr, da die deutschen Geschichtsschreiber an ihm eine doppelt schwere Schuld zu sühnen haben. Einmal ihre eigene; denn über keinen der deutschen Freiheitskämpfer hat man bis jetzt so mager berichtet (vielleicht in einer gewissen Mißstimmung darüber, daß dieser General bis in’s hohe Alter in russischen Diensten geblieben ist). Andererseits müssen wir Deutsche die wahrhaft empörende Art, wie alle russischen Militairberichte und Geschichtsschreiber die Leistungen des Prinzen Eugen von Württemberg herabgesetzt, verschwiegen oder lügnerischerweise auf andere Personen (z. B. auf den verrückten Tolstoy) übergetragen haben, immer und immer wieder (nach den treuen Berichten von Aster, Helldorf und Wilson) an’s Tageslicht ziehen und dafür sorgen, daß die Wahrheit nicht nur bei uns, sondern auch bei den Geschichtsschreibern anderer Völker zur Anerkennung komme.
So werden wir ihm wenigstens noch seine Grabstätte mit Ehrenkränzen zieren, nachdem merkwürdiger Weise die deutsche Presse sogar den Sterbetag dieses Helden fast stillschweigend hat vorübergehen lasten.
Alte Leute in Düsseldorf erzählen, daß Napoleon der Erste, als er die Stadt besucht habe, in die höchst denkwürdigen Worte ausgebrochen sei: „Düsseldorf ist ein klein Paris!“ Diese Leute sind nun meistentheils nicht in Paris gewesen, sonst würden sie wahrscheinlich den Ausspruch, wenn der corsische Imperator ihn wirklich gethan hat, für einen Scherz halten, was indeß keineswegs der Fall ist, denn unsere Philister bleiben dabei und wiederholen mit dem behaglichsten Ausdruck und den zufriedensten Blicken: „Düsseldorf ist ein klein Paris.“ Habeant sibi! Wir wollen ihnen den Spaß nicht verderben und sie auch auf die übrigen rheinischen Nachbarorte von oben herabschauen lassen; denn ihre Heimath war ja einst Hauptstadt von Jülich, Cleve und Berg, sie ist der Ort, wo Jakobe von Baden erdrosselt wurde, sie besaß einst eine wunderschöne Gallerie, sie besitzt noch die Reiterstatue des Kurfüsten Johann Wilhelm, sie ist der Geburtsort der beiden Jakoby, des Varnhagen von Ense, des Heinrich Heine, des Peter von Cornelius, der Brüder Heß und einer Menge von Malern, deren Ruhm erst künftig in den Sternen geschrieben steht. Hier siedelt ferner eine berühmte Malerschule, hier entwickelte sich das Theater Immermann’s. In der That Grund genug zu einem gewissen Stolz, den die Bürger auch an den Tag zu legen nicht verfehlen.
Und im wunderschönen Monat Mai ist Düsseldorf auch in der That ein allerliebster Ort. In die weiten Straßen und offenen Plätze schaut überall der liebe Frühling mit seinen frischbelaubten Bäumen herein. Buntgekleidete Damen – es befinden sich sehr hübsche darunter – und Herren gehen dort auf und ab. Der Menschenstrom ergießt sich hinaus. Wir folgen. Da öffnet sich vor den Blicken ein Kranz von anmuthigen Anlagen. Das ist der Hofgarten, der die Stadt fast allerwärts umschließt. Frisches Grün erquickt das Auge, hundert Blütenbäume ragen empor, die schmetternden Lieder der Vögel haben nicht End und Ziel, die Nachtigallen singen überall aus den Sträuchen, die Teiche blitzen im Sonnenstrahl, weiße Schwäne ziehen ihre stillen Kreise auf dem Wasser. Ja, das ist Alles fröhlich, lustig, berauschend. Wir wandern und bleiben stehen, wir betrachten und lauschen, wir athmen Mailuft und Blüthenduft in vollen Zügen.
Endlich sind wir am Ende des Parks nach dem Dorfe Pempelfort gelangt. Im Angesicht der großen Ulmenallee erhebt sich der Jägerhof, die Residenz des edeln Fürsten Anton von Hohenzollern-Sigmaringen. Links an dieselbe schließen sich Fabrikgebäude, die jüngst vom Fiscus angekauft wurden und nun bald verschwinden sollen. Sie bildeten einst eine Fabrik, welche der Familie Jakoby gehörte. Hinter derselben erstreckt sich ein Park, in den wir eintreten.
Wir stehen hier auf echt classischem Boden. Wer sich einigermaßen in den Lebensbeschreibungen, Reiseberichten und Briefen der Schriftsteller des vorigen Jahrhunderts umgesehen hat, der ist vielfach mit diesen Oertlichkeiten bekannt gemacht worden. Vor unsern Blicken dehnt sich nämlich der Jakoby’sche Garten, der vor etwa achtzig Jahren eine berühmte deutsche Culturstätte war. Das weite Besitzthum gehörte dem Philosophen Friedrich Jakoby, dessen Bruder Georg neben Goethe als einer der besten deutschen Lyriker geschätzt wurde. Die bedeutenden Mittel des Eigenthümers gestatteten eine ausgedehnte und glänzende Gastfreundschaft zu üben, zu welcher nicht minder die menschenfreundliche und herzliche Gemüthsart Jakoby’s aufforderte. So bildete sich denn hier der Sammelort für die geistigen Vertreter der Nation. Wie anmuthig schildert Goethe in „Wahrheit und Dichtung“ diesen reizenden Aufenthalt, den er in jungen Jahren besuchte! Auch nach dem unglücklichen Feldzug in die Champagne ruhte er hier einige Tage aus. Wilhelm Heinse, der Verfasser des Ardinghello, wohnte damals in Düsseldorf und war alle Tage in Pempelfort, das nach und nach Jung-Stilling, die Grafen Stolberg, Georg Forster, die Fürstin Gallitzin mit ihren westfälischen Freunden und Hemsterhuys, so wie Hamann, den Magus des Nordens, bewirthete. Pempelfort war vor Weimar die bedeutendste literarische Station des Vaterlandes. Dieses reiche bewegte Leben endete mit dem Einbruch der Franzosen in Deutschland. Jakoby verließ die geliebte Heimathstätte. Der Garten kam in die Hände des Arztes Brinkmann, dessen Tochter aber wieder einen Sohn Jakoby’s heirathete, so daß das Gut nun zum zweiten Male an die Familie gelangte.
Sobald man das Thor im Rücken hat, gewahrt man links im Hintergrunde ein langgedehntes Haus, das aus Unterhaus und erstem Stock besteht. Für die heutigen Verhältnisse ist es gerade nicht groß, in der Zeit, wo es entstand, galt es jedenfalls als eine stattliche bürgerliche Wohnung. Die Gebäulichkeiten sind namentlich nicht hoch, aber sie strecken sich in die Breite und besitzen sehr viele, darunter manche ansehnliche Räume. Es ist noch heute erkennbar, daß man sich für die Gastfreundschaft einrichtete. Denkt man aber [586] der Persönlichkeiten, welche hier ein- und ausgegangen sind, welche hier gescherzt, gelacht und in den ernsthaftesten Gesprächen zusammengehalten haben, so kann man sich eines Gefühls der Ehrfurcht nicht erwehren. In der That hat auch dieses Haus, als es von der Jakoby’schen Familie verlassen wurde, seine Anziehungskraft nicht verloren. Ferdinand Hiller mietete sich hier einst eine Stube, wo er componirte. Später wohnte Adolph Schrödter eine Zeitlang in dem Hause, und gegenwärtig lebt Frau Anna Ritter, die Wittwe des geistvollen Malers Henry Ritter, in diesen Räumen.
Aber wir wandern an dem Hause vorüber und vertiefen uns in die in englischem Geschmack zugerichteten Anlagen. Allerwärts erheben sich gewaltige Ulmen, Linden, Pappeln, hin und wieder Cedern und Tannen und andere Zierbäume. Unter denselben dehnen sich weite Grasplätze. Verschlungene Wege führen in das niedere Gebüsch. Kleine Brücken leiten über die Düssel, die in der Mitte des Parks in einem nicht unbeträchtlichen Teiche ausruht. In dem hintern Theile der Anlage, längs der Mauer, welche den ganzen Garten umschließt, gewahren wir wieder einige Gebäulichkeiten. Wir rathen dem Besucher, sich hier von einem Düsseldorfer Freunde gegen Abend einführen zu lassen, denn zu dieser Zeit entwickelt sich an dieser Stelle ein buntbewegtes Leben. Aus allen Wegen schreiten junge und ältere Männer heran, um sich an dem Gebäude zu sammeln. Dort stehen auf den Plätzen Tische und Stühle, an denen sich die Einen niederlassen zu Geplauder und Kartenspiel, Andere gehen an die Kegelbahn, auf welcher nun die Kugeln hin- und herrollen. Noch Andere setzen sich an die Lectüre von Zeitungen und Blättern bald in die Halle, bald unter das Laubdach der Bäume. Vor dem Einen steht der grüne Römer mit den Gaben des Baechus, vor dem Andern ein Seidel mit dem Tranke des Königs Gambrinus. Meistens herrscht dabei eine fröhliche Heiterkeit in stets wechselnden Bildern.
Was bedeutet dieses durchaus moderne Leben? Wir stehen mitten im „Malkasten“, der hier sein Sommerlocal aufgeschlagen hat. Mit Beginn der schönen Jahreszeit verlassen nämlich die Düsseldorfer Künstler ihre gemüthlichen, aber an hellen Tagen etwas düstern Räume in der Ratingerstraße, um sich in der frischen fröhlichen Frühlingswelt an Licht, Luft, Grün, Blüthe und Vogelliedern zu erquicken. Und das geschieht hier im vollsten Maße. Lunge, Auge und Ohr schöpfen hier hundertfachen Genuß. Man kann sich kaum einen anmuthigern Ort für abendliche Ausspannung denken.
Der Düsseldorfer Malkasten! Wer hat nicht von dieser heitern lebenslustigen Gesellschaft der Maler gehört? In den Berichten der Zeitgenossen ist schon vielfach von dem rheinischen Künstlerleben die Rede gewesen. Eine frühere Epoche ist ganz vortrefflich in Karl Immermann’s „Maskengesprächen“ geschildert worden. Fr. von Uechtritz hat zwei Bände „Blicke in das Düsseldorfer Künstlerleben“ herausgegeben. Ich habe in verschiedenen Novellen an dieses Treiben angeknüpft. Als Schadow nach Düsseldorf kam, concentrirte sich das Leben auf der Akademie und im Hause des Meisters. Man hatte später „Künstlerkränzchen“, eine „Brandwache“. Dann entstand eine aristoakademische Fraction, die ihre eigenen Kreise bildete. Maskenbälle, Aufführungen von lebenden Bildern, Theatervorstellungen und Künstlerfrühlingsfeste in bunten Maskenaufzügen vereinigten oft die dissentirenden Parteien auf kurze Zeit. Eine Geselligkeit, welche alle Mitglieder der Künstlerschaft vereinigte, konnte sich in den ersten zwanzig Jahren der neuen Schule nicht bilden.
Da kam das Jahr 1848 mit seinen vielfachen Bewegungen. Unsere Maler trieben auch Politik, kannegießerten und spielten Bürgerwehr. Die Einen waren rechts, die Andern links. Die letztern sollen – am 6. August, an dem Tage, wo das Fest deutscher Einheit in der Person des Reichsverwesers gefeiert wurde – sich durch Zufall zusammen gefunden und den Bund beredet haben. Diese Vereinigung geschah in dem Götzen’schen Wirthshause auf dem Hundsrücken, das bis dahin eine vielbesuchte Bürgerwehrstube war. Ohne sich durch Statuten gebunden zu haben, kamen dort allabendlich die Genossen zusammen. Ihre Zahl wuchs zusehends, sie umfaßte bald den größten Theil der jüngern und der ältern freisinnigen Elemente, während sich die ältern und conservativen Männer zurückhielten. Man hat in der Folge viel von der politischen Richtung des jungen Vereins geredet und ihn blutrother demokratischer Tendenzen beschuldigt. Ich muß gestehen, daß ich niemals etwas von Blutdurst, Tyrannenhaß und Sansculottenthum verspürt habe. Wer machte in der damaligen Zeit nicht seine politischen Witze? Ueber die Scherze des Kladderadatsch ist Keiner hinausgegangen. Von Comploten und Verschwörungen war niemals die Rede. Wie das Leben der jungen Leute gemeiniglich auf Scherz, Fröhlichkeit und Lachen gestellt ist, so war es auch hier. Der einzige Vorwurf, den man machen konnte, ist vielleicht, daß man die ernste Zeit nicht allzuernst nahm. Wer will das aber der Jugend verübeln!
Die Haupttendenz des Vereins ist zu jener Zeit nichts Anderes gewesen, als die Liebe und Hingebung an den Verein selbst. Man hatte längst das Bedürfniß eines Zusammengehens der Künstlerschaft gefühlt. Das war nun mit einem Male ungesucht gefunden. Man hatte es nicht gemacht, es war geworden. Darüber herrschte eine allgemeine Freude, die sich bald durch ein eigenthümliches Zusammenwirken kund gab. Vor allen Dingen galt es das alte düstere Local wohnlich und künstlerisch umzugestalten. Es ist merkwürdig, mit wie geringen Mitteln man zum Ziele kam. Der Eine begann den Andern zu malen, so daß nach und nach eine ganze Gallerie von Malkästnern entstand. Man legte Albums an und schenkte Zeichnungen hinein, es entstand eine kleine Bibliothek, es entstanden Sammlungen von Gefäßen. Die Landschaftsmaler führten Decorationen für die Bühne aus, welche im Hintergrunde des Zimmers errichtet wurde. In der Folge malte E. Leutze jene Darstellungen, welche, die Entwickelung der Kunstgeschichte gebend, die Wände des Winterlocals schmücken, und Mintrop führte die allerliebsten Kindergruppen aus, die wir dort erblicken. Zu diesen Künstlern gesellte sich A. Schmitz, der gleichfalls ein großes Bild lieferte. So hat denn der Malkasten in den Geschenken, die ihm nach und nach geweiht wurden, gegenwärtig schon ein recht hübsches Besitzthum, denn man sieht hier außer den Arbeiten der schon genannten Künstler auch Portraits von L. Knaus und J. Roeting, so wie Zeichnungen von C. F. Lessing, E. Bendemann, A. Achenbach und vielen andern. Man darf übrigens nicht vergessen, daß die erste Zeit die fruchtreichste war. Die Sammlungen haben sich nicht in derselben Weise gemehrt, wie sie begonnen.
Es läßt sich nun nicht leugnen, daß während der ersten Jahre ihres Bestehens in dieser jugendfrischen Gesellschaft an Witz, Scherz und Geist viel Pulver in die Luft geschossen wurde. Fehlte es auch hier und dort nicht an ernsten Gesprächen, so war doch der Sinn der Allgemeinheit auf Possen und Schwänke gestellt. Gute Bonmots, kräftige Späße, humoristische Lieder hatten mehr Hoffnung auf Erfolg, als gediegene Betrachtung. Der göttliche Unsinn herrschte in jeder Beziehung vor und erreichte namentlich seinen Höhepunkt in den Lustspielen, die von Zeit zu Zeit aufgeführt wurden. Dieselben traten stets als eigenes Fabrikat auf, das von der einen oder andern Gruppe der Malkästner gemeinschaftlich entworfen und ausgeführt wurde und dadurch eines gewissen Eindrucks sicher war, daß es von Anspielungen auf einzelne Persönlichkeiten, städtische und staatliche Verhältnisse wimmelte. So erinnere ich mich eines Stückes, wo die Geschichte von König David und dem Weib des Urias in Schleswig-Holstein spielte. Andere Stücke hatten ähnliche barocke Vorwürfe. Man lachte einen Abend darüber und legte sie zu den Acten. Es hatte eben kein Aristophanes dahinter gesessen. Die jugendlichen Genossen aber fanden sie „famos“. Eine Krähe pickt der andern kein Aug’ aus.
Mit der Zeit mochte man sich wohl von der Unzulänglichkeit dieser Vergnügungen überzeugt haben, und die jungen Schauspieler, von denen manche ein entschiedenes Talent an den Tag legten, griffen zu andern Aufgaben. Und hier kam Rudolf Nielo, der sich als Vorleser einen Namen gemacht hat, dem jungen Völkchen trefflich zu Statten. Er wurde nämlich der Regisseur der Bande, die sich allmählich an Shakespeare’s Lustspiele wagte. Sowohl in dem alten Malkasten bei Götzen, dann in dem zweiten Locale an der Ecke der Ratingerstraße und schließlich in dem jetzigen habe ich „Viel Lärm um Nichts“, „Die Komödie der Irrungen“ und „Was Ihr wollt“ in recht hübschen Darstellungen gesehen, in denen die Frauenrollen von den jüngsten Anschößlingen gegeben wurden. Von dieser muthigen Gesellschaft sah man sogar Stücke wie „Der Schatz von Rhamsenit“ von Platen und „Der Rubin“ von Hebbel, die sonst nicht das Glück gehabt haben, in ihrem Heimathlande auf die Bühne zu kommen. Mit solchen theatralischen Versuchen wechselten mitunter große Darstellungen von lebenden Bildern für wohlthätige Zwecke, welche in einem großen Locale, dem Geißlerschen Saale, aufgeführt wurden und stets sehr zahlreich besucht waren.
[587] Bildeten diese Bestrebungen die Glanzpunkte für den Winter, so brachte Frühling und Sommer wiederum andere Vergnügungen. Da die Gesellschaft mehr und mehr an Wachsthum und Ansehen gewann, so fanden sich auch die Mittel, für die schöne Jahreszeit ein Gartenlocal zu gewinnen. Dasselbe befand sich eine Reihe von Jahren in der Kaiserstraße.
In den bedeutsamsten Festlichkeiten, für welche zugleich die größten und zeitraubendsten Vorbereitungen getroffen wurden, gehörten während einiger Jahre die Frühlingsfeste. Sie wurden indeß nicht häufig gefeiert, weil sie sich in Beziehung auf Zeit und Geld zu kostspielig erwiesen. Die Stätten, wo sie abgehalten wurden, waren der Bilkerbusch und der Grafenberg. Im Jahre 1852 machte man die Sache so brillant, daß, soviel ich weiß, keine spätere mehr zu Stande kam. Aber auch manche ernsthafte Kämpfe haben im Schooße der Gesellschaft stattgefunden. Trotz der idealen Zwecke, welche die Kunst verfolgt, sind und bleiben die Künstler doch Menschen und haben so gut ihre Streitigkeiten wie die andern Söhne dieser Erde. Und so machten sich denn in der Schule schon von vorneherein allerlei Differenzen geltend. Zuerst hatten sich Rheinländer und Berliner mitunter in den Haaren gelegen. Später machte man einen Unterschied zwischen Katholiken und Protestanten. Schließlich gab es eine akademische und eine außerakademische Partei. Die erstere, kleinere war conservativ, die zweite größere war liberal. Dazu stifteten die letztern den Malkasten. Es lag in der Natur der Sache, daß sie ihren Verein auch benutzten, um ihre künstlerischen und gesellschaftlichen Zwecke durchzuführen.
In der Zeit der politischen Aufregung hielten sich natürlich die Akademiker dem etwas ungebundenen Treiben der heißblütigen Jugend fern. Es war dies namentlich in jenen Tagen der Fall, wo der Malkasten seine eigenen Possen aufführte, in denen er weder Freund noch Feind schonte. Als die Gemüther sich beruhigten und Shakespeare auf die Bühne kam, hin und wieder eine Vorlesung gehalten wurde – ich selbst habe mitunter über deutsche Literatur gesprochen – als man Compositionsvereine zu bilden suchte, da fanden auch wieder Annäherungen der Conservativen statt. Man hatte sich außerdem zu gemeinschaftlichen Festen nöthig, wie bei der Feier des hundertjährigen Geburtstages Goethe’s und des fünfundzwanzigjährigen Directorats Schadow’s an der Akademie. So kamen denn auch in diesen Perioden der alte Meister, die Professoren der Akademie und ihre Anhänger. Künstler sind eben keine Leute, die sich einen langen Haß nachtragen. Heute wurde gezankt, morgen reichte man sich die Hand. Heute erklärte man sich den Krieg, morgen schloß man mit Thränen in den Augen den herzlichsten Frieden.
Den Lesern wird es vielleicht interessant sein, einige der Hauptchorführer der Gesellschaft kennen zu lernen. Indem ich unternehme, ihre Portraits zu skizziren, muß ich Emanuel Leutze an die Spitze stellen. Derselbe weilte schon längere Zeit in Düsseldorf und hatte sich in der Profangeschichte als einer der besten Künstler hervorgethan. Geboren in Gemünd in Schwaben, war er als Knabe nach Amerika gekommen, hatte sich als Jüngling der Malerei gewidmet und wählte dann, nach Europa zurückkehrend, Düsseldorf zu seiner Bildungsstätte. Durch seine Arbeiten gewann er sich großes Ansehen unter den Genossen. Dazu war er stets lebendig, anregend, leidenschaftlich in der Gesellschaft gewesen. Seine Unruhe wuchs in der Zeit der Revolution. Man nennt ihn den Stifter des Malkastens. Von ihm soll der Verein seinen Bestand erhalten haben. Als Erfinder des Namens nennen die Einen Chr. Böttcher, die Andern Karl Hübner. Leutze wurde indeß in der Folge sein thätigstes Mitglied, überall ordnend, anfeuernd, oft heftig bis zu entschiedener Tyrannei. Was man aber auch sagen mag, er meinte es stets gut und trug nie einen Groll nach. Zudem muß man gestehen, daß ohne die zähe Art, mit welcher er stets seine Zwecke verfolgte, manche treffliche Dinge nicht in’s Leben getreten wären. Nicht allein für die Gesellschaft opferte er Zeit und Mittel, er ist auch bei der Gründung der deutschen Kunstgenossenschaft, die nun über ganz Deutschland verbreitet ist, an erster Stelle zu nennen.
Leutze hatte dabei treffliche Adjutanten. War er der Präsident der Gesellschaft, so war Hermann Becker, der geistvolle Kritiker, sein Staatssecretair. Eine reiche Bildung, eine feine Ironie, eine gewandte Feder machten ihn den meisten Künstlern in der Geselligkeit überlegen. Er war lange Schriftführer des Malkastens, in welchem Amt ihn später der Landschaftsmaler Alexander Michelis ablöste. Zu diesen gesellte sich zu seinen Lebzeiten der Maler des deutschen Philisters, J. P. Hasenklever, der sich beim Glase Wein überaus behaglich fühlte und diesen Eindruck auch auf den Beschauer machte. Karl Hübner, der durch seine socialen Bilder berühmt geworden war, schloß sich an. Auch er war ein eifriger Förderer der Gesellschaft. Papa Weber, der Landschaftsmaler, erschien als einer der unverwüstlichsten Stammgäste, dem es nie an der gehörigen Derbheit fehlte. Wieschebrink that sich durch seinen trockenen Humor hervor. Ludwig Knaus, der damals noch sehr jung war, wurde mitunter als Sänger auf der Bühne benutzt. Er hatte eine sehr tiefe Stimme, aber sein Gehör war so vernachlässigt, daß sich bei seinen Liedern ein unauslöschliches Gelächter erhob. Und um diese Häupter vereinigte sich nun die ganze brausende rauschende Jugend, die, wenn sie den Pinsel bei Seite gelegt hatte, Lieder sang, Komödie spielte und nach allen Seiten hin den blühendsten Unsinn trieb.
Nach diesen agitatorischen Elementen, die stets in Feuer und Flammen standen, fehlte es aber auch nicht an besonnenen und ruhigen Männern, deren Haltung, so wenig es auch den Anschein hatte, den eigentlichen Kitt und Zusammenhang für die oft zu wild dahinlebende Geselligkeit abgab. Und hier muß ich vor allen andern der beiden Achenbach gedenken. Andreas Achenbach galt schon längst als die erste Größe im landschaftlichen Fach. So ernst er seinen Weg in der Kunst verfolgte, so heiter war er im Leben. Voller Humor, Witz, Satire, Laune, die er stets bunt und toll hervorsprudeln ließ, hielt er doch in den geselligen Angelegenheiten das rechte Maß. So bewahrte er sich das Ansehen nach innen, nach außen aber schützte sein Ansehen die Gesellschaft. In Oswald Achenbach besaß der Malkasten gleichfalls ein sehr nützliches Mitglied. Er war milder, stiller als sein Bruder und befliß sich feiner Formen. In ähnlicher Weise ist der Genremaler Ch. Böttcher zu nennen, der in den letzten Jahren so poetische rheinische Bilder geliefert hat. Schon seltner erschien der phantastische Scheuren, der nicht allein in seinen künstlerischen Entwürfen, sondern auch in seinem Worte, wenn er sich ungenirt fühlt, höchst originell ist. Eine andere eigenthümliche Erscheinung war Theodor Mintrop, der bis zu seinem dreißigsten Jahre hinter dem Pfluge gegangen war und dann durch den Genremaler Eduard Gesellschap, seinen steten Leiter und Begleiter, an die Kunst kam. Man kennt den unendlichen Formenreichthum seiner Gestalten. In seiner Geselligkeit entwickelte er ein außerordentliches Erzählertalent. Die Episoden aus seinem Lehen hörten sich wie die schönsten Dorfgeschichten an. Auch die geistvollen Norweger A. Tideman und Hans Gude erschienen in diesem Kreise. Aus der ältern Generation standen außerdem namentlich Hildebrand, Köhler, Stilke und der Inspector Wintergast in freundschaftlichen Verhältnissen zu der Genossenschaft.
Noch mehr als alle diese Mitglieder gereichte es dem Malkasten zur Ehre, daß C. F. Lessing sich unverbrüchlich zu der jungen Welt hielt. Er ließ den alten guten Spruch gelten: „Jugendblut hat Uebermuth“ und nahm nicht, wie es von andern Seiten geschah, die lustige Art und Weise der frischen Anschößlinge krumm und übel. So viel ich mich erinnere, war er fast immer Mitglied des Vorstandes. Man achtete und ehrte ihn. Seine Anwesenheit hat gewiß manche Uebereilung gehindert, so wenig er auch bei seiner passiven Natur einen directen Einfluß geltend zu machen suchte. Die stille bescheidene Art seines Wesens, die gewissermaßen in einer kindlichen Männlichkeit bestand, mit welcher er sich stets unter der Schaar der jungen Künstler befand, machte einen überaus wohlthätigen Eindruck. Die Anhänglichkeit, welche er der Gesellschaft bewahrte, mußte allen vernünftigen Leuten die Bürgschaft geben, daß der Malkasten auch in seiner übermüthigsten Zeit kein so übles Institut war. Adolph Schrödter, Lessing’s Schwager, zog 1848 nach Frankfurt. Als er zurückkehrte, wurde er, bis die beiden Künstler nach Carlsruhe übersiedelten, dem Malkasten ein treuer Freund.
Als später zeitweise und in den letzten Jahren, wie es scheint, für alle Zukunft eine Vereinigung der ganzen Künstlerschaft erzielt wurde, erhielt der Malkasten aus der Mitte der ältern Künstler noch eine Menge von Elementen, welche nicht wenig zur Belebung der Gesellschaft beitrugen. So betheiligte sich namentlich W. Camphausen, der in der That ein vortreffliches dramatisches Talent besitzt, bei den Theateraufführungen, während Rudolph Jordan durch seine eigenthümliche Komik in Rede und Bewegung stets vielfach zur Erheiterung beizutragen verstand. Und so zählt der Verein [588] auch jetzt den Director Bendemann, die Professoren Sohn, Wiegmann und sogar die strengen Katholiken Deger, Karl und Andreas Müller, Ittenbach und Andere mehr zu seinen Freunden.
Im Angesichte einer solchen Gesellschaft stellt man sich naturgemäß die Frage, ob im Verhältniß zu ihrem Wachsthume auch die tiefern idealen Kunstzwecke gefördert worden sind. Haben die Künstler neue Bahnen eingeschlagen? Wurden die höchsten Richtungen der historischen Bildnerei in größerm Umfange aufgenommen? Ist die Composition zu höhern Flügen angeregt worden? Hat man in der Technik bedeutende Fortschritte gemacht? Seltsamer Weise können die Antworten nicht sehr erfreulich lauten. Leider haben im letzten Decennium eine Menge von ausgezeichneten Malern die Stadt verlassen. Freilich besitzen Dresden, Berlin, Frankfurt, Carlsruhe und Weimar Filialen der rheinischen Schule. Dieselben haben uns früher schon Hübner und Bendemann – der letztere ist bekanntlich zurückgekehrt – Becker und Dielmann, Schrader, Knaus, Lessing, Schrödter und Schirmer, sowie eine Menge anderer Künstler entzogen. Leutze kehrte nach Amerika zurück. Glücklicher Weise trägt die Kirche die Bestrebungen Deger’s, der Brüder Müller und Ittenbach’s, so daß wir also eine treffliche biblische Malergruppe besitzen. Dagegen ist die profane Geschichtsmalerei fast ganz erloschen. Lessing und Leutze waren ihre letzten bedeutenden Vertreter. Auch in der Volksmalerei sind die Talente aus früheren Tagen nicht übertroffen worden. Ritter und Hasenklever sind todt. Zu Jordan, Tideman, Böttcher, Gesellschap, Wieschebrink und Siegert haben sich in den letzten Zeiten nur Benjamin Voutier, Kindler und Salentin als ebenbürtige Talente gesellt. Schirmer, der jetzt die Carlsruher Schule dirigirt, und Gude, der nach England gegangen ist, vermißt Düsseldorf auch nicht gerne. Die beiden Achenbach, Scheuren und Weber werden von keinem Jüngern erreicht, viel weniger übertroffen. Die letzte Generation hat einen zu realistischen Weg betreten. Sie fügt sich zu sehr den Neigungen des Publicums, das im Volksbilde und in der Landschaft die nüchterne Wirklichkeit sucht. Es wird leider oft mehr für den Verkauf als für die Kunst gearbeitet. Und das geschieht denn auch noch rasch, hastig, ohne innerliche Vertiefung in den Gegenstand. In Beziehung auf gediegenen Fleiß und zähes Fortstreben sind die ältern Künstler nach wie vor die besten und gewissenhaftesten Meister.
So erscheinen die hauptsächlichsten Resultate, welche der Malkasten erreicht hat, als geselliger und socialer Natur. Die erstern suchte ich in der Kürze darzustellen, die zweiten anzudeuten. Ohne Zweifel haben die Künstler in Düsseldorf bedeutend zur Hebung des Standes mitgewirkt. In dem Unterstützungsverein, der im Malkasten stets eine freundliche Pflege fand und der gegenwärtig ein nicht unbeträchtliches Capital besitzt, hat die Künstlerschaft ein treffliches Institut geschaffen. Daß von dieser Seite her auch die deutsche Kunstgenossenschaft vorzugsweise in’s Leben gerufen und gefördert wurde, ist bereits gesagt. Dann aber gereicht es dem Verein zur ganz besondern Ehre, daß er sich einen solchen Sitz zueignete, wie das Jakoby’sche Gut, in welches ich die Leser beim Beginn meiner Darstellung eingeführt habe. Man darf mit Recht sagen: Der Malkasten hat sich um Düsseldorf, um den Rhein, um das deutsche Vaterland verdient gemacht.
Dieser alte classische Grund und Boden war nämlich vor einigen Jahren in Gefahr, als Erinnerungsstätte deutscher Cultur verloren zu gehen. Nach dem Tode des Staatsraths Jakoby, eines Sohnes des Philosophen, befand sich die Familie nicht mehr in der Lage, das Gut an der Hand zu halten. Es kam in andern Besitz. Schon sollte damit begonnen werden, den Park in Bauplätze zu parcelliren. Vergebens erhob sich ein Schrei des Entsetzens in den öffentlichen Blättern. Gesuche an die Regierung und an die Stadt, Haus und Garten zu erwerben, hatten keinen Erfolg. Da tauchte der Gedanke auf, daß die Künstlergesellschaft sich hier einen schönen Sommergarten bilden könne. Andreas Achenbach und Assessor Alexander von Sybel legten sich in’s Mittel und bewerkstelligten den Ankauf, indem sie sich erboten, die Anlagen später zu dem kostenden Preise wieder an den Malkasten abzugeben. Nun wurden Bilder gemalt, auswärtige Künstler sandten gleichfalls Spenden ein. Man rüstete eine große Lotterie, die im ganzen Vaterlande den lebendigsten Anklang fand. Die in Aussicht genommenen Summen wurden bedeutend überschritten. Das Gut wurde Eigenthum der Gesellschaft. Man besaß schließlich noch einen Reservefond, für den man ein neues Gesellschaftsgebäube her zu stellen denkt. Bei dieser Gelegenheit wurden nun auch alle Künstler Düsseldorfs einig. Wir sprechen unsern Segen dazu. Mögen sie es alle Zeit bleiben!
Das war in der That ein wackeres Werk. Jedem Deutschen, der ein Herz für sein Volk und dessen geistige Geschichte hat, ist hier ein Ort erhalten worden, der in alle Zeiten hin heilig und geweiht sein wird. Wir Leute von der Feder danken es den thätigen und liebenswürdigen Künstlern ganz besonders. Und sie selber werden es wahrlich am wenigsten bereuen, daß sie im Augenblicke der Gefahr mit Rath und That eingeschritten sind.
In den letzten Jahren hat sich der Verein lebhaft mit dem Plane beschäftigt, auf diesem Grund und Boden ein Gebäude aufzuführen, das sowohl im Winter wie im Sommer seinen Zwecken entspricht. Man hat bereits eine Concurrenz ausgeschrieben, es sind Entwürfe eingekommen, einem derselben ist der Preis zuerkannt worden. Zur Ausführung wird er indeß vorläufig wohl schwerlich kommen, da ein Zwischenfall eingetreten ist, der der Gesellschaft wahrscheinlich und hoffentlich noch zu einem größern Besitz verhilft. Zwischen dem Garten des Jägerhofes und dem Jakoby’schen Gut erstreckt sich nämlich ein Theil der frühern Fabrik, welche die Familie besaß und die später in andere Hände überging. Dieselbe hat aber eine große Fronte nach der Straße hin, während das Jakoby’sche Gut im Hintergrunde liegt. Die Fabrik und der anliegende Garten ist aber vom Fiscus erworben worden. Der letztere wird wohl kein Bedenken tragen, dem Malkasten den Theil an der Straße abzugeben, damit er auf demselben bauen und den Park und das alte Haus schonen kann. Die ganze Gegend würde dadurch sehr an Anmuth und Schönheit gewinnen. Die Düsseldorfer Künstlergesellschaft hat schon früher das Unmögliche möglich gemacht. Sie wird auch wohl hier zum sichren Ziel gelangen. Und wenn sie erst in dem neuen Hause ihren Sitz aufgeschlagen hat, möge denn auch fürder Freude, Einigkeit und echtes Kunstgefühl bei ihr wohnen!
Wir hoffen, in den vor uns liegenden, besonders wichtige oder belebte Momente des Festes vergegenwärtigenden Bildern denjenigen unserer lieben Leser, welche nicht Zeugen jener festlichen Tage waren, eine willkommene Gabe zu bieten; für die Theilnehmer an jenem großen Feste aber sollen diese Darstellungen Gedenkblätter sein, bei deren Anblick die Erinnerung an die in der Feststadt verlebten schönen Tage immer wieder warm und belebend die Seele durchzieht.
Die begeisterndste Erinnerung wird immer dem großen Festzuge am Montage bleiben. Eine stattliche Armee war es, die sich da aufgestellt hatte, aber es war nicht das Volk in Waffen, es war ein Volk in Liebe, ein Brudervolk! Wenn man diese von begeisterter Freude gehobene Schaar sah, so mußte man sich erstaunt fragen: ob dies Söhne und Enkel derselben Vorfahren seien, die vor Zeiten um geringer Ursachen willen im allerhöchsten Auftrage einander nach Leben und Eigenthum trachten mußten?
Ja, sie sind es, aber der große Festzug beim dritten deutschen Turnfeste war gewissermaßen die Verkörperung aller der Einheitsideen, die uns in Lied und Wort schon so oft vorgeschwebt und uns begeistert haben.
Eine glühende Sonne schien auf den unendlichen Festzug hernieder, ohne jedoch dessen Theilnehmer ermatten zu können. Fanden sich doch auch überall Mundschenken und liebliche Mundschenkinnen in Menge, welche den Vorüberziehenden einen Labetrunk kredenzten. Mit Dank und Jubel wurden immer diese erfrischenden Liebesgaben aufgenommen, und wenn sich durch dergleichen Zwischenfälle auch die Ordnung des Zuges an einzelnen Stellen auf Augenblicke zu lösen schien, so wurde sie doch stets rasch genug wieder hergestellt. Mit einem begeisterten Hoch! oder einem käftigen Gut Heil! dankte man den freundlichen Gebern oder den schönen Geberinnen; man schwenkte ihnen zu Ehren die Fahnen, und dann wurden im Sturmschritte die im Zuge entstandenen Lücken rasch wieder ausgefüllt.
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Eine solche getreu der Wirklichkeit entnommene Scene vergegenwärtigt unser Bild. Die freundliche Hebe am Fenster wird so Manchem der Theilnehmer am Zuge noch vor der Seele schweben, ebenso wie der gemüthliche Hausherr, dessen Kellerreichthum an rheinischem Rebensafte an jenem Tage dem hier vertretenen Alldeutschland gewidmet war. Einer der jugendlichen Turner fühlt sich entweder von der eigenthümlichen Tracht oder wohl auch von den frischen Lippen eines hübschen Landmädchens aus der Altenburger Gegend so angezogen, daß er im Sturmlauf auch noch ein Kußattentat versucht.
Wir mußten uns begnügen, hier nur eine Episode aus dem gewaltigen Festzuge wiederzugeben, denn wo wäre es möglich, in so engem Rahmen ein umfassenderes Bild der allgemeinen Begeisterung zu liefern; die einundzwanzigtausend Theilnehmer des Zuges werden davon zu erzählen wissen und ebensowohl sie, als alle Diejenigen, welche jene herrlichen Tage mitfeierten, bewahren in der Erinnerung einen Reichthum von Eindrücken, der sich wohl fühlen, aber kaum durch Wort und Bild wiedergeben läßt.
Rechtskunde für Jedermann.
„Das Testament zu machen verabsäumen und verweigern nicht nur Solche, die in Folge blödsinnigen Aberglaubens fürchten, daß durch die Niederlegung des Testaments ihr Tod eiligst heraufbeschworen werde, sondern auch die, welche (meistens aus Bequemlichkeitsliebe) meinen, daß es bei ernstlichem Krankwerden schon noch Zeit genug sei, auf Anrathen des Arztes die letzten Verfügungen zu treffen.
Es ist unverständig und gewissenlos, ja oft geradezu sündhaft, wenn Jemand, der vor seinem Tode zum Wohl seiner Angehörigen oder anderer Mitmenschen noch Bestimmungen und Verfügungen zu treffen hat, diese nicht bei Zeiten trifft und zwar so, daß sie rechtskräftig sind. Wenn es Manche für hinreichend halten, ihren letzten Willen nur im Schubkasten für die Angehörigen zu hinterlassen, so irren sie und können in den meisten Fällen, zumal wenn unmündige Erben mit in Betracht kommen, die Vollziehung ihres Willens total vereitelt sehen.“ (Bock’s Buch vom gesunden und kranken Menschen, Supplemente-Band 2, S. 207.)
Von der Wahrheit dieser Worte hat Verfasser schon oft sich überzeugt. Unter den vielen Testamenten, die er als Richter aufgenommen, ist kein einziges, welches der Testator bei gesunden Tagen errichtet, immer nur am Krankenbett hat er einen letzten Willen anhören und zu Protokoll nehmen müssen.
Wie gefährlich es aber ist, wo möglich bis zum letzten Augenblick mit der Errichtung seines Testamentes zu warten, mag nur ein Beispiel lehren.
Die Besitzerin eines großen Bauergutes – eine Wittwe – war erkrankt und hatte schleunigst ihren lange gereiften letzten Willen von einem Rechtscandidaten niederschreiben lassen. Sie hatte einen mündigen Sohn und eine fünfjährige Enkelin. Das Gut war über anderthalbhundert Jahre in ihrer Familie gewesen und sollte es ferner bleiben. Demgemäß hatte sie dasselbe für ihren Sohn bestimmt, ihrer Enkelin aber ein mäßiges, wenig mehr als den Pflichttheil betragendes großmütterliches Erbtheil in Geld ausgesetzt. – Auf Anrathen ihres Sachwalters sollte die Frau unverzüglich eine Gerichtsdeputation in ihre Wohnung kommen lassen, um das Testament gerichtlich niederzulegen. Die Krankheit hatte sich aber zum Guten gewendet, die Testirerin glaubte in den nächsten Tagen persönlich bei Gericht erscheinen zu können (wodurch sie einige Thaler ersparte), und – der Rath ihres Rechtsanwalts wurde nicht befolgt. Ein plötzlicher Rückfall warf die Frau wieder auf’s Krankenbett. In der ersten Bestürzung dachte man natürlich nur an den Arzt, und als die Wittwe einen Boten nach dem Gericht sendete und dieses zur schleunigen Abordnung einer Deputation ersuchen ließ, waren ihre körperlichen, mehr noch ihre geistigen Kräfte bedeutend im Abnehmen. – Kaum drei Stunden nach Absendung des Boten war Verfasser als Gerichtsdeputirter an Ort und Stelle. An das Krankenbett geführt, fand er die Frau bereits mit halbgebrochenen Augen, ihres Bewußtseins nicht mehr mächtig. Sie konnte daher als „verfügungsfähig“ nicht betrachtet und aus diesem Grunde das von ihr noch gar nicht unterschriebene Testament nicht angenommen werden. Die Frau verschied, ohne wieder zum Bewußtsein gekommen zu sein und ohne Testament, da das von ihrem Anwalt verfaßte zur gerichtlichen Niederlegung nicht gelangt und somit ungültig war. Der Nachlaß mußte, weil ein minderjähriger Erbe vorhanden war, gerichtlich regulirt werden, in Folge dessen das Gut zum Verkauf und – in fremde Hände kam. Von dem Erlös, überhaupt der ganzen Verlassenschaft erhielt der Sohn und die Enkelin je die Hälfte, und – der letzte Wille der Verstorbenen war total vereitelt.
Dergleichen Fälle kommen in Folge der Testamentsscheu und Nachlässigkeit leider sehr häufig vor, daher kann man nicht oft genug rathen: zeitig und ordentlich testiren.
Testiren! ja, was heißt das? Haben alle Leser der Gartenlaube einen klaren Begriff von dem Rechtsinstitut des Testamentes? sind sie sich bewußt, wer testiren kann, wer nicht? was zu einem gültigen Testament erforderlich ist? u. s. w.
Wohl nicht! Es ist eine traurige Erfahrung, daß das Volk von seinem Recht, insbesondere seinem Privatrecht nur wenig weiß, daß es über die im gewöhnlichen Leben und Verkehr vorkommenden Rechtsverhältnisse gar nicht unterrichtet ist.
Unser Jahrhundert ist das der Popularisirung aller Zweige der Wissenschaft. Nur die Rechtskunde hat man bisher in dieser Beziehung noch ziemlich vernachlässigt. Hier tappt das Volk noch arg im Dunkeln, und es dürfte kein undankbares Bemühen sein, in diese Finsterniß einige Streiflichter fallen zu lassen, die Rechtsinstitute, die im täglichen Verkehr vorkommen, ihrem Wesen nach dem allgemeinen Verständniß näher zu bringen.
Mit dem Tode einer Person erlöschen deren vermögensrechtliche Verhältnisse, Rechte und Verbindlichkeiten nicht, gehen vielmehr in ihrer Gesammtheit unmittelbar auf Andere über. Diese übergehenden Rechte und Verbindlichkeiten bilden die Erbschaft; die Grundsätze, welche den Eintritt in die Erbschaft einer Person regeln, sind das Erbrecht, und derjenige, der in die gesammten Vermögensrechte eines Verstorbenen eintritt, ist dessen Erbe.
Zur Beerbung eines Verstorbenen kann man auf dreifache Weise berufen werden, entweder 1. durch einen Erbvertrag, oder 2. durch ein Testament, oder in Ermangelung des einen oder anderen 3. durch das Gesetz.
Erbvertrag ist ein gegenseitiges Uebereinkommen über die künftige Verlassenschaft einer noch lebenden Person. Wer sich seinen Erben durch einen solchen Vertrag ernennt, ist in gebundenen Händen. Er kann zwar über sein Vermögen bei Lebzeiten noch frei verfügen, das einmal zugesicherte Erbrecht aber kann er dem Vertragserben einseitig, d. h. ohne dessen Zustimmung, nicht wieder entziehen, oder durch anderweitige letztwillige Verfügungen schmälern.
Das Gesetz beruft ganz bestimmte Personen – Kinder und Kindeskinder, Eltern und Voreltern, Seitenverwandte, Ehegatten – in bestimmter Ordnung und nach bestimmten Quoten zur Erbschaft.
Will daher Jemand durch Vertrag sich nicht binden, aber auch nicht die gesetzliche Erbfolge eintreten lassen oder noch andere Bestimmungen über seine Verlassenschaft treffen, z. B. Legate aussetzen, so muß er rechtzeitig ein Testament errichten.
Unter einem Testament – letztwillige Verfügung, letzter Wille – versteht man die freie, einseitige, jeden Augenblick widerrufliche Verfügung einer Person über ihr nach ihrem Tode vorhandenes Vermögen.
Fähig ein Testament zu machen sind alle Personen, welche zur Zeit der Testamentserrichtung handlungs-, willensfähig und ihren Willen gehörig verständlich zu machen im Stande sind. Taube, Stumme, Taubstumme und Blinde dürfen aber nur gerichtlich testiren, unter Vormundschaft gestellte Verschwender gar nicht.
Volljährig und selbstständig braucht der Testirer nicht zu sein. Die Fähigkeit zur Testamentserrichtung beginnt in den meisten Landen mit dem vollendeten 14. Jahre und bedürfen die, welche noch in väterlicher Gewalt oder unter Altersvormundschaft stehen, der Genehmigung des Vaters oder Vormundes dazu nicht.
Juristische Personen, d. h. Anstalten oder Vereine von Personen, denen vom Staat die Fähigkeit, Vermögensrechte zu haben, beigelegt ist, z. B. Stadt- und Landgemeinden, milde Stiftungen, Eisenbahngesellschaften, können zwar nicht ein Testament errichten, wohl aber in einem solchen als Erben eingesetzt oder sonst bedacht werden.
Um etwaigen Fälschungen vorzubeugen, dürfen Personen in einem letzten Willen, welchen sie für den Testirer verfaßt haben, oder bei dessen Errichtung sie als Zeuge oder Gerichtsperson betheiligt gewesen sind, sowie deren Verwandte weder als Erben eingesetzt noch als Legatare bedacht werden. Die Erbeinsetzung oder das Legat ist in solchen Fällen nur dann gültig, wenn der Testator noch in anderer Weise seinen Willen, diesen Personen etwas zuzuwenden, zu erkennen gegeben hat, z. B. die betreffende Verfügung selbst geschrieben oder eigenhändig unterschrieben, oder seine Genehmigung dazu vor besonderen Zeugen oder vor Gericht erklärt hat.
Wesentliches Erforderniß eines jeden Testamentes ist die Erbeinsetzung, d. h. die Ernennung einer oder mehrerer Personen, welche nach dem Tode des Erblassers in dessen gesammte Vermögensrechte und Verbindlichkeiten eintreten sollen.
Der Willkür einer dritten Person darf die Wahl der Erben nicht überlassen werden, der Testirer muß sie sich selbst ernennen.
[591] Sind die Erben nicht auf bestimmte Quoten der Verlassenschaft, oder auf bestimmte Summen oder Sachen eingesetzt, so erhalten Alle gleiche Theile. Nachlaßgegenstände, über welche im Testament keine Verfügung getroffen worden ist, fallen an die gesetzlichen Erben, auch wenn diese im Testament bereits bedacht sind.
Die Erbeinsetzung kann entweder mit oder ohne Bedingung geschehen und zwar ersteren Falles mit einer aufschiebenden oder auflösenden Bedingung, d. h. der Testirer kann verordnen, daß der Erbe den Nachlaß erst bei Eintritt einer gewissen Handlung oder eines gewissen Ereignisses erwerben oder wieder verlieren soll. Ich kann z. B. testiren: „Zum Erben meines Nachlasses ernenne ich hiermit N. N. unter der Bedingung, daß er ½ Jahr nach meinem Tode in meiner Vaterstadt seinen bleibenden Wohnsitz aufschlägt,“ oder „unter der Bedingung, daß er das von ihm betriebene Fabrikgeschäft fortführt.“
Wenn der angesetzte Erbe im ersteren Fall innerhalb eines halben Jahres in des Testators Vaterstadt nicht übersiedelt, so erwirbt er die Erbschaft nicht, und läßt er letzteren Falles nach Erwerbung derselben das Fabrikgeschäft eingehen, so verliert er sie wieder.
Wer bekommt aber die Erbschaft, wenn sie der eingesetzte Erbe nicht erwirbt oder wieder verliert? In beiden Fällen die gesetzlichen Erben, wenn nicht im Testament anderweite Bestimmungen deshalb getroffen worden sind. Dieselben müssen dann aber die sonst gültigen Verfügungen des Testators erfüllen.
In der Wahl seiner Erben ist man im Allgemeinen unbeschränkt. Doch giebt es gewisse Personen, welche der Testirer von seinem Nachlaß nicht willkürlich ausschließen darf, die einen bestimmten Theil des Nachlasses – den Pflichttheil – zu fordern berechtigt sind – die sogenannten Notherben. Sind solche Erben im Testament gänzlich übergangen, oder ist ihnen nicht so viel ausgesetzt worden, als ihnen gesetzlich zukommt, so können sie das Testament anfechten und aus dem Nachlaß des Erblassers den Pflichttheil voll verlangen. Im Uebrigen wird aber das Testament durch eine solche Anfechtung nicht ungültig.
Notherben sind 1. Abkömmlinge (Kinder und Kindeskinder), 2. Eltern und Voreltern, 3. Ehegatten; letztere zugleich mit den beiden ersteren Classen, Eltern und Voreltern aber nur, wenn keine Abkömmlinge als Notherben vorhanden sind.
Geschwister haben kein Notherbrecht, können daher vom Testator in seinem letzten Willen ganz unberücksichtigt bleiben.
Der Betrag des Pflichttheils für die einzelnen Classen der Notherben ist nicht überall in Deutschland gleich. In Sachsen ist er für Abkömmlinge, wenn vier oder weniger Kinder des Erblassers vorhanden sind, der dritte Theil des Nachlasses, bei fünf oder mehr Kindern die Hälfte. Hinterläßt man z. B. sechs Kinder und beträgt die Verlassenschaft 6000 Thaler, so beträgt der Pflichttheil der Kinder 3000 Thaler, mithin der eines Kindes 500 Thaler. Für Eltern und Voreltern ist der Pflichtteil 1/3 des Nachlasses, für den Ehegatten 1/4, 1/3 oder 1/2, je nachdem er mit Abkömmlingen, oder Eltern oder Geschwistern und Geschwisterkindern, oder entfernteren Seitenverwandten erbt.
Will Jemand seinen Notherben nur den gesetzlichen Theil aus der Verlassenschaft zuwenden, so genügt es im Testament zu sagen, daß N. N. den Pflichttheil erhalten solle. Setzt er ihnen weniger aus, als sie bei der gesetzlichen Erbfolge erhalten haben würden, so ist es jedenfalls zweckmäßig, im Testament ausdrücklich zu verordnen, daß derjenige, der mit dem ihm beschiedenen Erbtheil nicht zufrieden sein und Streit gegen das Testament erregen würde, auf den Pflichttheil gesetzt sein solle und sich dann auf diesen alles das einrechnen lassen müsse, was er von dem Erblasser bereits bei dessen Lebzeiten erhalten und was von den Gesetzen als „einwerfungspflichtig“ anerkannt wird, z. B. was ihm zu Gründung eigenen Hausstandes, zur Ausstattung, Loskaufung vom Militair etc. gewährt worden ist.
Soll ein Notherbe gar nichts aus dem Nachlaß erhalten, so muß er ausdrücklich enterbt werden. Eine solche Enterbung ist aber nur in den gesetzlich gestatteten Fällen zulässig, z. B. wenn der Notherbe dem Erblasser nach dem Leben getrachtet hat. Die Enterbungsgründe sind übrigens nicht allenthalben gleiche. Wer daher eine Enterbung verfügen will, muß sich genau unterrichten, ob er hierzu auch einen triftigen Grund hat.
Nur wer bei dem Tode des Erblassers lebt – wenn auch noch im Mutterleib – kann dessen Erbe werden.
Mit dem Tode des Erblassers gilt die Erbschaft dem Erben als angeboten, „angefallen“. Wirklicher Erbe wird man aber erst durch die bestimmte Erklärung, daß man die Erbschaft annehmen, „antreten“ wolle, oder durch Handlungen, die diesen Willen unzweifelhaft bekunden, wie etwa durch Auszahlung von Vermächtnissen.
Wer den Erbanfall erlebt hat, aber vor Antretung der Erbschaft verstorben ist, vererbt sein Recht auf letztere wieder auf seine Erben, dafern – eine anderweite testamentarische Bestimmung nicht entgegensteht.
Gezwungen ist Niemand eine ihm angefallene Erbschaft anzutreten, die Annahme derselben kann beliebig verweigert, ausgeschlagen werden.
Ein sorgfältiger Testator muß daher die Fälle wohl im Auge haben, daß der eingesetzte Erbe die Erbschaft entweder nicht antreten kann (wenn derselbe vor dem Anfall gestorben ist) oder nicht will. Er wird sich also für diese Fälle einen oder mehrere andere Erben, sogenannte Nacherben ernennen.
Ein Testament errichten kann man nur in Person, ein Anderer darf nicht für Jemanden auf dessen Todesfall letztwillig verfügen. Doch dem Vater steht es kraft seiner väterlichen Gewalt frei, für seine Kinder eine letztwillige Verfügung für den Fall zu treffen, daß sie versterben sollten, bevor sie das zur Testamentserrichtung erforderliche Alter haben, oder daß sie wegen Geisteskrankheit unfähig sind, selbst zu testiren.
Ein solches Testament wird aber sofort ungültig, wenn das Kind das testamentsfähige Alter (14 Jahre) erlangt hat, oder von der Geisteskrankheit genesen ist, gleichviel ob es nun testirt oder nicht.
Jedes Testament bedarf zu seiner Gültigkeit einer bestimmten, gesetzlich vorgeschriebenen Form. Man unterscheidet in dieser Beziehung gerichtliche und außergerichtliche Testamente, je nachdem sie mit oder ohne richterliche Mitwirkung errichtet sind.
Die außergerichtliche letztwillige Verfügung muß vor einer bestimmten Anzahl Zeugen (meistens sieben) errichtet werden, sei es, daß der Testator seinen letzten Willen vor diesen Zeugen mündlich ausspricht, oder daß er ihnen eine vorher niedergeschriebene Urkunde als sein Testament vorlegt und von ihnen mit unterschreiben läßt. Nicht Jedermann kann Testamentszeuge sein, z. B. nicht Taube, Stumme, Blinde, Frauenspersonen, Unmündige. Die Zeugen müssen während der Errichtung des Testamentes fortwährend gegenwärtig und ausdrücklich davon unterrichtet worden sein, daß sie als Testamentszeugen fungiren sollen. Der ganze Act der Testamentserrichtung muß ununterbrochen vor sich gehen, er darf nicht ausgesetzt und während desselben dürfen nicht anderweite Geschäfte von dem Testirer oder den Zeugen vorgenommen werden.
Wegen dieser und noch mancher anderer Formalitäten, von denen die Gültigkeit des außergerichtlichen Testamentes abhängt, ist daher stets die Errichtung eines gerichtlichen Testamentes vorzuziehen, welches an weit einfachere Formen geknüpft ist.
Ein solches kann man errichten entweder mündlich oder schriftlich und zwar sowohl an Gerichtsstelle oder vor einer herzuerbetenen Gerichtsdeputation in der Privatwohnung.
Das mündliche Testiren besteht darin, daß man vor dem Richter seinen letzten Willen deutlich erklärt und dieser ein Protokoll darüber aufnimmt, welches dem Testirer vorgelesen und von ihm genehmigt werden muß. Dieses Protokoll oder eine auf dessen Grund ausgefertigte Testamentsurkunde wird sodann im Testamentsarchiv niedergelegt und dem Testirer über die erfolgte Niederlegung ein Schein ausgestellt.
Schriftlich testirt man, wenn eine bereits schriftlich abgefaßte letztwillige Verfügung, in der Regel in einem versiegelten Couvert dem Richter übergeben, von diesem zur Niederlegung im Testamentsarchiv angenommen und hierüber ein Protokoll aufgenommen wird.
Will ein Stummer testiren, so muß er sich wenigstens schriftlich oder durch einen verpflichteten Dolmetscher verständlich machen können.
In ganz besonderen Fällen können außergerichtliche Testamente auch mit sehr geringen Förmlichkeiten errichtet werden; dies gilt namentlich in Zeiten epidemischer Krankheit für Personen, die davon befallen sind, für Militärpersonen im Felde und für Eltern, die lediglich unter ihren Abkömmlingen testiren. Die verschiedenen Landesgesetze haben über diese Förmlichkeiten nicht ganz gleiche Bestimmungen, doch genügt es meistens, daß der letzte Wille vor zwei oder drei Zeugen ausgesprochen, oder in einer von dem Testirer eigenhändig geschriebenen oder wenigstens von ihm unterschriebenen Urkunde niedergelegt wird.
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