Eine gute That

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Autor: Theodor Herzl
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Titel: Eine gute That
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aus: Philosophische Erzählungen, S. 203–216
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Entstehungsdatum: 1888
Erscheinungsdatum: 1900
Verlag: Gebrüder Paetel
Drucker: G. Bernstein
Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: ÖNB-ANNO und Commons
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[203]
Eine gute That.
1888.


[205]
Wenn Du etwas Gutes thust, so verbirg
Deine Beweggründe sorgfältig.     


Der erste Liebhaber, Herr Philipp Schaumschlager, feierte sein fünfundzwanzigjähriges Jubiläum als Mitglied des herzoglichen Hoftheaters. Das erregte kein kleines Aufsehen in der Residenz. Die „deutsche Residenz!“ Sie kennen diesen Ort vielleicht bloß aus unserm braven, charakterlosen und spießbürgerlichen deutschen Lustspiel – aber das genügt vollauf, um Ihnen einen solchen Ekel vor der „Residenz“ einzuflößen, wie wenn Sie zehn Jahre in ihr gelebt hätten. Was sind unsere gefeierten Bühnenschriftsteller doch für große Satiriker – ohne es zu wissen – wie wunderbar machen sie die Gegenstände herunter, mit welchen sie sich beschäftigen! … In der Wirklichkeit, die vom herkömmlichen Drama so weit entfernt liegt, ist jedoch die Residenz wenn möglich noch charakterloser, verklatschter und beschränkter. Und darum erregte das Jubiläum des Herrn Schaumschlager so viel Aufsehen. Dieser Zug im Bilde der Residenz ist von unseren gottbegnadeten Poeten noch nicht festgehalten worden. Sie widmen die ganze Schärfe ihrer Beobachtung, den bezaubernden Glanz ihrer Darstellung lediglich dem Herrn Kommerzienrath, der nie vor ¾10 Uhr in die Heirath seiner Tochter willigt, und wenn es hoch kommt, greifen sie aus der Zeit das, was ihr das Gepräge gibt: eine Leutnants-Uniform, heraus. Es geht aber noch Anderes in der Residenz vor: zum Beispiel die Vergötterung des Schauspielers. Die beiden Blätter der Stadt fröhnten natürlich dem lebhaften [206] Bedürfnisse des Publicums in einer ausgiebigen Weise. Zur selben Zeit war nämlich den beiden Blättern die Besprechung wichtiger politischer Fragen, ja selbst die Erwähnung freimüthiger wissenschaftlicher Bestrebungen durch behördliche Maßnahmen sehr erschwert worden. (Diese Geschichte spielt, wie man hieraus ersieht, nicht in der Gegenwart.) Ein in späterer Zeit zu Flügeln gekommenes Wort besagt zwar, daß eine Zeitung bloß aus Druckerschwärze und Papier bestehe, aber praktische Rücksichten auf den Leserkreis haben die Redactionen von jeher veranlaßt, auch Nachrichten und Raisonnements in das Blatt zu setzen. Es sind sogar Fälle bekannt, in denen man sich nicht schämte, lyrische Gedichte zu bringen. Und so wurde denn das Schaumschlager’sche Jubiläum von den beiden Journalen sehr eingehend gewürdigt. Sehr eingehend. Wie bei jedem bedeutungsvollen Anlasse rivalisirten auch diesmal die beiden Blätter auf Tod und Leben. Der Sieg blieb allerdings unentschieden. Denn in der Beleuchtung der sozialen Wichtigkeit dieser Jubelfeier zeigte sich „Der Unabhängige“ durch zwei geradezu bengalische Leitartikel überlegen. Die „Volksstimme“ war dagegen unerschöpflich in bezeichnenden, rührenden, humoristischen Anekdoten aus dem Leben Schaumschlager’s. Wohl wurde nach einem halben Jahre von einem Mitarbeiter des „Unabhängigen“ festgestellt, daß dies alte, abgelegte Dawison-, Devrient- und Döring-Anekdoten gewesen seien, doch da hatte die Enthüllung nicht mehr den Reiz der Actualität.

Die Bevölkerung der Residenz huldigte also dem ausgezeichneten Jubilar. Die Vorstellung am Festabend war eine Kette rauschender Ovationen. Wenn im Stücke eine Stelle vorkam, wie etwa: „Hab’ ich das nicht gut gemacht?“ oder „Wie finden Sie mich heute?“ und dergleichen, so fiel [207] das nicht auf unfruchtbaren Boden. Im Zuschauerraume saßen geistreiche und geschmackvolle Leute genug, die jede dieser feinen Anspielungen aus dem Dialog herausfanden und bejubelten. Das Stück war übrigens – ein sinniger Einfall! – dasselbe, in welchem Herr Schaumschlager vor einem Vierteljahrhundert diese herzogliche Bühne betreten hatte. Und dieselben Liebesworte, mit denen er damals manches zärtliche Herz im Publicum entflammt hatte, ganz dieselben entflohen auch heute dem nicht mehr so dichten Gehege seiner Zähne. Nur seine Partnerin in diesem anmuthsvollen Liebesgetändel war nicht mehr die von einst. Die Angebetete vom Tage (im Stück) war die unübertreffliche Lanz-Birkenstein – auch kein Kind mehr – die es verstanden hatte, sich durch einen rechtzeitigen Vertrag die lebenslängliche Naivität zu sichern … Von den Blumenspenden, welche Herrn Schaumschlager an diesem Abend zu Theil wurden, könnte nur ein gewiegter Botaniker angemessen berichten. Der große Künstler stand in einem Lorbeerwald, der zugleich Palmengarten und Rosenhain war, und Hunderte von ausgestopften Tauben umflatterten ihn an blauen und rosigen Seidenbändern … Nach dem letzten Act wurde Schaumschlager oft und oft gerufen. Sein bisher so beredter Mund brachte aber nichts hervor, als die in ihrer kunstvollen Schlichtheit unendlich ergreifenden Worte: „Ich bin sehr glücklich!“ … Nachher fanden jedoch auf der Bühne die verschiedenen feierlichen Ansprachen statt, und da erlangte er seine Wortgewandtheit wieder. Zunächst pries der Intendant Herrn Schaumschlager, hierauf trat der Direktor vor und that dasselbe, dann drückte im Namen der Kollegen Herr Eberling los. Herrn Eberling’s Rede war die bemerkenswertheste, weil er Schaumschlager’s präsumtiver Nachfolger war – sozusagen der Kronprinz, der zweite erste [208] Liebhaber – ferner weil in dieser Rede ein später vielbesprochener Passus vorkam. „Möge es Dir vergönnt sein, großer Meister, noch im höchsten Greisenalter die ersten Liebhaber zu verkörpern!“ … Bei diesen sympathischen Worten zuckte der Verherrlichte ein wenig zusammen. Dann sprachen noch der Chef der Comparserie, der Ober-Maschinist im Namen des technischen Personals, der Kassier im Namen der Hülfsbeamten. Als Letzter überreichte der Dramaturg seine Broschüre, die er auf eigene Kosten hatte drucken lassen und in welcher er nach einem kurzen, aber gelehrten Rückblicke auf die Geschichte des Theaters bei den Culturvölkern die entscheidende Bedeutung Schaumschlager’s für die Kunst des neunzehnten Jahrhunderts verfocht. Und all dieses Lob nahm der Gefeierte demüthig hin. In seinen Antworten – er antwortete Jedem ausführlich, bloß dem Dramaturgen nicht, weil da die Zeit schon zu sehr vorgerückt war – lehnte er das Uebermaß der Anerkennung bescheiden ab. Er nahm lediglich die Rolle des „einfachen Soldaten, der seine Pflicht gethan“, für sich in Anspruch – wie seine Vergleiche überhaupt vorwiegend militärischer Art waren. Er erwähnte „die Fahne, der wir alle folgen“, und ähnliche rührende, begeisternde Dinge. Die Thräne floß denn auch in Strömen, namentlich bei jenen Damen, die sich schon abgeschminkt hatten. Die unübertreffliche Lanz-Birkenstein schluchzte wiederholt laut auf – ihr berühmtes Schluchzen durch die Nase, das ihr sobald Niemand nachmacht.

Nach der Thräne floß der Champagner in Strömen. Im Prachtsaale des „Blauen Ochsen“ versammelte man sich zu einem großen Souper, dem auch die Berichterstatter der beiden Blätter freundlichst zugezogen wurden. Heitere Scherze würzten das köstliche Mahl. Die Komiker des herzoglichen Theaters führten eine kleine Schnurre auf. [209] Wiederholt ertönte das silberne Gelächter, der unübertrefflichen Lanz-Birkenstein – ihr silbernes Gelächter, das ihr sobald Niemand nachmacht. Urdrollige Trinksprüche entflatterten den Champagnergläsern. Nach dem historischen Ernst der Ansprachen im Theater nunmehr die Munterkeit. „Nach dem Kothurn der Soccus,“ wie sich der Dramaturg imposant ausdrückte. Diesem gelang es auch in einem unbewachten Augenblicke, ein längeres Festgedicht vorzutragen. Das war aber der einzige Wermuthsbecher, der den Gästen gereicht wurde. Im Uebrigen eitel Wonne, Genuß, Kollegialität, Freundschaft. Schaumschlager ging mit dem Glase in der Hand von Einem zum Andern, dankte jedem Einzelnen nochmals tiefgerührt. Herrn Eberling aber umarmte und küßte er dreimal. Dann standen die beiden Männer stumm und ergriffen da, Hand in Hand, und sie sahen einander treu in die Freundesaugen. Und beide dachten sich dabei etwas, nämlich: „Komödiant! …“

Am nächsten Morgen erwachte Herr Schaumschlager mit ziemlich schwerem Kopfe. Als er dann seine Gedanken so weit gesammelt hatte, schellte er seinem Diener und verlangte – wie es jeder halbwegs große Mann thut, auch wenn er’s öffentlich leugnet – stürmisch die Zeitungen. Der Diener brachte sie zugleich mit der Chocolade und meldete, daß sich im Vorzimmer zwei unbekannte junge Leute befänden.

„Aha, wahrscheinlich schon wieder Genies, die entdeckt werden wollen!“ brummte Schaumschlager ungnädig vor sich hin und nahm die viel interessanteren Zeitungen vor. Spaltenlange Berichte über das gestrige Jubiläum – selbstverständlich! Er las sie aufmerksam durch. Da stand natürlich auch Eberling’s Rede. Ah verdammt! Die gewisse Stelle vom „höchsten Greisenalter“ brachte der „Unabhängige“ [210] durchschossen! Was, und eine Anmerkung in der Klammer dazu? „(Ein etwas malitiöser Wunsch! Die Redaction.)“ Wer hätte sich einer solchen Perfidie vom „Unabhängigen“ versehen? Ja wohl, eine Perfidie! O, alles Ueble, das man diesen Journalisten nachsagte, war nur zu gerechtfertigt … Geschwind, die „Volkesstimme“ her! Was sagte die? „ … Hierauf wünschte Herr Eberling dem Jubilar, dieser möge noch im spätesten Greisenalter die ersten Liebhaber verkörpern. Fürwahr, schöne erhebende Worte aus dem Munde eines selbstlosen Kollegen! …“ Das war aber Herrn Schaumschlager zu stark. Mit einem Wuthrufe zerknüllte er die „Volkesstimme“ und warf sie weg. Solche Cretins! Die waren dem Eberling aufgesessen, hatten das für bare Münze genommen. Unglaublich! …

Herr Schaumschlager erhob sich und machte Toilette. Dann wurden die angemeldeten jungen Leute – nachdem sie anderthalb Stunden lang die Arabesken der Tapete gezählt hatten – vorgelassen. Es waren richtig angehende Genies. Der Erste ein Dichter. Der wurde mit der Dichternummer abgefertigt: Schaumschlager nahm ihm das Manuscript – vier blutige Acte – ab und versprach huldvoll eine baldige Entscheidung. Der verlegene Jüngling empfahl sich hoffnungstrunken. Schaumschlager schrieb dann sogleich einen kurzen charmanten Brief an den Abgegangenen des Inhalts: „Enorm viel Talent, Stück für uns leider nicht geeignet, lassen Sie sich aber dadurch nicht entmuthigen.“ Dieses Schreiben und das Manuscript wurden dann dem verläßlichen Diener eingehändigt, mit dem Auftrage, es in acht Tagen auf die Post zu geben.

Der zweite Vorzimmerherr war ein aufstrebender Mime. Für Solche hatte Schaumschlager eine andere bewährte Nummer. Er ließ sie Einiges recitiren, klopfte ihnen dann [211] entzückt auf die Schulter und sagte: „Ihr Talent möchte ich haben! Versuchen Sie es zuerst an kleineren Bühnen! Wir treffen uns wieder! Leben Sie wohl, junger Mann!“ … Das war nicht sehr zeitraubend, aber äußerst liebenswürdig und machte ihm keine Feinde.

Der Mime trat ein. Ein magerer, blasser dürftiger Bursche. Er war nicht weit her, ein armseliger Sohn dieser Stadt, sein Vater ein Schuhmacher, und er nannte sich schlechtweg Meier. Lauter Eigenschaften, die keine besonderen Sympathien erwecken können. Der berühmte Künstler lud den unberühmten ein, loszulegen. Meier legte los: Stellen aus „Don Carlos“, dann „Sein oder Nichtsein“. Schaumschlager lehnte sich zurück, kniff die Augen halb zu, nickte wiederholt wohlwollend. Schon bei den ersten Worten des Anfängers war das Urtheil fertig: Ein ganz talentloser Kerl. Und während der Jüngling in eintöniger Getragenheit fortdeclamirte, arbeiteten in Schaumschlager die bösen Gedanken über das „höchste Greisenalter“ Eberling’s weiter. Wenn man sich an ihm rächen könnte, an diesem Elenden, der immer dreister auf sein Kronprinzenthum pochte, der sogar im festlichsten Augenblicke eine höhnische Anspielung wagte! Und jeder schwindende Tag brachte den Erbfall näher – vielleicht schon in kurzer Zeit müßten alle die schönen ersten Liebhaber an den Eberling abgegeben werden. Warum? Weil er um zehn Jahre jünger war. Als ob es auf die Jugend ankäme und nicht auf das Können! Wenn das Jungsein genügte, so wäre dieser Meier da, kraft seiner zwanzig Jahre, beiden überlegen … Halt, halt! Eine Idee! Lebhaft unterbrach er den Aufstrebenden, der gerade erwog, ob es nicht edler im Gemüthe, die Pfeil’ und Schleu …

„Wie steht’s mit modernen Sachen? Haben Sie sich darin schon versucht, Herr Meier?“

[212] „O ja,“ sagte dieser schüchtern und nannte einige Rollen, darunter auch die gestern von Schaumschlager gespielte.

„Schön, lassen Sie mich das hören!“

Abermals legte Meier los – sein Zuhörer gab ihm stellenweise die Replik – und abermals meinte Schaumschlager im Stillen, daß er noch nie etwas Talentloseres vernommen habe. Um so besser! Der da würde ihn nie beim Publicum in Vergessenheit bringen. Wenn er noch vor erreichtem „höchsten Greisenalter“ die ganz jugendlichen Rollen an den da abgäbe, würde die schmerzliche Lücke immerdar weiter klaffen. Und Eberling wäre geprellt.

Als Schaumschlager seinen schnell gefaßten Entschluß dem jungen Meier mittheilte, da sank dieser vor ihm in die Knie, küßte ihm unter aufrichtigen Thränen die Hand und stammelte: „Mein Wohlthäter! Mein Wohlthäter!“

Vorerst galt es freilich, den Burschen heranzubilden. Er konnte nicht gehen, nicht stehen und nicht sitzen; er hatte ein sprödes Organ, sein Gesicht war in der Ruhe stumpf, in der Bewegung grotesk. Aber er war unendlich willig. Schaumschlager drillte ihn wie ein Murmelthier. Manchmal kam eine Verzweiflung über den Meister, wenn er den Schüler in hölzerner Steifheit vor sich sah – dann brauchte er jedoch bloß an Eberling und das höchste Greisenalter zu denken, und das flößte ihm frischen Feuereifer ein. Meier war arm wie eine Kirchenmaus. Der Wohlthäter kleidete ihn, nährte ihn, gab ihm Taschengeld und Cigarren. Er that noch mehr: er lancirte ihn. In der Kunst ist die Lancirung Alles. Die verschollene edle Fertigkeit der Falknerei bietet dafür ein Gleichniß. Der Falke saß auf der Faust des Jägers. Dieser nahm dem Vogel die Haube ab, warf ihn kräftig in die Luft, und dann erst kam der Flügelschwung zur Geltung. So that auch [213] Schaumschlager mit seinem Falken, der den Eberling herunterholen sollte. Die Lancirung heißt mit einem andern Wort: Reclame. Wer die nicht hat, kommt nimmermehr in die Höhe; freilich, wenn Einer sie hat, muß er auch noch ein wenig fliegen können. Schaumschlager fütterte die beiden Blätter der Residenz mit Aufsehen erregenden Notizen über seinen Schützling, über den „vielverheißenden Stern, den er entdeckt hatte“. Man nahm seine Meldungen bereitwillig auf, weil er ganz unverdächtig war. Was hätte ihn veranlassen können, sich des armen Schusterssohnes, der mit ihm nicht verwandt war, den Niemand protegirte, anzunehmen, wenn es nicht das große Talent war? Beide Blätter fanden auch nicht genug Worte des Lobes für seine Neidlosigkeit, für seine opferfreudige Kunstbegeisterung, und so feierte er nebenbei kleine Triumphe auf der Gemüthsseite. Die „Volkesstimme“, deren Theater-Redakteur ein empfindsamer Mensch war, behandelte das Ereigniß in einem lyrisch angehauchten Sonntags-Feuilleton unter der Aufschrift: „Eine gute That.“ Eberling schäumte. Doch gelang es seinen sinnreichsten Intriguen nicht, die Meier’schen Debüts, welche nach Jahresfrist stattfanden, zu vereiteln.

Nach dem Beschlusse der Intendanz sollten drei Debutrollen über das Engagement Meier’s entscheiden. Schaumschlager hatte sich für den Fall des Gelingens bereit erklärt, seinem Schüler die wichtigsten ersten Liebhaber in dauernden Besitz zu übertragen. Eberling schäumte. Der „Unabhängige“ erklärte sich mit Schaumschlager ganz einverstanden, „vorbehaltlich der Prüfung des Debütanten“. Weiterhin wurde ausgeführt, „daß es im Interesse der Stabilität der Kunstleistungen gelegen sei, eine Rollenübergabe nicht zu oft vorzunehmen, einmal weil man nicht wisse, ob jeder Nachfolger Schaumschlager’s diesem an Selbstentäußerung [214] gleichen würde, dann, weil es sich empfehle, den wirklich Jungen Platz zu machen“. Der Fall wurde staatsmännisch und besonnen erörtert. Eberling schäumte.

So näherte sich die Zeit des Debüts. Was Schaumschlager seinem Zöglinge an Kunst und Künsten hatte beibringen können, das hatte er ihm beigebracht. Aber wie nun die Entscheidung heranrückte, kam die Angst der Anfänger in dem armen Jungen schrecklich zum Ausbruche. Hier in dieser selben Stadt, die seine elende Jugend gesehen, wo er zu den Letzten und Dürftigsten gehörte, hier sollte er plötzlich zu Worte kommen vor den Reichen und Vornehmen, vielleicht gar vor dem Herzog. Denn er war ein demüthiger Mensch, und da er bisher seinen Weg nicht hatte erkämpfen müssen, war er auch noch gut. Boshaft und grausam wird man ja erst in der Schlacht. Seinem angebeteten Meister wagte er nichts zu sagen von den Todesängsten, von den Fieberträumen. Aber Schaumschlager sah überrascht und beklommen auf den letzten Proben, daß Meier sich zusehends veränderte. Wohl saß ihm die Zucht eisern in den Gliedern, aber etwas Fremdes, Neues war hinzugekommen. Was? Schaumschlager bebte bei dem Gedanken, daß die ganze schwere Mühe verloren sei. Das wäre bitter. Noch bitterer, daß dann Herr Eberling in die aufgegebene Position einrücken würde.

An das Bitterste hatte Herr Schaumschlager keinen Augenblick gedacht. Und gerade das blieb ihm nicht erspart: Meier’s Erfolg! Gleich am ersten Abend entschied sich das. Wer darüber genauer unterrichtet sein will, der lese die Recensionen im „Unabhängigen“ oder in der „Volkesstimme“ nach. Meier debütirte in der Rolle, die Schaumschlager am Jubiläumstage gespielt hatte. Wie er sie spielte? „Sieghaft!“ schrieb ein Kritiker. Und thatsächlich [215] war lachende, blitzende junge Jugend in Meier’s Darstellung, eine wilde Grazie, etwas Köstliches. Was war denn geschehen? Ein Wunder. Der Schusterssohn hatte zufällig eine Seele, und sie war erwacht. Im geblümten Stil der „Volksstimme“ könnte man sagen: „Aus der unscheinbaren Knospe hatte sich über Nacht eine unerwartete Blüthe entfaltet.“

Eberling schäumte. Doch nur während der ersten Akte. Im vierten Aufzuge, eben als Meier seine Hauptscene hatte, kam Eberling hinter die Coulissen und bemerkte Herrn Schaumschlager. Dieser bedeutende Mime saß auf einer Kiste, schwer athmend, mit vorgebeugtem Kopf, und lauschte, lauschte. Wie Eberling das wuthverzerrte Gesicht seines älteren Rivalen sah, da schäumte er plötzlich nicht mehr. Mit einem Blick erkannte er, was in dem gequälten Gemüthe seines Kollegen vorging. Er verstand ihn. Der Erfolg da draußen brach dem Meier’schen Wohlthäter beinahe das Herz. Auch Herrn Eberling war recht weh zu Muthe. Das gemeinschaftliche Unglück führte diese Männer, die sich so innig gehaßt hatten, jählings wieder zusammen. Schaumschlager warf sich, ohne ein Wort zu reden, an Eberling’s Brust … Jetzt drang die frische, warme, junge Stimme Meier’s von der Bühne her deutlich zu den beiden Horchern, es waren seine letzten Worte vor dem Abgang. Und dann brach der Beifall los, ein Gewitter, eine donnernde Brandung. Noch bei offener Scene wurde Meier zehnmal gerufen.

Während dies geschah, stand Schaumschlager bebend, empört, vernichtet hinter der bemalten Leinwand. Er stützte sich auf die Schulter des treuen Eberling und röchelte:

„Der Undankbare, der Undankbare! …“