Gründliche und allgemein faßliche Darlegung der Glaubenslehre der evangelisch-lutherischen Kirche/12. Kapitel

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
« 11. Kapitel Nikolaus Hunnius
Gründliche und allgemein faßliche Darlegung der Glaubenslehre der evangelisch-lutherischen Kirche
Erstes Register
13. Kapitel »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
Das zwölfte Kapitel.
Wenn nun der Mensch in solchem seinen Zustande vor Gott, den gerechten Richter, gestellt wird, fordert dieser, vermöge seiner Gerechtigkeit, einen völligen Gehorsam aller göttlichen Gebote; wegen der begangenen Sünden aber, daß der Mensch in’s ewige Verderben gestürzt werde, wenn nicht auf andere Wege der göttlichen Gerechtigkeit ein Genüge geschehen.

 261. Hier sind 2 Punkte zu beachten, von der Schuld des völligen Gehorsams und von der Strafe der Sünden.

 Mit dem ersten verhält es sich folgendermaßen: Gott hat allen Menschen ein Gesetz in die Natur geschrieben, wonach sie alle ihr Thun und ganzes Leben einrichten sollen, das sie aus ihrem Gewissen ernstlich erinnert, wenn sie etwas dawider begehen. Nun ist zwar dieses Gesetz der Natur vor dem Sündenfalle den Menschen vollkommen eingebildet gewesen; weil es aber nachmals durch die Sünde heftig verdunkelt worden ist, so hat es Gott durch Moses den Kindern Israel| von Neuem übergeben und deutlicher vorgeschrieben. Wenn wir demnach vom Gesetz reden, wird eigentlich das mosaische Gesetz verstanden.

 262. Dieses aber ist dreierlei, das Ceremonial- und Levitische Gesetz, das Moralgesetz der zehn Gebote.

 In dem Ceremonialgesetz wird Ordnung und Maaß gegeben, wie die Opfer bereitet, und Gott dargebracht werden, wie die Sünde auszusöhnen, was für Gelübde Gott gefällig, und wie dieselben ihm bezahlt werden sollten, sammt vielen andern Dingen, die zum jüdischen Gottesdienst gehörten, was alles dann Vorbilder auf Christum gewesen sind, anzudeuten, daß, gleichwie die Versöhnung durch Vergießung des Blutes der Ochsen, Lämmer, Kälber, auch anderer Thiere hat geschehen müssen, auch Christus für die Sünden der Welt geschlachtet und sein Blut vergossen werde, die sündigen Menschen mit Gott dem himmlischen Vater zu versöhnen, wie dann solche Vorbilder nicht für sich selber die Sünde haben austilgen können, Hebr. 10, 4. sondern allein das Blut des Sohnes Gottes uns von Sünden reiniget, 1 Joh. 1, 7. „Er hat mit einem Opfer in Ewigkeit vollendet die geheiliget werden.“ Hebr. 10, 14. So haben auch die andern levitischen Gesetze ihre Bedeutung auf Christum gehabt.

 263. Weil sie aber nur Schatten und Vorbilder gewesen sind, so sind sie selber verschwunden, nachdem der Leib in Christo gekommen ist, weßwegen wir Christen nicht weiter daran gebunden sind, wie auch St. Paulus davon schreibt Coloss. 2, 16. 17. „Lasset euch Niemand ein Gewissen machen über Speiß oder über Trank, oder über bestimmte Feyertage, oder Neumonden,| oder Sabbathen, welches ist der Schatten von dem, das zukünftig war, aber der Körper selbst ist Christus.“ Folgendes war auch der apostolische Beschluß in ihrer Versammlung zu Jerusalem, Apostelgesch. 15, 10. „Was versuchet ihr Gott mit Auflegen des Joches auf der Jünger Hälse, welches weder unsere Väter, noch wir, haben mögen tragen;“ und V. 28, 29: „Es gefällt dem h. Geiste und uns, euch keine Beschwerung mehr aufzulegen, denn nur diese nöthigen Stücke, daß ihr euch enthaltet vom Götzen-Opfer, und vom Blut, und vom Erstickten und von Hurerei.“

 264. Das weltliche Gesetz oder die Polizeiordnung lehrt, wie in allerlei Fällen alles in Ordnung gelassen, der Gerechte bei seinem Rechte erhalten, die Bosheit verhindert und gestraft werden solle. Es findet sich dieses hin und wieder in Moses Schriften und ist dreierlei:

 265. a. Etliche weltliche Gesetze betreffen allein das jüdische Regiment, und können auf kein anderes Volk und keine andere Regierung angewendet werden, z. B. daß der Israeliten Erbtheil nicht von einen Stamm an den andern verkauft oder vererbt werden dürfe und deßhalb die Töchter, auf welche ein Erbgut gefallen war, nicht in einen andern Stamm heirathen durften, 4 Mos. 36, 4 ff.; daß einer seines verstorbenen Bruders Wittwe, wenn sie ohne Kinder gewesen, ehelichen, und wenn er mit ihr einen Sohn gezeugt hatte, ihn nicht als seinen, sondern als seines verstorbenen Bruders Sohn halten und achten, auch des Bruders Erbschaft zuwenden mußte, 5 Mos. 25, 5. 6. Diese und dergleichen Gesetze kommen nicht allein von den verschiedenen Stämmen| her, die in andern Völkern nicht sind, wie sie in Israel gewesen, darum dieselben außer den jüdischen nicht gehalten werden und mit der jüdischen Polizei untergegangen sind.

 266. b. Andere Gesetze, ob sie wohl in allen Polizeien Statt haben können, sind durch göttliche Autorität abgeschafft worden, so daß Niemand weiter an sie gebunden ist, z. B. 5 Mos. 24, 1. Diese hat der Herr Christus widerrufen Matth. 19, 8. 9.

 267. c. Gesetze, welche bei uns täglich gehalten werden, und nirgends abgeschafft sind, als: wie es mit dem vorsätzlichen und unvorsätzlichen Todschlag zu halten sei, 4 Mos. 35, 16. ff.; was der Richter Amt sei 5 Mos. 1, 16. 17. 16, 19. 20.; wie den Armen zu helfen, 5 Mos. 15, 7. ff.; von Zeugnissen 5 Mos. 19, 15. ff. u. s. w. Solches Alles, weil es auf das Moral-Gesetz gegründet ist, und aus diesem herfließt, wird im N. T., als damals gültig, angezogen Matth. 15, 4., aus 2 Mos. 21, 15.; Apost. Gesch. 23, 5. aus 2 Mos. 22, 28., auch hat uns Gott von dessen Gehorsam nirgends entbunden.

 268. Das Moral- oder zweier-Tafeln Gesetz begreift in sich die zehn Gebote, welche eigentlich und vornämlich vor göttlichem Gerichte verbinden, auf deren Befolgung Gott Segen und Leben, auf deren Uebertretung aber Fluch und ewiges Verderben gesetzt hat.

 Bei diesem ist zweierlei zu beherzigen: 1) aus welchem Recht Gott diesen Gehorsam von uns begehre? und 2) ob das Gesetz von Jemanden erfüllt und daraus| die vor Gott geltende Gerechtigkeit erlangt werden könne?

 269. Aus welchem Rechte Gott einen völligen Gehorsam aller seiner Gebote von uns fordere? Antwort: Diesen Gehorsam fordert Gott wegen der Erschaffung, dadurch wir Gottes Eigenthum sind, wie ein jedes Werk dem Meister zu eigen gehört, der es gemacht hat, und weßhalb Gott ein völliges Recht an uns hat, zu fordern, daß wir ihm in Allem, was er von uns verlangt, Gehorsam leisten; diese Forderung ist eine Schuldforderung. Auch hat uns Gott nichts Unmögliches befohlen, indem er uns zur Erfüllung seines Willens genugsame Kräfte gegeben hat. Nachdem uns die Sünde verderbt hat, sind zwar diese Kräfte nicht mehr vorhanden, jedoch dem Herrn bleibt sein Recht unverloren, indem wir schuldig waren, die Sünde zu meiden und die angeschaffenen Kräfte zum Gehorsam nothwendig zu behalten.

 270. Ob das Gesetz von Jemanden erfüllt und daraus die vor Gott geltende Gerechtigkeit erlangt werden könne? Es wird von Gott ein solcher vollkommener Gehorsam gefordert, daß allem dem ein Genüge geschehe, was im Gesetz befohlen ist, 5 Mos. 27, 26. Wer demnach sündiget an einem, der ist es ganz schuldig. Jac. 2, 10. Da nun das Gesetz den Gehorsam des ganzen Herzens, der ganzen Seele, alles Vermögens und aller Kräfte (5 Mos. 6, 5.) fordert, so folgt daraus, daß der demselben keinen Gehorsam geleistet habe, welcher nur einmal mit äußerlichen oder innerlichen Werken des Herzens und der Seelen, sich nur mit einem bösen Gedanken wider Gott und den Nächsten vergriffen| hat. Wenn aber Jemand das ganze Gesetz hielte, so war verheißen, daß er dadurch gerecht sein sollte, 3 Mos. 18, 4. ff. „Nach meinen Rechten sollt ihr thun, und meine Satzung sollt ihr halten, denn welcher Mensch dieselben thut, der wird dadurch leben.“ Galat. 3, 12.

 271. Ob demnach auf den völligen Gehorsam zwar Gerechtigkeit und ewiges Leben gesetzt ist, müssen wir doch erkennen, daß kein Mensch auf Erden das Gesetz erfüllen, oder Alles, was Gott von uns fordert, thun, und also die vor Gott geltende Gerechtigkeit durch Gesetzes-Erfüllung erlangen könne, weil

 272. a. alle Menschen sündigen, Ps. 143, 2. „Vor dir ist kein Lebendiger gerecht.“ Pred. Sal. 7, 21. „Es ist kein Mensch auf Erden, der Gutes thue und nicht sündige.“ Röm. 3, 23. „Sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den sie an Gott haben sollen.“ Gal. 3, 22. „Die Schrift hat es alles beschlossen unter die Sünde;“

 273. b. weil die Schrift sagt, das Gesetz zu erfüllen, sei dem Menschen unmöglich. Apost. 15, 10. „Das Joch des Gesetzes haben weder unsere Väter, noch wir tragen mögen.“ Röm. 8, 3. „Das dem Gesetz unmöglich war, sintemal es durch das Fleisch geschwächet ward, das that Gott und sandte seinen Sohn;“

 274. c. weil durch das Gesetz kein Mensch gerecht und selig wird. Wer das Gesetz mit Gehorsam erfüllt, der wird dadurch leben und selig seyn. Nun kann durchs Gesetz kein Mensch leben und selig sein, Röm. 3, 20. „Kein Fleisch mag durch des Gesetzes Werk vor Gott gerecht sein.“ Gal. 3, 11. 12. „Daß durch’s Gesetz Niemand gerecht wird vor Gott, ist| offenbar, denn der Gerechte wird seines Glaubens leben, das Gesetz aber ist nicht des Glaubens.“ V. 21. 22. „Wenn ein Gesetz gegeben wäre, das da könnte lebendig machen, so käme die Gerechtigkeit wahrhaftig aus dem Gesetze, aber die Schrift hat Alles beschlossen unter die Sünde.“ Darum erfüllt kein Mensch das Gesetz; alle aber, die das Gesetz übertreten, sind unter dem Fluch und der Verdammniß; alle Menschen übertreten das Gesetz, folglich sind alle Menschen unter dem Fluche.

 275. Bey dem andern Punkte, von der Strafe der Sünden, haben wir uns zu erinnern, was zuvor von der Sünde angezeigt worden ist, nämlich, daß sie den Zorn Gottes verursache; wo aber der Zorn ist, da kann die Strafe nicht fern sein. Wenn daher von Gott gerühmt wird, daß er ein gnädiger, barmherziger und gütiger Herr sei, der sich bald der Strafe gereuen lasse und die Sünden gern vergibt, so muß man dieß recht und also verstehen: Wenn die Gerechtigkeit Gottes durch Sünde beleidigt ist, so kann die Barmherzigkeit ihre völlige Wirkung nicht haben, noch die Sünde vergeben, bis zuvor der göttlichen Gerechtigkeit für solche Sünde eine völlige Genüge geschehen ist.

 276. Hier kommen sonach drei Dinge zusammen, 1) die Gerechtigkeit, 2) die Strafe, welche die Sünde verdient, und 3) die Genugthuung, dadurch (siehe unten § 406 ff.) die Gerechtigkeit zufrieden gestellt und die Strafe abgewendet wird. Die Strafe ist die Hölle oder ewige Verdammniß. Was die Gerechtigkeit anlangt, so ist Gott nach derselben allen Sünden von| Natur feind, und weil er aller Welt Richter ist (1 Mos. 18, 25. Ps. 9, 5. 9.), so thut er wie ein gerechter und redlicher Richter, der nach dem vor sich habenden Gesetze urtheilen muß, und keine Uebertretung ungestraft hingehen lassen kann, die in dem Gesetze, nach welchem er richten soll, zur Strafe verdammt wird. Nun hat zwar Gott keine Gesetze, die ihm von einem Andern vorgeschrieben wären und nach denen er urtheilen müßte, aber er selbst und seine wesentliche Heiligkeit und Gerechtigkeit ist ihm eine solche Richtschnur, nach welcher er sein Gericht anstellt, daß er alle der Gerechtigkeit zuwiderlaufenden Werke nicht ungestraft hingehen lassen, nicht übersehen und ohne Vergeltung vergeben kann, wofern er nicht Gerechtigkeit verläugnen und wider dieselbe handeln wollte.

 277. Gott aber ist in seiner Gerechtigkeit dermassen ernsthaft, daß sein Zorn über die Gottlosen kein Aufhören hat, Sirach 5, 7., und wenn das Feuer angeht in seinem Zorn, so brennt es bis in die unterste Hölle; 5 Mos. 32, 22. In Summa: Gott ist ein verzehrend Feuer, 5 Mos. 4, 24, und eine ewige Glut Jes. 33, 14. Wie nun ein solcher Zorn, der kein Aufhören hat, ein Feuer, das bis in die unterste Hölle ewig brennt, sich selber nicht zurückhalten kann, daß der Zorn zu wüthen und das Feuer zu brennen aufhöre, so kann Gottes Gerechtigkeit und Zorn sich nicht selber aufhalten, die Sünde mit ewigem Verderben zu strafen, wofern nicht für diese Sünden der Gerechtigkeit genug gethan, und also der Barmherzigkeit Raum und Statt gelassen würde.

 278. Weil aber Niemand sich selbsten dießfalls helfen, auch keine andere Kreatur der Sünde Rath| schaffen kann, (wie Psalm 49, 8. 9. geschrieben steht: „Kann doch ein Bruder Niemanden erlösen, noch Gott Jemand versöhnen, denn es kostet zu viel, ihre Seele zu erlösen, daß er es muß anstehen lassen ewiglich.“), so bleibt der Zorn Gottes über den Menschen, und sie haben nichts anders von Gott zu erwarten, als Hölle und ewiges Feuer.

 Dieß ist also der jetzige natürliche Zustand des Menschen, wie er geistlich und der Seele nach betrachtet wird.





« 11. Kapitel Nikolaus Hunnius
Gründliche und allgemein faßliche Darlegung der Glaubenslehre der evangelisch-lutherischen Kirche
13. Kapitel »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).