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Die zehn Gebote (Hermann von Bezzel)/Zehntes Gebot

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« Neuntes Gebot Hermann von Bezzel
Die zehn Gebote (Hermann von Bezzel)
Schluß der Gebote I »
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Zehntes Gebot.
Du sollst dich nicht lassen gelüsten deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Vieh oder alles, was sein ist!

 Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unserm Nächsten sein Weib, Gesinde oder Vieh nicht abspannen, abdringen oder abwendig machen; sondern dieselbigen anhalten, daß sie bleiben und tun, was sie schuldig sind.

 Ein guter Mensch bringet Gutes hervor aus seinem guten Schatz des Herzens; und ein böser Mensch bringet Böses hervor aus seinem bösen Schatz. Ich sage euch aber, daß die Menschen müssen Rechenschaft geben am jüngsten Gericht von einem jeglichen unnützen Wort, das sie geredet haben. Aus deinen Worten wirst du gerechtfertiget werden, und aus deinen Worten wirst du verdammt werden. Matth. 12, 35–37.


 Du sollst dich nicht lassen gelüsten – so setzt das zehnte Gebot nicht das neunte fort, sondern vertieft es und zeigt uns, wie schwer und verderblich der Lustgedanke ist, wie ein heimliches Feuer auch den innerlichen Menschen verbrennen kann, während er äußerlich gottselig und rein scheint, und wie die böse Lust des Neides und der Begehrlichkeit ein auf Seligkeit angelegtes Leben in Unseligkeit enden lassen kann. Dort an den beiden mächtigen Bronzetüren der Madeleine in Paris ist Isebel abgebildet, wie sie Ahab den Weinberg Naboths verschafft – das haben wir in der letzten Betrachtung gehört – und auf der anderen Bronzetüre David, wie er seine Augen an dem Weib des Uria weidet. Du sollst dich nicht lassen gelüsten deines| Nächsten Weib! steht unter dieser ehernen Pforte und leuchtet und dröhnt hinein in die Welthauptstadt mit dem unbeugsamen Ernste des göttlichen Gebotes.
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 Wenn schon die Ehebrüche und Eheirrungen, die offenbar sind und ungescheut an das Licht des Tages kommen, gen Himmel schreien und unser Volk an der Zerstörung des Familienlebens und der Vernichtung des Familiensinnes langsam, aber gewiß verbluten lassen, was soll man erst über den Lustgedanken sagen, mit dem der Mensch in die Rechte seines Freundes, Verwandten oder Nächsten eingreift, wenn er durch begehrliche Blicke, durch ungute Zeichen und durch schmeichelnde Rede die Treue der Ehe verwundet und sie auf den Tod zu verletzen sich anschickt. Wie viele innere Zwistigkeit, wenn sie auch nicht zu äußerem Bruch gedeiht, rührt aus der Begehrlichkeit her, die vielleicht der Gatte selbst zu sich eingeladen und an seinen Tisch und in sein Haus hereingezogen hat, und die zum Dank dafür das Glück vernichtet! Du sollst dich nicht lassen gelüsten deines nächsten Weib! Es ist für uns Männer eigentlich ein schwerer Vorwurf, daß der Gott, der in das Verborgene sieht, nicht auch sagt: du sollst dich nicht lassen gelüsten anderer Ehegatten, als ob das weibliche Geschlecht vor dieser Gefahr der Untreue, der innerlichen Untreue, mehr geschützt sei als die Männer. Es ist ja auch an dem, daß der Mann weit weniger Mauern zu überschreiten und weit weniger Schranken zu durchbrechen hat, als die weibliche Seele, welcher der Herr so viele Schutzwälle eben durch ihre Schwachheit und Abhängigkeit zu teil hat werden lassen. Wenn ein Mann fällt, ist es ein schweres Leid; wenn aber eine Frau fällt, geht es weit tiefer; denn der Herr hat sie mehr noch umhegt und geschützt, beschirmt und geheiligt. Selbst der roheste Mann tritt vor einem Weib, das in Zucht und Furcht sich heiligt, scheu zurück. Und wiederum, selbst der roheste Mann tritt vor dem Weib, das| Zucht und Sitte zu Füßen tritt, wie vor einer Schlange zurück. Gott hat dem Weibe, daß ich so sage, schwächere Zuneigung, mindere Leidenschaft, leichtere Schutzmittel gegönnt; umso schrecklicher, wenn diese Schutzmittel vergessen und diese von Gott geordneten Erleichterungen versäumt und verscherzt werden. Es ist eine große Gefahr, wenn eine Seele, sei es die eines Mannes oder einer Frau, über die Grenzen irrt, die Gott bestimmt hat. Schon wenn eine Ehefrau ihre Unfriedlichkeit und ihr Leid Menschen klagt, ist es, als ob der Gott der Treue von ihr sich wende, und wenn sie vollends durch das Unrecht, das sie leidet, für das Unrecht sich entschuldigt glaubt, das sie tut, wird der Frieden sich von ihr wenden, weil es kein zarteres, reineres und frömmeres Verhältnis gibt, als das Verhältnis zweier Ehegatten zu einander, das mit besonderer Scheu, mit großer Weisheit und Mäßigkeit gepflegt werden muß; denn jede Verletzung in Gedanken, Worten und Werken ist ihm tief schädlich.

 Du sollst dich nicht lassen gelüsten deines Nächsten Glück, aber auch nicht aus deines Nächsten Unglück für dich ein Glück erhoffen! Wie viele innerlich zerrüttete Ehen glauben dadurch Heilung zu finden, daß beide Eheteile an Fremde sich wenden, von Fremden das erhoffen, was sie aneinander nicht haben! Und wie werden dadurch nicht bloß die Ehen zerrissen und zerklüftet, sondern auch den Kindern das Liebste geraubt, was Eltern ihren Kindern überlassen und vererben können: der ehrliche Name und die Freude an der Heimat!

 Es ist, als ob der treue Gott tief in die Wunden unseres Volkes Einblick tun und uns sagen wollte: aus der bösen Lust, die an den Pforten des Hauses lauert und in die Heimlichkeit der Herzen eindringt, erwächst ein das Haus, die Gemeinde, die Kirche, das Volk verheerendes Unheil, eine kleine Sache, die doch Großes erweckt und erregt.

|  Ja, was soll denn ein Mann tun, wenn die Unrechte Begehrlichkeit in ihm erwacht, wenn er, an einen ungeliebten Menschen gebunden, hoffen dürfte, durch einen andern glücklich zu werden? – Er wähnt es nur, es wird ja doch nicht so. Was soll er tun, wenn er, aus einem kurzen Taumel verhängnisvoller Täuschung erwacht, sein Leid als ein lebenslängliches anerkennen muß, während ihm vielleicht auf andere Weise ein sonniges, freundliches Dasein beschert wäre? Kann der Christ noch fragen, was er tun soll? Gürte das Schwert um und nimm das Kreuz! Das Schwert, mit dem man Feinde erlegt, das Gotteswort, mit dem man schwüle Nebel zerteilt und vertreibt, und den Gehorsam, der das schwerste Kreuz, das ein Mensch tragen kann, das Hauskreuz, aus der Hand des treuen Gottes nimmt: Er wird es nicht zu schwer machen den Schultern, die es willig tragen.
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 Seht, und was soll eine Frauenseele machen, wenn sie sich, wie unser Volk so fein sagt, ein Leid sieht? Ich denke, du wirst oder bist vielleicht Zeuge eines reinen Familienglückes. Du kommst vielleicht in den Tagen deiner Erholung, bei deiner Lektüre zum Anblick eines wirklich reinen, gottgesegneten, gottgeordneten häuslichen Lebens. Und du kommst dir dann so einsam vor, so unverstanden und so verlassen. Dein Leben erscheint dir auf einmal so wertlos, dein Dasein so ohne Bedeutung, deine Arbeit so ins Allgemeine gehend, an Fremde dich weisend, – gerade die Frau möchte sich für bestimmte Aufgaben verzehren – was sollst du tun, wenn du dir so ein Leides siehst, wenn es durch deine Seele wie ein Heimweh, wie ein Verlangen, nicht nach einem Verlorenen, sondern wie nach einem nie gekannten Glück geht? Es gibt kein anderes Mittel als das einfache Gebet: Auf dein Wort! Man kann hier nicht barmherzig genug urteilen, nicht mild genug zureden und nicht gütig genug zum Schweigen bringen, damit dieses lichte Bild nicht zu groß und dieser frohe Gedanke nicht| zu reich werde und die Seele nicht über ihm erlahme und ermüde. Darum, wenn die böse Lust nach einem nicht gewährten Glücke, oder wenn der Neid nach einer versagten Freude durch das Herz zieht, dann danke für das, was dir Gott versagt und was Er dir gegeben hat, und suche das Glück, das du beneidest, zu fördern. Es gibt sonst kein besseres Mittel. Wenn der Mann, der vielleicht im eigenen Hause schwere Verhältnisse hat, das Glück seines Freundes fördert und stärkt, hilft und mehrt, so weicht der Bann von seiner Seele und der Spuk zerrinnt vor seinen Augen, und er wird ein freier Mann; denn er hat verzichtet, weil er für das dankt, was ihm ward. Und wenn eine Frau, deren schwache Stunden ja auch vom barmherzigen Hohenpriester gekannt werden, den Mut hat, das so leuchtende Glück durch ihre Fürbitte noch zu mehren, durch ihre Handreichung noch zu vergrößern, so weicht die Anfechtung von ihr, die Lust zerrinnt und es erwächst die lautere, reine Freude an fremdem Glück, und diese Freude macht das eigene Herz weit, froh und stark. Nur die Schadenfreude macht das Herz schwach und nur der Neid an fremdem Wohl das Leben matt. Wenn du dich aber freuest mit den Fröhlichen und ein in der Sonne liegendes Haus segnest, dann wird auch dein Kämmerlein voll Sonne und dein Herz wird froh im Verzicht: Gott sei Dank, daß ich etwas geben konnte, ich gebe es gerne; denn ich gebe es Ihm.
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 Du sollst dich nicht lassen gelüsten deines Nächsten Knecht und Magd. Ich brauche hier über die Dienstbotenfrage nicht viel zu reden. Ich habe schon manchmal gesagt, Dienstbotenfrage ist meistens, zum größten Teil, Herrschaftsfrage. Und ohne daß ich in die Geheimnisse des Hauses eindringen kann, weiß ich, was eine Hausfrau gilt, wenn sie im Jahre so und so oft Dienstboten wechselt. Sie mag sehr kundig, sehr klug, sehr freundlich sein, aber im Lichte kann man bei ihr kaum leben und in der Wärme des Gemütes| erst recht nicht. Luther hat ganz recht, wenn er sagt: brave Dienstfrauen werden nicht betrogen. Man vergesse das nur nicht, wenn man das Register der Sünden seiner Dienstboten herunter sagt in schneller Folge und merkwürdigerweise bei ihnen alle die Fehler findet, die man bei sich selbst nie gesucht hat – sonst hätte man sie nämlich auch sicher gefunden. Aber wenn nun jemand Unglück mit seinen Dienstboten hat und z. B. in einem jungen Hausstand schon nach kurzer Zeit Wechsel eintritt und du siehst, wie dein Nächster in dieser Beziehung so gut versorgt und versehen ist, da liegt auch eine gefährliche Versuchung nahe, die im Volke Israel besonders bedeutsam war, wo die Dienstboten gerade für den Samstag unbedingt notwendig waren, der eigenen Verlegenheit durch den Schaden des Nächsten zu helfen. Bei dieser großen Gefahr magst du vielleicht mit besonderer Freundlichkeit, mit zuredendem Wort, mit schmeichelnder Rede, mit großen Versprechungen und Verheißungen deines Nächsten Knecht oder Magd an dich locken. Es ist doch gerade in unserer Zeit sehr bedenklich, wenn man hört und liest, welche Versprechungen Dienstboten gemacht werden: Freiheit, Vergnügen, Abwechslung, Aushilfe, Unterstützung, mit möglichst viel Umschreibung des Wortes „dienen“, wobei doch die Seele eines von Christo gefreiten Menschen leer ausgeht. Selten höre ich, daß man dem Dienstboten sagt: ihr sollt auch einen Sonntag haben mit Gottesdienst und Predigt, mit rechter Sonntagspflege. Selten höre ich: ihr sollt auch beim Hausgebet sein und als Glied des Hauses zur Fürbitte mit eingezogen werden. Vielleicht ist das mittelalterlicher Aberglaube, den unsere fortgeschrittene Zeit schon um deswillen belächelt, weil sie ja keine Hausgebete mehr kennt und hat. Ach, indem man den Dienstboten so viel verspricht und die Unzufriedenheit in ihr Herz senkt und den Vergleich zwischen dem, was sie haben und was sie| haben könnten, erweckt und anregt, hat man das Gebot Gottes übertreten. Ja, was soll ich denn, wenn jemand recht in Not ist, wenn die Dienstboten ihn verlassen, wenn er schlecht beraten ist, ihm für Weisung geben? Ich weiß wieder kein anderes Mittel als nur das Gebet, das Gebet der vierten Bitte: fromm Gesinde als ein großes, edles Gut. Wenn du Neid spürst, weil das Haus deines Nächsten so gut versehen ist, so kannst du seiner nicht Herr werden, als bis du anhältst, sagt unsere Auslegung, daß das Gesinde bleibt; als bis du ihm recht den Mut stärkst, weiter Treue zu halten und als bis du dir selber die Sünde vom Herzen sagst. Manchmal werden treue Freundinnen durch Dienstboten entzweit, die eine spürt die Mißgunst der anderen in Bezug auf ihre Magd. Die Sünde wird jene nicht los, als bis sie frei zur Freundin sagt: dein Glück mit deinen Dienstboten ist mir eine Anfechtung. Wie ich euch nicht oft genug das gute Wort des Augustinus sagen kann: Sobald das Bekenntnis auf den Lippen ist, heilt die Wunde im Herzen. Wenn ihr irgendeine Verstimmung habt, eine böse Lust der Schmähung, der scharfen Kritik, des Urteils, des Neides, der Scheelsucht, der Verkleinerungssucht – welch eine Weisheit liegt in unserer deutschen Sprache, daß sie hier das Wort Sucht, Krankheit, benützt –, wenn ihr solch Böses in euch habt, so sprecht es heraus und zwar dem heraus, gegen den ihr es empfindet. Über das Kapitel der Versöhnlichkeit hat uns das Evangelium des letzten Sonntags gepredigt und wird uns das des kommenden Sonntags predigen. Es gibt kein anderes Versöhnungsmittel, als daß man sich das Bittere vom Herzen redet, auch auf die Gefahr hin, daß man falsch verstanden, mißkannt und mißdeutet wird. Was liegt mir an dem falschen Schein, wenn ich in die reine und reinigende Gewalt der Wahrheit mich geflüchtet habe? Und was liegt mir am Urteil eines, wenn auch noch so geliebten Menschen, wenn ich mich in der Liebe| meines himmlischen Herrn wieder geborgen weiß! Kommt die böse Lust, so sprich sie aus. So danke dem Herrn für das, was du hast und mehre das Glück des Anderen!
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 Unser Gebot fährt weiter, wie es im lateinischen Text so treuherzig lautet: Du sollst dich nicht lassen gelüsten deines Nächsten Vieh und Esel und alles, was sein ist. Wenn man weiß, wie im Morgenlande die wenigen Zugtiere so selten sind und welch besonderen Wert die wohlgezogenen Zugtiere besitzen, so begreift man, wie da der Neid einsetzen kann, der überhaupt die merkwürdige Gabe hat, immer den eigenen Besitz zu verkleinern und den fremden zu vergrößern. Indem du hinein in den Garten deines Nachbarn siehst, denkst du: alle seine Blumen blühen reicher, alle seine Bäume tragen besser, alle seine Beete sind mehr gesegnet. Und du, Mensch der Großstadt, wenn du die Zimmer deiner Freundin besuchst, erscheinen dir all die Hausgeräte, der Wandschmuck, die Bilder, viel schöner als bei dir, all die Einrichtungen der Küche und all das, was sonst noch das Auge einer Hausfrau ergötzt, erscheint dir dort weit schöner, zweckmäßiger, praktischer, diensamer als das deine. Und du gehst heim – du weißt nicht warum – gedrückt, dein Weg wird dir so lang, deine Füße werden so müde und dein Herz ist so verdrossen. Und du kehrst heim und die Deinen müssen für Dinge leiden, für die sie gar nicht verantwortlich sind. Und du bringst es nicht los, als bis du es ausgesprochen, dann kannst du über solch alberne Versuchungen des Feindes lachen. Wie viele Menschen verderben sich ihr Leben dadurch, daß sie ihre zur Sonnenseite gelegenen Fenster mit Neid und Mißgunst verhängen; in ihrem Garten blüht nur der Wermut, in ihrem Herzen grünt nur bittere Wurzel, ihre Augen sehen nur das, was sie nicht haben und ihre Ohren hören nur das, was dem eigenen Leben fehlt, und so quälen sie sich, nicht an dem, was sie haben, nicht an der Aufgabe, die ihnen| gestellt ist, noch an der Last, die ihnen Gott auferlegt, sondern an dem, was sie nicht haben, hängen sich an diese Gedanken, schildern, wie ihr Leben wäre, wenn ihnen dies und jenes geboten wäre. Ach, sie wissen es nicht, wie glücklich ein Leben ist, das die Ansprüche an das Leben verlernt und aufgibt, und wie froh ein Mensch ist, der mit wenigem zufrieden, von allem abgeschieden, durch diese Welt zieht.

 Ich fasse alles zusammen in einige Lebensregeln:

 1. Wenn die böse Lust sich regt, so kannst du das nicht hindern; aber daß sie bei dir verweilt, das hindere treulich.

 2. Und du hinderst es, indem du zuerst in dein Kämmerlein gehst und rufest: Schaffe in mir ein reines Herze, das des Neides ledig ist, und schenke mir das klare Auge, das über Berg und Tal die Heimat sieht. Und du schaffst dir dieses reine Herz, indem du hingehst und deiner neidischen und unrechten Lust durch klare Aussprache dich entledigst. Du wirst frei, du hast keine Geheimnisse mit deinem Mörder mehr, du hast dich von dem Zerstörer deines Lebens losgerissen, du hast seine Begleitung abgeschlagen und du bist ein glücklicher Mensch. Du bist allein – und alsbald treten die Engel Gottes zu dir und dienen dir. Und wenn du heimkehrst, wird das Geringgeschätzte wieder so groß und das, was dich unglücklich machte, dir so hoch, und das, was dich neiden ließ, so unscheinbar und so gering: jetzt sehe ich erst, wie reich ich bin, wie arm ich war.

 Und zum 3. Nicht allein, daß du deine unnützen Gedanken des Neides, der Mißgunst und Scheelsucht bannest, sondern daß du auch zum Glück des Nächsten hilfst! Das ist die größte Persönlichkeit, die rechte Nachfolge Christi, nicht die ihr Kreuz nachträgt in Murren, sondern die im eigenen Kreuz die Kraft hat, des Nächsten Freude zu mehren und zu teilen. Es ist nicht fein, mein Christ, wenn alles schweigen muß, weil es in dir trüb ist. Das ist anspruchsvoll, aber nicht fromm. Es ist nicht recht, daß alles| leiden soll, weil du leidest; das ist sehr anmaßend, aber nicht fromm. Jeder unter uns kennt aber solch erlauchte Helden Jesu Christi, welche im eigenen Leide die Freude im Hause des Nächsten vergrößern können und so lernten, wie Geben seliger ist als Nehmen und reicher macht als eigener Gewinn.

 Gehe hin, wenn die Lust dir zur Last und die Last des Lebens dir zum Genuß wird, in dem du schwelgest – es ist ja immer ein Wechselverhältnis zwischen Lust und Last –, und bitte deinen Herrn, daß Er dich frei und ledig und getrost mache! Siehe, je älter du wirst, desto mehr verbleicht, was du neidest und wird geringer, was du begehrtest, und die ganze große Summe der Wünsche, mit der ein törichtes Kind auszog, wird in späteren Tagen zu einem kurzen, alles in sich beschließenden Wunsch: Mein Gott, ich bitt durch Christi Blut, mach’s nur mit meinem Ende gut! und wiederum: wenn ich nur den Himmel krieg, hab ich alles zu Genüg! – Es ist ein weltliches Wort und ich habe es doch so gerne: In den Ozean eilt mit tausend Masten der Jüngling. Still, auf gerettetem Boot kehrt in den Hafen der Greis; auch der nicht bloß an Jahren Gealterte, auch der in der Nachfolge Christi klug Gewordene! Ich habe all mein Wünschen begraben, damit ich den einzigen und größten Wunsch erfüllt bekomme: Heimat und Heimatsglück!

 Siehe, das ist das Letzte, was ich dir heute ans Herz lege, Gemeinde Jesu: alle bösen Gedanken vergehen vor dem einen großen: unser Wandel ist im Himmel; wir haben hier keine bleibende Stätte. O, wenn du deine tägliche Unterhaltung in das Licht des Wortes stellen würdest, das wir vorhin lasen, wie wir aus unseren Worten gerechtfertigt oder verdammt werden, und wenn du deine Triebe und Leidenschaften, die innerlichen Stimmungen, Lust und Laune, in das eine Wort senken wolltest: Stille! was| dereinst wird sein, all mein Wunsch und all mein Wille geht in Gottes Willen ein! glaube mir, du würdest dann ein froher Mensch und schließlich ein freier!

 So schließen die heiligen zehn Gebote! Gib mir – so hat der Herr, der nie befiehlt, ehe Er gibt, und nie verlangt, ehe Er schenkt, gesagt – gib mir, mein Kind, dein Herz mit seinem Verlangen, mit seinen Wünschen, mit seinen Vorsätzen und mit seinem Besitz und laß deinen armen, müden, unruhvollen Augen meine Wege wohlgefallen, sauere Wege, düstere Wege, einsame Wege; aber mein Gang ist lauter Segen, mein Tun ist lauter Licht.

 Wohl den Menschen, so wollen wir zum Schluß der Gebote sagen, die Dich für ihre Stärke halten und von Herzen Dir nachfolgen, die durch das Jammertal gehen und machen daselbst Brunnen! Denn Gott der Herr ist Sonne und Schild, der Herr gibt Gnade und Ehre, Er wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen. Herr Zebaoth, wohl dem Menschen, der sich auf Dich verläßt. Hier gebe ich Dir mein Herz und Dir soll es bleiben. Und gib Du mir Deine Liebe und die Kraft aus ihr, daß ich im Opfern froh und durch Verzicht frei werde!

Amen.





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