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Ein Wald-Idyll

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Textdaten
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Autor: Maria Konopnicka
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Titel: Ein Wald-Idyll
Untertitel:
aus: Polnische Dichtung in deutschem Gewande, S. 53–63
Herausgeber: Albert Weiß
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Otto Hendel
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Halle a. d. S.
Übersetzer: Albert Weiß
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
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[53]
Ein Wald-Idyll,
Lieder - Cyklus.


I.

     Es war im Lenz der Jugendzeit:
     Noch sprengte kaum das Panzerkleid
Ein Steinwurf aus des Knaben Hand
Dem Bach zum ersten Lauf ins Land;

5
     Noch aus der Haft die Falterschar

     Kaum löste leis das Schwingenpaar,
zu spähn, ob schon, vom Schlaf erwacht,
Maßliebchen regt die Äuglein sacht;
     Noch träumt der Wald. Im Wiesenthal

10
     Nur neigte vor dem Sonnenstrahl,

Zu spähn, ob dort schon Lebensspur,
Sich knospendes Gezweig zur Flur;
     Am Raine nur der Weidenbaum
     Sich schüchtern hüllt in weichen Flaum,

15
Und schmückt mit Grün und Palmenflor

Des Knaben erstes – Flötenrohr.


II.

     Im Hüttchen, halb im Busch versteckt,
     Der rings das Dach, mit Stroh gedeckt,
Geschwärzt vom Wetter, überragt,
Als kaum der junge Lenz getagt

5
     Holdlächeld über Berg und Thal,

     Da sah ich sie zum erstenmal.
und als die erste Lerche schwang
Sich himmelan mit Jubelklang,
     Als Vöglein jauchzten allerwärts,

10
     Da ward so seltsam mir ums Herz!

Die Sonn’ entstieg dem Wolkenthor
Und Veilchen lugten aus dem Moor,
     Als ihre Äuglein blinkten blau,
     Wie das Vergißmeinnicht im Tau,

15
So klar, daß ich bis auf den Grund

Der Seel’ ihr schaut’ in ernster Stund'!

[54]
III.

     Nicht schmückte sie der Schönheit Zier
     Wie im Salon euch Damen hier;
Mit jedem Blümlein, Halm und Kraut
Mit Frosch und Schwälbchen eng vertraut,

5
     Zur Wiese lief sie durch das Naß

     Nach Butterblum’ und Zittergras,
Und Rosen wand sie sich zum Kranz
Im Garten von des Frühlichts Glanz,
     Bis ihr ins Antlitz Silber goß

10
     Der Mond mit stolzem Sternentroß;

Sie war bald ernst, bald flatterhaft,
Bald launig, bald voll Leidenschaft:
     Bald warf der Locken wirre Flut
     Sie von der Stirn im Übermut,

15
Bald schwebte leicht sie durch die Au,

Dem Falter gleich im Morgentau,
     Nicht kannt’ ihr Busen, weiß wie Schnee,
     Die Schranken eurer Haute-volée;
Nicht war, wie ihr, sie kalt wie Stein –

20
Doch war ihr Herz wie Gold so rein!


IV.

     Wenn still sie mich im Morgenhauch
     Durch Brombeer-, Dorn- und Haselstrauch
Nur schelmisch lächelnd führt zur Flur,
Wo einem Nest sie auf der Spur:

5
     Wenn reife Kirschen sie verlangt,

     Ob auch der Baum noch knospend prangt;
Wenn schmollend sie die Händchen ringt,
Weil noch kein Frosch zum Teiche springt,
     Noch keine Düfte haucht der Wind –

10
     Sie herzen möcht’ ich, wie ein Kind

Und segnen ihr den Plaudermund,
Die Rosenwangen, voll und rund.
     Doch wenn wir wandern dicht am Strom
     Am Abend unterm Sternendom

15
Und tauschen die Gedanken leis,

Und doch mit Blicken, flammend heiß,
     Wenn Hand in Hand wir uns gelegt,
     Ob stürmisch auch das Herz sich regt,

[55]

Und tief sie seufzt, als träume sie –

20
Dann möcht’ ich sinken auf die Knie –

     Und pressen ihr in sel’gem Traum
     Die Lippen auf der Lippen Saum!


V.

     Vereinsamt unter Menschen, beid’
     Erlebten wir die Wonnezeit,
Die Zwang noch kennt und Zweifel nicht,
Da Auge nur zum Auge spricht

5
     Die Sprache, die die Liebe pflog,

     Bis des – Verbotnen Zauber zog
Zum Abgrund uns mit Allgewalt,
Der – trennen sollt’ uns allzubald. …
     Geblendet kaum vom Sonnenlicht,

10
     Die Hand sie hielt vors Angesicht,

Schon plagte mich die Eifersucht:
Wie alles hier so voller Wucht
     Sich schmiegt an sie! Wie unverschämt
     Solch’ Buhle, reich mit Gold verbrämt,

15
Von ihr den Minnesold verlangt!

Wie ihr im Haar die Lilie prangt!
     Wie zart und duftig dies Gewand
     Berührt ihr Busen, Hals und Hand! …


VI.

     Da war's geschehn! – Ich weiß nicht mehr,
     Ob senkrecht stach der Sonnenspeer,
Ob rings erblüht die Rosen all’,
Ob schlug im Hain die Nachtigall,

5
     Ob zirpt im Moos ein Heimchen leis

     Mir auf den Lippen brannt’ es heiß,
Ich seufzt’, als ob ich selbst sie warn’,
Daß nicht ihr Zauber mich umgarn’,
     Als sich verschoben bis zur Hand

10
     Von Hals und Nacken ihr Gewand,

Und als die Sonn’ ihr kosend naht’,
Daß nicht ihr Leuchten sie verrat’ –
     Ansah sie mir mein Mißgeschick
     Und züchtig senkte sie den Blick

15
Und bot – den ersten Kuß zum Dank

Mir, der ich ihr zu Füßen sank.

[56]
VII.

     Nicht weiß ich, ob zum zweitenmal
     Erblüht ein Mai im Erdenthal,
Wie jener uns in lauer Luft,
Voll Farbenpracht und Blütenduft!

5
     Vom Rosenhain zum Mattengrund

     Allmorgens schwebten Falter bunt;
Der Erlenbach zum Elfentanz
Allabends rauscht’, im Mondenglanz
     Bis in der Ferne Nebelland

10
     Hellflimmernd wie ein Silberband,

So spiegelglatt wie Bergkrystall …
Das Brautlied sang Frau Nachtigall …
     Baumkronen flochten uns das Dach
     Zum Feenschloß, – zum Brautgemach …


VIII.

     Wo nimmer scheucht das Traumbild ihr
     Der Fliegen Schwarm – im Waldrevier,
Da schlummert sie. Die Sonne strahlt
Und Rosen ihr ins Antlitz malt.

5
     Wie sich ihr Busen hebt und senkt!

     Könnt’ ich erlauschen, was sie denkt,
Ob trüb ihr Blick ist, oder lacht!
Doch neidisch ihr Gewand bewacht
     Vor mir sie, wie vor Phöbus’ Pfeil,

10
     Der durch die Wipfel gleitet steil.

Ihr Haar, gelöst vom Seidenband,
Nur wogt hernieder bis zur Hand.
     Da blüht zur Seit’ ihr – roter Mohn
     Wer weiß, ob der nicht wagte schon

15
Zu – küssen sie zum Schabernack!

Was wagte nicht solch Lumpenpack!
     Wie so vertrauensvoll sie ruht!
     Mir wallt und siedet schon das Blut;
Ha! Diese Natter! Ein Spion,

20
Mein Nebenbuhler ist der Mohn!

     Ob ich den Frevler töten soll?
     So fragt mein Herz im bittren Groll!
Was soll ihr diese Nachbarschaft?
Sieh nur, wie der Verräter gafft!

[57]
25
     Ob stumm auch wie ein Fisch, er schweigt,

     Ins Antlitz doch das Blut ihm steigt,
Als leib’ und leb’ er, dieser Tropf!
Zu neigen braucht er nur den Kopf,
     Will küssen er den Rosenmund,

30
     Im Schlaf halb offen, ihr zur Stund’;

Sanft wiegt sich um das Paar das Gras
Und flüstert dies und zischelt das,
     Wie so die Hochzeitsgäste sind,
     Bis daß, vor Eifersucht schon blind,

35
Den Mohn ich – köpft’, und warf ihn hin

Zu Füßen ihr, der Schläferin!


IX.

     Bald wieder that der Wicht mir leid,
     Den ich im Zorn dem Tod geweiht …
Vielleicht ist’s Zufall! Wenn ich wüßt’,
Ob ihren Mund er je geküßt,

5
     Ob selbst er eine Ahnung hat,

     Daß ihm die Glut ins Antlitz trat …
Vielleicht ist ganz er außer Schuld,
Und nur dem Röslein schenkt er Huld,
     Das ihr am Busen welkt dahin!

10
     Verdacht und Zorn trübt uns den Sinn.

Angrinst die Eifersucht mich kalt …
Bald stößt’s mich ab, anzieht’s mich bald,
     So schafft mir jede Sünde Pein
     Der – Evatöchter, groß und klein,


X.

     Welch Höllenqual empfand ich da,
     Als ich so sanft sie schlummern sah:
Verdächtig schien mir in der Luft
Der Blumen zauberischer Duft,

5
     Verdächtig, wie geheimes Gift,

     Der Falterflügel – Runenschrift,
Verdächtig, wie der rote Mohn,
Den ich ertappt im Kosen schon!
     Untrüglicher Verrat mir gar

10
     Das Summen schien der Bienenschar,

Als gebe sie das Losungswort
Zum Stelldichein am sichern Ort,

[58]

     Verrat mir schien das Sonnenlicht,
     Das Bahn sich durch die Wipfel bricht,

15
Und rings zu – kosen sich erfrecht …

So ward ich – hart, obschon gerecht!


XI.

     Zum Schatten flohn wir aus der Glut;
     Da rauscht und duftet’s frohgemut,
Die Erle wuchert aus dem Moos,
Harz sickert aus der Tannen Schoß;

5
     Wie Silber glänzt die Birkenrinde,

     Daran sich zärtlich schmiegt die Winde;
Durch Blättergrün, vom Abendrot
Vergoldet, schon der Himmel loht;
     Schon Tau und Nebel netzt die Erde

10
     Und heimwärts treibt der Hirt die Herde,

Zu Neste schlüpfen Falk und Taube,
Das Moos dem Rauschen lauscht im Laube
     Der Birke, die im Bächlein klar
     Sich spiegelnd, kämmt ihr Flechtenhaar.


XII.

     Am Himmel losch der Dämmerschein;
     Der Tag entfloh. Wir sind allein
Im Brautgemach: im Waldgezelt;
Die Liebe trennt uns von der Welt!

5
     Still schritten wir zum Waldessaum,

     und hörten sein Geflüster kaum,
Da zwischen uns urplötzlich fiel –
Ich weiß nicht, war es Zufallsspiel –
     Das Zauberwort „Ich liebe dich!

10
     Wer sprach es aus? Sie oder ich?

Die Rose, die vor Scham erglühte?
Das Veilchen, das im Traum erblühte?
     Das Eichhorn, das vom Zweige hüpfte?
     Das Tageslicht, das uns entschlüpfte?

15
Wüßt’ ich es selbst, ich sagt’ es gleich!

Hat uns der Lenz gespielt den Streich?
     Hat uns das Echo nur gedroht?
     Wie ward die weiße Lilie rot!
Schon wollt’ ich fragen sie in Hast;

20
Wer sprach es aus? – Doch sie erblaßt’
[59]
5

     Und wieder schallt’s: Wer rief es? Sprich,
     Das Zauberwort: „Ich liebe dich!
Ha! Wo gerieten heut wir hin?
Vielleicht zur – Kartenlegerin,

25
     Die manch’ Geständnis schon dem Mund

     Verliebter raubt’ in stiller Stund’?
Die Winde rankt sich um den Ast,
Das Vöglein schlüpft ins Moos zu Rast,
     Als ich sie lehrt – o Hochgenuß! –

30
     Mir hauchen leis im Flammenkuß,

Im ersten, keusch und minniglich,
Das Zauberwort: „Ich liebe dich!


XIII.

     Ein süß Geheimnis teilten wir
     Mit Vöglein, Ros’ und Winde hier
Im Wald, so oft der Abendstern
Belauscht Verliebte nah und fern.

5
     Zum Paradies uns ward die Welt,

     Da Menschen man für Engel hält,
Da nimmer Habgier, Neid und Not,
Noch Schmach und Tod und Sünde droht,
     Als ob die Erde neu erstand

10
     Im Maienschmuck aus Schöpferhand,

Und zu des Menschen Glück und Trost
Mit Rosen nur und Faltern kost.
     Die Menschen aber um uns her,
     Sie werden fremd uns mehr und mehr,

15
Da nichts vereint uns oder trennt;

Der Wald ist unser Element:
     Umgrünt, umblüht uns Baum und Strauch,
     Umweht uns süßer Düfte Hauch,
Verschleiert sich des Äthers Blau,

20
Und sinkt herab der Dämm’rung Grau,

     Beredten Blicks uns thun wir kund
     Nur was uns eint zum Herzensbund!


XIV.

     In Unschuld hätten Arm in Arm
     Wir fortgeschwärmt so sonder Harm,
Wenn wir – uns selbst besiegten nur,
Wenn uns zum Unheil die Natur

[60]
5
     Nicht ringsumher sich längst verschwor

     Und sich zum Opfer uns erkor.
So hold um uns der Mai erblühte,
So hell der Mond Demanten sprühte,
     Daß täglich lud zum Stelldichein

10
     Der Amsel Flöten uns im Hain,

Im Blütenbusch am Wasserfall
Das Minnelied der Nachtigall …
     Da – flammt’ ein Stern, als ob man stieß
     Ein Englein aus dem Paradies,

15
Auf uns herab, erlosch, und – Qual

War unser Dasein allzumal !


XV.

     Still, eh’ zur Kirche geht die Maid
     Und schmückt mit Rosen Stirn und Kleid,
Am grünen Strauche bleibt sie stehn,
Will erst mit sich zu Rate gehn,

5
     Ob sie das Röslein brechen soll,

     Das sie gezogen mühevoll
Sich selbst im Lenz zum Hochgenuß,
Das, wenn sie’s – pflückte – sterben muß!
     So faßt’ ich ihre kleine Hand,

10
     Als eine Thrän’ im Aug’ ihr stand,

Und seufzte: Nimmer wirst du mein,
Die wie ein Engel hold und rein!
     Dann haucht’ ich: Liebchen, hör mich an,
     Wenn Liebe – Sünde werden kann,

15
Mir schließt dein Schutzgeist sicherlich

Die Lippen, wenn sie küssen dich,
     Die er zurück gen Himmel führt,
     Als – Engel rein und unberührt.
Doch Sünde kann nicht Liebe sein,

20
Wie die der Nachtigall im Hain –

     Drum laß dir küssen Hand und Mund –
     Nur – Blümlein sehn’s im Waldesgrund!


XVI.

     Da – als der Winde Kelch sich neigt,
     Sich, schlummernd drin, ein – Falter zeigt;
Hat sich der Schelm zur Ruhestätt’
Erwählt nur dieses Himmelbett,

[61]
5
     Zu lauschen, wo ein – liebend Paar?

     Im Frührot ward es offenbar:
Im Garten trug die Wundermär
Der Leichtbeschwingte längst umher!
     Das Morgenrot, in Glut getaucht,

10
     Maßliebchen, rosig angehaucht,

Der Wind im Röhricht weit und breit
Erzählten sich die Neuigkeit,
     Bis sie durch – Fliegen, wild umd zahm,
     Flugs unter alle Leute kam.


XVII.

     Verraten! O, welch Herzeleid !
     Mit scheelen Blicken Spott und Neid
Uns traf wie kalter Nordlichtschein.
Wohl tröstet’ ich mein Vögelein,

5
     Hatt’ ich auch selber nimmer Ruh’!

     Die Mißgunst zischelt’ immerzu,
Die gelbe Tulpe ragt’ empor,
Vor Neugier zitternd wie ein Rohr;
     Zum Nachbar raunt’s der Kahlkopf Mohn –

10
     Der ganze Garten wußt’ es schon!

Fast drob von Sinnen kam ich da
Und wußte kaum, wie mir geschah.
     In wilden Fieberphantasien
     Als – Schwälbchen sah ich scheu sie fliehn

15
Vor schwarzer Natter, die im Gras

Verfolgte sie mit grimmem Haß.
     Dann träumt’ ich, daß wir irgendwo
     Im Hüttchen teilten seelenfroh
Am eignen Herd – Schwarzbrot ein Stück,

20
Da – Sünde nimmer unser Glück,

     Bis böse Geister sie erfaßt –
     Und schleppten fort sie sonder Rast …
     Ich suchte bang sie allerwärts
     Und – fand sie nicht. Voll Seelenschmerz

25
Die Leute fragt’ ich … Jedermann

Errötet, schweigt, blickt starr mich an …
     Mein Busenfreund nur raunt mir zu:
     Wie trefflich spielst den – Narren du!

[62]
XVIII.

     Enttäuscht, zermartert ich durchwacht’
     Und seufzend manche stille Nacht,
Bis einst ich ihren Hauch empfand –
Im Traum … Wir sind allein selband …

5
     Sie naht mir wie ein Engelsbild

     Ihr Händchen kühlt die Stirn mir mild …
Sie küßt mein Auge, weich und warm
Sich an mich schmiegt sie mir im Arm,
     Und wie ein Vöglein, schlürft es Tau,

10
     Das Köpfchen neigend, haucht sie: Schau’,

Dir schlägt mein Herz! Wärst du mir fern,
Ich überlebt es nicht, mein Stern! –
     Da rief ich: – Mein in Ewigkeit
     Bist du, der ich mein Herz geweiht! –

15
Entzückt die Lider regt’ ich kaum …

O, laß mir, Gott, nur diesen Traum!


XVIV.

     Glaubst, meine Winde, weiß wie Schnee,
     Ein Sterblicher entrinne je
So weichem Arm, von Wahnsinnsqual
Geblendet wie vom Wetterstrahl?

5
     Glaubst du es, die um Baum und Strauch

     Den Kelch du rankst im Lenzeshauch
Und schmiegst in Sturmesnacht dich an,
Daß – Neid vom Nacken lösen kann

     Den Arm, der zärtlich ihn umspannt,

10
     Und daß, was je ein – Paar selband,

Statt allezeit vereint zu Zwei’n,
Durchs Leben irren kann – allein?


XX.

     Umrausche mir, du Abendwind,
     Die kranke Seele, lau und lind:
Besänft’ge sie mit deinem Lied,
Wenn bang’ – Erinnern sie durchzieht,

5
     Bis still sie wie die Außenwelt,

     Im Silberkleid am Himmelszelt.

[63]

     Umflöte, Nachtigall im Thal,
     Das Röslein, das zum erstenmal
Dem Falter öffnete den Schoß

10
Und kostet’ aller Liebe Los

     Und glaubt an Liebe täglich neu,
     So oft du singst von Lieb’ und Treu’!