Die Gartenlaube (1868)/Heft 12

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1868
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 12.   1868.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Ein Wort.
(Fortsetzung.)


Unterdeß war eine Magd eingetreten, die eine Platte mit Erfrischungen trug und ein Frühstück auf dem Tische ordnete. Während dieser Beschäftigung blickte sie von Zeit zu Zeit nach dem Unteroffizier hinüber, forschend, wie ihrer Sache nicht ganz gewiß, wie mehrmals im Begriffe zu reden, und dann doch wieder ihre Worte unterdrückend.

„Wollen Sie sich nicht setzen,“ sagte sie endlich, „und sich’s gefallen lassen, Herr … Herr …“

„Möchten Sie meinen Namen wissen?“ fragte Friedrich spöttisch.

„Ach, lieber Gott, nein, den weiß ich ja … Sie sind’s ja doch ganz gewiß, der Friedrich, mit dem meine ältere Schwester noch in die Schule gegangen ist …“

„Der Friedrich bin ich, das ist richtig.“

„Lieber Himmel, wie groß Sie geworden sind, und wie schön! Und nun kommen Sie einmal wieder in’s Dorf zurück … und zur gnädigen Frau … wie lange Jahre sind Sie nicht hier gewesen?“

„Das mag freilich mehr als zehn Jahre sein,“ gab Friedrich zur Antwort.

„Aber jetzt wird es wohl anders werden,“ plauderte die Magd weiter … „jetzt werden Sie schon öfter kommen … und wann ist denn Hochzeit? … Sie haben wohl die gnädige Frau dazu einladen wollen, denn da die gnädige Frau so große Stücke auf die Marianne …“

Friedrich hatte bei diesen Worten der redeeifrigen Dienerin höchst zornig seine Stirnfalten zusammengezogen.

„Zum Teufel,“ unterbrach er sie jetzt, „kommen Sie mir auch mit dem Gerede … ist denn das ganze Nest hier verrückt geworden – es fehlte mir just noch, daß Sie mich an das dumme Geschwätz erinnern …“

„Aber, Herr des Himmels, sind Sie denn nicht …“

„Thun Sie mir den Gefallen, mich damit zu verschonen. Wär’ mir lieber, wenn Sie mir ein wenig Wasser zum Trinken bringen wollten!“

Die Magd schoß mit großer Bestürzung zum Zimmer hinaus.

„Das ist ein Bär geworden, Gott steh’ uns bei,“ rief sie draußen aus … „an dem bekommt die Marianne auch nicht viel Gutes! Ich fürcht’, er prügelt sie nach den ersten sechs Wochen.“

Friedrich setzte sich unterdeß, einige Verwünschungen zwischen den Zähnen murmelnd, zu dem Frühstück nieder.

Dann, als er geendet hatte, ließ er sich in einem weichen Fauteuil, der in der Ecke stand, nieder, und in der versöhnteren Stimmung, die unausbleibliche Folge eines guten Mahles ist, gab er all’ den Gedanken Audienz, die seine Situation herbeiführen mußte. Es war doch räthselhaft, was die gnädige Frau eigentlich, wenn er nur ein Mädchen gewesen wäre, sich mit ihm hatte zu schaffen machen wollen … und darüber stellte sich ihm das Bild dieser hübschen und anziehenden gnädigen Frau so lebhaft vor, daß seine Gedanken von ihr zu seinem Hauptmann hinüberschweiften; an seiner Stelle, sagte er sich, würde ich nun, da sie meine Feindin sein soll, mich erst recht in sie verlieben … und wer weiß, ob das nicht längst geschehen ist; er ist im Winter in der Stadt doch auf allen Bällen mit ihr zusammengewesen und er hat seitdem etwas so Sonderbares in seinem Wesen … er spricht soviel weniger als früher … er sieht auch, denk’ ich, ein wenig blässer aus … er ist immer zu Hause, wenn man eine Meldung bei ihm hat … das war wohl früher anders … und die Art und Weise, wie er gestern Morgen von ihr sprach, … ich meine, es tönte etwas sehr Bitteres, Schmerzliches heraus … ich hätte große Lust, es dieser kleinen Frau ein wenig zu verstehen zu geben … wenn Unsereins nur geschickt genug dazu wäre … aber da fehlt’s … wenn’s durch die mit den Korkzieherlocken, die Kammerkatze war’s wohl, geschehen könnte, geläng’ mir’s wohl eher … vielleicht, wenn ich sie noch sehe …

Und indem Friedrich über diese Angelegenheit nachdachte, fiel ihm wieder die Marianne ein. Diese bestimmte Voraussetzung seiner Verlobung mit der Marianne war doch noch das Räthselhafteste von Allem … er hätte gewünscht, ihr zu begegnen, um sie selber zu fragen, wie denn eigentlich das Ganze zusammenhänge, und dabei hätte er sie ja auch wieder gesehen … es wär’ ihm ganz angenehm gewesen, sie wiederzusehen – ihr Bild, wie sie ihm in der Erinnerung stand – in dem weißen Kleide, mit dem Kranze, tauchte wieder vor ihm auf … wirklich, er hätte sie wieder sehen mögen … er dachte sehr lebhaft an sie … er schloß das Auge, um sie sich lebhaft vorzustellen … und das Auge blieb eine ganze Weile geschlossen … öffnete sich zwinkernd wieder und schloß sich noch einmal … Friedrich sank in einen gesunden Schlummer.

Wie lange, er wußte es nicht; so lange, bis plötzlich die Thür geöffnet wurde, und ein mittelgroßer Herr in schwarzem Anzuge eintrat. Er hatte ergrauendes Haar und sehr vorliegende große blaue Augen und was sehr Bestimmtes, Entschiedenes in seinem Wesen, in welchem jedoch eine gewisse Bedächtigkeit lag.

[178] „Ah, Doctor Rostmeyer!“ rief Friedrich aufspringend aus.

Der Doctor gab ihm die Hand.

„Guten Tag, Friedrich,“ sagte er und zog dann sofort einen Stuhl für sich herbei. „Das ist eine komische Geschichte,“ fuhr er lachend fort, „an der ich wahrhaftig keine Schuld habe …“

„Haben Sie schon mit der gnädigen Frau gesprochen?“ fragte Friedrich.

„Gewiß, ich komme von ihr!“

„Nun, dann bitte ich, erklären Sie mir, Doctor …“

„Zum Erklären komme ich zu Ihnen, Friedrich. Sie sollen Alles hören. Setzen Sie sich wieder dahin.“

„Ich sitze, Doctor,“ sagte Friedrich. „Und gespannt bin ich wahrhaftig auch: ich hoffe, Sie machen es mir völlig deutlich, weshalb Sie mich in diese sehr verdrießliche Lage hier im Schlosse gebracht haben und was ich überhaupt hier soll – sonst, das sage ich Ihnen voraus, haben wir ein Hühnchen zusammen zu pflücken; wenn Sie glauben, ich nähme es als einen guten Spaß auf, acht Meilen weit reisen zu müssen, um mich am Ziele von drei zeternden Frauenzimmern anschreien zu lassen: ,weshalb sind Sie kein Mädchen? wenn Sie kein Mädchen sind, so machen Sie, daß Sie wieder fortkommen’ … wenn Sie das glauben, Doctor, so irren Sie.“

„Nur gemach, nur gemach – wenn die gnädige Frau nicht meinen Brief mißverstanden hätte, so würde sie nicht so eifrig gewesen sein, und ich hätte nicht den Befehl bekommen, Sie sofort ihr zuzusenden; und daß ich diesen Befehl bekommen und daß Sie sich darauf in Stromeck präsentirt haben, hat seinen großen Vortheil, wie Sie sogleich hören werden. Aber Alles nach der Reihe! Zuerst also: Sie wissen, Friedrich, daß ich seit je derjenige war, der im Stillen für Sie sorgte?“

„Ich weiß das; seit mein guter Alter, der Schulmeister, gestorben, haben Sie mir ja gar kein Hehl daraus gemacht …“

„Richtig! Ich habe Ihnen gesagt, als Sie nach Jülich geschickt wurden, Sie dürfen sich direct an mich wenden; Sie haben sich auch von Zeit zu Zeit an mich gewendet und ich habe für Sie bereitwillig gethan, was ich zu thun bevollmächtigt war.“

„Habe ich das nicht dankbar anerkannt, Doctor?“

„Gewiß! Davon ist nicht die Rede; ich wollte Sie nur fragen: Wie kommt es, daß Sie sich nie mit einer Frage an mich wandten, die Ihnen doch, wie mir scheint, am nächsten liegen mußte?“

Friedrich sah ihn überrascht an.

„Ich verstehe, auf welche Frage Sie anspielen,“ sagte er nach einer kurzen Pause. „Das that ich nicht, weil ich dachte, Sie würden auch ohne eine solche Frage mir sagen, was ich wissen solle. Daß Sie mir nichts sagten, bewies mir, daß Sie nichts sagen wollten oder konnten. In beiden Fällen war das Fragen gleich zwecklos.“

„Das war allerdings ganz richtig von Ihnen gedacht, aber Sie mußten doch begierig sein …“ erwiderte der Doctor.

„Begierig? Nein! Am Ende ist doch an mir gesündigt worden? Und nun ist’s mir lieber, zu denken: man hat an Dir gesündigt, als: der und der oder die und die hat an Dir gesündigt!“

Der Doctor Rostmeyer sah den Unterofficier fragend an, er schien sich in das Gefühl, welches Friedrich diese Worte eingab, erst hineinfinden zu müssen; dann sagte er:

„Darin mögen Sie ebenfalls Recht haben. Das wird Sie aber nicht abhalten, mir zuzuhören, wenn ich Ihnen heute sage: Der und der hat an Ihnen gesündigt, und zwar sehr schwer gesündigt!“

„Nein! Wenn Sie glauben, ohne daß ich Sie frage, zu mir reden zu müssen, so sprechen Sie!“

„Wohl. Sie sind ein Sohn des verstorbenen Barons und der Baronin von Mechtelbeck.“

Friedrich wechselte leicht die Farbe.

„So?“ sagte er dann langsam und gedehnt, sehr ruhig, wie es schien, und doch klang ein leises Zittern durch die Stimme, wie es dem Doctor, dessen Augen groß und forschend auf ihm ruhten, nicht entging.

Da Friedrich weiter nichts sagte, mußte Rostmeyer unaufgefordert fortfahren.

„Der Thatbestand ist einfach der: Der Baron von Mechtelbeck war ein böser Narr. Er hat seine erste Frau durch eine verrückte Eifersucht todt gequält. Der Baron Stromeck, der nächste Gutsnachbar, war lange sein bester, täglich gesehener Freund, sein und seiner armen Frau Freund, bis er sich endlich einbildete, Stromeck sei der Geliebte, der Verführer seiner Frau. Diese gebar einen Sohn nach längerer kinderloser Ehe. Mechtelbeck ließ das Kind dem Baron Stromeck auf die Schwelle legen … und das Kind sind Sie, Friedrich!“

„In der That?“ sagte Friedrich, mit derselben Ruhe den Blicken Rostmeyer’s begegnend … „ich glaube nicht, daß Sie es mir sagen würden, wenn Sie nicht Beweise dafür hätten.“

„Ich würde es nicht, wenn ich nicht von der Richtigkeit dessen was ich Ihnen sage, moralisch überzeugt wäre.“

„Heißt das, Sie haben Beweise?“

„Nicht ganz! Die Beweise liegen nicht völlig unangreifbar vor, aber meine Ueberzeugung steht fest.“

„Ihre Ueberzeugung … trotzdem, daß Sie nicht umhin können, sich zu sagen, die Sache habe doch wunderlich zugehen müssen … man nimmt doch einer Mutter nicht ihr Kind, ohne …“

„Sie haben Recht! Aber der Baron Mechtelbeck war ein gewaltthätiger Mann, der ausführte, was er sich in den Kopf setzte. Die Entbindung der Frau wurde heimlich gehalten. Sie war ein schwaches Geschöpf, das ihn fürchtete wie eine Sclavin ihren Tyrannen. Er bedrohte sie mit einem scandalösen Scheidungsprocesse. So mußte sie sich unterwerfen; die Kammerfrau und die Hebamme wurden bestochen … glauben Sie, die Sache sei unmöglich?“

Friedrich zuckte mit den Achseln und schwieg.

Rostmeyer fuhr fort:

„Sie wurden in der frühesten Frühe der Nacht, in welcher Sie geboren wurden, hier vor der Thür dieses Hauses ausgesetzt. Der Jäger des Barons Stromeck fand Sie. Er kam von drüben aus dem Wirthschaftsgebäude, wo er schlief, um den Baron zu wecken, denn dieser wollte sehr früh an jenem Tage zur Jagd hinaus. Mochte der Baron Stromeck eine Ahnung, woher Sie stammten, haben oder nicht – ich glaube, er hatte keine –: er fand für gut, keinen Lärm zu machen. Er ließ den Jäger das Kind nehmen und zu dessen Frau in den Wald bringen; dann wurde ich in’s Vertrauen gezogen, und da die Jägersleute sich nicht eigneten, so gaben wir Sie dem Schulmeister in die Zucht. Der Baron gab das Geld her für Ihre Erziehung … so lange es nöthig war. In den letzten Jahren haben Sie fast nichts mehr gebraucht. Sie müssen ein sehr sparsamer Mensch sein; Sie hätten mehr fordern dürfen. Und jetzt ist der Baron vor einiger Zeit gestorben …“

Friedrich sprang plötzlich auf. Er schien keinen Grund mehr zu sehen, seine innerliche Erregung zu verbergen. Auch seine Züge zeigten, wie erschüttert er durch diese Mittheilung war.

„Und weshalb sagen Sie mir dies Alles jetzt erst?“

„Ich hatte früher keine Gründe, es Ihnen zu sagen. Wozu? Sie waren mit Ihrer Lage ganz zufrieden. Der Baron hätte Ihnen nicht beigestanden, Ihre Ansprüche durchzusetzen; er wollte nichts davon hören; ihm war es zunächst fatal, durch eine Aufrührung der alten Geschichte in den Mund der Leute zu kommen; lieber ließ er Sie bis zum jüngsten Tag Unterofficier sein!“

„Sehr christlich und menschenfreundlich!“ sagte Friedrich.

„Er war Ihr Wohlthäter?“

„Nun ja! Und jetzt?“

„Jetzt sind plötzlich die Umstände anders. Wir haben das nöthige Geld, um Ihre Ansprüche durchzusetzen. Dazu gehört eine bedeutende Summe …“

„Und wie haben Sie dies Alles ermittelt, Doctor?“

„Das will ich Ihnen sagen. Ich wurde vor längerer Zeit zu der Hebamme, welche damals von dem Baron Mechtelbeck bestochen war, beschieden … Die Frau war schwer krank, ich sollte ihr Testament machen. Wie ich bald bemerkte, war es ein Vorwand; die gute Alte hatte nichts zu vermachen. Aber ich sah sofort, daß sie etwas auf dem Gewissen hatte; sie begann von Ihnen zu sprechen; ich entlockte ihr endlich ihr Geheimniß – ich hörte Alles und erfuhr, daß die Frau mich nur rufen lassen, um mir aufzutragen, nach ihrem Tode Ihnen Alles zu sagen.“

„Ist sie todt?“

„Gottlob, nein, sie ist genesen und bei vollen Kräften. Sie muß unsere Hauptzeugin machen – und sie wird es. Freilich, [179] sie wird alsdann als Hebamme schimpflich abgesetzt und erhält wohl auch eine Gefängnißstrafe. Aber eine tüchtige runde Summe, ihr baar ausbezahlt, wird sie bewegen zu reden, darüber habe ich mit ihr verhandelt. Dann haben wir die schönsten Aussichten, es dahin zu bringen, daß Sie als Baron Mechtelbeck anerkannt werden, und dann fällt Ihnen das ganze Vermögen zu – der Hauptmann von Mechtelbeck, der jetzt im Besitze ist, ist der Sohn der zweiten Frau, die der alte Tyrann nahm, als er die erste glücklich todt geärgert und gepeinigt hatte.“

„Also ich sollte auftreten und den Herrn von Mechtelbeck des Seinigen berauben?“

„Sie sollen nur Ihr Recht fordern.“

„Und dazu giebt die Frau von Thorbach das Geld her?“ sagte Friedrich plötzlich im Tone des Zorns. „Das ist schön, in der That! Ich hätte nicht gedacht, daß der Hauptmann Recht habe, als er mich versicherte, sie sei seine unversöhnliche Feindin. Aber sie irrt sich schwer, wenn sie glaubt, ich lasse mich zum Werkzeug für diese Feindschaft brauchen, ich würde gegen meinen Hauptmann von Mechtelbeck auftreten.“

„Davon,“ fiel hier der Doctor Rostmeyer ein, „davon ist ja nicht die Rede, und mir scheint das doch ein komischer Gewissensscrupel, daß Sie nicht gegen den Hauptmann auftreten wollen. Solche zarte Rücksicht ist mir noch nicht vorgekommen. Sie sind der Baron Mechtelbeck, der legitim richtige Erbe, den man verstoßen, den man um Alles gebracht hat, bis auf den ehrlichen Namen und nun wollen Sie um solcher Bedenklichkeit willen lieber Ihr Leben hindurch Unterofficier bleiben, Sie wollen der Welt vorlügen, Sie seien nicht, was Sie doch wissen, daß Sie sind? Wenn Sie für den Hauptmann solche Zärtlichkeit empfinden, nun … so fragen Sie ihn doch wenigstens, ob er das, was Ihnen gehört, behalten will und mag.“

„Am Ende haben Sie Recht, Doctor,“ rief Friedrich aus. „Ei, und so wäre dies ja ein merkwürdiges Glück für mich … Ich ein Baron – wirklich und wahrhaftig ein Baron …“

Friedrich lachte vor Vergnügen hell auf; seine Züge hatten sich geröthet, er schritt heftig im Zimmer auf und ab, während er laut fortfuhr:

„Ein Baron von Mechtelbeck – ich habe ein Schloß, die alte Burg, mit Aeckern und Wiesen und Wäldern – es gehört, so viel ich mich entsinne, ein wunderbar schöner Wald dazu - und die Pferde – und Equipagen – Rostmeyer, ich bin so vergnügt, ich möchte Ihnen die Ohren reiben, bis Ihnen Hören und Sehen verginge. Aber, wissen Sie, was ich zunächst thue? Ich werde nicht vom Militär weggehen, aber ich werde mich zum Officier machen lassen, die Fonds zur Equipirung haben wir ja …“

„Die werden Sie haben, allerdings … ich zweifle nicht, daß wir’s durchsetzen, und dann …“

„Sie zweifeln nicht?, Und was könnte dann noch fehlen, wenn wir das Zeugniß der Hebamme haben … nein, nein, nein, reden Sie mir nicht mehr von Zweifel … reißen Sie mir die schönen Epauletten nicht wieder ab, die ich im Geist schon auf meinen Schultern sehe … wahrhaftig, Doctor, die Epauletten will ich haben – und will sie dann alle hänseln und ausstechen, diese näselnden und schnarrenden Officierchen, die Unsereins glauben über die Schulter ansehen zu dürfen … ich will ihnen ihre Tänzerinnen wegnehmen und ihren Damen den Hof machen … ich will die schönsten Pferde in der ganzen Garnison reiten, Doctor, es soll ein Leben beginnen, ein Leben sag’ ich Ihnen …“

„Das ist Alles ganz gut,“ unterbrach der Doctor Rostmeyer diesen Ausbruch der Freude, die, wenn sie plötzlich kommt, auch beim vernünftigsten Menschen in ihren ersten Aeußerungen etwas Kindisches zu haben pflegt. „Aber,“ setzte er hinzu, „bevor wir uns die schönsten Pferde in der Stadt kaufen, suchen wir überhaupt erst in den Sattel zu kommen. Dazu ist zuerst nöthig, daß Sie mir eine Generalvollmacht geben, für Sie aufzutreten. Mit der Hebamme werde ich dann schon fertig. Aber die Aussage der Hebamme allein würde nicht ausreichen. Darum habe ich mit weisem Fürbedacht der Frau von Thorbach von der Sache Mittheilung gemacht, um dieselbe für Sie zu interessiren, und das ist mir gelungen. Sie muß uns zu zweierlei Dingen dienen. Sie muß erstens den alten Jäger ihres Vaters, der Sie zuerst fand, zu dem Zeugniß bestimmen, welches wir brauchen…“

„Lebt denn der alte Jäger auch noch?“

„Gewiß, er lebt noch, aber er sitzt in seinem Walde drüben wie ein alter Uhu in seinem faulen Astloch und ist so menschenscheu und so widerhaarig und tückisch wie solch’ ein Nachtvogel. Es wäre keine Silbe aus ihm herauszubekommen, wenn seine Herrschaft ihm nicht vorher klar macht, daß er reden soll, und im Nothfall, daß sie ihn fortjagt, wenn er nicht redet. Und dann zweitens bedürfen wir der gnädigen Frau und ihrer Freunde und Connexionen in der Residenz, wenn zu Ihrer vollen Anerkennung königliche Bestätigungen oder dergleichen nöthig sein sollten; und wir bedürfen sie überhaupt, damit wir gleich mit größerem Gewicht auftreten, denn wenn, es heißt, daß Sie mit der Genehmigung und mit der Protection der Frau von Thorbach auftreten, so zweifelt schon von vornherein Niemand mehr an der Sache …“

„Desto besser dann,“ fiel Friedrich ein, „daß ich diese Protection habe, ich will sie mir auch gern gefallen lassen, obwohl es mir lieber wäre, wenn ich bestimmt wüßte, daß sie …“

Er wurde in diesem Augenblicke unterbrochen. Die Thür wurde geöffnet und mit hochgeröthetem Gesicht, mit bewegten Zügen trat Frau von Thorbach ein; sie war eine reizende Erscheinung, von einer verführerischen Anmuth, in dieser Erregung.

„Ich bin so außer mir von Allem, was Sie mir mitgetheilt haben, Doctor,“ sagte sie, „so gespannt, daß ich Sie zu unterbrechen komme. Ich muß hören, was unser junger Baron hier zu dem Allen sagt. Nicht wahr, es macht Sie glücklich, sehr glücklich? Ich bin froh, Ihnen Glück wünschen zu können … von ganzem Herzen …“

Sie reichte dabei Friedrich mit einer ungeheuchelten Wärme die Hand.

Friedrich nahm diese Hand, er war dabei ein wenig linkisch und verlegen, er dachte, es werde durchaus erforderlich sein, daß er diese Hand küßte, und er wagte es doch nicht, weil er gänzlich im Unklaren darüber war, wie man sich dabei benehme; so begnügte er sich, die schmale weiße Hand recht herzlich zu drücken, und dann sagte er:

„Und ich danke Ihnen, gnädige Frau, ich danke Ihnen aus Herzensgrunde, denn Sie sind wirklich sehr, sehr gütig gegen mich. Es liegt mir nur etwas dabei auf dem Herzen, und wahrhaftig, wenn ich wüßte, daß es nicht so plump und ungeschickt herauskäme, wie ich fürchten muß …“

„Es liegt Ihnen etwas auf dem Herzen, was Sie sich zu sagen schämen?“

„Schämen?“ fiel Friedrich ein … „das nicht … mir ist das Herz so voll, daß ich mich vor nichts in der Welt mehr schäme in diesem Augenblick …“

„Weshalb reden Sie denn nicht?“

Frau von Thorbach setzte sich bei diesen Worten und sah mit dem freundlichsten und ermuthigendsten Lächeln von der Welt zu Friedrich auf.

„Ich rede auch,“ fuhr dieser fort. „Sehen Sie, ich bin Ihnen auf’s Tiefste dankbar für Ihre Theilnahme für mich; aber es wäre mir lieber, wenn ich die Beruhigung hätte, daß Sie’s nur aus Theilnahme für den armen Findling Ihres verstorbenen Vaters thäten und nicht aus Feindschaft wider meinen armen, guten Hauptmann … Das bleibt mir doch wie ein Alp auf der Brust liegen, daß ich hier als ein Instrument dienen soll, den armen Hauptmann zu verkürzen, und der … das schwöre ich Ihnen, gnädige Frau, der hat es nicht um Sie verdient. Wenn Sie gehört hätten, wie er gestern noch zu mir von Ihnen sprach … wie er Sie bewundert, mehr als bewundert! Er liebt Sie, gnädige Frau, um das Ding beim rechten Namen zu nennen; er ist, seit Sie die Stadt verlassen haben, nicht mehr derselbe Mensch, er schließt sich ab, er sieht bleich und melancholisch aus, er hat an keinem Dinge mehr Freude und das Alles nur, weil Sie ihn so unchristlich hassen und seine Feindin sind. Der brave, gute, edle Mensch der! Es ist kein Officier wie er in der ganzen Garnison.“

Friedrich hatte sich in eine desto größere Wärme hineingeredet, je größer und, wie er glaubte, kälter das Auge der Frau von Thorbach auf ihm lag.

„Ich soll ihn hassen? … Ihren Hauptmann?“ sagte sie jetzt, indem die bleiche Farbe, welche bei Friedrich’s ersten Worten auf ihrem Antlitz sichtbar geworden war, einer dunklen, bis unter die Haarwurzeln tretenden Röthe wich … „aber, mein Gott, wie kommen Sie darauf … ich habe ihm nie etwas zu Leide gethan, ich weiß nur, daß er mich immer mit seinen Blicken verfolgt hat, wie ein Verrückter, ohne mich je anzureden, als ob es [180] ihm nicht der Mühe werth scheine, mit einer so unbedeutenden Person …“

„Natürlich,“ fiel Friedrich ein, „da er doch wußte, daß Sie ihm feind sein …“

„Ich ihm feind? Ihr Hauptmann ist wirklich ein Verrückter,“ rief jetzt Frau von Thorbach im höchsten Verdrusse aus, „wenn er das glaubt! Weshalb in aller Welt sollte ich ihm feind sein?“

„Nun, wegen der thörichten alten Familienfeindschaft …“

Frau von Thorbach brach in ein lautes, gezwungenes Lachen aus.

„Familienfeindschaft! Das ist mir neu.“

„Aber sein Vater hat ihm doch schon gesagt …“

Frau von Thorbach sprang höchst erregt auf. Sie machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand.

„Wir wollten von Ihnen reden, Herr … Baron. Lassen Sie uns dabei bleiben und nicht auf den Vater des Hauptmanns kommen. Was ich thun kann in Ihrer Angelegenheit, thue ich als Tochter meines Vater, als Erbin der Verpflichtungen, die er gegen Sie übernahm … seien Sie darüber beruhigt …“

„Nun, dann dank’ ich Ihnen doppelt und dreifach … die große Summe Geldes, welche Sie für mich hergeben wollen, kann ich Ihnen bald ersetzen, hoffe ich, aber ich werde Ihnen nie vergelten können …“

„Die Summe Geldes?“ fragte Frau von Thorbach. „Welche Summe?“

„Sie irren, Friedrich,“ fiel hier der Doctor ein … „oder Herr Baron,“ verbesserte er sich lächelnd. „Die Summe Geldes …“

„Sie redeten doch von tausend Thalern, mein’ ich.“

„Ganz recht,“ entgegnete Rostmeyer, „aber diese hübsche runde Summe, dies Gewicht, womit das ganze Uhrwerk erst in Gang gesetzt ist, diese Basis unserer Operation hat Ihr künftiger Schwiegervater flüssig gemacht.“

„Wer?“ fuhr Friedrich auf.

„Ihr Schwiegervater.“

„Ich habe keinen Schwiegervater.“

„Das mein’ ich denn doch,“ antwortete der Advocat. „Da Sie mit der Marianne Herbot verlobt sind, haben Sie doch ihren Papa zum Schwiegervater; ich hoffe nicht, daß Sie sich jetzt schon so sehr als Baron fühlen, daß Sie den ehrlichen, wackern Bauersmann verleugnen wollen.“

Friedrich stand mit weit aufgerissenen Augen, auch sein Mund hatte sich ein wenig vor Verwunderung geöffnet, er sah vollständig dumm aus.

„Hören Sie, das wäre abscheulich,“ fiel hier die gnädige Frau erregt ein … „ich habe vorhin von der Runde bereits gehört, Sie wären mit der Marianne verlobt, sie hätte Sie in der Stadt, als sie mit mir dort war, kennen gelernt, und dazu habe ich Ihnen im Stillen herzlich Glück gewünscht, denn die Marianne ist ein braves, liebes Geschöpf, eine durchaus noble, feine Natur; was ihr an Bildung fehlt, das laßt sich zum guten Theil noch nachholen, sie wird ganz vortrefflich zu Ihnen passen, glauben Sie mir das … und wenn die Aussicht auf eine höhere Lebensstellung, welche Ihnen plötzlich geöffnet ist, Sie schwindeln machte und Sie vergessen ließe, was die einfache Ehrlichkeit von Ihnen verlangt, wenn Sie jetzt die Verpflichtungen ableugnen wollten, welche Sie früher eingegangen sind, wenn Sie meiner lieben, guten Marianne das Herz brächen, so … so … nun, so hörte meine Theilnahme für Sie auf, Herr Baron …“

„Bravo, gnädige Frau!“ sagte der Doctor Rostmeyer, „Sie haben Worte gesprochen, die Ihnen Ehre machen! Sie würden in der That eine verächtliche Handlung begehen, Friedrich … denken wir nicht daran!“

„Aber,“ fuhr Friedrich, über diese merkwürdigen Strafreden ganz außer sich, auf, „wenn ich Ihnen nun sage …“

Er vollendete nicht; er sah, daß die beiden Gesichter, die mit einem so großen Ernst auf ihn gerichtet waren, sich nur Unglauben und Verachtung verrathend von ihm wenden würden, wenn er weiter redete; er hatte nicht mehr den Muth weiter zu reden, er murmelte nur ingrimmig zwischen den Zähnen:

„Also dieser Bauer Herbot hat mich mit seinen tausend Thalern als Schwiegersohn wirklich eingekauft! Es ist wahrhaftig zum Tollwerden!“

„Sie haben sich besonnen?“ sagte Frau von Thorbach.

„O gewiß, gewiß,“ lachte Friedrich bitter auf. „So sehr, daß ich von hier sofort zu meiner Braut gehen werde. Ich brenne vollständig zu ihr zu kommen! Sind wir fertig, Doctor Rostmeyer?“

„Wenn Sie für’s Erste nur dies Vollmachtsformular unterschreiben wollen, so sind wir fertig.“

Der Doctor Rostmeyer zog ein halb bedrucktes, halb beschriebenes Papier aus der Brusttasche hervor und holte von einem Ecktische Schreibgeräthe herbei.

Frau von Thorbach gab unterdeß Friedrich die Hand.

„Auf Wiedersehen, Herr Baron,“ sagte sie, „wenn Sie Ihre Braut sehen, so grüßen Sie sie auf’s Herzlichste von mir, sagen Sie ihr, ich bäte, daß sie mich recht bald besuche, recht bald, hören Sie? Adieu, adieu!“

Damit verschwand sie, ehe noch Friedrich sein bitter ironisches: „Werde nicht ermangeln! Meine Braut!!“ hatte aussprechen können. -




Nachdem Friedrich sich von dem Rechtsanwalt getrennt und mit ihm verabredet hatte, daß er, so lange sein Urlaub dauere, in dem Dorfwirthshause bleiben und dort zu weiteren Besprechungen für Doctor Rostmeyer bereit sein werde, führte er seinen Vorsatz aus. Er schlug sofort den Weg zum Herbothofe ein.

Es war bereits Nachmittag, als er auf dem Hofe ankam. Der Bauer hielt in seiner Kammer eine kleine Siesta; das Gesinde war zur Arbeit gegangen; Marianne saß auf der Bank hinter dem Hause und zählte Garnstränge, die sie zum Weber senden wollte; von Zeit zu Zeit stand sie auf, um mit einer Gießkanne Wasser aus dem Bach zu schöpfen und die drei grauen Linnenstücke zu begießen, welche zum Bleichen am Ufer ausgespannt lagen.

Da Friedrich Niemand im Hause fand, schritt er suchend um das Haus herum. So kam es, daß er plötzlich um die Ecke bog, plötzlich Marianne erblickte, plötzlich vor ihr stand.

(Schluß folgt.)




Ein vielbewegtes Leben.

Von Ludwig Ashölter.

Karl Schurz als Gast des Grafen Bismarck“ – diese Zeitungsnachricht lief vor wenigen Wochen durch ganz Deutschland und rief bald Erstaunen, bald Grauen hervor, je nach der Partei, welcher das lesende Auge angehörte. Der Befreier Kinkel’s, der Einbrecher in Spandau beim Ministerpräsident von Preußen! So murrten die Einen, während die Anderen einen gefeierten und verdienten General und Staatsmann der nordamerikanischen Union in der Wohnung des norddeutschen Bundeskanzlers sahen und dies als eine bedeutungsvolle Erscheinung begrüßten. Mag nun jede Partei ihr Bild von dem in solcher Weise ausgezeichneten Mann so fest wie möglich halten, immer wird es zu den interessantesten der Gegenwart gehören, und dies allein schon würde uns verpflichten, den Lesern der Gartenlaube sein Portrait und seinen Lebensgang mitzutheilen, auch wenn wir nicht dem großen, edlen, tüchtigen Streben dieses Deutschen wie einst im alten so jetzt in seinem neuen Vaterlande unsere Anerkennung darzubringen hätten. Der Verfasser der nachstehenden Aufzeichnungen glaubt daher den Wünschen aller Derer, welche an seiner Person Interesse nehmen (und deren Zahl ist diesseits und jenseits des Oceans nicht gering), entgegenzukommen, wenn er über sein Leben mittheilt, was ihm durch seine Jugendfreundschaft und seinen ferneren persönlichen Verkehr mit ihm, sowie aus anderen Quellen bekannt geworden ist.

Karl Schurz ist im Jahre 1829 in Liblar, einem Dorfe in der Rheinprovinz, von armen Eltern geboren und verlebte auch dort die Jahre seiner Kindheit. Im Jahre 1840 trat er in das damals sogenannte Jesuitengymnasium zu Köln, um auf demselben [181] bis zu Anfang des Jahres 1847 zu verbleiben, wo er sich zu seinen Eltern nach Bonn begeben mußte, weil diese die Kosten seines ferneren Aufenthalts auswärts nicht mehr erschwingen konnten. Leichte Auffassung und eiserner Fleiß, welche Eigenschaften er in hohem Grade besaß, machten es ihm möglich, seine Kenntnisse durch Privatstudien in kurzer Zeit so weit zu vervollständigen, um das Abiturientenexamen abzulegen. Er widmete sich sodann auf der Universität zu Bonn vorzugsweise dem Studium der Geschichte und Literatur. Hier, wie früher in Köln, fand er einen Kreis von gleichgesinnten Freunden, denen er bald lieb und theuer wurde. Obwohl er stets das hohe Ziel, welchem er nachstrebte, fest und unverrückt im Auge behielt, sich in keiner Weise durch die mit dem akademischen Leben verbundenen mannigfachen Zerstreuungen beirren ließ und der Pflege der Wissenschaften mit Ernst und Eifer oblag, so war er dennoch im Verkehr mit seinen Freunden der liebenswürdigste und heiterste Gesellschafter, voll Geist, Witz und Humor und zeigte stets eine gewinnende Herzensgüte und wohlthuende Gefühlswärme.

Karl Schurz.

Da kam das Frühjahr des Jahres 1848 und mit ihm erwachte auch der Frühling in den Herzen der Völker Europas. Natürlich legte die akademische Jugend in dieser Sturm- und Drangperiode die Hände nicht in den Schooß. Auf den Universitäten hatte sich längst das Bedürfniß, mit veralteten und verrotteten Zuständen zu brechen und einem frischeren Leben Bahn zu machen, herausgestellt, und hierauf richtete sich zunächst und vorzugsweise das Bestreben der Studentenschaften. So war es namentlich in Bonn, und mit dieser Epoche eröffnete sich auch für Schurz ein Feld, auf welchem sich seine Talente entfalten konnten. Durchglüht von den Grundsätzen der Demokratie, vertrat er diese Richtung in den studentischen Versammlungen, in denen er bald durch die Gewalt seiner Beredsamkeit ein großes Ansehen erlangte, welches die Studentenschaft unter Anderm durch seine Wahl zu ihrem Vertreter für das im September desselben Jahres auf der Wartburg stattfindende allgemeine Studentenparlament anerkannte. Die akademischen Verhältnisse waren jedoch ein viel zu enges Gebiet für die Geistesschwingen Desjenigen, welcher schon in früheren Tagen von sich gesungen hatte: „Meine Lieb’ umfaßt die Menschheit, soweit sie groß und frei.“

Schurz bedurfte eines ausgedehnteren Wirkungskreises und trat deshalb in den demokratischen Club, welcher sich in Bonn gebildet hatte und zu dessen Vorstand auch Gottfried Kinkel (damals Professor an der dortigen Universität) gehörte. Mit diesem seinem akademischen Lehrer schloß Schurz ein enges Freundschaftsbündniß, welchem Kinkel später seine Befreiung aus dem Kerker verdankte. Durch sein oratorisches Talent, insbesondere die logische Schärfe seiner Vorträge und die Schlagfertigkeit, mit welcher er allen Angriffen zu begegnen wußte, sowie durch die von ihm entwickelte ungemeine Energie, erlangte der kaum Neunzehnjährige einen bedeutenden Einfluß auf die öffentliche Meinung in der Stadt und deren Umgebung und bei seinen Gesinnungsgenossen die größte Anhänglichkeit an seine Person.

Auf einem gegen Ende des Jahres 1848 zu Köln abgehaltenen demokratischen Congresse trat Schurz als Abgesandter des Bonner Clubs vor einer überaus zahlreichen Versammlung mit einer glänzenden Rede auf, welche allgemein das größte Aufsehen erregte und ihn zum Tagesgespräche machte.

Inzwischen hatte aber der bekannte Umschwung begonnen die revolutionären Bewegungen, welche sich in einzelnen Städten [182] der Rheinprovinz erhoben hatten und an denen Schurz Theil genommen, wurden sehr bald unterdrückt. In seiner Heimath blieb für ihn nichts mehr zu thun übrig, und da er überdies von den Behörden verfolgt wurde, so begab er sich zu der Armee, welche sich in Baden zur Vertheidigung der Reichsverfassung gebildet hatte; er trat in dieselbe ein und wurde als Adjutant Tiedemann’s, eines der Hauptanführer der Revolutionsarmee, verwendet. Gleichzeitig war auch Kinkel, und zwar als gemeiner Soldat, in diese eingetreten. Der Ausgang dieses Feldzugs ist bekannt. Die Aufständischen, denen es an allen wesentlichen Erfordernissen, insbesondere an einer einheitlichen Leitung, an geschulten Und disciplinirten Soldaten, an Waffen, Munition und Proviant gebrach, unterlagen dem gewaltigen Stoße der preußischen Truppen. Kinkel fiel in die Hände der Letzteren, wurde kriegsrechtlich zum Tode verurtheilt und zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt, während Schurz, welcher die bedeutendsten Gefechte mitgemacht hatte, sich unter dem Reste der Aufständischen befand, der sich, um einen letzten Widerstand zu versuchen, in die Festung Rastatt geworfen hatte. Die Besatzung war jedoch, nachdem die preußischen Truppen die Festung vollständig eingeschlossen, genöthigt, zu capituliren. Die Preußen besetzten die Stadt und Schurz entging der Gefangennahme nur durch die Flucht, die er unter unsäglichen Mühseligkeiten und der höchsten Lebensgefahr durch einen Abzugscanal und durch nächtliches Uebersetzen über den Rhein bewerkstelligte. Die einzelnen, höchst interessanten Abenteuer dieser Flucht zu berichten, würde zu weit führen, wenngleich dieselben dazu beitragen, den Muth, die Standhaftigkeit und Geistesgegenwart Schurz’s in der Stunde der Gefahr zu bekunden. Er entkam glücklich nach Frankreich, ging von da nach der Schweiz und nahm seinen Aufenthalt in Zürich, wo er in größter Zurückgezogenheit, nur mit Studien beschäftigt, lebte.

Das unglückliche Schicksal seines inzwischen zum Zuchthause verurtheilten Freundes Kinkel veranlaßte Schurz, selbst Flüchtling, dem das Damoklesschwert über dem Haupte hing, seinen sichern Aufenthalt zu verlassen und sich nach Köln zu begeben, um den Versuch zu einer Befreiung des Gefangenen zu unternehmen. Er that dies in Verkleidungen und unter falschem Namen, besuchte seine Eltern in Bonn und hatte dort eine Unterredung mit Johanna Kinkel, der Gattin Gottfried Kinkel’s. Am 9. Juli 1850, zu welcher Zeit ich in Bonn studirte, erhielt ich eine anonyme Einladung von der mir wohlbekannten Hand Schurz’s zu einem Besuche in Köln. Ich folgte dieser selbstredend unverzüglich und hatte die Freude, den geliebten Jugendfreund wiederzusehen und zu umarmen. Ich fand ihn in der Dachkammer eines Hauses im belebtesten Theile der Stadt, wo er, unter einem Haufen von Büchern begraben, schreibend am Tische saß.

Ueber die Gefühle, welche mich bei diesem Wiedersehen bewegten, will ich schweigen. Schurz selbst war in der heitersten Stimmung, und als ich ihm meine Besorgnis; darüber ausdrückte, daß er sich durch seine Anwesenheit an einem Orte, wo seine Person gekannt sei, der höchsten Gefahr der Entdeckung und somit einem sichern Verderben aussetze, erwiderte er lächelnd: „Ich folge nur meinem Pflichtgefühl.“ Auf mein ferneres Befragen, was denn der Gegenstand seiner eifrigen Studien sei, sagte er: „Kriegswissenschaften, man kann das vielleicht noch einmal gebrauchen.“ Und in der That hat sich ihm auch in seinem spätern Leben noch die Gelegenheit dargeboten, die auf diesem Gebiete erworbenen Kenntnisse praktisch zu verwerthen.

Seinen Plan, Kinkel zu befreien, konnte Schurz in Köln nicht zur Ausführung bringen. Er begab sich deshalb nach Berlin, um von hier aus für diesen Zweck thätig zu sein, nachdem Kinkel in das Zuchthaus zu Spandau versetzt worden war. Die Vorbereitungen zur Ausführung des Befreiungsplanes nahmen mehrere Monate in Anspruch und das kühne Werk gelang endlich am 6 November 1850.

Ich enthalte mich eines Eingehens auf die näheren Umstände dieses Ereignisses, da die Gartenlaube bereits in dem Jahrgange von 1863 eine ausführliche Beschreibung desselben von Moritz Wiggers gebracht hat. Diese heroische That aufopfernder Freundschaft, die Kühnheit und Entschlossenheit, mit welcher Schurz sie ausgeführt, rief die Theilnahme Aller hervor, welchen das Schicksal Kinkel’s am Herzen lag, und brachten den Namen des Ersteren in Jedermanns Mund, und wenn dieser, wie oft der Fall, später in öffentlichen Blättern genannt wurde, so geschah es stets mit dem stereotypen Zusätze: „Der Befreier Kinkel’s.“ Es gebührt ihm der Ruhm, der Welt einen Dichter und Gelehrten, welcher zu den Besten zählt, wiedergegeben zu haben.

Schurz floh mit Kinkel über Rostock nach England, begab sich von da auf einige Monate nach Paris und nahm sodann seinen Aufenthalt in London. Hier lernte er seine jetzige Gattin, Margarethe Meyer, die Tochter eines reichen Hamburger Kaufmannes, eine durch Schönheit und geistige Begabung ausgezeichnete junge Dame, kennen und vermählte sich mit ihr im Juli 1852, also in einem Alter von dreiundzwanzig Jahren. Sie hat ihn zum glücklichsten Gatten gemacht und ist ihren Kindern die treueste, liebevollste Mutter geworden.

England war indessen nicht der Boden, welcher Schurz ein geeignetes Feld für seine Thätigkeit darbot, und er siedelte deshalb mit seiner jungen Gattin nach den Vereinigten Staaten über, woselbst er im September desselben Jahres ankam und drei Jahre zurückgezogen lebte. Er benutzte diese Zeit, sich mit der englischen Sprache vertraut zu machen und wurde ihrer bald so sehr Herr, daß er sie mit derselben Geläufigkeit wie seine Muttersprache zu behandeln wußte. Von competenter Seite wird sogar behauptet, daß er der Sprache seiner neuen Heimath in höherem Maße mächtig sei, als selbst manche eingeborene Amerikaner. Dieser Umstand kam ihm sehr zu statten, als im Jahre 1856 die Agitation gegen die Sclaverei eine allgemeinere wurde und sich ihm dadurch die Gelegenheit eröffnete, mit der ganzen Kraft seiner Beredsamkeit auf die öffentliche Stimmung einzuwirken. Von hier ab beginnt seine eigentliche politische Laufbahn.

Als zwei Jahre später ein berühmt gewordener Wahlkampf zwischen Lincoln und Douglas stattfand, machten seine Wahlreden gegen die Sclaverei ungemeines Aussehen, verschafften ihm einen nationalen Ruf und eine Popularität, wie sich kein Anderer einer solchen im Gebiete der Union rühmen konnte. Eine persönliche Bekanntschaft, die sich zwischen ihm und Abraham Lincoln gebildet hatte, gedieh bald zur engsten Freundschaft, und dies Verhältniß hat sich ungetrübt erhalten bis zum Tode des Letzteren. Als Lincoln im Jahre 1860 als Candidat für die Präsidentschaft aufgestellt wurde, nahm Schurz den energischsten Antheil an dem Wahlkampfe, und die Erwählung Lincoln’s zum Präsidenten ist nach dem übereinstimmenden Urtheil Aller, welche von der zu jener Zeit dort herrschenden Stimmung Kenntniß haben, zum großen Theile mit seinen Bemühungen zuzuschreiben. Welches Verdienst er sich dadurch um sein neues Vaterland, um die Sache der Menschenwürde und Civilisation erworben, bedarf keiner Ausführung.

Nachdem Lincoln die oberste Leitung der Staatsgeschäfte übernommen, übertrug er Schurz den Gesandtschaftsposten am spanischen Hofe zu Madrid, den dieser im Juli darauf antrat. Obwohl diese Stellung eine höchst ehrenvolle und bedeutende war, so befriedigte sie doch Schurz nicht, weil sie seinem Thätigkeitstriebe zu wenig Beschäftigung darbot. Außerdem ertrug es auch sein Ehrgefühl nicht, daß er in behaglicher Ruhe in Spanien sitzen sollte, während auf dem Boden seines Landes der Krieg für eine Sache, welcher er mit ganzer Seele ergeben war, wüthete und seine Freunde Blut und Leben für dieselbe in die Schanze schlugen. Es trieb ihn um so mehr, an dem Kampfe Theil zu nehmen, als derselbe bekanntlich anfangs keine günstige Wendung für die Union nahm und deren Existenz sogar zeitweise in Frage gestellt war. Schurz suchte daher bei Lincoln um seine Abberufung nach.

Letzterer glaubte jedoch dieser Bitte nicht entsprechen zu dürfen, weil er Schurz’s diplomatische Befähigung und die Dienste, welche er dem Interesse der Union als Gesandter geleistet, zu hoch anschlug, als daß er dieses wichtige Amt anderen Händen hätte anvertrauen mögen. Gleichwohl bewilligte er Schurz einen längeren Urlaub, um ihm wenigstens die zeitweilige Anwesenheit in der bedrängten neuen Heimath zu ermöglichen. Schurz machte von dem selben Gebrauch und kam, seinen Weg über Deutschland nehmend und den vaterländischen Boden, welchen er als Flüchtling verlassen, als Gesandter einer großen Nation wieder berührend, am 31. Januar 1862 in Amerika an, wo er sofort sein ganzes Bestreben darauf richtete, die Regierung zu bewegen, dem Kriege eine entschiedene Richtung gegen die Sclaverei zu geben. Er war einer der Ersten, welche für eine allgemeine Emancipationspolitik auftraten, und hielt eine glänzende Rede in diesem Sinne, die ihren Eindruck auf die ganze Nation nicht verfehlte. Seinen [183] Gesandtschaftsposten legte er jetzt definitiv nieder, obwohl der Minister des Auswärtigen mit Rücksicht auf seine Leistungen als Diplomat darauf bestand, daß er nach Spanien zurückkehre. Schurz trat in die Armee und wurde bereits im Juni zum Brigadegeneral in demjenigen Corps ernannt, welches im Shenandoahthal operirte. Er nahm an den Schlachten von Bull Run (der zweiten dieses Namens), Chancellorville, Gettysburgh und Chattanooga, sowie an vielen kleineren Gefechten Theil, avancirte im März 1863 zum Divisionsgeneral und machte als solcher den Krieg bis zu dessen Beendigung mit. Die kriegswissenschaftlichen Studien, welche er als Jüngling in einer so eigenthümlichen Situation betrieben, mögen hier wohl ihre Früchte getragen haben. Jedenfalls wird von allen Seiten bestätigt, daß Schurz auch als Heerführer nicht allein Tapferkeit und Energie, sondern auch strategische Umsicht und Geschicklichkeit in hohem Grade bewährt habe.

Nach der Capitulation der conföderirten Armeen reichte er im Mai 1865 sofort seine Demission ein und trat in das bürgerliche Leben zurück. Dies Verhalten ist ein Beweis von der einfachen Größe seines Charakters, welches, jedem Ehrgeize und jedem Verlangen nach äußerer Auszeichnung fremd, seine Befriedigung und seinen Lohn nur in dem Bewußtsein findet, im Dienste des Landes seine Pflicht gethan zu haben.

Inzwischen war Lincoln, zu dessen Wiederwahl als Präsident im Jahre 1864 Schurz während eines Urlaubs wesentlich beigetragen, durch Mörderhand gefallen. Wenn der Tod dieses wahrhaft großen Mannes ein für die Union unersetzlicher Verlust zu nennen ist, so bezeichnet Schurz denselben als den härtesten Schlag, der ihn je getroffen. Beide waren Freunde gewesen, die gleiche Grundsätze und gleiches Streben mit einander auf das Engste verbunden hatten, und insbesondere hatte Schurz nicht allein das vollste Vertrauen, sondern auch die innigste Liebe Lincoln’s besessen. Letzterer hat sich oft dahin ausgesprochen, daß Schurz einer von denen sei, welche seinem Herzen am nächsten ständen.

Nachdem Johnson als Präsident in die Stelle Lincoln’s getreten war, schien er anfangs der Antisclavereisache treu zu sein und übertrug Schurz im Jahre 1865 die höchst wichtige Mission einer Bereisung der Südstaaten, um die Zustände in denselben zu untersuchen und darüber Bericht zu erstatten. Schurz führte diesen Auftrag aus und kehrte im October desselben Jahres von seiner Reise zurück. Der von ihm abgelegte sehr eingehende officielle Bericht erregte eine sich weit über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinaus erstreckende allgemeine Sensation durch die Schärfe und Klarheit seiner Anschauungen, die darin entwickelte staatsmännische Einsicht, sowie durch die Kraft der Darstellung und war von dem wesentlichsten Einflusse auf die spätere Gestaltung der Reconstructionsfrage. Johnson hat bekanntlich später seinen Freunden den Rücken gewendet und sich den ehemaligen Sclavenhaltern in die Arme geworfen. Schurz war da einer der Ersten, welche gegen ihn in entschiedene Opposition traten, und sein oben erwähnter Bericht hat dem Präsidenten den empfindlichsten Schlag versetzt.

Seitdem ist Schurz aus jeder officiellen Beziehung zur Regierung ausgeschieden und hat sich bis auf Weiteres in das Privatleben zurückgezogen. Sein Einfluß auf die öffentliche Meinung ist jedoch dadurch nicht geringer geworden, vielmehr wirkt er in der kräftigsten und nachhaltigsten Weise durch die Journalistik auf dieselbe ein.

Er ist Miteigentümer und Mitredacteur einer großen, verbreiteten zu St. Louis im Staate Missouri unter dem Namen „Westliche Post“ erscheinenden Zeitung und hat in dieser Stadt auch seinen Wohnsitz. Seine hochbetagten Eltern, welche er mit kindlicher Pietät verehrt, hat er dadurch allen Wechselfällen des menschlichen Lebens entzogen, daß er sie zu sich genommen und ihnen an ihrem Lebensabend ein ruhiges und sorgenloses Dasein an seinem häuslichen Heerde bereitet hat.

Das dieser Skizze beigefügte, nach einer sehr ähnlichen Photographie angefertigte Bild giebt eine Vorstellung von Schurz’s äußerer Erscheinung. Er ist von schlanker, jedoch kräftiger, über Mittelgröße hinausgehender Statur und erfreut sich einer Körperconstitution, welche den mannigfachen Strapazen und Anstrengungen, die sein vielbewegtes Leben mit sich gebracht, getrotzt hat. Eine hohe edle Stirn und ein geistvolles, sprühendes Auge lassen sofort den ungewöhnlichen Menschen in ihm erkennen, wie überhaupt der Gesammtausdruck seiner Züge Willensstärke und Festigkeit, gepaart mit Güte und Wohlwollen, verkündet.

Bekanntlich hat Schurz die letzten Monate zu einem Besuch in seinem deutschen Vaterlande benutzt und sich während dieser Zeit mit seiner Familie in Hamburg, Frankfurt am Main, Wiesbaden und Berlin aufgehalten. Während seines Aufenthalts in letzterer Stadt war es auch mir vergönnt, einen Besuch von ihm zu erhalten und ihn nach achtzehnjähriger Trennung wiederzusehen und von ihm zu hören, daß ich seinem Herzen nicht fremd geworden sei; wie denn überhaupt seine Thätigkeit im Dunste großartiger Interessen seinem Gefühlsleben in keiner Weise Abbruch gethan hat. Ueberall kam man ihm mit Verehrung und Huldigungen entgegen und gab ihm den Beweis, daß man auch in seinem Vaterlande die großen Verdienste, welche er sich jenseits des Oceans erworben, zu würdigen wisse. Besuche und Einladungen, aus allen Gesellschaftskreisen, bedrängten ihn in einer Weise, daß er denselben nur zum Theil Rechnung zu tragen vermochte. Auch der preußische Ministerpräsident hat es sich, wie Eingangs erwähnt, nicht versagt, mit ihm eine mehrstündige Unterredung zu pflegen und ihn zur Tafel zu ziehen. Schurz äußerte sich in der günstigsten Weise über die Liebenswürdigkeit des Premiers im geselligen Umgang, über das Anziehende seiner Unterhaltung und die freimüthige Offenheit, mit welcher er sich gegen ihn über die politischen Verhältnisse Europas, insbesondere Deutschlands ausgesprochen. Schurz selber sieht die letzteren vorläufig als nicht besonders hoffnungsreich an, er bezeichnet das Streben nach innerer Gestaltung bei uns als eine Riesenarbeit, findet aber das wahre Feld für seine eigene Thätigkeit nur in seinem neuen Vaterlande, in welchem das öffentliche Leben sich in rascherem Gange bewegt und die zeitige Generation den von ihr ausgestreuten Samen auch noch zur Reife gedeihen sieht.

Anfangs März ist Schurz nach Amerika zurückgekehrt. Dort bereiten sich von Neuem Ereignisse und innere Kämpfe vor, welche seine Mitwirkung erheischen. Er steht jetzt in seinem neununddreißigsten Lebensjahre, also in der Vollkraft des Mannesalters, und die Zukunft wird es lehren, welcher Antheil an der Entwickelung seines neuen Vaterlandes ihm noch beschieden sein mag.




Marquis Posa als Burgherr.

Emil Devrient scheidet nach siebenunddreißigjährigem Wirken an derselben von der Dresdner Hofbühne, nach sechsundvierzigjähriger Künstlerthätigkeit von der Bühne überhaupt. Bei der immer lebhafter hervortretenden Neigung des deutschen Theaters, sich ernsten, idealen Aufgaben zu entziehen, ist das Scheiden dieses Künstlers um so empfindlicher. Emil Devrient ist Repräsentant der classisch-idealen Bühnenwelt, mit ihm verläßt ein Kunstfürst seine „Truppen“, und was hilft der Donner des Abschiedsgrußes, der allenthalben auf dem Felde dieser Künstlerehre tönt – Devrient geht, und Manchem wird es scheinen, als gingen damit jene Bretter aus den Fugen, welche die Welt bedeuten.

Bedeutende Federn werden sich finden, das Leben und Wirken Emil Devrient’s zu schildern. Unsere heutige Aufgabe soll es sein, eine Seite des vorzüglichen Mannes zu berühren, welche nur ihm näher Stehenden ganz klar hervortreten konnte: seine Liebenswürdigkeit im persönlichen Umgange.

Zur Zeit, als Gutzkow, ein vertrauter Freund des Künstlers, in Dresden lebte, versammelte Devrient von Zeit zu Zeit einen kleinen gewählten Kreis seiner Freunde um sich. Namentlich waren es die Wintermonate, welche die fröhlichen Genossen zusammenriefen. Von einer solchen winterlichen Vereinigung aber will ich nicht erzählen, sondern von einem schönen, heißen Sommertage. Der Dampfer brauste von Dresden nach dem freundlichen Städtchen Bischofswerda nahe der sächsischen Lausitz. In einem Coupé des langen Wagenzuges entführte Devrient seine Freunde dem Drängen und Treiben der Residenz, und am genannten Haltepunkte nahm die feine Equipage des „Rittergüter“ sein eigen nennenden Künstlers die Ankömmlinge auf, sie nach dem seitwärts [184] liegenden Schlosse von Schmölln zu bringen. Ehe man jedoch dort ankam, ließ Devrient den Wagen am Eingange eines jungen, sorgfältig gepflegten Nadelwaldes halten, um seinen Lieblingsspaziergang mit den Freunden einzuschlagen. Es war Mittagszeit, die Augustsonne brannte glühend herab, um so erquickender wurde das Wandeln auf grünem Moose und im Schatten der Waldbäume. Die früher schon rege Unterhaltung belebte sich mehr und mehr und steigerte sich zu solcher Heiterkeit, daß es schien, als seien die seit Johannis schweigsam gewordenen Singvogel wieder eingezogen. Namentlich thaute auch der sonst so ernste Gutzkow auf und wechselte mit Devrient manch’ heitere Erinnerung an das Dresdner Leben und an das mehrjährige gemeinsame Wirken an der dortigen Hofbühne, bei welcher Gutzkow bekanntlich mehrere Jahre lang als Dramaturg thätig gewesen war. Nur ein ernster Zug mischte sich in die Unterhaltung: Gutzkow hatte von Weimar die Einladung empfangen, als Generalsecretär der deutschen Schillerstiftung einzutreten, und sah voll idealer Begeisterung für das ihm dadurch sich öffnende, dem Gemeinwohl nützliche Wirken freudig dieser Stellung entgegen. Es war aber nicht nur die Bekümmerniß, den geliebten Dichter und Freund in Dresden verlieren zu sollen, sondern eine Art düsterer Ahnung, welche sämmtliche Anwesende, vor Allen auch Devrient veranlaßte, Gutzkow von der Annahme dieser Stellung abzureden. So wenig man auch die wohlwollende Absicht des Großherzogs von Weimar, die freundschaftliche Gesinnung Dingelstedt’s verkannte, dem Dichter ein der That geweihtes, doch immerhin stilles, zu neuen Schöpfungen anregendes Asyl zu schaffen, so wenig glaubten doch Gutzkow’s Dresdner Freunde an das Gedeihliche dieser neuen Stellung für Gutzkow selbst. Der junge grüne Nadelwald von Schmölln mag es dem Parke zu Weimar und dem Thüringer Tannenhaine erzählen, daß er zuerst eine düstere Wolke über dem theuren Dichterhaupte aufsteigen sah.

Nach kurzer Wanderung war das Schloß erreicht. Der Wagen hatte unterdeß ein vom Gastgeber vorsorglich von Dresden anher befördertes, in eine Hülle von Eis eingelegtes Fäßlein köstlichsten bairischen Bieres unter die Bäume des Schloßeinganges gebracht, und man stärkte sich an diesem freundlichen Labetrunke mit ganz besonderem Appetite. Hierauf geleitetete der Herr von Schmölln seine Gäste in die wohnlich eingerichteten Zimmer des Schlosses. Der feinste, künstlerischste Geschmack leuchtete in solider Einfachheit aus Meublement, Gemälden, Statuetten und Kupferstichen hervor, und schwer folgte man dem Rufe des Gastgebers, sich der beschaulichen Hingebung an all’ das Schöne zu entziehen, um die landwirtschaftlichen Etablissements des großen Gehöftes zu besichtigen. Mit der ihm angeborenen Elasticität der Bewegung verwandelte sich der Künstler nunmehr in den wohlunterrichteten Oekonomen; der Kuhstall wurde besichtigt, und man empfing aus des großen Mimen Munde Erläuterungen über die verschiedenen Racen der wohlgepflegten Rinderwelt; nebenher erhielt wohl auch die Großmagd oder die Mittelmagd ein kleines Lob, einen Tadel, die Aufforderung zu Diesem und Jenem. Man gelangte zu Besichtigung der Pferde und zu dem Schafstalle; auch hinsichtlich der Mütter und Lämmer war der Besitzer sehr wohl zu Hause. Sodann wurde eine ausgezeichnete Schweinezucht vorgeführt, und wir sahen unsern Marquis Posa vollständig unterrichtet über die Ferkelfütterung. Schöne Theaterbesucherin, die Du von Deinem Don Carlos (auch ihn hat Devrient gespielt) Tag und Nacht träumst, „fängt Dir der Knabe Karl an fürchterlich zu werden“? Halte an Deiner Bewunderung fest! Hättest Du die natürliche Grazie des großen Künstlers auch im Wirthschaftshofe anstaunen können, so würde Dir seine edle Wahrheit auf der Bühne noch einleuchtender geworden sein.

Es mochte die dritte Stunde des Nachmittags herangekommen sein, als der freundliche Wirth seine Gäste in das geräumige Speisezimmer des Schlosses zurückführte. Die äußere Einrichtung der Tafel war so geschmackvoll, daß man den abrundenden, symmetrisch ordnenden Blick des Hausherrn auch hier nachahnte; dienende Geister allein wissen derartigen Arrangements die letzte Feile nicht zu geben. Gutzkow nahm Platz an dem einen, Devrient an dem andern Ende der Tafel, die übrigen Herren reihten sich mitten ein. Eine ziemlich große Reihe feiner, aber durchaus solider, nicht an das hotelmäßige Durcheinander anstreifender Speisen folgte nacheinander, und vom einfachen „Rothen und Weißen“ verstieg man sich bald zu ausgesuchten, vorzüglichen Cabinetsweinen. Der Erzähler Dieses hat zwar viel Geschmack für solche Genüsse, aber ein sehr schlechtes Gedächtniß dafür, was die lesenden Hausfrauen ihm verzeihen mögen. Verweilen wir aber ein wenig bei der geistigen Unterhaltung, die sich während der Tafel entspann. Den ersten Toast brachte Devrient auf seine Gäste, Gutzkow erwiderte ihn in einem äußerst gewandten, formschweren Gedichte, ernste und heitere Tischreden der Anderen folgten; inzwischen eine belebte Unterhaltung über alle Dinge der Welt, namentlich über das Theater. Als aber Devrient das Glas Steinberger mit den Worten erhob: „Auf Richard Savage und seine Folgen’.“ und als Gutzkow diese Worte mit wärmstem Gegengruße erwiderte, tönte von allen Seiten die Frage nach der Bedeutung dieses Spruches.

In lebendiger Weise erzählte nun der große Darsteller sein erstes Bekanntwerden mit dem anwesenden Dichter. Devrient hatte sich nach längerer Wirksamkeit in Dresden in die Weltstadt Paris begeben, um sein damals verdüstertes Gemüth durch Anschauung einer neuen Sphäre aufzuheitern. Erfüllt von den Eindrücken der Darstellungsweise einer Mars, einer Rachel, eines Bouffé, Arnal, kehrte der Künstler nach Deutschland (1839) zurück, um merkwürdiger Weise auch hier wieder ganz neuen Elementen des dramatischen Lebens entgegengeführt zu werden. Achtzehn Jahre eines Künstlerlebens lagen bereits hinter Devrient, als er aus Paris nach Frankfurt a. M. zurückkehrte, und wenn man die hohe Bedeutung erwägt, die sich derselbe in dieser Zeit und namentlich während seiner Wirksamkeit in Dresden und in seinen Gastrollen auf den hervorragendsten Bühnen Deutschlands erworben; wenn man die Wirkungsreiche ideale Abgeschlossenheit des Charakters in das Auge faßt, mit welcher Devrient seine Kunst beherrschte, so sollte man meinen, daß nicht leicht ein Etwas zu denken wäre, das neue Strömungen erweckend in dieses Künstlerleben hätte eintreten können. Und doch war es so. In Frankfurt war ein frisches Bühnenleben durch Seydelmann und Döring erwacht, und die Träger einer „jungen Literatur“ waren mit dem Theater in Wechselwirkung getreten. Devrient lernte Gutzkow kennen, der soeben seinen Richard Savage der Bühne übergeben hatte, interessirte sich sofort auf das Lebhafteste für dieses Stück und verlangte von der Frankfurter Bühnendirection, ihm die Titelrolle desselben in sein Gastspiel einzureihen.

Der Director widerrieth das, da eine vor Kurzem stattgehabte erste Aufführung des Savage keine ganz glückliche gewesen war. Devrient bestand jedoch auf seinem Vorhaben und Gutzkow hatte die Genugthuung, zu sehen, daß das nicht volle Gelingen der ersten Aufführung nur der unvollkommenen Darstellung des Richard zuzuschreiben gewesen war, denn Devrient’s Vorführung des Sujets erregte unablässigen Jubel des Publicums und führte das Stück auf den bedeutendsten Bühnen Deutschlands ein. Seitdem ist Devrient nicht nur mit Gutzkow in fortdauernder Wechselwirkung geblieben, sondern hat sich auch der Produktionen von Prutz, Mosen, Laube bemächtigt. Der Hauch eines neuen, jungen Lebens berührte den Künstler an Leib und Seele, ein rastloser Thätigkeitstrieb erfaßte den Darsteller des Alt- und Neuclassischen. Wissen wir doch, daß es auch Devrient war, der Gutzkow’s Uriel den deutschen Bühnen gab. Er setzte es durch, daß Gutzkow selbst die Leseprobe in Dresden leitete, daß das Stück zur Aufführung kam; er war Ursache, daß Gutzkow als Dramaturg in Dresden angestellt wurde.

Außerordentlich belebend haben Beide auf einander gewirkt, und Wunder darf es also nicht nehmen, daß Devrient’s oben citirter Trinkspruch den ihm gegenübersitzenden Dichter elektrisirte. Devrient’s Eigenschaften als Künstler stehen die echt menschlichen schmückend zur Seite: die der treuen Anhänglichkeit, der Dankbarkeit. Wie lebendig anerkannte er bei dem Mahle, das wir hier schildern, welch’ mächtige Einwirkung die junge dramatische Literatur seit dem Jahre 1839 auf ihn gehabt habe! Von welch’ großartiger Thätigkeit seit jener Zeit der Künstler beseelt war, geht aus einer Bemerkung hervor, die Gutzkow in genauer Kenntniß der Thatsachen einflocht. In Frankfurt a. M. gab Devrient 1839 nacheinander vierundzwanzig Vorstellungen, die, wie der Dichter referirte, „eine bisher in der theatralischen Welt unbekannt gewesene Aufregung hervorriefen“. In Breslau folgten im nächsten Jahre vierzehn Vorstellungen, in München zehn, und achtzehn Vorstellungen zu gleicher Zeit in Mannheim, Mainz und Frankfurt a. M. Am 12. April 1841 eröffnete der Künstler das neue Theater in Dresden mit „Tasso“ und gab darauf in drei Monaten in Pesth zweiundzwanzig Vorstellungen.

[185] Eine fast überwältigende Fülle von Gastspielen neben der constanten Berufsthätigkeit in Dresden zeichnete auch die folgenden Jahre aus. „Und vergiß meine Aufregungen in London nicht, theurer Freund!“ erwiderte Devrient.

„Wo Sie,“ fiel einer der Anwesenden ein, „den Faust spielten, den Sie uns immerdar vorenthalten haben.“

„Fragen Sie Goethe,“ erwiderte der Künstler, „warum man Faust nicht spielt.“

„Das kann,“ fiel ein Dritter ein, „allerdings der stolz antworten, dem über den ,Hamlet’ eine Fanny Kemble in London gesagt, daß sie den Hamlet Devrient’s über den John Kemble’s und ihres eigenen Vaters stelle.“

„Auch der jüngere Kean hat mir in Anerkennung meiner Rolle ein werthvolles Geschenk übergeben,“ bemerkte Devrient, „die Melodieen des vorigen Jahrhunderts zu den Liedern Ophelia’s.“

„Melodieen, die den Sänger in Ihnen ebenso beglückten, wie den Darsteller Hamlet’s,“ warf der Verfasser dieser Zeilen ein.

Einer der Anwesenden, der Jüngste, wunderte sich über die Aufklärung, daß Emil dereinst den Caspar im Freischütz, den Sarastro, Almaviva, Axur und sogar den Don Juan mit großem Erfolge gesungen.

„Als Caspar trat der gastirende Jüngling im Beginn seiner Laufbahn in Dresden auf,“ schaltete der Erzähler des Mahles ein und hob sein Glas mit ungefähr folgenden Worten: „Welch’ eine Welt liegt zwischen jenem ersten Caspar und dem Tasso, mit dem Devrient das neue Theater in Dresden einweihte! Aus einer Fülle der Gesichter hat sich ein großes, bedeutendes Künstlerantlitz herausgearbeitet; der sprudelnde Reichthum der Vielheit hat sich in einer krystallreinen Quelle concentrirt: in Schöpfung des classischem Ideales für alte und neue Dichtung. Wohl tönt des Sängers ausgebildete Stimme noch nach, aber gebannt an das Wort, es verschönend; wohl hat auch jene Zeit ihre Wirkungen hinterlassen, in welcher sich mit Tasso und Hamlet noch die Lästerschule und die Quälgeister stritten, aber es ist mir das Gute des Baudevillenhaften geblieben, die Präcision des dem Tage sich anlehnenden Lustspieles hat wohlthätig den langgezogenen Ton des Tragöden gekürzt, die Bewegungen des Mimen der Wahrheit zugeführt. Und wie nun der ganze Künstler vor uns steht, eine Verschmelzung des Tasso und Egmont in seiner Natur tragend, so wirke er noch lange zum Heile der deutschen Kunst, so bleibe er der Dresdner Bühne, ein Caspar im modernen Sinne, Freikugeln gießend für die Macht der Schönheit!“

Ein freudiges Hoch der begeisterten Gäste ertönte dem Künstler, und Gutzkow bemerkte mit liebenswürdigem Sarkasmus: „Was würde Tieck zu unserer Gerechtigkeit sagen! Seit Devrient sich nicht mehr ,Dame Kobold’ vorlesen ließ, seit Emil sich sogar dem jüngeren deutschen Drama zuwendete, sprach ihm der Romantiker nur noch Talent für naive Rollen und das Lustspiel zu. Fürwahr, es ist etwas um die Romantik, es ist etwas um ihre Wahrheit, für die leider der große Brite viel weniger gethan hat, als seine Uebersetzer glauben. Hoch lebe Emil der Naive, der Sohn der blauen Blume, hoch Wetter vom Strahl!“

Gelächter von allen Seiten, und heiter vertiefte sich die Gesellschaft in das die Gegenwart erleichternde Reich der Anekdote. Freund Devrient gab sich auch diesem Gebiete lächelnd hin, ohne jedoch es selbst als Erzähler zu ergänzen, denn immer ist ihm die neckende Nennung oder die Verletzung einer Persönlichkeit, und hätte es sich selbst um einen Gegner gehandelt, fern geblieben.

In der frohesten Stimmung brach man ziemlich spät von der Tafel auf. Eine Tasse des besten Mokka besänftigte die Aufgeregten, ehe das Dampfroß Gäste und Gastgeber wieder heim nach der Residenz führte. Das war der schöne Tag von Schmölln.

Edmund Judeich.




Zur Nahrungssorge.
Das (nicht der) Liebig’sche Fleischextract. – Concentrirte Milch. – Malzextracte.

Was wir essen müssen,“ das ist eine Lebensfrage; an diese reiht sich aber auch eine andere wichtige Frage, nämlich: wie müssen wir das Was essen? Um diese beiden Fragen dem Laien so beantworten zu können, daß er auch klug aus unserer Antwort werde, möge derselbe vorerst mit uns einige Blicke in den Bau des menschlichen Körpers, in dessen Ernährung und in den Verdauungsproceß thun.

Mit dem Baue unseres Körpers verhält es sich auf ziemlich ähnliche Weise wie mit dem Baue eines Hauses. Man braucht, wie bekannt, zu einem Hausbaue sehr verschiedenes Baumaterial; man braucht da z. B. Holz, Steine, Eisen, Glas, Lehm und dergleichen mehr. Alle diese Stoffe müssen aber, ihrer Bestimmung gemäß, in bestimmter Weise verarbeitet werden, so z. B. das Holz zu Bretern und Balken, das Eisen zu Platten und Nägeln etc. Erst dann sind sie zur Herstellung von Wänden und Räumen mit Thüren, Fenstern, Oefen, Schlössern etc. zu verwenden.

Ganz dasselbe ist der Fall mit dem Baue des menschlichen Körpers. Es sind dazu ebenfalls eine Anzahl ganz verschiedener Stoffe nöthig, wie z. B. Wasser, Eiweißstoffe, Fette, Salze, Kalke, Eisen etc. Diese Stoffe müssen nun aber auch erst innerhalb unseres Körpers für den Aufbau vorbereitet und zu den kleinsten Körpertheilchen, wie zu Bläschen (Zellen), Fäserchen, Röhrchen, Plättchen und Häutchen, verarbeitet werden. Erst dann können sie zur Zusammensetzung größerer Apparate und Organe, wie der Knochen, Knorpel, Muskeln (oder Fleisch), Nerven etc., dienen.

Die einzelnen Baustoffe für ein Gebäude kennt Jeder durch eigene Anschauung, die unseres Körpers kann nur der Chemiker ausfindig machen; und sie sind ausfindig gemacht worden: Den Hauptbestandtheil (fast drei Viertel) nicht nur des menschlichen, sondern auch des thierischen und pflanzlichen Körpers bildet das Wasser. Es wird in allen, auch in den festesten Körperbestandtheilen, angetroffen. – Nach ihm sind es die Eiweißstoffe, welche in größter Masse und als Hauptgrundlage aller Gewebe unseres Körpers auftreten. Sie werden deshalb auch Gewebsbildner genannt; ihnen verdanken wir am meisten Kraft und Saft. Die wichtigsten eiweißstoffigen Substanzen unseres Körpers führen die Namen: Eiweiß, Faserstoff, Käsestoff, Leim. Ebenfalls in großer Menge und in verschiedener Form finden sich Fette (als Olein, Stearin, Palmitin etc.) in unserm Körper. Ohne Fett ist der Aufbau des Körpers ganz unmöglich. – Von Salzen sind besonders Kochsalz und Kalisalze unentbehrlich. Auch Kalk, Eisen, Schwefel und Phosphor, sowie noch einige andere, meist an die Eiweißsubstanzen gebundene Stoffe, spielen eine große Rolle bei der Zusammensetzung und Ernährung unseres Körpers.

Wie bekannt, giebt es an jedem Gebäude fortwährend zu repariren, da es ja durch die Zeit und den Gebrauch ebenso an seinem Aeußeren wie in seinem Inneren Schaden leidet. Natürlich sind dann die Reparaturen der schadhaften Theile, wenn man diese ja ihren früheren Zustand zurückwünscht, nur mit demjenigen Material, aus welchem diese gearbeitet waren, wieder herzustellen; also die Fenster durch Glas, die Mauern durch Steine, die Schlösser durch Eisen u. s. f. – Ebenso verhält es sich mit unserm Körper. So lange wir leben, nutzt sich derselbe fortwährend in allen seinen Theilen ab, und er kann nur dann ordentlich reparirt, dadurch aber am Leben und gesund erhalten werden, wenn das Abgenutzte aus denselben Stoffen, aus welchen es bestand, immerfort wieder aufgebaut wird; also: das Fleisch durch Eiweißstoffe, die Knochen durch Leim und Kalk, die Nerven durch Eiweiß und Fett etc.

Das fortwährende Abnutzen (Absterben) unserer Körpertheile und das immerwährende Wiederersetzen (Erneuern) derselben nennt man den Stoffwechsel. So lange dieser vor sich geht, leben wir; hört er auf, dann sterben wir; hat er aufgehört, so sind wir todt; geht er schlecht und falsch von statten, dann sind wir krank. Den Stoffwechsel ordentlich im Gange zu erhalten, ist demnach die Aufgabe für jeden Menschen, der leben und gesund sein will.

Das Material, mit welchem unser Körper aufgebaut ist, also: Wasser, Eiweißstoffe, Fette, Salze, Kalke, Eisen, Schwefel und Phosphor etc., – kann der Körper sich nicht selbst erzeugen, es muß ihm von außen zugeführt werden, und zwar, wenn [186] er leben und gesund bleiben will, stets in der richtigen Menge und Güte. Und dies geschieht durch den Genuß von Nahrungsmitteln, von Speisen und Getränken. Diese werden innerhalb des Verdauungsapparates mit Hülfe verschiedener Säfte (des Mund- und Bauchspeichels, des Magen- und Darmsaftes, der Galle) so verarbeitet, daß ihre besten Bestandtheile zu Blut werden und nun zur Erzeugung der verschiedenen Gewebe zu verwenden sind.

In einem Gebäude werden wir uns aber, nur dann wohl befinden können, wenn in dessen Räumen eine angenehme Temperatur herrscht. Wir heizen deshalb bei kaltem Wetter ein. – Auch innerhalb unseres Körpers ist stets ein gewisser Grad von Wärme (+ 30° R.) nöthig, wenn der Stoffwechsel ordentlich vor sich gehen soll. Um diese Wärme zu erzeugen, heizen wir auch ein, und zwar mit Stoffen, die dem Verbrennungsmaterial unserer Oefen (Holz, Stein- und Braunkohle) in ihrer chemischen Zusammensetzung ähnlich sind. Zu ihnen gehören: fettige, stärkemehlhaltige, zuckerhaltige und spirituöse Substanzen. Wir genießen dieselben mit unsern Nahrungsmitteln und zum Theil gleichzeitig als ernährende Stoffe. Einige dieser Stoffe, wie das Stärkemehl und den Zucker, ist unser Körper allmählich in Fett zu verwandeln im Stande, und man nennt diese Stoffe deshalb auch Fettbildner.

Wollen wir nun zur Erhaltung unseres Lebens und der Gesundheit die richtigen Nahrungsmittel wählen, so müssen wir natürlich, um die richtige Auswahl treffen zu können, wissen, welche und wie viel von solchen Stoffen, die unsern Körper aufbauen, in diesem oder jenem Nahrungsmittel vorhanden sind. Je reicher ein Nahrungsmittel an diesen Stoffen (Nahrungsstoffen) ist, desto nahrhafter ist es. Nur die Milch und die Eier enthalten alle jene Stoffe in der richtigen Menge, und deshalb könnte der Mensch auch von Milch oder von Eiern allein leben. Alle übrigen Nahrungsmittel dagegen enthalten entweder nicht alle zu unserer Ernährung nöthigen Materien oder nicht in der gehörigen Menge. Deshalb sind wir gezwungen, mehrere und verschiedenartige Nahrungsmittel miteinander (in unsern Speisen) zu vermischen, um alle diejenigen Stoffe in der richtigen Menge in unser Blut zu schaffen, welche zum Auf-und Neubaue unseres Körpers durchaus nöthig sind. Also dürfen wir nicht blos oder vorzugsweise eiweißstoffige oder blos und hauptsächlich fette etc. Nahrungsmittel genießen, sondern solche, in denen von allen erforderlichen Nahrungsstoffen (von Eiweißstoffen, Fetten und Fettbildnern) genug vorhanden ist. Wir sind deshalb gezwungen, thierische und pflanzliche Nahrungsmittel miteinander zu verbinden, weil in den ersteren zu wenig fette und fettbildende, in den letzteren zu wenig eiweißstoffige Nahrungsstoffe vorhanden sind. Würden wir z. B. blos von magerem Fleische, von Käse oder vom Weißen der Eier leben wollen, so müßten wir ebenso verhungern, als wenn unsere Nahrung blos in Fett, Butter oder Eidotter bestände. Pflanzliche Nahrungsmittel können uns deshalb nur dann richtig ernähren, wenn sie die oben genannten Nahrungsstoffe, also besonders eiweißstoffige, fettige und fettbildende (mehlige und zuckerige) Stoffe, in gehöriger Menge enthalten. Die Kartoffeln die fast nur aus Mehl bestehen, müssen demnach, allein genossen, zur richtigen Ernährung unseres Körpers ganz untauglich sein. Ebenso können aber auch alle Mehlsachen, besonders das Brod, nur dann als nahrhaft gelten, wenn in ihnen außer dem Mehle auch noch Kleber (d. i. der mit dem Weißen im Eie zu vergleichende Eiweißstoff, der dicht unter der Hülse der Getreidesamen lagert) vorhanden ist. Kleienbrod, weil sich in ihm weit mehr Kleber befindet, muß nahrhafter sein als das gewöhnliche Brod ohne Kleie (denn an dieser hängt noch viel Kleber an). Freilich wird aber durch die Kleie das Brod schwerer verdaulich und würde darum einem schwachen Magen nicht anzurathen sein.

Wenn wir nun auch wissen, was wir essen sollen, so ist es ferner noch von großer Bedeutung zu wissen, wie wir das Was genießen müssen. Eine große Menge von Menschen, und gerade arme Leute, essen so, daß ihnen das Genossene keinen solchen Nutzen bringt, wie es könnte, und daß sie also ihr schönes Geld für die Speisen zum Theil unnütz ausgeben. Ein großer Theil der Nahrungsstoffe geht nämlich, wenn diese nicht richtig genossen werden, anstatt in das Blut, mit den Excrementen ganz unbenutzt wieder fort. Um dies nun zu verhindern, merke man sich: Altes Feste, das wir genießen, ganz besonders aber das Fleisch, muß so zubereitet und im Munde mit den Zähnen so lange verarbeitet (gekaut) werden, daß es im Magen und Darmcanale von den Verdauungsäften (vorzugsweise von: sauren Magensafte) leicht durchdrungen und aufgelöst werden kann. Je flüssiger und breiiger ein Nahrungsmittel ist, je schneller es im Verdauungsapparate in eine solche Form verwandelt werden kann und je besser die Verdauungssäfte in dasselbe eindringen können, desto verdaulicher ist dasselbe und desto besser können dessen Nahrungsstoffe ausgezogen und in das Blut geschafft werden.

Deshalb kommt auf die Zubereitung der Speisen sehr viel an. Ein gut gekochtes oder gebratenes, weiches Stück Fleisch muß, ebenso wie ein tüchtig zu Brei zerkautes Stück, weit verdaulicher sein, als hartes, wenig zerkautes Fleisch. – Hartes Ei ist sehr unverdaulich, weiches äußerst leicht verdaulich. – Feste unlösliche, also unverdauliche Stoffe in unsern Speisen, wie Hülsen, Schalen, Körnchen, Blätter n. dergl., erschweren, indem sie im Magen die löslichen, verdaulichen Nahrungsstoffe einhüllen, das Eindringen des Magensaftes in dieselben und hindern dadurch die Lösung derselben. So gehen nicht durchgeschlagene Hülsenfrüchte (auch Reis) fast ganz unverdaut im Stuhlgange wieder mit fort. – Sehr fette Speisen werden ebenfalls dadurch unverdaulicher, sobald das flüssige Fett, welches vom wässrigen Magensäfte nicht durchdrungen werden kann, eine Art Atmosphäre rings um die löslichen Nahrungsstoffe bildet. – Trinkt man Milch langsam in kleinen Schlucken und ißt dazwischen Brod, so gerinnt dieselbe im Magen nur in ganz kleinen Portionen und wird dann für den Magensaft leichter durchdringlich und löslicher. Dagegen bildet sich beim schnellen Trinken größerer Quantitäten Milch im Magen ein großer Klumpen Quark und dieser ist für den Magensaft schwer zu lösen. – Aus diesen wenigen Beispielen wird der Leser hoffentlich erkennen, daß auf das Wie beim Essen viel ankommt.

Wenn es nun feststeht, daß wir Menschen, gerade so wie die Thiere und Pflanzen, essen und trinken müssen, um zu leben, und daß wir mit unserem Essen und Trinken ganz bestimmte Stoffe und zwar sogenannte Nahrungsstoffe (das sind solche, aus denen unser Körper aufgebaut ist) in unsern Verdauungsapparat schaffen müssen; daß ferner diese Nahrungsstoffe mit Hülfe des Verdauungsprocesses so zu verarbeiten sind, daß sie in den Blutstrom eintreten und zur Gewebsbildung verwendet werden können: – so wird es sich denn wohl von selbst verstehen, daß auf die Auswahl, die Zubereitung und die Verarbeitung unserer Speisen durch den Verdauungsproceß sehr viel ankommt. Stets muß also unser Streben bei der Ernährung unseres Körpers dahin gerichtet sein, die nöthige Menge von Wasser, von Eiweißstoffen (Gewebsbildnern), von Fetten und Fettbildnern oder Heizungsmaterial einzuführen. Darauf kommt weniger an, daß wir die Eiweißstoffe gerade in allen den Formen, wie sie in unserm Körper vorkommen, genießen. Und zwar deshalb kommt nicht viel darauf an, weil sich unser Körper seine ihm eigenthümlichen Eiweißstoffe schon zurecht zu machen weist, wenn er nur irgend eine Eiweißsubstanz bekommt. Ebenso verhält es sich mit den Fetten. Habe ich demnach keinen Fleischfaserstoff, so kann ich denselben durch Käse und Eiereiweiß oder auch durch den Kleber der Getreidesamen und den Hülsenstoff (Legumin) der Hülsenfrüchte ersetzen. Die Stelle des Fleischfettes, der Butter und des Eidotters können Pflanzenöle oder auch Fettbildner (stärkemehl- und zuckerhaltige Substanzen) vertreten. Und so ist denn dem Menschen von der Natur eine große Auswahl, von Nahrungsmitteln gegeben. – Trotzdem giebt es viele Gelegenheiten, wo er entweder Mangel an guter Nahrung leiden muß, oder wo er wegen Schwache und Krankheit seiner Verdauungsorgane die gewöhnlichen Speisen nicht vertragen kann. Für solche Vorkommnisse hat nun die Wissenschaft aus verschiedenen Nahrungsmitteln solche Nahrungsstoffe zu bereiten gelehrt, die schon in geringer Menge einen großen Nährwert haben, sich lange Zeit gut erhalten, schnell in Gebrauch genommen werden können, leicht zu transportiren sind und auch von schwachen Verdauungsorganen leicht verarbeitet werden können. Sie passen also: bei Expeditionen aller Art zu Lande und Meer, im Kriege und in Spitälern, für Festungen und Schiffe, zur Verschickung in hungernde Gemeinden, bei Magen und Darmkrankheiten, sowie bei großer Blutarmuth und Körperschwäche. Zur Zeit besitzen wir in den Fleisch- und Malzextracten, in condensirter Milch und Milchsurrogaten solche künstlich bereitete Nahrungsstoffe. Unter allen nimmt aber die oberste Stelle

[187]
das (nicht der) Liebigsche Fleischextract

ein, weil dies der am schnellsten den Stoffwechsel anregende und fördernde, sowie der am leichtesten verdauliche, auch dem schwächlichsten und kränksten Magen zusagende Nahrungsstoff ist. Denn es ist dieses Extract ja auch nichts Anderes als Fleischbrühe, von welcher das Wasser durch Abdampfen getrennt wurde; es ist also eine reine Essenz des Fleisches. Es wird aus dem besten und frischesten Rindfleische bereitet, und ein Pfund des Extracts enthält die löslichen Theile von dreißig Pfund ganz reinen, fettfreien Fleisches. Ein Heilmittel ist dieses Extract, welches einen nicht unbedeutenden Gehalt an phosphorsauren Salzen und Eisenoxyd besitzt, in dem Sinne, als es, auch bei der schwächsten Verdauung, dem Blute Stoffe zuführt, die zur kräftigern Ernährung des heruntergekommenen Körpers viel beitragen. Es ist deshalb bei dem Hungertyphus, der Reconvalescenz von Krankheiten, bei Blutmangel und auszehrenden Leiden weit mehr zu empfehlen, als die von Aerzten in solchen Fällen verordnete Arznei aus Chinin und Eisen, die niemals kräftigt, in der Regel aber sehr bald den Magen verdirbt. Nur darf man nicht, wie dies manche Aerzte ganz mit Unrecht gethan haben, vom Liebig’schen Fleischextracte verlangen, daß es ganz allein die Ernährung unseres Körpers unterhalten soll. Nur durch seine Verbindung mit eiweißstoffigen, fetten und fettbildenden Nahrungsstoffen, wie: mit Ei, Fleisch, Hülsenfrüchten, Mehlspeisen, Gemüse und Kartoffeln, Fleischfett oder Butter etc. wird es zum nahrhaftesten Nahrungsmittel. – In kleinen Quantitäten kann man das Fleischextract zur Kräftigung und Verbesserung von Suppen, Saucen, Ragouts, überhaupt als Würze vieler Speisen (besonders der aus Gemüsen und Hülsenfrüchten) verwenden. Daß man in Haushaltungen und Speisehäusern große Ersparniß damit erzielen kann, liegt auf der Hand.

Wir verdanken dieses der Menschheit sicherlich noch großen Nutzen schaffende Fleischextract, welches in keiner Haushaltung (zumal auf dem Lande) fehlen sollte, dem berühmten Chemiker, der sich auch um die Ernährung unserer Nahrungspflanzen große Verdienste erworben hat, dem Professor v. Liebig in München. Ihm verdanken wir ferner auch, daß dieses werthvolle Extract im Verhältniß zu seinem Nährwerthe so billig zu haben ist. Denn er veranlaßte, daß dasselbe in Ländern bereitet wird, wo das frische beste Rindfleisch außergewöhnlich billig ist, nämlich in den La-Plata-Ländern und in Brasilien. Damit es hier – zur Zeit in Fray-Bentos (Uruguay) unter Leitung des Herrn Giebert – aber auch wirklich nach seiner Methode richtig bereitet werde, überwachen zwei von Liebig selbst ausgewählte Liebig’sche Schüler die Herstellung und weitere Behandlung des Extractes, der eine bei dem Etablissement in Südamerika, der andere bei dem Generaldepot in Antwerpen. Schließlich wird aber auch noch, vor der Auslieferung des Extracts, durch von Liebig selbst und seinen Delegirten v. Pettenkofer eine Untersuchung des Extracts vorgenommen. So kann demnach der Käufer sicher sein, daß er echtes Liebig’sches Fleischextract bekommt. Die auf dem Topfe befindlichen Etiquetten, welche die Fabrikmarke, so wie die Unterschriften der Herren v. Liebig und v. Pettenkofer tragen, müssen natürlich vom Käufer beachtet werden.[1]

Das echte Liebig’sche Fleischextract stellt einen hellbraunen, klebrigen, dicklichen Brei dar, der einen kräftigen Fleischgeruch und in heißem Wasser verdünnt und mit etwas Salz versetzt, einen angenehmen Fleischbrühgeschmack hat. Ein Viertel Theelöffel des Extracts reicht zu einer Tasse guter Bouillon hin und diese ist in wenig Minuten herzustellen; ein Pfund vom Extract mit Zusatz von Kartoffeln und Brod bildet eine kräftige Suppe für einhundertunddreißig Mann. Liebig selbst läßt in seiner Haushaltung eine Suppe davon, und zwar eine sehr schmackhafte, auf folgende Weise für sieben Personen bereiten: man nimmt zwei preußische Quart Wasser, setzt ein halbes Pfund grob zerschlagene Knochen oder zwei Loth Ochsenmark, so wie Suppengemüse hinzu, kocht bis zum Weichwerden der Gemüse (etwas über eine Stunde), nimmt alsdann die Knochen heraus und setzt zwanzig Gramm (11/4 Loth Zollgewicht) amerikanisches Fleischextract (aber nicht mehr) und die nöthige Menge Salz hinzu. Man ist dann nicht im Stande herauszuschmecken, daß diese Suppe aus Fleischextract und nicht aus frischem Fleische bereitet ist. – Dieses Fleischextract ist aber nicht etwa mit der Tafelbouillon (Consommé) zu verwechseln, denn diese ist nichts anderes als Tischlerleim. Auch hüte man sich vor anderen billigeren Fleischextracten, die in der Regel nur eine gallertartige, aus Leimsubstanz bestehende Masse sind, die leicht schimmelt, während das echte Extract durchaus nicht zum Schimmeln geneigt ist. Dasselbe conservirt sich, sogar ohne besondere Vorsicht, in jedem Klima und zwar viele Jahre lang.

Nach dem Liebig’schen Fleischextracte ist am meisten empfehlenswerth:

die condensirte oder concentrirte Milch,

welche vorzugsweise in der Schweiz bereitet wird und zwar, soviel dem Verfasser bekannt ist, an zwei Orten, nämlich in Cham bei Zug (von einer amerikanischen Gesellschaft) und in Vevey (von G. Keppel). Liebig hat die Chamer Milch analysiert und stellt ihr das Zeugniß aus, daß sie aus nichts Anderem als aus Kuhmilch und dem besten Zucker besteht, daß sie alle Eigenschaften einer vollkommen reinen versüßten Milch besitzt und daß deren vorzügliche Eigenschaften sie bald in den großen Städten, wo es täglich schwieriger wird, reine Milch zum Gebrauche in den Haushaltungen zu erhalten, einbürgern wird. Diese concentrirte Milch, die entweder in trockener oder in dickflüssiger Form zu haben ist, vertheilt sich in vier und ein halb bis fünf Theilen Wasser zu einer Flüssigkeit, welche alle Eigenschaften einer vollkommen reinen Milch hat, die mit etwas Zucker versüßt ist. Sie kann im Geschmacke nicht von frischer abgekochter Milch unterschieden werden und enthält: Wasser 22,44 und feste Substanzen 77,56; letztere werden von zugesetztem (feinem Colonial-)Zucker, von Butter, Milchzucker und Käsestoff von der in einem sogenannten Vacuum-Apparate eingedämpften Milch gebildet. Was nun Herr v. Liebig von der Chamer Milch sagt, kann Verfasser mit gutem Gewissen auch von der condensirten Milch des Herrn Keppel in Vevey und Kempten behaupten. Diese Milch, aufgekocht, hat einen äußerst angenehmen Geschmack nach guter, frischer, sahniger Milch, besitzt einen großen Nährwerth und dürfte auch zur Ernährung von Säuglingen sehr passend sein.

Die Malzextrakte,

sowie die verschiedenen Malzpräparate können, da sie keine oder nur äußerst wenige Eiweißstoffe enthalten, dagegen sehr reich an Zucker sind, nur an Stelle von fettigen und fettbildenden Nahrungsmitteln und Heizungsstoffen genossen werden. Sie lassen sich ziemlich leicht verdauen und können, weil sie keine gegohrenen Producte sind, weder durch Gehalt an Spiritus, noch durch ihre Kohlensäure und Hefe schaden. Beim Hoff’schen Malzextract ist dies aber der Fall, und deshalb gehört dieses dünne, mit mehreren Kräutern versetzte Braunbier gar nicht hierher und ist seines hohen Preises wegen zu den Geheimmittel-Schwindeleien zu rechnen.

Von den mir bekannten und benutzten Malzextracten kann ich empfehlen: 1. Das Malzextract von Löffland in Stuttgart, welches mit Liebig’s ausdrücklicher Genehmigung dargestellt ist; 2. das chemisch-reine, von Dr. Linck bereitete Malzextract, welches einen kleinen Zusatz feinen Hopfens hat und in Stuttgart verkauft wird; 3. das nach Linck in der Fabrik von M. Diener in Stuttgart bereitete Malzextract; 4. das kleberhaltige Malzpräparat des Dr. Döbereiner in Freiburg an der Unstrut, welches außer seinem Eiweiß-(Kleber-)Gehalte auch noch die phosphorsauren Salze der Gerste enthält; 5. das Trommer’sche Malzextract; 6. das Fleischer’sche stark- und schwachgehopfte Malzextrakt (in Leipzig); 7. der Malz-Syrup von C. I. Uhlig in Charlottenburg. Alle diese Malzextracte können in Wasser, Bier, Milch etc. und nach Bedürfniß in kleinerer oder größerer Quantität genossen werden. – Daß die Malzpräparate als ausgezeichnete Heilmittel bei Lungenkrankheiten und dergleichen nützen könnten, ist kindischer Aberglaube.

Bock.



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Skizzen aus dem Land- und Jägerleben.

Wort und Bild Ludwig Beckmann.
3. Eine Otterhetze.

Auf dem holperigen Knüppeldamme, der sich zwischen den letzten armseligen Hütten eines Haidedorfs hervorwindet und quer über das nahe Torfmoor führt, schritten am Abend eines heißen Julitages vier Jäger dahin, gefolgt von ihren Hunden. Es handelte sich um einen Anstand auf junge Wildenten, welche unter Anführung ihrer Mütter ihre ersten Flugexercitien allabendlich über der weiten Moorfläche ausführten. Bei der Ueberbrückung eine breiten Wassergrabens verließen wir den Damm, zwei meiner Gefährten wählten hier ihren Stand hinter den alten Kopfweiden, während der localkundige Revierjäger mich ersuchte, ihn zu einem tiefer im Bruche gelegenen Teiche zu begleiten.

Hart am Rande eines schmalen Abzugsgrabens, in welchem rothes, eisenhaltiges Wasser stagnirte und in allen Regenbogenfarben schillerte, führte uns ein unscheinbarer Pfad halb zwischen sumpfigen Lachen und dürren Graskaupen, bald neben bodenlosen Torflöchern und über tückischen Moorgrund von gleißend grüner Farbe sicher dahin, bis wir endlich vor einer riesigen Schilfrohrwand am Ufer des Teiches anlangten. Mein Führer rieth mir, hier meinen Stand einzunehmen, und trabte dann eiligst weiter zum anderen Ende des Teiches, denn die Sonne ging bereits zur Rüste. – Nachdem ein rascher Ueberblick mich belehrt, daß mein Platz eben nicht comfortabel, indeß auf der ganzen Fronte von gleicher Beschaffenheit sein würde, brach ich zunächst eine Schießlücke in das dichte Geröhricht und zündete eine Cigarre an. Das Gewehr schußfertig im Arm, wartete ich nun in aller Ruhe der Enten, die da kommen sollten.

Wenn man längere Zeit hindurch sich ausschließlich in sehr cultivirten Districten ausgehalten, wo jeder Fußbreit Landes sorgfältig bearbeitet und ausgenutzt wird, so macht so ein urwüchsiger Torfbruch immer einen eigenthümlichen melancholischen Eindruck. Namentlich an dem heutigen gewitterschwülen Abende, wo ein tiefes Schwarzblau fast den ganzen Himmel überzog, nur am westlichen Horizont von einer glühend rothen Schicht durchbrochen. Tiefe Stille lagerte über der weiten graugrünen Moorfläche, auf welcher nur einzelne dunklere Punkte - die Erlenbüsche an den Gräben – und größere dunkle Streifen – das Schilf der Teiche und Torflöcher – hier und da neben blinkenden kleinen Wasserflächen zerstreut waren. Kein lebendes Wesen war zu erblicken, nur ein hungeriger Sperber strich in niedrigem Fluge rasch zwischen den Ginsterbüschen am Hügel dahin. Es war wohl der letzte Tagesgast, denn das Roth im Westen ist allmählich verglommen und in trübes Grau übergegangen, ein weißer horizontaler Nebelstreif zeigt sich bereits unten auf dem Moore und rückt mit jeder Secunde näher. Jetzt sind schon die Ausläufe der niederen Hügelkette rechts im Nebel verhüllt und bald erscheint das ganze Moor nur noch wie ein weiter dampfender See, so daß meine leidenschaftlichen Betrachtungen ausschließlich auf die allernächste Umgebung beschränkt werden.

Letztere ist allerdings nicht sehr erquicklich, und es gehört wirklich schon etwas Jagdpassion dazu, an einem solchen Platze im Monat Juli oder August nach Sonnenuntergang auch nur eine Viertelstunde lang auszuharren! Ringsum von hohem, schneidigem Schilf und klebrigen Erlenblättern umgeben, abwechselnd mit dem einen Fuße im Wasser, mit dem andern auf einer winzigen Graskaupe stehend, versucht man vergebens, durch anhaltendes Kopfschütteln, Cigarrendampf etc. sich der Myriaden von Mücken zu erwehren, welche mit der zunehmenden Dunkelheit in immer dichteren Schwärmen dem feuchten Grunde entsteigen und immer unverschämter und rücksichtsloser Gesicht und Hände des unglücklichen Entenjägers belagern und zerstechen. Der arme Hund zu unseren Füßen ist bereits völlig nervös geworden, und um ihn nur einigermaßen zu beruhigen, bleibt nichts übrig, als ihn mit dem leinenen Regenkittel zu überdecken, so daß nur Nase und Augen hervorstehen, denn er will doch wissen, was um ihn her vorgeht.

Ein Paar Nachtschwalben, welche in lautlosem Fluge vorübergaukeln und dann im Nebel verschwinden, entziehen uns für einige Augenblicke diesen trüben Betrachtungen. Dann läßt sich hoch über unserem Kopfe ein sonores, feierliches Brummen in der Luft vernehmen – es ist der große Hirschkäfer, der „fliegende Hirsch“ der Franzosen, welcher vom fernen Eichenwalde her quer über das Moor streicht. Sonst ist Alles todtenstill und außer dem monotonen „Singen“ der Mücken hört man nur hin und wieder das Plumpsen der Frösche in den Wassergräben, denn ihre Quak-Saison ist ja glücklicherweise bereits vorüber.

Fi–titititititi! erschallt endlich der helle, pfeifende Flügelschlag der Enten in der Ferne. Näher kommen sie in reißendem Zuge, dort gegen den hellen Streif am Abendhimmel sind die Langhälse bereits deutlich sichtbar, die Alte voraus – hinterdrein die Jungen, des Fluges noch ungewohnt, denn ab und zu kommt eins aus der Balance, schlägt einen Purzelbaum in der Luft und arbeitet nun aus Leibeskräften, um wieder in Reihe und Glied zu kommen. Vorläufig bleiben sie außer Schußweite, allein sie werden wiederkehren oder ein anderer Schütze wird bei einer Seitenschwenkung der Kette glücklicher sein. –

Volle fünf Minuten haben wir – der Enten wegen – mit verhaltenem Athem, unbeweglich wie eine Salzsäule, in gespanntester Erwartung dagestanden und die Mücken haben diese Gelegenheit redlich benutzt! Die rechte Hand, welche den Gewehrschaft umspannt hält, leidet am meisten, sie ist buchstäblich von einer dicken grauen Schicht Mücken bedeckt. Unwillkürlich fahren wir rasch mit den Fingern der Linken darüber, welche auf dem rechten Handrücken sofort vier breite, nasse Streifen zurücklassen, die wir bei näherer Betrachtung wohl für unser eigenes rothes Blut ansprechen müssen, welches uns inzwischen von einer Unzahl dieser kleinen Vampyre abgezapft wurde!

In diesem Augenblicke stupste mein Hund – welcher unter seinem Jagdkittel hervor aufmerksamer als ich den Wasserspiegel betrachtet hatte – plötzlich seine breite Nase leise, leise gegen mein Bein, um mir anzudeuten, daß etwas in Sicht sei. Ich entdeckte indeß nichts, als weiter unten im Uferschatten links einen schmalen bewegten Wasserstreifen, wie ihn wohl eine schwimmende Wasserratte zu verursachen pflegt.

Brahk! brahk! – brahk! erschallte weiter rechts plötzlich der heisere Angstschrei eines alten Erpels, der sich mit lautem Geplätscher am jenseitigen Ufer erhob. – Ich wagte einen Schnappschuß durch Schilf und Nebel dahin – er glückte, und kopfüber schlug der unglückliche Erpel mit schwerem Falle aufs jenseitige Ufer nieder.

„Couche! Pascha! – keine Ueberstürzung, zum Apportiren ist nachher Zeit; dort drüben streichen bereits wieder Enten.“ – Der Hund legte sich gehorsam nieder, während ich in aller Eile den abgeschossenen Lauf lud und mir nebenbei den Kopf zerbrach, wie der Erpel so unbemerkt auf den Teich gekommen sein möge und was ihn wohl so erschreckt und zum Aufstehen gebracht haben könne. – Da knallte der Revierjäger am anderen Ende des Teiches zwei Mal kurz hintereinander, was immer ein faules Zeichen ist. Dann hörte ich, wie er seinen Hund hetzte und wie dieser ein jämmerliches Klagegeheul ausstieß, welches allmählich in ein erbittertes Verbellen überging.

„Schicken Sie Ihren Hund doch ’mal herunter, Herr X.,“ rief der Jäger mir zu, „ich habe einen Otter hier im Graben!“ Nun war das allerdings eine gelinde Zumuthung, allein mein Pascha war ein zäher, rauflustiger Camerad, der in derartigen Aventuren bereits einige Praxis hatte, und so ließ ich ihn denn mit „Waidmanns Heil“ von dannen fahren.

„Avance! Pascha! faß ihn!“

Das ließ sich Pascha nicht zwei Mal sagen – mit einem Satze war er von seinem Lager und aus dem Schilfe heraus – mit dem zweiten Satze aber – mitten im Teich, um seine heißersehnte Ente zu apportiren! Dabei schleifte er meinen Jagdkittel noch mindestens fünf Schritte weit auf dem Rücken mit sich in’s Wasser.

Wohl hätte ich mir nun an den Fingern abzählen können, daß es so kommen werde, allein wer kann auch an Alles denken?

Als Pascha seine Ente und ich meinen Kittel herausgefischt hatte, beeilten wir uns, dem Revierjäger zu Hülfe zu kommen. Der Otter hatte sich inzwischen auf ein für Menschen fast unzugängliches Sumpfterrain unter einen Weidenbusch geflüchtet und ließ sich dort von dem Hunde verbellen.

[189]

Die Jagd auf den Otter.

[190] Jetzt kamen auch unsere beiden Gefährten vom Weidengraben herauf, und da die zunehmende Dunkelheit die Anwendung des Schießgewehrs bereits mißlich machte, so ward beschlossen, sämmtliche Hunde zugleich an den Otter zu hetzen, um der Sache rasch ein Ende zu machen.

Der Revierjäger behauptete, der Otter könne in Folge seiner beiden Schüsse schwerlich noch Widerstand leisten, vielleicht sei er bereits verendet. Diese Ansicht erwies sich indeß bald als ein großer Irrthum; der Otter hatte einen günstigen Moment benutzt, um sich unbemerkt davonzuschleichen, und ließ des Revierjägers Hündin vor dem leeren Busche verbellen, so lange sie wollte. Die Hunde umschwärmten, die Nase am Boden, in immer größeren Kreisen den Platz, und im Handumdrehen waren alle vier in der Richtung nach dem Damme zu im Nebel verschwunden.

Jenseits des Knüppeldammes, lag ein zweiter größerer Teich, und wenn es dem Otter gelang, diesen zu erreichen, so war er gerettet und der Revierjäger um einen schönen Balg betrogen. Wir eilten daher dem Damme zu und waren kaum dort angelangt, als weiter oben ein Hund laut wurde und unter abwechselndem Verbellen und Nachsetzen in dem seichten Schilfgraben, am Fuße des Dammes, uns näher und näher rückte. Wahrscheinlich hatte der Otter die steile Böschung des Dammes nicht rasch genug erklimmen können und suchte nun, vom Hunde gedrängt, einen günstigeren Uebergang zu dem nahen Teiche.

Jetzt tauchte ein zweiter Hund aus der Dämmerung hervor; es war Pascha, der stolze weiß und schwarz, gefleckte Setter, welcher mit seinem fliegenden Fahnenschweif wie ein leuchtendes Meteor durch das Nebelmeer daherstrich. Dicht hinter ihm folgten die beiden letzten Hunde und im Nu. hatten sie den Flüchtling erreicht und gefangen. Ein wahrer Höllenlärm erhob sich; der wirre Knäuel wälzte sich in toller Hast zu unseren Füßen in dem Graben dahin, daß die Rohrstengel links und rechts knackten und knatterten wie Kleingewehrfeuer. Endlich trat Stillstand ein. Pascha hatte sich quer über die heulende Juno geworfen und hielt den geschmeidigen bissigen Feind am Halse. Der Revierjäger benutzte diesen günstigen Moment, und ein wohlgezielter Stockhieb über die Nase des Otters beschleunigte dessen Ende.

Als wir mit unserem Fange endlich den Heimweg antraten, schätzten wir uns glücklich, den sichern Boden des alten Knüppeldammes unter den Füßen zu haben, denn es war inzwischen so finster geworden, daß man nicht zwei Schritte weit sehen konnte. In der Dorfschenke rasteten wir und untersuchten zunächst unsere Hunde, welche gegen Erwarten trotz allem Hinken und Kopfschütteln nur ganz unbedeutende Verletzungen zeigten. Der Otter war ein feistes männliches Exemplar von ungewöhnlicher Stärke und – den völlig abgenutzten Fang- und Schneidezähnen nach zu urtheilen – von hohem Alter. Diesem Umstande hatten wir es wohl vorzugsweise zu danken, daß unsere Hunde bei der Rauferei so gnädig davon gekommen, denn der Otter beißt bekanntlich am schärfsten unter allem einheimischen Raubzeuge und bleibt für den Hund immer ein furchtbarer Gegner. Eine Otterhetze ist daher überhaupt nicht Sache des Vorstehhundes; allein „Noth bricht Eisen“, wie das Sprüchwort sagt. Wir sind eben im Raffinement unseres Jagdvergnügens noch nicht so weit gediehen wie die Engländer, welche für jede Wildart und Jagdmethode eine besondere Hunderace gezüchtet haben.

In Anbetracht der erwähnten schlechten Beschaffenheit des Gebisses unsers Otters war uns dessen außerordentliche Corpulenz einigermaßen auffallend, in späterer Zeit habe ich jedoch bei längerem Aufenthalt in österreichischen Gegenden dieses anscheinende Mißverhältniß öfter wahrgenommen und glaube, daß dem Otter der Fischfang im Allgemeinen nicht so sauer wird, wie man wohl im Hinblick auf die blitzähnliche Beweglichkeit der Fische in ihrem Elemente vorauszusetzen geneigt ist. Der Fisch ist in Folge der Stellung seiner Augen und seiner ganzen Bauart unfähig, gerade unter sich zu sehen. Es ist sicher anzunehmen, daß der Otter diese Schwäche seines flüchtigen Raubes instinctiv kennt oder im Lauf der Praxis kennen lernt und, wo es irgend thunlich, zu seinem Vortheil benutzt; denn er ist ein intelligentes Raubthier, welches, wie der Fuchs, seine Fangmethode nach den gegebenen Verhältnissen mannigfach abändert.

Wir hoffen später einmal Gelegenheit zu haben, in diesen Blättern auf die Lebensweise des interessanten Geschöpfes, welches im Habitus und Naturell gewissermaßen einen Uebergang vom Marder zum Seehund bildet, ausführlicher zurückzukommen.




Ein Opfer aus Deutschlands schwerster Noth.

Auch eine Erinnerung an Compiègne.
Von Sigmund Kolisch.

Nichts weiter als ein vorüberzuckender Sonnenblick war der Vortheil, welchen Erzherzog Karl am 21. und 22. Mai 1809 bei Aspern über Napoleon erfochten. Dem flüchtigen Siege folgte auf dem Fuße die entscheidende Niederlage. Sechs Wochen nach der Schlacht bei Aspern, 5. und 6. Juli, wurde das österreichische Heer von den Franzosen bei Wagram geschlagen und das überwundene Donaureich erwartete sein Schicksal aus dem Munde des Gebieters über Europa, der, indem er Kronen verlieh und entzog, die Gottesgnade um das herkömmliche Ansehen brachte. Mit Bangen las man in der Hofburg jeden Morgen den Moniteur, um zu sehen, ob nicht das Haus Habsburg-Lothringen aus dem Buch der Könige gestrichen sei, wie es vor Kurzem dem Haus Braganza widerfahren. Indeß begnügte der Eroberer sich mit der Forderung eines harten Tributs, den zu verweigern der gedemüthigte Kaiser Franz nicht wagen konnte. Nebst den erheblichen Geldsummen, die als Kriegsentschädigung zu bezahlen waren und den Völkern zur Last fielen, mußte Oesterreichs Herrscher sich bequemen, dem verhaßten Emporkömmling seine Tochter zur Frau zu geben und auf diese Weise zur Fortpflanzung des Stammes beizutragen, dessen Vernichtung ihm so sehr am Herzen lag. Mit dem Fürsten Heinrich Schwarzenberg, der um jene Zeit Oesterreich am französischen Hofe vertrat, wurde die Sache zu Paris abgemacht, nachdem der Czar Alexander auf eine Eröffnung dieser Art von Seiten der französischen Agenten mit hohlen Umschweifen und hinhaltenden Doppelsinnigkeiten geantwortet hatte, die einer Zurückweisung jedenfalls sehr ähnlich sahen. Und zwar wurde die Unterhandlung so eingeleitet, daß es aussah, als ob der Heirathsantrag von dem Wiener Cabinet ausgegangen wäre. Auch dieser Demüthigung mußte der besiegte Fürst sich unterziehen, das „Vae Victis“ welches er früher und später Andere so hart empfinden ließ, mußte er nun selbst empfinden. Trotz aller Schonung und Vorsicht, mit welcher man vorging, wirkte die Allkündigung der vereinbarten Ehe niederschmetternd auf die neunzehnjährige Prinzessin Marie Louise; es war ihr, als ob sie, ein ausersehenes Opfer, den Armen eines Ungeheuers überliefert werden sollte.

Man hatte sie im Haß gegen den Eroberer großgezogen und sie daran gewähnt, Napoleon als einen Räuber, einen gesetzlosen Räuber zu verabscheuen. Selbst von Anerkennung des erstaunlichen Genies wurde sie durch Lehre und Beispiel zurückgehalten. Sie hatte an dem merkwürdigen Manne Alles mißachten, seine glänzendsten Vorzüge, selbst seinen Kriegsruhm leugnen gelernt. In ihre Kinderspiele sogar hatte die Feindseligkeit gegen den ungerathenen Sohn der Revolution sich gemischt. Sie, ihr Bruder und ihre Schwestern, wenn sie sich recht angenehm die Zeit verkürzen wollten, stellten Holzsoldaten, welche ihnen das französische Heer bedeuteten, in Reihen auf. Zum Befehlshaber dieser Schaar machten sie die häßlichste, bärtigste, durch ein wildes Aussehen am meisten abstoßende Figur, und an diesem Napoleon in effige ließen sie all’ ihren Zorn aus, indem sie ihm Nadelstiche, Ohrfeigen, Nasenstüber versetzten und ihm überhaupt die gröblichsten Beschimpfungen und Mißhandlungen angedeihen ließen. Mit Thränen unterwarf sich die Prinzessin dem Willen ihres kaiserlichen Vaters, mit Thränen willigte sie in den Ehebund, der sie zur vielbeneideten Gemahlin des mächtigsten Fürsten der Erde machte.

Maria Louise, als Kaiser Napoleon um sie warb, war eine kräftige, blühende Erscheinung. Die strotzenden Formen, die runden frischen Wangen hätten in ihr eher ein Kind der ländlichen Flur, in freier Luft emporgewachsen, als die Fürstentochter in der beschränkten [191] drückenden Atmosphäre des Hofes großgezogen, vermuthen lassen. Eine Fülle hellbrauner Haare umrahmte weich und üppig das oval geformte, lebhaft gefärbte Angesicht. Augen voll Sanftmuth blickten mit einer fast kindlichen Unbefangenheit unter den sanft gewölbten Brauen hervor. Die wulstige Unterlippe verrieth den Stamm, welchem sie entsprossen. Ihr ganzes Wesen athmete Jugend, Arglosigkeit und Unschuld.

Die Art, wie diese Prinzessin, wie damals österreichische Prinzessinnen erzogen wurden, verdient mit besonderem Nachdruck hervorgehoben zu werden, denn sie ist höchst charakteristisch für die in der Hofburg herrschenden Anschauungen und erklärt das Bevormundungssystem, nach welchem eine väterliche Gewalt die Völker zu beglücken gesucht. Sie erklärt die politischen Mißgriffe, die man komisch finden müßte, wenn sie in ihren Folgen nicht so herzbrechend tragisch wären.

Maria Louise blieb nach der angenommenen Erziehungsmethode in einer streng beobachteten Entfernung von dem geräuschvollen Treiben des Hofes, umgeben von den ihr zugewiesenen Frauen und Dienern, die sie um so freundlicher behandelte, je ausschließlicher sie auf deren Gesellschaft angewiesen war. Ihre Obersthofmeisterin war die Gräfin Colloredo, ihre eigentliche Erzieherin (Gouvernante) die Gräfin Lazarski, die ihrem Zögling sehr zugethan und auch sehr theuer war und blieb. In dieser Abgeschiedenheit war das Lernen der Erzherzogin ein Bedürfniß, eine Zerstreuung; auch sprach sie mehrere Sprachen, sogar Lateinisch hat sie getrieben, sie musicirte und zeichnete nicht ohne Talent und Geschmack, und – nun kommen wir auf den Punkt, den wir so dringend der Aufmerksamkeit empfohlen haben: damit die Prinzessinnen vor jedem Eindruck bewahrt blieben, der nur im Entferntesten ihren keuschen Sinn trüben, ihre Sinnlichkeit anregen konnte, wurden aus den Büchern, die man ihnen zu lesen gab und empfahl, Seiten, Sätze, Zeilen, ja sogar Wörter herausgeschnitten, wenn dieselben die leiseste Anspielung auf geschlechtliche Verhältnisse enthielten oder auch nur zu einer unmoralischen Auslegung Anlaß geben konnten. Die natürliche Folge dieser verkehrten Maßregel war, wie es Maria Louise nachmals als Kaiserin der Franzosen unumwunden aussprach, daß die fehlenden Stellen in den censurirten Büchern die Phantasie und das Interesse der jungen Leserinnen am meisten und bis zur Ermüdung beschäftigten und daß für den stehengebliebenen Text auch nicht die geringste Theilnahme übrig blieb. Nichts Dringenderes hatte die Kaiserin der Franzosen zu thun, sobald sie die Freiheit zu lesen gewonnen hatte, als von den weggeschnittenen Stellen in den vollständigen Büchern, welche sie herbeischaffen ließ, Kenntniß zu nehmen. Die Geschichte der Censur im Kleinen! Noch einer Vorsicht muß hier gedacht werden, welche zur Aufrechterhaltung der Nonnenhaftigkeit bei den Prinzessinnen gebraucht wurde. Nicht ohne Lachen vermag ich die Seltsamkeit vorzubringen. Es wurde nämlich dafür gesorgt, daß die Hausthiere, welche den Erzherzoginnen in die Nähe kamen, weiblichen Geschlechtes waren, die Männchen blieben von der Ehre dieser Nähe unerbittlich ausgeschlossen, auf daß sie nicht durch irgend eine Kundgebung die unmoralische Neugierde der erlauchten Damen erregten.

So war das Weib gebildet und erzogen, welches gegen seinen Willen von den politischen Verhältnissen auf den französischen Kaiserthron emporgehoben wurde. Sie betrachtete es als ein Herabsteigen, obwohl sie bald auf andere Gedanken, zu einer anderen Ueberzeugung kam.

Am 16. Februar 1810 unterzeichnete Kaiser Franz den Ehecontract. Den 27. tauschten Herr Otto und Graf Metternich die Ratificationen aus. Am 11. März fand die Vermählungsfeier in der Augustinerkirche zu Wien statt. Der abwesende Franzosenkaiser wurde auf seinen Wunsch bei der Feierlichkeit durch den Erzherzog Karl vertreten. Sein außerordentlicher Abgesandter, der Fürst von Neuschatel und Wagram, ein Titel, der schlecht zu der Gelegenheit paßte war zugegen. Der Vermählung folgte ein glänzendes Bankett am Hofe.

Am 14. März schied die Prinzessin unter Thränen von ihrer Familie und der geliebten Stadt Wien. Die Glocken läuteten, die Kanonen donnerten, an den Fenstern der Häuser wehten Fahnen, dreifarbige neben der schwarzgelben, und die Bande der kaiserlichen Garde ließ französische Militärmusik ertönen, nicht die Marseillaise natürlich, die dem Kaiser Napoleon in dem Maße wie dem Kaiser Franz ein Gräuel war.

Von dem Augenblicke an, wo die junge Kaiserin französisches Gebiet betrat, glich ihre Reise einem Triumphzug. Amtliche und nicht amtliche Huldigungen traten auf dem Wege von Straßburg nach Compiégne ihr entgegen. Ueberall, wo sie anhielt, traf sie einen Pagen und einen Officier des kaiserlichen Hauses, die Briefe von dem Gebieter überbrachten. Napoleon hatte außerdem die liebenswürdige Aufmerksamkeit, anzuordnen, daß jeden Tag ein Reisebericht an den Vater der Kaiserin nach Wien geschickt wurde. Unnöthig zu sagen, daß der Befehl mit militärischer Pünktlichkeit ausgeführt ward. Ueberhaupt zeigte der sonst eben nicht sehr zartfühlende Herrscher sich seiner jungen Gemahlin gegenüber von einer überraschenden Galanterie. Es schien dem Gewaltigen mit einem Mal wie seinem Vorfahr der Sage eine Zeitlang am Spinnrocken zu gefallen. Die Hofleute konnten nicht genug staunen. Durch acht Tage blieb der Schlachtenmeister allein in Compiégne, um vor seinen Augen die nöthigen Vorkehrungen zum Empfang der Fürstin treffen zu lassen. Er gab selbst die Einrichtung ihrer Wohnung an. Seitdem sie auf französischem Boden sich befand, schrieb er ihr täglich einen eigenhändigen Brief, was um so höher anzuschlagen ist, als es dem mächtigen Fürsten die größte Anstrengung kostete, nur halbwegs leserlich zu schreiben. Meist lagen diesen Briefen Blumensträuße oder von ihm selbst erlegtes Wild bei. Wenn er von der Prinzessin eine Antwort auf eines dieser Schreiben erhielt, geberdete er sich wie ein Verliebter der Komödie, er verbarg seiner Umgebung die Freude gar nicht, welche in den schlichten Auslassungen seiner Gemahlin die unbefangene Darstellung von allerlei Einzelnheiten ihm verursachte. Der Kaiser ging in seiner Liebhaberrolle so weit, daß er von dem damaligen Modeschneider Leger ein bürgerliches Phantasiegewand sich fertigen ließ und sich entschloß, gegen dasselbe zum Empfang seiner Gemahlin die Uniform einzutauschen. Allein er gewahrte und seine Schwester Pauline, deren Stimme in solchen Dingen von Gewicht war, bestätigte es, daß ihm der Anzug schlecht stand, und er kehrte zu seiner Uniform zurück.

Die Ungeduld Napoleon’s, seine junge Gemahlin zu haben, war so groß, daß er das festgesetzte Programm der Begegnung umstieß und der Bestimmung durch den Ceremonienmeister voraneilte, ob er gleich der Hofregel sonst große Rechte einräumte.

Wie ursprünglich angeordnet war, sollte das Zelt in der Mitte zwischen Soissons und Compiègne der Schauplatz sein, wo die beiden Gatten zusammentrafen. Die Fürstin sollte sich verneigen, von dem Gatten aber mit den Armen aufgefangen und geküßt werden. Statt dieser Förmlichkeit folgte Napoleon einer augenblicklichen Eingebung, dem Drang seiner Gefühle. So wie er von seiner Gattin die Anzeige erhielt, daß sie von Soissons aufgebrochen, beschloß er ihr ungesäumt entgegen zu fahren. Er ließ einen Wagen ohne jedes Abzeichen anspannen, in welchen er mit seinem Schwager Murat, dem König von Neapel, stieg, und incognito verließ er Compiègne. Einige Meilen von Soissons begegnete er dem Zug der Kaiserin; näherte sich dem Wagen der Gemahlin, ohne von ihr erkannt zu werden. Erst als ihr Oberstallmeister ihn nannte, wußte Maria Louise, daß der kaiserliche Gemahl vor ihr stand. Ob sie gleich sein Bild zugesendet und auch sonst in der letzteren Zeit günstige Auskünfte über die Persönlichkeit des gefürchteten Eroberers erhalten hatte, wurde sie doch durch den schönen, antikgeschnittenen Kopf des Kaisers auf’s Angenehmste überrascht. Die Erscheinung des Mächtigen, dessen Auge so fest und erdrückend stolz blickte, machte einen überwältigenden Eindruck auf die harmlose Prinzessin, deren Seele eine sorgfältig ängstliche Erziehung vor jeder Aufregung zu bewahren gesucht hatte.

Der Kaiser nahm neben ihr im Wagen Platz und fort ging es nach Compiègne.

Da sich in dieser Stadt das Gerücht von der Ankunft der Kaiserin verbreitet hatte, gerieth die gesammte Einwohnerschaft, und besonders die amtliche Welt, in Bewegung. Rasch wurde eine allgemeine Beleuchtung angeordnet, die bereits errichteten Triumphbögen wurden geschmückt, und trotz des herrschenden Unwetters wogte die Menge dem Fürstenzug entgegen. Man glaubt gar nicht, wie groß der Heldenmuth der Neugierde ist. Um zehn Uhr Nachts langte der Zug an, Kanonen verkündigten das Ereignis. Prinzen und Prinzessinnen des kaiserlichen Hauses warteten am Eingang des Palastes und würden von dem Kaiser seiner Gemahlin vorgestellt. Ein Schwarm junger Mädchen überbrachte der neuvermählten Fürstin Blumen und einen wohleinstudirten [192] Glückwunsch. Fürst Schwarzenberg, der nachmalige Befehlshaber bei Leipzig, in seiner Eigenschaft als österreichischer Gesandter war zugegen und legte dem kaiserlichen Paar seine Huldigungen zu Füßen. Nach dieser kurzen Empfangsfeierlichkeit führte der Kaiser seine Gemahlin in ihre Gemächer und nahm mit ihr und seiner Schwester Carolina, der Königin von Neapel, das Abendbrod ein. –

Marie Louise war und blieb eine gute Prinzessin sanften Charakters, voll Liebe zur Ordnung und zur Sparsamkeit, mäßig in ihren Wünschen, allem Außerordentlichem feindlich. Die Größe des Aufschwunges, deren ihre Großtante Marie Antoinette fähig war, lag ihrem Wesen fern. Sie erhielt für ihre Privatausgaben die bescheidene Summe von fünfzigtausend Franken monatlich, von denen zehntausend zur Vertheilung unter die Armen bestimmt waren, sie wußte aber so zu rechnen und sich zu beschränken, daß sie nicht nur mit dem Gelde auskam, sondern stets über fünfundzwanzigtausend Franken verfügen konnte. Sie versagte sich einen Rubinenschmuck, der ihr angeboten wurde und sehr gefiel, weil der Ankauf desselben um sechsundvierzigtausend Franken ihre Finanzen zerrüttet hätte. Diese Tugend der Enthaltsamkeit fand ihren Lohn; denn Kaiser Napoleon, der durch einen Zufall von diesem Zuge seiner Gemahlin Kenntniß erhielt, machte ihr einen weit schöneren Rubinenschmuck, der mit hunderttausend Franken bezahlt wurde, zum Geschenke. Den Franzosen war die Prinzessin zu nüchtern und verschlossen. Weit mehr entsprach ihrem Geschmacke die ungebundene, gefällige Weise Josephinens. Auch gewann die Oesterreicherin in ihrem neuen Vaterlande bei Weitem nicht so lebhafte Sympathien, wie die Creolin. Selbst dem Kaiser, ihrem Gatten, dem man eben auch nicht übermäßige Lustigkeit vorwerfen kann, war sie bisweilen zu ernst, und in Mußestunden gab er sich Mühe, ihr durch allerlei Scherze ein Lächeln abzugewinnen.

Mehr als den Franzosen sagte das Wesen der Oesterreicherin den ruhig besonnenen Holländern zu, wie sich dieses auf der Reise zeigte, die das Kaiserpaar, kurz nach der Geburt des Königs von Rom, durch Holland unternahm. Und dieser Umstand charakterisirt die Lebensgefährtin des ersten Napoleon genauer, als die sorgfältigste Schilderung. Die Bescheidenheit der Kaiserin, welche in Paris getadelt oder gar verspottet wurde, fand Anerkennung und Beifall in Amsterdam. Dort nahm man sie für stolze Ueberhebung, hier für weibliche Würde.



Blätter und Blüthen.

Mendelssohn-Denkmal. Es verlautet, die Gesellschaft der „Zwanglosen“ in Leipzig hege den Plan, unserem trefflichen Mendelssohn-Bartholdy ein Denkmal zu setzen. So sehr dies auch eine Schuld der Pietät abzutragen scheint, so möchte es doch vielleicht am Platze sein, Mendelssohn’s Worte über Monumente in’s Gedächtniß zurückzurufen. Dieser schreibt unter dem 30. November 1839 an Moscheles in London: „Wenn Du sähest, wie häßlich sie’s in Deutschland jetzt mit den Monumenten treiben! … Sie speculiren auf die großen Männer, um sich von ihren Namen einen Namen zu machen, posaunen in den Zeitungen und machen mit den wirklichen Posaunen schlechte Musik. ‚Unerquicklich wie der Nebelwind’. Wenn sie in Halle für Händel, in Salzburg für Mozart, in Bonn für Beethoven etc. ordentliche Orchester bilden wollen, die die Werke gut spielen und verstehen können, da bin ich dabei – aber nicht bei ihren Steinen, wo die Orchester noch ärgere Steine sind, und nicht bei ihren Conservatorien, wo nichts zu conserviren ist. Mein Steckenpferd ist jetzt unser armes Orchester und seine Verbesserung. Ich habe ihnen mit unsäglicher Lauferei, Schreiberei und Quälerei eine Zulage von fünfhundert Thaler ausgewirkt und eh’ ich von hier weggehe, müssen sie mehr als das Doppelte haben. Wenn das die Stadt thut, so kann sie auch Seb. Bach ein Monument vor die Thomasschule setzen. Aber erst die Zulage!“

So dachte und schrieb der enthusiastische Verehrer Bach’s, der selbst so viel gethan, um diesem Meister ein Denkmal zu verschaffen. Aber für die erste Zeit hielt er die Verbesserung der Lage seiner Orchestermitglieder für das Dringendste. Und wie hat er sich für diese Aufgabe eingesetzt! Schon am 7. Februar 1810 konnte er seinem Bruder Paul seine Freude über die Gehaltserhöhung der Musiker ausdrücken, für die er auch in einer Eingabe an den „hochedeln und hochweisen Rath der Stadt Leipzig“ vom 3. October 1843 sich auf’s Wärmste verwendet.

Alles dieses scheint den Vorschlag wohl gerechtfertigt zu machen, jene verehrliche Gesellschaft möchte lieber zu einer Mendelssohnstiftung auffordern, die sich der Aufgabe unterzöge, die materielle Stellung und allgemeine Bildung der deutschen Musiker zu verbessern.

Wien, den 27. Februar 1868.
Dr. A. H–tz




Ameise und Blattlaus. Die Gartenlaube hat schon so oft Mittheilungen gebracht, welche von einem Nachdenken der Thiere Zeugniß ablegen sollen und können, aber soviel ich mich erinnere, sind diese Zeugnisse noch nie so tief in der Thierwelt hinabgestiegen als bis dahin, wohin ich gegenwärtig die Aufmerksamkeit der Leser lenken möchte.

Die jungen Apfel und Birnbäume in meinem neu angelegten Garten blühten jedes Jahr, selten brachten sie jedoch vollständig ausgewachsene, gesunde Früchte, ja, meistens fielen die Blüthen ab, ohne Frucht angesetzt zu haben. Es konnte meiner Aufmerksamkeit nicht wohl entgehen, daß auf diesen Bäumen sich eine starke Bevölkerung von Ameisen befand, welche beständig den Stamm auf und niederliefen. Nun war mir auch bekannt, daß diese Thierchen den auf den Blättern befindlichen Blattläusen ihre Besuche machen, oder daß vielmehr die Blattläuse ihre Kühe sind, zu denen sie zum Melken gehen; ebensowohl war mir bekannt, daß weder Ameisen noch Blattläuse die wahre Ursache von dem Verdrusse an meinen Bäumen waren, sondern die Verdickung der Säfte, welche bald durch Dürre, bald durch Stockung in Folge plötzlich eingetretener Kälte hervorgebracht wird. Dennoch war mir die freche Thätigkeit der Ameisen ärgerlich, und ich beschloß, ihnen wenigstens eine Verlegenheit zu bereiten. Ich nahm von dem Theer aus der Schwammdose meiner Tabakspfeife und zog davon einen fingerbreiten und hohen Ring rings um den Stamm eines der Bäume. Als nun die Ameisen von den Aesten des Baumes heruntergekommen waren, fanden sie den Theerring, machten einige Versuche, einen Durchgang durch denselben zu gewinnen, sobald sie sich aber überzeugt hatten, daß dieses Bemühen doch ohne Erfolg bleiben mußte, gingen sie ohne langes Bedenken schnell wieder an dem Stamm in die Höhe. Bald darauf kamen die Ameisen in einer großen Schaar von oben herunter, jede trug eine Blattlaus und drückte diese in den Theer; darauf ging es wieder “nach oben, und das Pflastern mit den Blattläusen wurde so lange fortgesetzt, bis eine Brücke über den Ring fertig war, worauf die fleißigen Arbeiter alle, ohne sich zu beschmutzen, darüber hinweggingen. Die Folgerungen aus diesem Vorgange, der durch nichts ausgeschmückt ist und den, wie ich nicht zweifle, Jeder in seinem Garten wiederholen lassen kann, will ich den Lesern überlassen;

sie führen leicht in ein Gebiet, wo das Bestehende nicht mehr haltbaren Boden geben will.
Kchm.




Kleiner Briefkasten.


Den Müttern nervenschwacher, blutarmer und überhaupt kränklicher Töchter, die von mir einen ärztlichen Rath wünschten, kann ich mit gutem Gewissen eine Heil- und Pensionsanstalt empfehlen, in welcher die Fräulein Töchter unter der Aufsicht eines rationellen Arztes und nur mit Hülfe einer zweckmäßigen diätetischen Behandlung bald gesunden werden. Solche kranke Fräulein müssen nämlich stets unter ärztlicher Aussicht stehen, denn auch bei ihnen ist gewöhnlich der Wille stark, aber das Fleisch sehr schwach. – Diese Anstalt befindet sich in Blankenhain in Thüringen, am Saume herrlicher Tannenwaldungen, zwischen Weimar und Rudolstadt. Das Haus, in welchem das Pensionat sich befindet, ist im modernen Villastil solid und geschmackvoll gebaut, rundum frei gelegen und mit einem großen Parkgarten verbunden; seine Zimmer sind hoch, mit schöner freier Aussicht gegen Süden. Die Kost, auf welche das Meiste bei der Heilung Blutarmer ankommt, dürfte nicht nahrhafter und wohlschmeckender sein können. Die Leitung des Pensionats ist in den Händen des Dr. Schwabe, Amtsphysikus, der jederzeit auf Anfragen sofortige Antwort ertheilen wird.

Bock.


K. E. in Hannover. Wenn wirklich, wie Sie schreiben, bei vielen Ihrer Landsleute die Parole: Lieber französisch als preußisch, die vorherrschende ist, so können wir zwar begreifen, daß Sie sich mit Ekel von diesem unpatriotischen und undeutschen Gebahren abwenden, eine große Bedeutung aber diesen lächerlichen Agitationen beizulegen, wie Sie es thun, sind wir nicht im Stande, wenn wir auch gern Ihrem Wunsche nachkommen und diesen Argverblendeten, die den Namen Deutsche nicht mehr verdienen, in einer der nächsten Nummern die Glückseligkeit einer französischen Schutzherrschaft vorführen werden.

D. Red.

Inhalt: Ein Wort. Novelle (Fortsetzung.) – Ein vielbewegtes Leben. Von Willibald Winckler. Mit Porträt. – Marquis Posa als Burgherr. Von Edmund Judeich. – Zur Nahrungssorge. Von Bock. – Skizzen aus dem Land- und Jägerleben. Wort und Bild von Ludwig Beckmann 3. Eine Otterhetze. Mit Abbildung. – Ein Opfer aus Deutschlands schwerster Noth. Auch eine Erinnerung an Compiègne- Von Sigmund Kolisch . – Blätter und Blüthen: Mendelssohn-Denkmal. – Ameise und Blattlaus. – Kleiner Briefkasten.

Nicht zu übersehen!

Mit der nächsten Nummer schließt das erste Quartal unserer Zeitschrift. Wir ersuchen daher die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das zweite Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.

Die Verlagshandlung

  1. In Leipzig haben Brückner, Lampe und Comp. ein Hauptdepot dieses Fleischextracts, und nirgends kann man dasselbe wohlfeiler erhalten als hier, da alle Depots dieselben Preise haben Das Pfund kostet 3 Thlr. 25Ngr., das Viertel-Pfund 1 Thlr.; bei Abnahme von fünf bis hundert Pfund kostet das Pfund nur 3 Thlr. 11 Ngr. und bei Abnahme von zweihundertundfünfzig Pfund blos 3 Thlr. 9 Ngr.