Die Jungfrau von Orleans (Schiller-Galerie)

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Autor: Friedrich Pecht
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Titel: Die Jungfrau von Orleans
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aus: Schiller-Galerie. Charaktere aus Schiller’s Werken, gezeichnet von Friedrich Pecht und Arthur von Ramberg. Funfzig Blätter in Stahlstich mit erläuterndem Text von Friedrich Pecht
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: F. A. Brockhaus
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Erscheinungsort: Leipzig
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Johanna.

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JOHANNA.
(Die Jungfrau von Orleans.)


So ohne ihresgleichen ist die Erscheinung dieses begeisterten Mädchens in der Geschichte, dass sie darum heute noch einen Gegenstand des Nachdenkens und der Bewunderung für den Staatsmann und Politiker ausmacht, wie des Enthusiasmus und der vollkommen gerechtfertigten Verehrung für jedes gefühlvolle Herz. Alle Aufhellungen, die dieser merkwürdigen Episode in der französischen Geschichte seither geworden sind, haben nur dazu gedient, den Eindruck des Wunderbaren nicht nur zu verstärken, sondern auch Schiller’s Auffassung der Johanna vollständig zu rechtfertigen, gegenüber der wahrhaft widerwärtigen Art, wie einzelne ihrer eigenen Landsleute sie zu einem Gegenstand des frivolsten Witzes, des gemeinsten Spottes gemacht haben, und besonders Voltaire sich ein vernichtendes Zeugniss seiner niedrigen Denkungsart in seiner berüchtigten Behandlung der „Pucelle“ ausstellte.

Die neuern geschichtlichen Forschungen bestätigen also, wie bemerkt, die Schiller’sche Darstellung der Jugendzeit, der wahrscheinlichen innern Entwickelung des Mädchens durchaus. Wir treffen sie in der Einsamkeit des Hirtenlebens, dessen Isolirung das Gemüth so sehr zum Nachdenken, zur Vertiefung in sich selber, zur Schwärmerei einladet, aufgewachsen, da ist sie jener hohen Begeisterung, jener glühenden Ekstase fähig geworden, ist ferner in der Notwendigkeit gewesen, bei ihrer Schutzlosigkeit in dieser Oede den verwegensten Muth auszubilden. Sie prangt in der Fülle der Jugend, der eben entfalteten Schönheit, ist in das Alter eingetreten, wo über das Schicksal der Jungfrau entschieden wird, wo sich ein unbestimmter Drang in ihr regt, der entweder wie bei der Mehrzahl der Frauen in der Liebe seine Erfüllung findet, oder bei einzelnen sich mit grenzenloser Begeisterung einem idealen Interesse, in gewöhnlichen Zeiten meist dem der Religion hingibt. Bei Johanna’s [Ξ] hochfliegendem Geiste musste der letztere Fall eintreten, die Neigung und also auch das Auftreten von Visionen lag bei solcher Seelenstimmung wol ganz nahe, da aber musste sich ihre Erscheinung nothwendig an das knüpfen, was ihre Seele am meisten bewegte. Dass zu der Zeit das dumpfe Tosen der Stürme, die ihr Vaterland durchrasten, auch endlich an ihr Ohr drang, ihr Herz mit energischem Hasse gegen die fremden Unterdrücker füllte, ist vollkommen begreiflich, nicht minder als die ungeheuere Wirkung, die er in diesem Gemüthe, das nur noch einen Gegenstand für seine Begeisterung suchte, ausüben konnte.

In diese einfache und grossartige Natur fiel der Gedanke an die Noth des Vaterlandes wie ein Funke, der ihr ganzes Innere in Flammen setzte, das nur ein würdiges Ziel gebraucht hatte, um sich zur grössten Ekstase zu erheben, in der sie ihren Angehörigen, deren Seelen nicht gleichen Schwunges fähig, wie ein Räthsel erscheinen musste. Einem aufgeregten, von Natur aus schon heroischen Gemüthe lag der Wunsch, des Vaterlandes Befreiung zu versuchen, durchaus nicht so fern, sowenig als dass aus diesem Wunsche die Träume und Gesichte der Nacht eine Vocation, – eine Pflicht machten.

Dass die plötzliche Erscheinung der begeisterten Jungfrau aber bei einem Volke, welches jederzeit des Umschlags in den grössten Enthusiasmus aus der äussersten Muthlosigkeit und umgekehrt fähig war, um so mehr zünden musste, wenn sie eben dann auftrat, als die letztere, erzeugt durch das unentschlossene Benehmen des Königs, ihren höchsten Grad schon überschritten hatte, die durch langes Misgeschick entmuthigte Nation, durch den Druck und die Schande aufs höchste gereizt, sich bereits wieder sagte:

Nichtswürdig ist die Nation, die nicht
Ihr Alles freudig setzt an ihre Ehre –

dies alles ist, wenn auch merkwürdig und im höchsten Grade interessant, doch keineswegs unerklärlich. Im Gegentheil, dass sie bei dieser ersten Ueberraschung den Umschlag in diesen Enthusiasmus, der alles vor sich niederwarf, bewirken konnte, ist um so erklärlicher, als zahlreiche Weissagungen aller Art die Geister der Masse nicht nur, [Ξ] sondern auch der Gebildeten auf eine solche wunderbare Erscheinung vorbereitet hatten.

Indem Johanna aber zugleich fühlt, dass sie durch diese kriegerische Mission aus dem Kreise ihres Geschlechts heraustritt, liegt der Gedanke ihr doppelt nahe, entspricht vollkommen der Denkungsart der Zeit, dass dies nur zu sühnen sei, indem sie, als Gott geweiht, der irdischen Liebe zu entsagen habe. Es ist weiter der feste Glaube an ihre Mission, wenn sie sich verpflichtet fühlt, keinen Feind zu schonen, und ohne Gewissensbisse auch den Knaben Montgomery niederstösst; wie sie denn demselben gegenüber den Glauben an ihre Verpflichtung zur Schonungslosigkeit auch ausspricht:

Ich bin nur eine Jungfrau, eine Schäferin
Geboren; nicht des Schwerts gewohnt ist diese Hand,
Die den unschuldig frommen Hirtenstab geführt.
Doch, weggerissen von der heimatlichen Flur,
Von Vaters Busen, von der Schwestern lieber Brust,
Muss ich hier, ich muss – mich treibt die Götterstimme, nicht
Eignes Gelüsten – euch zu bitterm Harm, mir nicht
Zur Freude, ein Gespenst des Schreckens, würgend gehn,
Den Tod verbreiten und sein Opfer sein zuletzt!
Denn nicht den Tag der frohen Heimkehr werd’ ich sehn –

so empfindet sie auch, nachdem sie so vollständig und unwiderruflich aus der Stellung gewöhnlicher Frauen herausgetreten ist, dass sie nicht wieder dahin zurückkehren kann, dass sie nicht nur Opfer schlachten, sondern auch selber eins werden muss. Als dieses verleugnete weibliche Herz aber doch seine Rechte geltend macht, wenn ihr die Liebe bei Lionel’s Anblick naht, so verwirrt sie diese Empfindung, erscheint ihr als Schuld:

Wer? Ich? Ich eines Mannes Bild
In meinem reinen Busen tragen?
Dies Herz, von Himmelsglanz erfüllt,
Darf einer ird’schen Liebe schlagen?
Ich, meines Landes Retterin,
Des höchsten Gottes Kriegerin,
Für meines Landes Feind entbrennen?

[Ξ] Jedwede Aufregung, wie die, welche Johanna emporgetragen und das Volk mit ihr, macht einer Ernüchterung Platz, wenn ihr Ziel erreicht ist; als die Wirkung dieser nothwendigen Reaction haben wir nach dem Einzug in Rheims am Ziel des Siegs die Anklage des eigenen Vaters, die Undankbarkeit des Hofs anzusehen, während Johanna’s eigenes Schuldbewusstsein sie verhindert, rasch der Anklage zu widersprechen, sie an der eigenen Mission zweifeln lässt, eben gerade nach dem Eintreten des Moments, wo ihre Wirkung sich am glänzendsten bewährt hatte, weil, nachdem sie einmal aus der Natur herausgetreten, sie die Rückkehr derselben als einen Widerspruch, es als eine Untreue empfindet, wenn sie ihr unterliegt. Dieselbe Ernüchterung rings um sich gewahrend, wird sie noch mehr irre an sich: was ihr eben noch als Vocation Gottes erschienen war, scheint ihr jetzt selbst wenn auch kein Blendwerk des Teufels, doch wenigstens die Anklage und Verdammung eine Prüfung, die sie als Busse ertragen müsse.

Wie das ganze Volk, findet auch sie den Glauben an ihre hohe Mission erst in seiner ganzen Stärke wieder, als die Noth, die drängende, von neuem naht, da überkommt sie aber die alte Begeisterung sofort wieder, die sie zum Siege und in den Tod führt, wo sie noch einmal das Gefühl der wiedergefundenen Uebereinstimmung mit sich selber selig ausspricht:

Nein, ich bin keine Zauberin! Gewiss,
Ich bin’s nicht. . . .
– Ja, jetzt erkenn’ ich deutlich alles wieder!
Das ist mein König! Das sind Frankreichs Fahnen!
Doch meine Fahne seh’ ich nicht. – Wo ist sie?
Nicht ohne meine Fahne darf ich kommen;
Von meinem Meister ward sie mir vertraut:
Vor seinem Thron muss ich sie niederlegen;
Ich darf sie zeigen, denn ich trug sie treu.



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Karl VII.

[Ξ]
KARL VII.
(Die Jungfrau von Orleans.)


Ueberall ist der Dilettantismus widerwärtig, am verhängnissvollsten aber wird er jedenfalls, wenn ihn ein König auf dem Throne treibt, mitten in wilder schwerer Zeit, die einen ganzen Mann fordert und nun nichts als einen kunstsinnigen Schwächling findet.

Karl VII., wie ihn, streng der Geschichte folgend, Schiller zeichnet, ist ein solcher dilettirender König; sehr anständig und gut erzogen, thut er nie etwas Unschickliches; ganz ausnehmend wohlsprechend, weiss er euch überall vortreffliche geistreiche Reden zu halten, wo man eine That braucht; er hat guten Willen zu allem, Kraft zu nichts; wo man ihn anfasst, gibt er nach; er ist wie Schnee, der einem nirgends Stich hält, einem unter den Händen zerrinnt, wenn man ihn zu halten glaubt. Ist der Mann voll sanfter guter Wünsche, seufzt und klagt er über das Elend seines Landes, so hindert ihn das doch nicht, sich im stillen möglichst gut zu unterhalten, er macht Gedichte, er lässt sich vorsingen, er liebt die Künstler und hasst die Soldaten. Würde er der Künstler bedürfen, so würde er sicherlich die Soldaten lieben, denn eigentlich ist es der Begriff der Pflicht, der ihm verhasst ist; er will blos Vergnügen, er möchte auch sein Volk beglücken, aber ohne alle Anstrengung. Wie alle schwachen Naturen hält er sehr auf äussern Anstand: die gemessene Form soll die innere Haltlosigkeit verdecken. Es ist ihm nichts so zuwider, als die rauhen Redensarten des Dunois; wäre die Hofetikette nicht längst erfunden, er würde sie jedenfalls neu geschaffen haben, um sich alles vom Leibe zu halten, was seine sentimental-romantischen Neigungen irgend stören könnte. So ist er gleich im Eingang froh, des Connetable los zu sein, die Freude darüber überwiegt ihm bei [Ξ] weitem die Kränkung und die Schmach, alles Land bis zur Loire preiszugeben. Darum ist ihm auch die Liebe so wichtig und Agnes so theuer; sie stützt ihn, ohne es zu wissen, und er findet es reizend, dass sie ihm alles opfert, sogar ihre Ehre, und nichts von ihm will, als seine Liebe.

Es ist ganz begreiflich, wie ein solcher Charakter an der Spitze einer Nation sie zur vollsten Demoralisation bringen kann, da sie ihn, gutmüthig, wie er erscheint, doch nicht fallen lässt, aber weil sie an ihrem Haupt verzweifelt, zuletzt auch nicht mehr an die Kraft der Glieder glaubt, und so in den muth- und rathlosen Zustand geräth, in welchem wir sie zu Anfang des Stücks finden, und aus dem sie durch das Beispiel kühnen Muthes, das ihr Johanna gibt, rasch zu kampflustiger Begeisterung umschlägt. Auch Karl hat ritterliche Anwandelungen, wo sie nicht passen; so fordert er den Herzog von Burgund heraus, – in der sichern Gewissheit, dass letzterer es nicht annehmen werde. Es war aber nur ein romantischer Anflug, denn gleich darauf zeigt er sich, als die Gefahr am höchsten steigt, vollkommen rathlos zusammenbrechend und sich über die eigene Muthlosigkeit mit dem Spruche tröstend:

Ein finster furchtbares Verhängniss waltet
Durch Valois’ Geschlecht; es ist verworfen
Von Gott; der Mutter Lasterthaten führten
Die Furien herein in dieses Haus.

Nach Art solcher Naturen wälzt er also mit raschem und geschicktem Instinct die eigene Schuld überall auf andere.

Können wir uns aber mit Recht wundern, dass die kräftige Königin Isabeau, das stolze Mannweib, diesen so anständigen, kunstliebenden Sohn verachtet? Sie hat sehr gut die Perfidie herausempfunden, welche die stete Begleiterin solcher schwachen Naturen ist, die nie etwas festzuhalten wissen. Wie wenig Karl dies versteht, sehen wir unter anderm aus der Leichtigkeit, mit der er Orleans aufgeben will, und als ihm Dunois entgegenhält, dass sie alle bereit seien, sich für seine Sache zu erheben, denn

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Für seinen König muss das Volk sich opfern,
Das ist das Schicksal und Gesetz der Welt.
Der Franke weiss es nicht und will’s nicht anders –

so gibt er sich doch selber auf, erwidert:

Ich kann nicht mehr –

und tröstet sich als Dilettant, der den Beruf und die Arbeit allemal im Stiche lässt, wenn die Schwierigkeiten kommen:

Ist denn die Krone ein so einzig Gut?
Ist es so bitter schwer, davon zu scheiden?

Ist er als König überall unzulänglich, so kann man ihm dagegen um so weniger viele Tugenden eines Privatmanns streitig machen: er ist gutmüthig, freigebig, geistreich ohne blendend oder tief zu sein, er hat viel feines Zartgefühl, was er gleich in der schwierigen Scene mit dem Herzog von Burgund und der zarten Schonung, mit der er alles entfernt, was den Wiedergewonnenen verletzen könnte, beweist. Er zeigt sich überall leicht versöhnlich, er hält die Rache nicht fest, – freilich weil er überhaupt gar nichts festhielt! Nur die Wohlredenheit bleibt ihm unter allen Umständen. Die Romantiker auf dem Throne wissen bekanntlich immer sehr geistreiche Betrachtungen anzustellen, besonders über alles was abgeschlossen ist, sie sind die wahren Leichenprediger; so zeigt sich denn auch König Karl dieses Amtes Meister, als er den todten Talbot trifft:

 Fried’ sei mit seinem Staube!
Ihm soll ein ehrenvolles Denkmal werden.
Mitten in Frankreich, wo er seinen Lauf
Als Held geendet, ruhe sein Gebein!
So weit, als er, drang noch kein feindlich Schwert,
Seine Grabschrift sei der Ort, wo man ihn findet.

Man konnte gewiss nichts Besseres über den Helden sagen, nachdem man ihn so schlecht bekämpft!

Weiss er aber den Todten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, so versteht er es um so schlechter bei den Lebendigen, wie wir in der Krönungsscene sehen, wo er der Jungfrau, die ihm Krone und [Ξ] Reich erfochten, erst einen Altar errichten, sie dem heiligen Denis gleichsetzen will, und sie dann fünf Minuten nachher, auf die Anklage eines bigoten Bauern hin, nichtsdestoweniger hülflos stehen lässt, ja die Gnade so weit treibt, dass er ihr, der er alles verdankt, durch Du Chatel sagen lässt:

Johanna d’Arc! Der König will erlauben,
Dass Ihr die Stadt verlasset ungekränkt.
Die Thore stehn Euch offen. Fürchtet keine
Beleidigung. Euch schützt des Königs Frieden.

Natürlich lässt sich unser künstlerischer König das Recht nicht nehmen, ihr wieder die Leichenrede zu halten, nachdem sie für ihn gestorben:

Sie ist dahin. – Sie wird nicht mehr erwachen,
Ihr Auge wird das Ird’sche nicht mehr schauen.
Schon schwebt sie droben, ein verklärter Geist,
Sieht unsern Schmerz nicht mehr und unsre Reue –

um uns so das Bild seiner Schwäche zu vervollständigen. Sie ist nicht zu verkennen in dem nach vorhandenen ältern Porträts gefertigten Bilde: in dem schmalen Gesicht, den grossen schwärmerischen Augen, der langen schmalen Nase, den feinen Lippen und der kleinen Hand, wie der schlanken weichen Gestalt ist sie nur zu deutlich ausgeprägt. Karl’s Charakter entsprechend, hat ihn der Künstler in der Scene dargestellt, wo er vor dem Erscheinen der Jungfrau rathlos seine Sache aufgibt, seufzend:

 G’nug
Des Blutes ist geflossen und vergebens!
Des Himmels schwere Hand ist gegen mich!



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Agnes Sorel.

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AGNES SOREL.
(Die Jungfrau von Orleans.)


Das Genie der Frauen liegt in ihrem Herzen, wenn dieses ganz ausgefüllt wird, lernen wir es nur im Bereiche desselben kennen, wo es uns durch seine Unerschöpflichkeit an rührenden Zügen immer wieder aufs neue zu überraschen vermag.

Einen solchen Charakter, dem das Glück geworden, ganz in innerer Harmonie mit sich zu bleiben, trotzdem dass er nicht nur mit allen Reizen des Körpers, sondern auch eines hervorragenden Geistes und ungewöhnlicher Bildung geschmückt ist, sehen wir in der Gestalt der berühmten Frau, deren reine und hohe Liebe als ein leuchtendes Beispiel längst mit allem Zauber der Romantik geschmückt, eine rührende Erinnerung für alle gemüthvollen Seelen geworden ist, und der auch unser Schiller in seinem Werke ein schönes Denkmal gestiftet hat, als er ihre so sprichwörtlich gewordene Zärtlichkeit mit allem Zauber seiner Poesie umkleidete. Wir lernen sie bei ihm als eine der entschiedensten Priesterinnen der Liebe, der am ausschliesslichsten nur ihr lebenden Naturen kennen, die er unter seinen Frauensgestalten uns vorführt.

Da die Gesetze der Welt es dem König erschweren, dem Bund, den sein Herz mit ihr geschlossen, die priesterliche Weihe geben zu lassen, er wenigstens, um dies zu thun, eine Stufe herabsteigen, auf legitime Erben verzichten müsste, so nimmt sie dieses Opfer nicht an, obgleich es ihr angetragen wird, und obgleich durch diese ungesetzliche Verbindung ein Makel auf ihr haftet, dessen sie sich wohl bewusst ist, da sie ihm sagt:

Wie? Hab’ ich dir nicht alles froh geopfert,
Was mehr geachtet wird, als Gold und Perlen,
Und sollte jetzt mein Glück für mich behalten?

[Ξ] Sie weiss, dass sie diesen Mangel ihrer Stellung nur durch die grenzenloseste Treue und Hingebung gutmachen kann, und bringt daher nicht nur ohne Zaudern auch das weitere Opfer ihrer Habe, sondern sie verschmäht jeden zeitlichen Vortheil, den sie von des Königs Leidenschaft zu ihr ziehen könnte. Sagt er doch selbst von ihr:

 Sie ist edel, wie ich selbst,
Geboren; selbst das königliche Blut
Der Valois ist nicht reiner; zieren würde sie
Den ersten Thron der Welt – doch sie verschmäht ihn,
Nur meine Liebe will sie sein und heissen.
Erlaubte sie mir jemals ein Geschenk
Von höherm Werth, als eine frühe Blume
Im Winter oder seltne Frucht? Von mir
Nimmt sie kein Opfer an und bringt mir alle,
Wagt ihren ganzen Reichthum und Besitz
Grossmüthig an mein untersinkend Glück.

Will sie also nichts für sich, als das Recht, ihm alles zu opfern, jenes schönste und liebenswürdigste Recht aller zarten Frauenherzen, so wendet sie dagegen alles an, um dem schwachen Mann seine Pflicht als König ins Gedächtniss zu rufen, ihn auf der Höhe seiner Stellung zu erhalten. Sie ruft ihm zu:

Verwandle deinen Hofstaat in Soldaten,
Dein Gold in Eisen! Alles, was du hast,
Wirf es entschlossen hin nach deiner Krone –

und zeigt noch den edelsten Muth, als das Misgeschick aufs höchste gestiegen ist, da er schon kleinmüthig verzagen will; sie stützt und trägt ihn mit Heldenmuth, da er zusammenbricht:

Das wolle Gott nicht, dass wir, an uns selbst
Verzweifelnd, diesem Reich den Rücken wenden!
Dies Wort kam nicht aus deiner tapfern Brust.
Der Mutter unnatürlich rohe That
Hat meines Königs Heldenherz gebrochen!
Du wirst dich wiederfinden, männlich fassen,
Mit edelm Muth dem Schicksal widerstehen,
Das grimmig dir entgegenkämpft.

[Ξ] Sie offenbart uns so die grosse edle Seele, die nur der eigene Liebesreichthum über die Schwäche des Geliebten täuscht, welchem ihre Phantasie alle die Vorzüge leiht, deren Mangel ihn eine so haltlose Figur spielen lässt, – sie fühlt richtig, wie nur die Liebe es fühlen mag, dass, wenn nur ein Wunder ihn durch die Strudel des wilden Kampfes tragen kann, er dagegen Wohlwollen und edle Gesinnung genug hätte, um ein befriedigtes Land auch freundlich zu beglücken.

In deiner sanften Seele hat der Himmel
Den Arzt für alle Wunden sich bereitet,
Die der Parteien Wuth dem Lande schlug.
Des Bürgerkrieges Flammen wirst du löschen
Mir sagt’s das Herz, den Frieden wirst du pflanzen,
Des Frankenreiches neuer Stifter sein.

Die Demuth und Bescheidenheit, welche die schöne Frau bei jeder Gelegenheit zeigt, die verschämte Art, mit der sie ihre Schätze opfert, – in welcher Situation sie uns der Künstler vorführt –, wie die Verehrung, mit der sie sich vor der Jungfrau in den Staub wirft: in allem malt sich uns das sanfte, liebenswürdige, hingebende Geschöpf, dem die Liebe alles ist. Darum kann sie auch die Jungfrau nicht verstehen, eine Mission nicht begreifen, die sie diesen sanftern Regungen des Herzens noch unzugänglich machen soll, nachdem das Ziel des Kampfes erreicht ist, und sagt ihr daher:

O, könntest du ein Weib sein und empfinden!
Leg’ diese Rüstung ab, kein Krieg ist mehr,
Bekenne dich zum sanfteren Geschlechte!
Mein liebend Herz flieht scheu vor dir zurück,
Solange du der strengen Pallas gleichst –

da sie dieselbe des Entzückens theilhaft sehen möchte, das sie in diesem Augenblick selbst empfindet, und das sie so naiv und menschlich schön ausspricht:

Denn soll ich meine ganze Schwäche dir
Gestehen? Nicht der Ruhm des Vaterlandes,
Nicht der erneute Glanz des Thrones, nicht
Der Völker Hochgefühl und Siegesfreude

[Ξ]

Beschäftigt dieses schwache Herz. Es ist
Nur Einer, der es ganz erfüllt; es hat
Nur Raum für dieses einzige Gefühl:
Er ist der Angebetete, ihm jauchzt das Volk,
Ihn segnet es, ihm streut es diese Blumen,
Er ist der Meine, der Geliebte ist’s.

Der historischen Sorel Schicksal war so, wie es sich erwarten liess, wenn man sein Los an einen so schwachen Charakter gebunden hatte; selbst des Hofes müde, oder überflüssig geworden, hatte sie sich auf ihr Schloss Beauté, von dem sie auch den Namen „Dame de Beauté“ führte, zurückgezogen, besuchte aber auf wiederholte Einladung des Königs und der Königin das Hoflager doch noch einmal wieder, wo sie dann, wie man vermuthet an Gift, plötzlich (1450) starb.

Bei dem Bild, das wir von ihr geben, ist ein authentisches Porträt aus ihrer Zeit zu Grunde gelegt worden, da es uns den sanften und hingebenden Charakter der schönen Frau errathen lässt, deren weichem Herzen die Liebe alles zu verleihen, es selbst mit Muth und Entschlossenheit zu stählen vermochte.



[Ξ]

Talbot.

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TALBOT.
(Die Jungfrau von Orleans.)


Sehen wir in der Jungfrau die Macht des Glaubens personificirt, wie sie siegend alles vor sich niederwirft, wie alle materielle Kraft, alle Mittel des Verstandes, der Kriegs- und Staatskunst nichts gegen dieselbe vermögen und ihre unmessbare, unberechenbare Gewalt, so brauchen doch diese Kräfte des Widerstandes einen Repräsentanten, geeignet, ihre Bedeutung in das hellste Licht zu setzen, um den Triumph der erstern um so glänzender zu machen.

Dieser Gegensatz der Jungfrau ist in Talbot gegeben, der alles das in Fülle hat, was dem unerfahrenen Mädchen fehlt: die reichste Erfahrung, das sichere Selbstbewusstsein eines sieggewohnten Feldherrn, einen wahrhaft grossartigen Sinn, unbesiegbaren, trotzigen Löwenmuth, unverlierbare Gegenwart des Geistes, und das alles durchdrungen und beseelt von der schneidendsten Schärfe des Verstandes, an dem er alle andern Charaktere des grossen Gemäldes weit überragt. Aber gerade diese unerbittliche Logik des Gedankens in der unbeugsamen Heldennatur, die uns so imponirt, ist machtlos gegen den Enthusiasmus des Glaubens; denn während dieser das Disparateste verbindet und die starre Eisrinde spröder Naturen schmelzt mit seiner Glut, kann jene schneidige Schärfe gar oft blos trennen und also isoliren, anstatt zu verbinden.

Diese verhängnissvolle Wirkung lernen wir denn auch gleich kennen beim ersten Auftreten des Feldherrn: er erklärt den Schreck der Soldaten ganz richtig für Narrheit, beleidigt aber dabei den Alliirten durch das Heraustretenlassen jenes vorherrschenden Charakterzugs, den echt englischen Stolz, die Härte und Schonungslosigkeit. Liest man diese Streitscene mit dem Herzog von Burgund, so werden unsere [Ξ] Gedanken unwillkürlich in viel neuere Zeiten geführt. Nur vom Verstand regiert, müssen aber Verstandesgründe, die bei der Masse so gering wirken, bei Talbot immer offen Zutritt finden, daher beugt er sich, so widrig auch seiner Natur die Königin Isabeau ist, doch ihrem Geist, und reicht dem Gegner die Hand zur Versöhnung trotz seines Stolzes. Indessen, während er sich ihrem Raisonnement ergibt, kann er sich für diese Demüthigung doch die Genugthuung nicht versagen, ihrer Urheberin wenigstens ein paar boshafte Seitenhiebe zu versetzen:

Geht, geht mit Gott, Madame! Wir fürchten uns
Vor keinem Teufel mehr, sobald Ihr weg seid –

wie denn das Schwertscharfe seiner Natur in jedem Wort heraustritt –, um es so auch mit ihr zu verderben.

Es folgen die beiden Schlachten, deren Beschreibung zu dem Schönsten gehört, was die Pracht und Gewalt der Schiller’schen Muse geschaffen, und wo wir den Helden die härteste Probe bestehen sehen. Dass er allein unbeirrt bleibt in dem allgemeinen Schreckenstaumel ist richtig; seine durchaus verständige Natur verhindert ihn aber auch, denselben nur zu fassen, er begreift die magische Macht nicht, der er gegenübersteht, ihm ist die Jungfrau blos

Eine Gauklerin, die die gelernte Rolle
Der Heldin spielt.

Wir verzeihen ihm diese Einseitigkeit des Verstandes blos des heroischen Trotzes wegen, mit dem er mitten im allgemeinen Entsetzen schwört:

 Den soll dies Schwert durchbohren,
Der mir von Furcht spricht und von feiger Flucht!

Diese Theilnahme für den stolzen Helden steigert sich aber noch, wenn wir ihn zum dritten male wiederfinden. Besiegt und zum Tode getroffen hören wir ihn da mit verzweifeltem Schmerze, gleich dem gefesselten Prometheus, das Geschick, das er als ein ungerechtes empfinden muss, mit einer schauerlichen Energie in den berühmten Worten verwünschen:

[Ξ]

Unsinn, du siegst, und ich muss untergehen;
Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens.
Erhabene Vernunft, lichthelle Tochter
Des göttlichen Hauptes, weise Gründerin
Des Weltgebäudes, Führerin der Sterne,
Wer bist du denn, wenn du, dem tollen Ross
Des Aberwitzes an den Schweif gebunden,
Unmächtig rufend, mit dem Trunkenen
Dich sehend in den Abgrund stürzen musst!

Diese Blasphemie wirkt um so erschütternder und erhabener auf uns, weil uns das Naturell des Mannes, der sie ausstösst, so klar geworden ist, dass wir gerade diese Empfindung mit Nothwendigkeit in seiner Seele entstehen sehen.

Der ganze hohe, stolze Schmerz des überwundenen Genie liegt in seinem Zorn, wenn er fortfährt:

Verflucht sei, wer sein Leben an das Grosse
Und Würd’ge wendet und bedachte Plane
Mit weisem Geist entwirft! Dem Narrenkönig
Gehört die Welt.

Ja wir können die Berechtigung seines Standpunktes nicht leugnen, wenn er sagt:

Doch solchem groben Gaukelspiel erliegen!
War unser ernstes arbeitvolles Leben
Keines ernsthaftern Ausgangs werth? –

wir bewundern im Gegentheil das Echte, Heldenhafte, Kurze und Nervige dieser Sprache, jene grossartige Verachtung alles Pathos, die stolze Bescheidenheit, mit der er sein ruhmgekröntes Leben blos ein „ernstes, arbeitvolles“ nennt. Ein echt tragisches Verhängniss ist es daher, dass die Beschränkung, die Phantasielosigkeit seiner Natur ihm hier keine Brücke schlägt ins Jenseits hinüber, welches nur mit dem Gemüth geahnt werden kann, sodass er, der die Welt mit seinem Kriegernamen füllte, als einzige Ausbeute aus dem Kampfe des Lebens wegträgt

 Die Einsicht in das Nichts
Und herzliche Verachtung alles dessen,
Was uns erhaben schien und wünschenswerth.

[Ξ] In dieser Kälte der Anschauung durchschauert uns etwas erhaben Grossartiges. Trotzdem wir von seinem schweren Irrthum überzeugt sind, vollkommen sehen, dass er mit Recht unterliegen muss, weil er das Herz der Menschen, die unerschöpflichen Quellen des Gemüths, nicht mehr achtet im Stolz auf die eigene Kraft des Geistes und Charakters, verblendet nicht einsieht, dass das, was er frevelnd unternommen, ein Angriff auf die berechtigte Persönlichkeit eines edeln Volks war, vor dessen beleidigtem Stolze zuletzt alle geistige Ueberlegenheit des einzelnen weichen musste, – trotz all dieses bewundern wir den Helden doch noch.

Es ist etwas Napoleonisches in dieser Natur, in diesem energischen Realismus, der selbst da noch keine idealen Mächte anerkennt, wo er doch bereits von ihnen besiegt am Boden liegt.



[Ξ]

Königin Isabeau.

[Ξ]
KÖNIGIN ISABEAU.
(Die Jungfrau von Orleans.)


Um uns zu versinnlichen, in welchem verwilderten zerrütteten Zustande sich das ganze Land befindet, wie alle Bande der Natur im Bürgerkriege aufgelöst sind, ist keine Gestalt des Dramas so geeignet, als die so weit über die Grenzen ihres Geschlechts hinausgetriebene Figur dieser Königin, die in ihrer ganzen furchtbaren Erscheinung den realistischen Gegensatz zur Jungfrau bildet und so sehr geeignet ist, uns auf die Erscheinung des Ausserordentlichen vorzubereiten, das nachher in dem begeisterten Mädchen von Orleans auftritt. Wenn diese die weibliche Natur einer höhern Idee zu Liebe verleugnet, so handelt Isabeau gegen die des Weibes und der Mutter zugleich, getrieben von wilder Leidenschaftlichkeit.

Einen so abnormen psychologischen Process aber zu erklären, wie ihn die Königin Isabeau zeigt, dazu bedarf es wenig mehr als der weitern Ausführung der Anhaltepunkte, die im Schiller’schen Stück flüchtig skizzirt wurden, so musterhaft richtig sind dieselben. Wir sehen anfangs von dieser Frau nichts als den Abscheu und das Entsetzen, das ihr unnatürlicher Kampf gegen den eigenen Sohn nicht nur der Masse einflösst, sondern auch den Widerwillen, den er selbst bei den höhergebildeten Führern erregt, die ihr unumwunden sagen:

Geht! der Soldat verliert den guten Muth,
Wenn er für Eure Sache glaubt zu fechten.

Und doch geben dieselben der Macht ihrer Gründe nach, dem Weltverstand, den ihnen das begabte Weib predigt, und vereinigen sich wieder, nachdem sie sich eben aufs bitterste entzweit! In der [Ξ] kurzen meisterhaften Scene, die ihr zu ihrer Rechtfertigung vergönnt ist, entwickelt sie rasch alle die Eigenschaften, aus denen sich der Künstler ihr Bild entwerfen konnte, der sie daher auch in dieser Situation dargestellt hat. Sie zeigt uns in derselben die hochbegabte, stolze, mächtige Natur mit durchdringendem Verstande und starken, begehrlichen Sinnen, wo die Seite des Gemüths nur eine untergeordnete Rolle zu spielen hat. Hätte diese muthvolle, heroische, zur Königin geborene Frau einen Gatten gefunden, der ihr gleichstand, einen geistig und körperlich gesunden, starken, kurz einen wahrhaften Mann, so wäre sie wahrscheinlich nie aus dem Kreise getreten, den Geschlecht und Sitte ihr anwiesen. So aber wird sie gleich in ihrer Jugend in die unnatürlichsten Verhältnisse, in ein fremdes Land geschleudert, einem Manne vermählt, an dessen Seite sie statt des Entzückens der Liebe bald nur Mitleid oder Entsetzen empfinden kann. Jetzt erst bricht das Unbändige ihres Naturells heraus; sie selber berichtet:

Ich habe Leidenschaften, warmes Blut,
Wie eine andre, und ich kam als Königin
In dieses Land, zu leben, nicht zu scheinen.
Sollt’ ich der Freud’ absterben, weil der Fluch
Des Schicksals meine lebensfrohe Jugend
Zu dem wahnsinn’gen Gatten hat gesellt?
Mehr als das Leben lieb’ ich meine Freiheit,
Und wer mich hier verwundet. . . .

Ihre angeborene Wahrhaftigkeit:

Die Heuchelei veracht’ ich. Wie ich bin,
So sehe mich das Aug’ der Welt –

wird jetzt Frechheit, wie denn allemal die zum Folgen und sich Anschmiegen, zum Gehorchen bestimmte Natur des Weibes sich ins Gegentheil verkehrt, wenn ihr zur Erfüllung dieser Bestimmung ihrer Existenz die nöthigen Bedingungen geraubt werden, wie hier, wo einer jungen und schönen, reichbegabten Fürstin der Herrscher zur Seite entzogen ward, die nur noch Unterthanen und Schmeichler um sich sieht. Musste schon diese nothwendige Umgebung der Fürsten [Ξ] ihren durchdringenden, energischen Geist mit Unterschätzung der Menschen erfüllen, so musste es noch mehr die Natur des eigenen Sohnes. Sie verachtete in ihm zuerst den Schwächling, den charakterlos hin- und herschwankenden Menschen, der nichts festzuhalten weiss, der weder tief zu hassen noch zu lieben versteht und daher überall falsch wird, wie wir aus ihren Aeusserungen sehen, als sie die Jungfrau gefangen nimmt und von ihr erfährt, dass sie der Dauphin verbannt habe:

Verbannt, weil du vom Abgrund ihn gerettet. . . .
Verbannt! Daran erkenn’ ich meinen Sohn!

Diese wohlmotivirte Verachtung wird denn nach und nach zum glühenden Hass, als dieser Schwächling der ihm an Geistesstärke, Muth und Verstand so unendlich überlegenen Mutter sich zum Herrn und Meister aufwerfen, ihre Sitten richten will, sie in die Verbannung schickt. Da erst in ihrem Innersten beleidigt, bei ihrem leidenschaftlichen, heftigen Temperament vor nichts zurückschaudernd, verflucht sie ihn:

Ihr wisst nicht, schwache Seelen,
Was ein beleidigt Mutterherz vermag.
Ich liebe, wer mir Gutes thut, und hasse,
Wer mich verletzt, und, ist’s der eigne Sohn,
Den ich geboren, desto hassenswerther.
Dem ich das Dasein gab, will ich es rauben,
Wenn er mit ruchlos frechem Uebermuth
Den eignen Schos verletzt, der ihn getragen.
Ihr, die ihr Krieg führt gegen meinen Sohn,
Ihr habt nicht Recht, noch Grund, ihn zu berauben.
Was hat der Dauphin Schweres gegen euch
Verschuldet? Welche Pflichten brach er euch?
Euch treibt die Ehrsucht, der gemeine Neid;
Ich darf ihn hassen: ich hab’ ihn geboren.

Nachdem sie heldenhaft den Muth nicht sinken lässt bis zum letzten Augenblick, nachdem sie nicht verzagt, als alles um sie schon flieht, hat sie, beharrlich in ihrem Hass, wie sie es unter gleichen Umständen ohne Zweifel auch in der Liebe gewesen wäre, nichts [Ξ] anderes mehr zu wünschen, als dem Gegenstand desselben nicht als Besiegte zu begegnen:

 Jedweder Ort
Gilt gleich, wo ich dem Dauphin nicht begegne –

und scheidet, uns, wenn auch nicht mit Achtung, doch mit Scheu vor ihrer Grösse und dem titanenhaft Wilden und Ursprünglichen ihrer Natur, mit einer Mischung von Entsetzen und Bewunderung erfüllend.

Von der merkwürdigen Frau existiren noch mehrere Porträts, deren eines, in der Galerie von Versailles befindlich, vom Künstler bei seiner Arbeit als Grundlage benutzt wurde, da es, obschon sie noch als Braut vorstellend, doch schon die starken und energisch sinnlichen Elemente der grossartig angelegten Persönlichkeit wenigstens errathen liess.