Die Gartenlaube (1883)/Heft 49

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum: 1883
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 49.   1883.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis Bogen. 0 Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Glockenstimmen.

Eine Bürgergeschichte aus dem 17. Jahrhundert.
Von Stefanie Keyser.
(Fortsetzung.)

In solche Plaudereien, wie sie das Jahr des Herrn 1650 mit sich brachte, traf der Klang der großen Glocke vom Dom wie wuchtiger Hammerschlag hinein. Mächtig dröhnte das Geläut hernieder, und das aufhorchende Volk erschaute, wie droben aus der geöffneten gothischen Pforte ein Zug sich ergoß und den Gang um den Dom dahin wandelte. Durch die durchbrochene Steinbrüstung schimmerten die bunten Gewänder der Priester, leuchteten die Kerzen der Chorknaben; Fähnlein mit Heiligenbildern flatterten darüber, Weihrauchwölkchen stiegen aus den geschwenkten Fässern in die Luft, und das eintönige Gemurmel; von Gebeten mischte sich mit dem Gekreische der Dohlen, welche die spitzen Thürme von St. Severin für und für umschwärmen.

„Ein Bittgang!“ rief das Volk und wandte sich nach den die Severihöhe emporführenden Graten. „Welch Unheil soll abgewendet werden? Es muß ein starker Teufel sein, da sie die Maria Gloriosa zu Hülfe rufen. Die nimmt es mit jeglichem Dämone auf.“

„Ja wohl, ein starker Dämon ist es,“ sagte der hinzu tretende Sacristan von St. Severin. „Die Pestjungfrau soll abgewendet werden. Sie hat einmal wieder ihren unseligen Lauf begonnen. Mit blutigem Tuche winkt sie in das Land, und ihr feuriger Besen fegt die Menschen dahin wie dürres Laub.“ Er ließ von Neuem die Perlen seines Rosenkranzes durch die Finger gleiten und eilte dem Zuge nach.

„Die Pest!“ schrie das Volk auf. Von den Fleischbänken vor den Graden liefen die Metzger herzu, aus den Salzbuden kamen die Salzhockenweiber; es schauten eitel bleiche Gesichter einander an.

„Wenn die evangelischen Pfarrer nur ein Einsehen haben und auch ein ordentliches Gebet anordnen,“ sprach Eberhard gewichtig; „denn Niemand kann verlangen, daß unser Herrgott auf die abgöttische Litanei hören soll.“

„Aber wo haust die Pest?“ riefen viele Stimmen durch einander.

Der eine Fuhrmann, welcher beschäftigt war, ein Faß Frankenwein von seinem Wagen nach dem Keller zu schroten, kam heran und erzählte mit ernster Miene: „Da kann ich halt dienen. Bin mit meinem Wagen anstatt auf der Landstraße auf einem Malefizwege durch das Walpurgishölzle gekraxelt. Habe meine Ladung Wein auf dem Halse behalten, die der Wirth zum Gansel bestellt hatte, daß ich nur nimmer in das verpestete Arnstadt hinein mußte.“

„In Arnstadt die Pest?“ rief Hermann und stürzte auf den Mann zu.

Dieser nickte. „Sie ist urplötzlich in der Papiermühle ausgebrochen. Soll halt durch alte Lumpen dahin verschleppt worden sein.“

Im nächsten Augenblicke stürmte Hermann von dannen. Sein Vetter eilte ihm nach.

„Wohin willst Du?“

„Mein Bündel schnüren,“ entgegnete Hermann eilig.

„Zu was End?“ rief erschrocken Eberhard, der seinen jungen Vetter lieb gewonnen hatte.

„Um den Hennings beizustehen in der Noth, wie sie sich dereinst meiner erbarmt haben,“ lautete die mit zitternder Stimme gegebene Antwort.

„Aber sie haben Dich fortgeschickt. Gott hat Dich gnädig behüten wollen,“ redete Eberhard auf ihn ein.

Hermann hörte nicht. Im Sturmschritte eilte er nach ihrer Wohnung. Athemlos folgte ihm sein Vetter nach. „Da haben wir es wieder einmal,“ murmelte er. „Wo ein verteufeltes Weibsbild in’s Spiel kommt, hört alle Vernunft auf.“ Der Schreck war ihm in die Glieder gefahren, daß er sich auf die Steinbank neben der Thür setzen mußte.

Bald kam Hermann zurück in den alten zimmetbraunen Kleidern. „Euer Leibgewand hängt oben in der Kammer. Jetzt trage ich wieder Henning’s Rock,“ sagte er. „Mein eigen ist ja nur die Haut, in der ich stecke,“ fügte er mit trübem Lächeln hinzu. „Habt Dank für alle Liebe, und Gott möge Euch lohnen, wenn ich es nicht vermag, dieweil ich den Weg aller Welt gehe. Vermeldet auch der Meisterin meinen Dank und Abschied.“

„Ich hätte einmal darüber geschlafen,“ meinte Eberhard kopfschüttelnd. „Man soll über jeden Entschluß einmal Nacht werden lassen. Der frische Morgen bringt stets die richtige Erleuchtung.“

„Schlafen?“ rief Hermann in Verzweiflung. „Dieweil sie vielleicht mit dem Tode ringt oder schon in der kalten Erde liegt. Von jedem Augenblicke kann es abhängen, ob ich sie noch einmal sehe.“

„Aber in der Nacht kommst Du nicht fürbaß auf den Wegen, die von den Feldstücken zerfahren sind,“ stellte der Ohm vor. „Und wie willst Du in der Finsterniß die Fuhrt durch die Gera finden? Die Brücke hat der Königsmark bei seinem letzten Durchmarsch abbrechen lasten.“

[790] „Ich komme noch mit dem verscheinenden Tag in das Waldhaus Eurer Gießerei droben auf dem Steiger. Reicht es für die Holzhauer zu einem Unterschlupf bei Unwetter aus, so giebt es auch mir eine Nachtherberge. Und mit dem Morgengrauen kann ich meinen Stab weiter setzen. Mich verzehrt die Angst,“ schnitt er die Gegenrede des Vetters ab. Seine Geberden waren so verzweiflungsvoll, daß Eberhard, ohne ein Wort weiter zu verlieren, ihm nur lange und stark die Hand schüttelte. Dann ging Hermann eilig davon.

Die Meisterin trat in die Thür und sah ihm erstaunt nach, wie er die Schlösserstraße entlang eilte und um die Ecke des Angers bog. „Wohin geht der junge Gesell noch so spät?“ fragte sie ihren Obergesellen.

Die kam ihm gerade recht. Jetzt konnte er ihr manchen kleinen Verdruß heimzahlen, den er in dem letzten Mond eingesteckt hatte. Er sah sie grimmig an. „Nach Arnstadt, allwo die Pest würget.“

Sie erblich und schlug die runden Hände über dem Kopfe zusammen. „Aber warum thut er uns das an?“

„Weil er seinen Schatz dort hat,“ lachte Eberhard höhnisch und fuchtelte mit der ausgegangenen Pfeife unter ihrer Nase herum. „Versteht Ihr mich, Frau Meisterin? Und Euch läßt er durch mich Valet sagen.“

Und er ging in seine Stube. Drinnen aber nahm er seinen Hut ab, faltete die Hände und sprach ein warmes Gebet für den Vetter. Dann schlief er ruhig ein; er hatte für ihn gethan, was in seinen Kräften stand. Nun mochte Gott walten!




Derweilen eilte Hermann davon, an den frisch-grünen Brunnenkressenklingen vorüber, durch die Buffbohnenfelder und Waidpflanzungen hinüber nach dem Steiger. Aber so rasch er ausschritt, die Nacht nahte noch schneller. Es war Neulicht, und er vermochte endlich in dem dichten Walde nur noch tappend das Holzhaus der Gießhütte aufzufinden. Unzählige Male schaute er aus der Luke, ob das Morgengrauen noch nicht über den fernen Bergen auftauche. Und sobald das Auge die Löcher, Wurzeln und Steinblöcke unterscheiden konnte, aus welchen die Landstraßen in damaliger Zeit bestanden, verließ er seine Zufluchtsstätte. Vor ihm dehnten sich jetzt im Dämmerschein die Hügelketten, die endlich in die Flur von Arnstadt hinabsinken.

Von dem nahen Dorfe Waltersleben, das seine von den Kriegszeiten her noch schief hängenden Giebel und geschwärzten Mauern über einige verschont gebliebene Holzbirnbäume erhob, karrte ein Bäuerlein ein Fuder Wachholderbüsche des Weges.

„Ist itzo gesuchte Waare dort unten,“ rief er Hermann zu. „Das war für mich Hülfe in der Noth. Mein Aeckerlein in den schweren letzten Jahren überwachsen von dem stachlichten Zeug, kein Heller im Beutel, kein Stück Vieh im Stall, kein Korn Roggen in der Scheuer zu sehen, das Haus zerbrochen, daß alle vier Winde hindurch fuhren. Da kommt die schwere Noth in die reiche Stadt; sie brennen Tag und Nacht Wachholdern, so die giftigen Dünste verzehren, und ich ernte nun auch einmal, wo ich nicht gesäet habe.“ Er fuhr vergnügt weiter.

Auch Hermann schritt fürbaß. Schwerer blauer Dunst lagerte dort unten und hüllte die Stadt ein. Als das rosige Licht im Osten entglomm, beleuchtete es nur das Krönlein von Pappeln auf der Altenburg, das von den Arnstädtern zu ewigem Gedächtniß an die Stätte gepflanzt worden war, wo die Schweden eine Schanze aufgeworfen und mit ihren ledernen Kanonen bewehrt hatten. Aber ob Hermann auch vor dem Nebel die Zinnen und Thürmchen der Ringmauern noch nicht zu erspähen vermochte, so drang doch schon von weitem eine klagende Glockenstimme an sein Ohr: Hilf Gott! berath! hilf Gott!

„Sie läuten zu einer Betstunde“ flüsterte er mit versagendem Athem, indem er den Markstein der Arnstädter Flur überschritt. Hier und da arbeiteten Leute auf dem Felde; das tägliche Brod mußte beschafft werden, trotz des schwarzen Todes. Zu Boden gebeugt, mit verweinten Gesichtern schwangen sie Sense und Sichel. Jetzt schlug die große Glocke an. Da warfen Männer und Weiber das Werkzeug weg, stürzten auf die Kniee und sprachen mit aufgehobenen Händen die alte Anrufung: „Herr Gott, Vater im Himmel, erbarme Dich über uns!“

Da auf der Landstraße lag der Büttel im Staube und flehte, und dort an dem Weizenfelde, das seine schweren Aehren leise im Winde schwenkte, knieete der Rathsbrunnenmeister mit gefalteten Händen.

Hermann eilte zu ihm hinüber. „Ich bitt’ Euch, wie steht es in der Papiermühle?“ fragte er.

„Ich weiß es nicht,“ stöhnte der Rathsbrunnenmeister. „Sie ist geflohen; denn in ihr brach das Unglück aus. Zwei Mühlknappen starben zuerst an der Pest. Auch meinen Jüngsten hat die Seuche dahingerafft.“ Die Stimme brach ihm. „Doch Gott geleite Dich. Laß mich meiner Andacht obliegen. Der Herr Superintendent hat angeordnet, daß die ganze Gemeinde auf das Glockenzeichen ihr Gebet vereinige, damit es stark genug werde, um die Wolken zu durchdringen.“

Er begann wieder seine Anrufung, und Hermann wandte sich der Stadt zu, beschwertem Herzens denn zuvor. Dort an der Mauer des Gottesackers war das verrufene Pesthäuslein aufgethan. Er kannte die Wärterin, die gleichmüthig den Fensterladen aufstieß, es war die alte Leichfrau. Dem Brauch gemäß öffnete sie einer Seele, die eben ausgehaucht war, den Weg zum Himmel. In der Pestilenzecke des Begräbnißplatzes warfen die Todtengräber eine Grube zu und begannen ein neues weites Grab zu schaufeln.

Der Büttel, der nur unter der Dachtraufe der Papiermühle gehen sollte, schritt an Hermann vorüber. „Da hinein kommt Herr Henning. Es ist keine Zeit zu fürnehmen Begräbnissen,“ sprach er.

Hermann stockte der Athem. „Wer lebt noch in der Mühle?“

„Ich weiß es nicht,“ erwiderte der Büttel. „Der Alte und die Frau liegen auf den Tod. Lauft, da kommt der Karren mit den Pestleichen.“

Dumpf polterte das schwarze Gefährt über die Thorbrücke.

Hermann hielt den Todtengräber an. „Lebt noch Jemand in der Papiermühle?“

Der Todtengräber war betrunken und roch nach Wachholderschnaps. „Weiß nicht,“ lallte er. „Ist auch Alles eins. Einmal kommt doch Jeder unter meine Hacke und Haue.“ Die Schaufel auf der Schulter, schritt er dem Zuge nach.

Herber Duft von Wachholdern strömte Hermann aus der Stadt entgegen, auf allen Kreuzwegen knatterten Feuer und verzehrten den balsamischen Baum. Bis auf die Thürschwelle waren zerhackte Nadelzweige gestreut. Aus den Häusern schallte lautes Jammern. Hier und da sah er an den Fenstern Menschen mit gerungenen Händen stehen.

Aus einem Freihaus stapfte, auf seinen langen Rohrstock gestützt, der Medicus der Stadt in seinem mit silbernen Gallonen besetzten Wams herfür. Der zerknitterte Spitzenkragen und die gewichtig empor geschobene Unterlippe legten Zeugniß für die Schwierigkeit der Zeitläufte ab. Sein Apotheker folgte ihm mit einem umgehangenen Tabulet, auf welchem krystallne Phiolen und Büchsen standen und eine zierliche Goldwage lag.

„Wer lebt noch in der Papiermühle?“ rief ihn Hermann an.

„Weiß nicht; der Sterbslauf ist nicht aufzuhalten, wiewohl wir mit schier wunderbarlichen Arzneien dagegen zu Felde ziehen,“ antwortete der Apotheker. „Das alte Mittel: Pestilenzwurz in Wein destilliret, haben wir bei Seite gestellet, und mein gelahrter Herr hat ein köstlich Experiment aus dem Kräuterbuch des hochberühmten Italieners Mathiolus, weiland Leibarztes des in Gott ruhenden Kaisers Maximilian II, gegen die Pest erlesen, schwierig zu bereiten und schier unbegreiflich. Gewissenhaft haben wir die Vorschriften befolget und in verschlossenen Eierschalen den ganzen Safran gebraten, welcher mit Senfkörnern und Zitwer zu der Latwerge verarbeitet wird, und er wiegt davon ein Quentlein schwer jeglichem Kranken zur Heilung, jeglichem Gesunden zum Schutz ab. Dennoch lieget die halbe Stadt auf der Bahre.“ Er folgte eilig dem Medicus nach, der in ein stolzes Kaufhaus an der Erfurter Gasse hinein schritt.

Mit athemloser Brust eilte Hermann weiter. Aber die Muhme Schmidtin führte nicht umsonst im Schild ihres Hauses am Sperlingsberg den wachsamen Kranich. Urplötzlich schob sie das Fenster auf. Ihr Kopf mit dem Pfauenschweif fuhr heraus.

„Daß Gott erbarm! Wo kommst Du her? Ach das Unglück! Aber ich habe es gleich gesagt. An Zeichen und Wundern hat es nicht gefehlt. Der Nachtwächter hat eine Erscheinung gehabt: um Mitternacht ist ein Leichenzug von lauter Männern [791] ohne Köpfe nach dem Gottesackerthor gegangen und die Thüren der alten Erbbegräbnisse sind aufgesprungen. Als in der Papiermühle ein Maulwurf einen Hügel aufwarf, da habe ich gesagt: Frau Muhme, das hat was zu bedeuten. Der alte Papiermüller meinte zwar: Seid ruhig, Frau Tochter, es wird mich bedeuten; glaubte ich doch schon, der liebe Gott habe mich vergessen. Beruft’s nicht! warnte ich, sonst lebt Ihr bis in alle Ewigkeit. Richtig, die Jungen mußten voran.“

„Ich weiß; Herr Henning –“

„Hat das Zeitliche mit dem Ewigen verwechselt,“ nickte der Pfauenschweif und, die Hände faltend, fügte sie hinzu: „Herr Gott erbarm Dich über ihn. Amen. Und so begraben werden ohne Leichlaken, ohne jegliche Ehre. Was hätte der stolze Mann sonst für eine schöne Leiche gegeben!“

„Um Gottes Barmherzigkeit willen, lebt Hannchen noch?“

„Ich weiß nicht. Gestern Abend war sie noch lebendig. Sie holte Wasser vom Brunnen, denn die Leute sind natürlich davon gelaufen, und die alte Trine hat die drei Kinder in das Lusthäuslein im Brunnengarten geflüchtet, auf daß nicht das ganze Haus aussterbe. Und der Zacharias ist zu weit fort. Es kann auch kein Mensch von ihm verlangen, daß er der Pest in den Rachen rennen soll.“

Hermann hörte nicht mehr. Er eilte über den Markt der Papiermühle zu.

Auf der Schwelle begegnete ihm der Superintendent. Der Sitte der kriegerischen Zeit gemäß, war er wie ein tapfrer Obrist mit Schnauz- und Kinnbart zu schauen. Die silberne Hostienkapsel trug er in der Brusttasche des Ornates, den Kelch in der Hand, da der Küster seiner Kirche selbst auf den Tod lag.

Ein freundlicher Strahl aus seinem muthvoll blickenden Auge fiel auf Hermann. „Du kommst als Hülfe in der Noth,“ sprach er. „Das ist brav. Der feurige Zorn Gottes ist über uns; doch dürfen wir darob nicht verzagen. Er bleibt unser gnädiger Gott und Vater, deß hat er uns gute Briefe und Siegel gegeben in seinem Wort und Sacrament. In seinem Namen magst Du getrost in die Brutstätte der Pestilenz gehen.“

Und den durch einen dreißigjährigen Krieg erstrittenen Kelch hoch hebend, wie die Waffe gegen Hölle und Tod, schritt er von dannen.

Mit zitternden Knieen trat Hermann in das Haus, das seiner Jugend Heimath gewesen war. Nichts regte sich. Die Mühle stand still. Nur das Wasser rauschte. In dem Flure lehnte ein langer schmaler Kasten, von rohen Brettern gezimmert. Kein gemaltes Sprüchlein zierte ihn, keine Blume lag darin. Es war schon ein Vorzug, mit schwerem Geld erkauft, einen eigenen Sarg zu haben, nicht in die gemeinsame Grube geworfen zu werden. Ein Stöhnen drang aus dem Mühlraum. Hermann öffnete die Thür. Da lag auf dem Stroh, entstellt durch die Flecken des schwarzen Todes, weiland Herr Henning, der große Bürger, der sich noch vor Kurzem rühmte, daß er vor Kreuz und Leiden besser geschützt sei, als der arme Hiob. Eine zusammengebrochene Gestalt knieete daneben.

„Hannchen!“ rief Hermann entsetzt.

Sie richtete sich auf. Aus einem todtenblassen, qualvoll verzerrten Gesichte starrten ihn verzweiflungsvolle Augen an. Ob sie ihn erkannte, wußte er nicht.

„Ich kann ihn nicht allein heben und in den Sarg tragen,“ sprach sie mit heiserer Stimme, „und es kommt uns Niemand zu Hülfe.“

„Ich bin da, ich helfe Dir,“ sprach er ihr tröstend zu.

„Du,“ flüsterte sie, „immer Du.“

Sie hoben zusammen die Leiche auf und legten sie in die Todtenlade. Dann knieete Hermann nieder und zog Hannchen an der Hand heran; sie war so kalt wie die des Todten. Sie folgte gleich einem fühllosen Wesen. Er faltete ihre Finger.

„Sprich mit mir ein letztes Gebet,“ sagte er sanft. „Vater unser, der Du bist im Himmel.“

Sie plapperte es nach.

„Dein Wille geschehe.“

Sie stockte.

Er sprach ihr noch einmal die Bitte vor.

Sie preßte die Lippen zusammen. Aber plötzlich riß sie die Hände aus einander und schrie wild auf: „Nein, nein, ich kann nicht. Ich ertrage es nicht. Die Hand des Herrn ist zu schwer. Du weißt nicht, wie es thut.“

„Ich weiß es nicht?“ wiederholte er mit zuckenden Lippen. „Ich habe es meiner sterbenden Mutter nachgebetet. Ich habe es lernen müssen als achtjähriges Kind, und die Hand des Herrn lag noch schwerer auf mir: es blieb mir kein Herz. Nichts, nichts auf der weiten Gotteswelt ist mir geblieben!“ fügte er mit ausbrechendem Schmerze hinzu. „Aber ich habe es erprobt in tiefem Leide, daß mein Mütterlein Recht hatte, wenn sie sprach: Wir armen Erdenwürmer haben kein Gebet weiter vonnöthen, als das eine: Dein Wille geschehe. So wir uns in die Hand des Herrn ergeben, giebt er uns seinen Frieden.“

Vor Johannens Blick tauchte wie aus weiter Ferne das Bild der blassen Frau im grauen Linnenrocke auf, die Sonntags ein Mittagessen in der Papiermühle holen durfte. Die Kleine hatte es ihr gereicht; denn die Eltern ließen gern den Segensspruch der Armen den Kindern zu Gute kommen.

Das hatte damals Niemand gedacht, daß des armen Weibes demüthige Gedanken dereinst dem erstgeborenen Töchterlein des reichen Hauses in tiefer Noth helfen würden. Und doch war es also. Die Erkenntniß, bei Unglück und Leid in großer Genossenschaft zu sein, sänftigt das eigensüchtige Menschenherz.

Die altvertraute Stimme, die allezeit nur Liebes und Gutes zu ihr geredet hatte, löste den Krampf, und als er jetzt die schweren Worte noch einmal zu ihr sprach, fest und demüthig, wie ein geprüftes Herz sie eingiebt, da sprach sie sie stockend nach, und plötzlich sprang der Bann, den die Verzweiflung um die junge ungebeugte Seele gelegt hatte, und sie brach in heiße Thränen aus.

Hermann ließ sie ausweinen. Dann sandte er sie zu der besinnungslos in heftigem Fieber liegenden Mutter und ermahnte sie, ihrer treulich zu pflegen. Er selbst ging in die Kammer des alten Großvaters. Der Greis wandte mühselig sein Haupt nach ihm. Er strengte die eingesunkenen Lippen an, mit dem alten Gruße ihn zu grüßen: „Deinen Eingang segne Gott!“ Die Worte verliefen in unverständlichem Flüstern. Mit zitternder Hand winkte er Hermann heran. Dieser mußte sich tief über ihn beugen, um zu verstehen, wie er mit ersterbender, stockender Stimme hauchte:

„Bin gestärkt durch das heilige Abendmahl zur großen Reise in das Paradies. Nun lies mir das Lied: ‚Mit Fried und Freud ich fahr dahin‘, wenn es auch nicht recht in die Zeitläufte sich schicken will. Ich hatte es mir ausgesucht, daß die Currende es bei meinem Leichenbegängniß singen sollte. Hatte gemeint, der liebe Gott werde mir ein friedsameres Sterbestündlein schicken.“

Hermann las. Und da er mit dem Vers zu Ende gekommen war, hatte der alte Großvater nach den letzten Worten desselben gethan, die lauteten: ‚der Tod ist mein Schlaf worden.‘

Frau Henningin lag bewußtlos. Sie vernahm den Hammerschlag nicht, der die zwei Särge zunagelte; sie hörte das Poltern des Leichenkarrens nicht, welcher zweimal vor der Thür anhielt; ihr Ohr blieb verschlossen dem Summen der Todtenglocken, die für und für ihre Gemeindeglieder auf dem Grabespfad geleiteten.

Johanne hatte allein das schwere Kreuz zu tragen. Aber sie war nicht mehr verlassen. Hermann stand ihr zur Seite wie in vergangenen seligen Jugendtagen, die ihrem darniedergebeugten Gemüth weit zurück, wie in einem früheren Dasein, zu liegen schienen.

Damals war sie seine Beschützerin gewesen; jetzt, da das Leid Einspruch gehalten hatte, trat er für sie ein. Er wußte besser Bescheid als sie, wie man dem Unglück begegnen mußte. Seinem sanften Zuspruch gelang es, sie zu überzeugen, daß es ihr da nichts half, wenn sie zornig aufbrauste und anklagte, aber daß sie allmählich selbst das Schwerste überwinden konnte, wenn sie den Weg der Pflicht ohne Wanken ging, auf daß kein Vorwurf in ihrer Seele sich einzunisten vermochte.

Sie that, wie er wollte. Unermüdlich wachte sie bei der kranken Mutter und zollte ihr all die Fürsorge, die sie dem Vater, dessen Lieblingskind sie gewesen war, nimmermehr erweisen konnte. Aber wenn die wirren Fieberreden der Kranken in leisen Schlummer übergingen, und sie Ruhe bekam, dann brach wieder der heiße Schmerz aus. Dann setzte er sich zu ihr in die düstre Krankenstube an das Lämpchen, dessen Docht zurückgeschoben war, auf daß es nicht zu hell schimmere.

Und er sprach ihr von seiner leidensvollen Kindheit, von seinem elterlichen Haus an der Mauer, das wegen der mangelnden Rückseite in Arnstadt nur das Sterbekleid genannt wurde. Er erzählte, wie die Kriegsfurie es heimsuchte und das letzte Besitzthum [792] der armen Familie vernichtete. Wie eines Tages Merode’sche Soldaten nach Arnstadt kamen und ein junger Kriegsknecht scharmuzierend bei ihnen hereinbrach, die Mutter mit ihm auf dem Arm flüchtete, und – da sie endlich wieder zurück sich wagte – den ärmlichen Hausrath zerschlagen, das Bett, das sie in ihren Dienstjahren mit allen gesammelten Hühner- und Taubenfedern gestopft hatte, aufgeschnitten und die Flaumen in alle Winde zerstreut fand. Der Vater aber lag todtwund gestochen am Boden und vermochte nur noch zu stammeln, daß auch der Glücksducaten geraubt sei. Es wollte Hermann oft ein Wunder bedünken, daß ihm zugleich so wonnesam und wehmüthig um’s Herz war, wenn er ihr von seinen armen Eltern sprach, und sie nimmer müde wurde, von seiner schwer geprüften Mutter zu hören.

Und sie lernte sich bescheiden. Vor dem Leid, das diese arme Erdenpilgerin getragen hatte, verstummte die stürmische Klage der großen Bürgerstochter. Sie wurde still in ihrem Schmerz.

Gemachsam genas die Frau Henningin wieder. Ihre treuen Pfleger verschonte die Pest. Hermann’s muthiges Beispiel hatte das im ersten sinnlosen Schrecken fortgelaufene Gesinde beschämt. Der Knecht, die Tagelöhner kehrten zurück. Dann kamen auch die Versippten und Gefreunde, weinten mit der Frau Henningin und klagten ihr das eigne ausgestandene Leid.

Johanne und Hermann hatten nicht Zeit, sich um den Einspruch zu kümmern. Sie arbeiteten rastlos, um die Spuren des Unglücks zu verwischen. Die Mühle wurde gesäubert und Unheimliches im Feuer verbrannt. Hermann sah die Bücher ein und rechnete, sandte Schreiben an Zacharias und die Geschäftsfreunde, welche anzeigten, daß die Seuche zu erlöschen beginne. Johanne führte die Wirthschaft, tröstete und pflegte die Mutter und hielt die Kinder in Zucht. Mit ihnen verfuhr sie, wie Hermann mit ihr gethan hatte. Sie legte ihnen Pflichten auf, die ihren Kräften entsprachen.

Christel bekam die Tageswacht bei der großen Herbstwäsche, welche nach Arnstädter Brauch auf der Hohen Bleiche von der Sonne und dem Mond beschienen werden mußte, und Bastian hatte den Bienen den Tod des Bienenvaters anzuzeigen.

Wenn man beim Erbfall die andern Hausthiere mit Stöcken aufjagte, heischten die wilden Würmber feinere Rücksicht. Der älteste Sohn war nicht beihanden; so kam es Bastian zu, des Amtes zu walten. Als tapfrer Junge bezwang er sich. Mit abgezogenem Hütlein trat er zu dem Bienenhaus und that laut dem Volk der Immen kund, daß ihren zeitherigen Meister der Herr über Leben und Tod abgerufen habe, und ermahnte sie, ihrem nunmehrigen Bienenvater treu, hold und gewärtig zu sein wie dem alten. Dann drückte er die Fäuste vor die Augen, biß die Lippen zusammen und ging heim.

Bald war die Ordnung wieder hergestellt, und die Papiermühle blitzte und blinkte äußerlich und innerlich von Sauberkeit und Wohlstand.

Und nun schlug die Stunde, da auch die Muhme Schmidtin dahin zurückkehrte. Gleich einem Klageweibe erhob sie ihre Stimme und ihre Arme; aber nachdem sie noch einmal den ganzen Jammer aufgewühlt hatte, wandte sie sich den Vorkommnissen des täglichen Lebens zu. Und von Stunde an hielt sie wieder pünktlich wie sonst am helllichten Tage mit einem Laternchen und einem schuhlangen Hausschlüssel Einspruch in der Papiermühle, zum großen Verdruß der Magd Trine, die dann allezeit nach den Bäckerbänken am Rathhaus springen mußte, damit die Muhme mit frischen Mussemmeln tractirt werden konnte. Und wenn das Mühlwerk wohl geschmiert war, dann dämpfte die Gastin ihre Rede allgemach zu einer leisen Murmelung in das blasse, mit einem großen goldnen Ring geschmückte Ohr der Frau Henningin. Diese belebte sich sichtlich unter ihrem Geflüster. Freilich bekam sie zuweilen wieder fieberrothe Bäckchen, wenn die Muhme mit einem falschen Blick auf Hermann geraunt hatte: „Es wird auf allen Gassen breit getreten, die ganze Stadt rümpft die Nase darüber.“ Sie begann auch wieder zu nörgeln, da Johanne einen künstlichen Kuchen, den Fischer ihr zum Geburtstage verehrte, und der wie ein Taubennest formirt war, sonder Freude und Achtung dem Ingesinde preisgab, nachdem Benjaminlein dem Taubenpaar die Rosinenaugen ausgegessen hatte.

Ueber Johannens Züge aber senkte sich allmählich ein düsterer Schleier. Zuweilen zuckte ein scheuer Blick von ihr zu Hermann auf, daß dieser betroffen nachsann, womit er sie gekränkt haben könne, oder sie fuhr wie aus einem Traume empor, wenn Mutter und Geschwister schon lange auf sie eingeredet hatten. Einmal, da Hermann von dem Rechnungsabschluß am Neujahr sprach, sah sie verwirrt zur Seite und gab keine Antwort.

Auch auf sein Herz legte sich ein Druck wie von einer kalten Hand. Er konnte das Unheimliche nicht nennen, das seinen Schatten voraus warf; aber er hatte das Gefühl, als schöbe es sich verhüllt und dunkel trennend zwischen ihn und Hannchen.




Als der Windmond mit eisiger Ostluft über das Land zog, athmeten die Arnstädter auf. Waren auch in den letzten Wochen neue Erkrankungen nicht mehr erfolgt, so hatte die Stadt doch erst jetzt Gewißheit, daß die Seuche nicht wieder aufflackern könne. Der alte deutsche Riese Frost warf unwiderstehlich den Würgengel aus dem Morgenlande nieder; das war ein alter Erfahrungssatz. Aber er schob auch, wie männiglich bekannt, Laub und Blumen in seinen Sack. In dem Garten an der Brunnenkunst, wo in den Wochen der schweren Heimsuchung Unkraut und Zierpflanzen lustig durch einander gewuchert hatten, hing das Augentrost im Gras so gut den Kopf wie Liebstöckel auf dem Beet; nur das bittere Kräutlein Wermuth hielt sich tapfer zwischen den braunen Mauersteinen.

„Alles welk, todt!“ flüsterte Hermann für sich, während er die schützende Winterdecke von Stroh vor das Bienenhäuschen hing.

Da klirrte die Pforte und Hannchen trat in den Garten. Sie trug einen Brief in der Hand, und an ihrer Schürze hing Benjaminlein. Hermann erschrak, da er sie erschaute, bleich mit gerötheten Augen. Die Trauerkleidung konnte nicht an ihrem elendigen Aussehen schuld sein, an die war er ja – leider Gottes! – gewöhnt.

Einen Augenblick stand sie still und schöpfte tief Athem. „Lieber Gott,“ sprach sie leise, „ist mir’s doch um’s Herz, als sollte ich Tauben schlachten. Das bringe ich auch niemalen zuwege.

Im Congoland: Zernagte Schieferklippen im Congobett.

[793] Aber hier hilft mir kein Dienstbote, und gethan muß es sein.“ Sie faßte sich einen Muth, drückte ihr Herz zusammen, wenn es auch gegen den Zwang schütterte und klopfte, daß selbst die gebrannte Spitze, die ihr Häubchen einrahmte, davon zitterte. Langsam schritt sie durch die mit Buxbaum eingefaßten Wege heran und gab Hermann das Schreiben.

„Es ist von Zacharias gekommen,“ sagte sie. „Er wirft sich darin auf als nunmehriger Herr unsrer Sippe. Und er will heimkehren, sobald die Winterkälte ihm völlig Sicherheit giebt gegen die Pestilenz.“ Ihr Ton klang bitter.

Hermann warf einen Blick auf den Brief und dann auf sie. Sie sah an ihm vorüber, als fürchte sie, seinem Auge zu begegnen. Da erblaßte auch er.

„Du meinst, ich sei nun überflüssig,“ sprach er langsam. „Ich soll wieder gehen.“

Sie verschluckte ein Schluchzen, das tief aus dem gequälten Herzen stieg. In vielen schlaflosen Nächten hatte sie gesonnen, geprüft und abgewogen, was zu thun das Rechte sei. Sie hatte den Entschluß, wie es werden sollte, allein werden konnte, sich abgerungen. Nun aber mußte er auch durchgeführt werden, ohne rechts und links zu schauen. Fast mechanisch redete sie, wie sie sich vorgenommen hatte: „Das ist gewißlich das Beste. Sieh, Hermann, wir müssen den Kopf oben behalten; den hat der Herr in seiner unerforschlichen Weisheit zu oberst gesetzt, auf daß er den ganzen Menschen regiere. Auch das Herz muß ihm gehorchen; denn hätte Gott es anders gewollt, so meine ich, er hätte dasselbige oben darauf gestellt. Glaube mir, ich habe nichts vergessen,“ fuhr sie innig fort, und die Stimme wurde hell, und die Worte flogen von ihren Lippen, „nicht, wie Du als Kind mit mir gespielt und mich den Katechismus gelehrt hast, der mir so schwer zu Kopfe ging, nicht, wie Du als großer Bursch für mich die Arbeit in der Nacht thatest, von welcher Du wußtest, ich schaffte sie nicht gern. Und Gott ist mein Zeuge, mit wie heißem Segenswunsch ich Dir dafür danke, daß Du aus der gesunden Stadt Erfurt in das verpestete Arnstadt eiltest, und als ich verlassen zwischen Todten und Sterbenden stand, zu mir tratest in das gemiedene Haus wie ein Engel vom Himmel. Dessen will ich eingedenk sein bis zu meinem letzten Stündlein. Aber,“ fuhr sie leiser fort, „unsere Lebenswege scheiden sich einmal. Ich bin in angesehener Bürgersippschaft geboren, Du bist eines armen Flickschusters Sohn.“ Schluchzen erstickte ihre Stimme.

Es war still; nur leise fiel ein Blatt von dem Rosenstrauch, von dem Hermann im Frühling eine Knospe gebrochen hatte, zur feuchten Erde nieder. Hermann stand wie gelähmt. Jetzo enthüllte sich das Schreckniß, vor dem ihm seit Wochen gegraut, und nun verwunderte er sich, daß es ihm nicht von Anfang an klärlich vor Augen gestanden hatte. Er kannte ja die großen Bürger seiner Vaterstadt. Sollte ihm widerfahren sein, daß ganz heimlich in seinem Herzen die Hoffnung aufgekeimt wäre, Hannchen würde, verwaist, der Stütze bedürftig, ihn um seiner treuen Liebe willen zum Ehegesponsen wählen? Er wußte es selbst nicht. Nur das fühlte er: es gab kein größeres Herzeleid für ihn, als die Trennung von ihr. In der Angst vor diesem Schmerz verleugnete er selbst das große, tiefste Gefühl seines Lebens.

„Du bist im Irrthum, Hannchen, wenn Du glaubst, daß ich etwas von Dir will,“ suchte er sie zu überreden. „Die Muhme und die Mutter haben Dich verwirrt. Ich will nichts als ein Eckchen in Eurer Mühle und die Erlaubniß, die Wohlthaten, die Ihr mir erwiesen habt, mit meiner Hände Arbeit zu vergelten.“

(Fortsetzung folgt.)

Im Congoland: Landschaft bei Kalubu.

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Im Congoland.

Von Dr. Pechuel-Loesche.
Mit Illustrationen nach Originalaufnahmen Dr. Pechuel-Loesche’s auf Holz gezeichnet von Prof. A. Goering.
4. 0In den Kukibuendi-Bergen.
Stanley’s Weg. – Schwierigkeiten des Gebirges. – Böse Pfade. – Ein Negerdorf. – Grasbrände. – Reiche und öde Landstriche. – Wechselnde Gesinnung der Eingeborenen.

Von Vivi aufwärts bis zur zweiten Station Isangila bildet bei einer Lauflänge von etwa 90 Kilometer der Congo eine Reihe großartiger Stromschnellen.

Die zwischen denselben liegenden ruhigeren Flußpartien sind zwar für den Verkehr von Booten und Dampfern geeignet, doch würde die Verbindung eine äußerst langwierige und kostspielige sein. Die unüberwindlichen Stromstrecken müßten auf höchst beschwerlichen Pfaden am Ufer umgangen, die Güter viele Male aus- und eingeladen, zum Ueberfluß auf allen Abschnitten besondere Fahrzeuge unterhalten werden.

Obwohl nun Stanley bei seinem ersten Vordringen vor vier Jahren, wo immer der Strom sich zugänglich und fahrbar erwies, Dampfer und Boote von den Wagen nahm und zu Wasser vorwärts brachte, hat er doch in richtiger Würdigung der Verhältnisse für die regelmäßige Verbindung zwischen Vivi und Isangila den ununterbrochenen Ueberlandweg vorgezogen.

Freilich ist dieser Weg ein sehr primitiver und entspricht nicht den heimischen Vorstellungen von einer Straße. Er ist nicht befahrbar in unserem Sinne, nicht einmal bequem zu begehen. Kunstlos wie die allenthalben sich durch das Bergland schlängelnden Pfade der Eingeborenen und diesen vorzugsweise folgend, schmiegt er sich den Bodenformen an, führt über Höhen und durch tiefe, steilwandige Schluchten mit ihren Wasserläufen, ohne Umschweife die Hindernisse nehmend, die sich bei der eigenartigen Natur des Berglandes leider nicht umgehen lassen. Wo an geneigten Flächen die mächtigen Rüstwagen mit ihren unbehülflichen Lasten: Fahrzeugen, Dampfkesseln, seitwärts überzufallen drohten, ist das Erdreich etwas abgestochen und zu einer rohen Fahrbahn geebnet worden.

An einer Stelle war man gezwungen, hart über den vorübertosenden Gewässern des Stromes eine vortretende Felsecke des Ngomaberges wegzusprengen und einen Steinwall aufzuschichten. Die Sprengung, die natürlich den Eingeborenen gewaltig imponirte, wurde von Herrn Lieutenant Valcke geleitet; durch sie kam der Name Mbula Matari oder Matadi, „Steinbrecher“, auf, welcher dann auf Stanley übertragen wurde.

So entspricht der Weg nur den allernothwendigsten Anforderungen. Ihn zu einer schnellen und lebhaften Verkehr ermöglichenden Straße umzugestalten, würde einen außer Verhältniß zum Nutzen stehenden Aufwand an Zeit und Capital erfordern.

Unter solchen Umständen begnügt man sich damit, den sehr bedeutenden Güterverkehr in der in Centralafrika seit jeher üblichen Weise zu bewältigen: durch Träger, die durchschnittlich Lasten von 30 Kilo Gewicht auf den Köpfen fortschaffen.

Wenn wieder einmal ein Fahrzeug oder Dampfkessel, überhaupt ein nicht wohl tragbares Stück zu transportiren ist, dann wird abermals ein Rüstwagen in Dienst gestellt. Da Zugthiere weder vorhanden noch verwendbar sind, treten Menschen an ihre Stelle und rollen die schwer beladenen Maschinen langsam vorwärts. An steilen Berglehnen und den Wänden der Schluchten, in den felsigen Betten der Wasserläufe hilft man sich mit Tauen und Winden, mit Aufschichten von Steinen, Knütteln und Holzkloben. Diese an die Juggernaut-Procession[1] erinnernde langwierige und keineswegs gefahrlose, für große Stücke jedoch einzig mögliche Transportweise wird glücklicher Weise nur selten nothwendig.

Zwischen Isangila und der dritten Station, Manyanga, wird die Verbindung wieder zu Wasser aufrecht erhalten, obwohl diese mittlere Strecke des Congo der Befahrung nicht besonders günstig ist. Wir benutzten jedoch nicht diesen Wasserweg, sondern marschirten auf der Nordseite des Flusses in das Gebirge hinein, da es besonders wichtig war, das von de Brazza von Osten nach Westen durchzogene Gebiet, den Verlauf der Thäler und Flüsse zu untersuchen, die Höhen zu messen, um festzustellen, ob das Bergland der Anlegung einer guten Straße günstiger sei. Dieser Theil des Gebirges erwies sich jedoch größtentheils noch unwegsamer und schluchtenreicher als der westliche.

Mehrere Tage lang waren wir auf den Pfaden der Eingeborenen kreuz und quer marschirt, über öde, grasbewachsene Höhen, durch enge, mit Buschwald ausgekleidete Wasserrinnen, als wir endlich an einer nördlichen Biegung den Congo erreichten. Seine an tausend Meter breite glitzernde Fluth wälzte sich wie überall zwischen steil abfallenden waldlosen Bergen. An ihrem Fuße standen vereinzelt lockere Gruppen und Streifen von Bäumen.

Es war im August, der Zeit der größten Trockenheit und des niedrigsten Wasserstandes. Der Congo hatte sich aus seinem Ueberschwemmungsbette zurückgezogen. Weithin an den Ufern dehnten sich helle Sandbänke zwischen dunklen, zernagten Schieferklippen, und langgestreckte Felsriegel traten hier und dort gegen die Mitte des Flusses vor. Stromabwärts in blauer Ferne war das steile, vom Südufer scharf ausspringende Vorland zu erkennen, auf welchem in unvergleichlich schöner und günstiger Lage die englische Baptisten-Mission Baynesville errichtet wurde. Die Besitzer dieses Vorlandes vermögen die mittlere schiffbare Strecke des Congo vollkommen zu beherrschen und jedem Verkehre zu verschließen. Es ist auch ein historischer Platz: denn bis zu jener Stelle vermochte der von Isangila an auf dem Südufer vordringende Tuckey vor nun siebenundsechszig Jahren den Lauf des so lange räthselhaft gebliebenen Stromes zu entschleiern.

Im Nordosten überragten das eintönige Gebirgsland ungewöhnlich hohe Bergketten, die am besten die Kukibuendi-Berge zu benennen sind. Ein mühsamer Marsch durch den nachgiebigen Ufersand und quer über seltsam zernagte Schieferwälle (siehe Abbildung Seite 792) fand ein plötzliches Ende an mächtigen Schieferplatten, die glatt aufstrebend oder chaotisch durch einander geworfen den Uferweg weithin vollkommen absperrten.

Wir arbeiteten uns durch krauses Gebüsch am Uferhange hinauf und folgten einem Fischerpfade, der in weitem Bogen über Grasgelände wieder zum Congo führte. Hier begann nun eine Kletterpartie über Schieferfelsen, die uns in steter Angst um unsere Träger und ihre Lasten erhielt. Unter uns wogten die dunklen Fluthen des Congo. Auf schmalen Absätzen an glatten Wänden hin, zwischen mächtigen Platten und palissadengleich aufgerichteten scharfkantigen Pfeilern hindurch, über wüste Trümmerhaufen suchte ein Jeder seinen Weg, so gut es eben ging. Die sich einklammernden Hände fühlten schmerzlich die Gluth des schwarzblauen, vom Sonnenbrande übermäßig erhitzten Gesteins.

Endlich gelangten wir zum Wasserspiegel hinab. Wir standen an einem tiefen Einschnitte des Congo, in dessen äußersten Zipfel ein Flüßchen mündete. Mitten davor lag ein Eiland, das im Kleinen dieselbe Formation zeigte wie die Felsenmassen, über welche wir herabgestiegen waren. Wir nannten das wunderliche, bei Hochwasser überfluthete Gebilde die Palissadeninsel (siehe Abbildung auf Seite 796). Das Flüßchen, der Ntendesi, erwies sich als tief und reißend; es konnte weder durchwatet noch durchschwommen werden. Während wir unter den wenigen vorhandenen Bäumen nach denen suchten, die, richtig gefällt, als eine Nothbrücke dienen sollten, kamen etliche eingeborene Fischer zwischen den Felsnadeln hervor. Nach den unvermeidlichen, Geduld wie Humor gleich erschöpfenden Verhandlungen willigten sie ein, uns überzusetzen. Zu je Zweien auf den Boden niederhockend, wurden wir unter sich immer wiederholenden Erörterungen in ein paar winzigen, übermäßig zum Umschlagen geneigten Canoes zum andern Ufer befördert. Ich mit meinem Diener als der Erste, Herr Teusz mit dem seinen als der Letzte.

Die Fährleute wiesen uns nach dem nächsten Berghange, wo ein Pfad emporführen sollte. Der Aufforderung, uns zu geleiten, setzten sie die oft zu hörende Entschuldigung entgegen, daß da oben böse Menschen wohnten.

[795] Wir fanden endlich eine Art Pfad, aber von einer Beschaffenheit, die uns in Zweifel ließ, ob er je von Menschen oder nur von klimmlustigen Ziegen benutzt wurde. An Grasbüscheln uns haltend, von Staffel zu Staffel uns emporziehend, keuchten wir im Sonnenbrande den kahlen Steilhang hundertzwölf Meter hoch hinauf.

Auf der Höhe strich ein frischer Wind über die schwankenden, lockeren Halmgräser und fuhr sausend durch das krause Gezweig der verstreuten charakteristischen Zwergbäume. Der deutlicher gewordene Pfad führte in leichten Steigungen auf und ab, durch dürre, lästige Schilfgräser, die über dem Kopfe raschelnd zusammenschlugen, an einem spärlich über Felsplatten rieselnden Bach hin, dann durch ein die Nähe von Menschen verkündendes mit Erbsenbüschen (Cajanus indicus) bepflanztes Feld. Um einen Hügelsporn biegend gewahrten wir endlich auf einer nicht allzu fernen hohen Kuppe lichte Bestände von Bäumen und Oelpalmen und in deren Schatten fahlbraune Hütten.

Trompetenklänge meldeten unser Nahen, und wir zogen in das Dorf Mungombe ein. Es erschien wie ausgestorben. Die Hüttenthüren waren geschlossen, die Menschen entlaufen; man war nicht gewohnt, hier bewaffnete Fremdlinge, am wenigsten aber Europäer anlangen zu sehen.

Auf einem Platze fanden wir schließlich einige Männer und Hunde um ein Feuer gruppirt, die sich geberdeten, als ob sie Dorf und Besuch gar nichts angingen. Unser Gruß wurde zurückhaltend erwidert, unser Wunsch, im Dorfe zu nächtigen, mit dem Antrage beantwortet, wir möchten weiter ziehen, wir könnten in Mungombe nicht bleiben. Die Art und Weise der Leute war nicht ermuthigend, doch auch nicht abschreckend. Ein kurzes Palaver (so werden in Westafrika mit den Eingeborenen geführte Verhandlungen genannt), freundliche Worte, gewürzt mit einigen lustgen Bemerkungen, die ruhige Haltung der Meinen führten zu einer befriedigenden Verständigung. Der Hauptgrund gegen unsere Aufnahme war: es gab noch keinen Präzedenzfall, eine solche Karawane hatte Mungombe noch nicht betreten; der zweite: so lange wir blieben, durften die Weiber nicht in’s Dorf kommen, und das war unbequem. Wir schlugen vor, und wie sich bald zeigte, nicht ohne Erfolg, die Unbequemlichkeit aufzuheben, die Weiber zurückzurufen, da wir gute Menschen und ihnen gewiß nicht gefährlich wären.

Ohne es zu wissen, hatten wir mit dem Dorfherrn selbst verhandelt, mit dem ein ziemlich großes und reiches Gebiet beherrschenden Häuptling Nadeka Davunda, der sich bald auch als ein sehr respectabler Afrikaner entpuppte. Zunächst brachte er uns ein willkommenes Gastgeschenk, eine stattliche, sich sehr ungeberdig sträubende Ziege und eine große Kürbisflasche mit schäumendem Palmmost.

Während wir noch das Lager aufschlugen, kehrten allmählich die aus den benachbarten Dörfern gerufenen Weiber zurück; erst die alten, dann die jungen. Hübsche, wohlgehaltene Kinder wagten sich bald mit staunenden Augen in unsere Nähe und gaben uns Gelegenheit, die Herzen der Mütter zu gewinnen. In kürzester Zeit herrschte Freude und lustiges Leben im Dorfe. Die Bewohner stellten sich vollzählig ein; Ziegen, Schweine, Hühner, die man vorher wohl nach Kräften verborgen hatte, tauchten auf und das Feilschen um Lebensmittel begann. Eier, ölreiche Erdnüsse, Maniok, Süßkartoffeln und die nahrhaften Früchte des Erbsenstrauches wurden in zierlichen Körbchen herbeigebracht, geduldige Hühner mit zusammengebundenen Ständern zum Verkauf ausgelegt. Unser Reisegeld bestand neben vielen Kleinigkeiten aus blau und weiß gestreiften Stoffen und grellbunten Taschentüchern, für deren Eintausch das weibliche Geschlecht willig seine eßbaren Besitzthümer opferte.

Die Dörfler gehörten zu dem Stamme der Basundi, der hier weithin auf der Nordseite des Congo das Land besiedelt hat, und mußten selbst unter diesen als auffällig wohlgestaltete und gut genährte Leute gelten. Zwar wurde das warme Dunkelbraun ihrer Haut durch den grauen, fast landesüblich zu nennenden und die nächtliche Lagerstatt verrathenden Aschenanflug verunziert, doch sahen sie bei weitem nicht so kümmerlich und vernachlässigt aus wie manche Gemeinden ihrer Brüder in benachbarten Gebieten. Ihre Heimath war ein die Umgebung weit überragendes kleines Bergland, das reichlicheren Regen empfing und in den Einsenkungen wohlbewässerten fruchtbaren Boden besaß.

Man gewann den angenehmen Eindruck, sich unter ungewöhnlich arbeitsamen Menschen zu befinden, die in einem entsprechenden Wohlstande lebten. Jedenfalls trafen wir nirgends wieder am Congo eine so dichte Bevölkerung und gepflegte Plantagen von so überraschender Ausdehnung wie in den Kukibuendi-Bergen.

Mungombe liegt auf dem letzten südlichen Ausläufer der Hauptkette, an 150 Meter über dem Congo. Von seiner Höhe genoß man einen reizvollen Rundblick weit in das Congoland hinein. Nordwärts ragten die um 400 Meter höheren Berge auf, deren Gipfel ausnahmslos mit dichtem Wald wie mit einer Haube geschmückt waren und sich dadurch wesentlich von allen übrigen des Gebirges unterschieden. Nach Osten, Süden und Westen schweifte der Blick ungehindert bis in die blaue Ferne über die fast gleichförmigen waldlosen Hügel (siehe Abbildung auf Seite 796).

Gegen Abend entwickelte sich im Westen ein wundervolles Landschaftsbild. Am Horizonte waren die Grasbestände in Flammen gesetzt, und dunkle Rauchschichten lagerten über den Bergen. In sie tauchte die Sonne hinab, eine gluthrote, glanzlose Scheibe, und durchdrang den Dunst und Qualm mit purpurnem und violettem Lichte. Dazu der bläuliche Duft zwischen den Bergen, die Abstufungen von Braun, Gelb und Grün bis zu den kräftigen Farben des Vordergrundes und Alles überhaucht von dem wundersamsten Scheine – eine Märchenlandschaft lag vor uns, von immer sich erneuerndem zauberischen Reize, der erst allmählich mit dem Verschwinden der Sonne verblich.

Ein köstlicher windstiller Abend ist auf den heißen Tag gefolgt. Wir haben unser trefflich mundendes Abendbrod (Erbswurstsuppe, zähen Ziegenbraten und gebackene Süßkartoffeln) verzehrt, unseren Thee getrunken, zünden unsere Pfeifen an und schlendern durch die Dorfgassen. Draußen umfängt uns dunkle Nacht. Unter einer Gruppe träumerischer Oelpalmen halten wir an und lauschen – aber nichts regt sich auf der Höhe, in der Tiefe, nur vom Dorfe her klingt gedämpftes Stimmengewirr. Ueber uns funkeln die südlichen Sternbilder; fern im Westen züngeln noch die Flammen wie leuchtende Bänder an den Berglehnen hin, langsam vorrückend, nun verschwindend, nun wieder auflohend und stetig weite Strecken der lästigen Grasbestände in Kohle und Asche verwandelnd.

Wir wandern nach dem Dorfe zurück, wo an dem Lagerfeuer die Unseren mit den Dörflern noch die halbe Nacht hindurch schwatzen werden, strecken uns auf das frisch geschüttete Graslager und schlafen einen beneidenswerthen Schlaf.

Schon vor Tagesgrauen lassen wir den Trompeter zum Aufbruch rufen. Rasch ist das Frühstück verzehrt und alles gepackt. Die Dörfler drängen sich um uns zum Abschied; hungerige Hunde schnüffeln zwischen den Lasten umher, einige stolz schreitende stattliche Hähne rufen ihre Hennen zusammen. Jämmerlich blökende Ziegen suchen einander und grunzende Schweine trollen sich vorüber. Auch eine Dorfkokette ist vorhanden, ein schlankes Mädchen, das mit gutgespielter Unbekümmertheit zierlich hin und wieder schreitet und mit einer Gerte fuchtelt, als wollte es soeben zu einem Morgenritt in den Sattel steigen.

Unser Gastfreund Nadeka Davunda gesellt sich zu uns. Er ist von dem empfangenen Gegengeschenk überaus befriedigt, hat nicht einmal – gänzlich unafrikanisch! – noch mehr verlangt und will uns nun selbst das Ehrengeleit durch sein kleines Reich geben. Würdig wandelt er vor mir her, hinter uns folgt die Karawane, untermischt mit den Dörflern, die sich noch immer nicht trennen können.

Bergauf, bergab schlängelt sich der Pfad, an steilen Hängen hin und lauschige Thäler entlang. Wo immer in den Senkungen sich günstiger Boden findet, da sind Felder angelegt, stehen Gruppen großblättriger Pisangs und Melonenbäume. Kräftige Oelpalmen wachsen allenthalben verstreut; in ihren Kronen hängen, fast wie Früchte anzuschauen, die Kürbisflaschen, in welchen der reichlich aus einer Schnittwunde sickernde Saft aufgefangen wird. Rieselnde Bäche und versumpfte Strecken sind von dichtem, von Schlingpflanzen durchwirktem Gebüsch umgeben. Dazwischen dehnen sich wieder öde Halden, auf welchen starres Gras und Gestrüpp ihr Dasein fristen. Streifen von Buschwald haben sich hier und dort erhalten, sowie schattige Haine von stattlichen Bäumen, unter welchen in großer Menge der stolze, edelbelaubte Baum, der die vielgepriesenen Kolanüsse hervorbringt, seinen vollästigen Wipfel ausbreitet.

[796] So ziehen wir stundenlang über ebene Grate, durch enge Schluchten und cultivirte Thälchen, an steilen Hängen hinauf und hinunter. Ueberall und oft auf künstlich angelegten Terrassen stehen einzelne Hütten, kleine Gruppen derselben, ganze Dörfer, zwischen Strauchwerk, Palmen und anderen Bäumen. Und wo immer ein Ausblick sich öffnet, da sieht man nah und fern noch viele mehr in ähnlicher Lage, selbst noch hoch oben an den Waldkappen der Alles überragenden Gipfel.

In hellen Haufen erwarten uns überall Menschen, oder kommen gelaufen, uns anzustaunen, zu begrüßen, passiren zu sehen. Viele schließen sich uns an und begleiten uns von Dorf zu Dorf, die Jugend beiderlei Geschlechts Allen voran.

Der Reichthum an Kindern steht im schärfsten Gegensatze zu dem, was man sonst im Congoland beobachtet; manchmal schwärmen sie um uns, als ob sie eben aus der Schule entlassen wären. Die meisten sind hübsch, viele sogar sehr hübsch zu nennen; alle sind lustig und zutraulich und voller Muthwillen. Die kleinen Geschenke von Perlen und Messingschellen, die wir freigebig auszutheilen vermögen, nehmen sie froh entgegen. Sie könnten glauben, der Weihnachtsmann zöge durch ihre Heimath, und die dem Treiben zuschauenden Mütter gewinnen entschieden eine überaus günstige Meinung von uns. – Auch an Hausthieren ist Ueberfluß vorhanden. Die bekannten afrikanischen Köter findet man zwar überall, nicht aber solche Ziegenheerden wie in den Kukibuendi-Bergen. Man trägt aber auch Sorge für sie, wie die kleinen aus Knütteln und Stangen gefügten, gegen Leoparden gesicherten Ställe beweisen. In einzelnen derselben wälzen sich zufriedene Mutterschweine zwischen ihren Ferkeln. Viele andere Schweine laufen frei umher und fahren plötzlich vorüber, wo man sie am wenigsten vermuthet. Wir bemerken zwei Arten derselben: eine kleinere graue und gänzlich haarlose und eine große mit dickem schwarzem oder dunkelbraunem Borstenkeid. Die Zahl der Hühner ist gar nicht zu schätzen, und zum Ueberfluß giebt es ausnahmsweise auch wirklich stattliche Katzen in Menge. Sie sind weiß, schwarz, gelb, bunt; sie huschen über den Weg, schleichen zwischen den Hütten und ruhen mit Vorliebe auf den Dachfirsten. Die traditionelle Feindschaft zwischen ihnen und den Hunden scheint hier vollkommen beigelegt zu sein.

Im Congoland: Die Palissaden-Insel.

Endlich langen wir an der Grenze von des Häuptlings kleiner Herrschaft an. Dort nimmt er Abschied von uns. Inmitten eines großen, lautlos zuhörenden Zuschauerkreises setzen wir uns nieder und halten noch ein kurzes, feierliches Palaver ab. Wir versprechen Nadeka Davunda seinen Wunsch zu erfüllen und mit ihm und seinem Land recht bald eine dauernde Verbindung anzuknüpfen. Unter lebhafter Versicherung gegenseitiger Freundschaft werden die Hände geklappt und „mbote! mbote!“ (gut, schön) gerufen, welche Worte die Umstehenden emphatisch und mit beifälligem Grunzen wiederholen. Dann scheiden wir und wandern davon.

Meine Leute haben sich am Palmmost überaus gütlich gethan und sind in übermüthiger Stimmung; ebenso gut gelaunt sind auch unsere zahlreichen Begleiter, die sich an allen Wohnsitzen immer wieder erneuern. Wir sind in das Gebiet der Battadörfer gelangt und finden überall dasselbe Landschaftsbild, dieselben freundlichen Menschen.

Im Congoland: Blick von Mungombe nach Nordosten.

Von einem letzten hohen Bergrücken erblicken wir unser heutiges Ziel: Kalubu. Dort zwischen den Uferhöhen der gleichnamigen Landschaft glitzert der breite gewundene Wasserspiegel des Congo (siehe Abbildung auf Seite 793); hinter uns liegen, zum Theil in Wolken gehüllt, die Kukibuendi-Berge. Nun geht es abwärts in eine Gegend, die zwar hügelig genug ist, aber jedes wechselvollen Reizes entbehrt. Das ist wieder echtes Congoland. Hohe, steife Halmgräser, verdorrt und geknickt, oft weithin von Bränden vernichtet, decken den trockenen, steinigen Boden; kaum, daß ein Zwergbäumchen eingestreut ist. Die Dörfer von Yanga, die wir nun passiren, liegen wie Oasen in den eintönigen Graswüsten.

In Kalubu, einem Fährplatz der Eingeborenen, zeigten sich die Leute widerwillig und mürrisch und waren erst sehr spät zu bewegen, uns einige Lebensmittel zu bringen; aber auch diese mußten wir schließlich der unverschämten Forderungen wegen zurückweisen.

Es erscheint auffällig, wie nahe bei einander in Afrika Gemeinden wohnen, deren Betragen schroffe Gegensätze aufweist. Sogar die nämlichen Menschen zeigen zu verschiedener Zeit und gegenüber verschiedenen Besuchern ein sehr abweichendes Verhalten. Mancherlei Einflüsse, aufregende Ereignisse, zufällige Umstände, die der Reisende nicht in seiner Gewalt hat, äußern ihre Wirkung.

Als ein Jahr zuvor die Herren Bentley und Crudgington der Baptisten-Mission von ihrer trefflich gelungenen Recognoscirungstour nach dem Stanley Pool auf der Karawanenstraße die Kukibuendi-Berge überschritten, fanden sie die Bevölkerung in sehr feindseliger Stimmung und verlebten dort angstvolle Stunden. Nicht besser erging es der zweiten Partie von Europäern, die wenige Monate vor uns wie die erste das Gebiet von Ost nach West durchzog: den Herren Lindner und Mahoney, Mitgliedern der Congo-Expedition.

[797]

Dr. Friedrich Dittes – ein Kämpfer für die Volksschule.

Eine stürmische, gewaltige Zeit rief einst eine Vereinigung in’s Leben, welche für den Hort der deutschen Bildung, für die deutsche Schule, von größter Bedeutung werden sollte. Im Jahre 1848 trat in Eisenach die erste Allgemeine deutsche Lehrerversammlung zusammen. Aus allen Theilen Deutschlands waren Lehrer herbeigekommen, um gegenseitig in lebendiger Rede ihre Gedanken und Meinungen auszutauschen und gemeinschaftlich zu berathen, was der deutschen Schule förderlich und dienlich sei.

Obwohl vielfach geschmäht, theilweise sogar verfolgt, haben diese Versammlungen Großes geleistet, denn ein hoher, idealer Zug belebte dieselben. Mit Recht erklärt daher die „Allgemeine deutsche Lehrerzeitung“, das Organ dieser Vereinigungen, daß der Einfluß der allgemeinen Lehrerversammlungen zwar nicht statistisch nachweisbar sei, daß sie aber unleugbar eine mächtige Wirkung selbst über Deutschlands Grenzen hinaus ausgeübt haben.

„Viel haben sie dazu beigetragen, den Lehrerstand aus dem Dunkel, in das niederdrückende Verhältnisse ihn hüllten, hervorzuziehen, sein Ansehen zu heben und ihm eine achtungswerthe Stellung zu schaffen. Sie haben die Schäden bloßgelegt, an denen die Schule und ihre Lehrer krankten, ohne sich Uebertreibungen und Ausschreitungen, die der unbefangene Beurtheiler hätte mißbilligen müssen, zu Schulden kommen zu lassen. Ihre Forderungen, die sie für die Lehrer und die Schule zu stellen sich verpflichtet fühlten, sind maßvoll gehalten. Sie sind es auch gewesen, die den Riß haben schließen helfen, der die deutschen Volksstämme von einander trennte. Auf diesen Versammlungen reichten sich die Lehrer von Nord und Süd, von Ost und West die Bruderhand.“

Dr. Friedrich Dittes.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Und Vieles von Dem, was die Lehrerversammlungen erstrebten, ist zur That geworden, die neuere Schulgesetzgebung fußt zum großen Theile auf ihren Verhandlungen. Waren es doch auch die besten und tüchtigsten Männer des Lehrerstandes, die hier das Wort ergriffen und aus dem reichen Schatze ihrer Erfahrungen Rath und Belehrung spendeten. Aus der langen Reihe für die deutsche Schule bedeutungsvoller Namen sei hier nur auf Diesterweg und Fröbel, die Hamburger Theodor Hoffmann und Dr. Wichard Lange, Dr. Gräfe aus Kassel, Berthelt aus Dresden, Dr. Schulze aus Gotha, Lüben aus Bremen, Dr. Karl Schmidt aus Köthen, Dr. Friedrich Dittes hingewiesen. Der Letztgenannte, der durch seine Schriften weithin berühmte vormalige Director des Wiener Pädagogiums, war es besonders, der auf der fünfundzwanzigsten Versammlung, welche in der Pfingstwoche dieses Jahres in Bremen tagte, die Aufmerksamkeit aller Theilnehmer im höchsten Grade fesselte. Er verdient es, auch in weiteren Kreisen bekannt zu werden, ist er doch in Oesterreich in den höheren clericalen Regionen einer der bestgehaßten Männer, während er in der Lehrerschaft als einer der ersten Pädagogen der Gegenwart gefeiert wird. Eines seiner Werke, sein Lehrbüch der Psychologie, ist vom Papste verdammt worden und hat doch eine Verbreitung in vielen Tausenden von Exemplaren gefunden. Als es in Wien bekannt wurde, daß Dittes von der Leitung des Lehrerpädagogiums zurücktreten werde, da richteten mehr als tausend Lehrer und Lehrerinnen der Residenz ein Gesuch an den Wiener Gemeinderath, in welchem sie erklärten:

„Nachhaltig sind die Wirkungen, welche Dr. Dittes durch das Pädagogium insbesondere auf die Lehrer Wiens ausübte. Waren seine bahnbrechenden Gedanken auf dem Gebiete des Erziehungs- und Unterrichtswesens durch seine Schriften in die gesammte pädagogische Welt getragen worden, so wirkte sein überzeugungskräftiges Wort um so zündender auf jede Individualität seiner Hörer. Und aus dem Hörsaale pflanzte sich der empfundene Eindruck in das Stillleben der Schulstube fort, segensreich wirkend auf Gemüth und Verstand der Kinder. Die Lehrer fühlten sich erfaßt von jenem Geiste erziehlicher Liebe, es durchglühte sie jene Hoheit der Gesinnung, welche allein den Lehrer zur idealen Auffassung seines Berufes führt.“

Der Lebensgang dieses Mannes, den wir hier auch im Bilde unsern Lesern vorführen, ist der eines Gelehrten, der aus dürftigen Verhältnissen sich mit Anstrengung aller Kräfte emporgearbeitet hat zu wissenschaftlicher Thätigkeit und echter Humanität. Ein solches Leben ist schlicht und einfach; aber es erzieht feste, unbeugsame Charaktere. Schlicht und einfach ist auch Dittes geblieben, von dem aber, was er für gut und recht erkannt, weicht er nicht um die Breite eines Haares ab, und diese Zähigkeit giebt seinem Wesen oft etwas Schroffes und Herbes, was heutzutage um so mehr auffällt, als aalglatte, geschmeidige Charaktere unsere Zeit kennzeichnen. Er sagt in dieser Beziehung: „Wenn man auf sich selbst angewiesen ist, um vorwärts zu kommen, muß man leider oft hartnäckig und widersetzlich sein, weil die Schablonen des Lebens, die Anderen zum Vortheile dienen, dem einsamen Pfadsucher den Weg verlegen. So wird er freilich zur Hartnäckigkeit gezwungen, wenn er vorwärts kommen will, und häufig wird ihm dies als Fehler angerechnet, weil man denkt, er liebe den Kampf um des Kampfes willen. Aber man sollte doch billiger urtheilen. Wer auf seinem Wege Rosen findet, kann leicht mit Jedermann in Frieden leben; wer aber überall durch Dornen [798] und über Felsengeröll sich den Weg bahnen muß, kann nicht jederzeit ein gehorsamer Diener sein, wenn er sich nicht selbst aufgeben will. Zum bloßen Vergnügen verfeindet man sich doch nicht einmal mit einem Kinde, geschweige denn mit Regierungsräthen, Ministern und sonstigen einflußreichen Herren. Aber da nun einmal unter dem Monde nicht alle Dinge nach Recht und Billigkeit geordnet sind, so lasse man doch dem Individuum dasjenige Maß von Freiheit, welches ihm nöthig ist, um sein Ziel zu erreichen, vorausgesetzt, daß sein Streben ein rechtschaffenes ist und Niemandem schadet.“

Friedrich Dittes stammt aus dem sächsischen Vogtlande, er wurde in Irfersgrün bei Lengenfeld – man muß schon eine vorzügliche Specialkarte haben, um das Dörfchen zu finden – am 23. September 1829 geboren. Seine Eltern waren einfache Landleute, die sich tüchtig zu regen hatten, um die zahlreiche Familie mit Ehren durchzubringen. Da mußten auch die Kinder frühzeitig zur Arbeit herangezogen werden. Bei alledem herrschte aber ein gesundes, herzliches Familienleben im Hause, das namentlich durch die Mutter die rechte Weihe erhielt. „Mein Vater“ – erzählt Dittes selbst – „war ein durchaus wackerer, rechtschaffener, thatkräftiger Mann; aber sehr streng, ohnehin weniger im Hause als die Mutter, weil stets an harte Arbeit gebunden, weshalb wir Kinder, zusammen sieben Geschwister, besonders in und mit ihr lebten, die durch ihre unerschöpfliche Geduld und rastlose Thätigkeit die zahlreiche und wenig bemittelte Familie in bester Ordnung erhielt, uns Kinder in den Mußestunden zum Lernen der Schulpensa und zum Vorlesen aus Bibel und Gesangbuch anleitete und uns ohne alle Kunst, fast nur durch ihr eigenes Beispiel einen unverbrüchlichen Sinn für alles Gute einflößte. Zum Glück ist auch keines ihrer Kinder mißrathen. Meine Geschwister sind zwar in einfachen Lebensverhältnissen geblieben, aber rechtschaffene Leute geworden und haben sich stets der Achtung ihrer Umgebung erfreut. Mich haben sie stets gefördert, wo sie nur konnten, nicht selten auch, so lange ich’s bedurfte, mit ihren kleinen Ersparnissen freudig unterstützt. Und so habe ich reichlich erfahren, welcher Schatz von Herzensgüte und Rechtschaffenheit in den breiten Schichten des kleinen Volkes ruht, und das ist der Ursprung meiner Liebe zum Volke oder, wenn man will, meiner demokratischen Gesinnung.“

Der lebhafte, geweckte Knabe besuchte die Schule seines Ortes, fand aber auch im Pfarrhause die freundlichste Aufnahme. Der würdige Pastor ertheilte ihm Privatunterricht und beredete die Eltern, ihren Friedrich für den Lehrerstand ausbilden zu lassen. Er hielt den lebendigen Knaben in strenger geistiger Zucht, sodaß dieser die lateinische Grammatik, Geschichtstabellen und andere Bändigungsmittel munterer Burschen immer mit sich herumtrug, wenn er auf dem Felde oder in der Scheune mit helfen mußte, um in den kleinen Arbeitspausen die Unterrichtspensa einzuüben. War aber doch einmal eine harte Nuß nicht geknackt worden, so hatte der Pastor auch Nachsicht mit den schwachen Zähnen, und wenn er einmal die Geduld verlor, so brachte ihn seine Frau durch ihre Thränen wieder zur Güte. „Diese alte Dame“ – schreibt Dittes – „ein wahrer Engel des Dorfes, steht neben meiner Mutter unter allen Frauengestalten, die mir im Leben begegnet sind, in oberster Reihe und fehlt niemals, wenn die heiligsten Jugenderinnerungen in mir auftauchen.“

Im Jahre 1844 bezog Dittes das Proseminar zu Plauen. Der Dorfknabe paßte noch wenig in die Welt, war linkisch und schüchtern und hatte deshalb von seinen lustigen Cameraden im Anfang manche Neckerei zu ertragen. Aber das gab sich bald, und schließlich blieb doch der unscheinbare Kern, den er aus dem Elternhause mitgebracht, das Grundcapital für sein ganzes Leben. Nach kurzer Zeit übersprang er das Proseminar und trat in das wirkliche Seminar ein. Hier arbeitete er tüchtig, ohne sich aber von seinen andern Schulgenossen zu trennen. Diese sahen gar bald, daß er wacker zum Ganzen hielt, und so sind ihm aus dieser Zeit viele brave Freunde geblieben. Dittes hat überhaupt das Glück gehabt, daß er keinen Ort seines Lebens und Wirkens verlassen hat, ohne sich der freundlichsten Anerkennung seiner Genossen und Collegen zu erfreuen. Wo es galt, tüchtig zu arbeiten, war er nicht der Letzte, und wo sich Gelegenheit fand, für die Ehre der Schule und des Lehrstandes einzutreten, scheute er sich nicht, zu den Ersten zu gehören.

Nach vier Jahren verließ er das Seminar, um in dem bei Chemnitz gelegenen Dorfe Thalheim als Schulvicar einzutreten. Hier hatte er das erste Mal Gelegenheit, einmal energisch „nein“ zu sagen. Er fand dort den Brauch vor, daß der Lehrer auch das Läuten der Glocken besorgte, das heißt durch Schulknaben besorgen ließ, die er überwachte. Nun kam dabei einmal ein Kunstfehler vor, es wurde bei einer Leiche mit einer Glocke zu wenig geläutet. Darüber machte der „Kirchvater“ dem jungen Lehrer so heftige, zu weitläufigen Auseinandersetzungen führende Vorwürfe, daß dieser erklärte, der Lehrer habe ohnehin von Gesetzeswegen mit dem Glockenläuten nichts zu thun, er würde sich von nun ab auch nicht mehr darum kümmern und auch nicht dulden, daß Schulknaben während der Unterrichtszeit dazu verwendet würden. Eine solche Anmaßung war damals unerhört; es gab einen heftigen Sturm und lange Erörterungen in verschiedenen Instanzen. Pfarrer und Superintendent meinten zwar, „die Vogtländer seien etwas hartnäckig“; sie standen aber dem jungen Lehrer kräftig bei, und so wurde der Glöcknerdienst vom Lehrdienste für immer getrennt. Bald nachher kam Dittes als Lehrer an die Bürgerschule in Reichenbach. Da er sich entschlossen hatte, die Universität Leipzig zu besuchen, so beschäftigte er sich angelegentlich mit Gymnasialstudien.

Im Jahre 1851 benutzte Dittes einen anderthalbjährigen Urlaub, um diesen Lieblingswunsch zur Ausführung zu bringen. Er mußte sich in Leipzig oft recht kümmerlich behelfen, aber mit eiserner Energie überwand er alle Schwierigkeiten, und je mehr ihn hungerte, desto eifriger trieb er Mathematik, Naturwissenschaft, Geschichte und Philosophie. Als der Urlaub vorüber war, kehrte er in seine frühere Stellung zurück.

Jetzt trat er auch als Schriftsteller auf. Schon seine beiden ersten Schriften wurden mit Preisen gekrönt und auf das Günstigste aufgenommen. Sie behandelten psychologische Fragen und hatten den Zweck, die Wissenschaft der Pädagogik aus naturwissenschaftliche Psychologie zu gründen. 1857 ging Dittes nach Leipzig, um an der unter Director Vogel’s Leitung stehenden ersten Bürgerschule eine Lehrerstelle zu übernehmen. Dann, nach wohlbestandener Maturitätsprüfung trat er abermals in die Universität ein, um seine wissenschaftlichen Studien nun zum Schluß zu bringen. Er bestand 1860 das Examen für das höhere Schulamt und promovirte bald nachher bei der philosophischen Facultät.

Ein sprechendes Zeugniß für seine wissenschaftliche Tüchtigkeit war es, daß eine in dieser Zeit von ihm verfaßte Schrift von der Universität mit dem ersten Preise ausgezeichnet wurde. Nun wollte der junge Doctor sich ganz der Wissenschaft hingeben und ging ernstlich damit um, sich als Docent für Philosophie und Pädagogik zu habilitiren. Da aber kam ein Ruf aus Chemnitz, Dittes folgte diesem und trat als Subrector in die mit einem Progymnasium verbundene Realschule ein. Nun kamen glückliche Jahre. In der Tochter eines Gesinnungsverwandten, des Seminardirector Dreßler in Bautzen, fand er eine treue, sein Wirken wohl verstehende Lebensgefährtin; ein Kreis braver Collegen umgab ihn, mit denen er nach Herzenslust weiter studirte. Von Bedeutung war sein Auftreten in der 1864 in Chemnitz abgehaltenen sächsischen Lehrerversammlung; seine dort abgegebene Kritik der Lehrerseminare bewirkte eine Reorganisation derselben und gab zugleich Veranlassung, daß er als Schulrath und Director des Lehrerseminars nach Gotha berufen wurde. Er ging schwer von Chemnitz fort; aber der größere und schönere Wirkungskreis, der RuF, Lehrerbildner zu werden, zog ihn mächtig an.

Das Gothaer Seminargebäude hatte früher verschiedenen Zwecken gedient. In seiner Einweihungsrede ermahnte Dittes nun dazu, daß das Seminar die Hinterlassenschaft des Klosters, des Gymnasiums und der Volksschule, welche vordem hier Obdach gefunden hätten, antreten und in Folge dieses Erbes eine Heimstätte warmer Religiosität, wissenschaftlichen Strebens und tüchtiger pädagogischer Bildung werden möge. Er selbst hat mit aller Treue geholfen, diese Ideale zu verwirklichen, und der von ihm geschaffene Lehrplan, durch den er seine Zöglinge „nicht zu routinirten Stundengebern und Schulhaltern abrichten, sondern zu erziehenden Lehrern heranbilden will, deren gesammte Berufsthätigkeit auf die harmonische Entwickelung, auf die leibliche und geistige Wohlfahrt der ihnen anvertrauten Kinder gerichtet ist“, wird als mustergültig bezeichnet. Schon nach drei Jahren schied Dittes von Gotha, um nach Wien zu gehen.

Um einen tüchtigen, den Ansprüchen der Gegenwart gewachsenen Lehrerstand zu gewinnen, hatte die Gemeindevertretung [799] Wiens beschlossen, ein Pädagogium zu errichten. Dieses Institut sollte namentlich zur weiteren Fortbildung der in der Residenz bereits angestellten Volksschullehrer dienen. Das Pädagogium war also eine Hochschule für Lehrer und nur solche, die auf derselben mit Erfolg weiter studirt, hatten auf Weiterbeförderung zu rechnen.

Als Hochschule mußte das Pädagogium frei von confessionellem Zwange sein. Das Ministerium machte Schwierigkeiten, es wollte die Rechte der Kirche und der Staatsregierung wahren, aber der klare, feste Wille und die Einmüthigkeit des aus 120 Mitgliedern bestehenden Wiener Gemeinderathes überwanden alle Hindernisse, und bei Gelegenheit eines Ministerwechsels wurde die Genehmigung zur Errichtung des Pädagogiums ertheilt. Natürlich sollten an dieser Anstalt nur Lehrkräfte ersten Ranges wirken, namentlich war die Wahl des Directors von größter Wichtigkeit.

Viele hervorragende Schulmänner bewarben sich um diese Stellung, aber nach langem Erwägen und genauen Erkundigungen wählte man keinen, der sich gemeldet, sondern den Gothaer Schulrath und Seminardirector Dr. Dittes. Man wählte ihn mit allen gegen zwei Stimmen. Dittes nahm die Wahl an, die wichtige und schwierige Aufgabe fesselte ihn, und am 12. October 1868 trat er in seine neue Stellung ein. Die liberale Presse begrüßte freudig die neue Anstalt und ihren Leiter, aber die Clericalen waren empört, daß ein Ketzer Director eines solchen wichtigen Instituts geworden, und begannen ihre Maulwurfsarbeit gegen ihn, noch ehe er den Boden Wiens betreten hatte.

Im fernen Westen jenseits des Oceans tragen die am weitesten vorgedrungenen Ansiedler, diese Pionniere der Cultur, während sie das Feld bauen, immer die blanke Waffe bei sich. So stand auch Dittes mitten in seiner amtlichen Thätigkeit immer in hellem Kampfe gegen offene und heimliche Widersacher des Pädagogiums. Dreizehn Jahre hindurch währte dieser Kampf. Dittes mußte endlich weichen, aber sein Schild ist rein geblieben, und die Saat, welche er ausgestreut, wird reiche Früchte bringen. Er selbst erklärt:

„Ich blicke ohne Bitterkeit auf die in Wien verlebten Jahre zurück. Ich bedaure nicht, daß ich dem Rufe hierher gefolgt bin, und es reut mich nichts, was ich hier gethan habe. Müßte und könnte ich diesen Abschnitt meines Lebens nochmals beginnen, ich würde genau wieder so handeln, wie ich gehandelt habe. Und mit meinem Schicksale bin ich zufrieden. Wenn es mir versagt blieb, meine Berufsthätigkeit fortzusetzen, so wird dies wohl gut gewesen sein, da ich es unter den gegebenen Verhältnissen kaum noch lange vermocht hätte. Daß es mir aber vergönnt war, eine lange Reihe von Jahren, weit länger als zu hoffen war, auf einem wichtigen und gefährlichen Posten zu stehen, werde ich stets als eine Gunst des Schicksals preisen. Und wenn meine Gegner sich freuen sollten, endlich erreicht zu haben, was sie so lange angestrebt hatten, so sage ich ihnen: Zu spät! Ihr könnt nicht mehr vernichten, was ich geschaffen habe. Möge die Zukunft entscheiden, welche Aussaat kräftigere Halme treiben wird, die eurige oder die meinige. Gewiß ist, daß auf dem Boden, den ich bearbeitet habe, euer Unkraut gründlich ausgerottet ist und niemals wieder gedeihen wird. Mit Beruhigung nehme ich den Waffenstillstand an. Benützen wir ihn, um unsere Wunden zu heilen und unsere Schwerter zu schleifen. Wir werden blanke Waffen noch brauchen.“

Wir können hier nicht weiter auf den Kampf eingehen, den Dittes mit der scharfen Waffe des Geistes für Volkswohl und Volksbildung gegen Aberglauben, Dummheit und Böswilligkeit so glänzend bestand. Er selbst erzählt dies in dem von ihm herausgegebenen „Pädagogium“ – einem Fachblatte ersten Ranges – unter dem Titel „Wiener Geschichten“ in interessanter Weise. Trotz der glänzendsten Erfolge sollte die von Dittes geleitete Anstalt umgestaltet werden; man wußte nur noch nicht, in welcher Weise. Da nun aber Dittes seine wohlgelungene Arbeit nlcht selbst zerstören konnte, so mußte er eben gehen. Und weiter hatte die beabsichtigte Reorganisation keinen Zweck.

Daß auch der Wiener Gemeinderath sich von ihm zurückzog, hatte seinen Grund namentlich in politischen Rücksichten. Dittes war 1873 in den Reichsrath gewählt worden. Da er von der demokratischen Partei gewählt war, so hielt er es für Pflicht, sich im Reichstage derselben anzuschließen. Er gerieth dadurch in Gegensatz zu der großen liberalen Partei, welcher auch die Mehrheit des Gemeinderathes angehörte. Leider hatte diese Parteistellung auch die Folge, daß Dittes im Reichsrathe nicht den Einfluß gewann, den er sonst unbedingt gewonnen hätte. Er wurde in keinen Ausschuß gewählt; trotzdem sind aber seine Reden, z. B. zum Tiroler Schulaufsichtsgesetze, zum Unterrichtsbudget 1875 etc., von großer Bedeutung gewesen. Dittes ist überhaupt ein ganz vorzüglicher Redner. Man wird bei seinem Auftreten in mancher Hinsicht an die Schilderung erinnert, die Heine von dem englischen Parlamentsredner Henry Brougham entwirft. Man kann sich kaum denken, daß dieser so schlicht, fast gedrückt aussehende Mann mit seinen Worten so fesseln, so hinreißen kann. Er spricht ruhig und klar, nach und nach aber erhebt sich seine Gestalt wie getragen von der Wucht der Gedanken, die ihn bewegen. Seine Rede gleicht nun einem vollen, aber bis zum Grunde klaren Strom. Er fesselt uns durch die Ueberzeugungstreue, die aus jedem seiner Worte herausklingt, durch die Macht seiner Beweise, durch die Einfachheit seiner Darstellung. Wo er auch gesprochen, im Reichsrathe, in behördlichen Kreisen, in Lehrer-, in Volksversammlungen, zuletzt bei Gelegenheit der Luther–Feier in Wien – seine Rede hat stets einen mächtigen, lang nachwirkenden Eindruck hinterlassen. Welchen Einfluß er als Lehrer ausgeübt, davon ist das im Anfange dieses Artikels erwähnte Gesuch der Wiener Lehrer an den Gemeinderath beredtes Zeugniß.

Den größten Einfluß hat aber Dittes durch seine schriftstellerische Thätigkeit gewonnen. Es dürfte in der Gegenwart nur wenig Lehrer geben, in deren Büchersammlung nicht ein oder einige seiner Werke Platz gefunden hätten. Seine pädagogischen Lehrbücher haben vielfache Auflagen erlebt und sind in Tausenden von Exemplaren verbreitet. In neuerer Zeit sind dieselben unter dem Titel „Schule der Pädagogik“ in einem Bande vereinigt worden. Eine pädagogische Revue ersten Ranges hat Dittes mit der seit 1878 erscheinenden Monatsschrift „Pädagogium“ (Leipzig, Julius Klinkhardt) geschaffen. Es ist dies ein Unternehmen, welches nicht nur von Seiten der Lehrer, sondern auch von Seiten des gebildeten Publicums die größte Beachtung verdient. Dieser Zeitschrift widmet sich jetzt der in Ruhestand versetzte Dittes mit ganzer Seele. Wie er spricht, so schreibt er auch – schlicht und einfach, ohne Phrase, aber klar und schneidig, und so handelt er auch. Er stellt die höchsten Forderungen, er zieht die schärfsten Consequenzen und dem entsprechend ist auch sein Thun.

Mag man auch nicht immer mit seinen Ansichten sich einverstanden erklären – er ist Idealist, der Menschen und Dinge nicht nimmt, wie sie sind, sondern wie sie sein sollten – so stimmen doch Freund und Feind darin überein, daß er in Wort, Schrift und That ein ehrlicher Charakter, ein ganzer Mann ist.

E. Stötzner.     




Die Braut in Trauer.

Erzählung von Ernst Wichert.
(Fortsetzung.)

„Onkel! das ist eine unwürdige Beschuldigung,“ rief Helene, „Wie überzeuge ich Dich denn?“ Sie riß ihre Briefmappe vor, öffnete sie mit Hast, raffte die Blätter zusammen, die lose darin lagen, und reichte sie ihm zu. „Lies dies da!“ bat sie, „und Du wirst an meiner Aufrichtigkeit nicht zweifeln können. Es sind Geständnisse, die ich nur mir selbst zu machen meinte; nun mögen sie meine wahre Schuld offenbaren.“

Er sah verwundert bald auf sie, bald auf die beschriebenen Blättchen, die sie ihm in die Hand schob. „Es ist jetzt dazu keine Zeit, Kind,“ sagte er. „Wenn Du mir aber diese Schriftstücke lassen willst – es findet sich wohl die Gelegenheit sie durchzulesen. Mir flimmert jetzt Alles vor den Augen – ich könnte mich nicht einmal in den Zeilen zurechtfinden.“ Er steckte die Blättchen in die Brusttasche seines Rockes. „Die Aerzte haben [800] mich fortgeschickt,“ fuhr er fort, „sie untersuchen die Wunde. Da bin ich denn nach Hause gelaufen, um meine geschäftlichen Angelegenheiten nothdürftig zu ordnen, und dann will ich zu den grauen Schwestern, um mir eine Krankenpflegerin zu erbitten. Wann ich wieder den Platz an meinem Arbeitstisch einnehmen werde, weiß ich nicht. Mein armer, armer Junge!“

„Zu den grauen Schwestern geh nicht, Onkel Benjamin,“ bat das Mädchen. „Laß mich seine graue Schwester sein. Wir wollen einander am Krankenbette ablösen: ich thue dort den Tag über Dienst, Du in der Nacht … oder auch umgekehrt; ich fürchte die Nacht nicht.“

Das vergrämte Gesicht erheiterte sich ein wenig. „Du wolltest –? Ah! das ist freundlich, das ist gütig. Aber – ich weiß doch nicht, ob Walter …“

Sie senkte den Kopf. „Du meinst, Walter könnte mich gar nicht sehen wollen – lieber eine Fremde, die ihm ganz gleichgültig ist. Freilich – so lange ich hier bin, ist er nicht ein einzig Mal gekommen. So sehr bin ich ihm zuwider geworden.“

„Nicht doch, Lenchen, nicht doch,“ suchte er in seiner Gutmüthigkeit zu beruhigen. „Er wollte Dir nur ganz freie Hand lassen. Aber wie dem auch sei … weißt Du, ich will ihn fragen – wenn die Aerzte es erlauben, Lenchen; und ich schicke Dir dann ein paar Zeilchen zur Information.“

Sie drückte seine Hand. „Oder besser noch, ich komme gleich mit Dir, Onkel,“ sagte sie, „und warte draußen auf die Entscheidung. Wenn Du wüßtest, wie bedrückt mir das Herz ist –“

Davon wollte er aber nichts hören. Einer müsse doch auch des Geschäfts wegen zu Hause sein, damit die Kunden Auskunft erhalten könnten. Er wolle die Antwort schon möglichst beeilen.

So ließ er sie denn in großer Sorge zurück.

Doch wallte mitunter auch ein freudiges Gefühl in ihr auf.

Traurig genug war’s wohl, daß die Kugel ihn getroffen hatte; aber er lebte ja, und was er gethan hatte, hatte er für sie gethan, was er litt, litt er für sie. Sie betete recht inbrünstig zu Gott, daß er ihm das Leben erhalten wolle, und gelobte sich, ihm bis zum Tode treu anzuhängen, auch wenn sein stolzes Herz sie jetzt abwiese.

Onkel Benjamin schrieb nicht, aber er kam vor Abend noch einmal selbst. Walter’s Secundant habe ihn auf eine Stunde abgelöst. Er erzählte, daß die Kugel glücklich aufgefunden sei und der Zustand des Kranken nach Versicherung der Aerzte zur Zeit nicht ungünstig genannt werden könne. Das alte Gesicht schaute wieder etwas heiterer drein. „Und darf ich –?“ fragte Helene, doch recht zaghaft. Sie hatte sich auf ein Nein gefaßt gemacht, oder bildete sich wenigstens ein, darauf gefaßt zu sein. Um so dankbarer war sie für sein freundliches Kopfnicken. „Aber heute nicht,“ dämpfte er sogleich, „und die Nacht über bleibe ich bei ihm. Morgen früh kannst Du Dich melden.“

Am andern Morgen war Helene schon früh auf. Sie meinte, daß Onkel Benjamin dringend der Ruhe bedürfen werde; eigentlich war’s wohl ihre eigene Unruhe, die sie von Hause forttrieb. Die Wirthin Walter’s öffnete ihr. Sie solle nur leise anklopfen, sagte sie, der Kranke liege im zweiten Zimmer und werde nicht gestört. Grün war schon durch das Läuten aufmerksam geworden und kam auch ohne ihre Meldung heraus. Die Nacht sei gut gewesen, versicherte er. Nach Hause wollte er sich nun aber durchaus nicht schicken lassen; jedenfalls müsse er noch den Morgenbesuch des Arztes abwarten. Helene fügte sich, da Widerspruch doch vergeblich gewesen wäre. Grün nahm sie in das vordere Zimmer mit und bedeutete sie, sich ganz still zu verhalten. Er ließ sich nun wenigstens bewegen, sich auf’s Sopha zu legen und zu versuchen, ob er ein Stündchen schlafen könne.

Sobald Walter sich ein wenig räusperte, war er doch wieder auf. „Warte, ich will Dich anmelden,“ sagte er. Sie hörte, daß Walter nach ihr fragte. Gleich darauf winkte ihr der Alte durch die Thür.

Im Krankenzimmer brannte eine Lampe. Walter sah zum Erschrecken bleich aus; die Bettdecke war bis zum Halse hinaufgezogen. Er grüßte durch eine Bewegung des Kopfes und durch einen Blick der Augen, der sie eines herzlichen Willkommens schien versichern zu wollen. Sie trat mit leisen Schritten an sein Bett. „Walter –“ sagte sie. Die Stimme zitterte heftig, und sie brachte keinen Laut weiter heraus. Auch er schwieg einige Secunden lang. Dann sagte er: „Ich würde Dir die Hand reichen, Helene, wenn der Arzt mir nicht anbefohlen hätte, ganz still zu liegen. Aber nimm an, es sei geschehen.“

Sie bückte sich schnell und küßte seine Stirn und seinen Mund. „Rühre Dich nicht,“ bat sie.

Eine leichte Röthe überflog sein Gesicht; er drückte einen Moment die Augen zu.

„Meinetwegen leidest Du, Lieber,“ sprach sie weiter und legte die Hand auf seine Schulter.

„Davon rede nicht,“ antwortete er. „Ich that, was ich für meine Pflicht hielt. Andere mögen mich deshalb unvernünftig schelten.“

„Aber ich darf Dir doch danken?“ fragte sie. „Auch dafür, daß Du mich in Deiner Nähe dulden willst,“ fuhr sie fort. „Sprich jetzt nur gar nicht mehr, es könnte Dir schaden. Onkel Benjamin wird mich unterrichten, was ich zu thun habe, und dann soll der leiseste Augenwink genügen.“

So wurde sie ihm die gewissenhafteste Pflegerin. Auch als sich ein heftiges Wundfieber einstellte, ängstigten sie seine Phantasien nicht fort. Sie wich nicht von seinem Bette. Als sein Zustand sich dann besserte, wußte sie Grün zu bestimmen, sich sein Bett in’s Krankenzimmer stellen zu lassen, um sich Abends schlafen zu legen. Doch vergingen viele Wochen, bis die Wunde sich schloß und der Kranke ausgehen durfte.

Helene las ihm Stunden lang vor, oft aus gelehrten Büchern, die er zu seinen Studien brauchte, schrieb nach seinem Dictat, spielte geduldig mit ihm Schach – nicht nur geduldig, sondern auch aufmerksam, da sie wohl sah, daß er ungern allzu leichte Siege errang. Sie wurde mit der Zeit eine ganz tüchtige Spielerin, gewann sogar auch hin und her eine Partie. Sobald er gehen durfte, führte sie ihn im Zimmer auf und ab. Sie brachte allezeit gern das Gespräch auf ernste und schwierige Dinge, in denen sie ihn gut unterrichtet wußte. Sie hatte ihre Freude daran, ihm zu beweisen, daß sie mit gutem Verständniß gelesen oder von ihm gelernt habe.

Den Tag über wirthschaftete sie wie eine kleine Hausfrau. Sie kochte den Kaffee auf einer zierlichen Maschine, die der Onkel zum Gebrauch für Zwei angeschafft hatte; sie ordnete den Frühstückstisch und machte für denselben kleine Einkäufe. Sie theilte mit ihm das Mittagessen, das aus dem Speisehause herangetragen wurde. Da Walter gern Früchte aß, so war stets ihr erster Gang zu der Obsthändlerin an der Börse, die in dem Ruf stand, über eine ausgesucht schöne Waare zu verfügen. „Du verwöhnst mich,“ schalt er. „Wie soll mir’s dann später behagen?“

Eines Tages war er augenscheinlich in ganz eigen erregter Stimmung. Das Gewöhnlichste, was er vornahm oder was die Tagesordnung ergab, behandelte er mit einer gewissen Feierlichkeit. Es dauerte schon merklich lange, bis der Morgenkaffee ausgeschlürft war. Dann sollte beim Frühstück die angebrochene Flasche Wein durchaus ganz ausgetrunken werden, und das Glas, das die Neige enthielt, setzte er nicht an die Lippen, ohne vorher damit ihr Glas zu berühren und dabei einen guten Wunsch auszusprechen. Die Beschäftigungen, die sonst nach Bedürfniß des Tages gewechselt hatten, schienen nun sämmtlich gleichsam schnell repetirt werden zu müssen. Immer wieder versuchte er einen scherzhaften Ton anzuschlagen, um doch bald die ernsteste Seite seines Wesens vorzukehren. Gegen Abend, etwa eine Stunde vor der gewohnten Ablösung Helenens durch den Onkel, schien er unruhig zu werden, klappte das Buch zu, aus dem er vorgelesen hatte, und ging im Zimmer auf und ab, während sie mit ihrer Handarbeit am Fenster sitzen blieb. Wenn sie ihrem feinen Gehör trauen durfte, seufzte er ein paar Mal leise.

Endlich blieb er vor ihr stehen, kreuzte die Arme über der Brust und zog sie fest zusammen, als ob er sich selbst fesseln wollte. „Es muß doch gesagt sein, Helene,“ begann er, „so schwer es mir fällt. Ich bin gesund und gedenke in nächster Zeit meine gewohnte Thätigkeit wieder aufzunehmen. Laß Dir also herzlich danken für alle Deine Güte und treue Pflege. Du hast mir recht freundschaftlich wohlgethan. Nun aber ist’s meine Pflicht, selbst die Grenze zu ziehen. Dieser Tag muß der letzte Deines Pflege-Amts gewesen sein. Es ist mir recht betrübt zu Muth, als ob ich einen Abschied zu nehmen hätte.“

Helene hatte die Hände mit der Arbeit in den Schooß sinken lassen und sah mit ängstlichen Blicken zu ihm auf. Plötzlich rollten große Thränen über ihre Wangen – ungehindert, unaufhaltsam

[801]

Pitsche-Patsche.0 Nach dem Oelgemälde von O. Hetz.

[802] aufhaltsam. Sie warf von sich, was sie in der Hand hielt, stand rasch auf und legte ihre Arme um seinen Hals. „Verlaß mich nicht, Walter,“ rief sie, „ich kann ja nicht leben ohne Dich.“

Dieses leidenschaftliche Geständniß mußte ihm wohl unerwartet kommen. Er erschrak sichtlich, griff über seine Schultern und suchte ihre Hände zu fassen und zu lösen. „Helene –! was ist das?“ sagte er mit unsicherem Tone. „Du –?“

Sie faltete die Hände über seinem Nacken und hinderte ihre Entfernung. „Eine Liebeserklärung –“ rief sie. „Ja, ja –! Nenn’s nur so. Sie wird mich in Deinen Augen ganz erniedrigen – sie wird mich vernichten. Aber sei’s! ich kann nicht anders. Ich löse meine Schuld gegen Dich ein. Wirf fort, was ich Dir biete – das ist Dein Recht. Aber wissen sollst Du heute, daß Du geliebt warst und geliebt bist – keiner, keiner, als Du!“

Sie drückte einen heißen Kuß auf den sprachlosen Mund, ließ rasch die Hände sinken und wandte sich schluchzend ab. „Nun ist’s geschehen,“ sagte sie, „nun mag alles zu Ende sein. Lebe wohl!“

Er streckte die Arme nach ihr aus und schien doch nicht den Muth zu haben, sie zu erfassen. „Helene,“ sagte er, „so ist es wahr, was mein Vater mir zum Trost …“

Sie hatte ihr Mäntelchen ergriffen und eilig um die Schultern gehängt, setzte den Hut auf, der einen Stapel Bücher krönte, und konnte doch mit den bebenden Fingern keine Schleife ziehen. „Ich gehe schon,“ flüsterte sie, „es dauert keine halbe Minute mehr. Du brauchst mir gar nichts zu antworten. Walter – ich weiß, daß ein Mann darauf keine Antwort hat. Nur glauben sollst Du mir, glauben! Und wenn wir einander wiedersehen – wir müssen doch als Verwandte und weil ich in Deines Vaters Hause bin – handle edel! Erinnere mich an diese entsetzliche Stunde nicht. Spare mir das Erröthen.“

Sie eilte nach der Thür.

„Aber so höre mich doch, Du wunderliches Kind,“ bat er. „Du giebst mir das schwerste Räthsel auf, und ich soll’s lösen in solchem Moment der Verwirrung. Das ist unbillig. Wenn ein Gott Dir zu rechter Zeit die Zunge gelöst hätte … Was hast Du meinem Vater vertraut? Er hat mir ein versiegeltes Couvert übergeben und gesagt, was darin sei, habest Du geschrieben, bevor Du Brendeln’s Brief empfangen. Ich solle abwarten, bis Du mich heißen würdest, das Siegel zu brechen. Helene, was bedeutet das Alles? Gieb mir Gewißheit.“

„Brich das Siegel,“ rief sie. „Ich habe vor Dir kein Geheimniß mehr!“

Sie winkte mit der Hand zurück und verließ das Zimmer, die Thür hinter sich zuziehend.

Kaum aber hatte sie zu Hause Onkel Benjamin, der sich eben zum Fortgehen rüstete, durch ihr verstörtes Aussehen gehörig in Schrecken gejagt, als zu seiner größten Verwunderung Walter mit eiligen Schritten eintrat, ohne ihm auch nur einen guten Abend zu bieten, auf Helene zuging, die sich in das Cabinet flüchten wollte, sie stürmisch umarmte und küßte. – „Aber Kinder –“ sagte er ganz verdutzt und wußte nichts weiter vorzubringen.

„Ja, Deine Kinder,“ rief Walter, das Mädchen zu ihm ziehend. „Helene ist nicht mehr die Braut in Trauer – sie ist meine Braut!“

(Schluß folgt.)




Die Kannenträger.

Von O. Hüttig.

Das Geschlecht der Kannenträger ist eine der wunderbarsten Erscheinungen in der Pflanzenwelt, die der Laie Jahrzehnte hindurch angestaunt, ohne sie deuten zu können, obwohl die Sachverständigen zuweilen die Erklärung versucht haben, daß die mit Wasser gefüllte Kanne, ein der Pflanze eigenthümliches Anhängsel, nichts weiter sei, als das sonderbar geformte Blatt derselben.

Kannenträger von Ceylon (Nepenthes destillatoria)

Die Gattung der Kannenträger mit ihren verschiedenen Arten und Abarten bildet eine eigene Familie des Pflanzenreichs, die der Repentheen, und stammt aus Ostindien mit den benachbarten Inseln Borneo, Sumatra und anderen, wo diese Halbsträucher in feuchtem, moorigem Boden wachsen und sich mit der den Schläuchen (Kannen) und den Blättern anhaftenden Ranke an andere Pflanzen anklammern; selbst in unseren Gewächshäusern werden sie sieben bis acht Meter hoch. Ihre ersten Blätter unterscheiden sich kaum von denen anderer Pflanzen; sie sind langgestreckt lanzettförmig, und ihr Mittelnerv verlängert sich mehr oder weniger zu einer Ranke, wie unsere in verkleinertem Maßstabe gegebene Abbildung des Kannenträger von Ceylon (Nepenthes destillatoria L.) zeigt. Aber in dem Maße, in welchem das Wachsthum der Pflanze zunimmt, verlängert sich diese Ranke, ihre Spitze verbreitert sich und wird zu einem Gebilde, das mit einem Kruge viel Aehnlichkeit besitzt. Was diese Aehnlichkeit verstärkt, ist die eigentliche Blattscheibe an dem vorher schon blattartig erweiterten Blattstiele, nämlich der Deckel, welcher die mit einem zierlichen Rande umsäumte Oeffnung verschließt und bei fortschreitendem Wachsthume sich endlich öffnet, ohne sich dann weiter zu verändern. Die von Bréon, einem französischen Reisenden, gemachte Beobachtung, daß der Schlauch, die Kanne von Nepenthes madagascariensis Pois auf Madagascar sich während des Tages so fest schließe, daß der Deckel nur mit Gewalt abgetrennt werden könne, wird von späteren Reisenden geleugnet.

Nepenthes Rajah.

Der Boden der Kanne ist mit einem eigenthümlichen drüsigen Gewebe überzogen, das eine fast reine, meist geschmacklose, zuweilen schwach säuerliche Flüssigkeit absondert, welche am Tage verdunstet und sich während der Nacht wieder ansammelt; sie soll bei der Species von Madagascar den Durst der Reisenden sehr oft gelöscht haben – daher der von Linné gegebene Name Nephenthes, ein Wort, welches Homer und nach ihm Plinius benutzte, nicht um damit eine Pflanze zu bezeichnen, welche, in Wein gethan, hellere Stimmung hervorbringe, sondern ein Kummer und Groll verscheuchendes ägyptisches Zaubermittel, den Sorgenbrecher, welchen (vergleiche Homer’s „Odyssee“ 4, 220[2]) Helena, die liebliche Tochter Kronion’s, ersonnen oder in Aegypten kennen gelernt haben soll. Man bereitete ihn hier aus einer Abkochung von Hanfblättern, woraus ja die Orientalen noch heute ihr Haschisch oder „Molak“ herstellen. Nach Anderen ist aber das ägyptische Bilsenkraut (Hyoscyamus dattura Forsk.) die Nepenthes des Homer, nämlich eine bei Kairo in der Wüste wildwachsende giftige Pflanze, welche die ägyptischen Priester bei ihren religiösen Uebungen benutzten, hauptsächlich um Typhon, die feindliche Gottheit, zu besänftigen.

Man kennt von den Kannenträgern zahlreiche Arten und Abarten, [803] deren Schläuche bald bauchartig geformt sind, bald eine verlängerte Gestalt aufweisen; bei einigen sind sie kaum fingerstark, bei anderen so groß, daß sie mehr als ein halbes Liter Wasser fassen, welches verschiedene Insecten anzieht, die darin meist ihren Tod finden – daher auch die Bezeichnung „Insectenfressende Pflanzen“. – Immer aber haben sie denselben Bau und die Form eines deckelartig geschlossenen, urnenartigen Schlauches, der namentlich bei der am längsten bekannten Art, dem Kannenträger von Ceylon (Nepenthes destillatoria L.) mit gelblich grünen, fünfzehn bis zwanzig Centimeter langen Kannen von der Stärke eines Daumens, an die Blüthen des Osterluzei (Aristolochia Sipho L.), der bekannten Schlingpflanze mit den mächtig großen Blättern, und vielleicht auch an einen hängenden gedeckelten Sack erinnert, welcher an jeder Seite einen in der Längsrichtung mehr oder weniger hervortretenden, an den Rändern gefranzten Kamm, die „Flügel“, trägt. – Die Farbe der Kannen ist doch eine ganz andere, als die der einfachen Blätter; gewöhnlich ist sie grünlichgelb und mehr oder weniger rosa oder braunroth marmorirt.

Die Blumen erscheinen erst bei ziemlich bejahrten Pflanzen in den Blattwinkeln; sie sind eigentlich ziemlich unbedeutend und klein und bilden zusammen eine lange cylinderförmige Traube von gelbgrüner Farbe. Sie sind diöcisch, das heißt eine Pflanze trägt immer nur weibliche, eine andere nur männliche Blüthen, weshalb man sie künstlich befruchten muß, wenn man Samen gewinnen will, was für eine bequeme und sichere Vermehrung nothwendig ist.

Der Kannenträger von Ceylon ist ein kletternder Strauch, der in unseren Gewächshäusern etwa zwei bis drei Meter hoch wird. Von stärkerem Wuchs ist Nepenthes Raffleziana Jacq., eine prachtvolle Art mit großen, grünlichgelben, rothgefleckten Schläuchen, die bald eiförmig ausgebaucht, bald dütenförmig erscheinen; sie sind 25 bis 30 Centimeter lang und 4 bis 6 Centimeter breit; ihre Kannen sind flügelartig, gefranzt, und der Deckel ist etwas gestielt.

Nepenthes Morganiae, „Frau Morgan’s Kannenträger“, ist wahrscheinlich eine in Nordamerika gezogene Varietät von Nepenthes madagascariensis und erhielt ihren Namen zu Ehren der Frau Morgan in New-York, einer der eifrigsten und freigebigsten Beschützerinnen des Gartenbaues in der neuen Welt. Die Firma James Veitch u. Sons in London erhielt von Amerika die Pflanze und hat sie zum Verkauf vermehrt. Diese erwarb sich auf der internationalen Ausstellung in Manchester 1881 eine Medaille erster Classe als Preis für neue Einführungen.

Die größte aller bis jetzt bekannt gewordenen Arten der Kannenpflanze ist jedenfalls Nepenthes Rajah. Sir J. D. Hooker hat sie vor Kurzem in „Transaction of the Linnaean Society“ beschrieben und hinzugefügt: „Diese wundervolle Pflanze wird sicher großes Aufsehen erregen und muß in dieser Beziehung neben die bekannte Riesenblume Rafflesia Arnoldi gestellt werden; auch müssen die Botaniker an den Nutzen erinnert werden, welchen in ihrem Vaterlande die in den Krügen angesammelte Feuchtigkeit den wandernden Forschern gewährt.“ Sie stammt vom Mount Kaina Balu auf Borneo, wo die Herren Veitch und Burbidge in beträchtlicher Höhe Samen dieser Art sammelten, den sie der Firma James Veitch und Sons in London zusandten. Aus diesem sind die Pflanzen entstanden, welche in der Versammlung der „Royal Horticultural Society“ in London eine Medaille erster Classe als Preis für besonders schöne Einführungen erhielten.

Die Cultur derselben ist weder einfach noch leicht. Nach einem Bericht von Thomas Moore in den „Verhandlungen des internationalen botanischen Congresses von 1867“, in Uebersetzung wiedergegeben in Th. Rümpler’s ausgezeichnetem „Illustrirtem Gartenbau-Lexicon“ (Berlin 1882. P. Parey), ist sie aber im Grunde dieselbe wie die der tropischen Orchideen im feuchten Warmhause. Man zieht sie nämlich in faseriger Haide-Erde mit dem dritten Theile Quarzsand und etwas Lehmerde, die aber durchaus kalkfrei sein muß. Die Haide-Erde soll nicht gesiebt, sondern in hasel- bis wallnußgroßen Stücken angewendet werden. Der Wasserabzug in den Töpfen ist mit der größten Sorgfalt herzustellen, und stellt man letztere in Schalen mit Wasser, das in jeder Woche zwei- bis dreimal erneuert werden muß. Im Winter, also von Mitte October bis in den März, läßt man sie ohne Schalen stehen und begießt die Pflanzen, welche man bis dahin sehr stark bewässert hatte, mit Wasser, welches wenigstens die Lufttemperatur des Hauses zeigt, nur sehr sparsam. Die Wärme des Hauses und seiner Luft wechselt von 15 bis 20° R., je nach der Jahreszeit.

Obwohl die Kannenpflanzen sich leicht durch Stecklinge vermehren lassen, so ist do<h die einfachste Fortpflanzungsweise die durch Aussaat der Samen, die man, ohne sie zu bedecken, in Schalen mit fortwährend feucht zu haltender Haide-Erde ausstreut. Die Temperatur muß 20° R. betragen. Ein oder zwei Monate nach dem Aufgehen werden die Pflänzchen in Schalen mit Sand auf sandiger Haide-Erde aus einander gepflanzt (pikirt) und mit einer Glasscheibe zugedeckt. Die Temperatur des Hauses muß jedoch in den Culturen fortwährend in oben angegebener Höhe, die Luft aber sehr feucht gehalten werden. Es stellt sich dabei gern eine Fadenalge ein, welche sich stark vermehrt und die Pflänzchen tödtet; sobald man sie bemerkt, muß man sofort die jungen Pflanzen ausheben, möglichst reinigen und in durchaus frische, aber durchwärmte Erde setzen.




Blätter und Blüthen.

Die Elsässer’sche Schulbank. In rastlosem Bestreben, die Kinderhygiene zu fördern, herrscht unter Aerzten und Technikern ein für die Sache selbst höchst erfreulicher Wetteifer, und ganz besonders ist es die Schulbank, an deren Verbesserung noch unermüdlich gearbeitet wird. Auch der Eisengießereibesitzer Karl Elsässer hat nach dieser Richtung hin so viel Nützliches geschaffen, und seine Schulbankfabrik zu Schönau bei Heidelberg widmet sich ganz speciell einer so vollkommenen Herstellung dieses früher so gering geschätzten, jetzt als höchst wichtig erkannten Möbels, daß es nicht mehr als billig ist, diese Schulbänke kurz zu schildern. Wir stehen hier nicht nur vor zufällig erfundenen Neuerungen, vor einzelnen Verbesserungen, sondern vor der Verkörperung von Grundsätzen, nach welchen zunächst sämmtliche Anforderungen an eine Schulbank systematisch erörtert wurden. Als erster Grundsatz wurde angenommen, daß sechs bis sieben Nummern von Bänken in richtigen Abstufungen zu construiren sind, um allen Bedingungen für die Größenverhältnisse der verschiedenen Altersclassen zu entsprechen. Sodann ist es Haupterforderniß, daß sie gleichmäßig für das Sitzen, wie für das freie, ungezwungene Stehen, das Ein- und Austreten sich eignen. Beim Sitzen sind wieder für das Schreiben (oder Zeichnen) und für das Lesen verschiedene Einrichtungen zu treffen.

Es muß also der für das Arbeiten nöthige geringste Abstand (Minus-Distanz), das ist das Ueberragen der Vorderkante des Tisches über die Vorderkante des Sitzes, sich leicht in einen größeren Abstand (Plus-Distanz) umwandeln lassen, bei der jene beiden Kanten genügenden Raum frei lassen, um das Aufstehen und Austreten zu ermöglichen. Dies hat man bisher dadurch zu erreichen gesucht, daß man, da Sitz und Tisch meist fest mit einander verbunden sind, die Tischplatte zum Vor- und Zurückschieben einrichtete. Elsässer hat das dadurch erreicht, daß die vordere Tischplattenhälfte sich in die Höhe schlagen läßt und damit zugleich aus einer wenig geneigten Schreibfläche zu einem steileren Lesepulte wird.

Als dritter Grundsatz wurde aufgestellt, daß das kleinere Kind verhältnißmäßig höher sitzen müsse, um dem Lehrer die Ueberwachnug zu erleichtern und das ihm beschwerliche Bücken zu ersparen. Elsässer erreicht dies durch ein Podium von Holzleisten, welches zugleich die Bildung des Schulstaubs verhindert, indem der Schmutz von den Fußbekleidungen der Kinder durch die Lücken zu Boden fällt, ohne weiter verrieben zu werden. Auch trocknet nasses Schuhwerk auf solchen Podien schneller, und das Reinigen des Fußbodens unter denselben ist wesentlich erleichtert.

Hierin ist ein vierter Grundsatz angedeutet, nach dem Elsässer seine Schulbank construirt. Ihr durchsichtig zierliches und doch sehr festes Gestell berührt den Fußboden möglichst wenig, nämlich nur an vier Punkten, gestattet also sehr bequem, den Fußboden gründlich zu reinigen.

Ein fernerer Grundsatz war, daß auch der Sitz leicht beweglich sein mußte, um die nöthige Plusdistanz beim Aufstehen des Schülers sofort zu erzielen, respective zu vergrößeen. Um das zu erreichen, wurde der Klappsitz mit tiefem (das heißt nahe dem Fußboden liegendem) Drehpunkt hergestellt, der ohne jede Mühe und ohne Zuhülfenahme der Hand seine Dienste thut, ein Sitz, dessen Erfindung man dem Münchener Lehrer Joseph Kaiser zu verdanken hat.

Fernere Anforderungen: Geräuschlose, handliche Thätigkeit, solides, fast unverwüstliches Material, Billigkeit und Raumersparniß durch paarweise Anordnung, freie Beweglichkeit und praktische innere Einrichtung für Tintenfaß etc. sind gleichfalls in der Elsässer’schen Schulbank erfüllt. Sie erleichtert durch ihre Zweckmäßigkeit die Aufsicht und Disciplin in einer Classe sehr wesentlich und verdient daher bei Anschaffung von Schulsubsellien eingehende Prüfung und Beachtung, da sie, nach allen Richtungen hin auf rationellen Principien beruhend, den Anforderungen der Hygiene und den bewährten Erfahrungen der Pädagogen gleich gerecht wird. F.     




Das Händehäufchenmachen oder Pitsche-patsche. (Mit Illustration S. 801.) Dieses Spiel mit den Kindern in ihrem liebenswürdigsten Alter wird wohl in jeder Familie aufgeführt, und zwar zum Ergötzen von Jung und Alt. Von den um den kleinen Liebling herumstehenden Eltern und Geschwistern legt Eins die Hand flach auf den Tisch, die Anderen folgen dem Beispiel nach, bis alle Hände einen hohen Haufen bilden: dann wird immer die zu unterst liegende Hand hervorgezogen und wieder oben darauf gelegt, und das geschieht erst langsam, dann immer geschwinder, bis mit dem Durcheinanderpatschen der Hände das Spiel unter herzhaften Lachen endet. Natürlich erregt der lustige Vorgang allgemeines Interesse in der Wohnstube, wie unser Bild dies vor Augen führt.




Verhütung des Gefrierens der Fenster. Schon öfter ist die Frage aufgeworfen worden, wie das Gefrieren der Fenster zu verhüten sei. Um die Antwort zu finden, ist es nöthig, die Ursache der fraglichen Erscheinung zu erkennen. Die an den Fensterscheiben oft in bewundernswerthen Formen anschießenden Eisblumen bestehen aus feinen Wasserkrystallen. Dieses Wasser rührt von dem in der Luft aufgelösten Wasserdampfe her, der sich bei der Abkühlung der Luft an dem kalten Glase der Fenster verdichtet, indem die Luft um so weniger Wasserdampf in sich aufzunehmen vermag, je niedriger die Temperatur ist. Das Gefrieren einfacher Fenster ist bei sehr kaltem Wetter selbst durch starke Heizung des Zimmers kaum zu verhüten, sobald die Luft im Zimmer sehr feucht ist. Bei Doppelfenstern kann man aber in dieser Beziehung Vorsichtsmaßregeln treffen. In Rußland ist es üblich, Näpfchen mit Kochsalz zwischen die Doppelfenster zu stellen: dies ist insofern wirksam, als das Salz den Wasserdunst der Luft in sich aufnimmt und somit die Luft trockener macht. In Folge dieser Wasseraufnahme zerfließt das Salz mit der Zeit und muß durch frisches ersetzt werden: das nasse Salz kann man aber zu neuem Gebrauche auf dem Ofen trocknen. In Städten, wo man Gasbeleuchtung hat, läßt man zu gleichem Zwecke dicht am Stocke der Schaufenster eine Reihe von Gasflämmchen brennen, wodurch die Luft [804] erwärmt wird. Gleichzeitig wird aber beim Verbrennen des Gases auch Wasserdampf erzeugt. Um nun die dadurch feuchter werdende Luft durch trockene zu ersetzen, muß man in solchem Falle Sorge tragen, daß von unten zwischen die Fenster Zimmerluft eintreten und oben die feuchte Luft entweichen kann, wozu passende Oeffnungen in den Fensterrahmen dienen. Zweckmäßig wäre es vielleicht, auch in diesem Falle das Kochsalz als Feuchtigkeit anziehenden Körper nebenbei noch mit in Anwendung zu bringen. Schw.     




Max von Schenkendorf, ein Dichter aus den Tagen der deutschen Befreiungskriege, dessen Lied „Freiheit, die ich meine“, ein Lieblingsgesang des deutschen Volkes geworden, gehört deshalb zu den Todten, deren Andenken stets in Ehren gehalten werden sollte. Möge man darum am 11. December ihm einen festlichen Abend weihen und den hundertsten Geburtstag des Dichters mit seinem Liede verherrlichen. Auch ihn hat der Tod jung, im erst aufblühenden Leben dahingerafft, aber ohne ihm Theodor Körner’s beneidenswerthes Glück zu gönnen, mit dem Schwert in der Hand im Kampf für’s Vaterland zu fallen.



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Inhalt: Glockenstimmen. Von Stefanie Keyser (Fortsetzung). S. 789. – Im Congoland. Von Dr. Pechuel-Loesche. 4. In den Kukibuendi-Bergen. S. 794. Mit Illustrationen. S. 792, 793 und 796 – Dr. Friedrich Dittes – Ein Kämpfer für die Volksschule. Von E. Stötzner. S. 797. Mit Portrait. S. 797. – Die Braut in Trauer. Von Ernst Wichert (Fortsetzung). S. 799. – Die Kannenträger. Von O. Hüttig. S. 802. Mit Abbildungen. S. 802. – Blätter und Blüthen: Die Elsässer’sche Schulbank. – Das Händehäufchenmachen oder Pitsche-patsche. S. 803. Mit Illustration. S. 801. – „Verhütung des Gefrierens der Fenster“. S. 803. – Max von Schenkendorf S. 804.


  manicula Dieser Nummer ist Nr. 10 unserer „Zwanglosen Blätter“ beigelegt.



Unter Verantwortlichkeit von Dr. Friedrich Hofmann in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Juggernaut (Dschagarnaut) ist der Haupttempel des gleichnamigen Gottes in Ostindien. Im Juni oder Juli jeden Jahres findet hier das Tirunal, d. h. Wagenfest, statt, welches zehn Tage dauert. Das Götzenbild wird bei dieser Feier auf einen ungeheuer hohen und starken Wagen gesetzt, der, oft mit mehreren tausend Menschen bespannt, im tiefen Sand circa ein Kilometer weit fortgezogen wird.
  2. „Siehe, sie warf in den Wein, wovon sie tranken, ein Mittel
    Gegen Kummer und Groll und aller Leiden Gedächtniß.
    Kostet Einer des Weins, mit dieser Würze gemischet,
    Dann benetzet den Tag ihm keine Thräne die Wangen,
    Wär’ ihm auch sein Vater und seine Mutter gestorben,
    Würde vor ihm sein Bruder, und sein geliebtester Sohn auch
    Mit dem Schwerte getödtet, daß seine Augen es sähen.
    Siehe, so heilsam war die künstlich bereitete Würze,
    Welche Helenen einst die Gemahlin Thon’s Polydamma
    In Aegyptos geschenkt.“