Ein Wald-Idyll
Es war im Lenz der Jugendzeit:
Noch sprengte kaum das Panzerkleid
Ein Steinwurf aus des Knaben Hand
Dem Bach zum ersten Lauf ins Land;
Kaum löste leis das Schwingenpaar,
zu spähn, ob schon, vom Schlaf erwacht,
Maßliebchen regt die Äuglein sacht;
Noch träumt der Wald. Im Wiesenthal
Zu spähn, ob dort schon Lebensspur,
Sich knospendes Gezweig zur Flur;
Am Raine nur der Weidenbaum
Sich schüchtern hüllt in weichen Flaum,
Des Knaben erstes – Flötenrohr.
Im Hüttchen, halb im Busch versteckt,
Der rings das Dach, mit Stroh gedeckt,
Geschwärzt vom Wetter, überragt,
Als kaum der junge Lenz getagt
Da sah ich sie zum erstenmal.
und als die erste Lerche schwang
Sich himmelan mit Jubelklang,
Als Vöglein jauchzten allerwärts,
Die Sonn’ entstieg dem Wolkenthor
Und Veilchen lugten aus dem Moor,
Als ihre Äuglein blinkten blau,
Wie das Vergißmeinnicht im Tau,
Der Seel’ ihr schaut’ in ernster Stund'!
Nicht schmückte sie der Schönheit Zier
Wie im Salon euch Damen hier;
Mit jedem Blümlein, Halm und Kraut
Mit Frosch und Schwälbchen eng vertraut,
Nach Butterblum’ und Zittergras,
Und Rosen wand sie sich zum Kranz
Im Garten von des Frühlichts Glanz,
Bis ihr ins Antlitz Silber goß
Sie war bald ernst, bald flatterhaft,
Bald launig, bald voll Leidenschaft:
Bald warf der Locken wirre Flut
Sie von der Stirn im Übermut,
Dem Falter gleich im Morgentau,
Nicht kannt’ ihr Busen, weiß wie Schnee,
Die Schranken eurer Haute-volée;
Nicht war, wie ihr, sie kalt wie Stein –
Wenn still sie mich im Morgenhauch
Durch Brombeer-, Dorn- und Haselstrauch
Nur schelmisch lächelnd führt zur Flur,
Wo einem Nest sie auf der Spur:
Ob auch der Baum noch knospend prangt;
Wenn schmollend sie die Händchen ringt,
Weil noch kein Frosch zum Teiche springt,
Noch keine Düfte haucht der Wind –
Und segnen ihr den Plaudermund,
Die Rosenwangen, voll und rund.
Doch wenn wir wandern dicht am Strom
Am Abend unterm Sternendom
Und doch mit Blicken, flammend heiß,
Wenn Hand in Hand wir uns gelegt,
Ob stürmisch auch das Herz sich regt,
Und tief sie seufzt, als träume sie –
Und pressen ihr in sel’gem Traum
Die Lippen auf der Lippen Saum!
Vereinsamt unter Menschen, beid’
Erlebten wir die Wonnezeit,
Die Zwang noch kennt und Zweifel nicht,
Da Auge nur zum Auge spricht
Bis des – Verbotnen Zauber zog
Zum Abgrund uns mit Allgewalt,
Der – trennen sollt’ uns allzubald. …
Geblendet kaum vom Sonnenlicht,
Schon plagte mich die Eifersucht:
Wie alles hier so voller Wucht
Sich schmiegt an sie! Wie unverschämt
Solch’ Buhle, reich mit Gold verbrämt,
Wie ihr im Haar die Lilie prangt!
Wie zart und duftig dies Gewand
Berührt ihr Busen, Hals und Hand! …
Da war's geschehn! – Ich weiß nicht mehr,
Ob senkrecht stach der Sonnenspeer,
Ob rings erblüht die Rosen all’,
Ob schlug im Hain die Nachtigall,
Mir auf den Lippen brannt’ es heiß,
Ich seufzt’, als ob ich selbst sie warn’,
Daß nicht ihr Zauber mich umgarn’,
Als sich verschoben bis zur Hand
Und als die Sonn’ ihr kosend naht’,
Daß nicht ihr Leuchten sie verrat’ –
Ansah sie mir mein Mißgeschick
Und züchtig senkte sie den Blick
Mir, der ich ihr zu Füßen sank.
Nicht weiß ich, ob zum zweitenmal
Erblüht ein Mai im Erdenthal,
Wie jener uns in lauer Luft,
Voll Farbenpracht und Blütenduft!
Allmorgens schwebten Falter bunt;
Der Erlenbach zum Elfentanz
Allabends rauscht’, im Mondenglanz
Bis in der Ferne Nebelland
So spiegelglatt wie Bergkrystall …
Das Brautlied sang Frau Nachtigall …
Baumkronen flochten uns das Dach
Zum Feenschloß, – zum Brautgemach …
Wo nimmer scheucht das Traumbild ihr
Der Fliegen Schwarm – im Waldrevier,
Da schlummert sie. Die Sonne strahlt
Und Rosen ihr ins Antlitz malt.
Könnt’ ich erlauschen, was sie denkt,
Ob trüb ihr Blick ist, oder lacht!
Doch neidisch ihr Gewand bewacht
Vor mir sie, wie vor Phöbus’ Pfeil,
Ihr Haar, gelöst vom Seidenband,
Nur wogt hernieder bis zur Hand.
Da blüht zur Seit’ ihr – roter Mohn …
Wer weiß, ob der nicht wagte schon
Was wagte nicht solch Lumpenpack!
Wie so vertrauensvoll sie ruht!
Mir wallt und siedet schon das Blut;
Ha! Diese Natter! Ein Spion,
Ob ich den Frevler töten soll?
So fragt mein Herz im bittren Groll!
Was soll ihr diese Nachbarschaft?
Sieh nur, wie der Verräter gafft!
Ins Antlitz doch das Blut ihm steigt,
Als leib’ und leb’ er, dieser Tropf!
Zu neigen braucht er nur den Kopf,
Will küssen er den Rosenmund,
Sanft wiegt sich um das Paar das Gras
Und flüstert dies und zischelt das,
Wie so die Hochzeitsgäste sind,
Bis daß, vor Eifersucht schon blind,
Zu Füßen ihr, der Schläferin!
Bald wieder that der Wicht mir leid,
Den ich im Zorn dem Tod geweiht …
Vielleicht ist’s Zufall! Wenn ich wüßt’,
Ob ihren Mund er je geküßt,
Daß ihm die Glut ins Antlitz trat …
Vielleicht ist ganz er außer Schuld,
Und nur dem Röslein schenkt er Huld,
Das ihr am Busen welkt dahin!
Angrinst die Eifersucht mich kalt …
Bald stößt’s mich ab, anzieht’s mich bald,
So schafft mir jede Sünde Pein
Der – Evatöchter, groß und klein,
Welch Höllenqual empfand ich da,
Als ich so sanft sie schlummern sah:
Verdächtig schien mir in der Luft
Der Blumen zauberischer Duft,
Der Falterflügel – Runenschrift,
Verdächtig, wie der rote Mohn,
Den ich ertappt im Kosen schon!
Untrüglicher Verrat mir gar
Als gebe sie das Losungswort
Zum Stelldichein am sichern Ort,
Verrat mir schien das Sonnenlicht,
Das Bahn sich durch die Wipfel bricht,
So ward ich – hart, obschon gerecht!
Zum Schatten flohn wir aus der Glut;
Da rauscht und duftet’s frohgemut,
Die Erle wuchert aus dem Moos,
Harz sickert aus der Tannen Schoß;
Daran sich zärtlich schmiegt die Winde;
Durch Blättergrün, vom Abendrot
Vergoldet, schon der Himmel loht;
Schon Tau und Nebel netzt die Erde
Zu Neste schlüpfen Falk und Taube,
Das Moos dem Rauschen lauscht im Laube
Der Birke, die im Bächlein klar
Sich spiegelnd, kämmt ihr Flechtenhaar.
Am Himmel losch der Dämmerschein;
Der Tag entfloh. Wir sind allein
Im Brautgemach: im Waldgezelt;
Die Liebe trennt uns von der Welt!
und hörten sein Geflüster kaum,
Da zwischen uns urplötzlich fiel –
Ich weiß nicht, war es Zufallsspiel –
Das Zauberwort „Ich liebe dich!“
Die Rose, die vor Scham erglühte?
Das Veilchen, das im Traum erblühte?
Das Eichhorn, das vom Zweige hüpfte?
Das Tageslicht, das uns entschlüpfte?
Hat uns der Lenz gespielt den Streich?
Hat uns das Echo nur gedroht?
Wie ward die weiße Lilie rot!
Schon wollt’ ich fragen sie in Hast;
Und wieder schallt’s: Wer rief es? Sprich,
Das Zauberwort: „Ich liebe dich!“
Ha! Wo gerieten heut wir hin?
Vielleicht zur – Kartenlegerin,
Verliebter raubt’ in stiller Stund’?
Die Winde rankt sich um den Ast,
Das Vöglein schlüpft ins Moos zu Rast,
Als ich sie lehrt – o Hochgenuß! –
Im ersten, keusch und minniglich,
Das Zauberwort: „Ich liebe dich!“
Ein süß Geheimnis teilten wir
Mit Vöglein, Ros’ und Winde hier
Im Wald, so oft der Abendstern
Belauscht Verliebte nah und fern.
Da Menschen man für Engel hält,
Da nimmer Habgier, Neid und Not,
Noch Schmach und Tod und Sünde droht,
Als ob die Erde neu erstand
Und zu des Menschen Glück und Trost
Mit Rosen nur und Faltern kost.
Die Menschen aber um uns her,
Sie werden fremd uns mehr und mehr,
Der Wald ist unser Element:
Umgrünt, umblüht uns Baum und Strauch,
Umweht uns süßer Düfte Hauch,
Verschleiert sich des Äthers Blau,
Beredten Blicks uns thun wir kund
Nur was uns eint zum Herzensbund!
In Unschuld hätten Arm in Arm
Wir fortgeschwärmt so sonder Harm,
Wenn wir – uns selbst besiegten nur,
Wenn uns zum Unheil die Natur
Und sich zum Opfer uns erkor.
So hold um uns der Mai erblühte,
So hell der Mond Demanten sprühte,
Daß täglich lud zum Stelldichein
Im Blütenbusch am Wasserfall
Das Minnelied der Nachtigall …
Da – flammt’ ein Stern, als ob man stieß
Ein Englein aus dem Paradies,
War unser Dasein allzumal !
Still, eh’ zur Kirche geht die Maid
Und schmückt mit Rosen Stirn und Kleid,
Am grünen Strauche bleibt sie stehn,
Will erst mit sich zu Rate gehn,
Das sie gezogen mühevoll
Sich selbst im Lenz zum Hochgenuß,
Das, wenn sie’s – pflückte – sterben muß!
So faßt’ ich ihre kleine Hand,
Und seufzte: Nimmer wirst du mein,
Die wie ein Engel hold und rein!
Dann haucht’ ich: Liebchen, hör mich an,
Wenn Liebe – Sünde werden kann,
Die Lippen, wenn sie küssen dich,
Die er zurück gen Himmel führt,
Als – Engel rein und unberührt.
Doch Sünde kann nicht Liebe sein,
Drum laß dir küssen Hand und Mund –
Nur – Blümlein sehn’s im Waldesgrund!
Da – als der Winde Kelch sich neigt,
Sich, schlummernd drin, ein – Falter zeigt;
Hat sich der Schelm zur Ruhestätt’
Erwählt nur dieses Himmelbett,
Im Frührot ward es offenbar:
Im Garten trug die Wundermär
Der Leichtbeschwingte längst umher!
Das Morgenrot, in Glut getaucht,
Der Wind im Röhricht weit und breit
Erzählten sich die Neuigkeit,
Bis sie durch – Fliegen, wild umd zahm,
Flugs unter alle Leute kam.
Verraten! O, welch Herzeleid !
Mit scheelen Blicken Spott und Neid
Uns traf wie kalter Nordlichtschein.
Wohl tröstet’ ich mein Vögelein,
Die Mißgunst zischelt’ immerzu,
Die gelbe Tulpe ragt’ empor,
Vor Neugier zitternd wie ein Rohr;
Zum Nachbar raunt’s der Kahlkopf Mohn –
Fast drob von Sinnen kam ich da
Und wußte kaum, wie mir geschah.
In wilden Fieberphantasien
Als – Schwälbchen sah ich scheu sie fliehn
Verfolgte sie mit grimmem Haß.
Dann träumt’ ich, daß wir irgendwo
Im Hüttchen teilten seelenfroh
Am eignen Herd – Schwarzbrot ein Stück,
Bis böse Geister sie erfaßt –
Und schleppten fort sie sonder Rast …
Ich suchte bang sie allerwärts
Und – fand sie nicht. Voll Seelenschmerz
Errötet, schweigt, blickt starr mich an …
Mein Busenfreund nur raunt mir zu:
Wie trefflich spielst den – Narren du!
Enttäuscht, zermartert ich durchwacht’
Und seufzend manche stille Nacht,
Bis einst ich ihren Hauch empfand –
Im Traum … Wir sind allein selband …
Ihr Händchen kühlt die Stirn mir mild …
Sie küßt mein Auge, weich und warm
Sich an mich schmiegt sie mir im Arm,
Und wie ein Vöglein, schlürft es Tau,
Dir schlägt mein Herz! Wärst du mir fern,
Ich überlebt es nicht, mein Stern! –
Da rief ich: – Mein in Ewigkeit
Bist du, der ich mein Herz geweiht! –
O, laß mir, Gott, nur diesen Traum!
Glaubst, meine Winde, weiß wie Schnee,
Ein Sterblicher entrinne je
So weichem Arm, von Wahnsinnsqual
Geblendet wie vom Wetterstrahl?
Den Kelch du rankst im Lenzeshauch
Und schmiegst in Sturmesnacht dich an,
Daß – Neid vom Nacken lösen kann
Den Arm, der zärtlich ihn umspannt,
Statt allezeit vereint zu Zwei’n,
Durchs Leben irren kann – allein?
Umrausche mir, du Abendwind,
Die kranke Seele, lau und lind:
Besänft’ge sie mit deinem Lied,
Wenn bang’ – Erinnern sie durchzieht,
Im Silberkleid am Himmelszelt.
Umflöte, Nachtigall im Thal,
Das Röslein, das zum erstenmal
Dem Falter öffnete den Schoß
Und glaubt an Liebe täglich neu,
So oft du singst von Lieb’ und Treu’!