Gründliche und allgemein faßliche Darlegung der Glaubenslehre der evangelisch-lutherischen Kirche/11. Kapitel

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Gründliche und allgemein faßliche Darlegung der Glaubenslehre der evangelisch-lutherischen Kirche
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Das eilfte Kapitel.
Die wirkliche Sünde, die von der Erbsünde, sowohl von des Teufels und der Welt Anstiftung, herrührt, und mit der alle Menschen befleckt sind, ist zwar unterschiedlich, jedoch verursacht sie ohne Unterschied die ewige Verdammniß.

 209. Von der wirklichen Sünde (die durch äußerliche oder innerliche Wirkung und Werke verrichtet wird) sind folgende sechs Punkte zu betrachten: ihre Beschreibung, und was sie sei, die Ursache, daraus sie entspringt, das Subject oder wer Sünde thut, ihre Grade, und wie etliche Sünden groß, andere kleiner und geringer seien, ihre Arten, wie unterschiedlich sie seien und ihre Früchte und was aus der wirklichen Sünde erfolge.

 210. Den ersten Punkt: Was Sünde sei, weißt uns einigermaßen das Gesetz der Natur, daraus einem Jeden sein Gewissen anzeigt, wie er unrecht gethan; und von den Heiden, denen das Gesetz nicht so vorgelegt war, wie den Juden, schreibt der| Apostel Röm. 2, 14. 15.: „sie seien ihnen selbst ein Gesetz und ihre Gedanken verklagen und entschuldigen einander wegen dem Bösen, das sie gethan haben.“

 211. Insonderheit aber und eigentlich weiset das göttliche Gesetz, was Sünde sei oder nicht. Denn darum schreibt St. Paulus Röm. 3, 20. „durch das Gesetz kommt Erkenntniß der Sünde,“ und Römer 7, 7.: „Die Sünde erkannte ich nicht ohne durch’s Gesetz, denn ich wußte nichts von der Lust, wo das Gesetz nicht gesagt hätte: Laß dich nicht gelüsten.“ Deßwegen wird das Gesetz mit Recht verglichen einem Spiegel, darin man die Unreinigkeit des Angesichts erkennt, Jacob. 1, 23.

 212. Nimmt man denn das Gesetz zur Hand und forschet, was eigentlich Sünde sei, so wird dasselbe anzeigen: Sünde sei alles dasjenige, was dem göttlichen Gesetz zuwiderlauft, wie St. Johannes 1 Epist. 3, 4. die Sünde beschrieben hat. Denn wie alle Uebertretung der weltlichen Gesetze für Missethat in den gemeinen Regimenten geachtet wird, so ist Alles vor Gott Sünde, womit Gottes Gebot übertreten wird.

 213. Dabei entstehet die Frage: Ob auch das, was unwissend oder wider Willen begangen wird, Sünde sei? Darauf muß mit Ja geantwortet werden, weil man wider Gottes Gebot nicht nur aus freiem Willen und Vorsatz, sondern auch unwissend mit Worten, äußerlichen Geberden innerlicher Lust und Gedanken thun kann, weshalb folgende zwei Punkte wohl zu beachten sind:

 214. Erstlich: daß auch Dasjenige Sünde sei, was unwissend und wider Willen begangen| wird. Denn a. gleichwie auch der tödtet, der es unwissend thut, so übertritt der sowohl Gottes Gebot, welcher es wissend thut, als der, welcher die Sünde unwissend begeht; besonders weil nach St. Johannis Lehre, Alles, was von dem göttlichen Gesetze abweicht, Sünde ist, so muß ja das auch Sünde sein, was von Gottes Gesetz unwissend abweicht.

 215. b. Die Schrift unterscheidet die Sünden, die mit Willen oder ohne Willen geschehen. Denn St. Paulus klagt Römer 7, 16. 19., er sei eben damit unter die Sünde gefangen, daß er das Böse, das er nicht will, thue; und 1 Timoth. 1, 13. gedenkt er der Sünde, daß er die Christen verfolgt hatte, und setzet Sünde und Unwissenheit zusammen: „Ich war zuvor ein Lästerer und ein Verfolger und ein Schmäher, aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren, denn ich hab’s unwissend gethan im Unglauben,“ Hebr. 10, 26. wird insonderheit von muthwilligen Sünden gelehrt, daraus zu schließen, daß andere Sünden seien, die nicht mit Willen geschehen.

 216. c. Im mosaischen Gesetze waren gewisse Opfer verordnet für die, welche aus Unwissenheit gesündigt hatten, 3 Mos. 4, 2. 13. 22. 27. Cap. 5, 4.

 217. d. Auch bitten die Heiligen Gott dem Herrn ihre Sünden ab, die sie ohne Wissen und Willen gethan hätten, Ps. 19, 13. „Wer kann merken, wie oft er fehlet? Verzeihe mir auch die verborgenen Fehler!“

 218. Zweitens ist wohl zu beachten: daß auch das Sünde sei, was allein in Gedanken bestehet, z. B. wenn Jemand, der seinen Nächsten herzlich zu lieben begehrt, vernimmt, der Nächste habe ihm eine Untreue bewiesen, so kann es nicht wohl sein,| daß nicht eine widerwärtige Bewegung oder Gedanke gegen einen solchen bösen Menschen entstehen sollten, obgleich dieselben ihm herzlich zuwider sind und er wünschet, daß ihm dergleichen Gedanken und Bewegungen nicht zukämen. Desgleichen: Wer viele köstliche Schätze sieht, der er zu seiner großen Noth bedürftig wäre, kann sich nicht wohl mit allen Kräften enthalten, daß er nicht Bewegungen und Gedanken, solche für sich zu begehren, in sich fühle. Solche Begierden nun zu äußerlicher Sünde werden auch in das Sünden-Register geschrieben, dann

 219. a. läuft alles das wider göttliche Gebote, was eigentliche Ursache zu verbotenen Sünden gibt und gleichsam der Anfang ist; was aber wider göttliches Gebot lauft, dasselbe ist gewißlich Sünde.

 220. b. Die böse Lust ist gleich den andern Sünden verboten; denn im 9. und 10. Gebot wird gesagt: Laß dich nicht gelüsten deines Nächsten Hauses, Weibes, Knechtes u. s. w. noch Alles dessen, was sein ist. 2 Mos. 20, 17. 18.

 221. c. Die böse Lust wird ausdrücklich Sünde genannt Röm. 7, 7. „Ich wußte nichts von der Lust (daß sie Sünde sei), wo das Gesetz nicht gesagt hätte: Laß dich nicht gelüsten!“

 222. In Summa: alle Gedanken, alle Lust und Begierde, alle Worte, alle Geberden, alle Werke, wie dieselben auch immer Namen haben mögen, sind, wenn sie dem göttlichen Gebote oder der Liebe Gottes zuwiderlaufen, sie mögen geschehen mit oder ohne Willen, sie mögen gering oder groß sein u. s. w., alle miteinander ohne einigen Unterschied eigentliche wirkliche Sünden.

|  223. Der andere Punkt handelt von der Ursache der wirklichen Sünde, die keineswegs auf Gott zu schieben ist, als ob derselbe die Sünde wolle, beschließe, die Menschen dazu anreize, verordne oder nöthige u. s. w. Daß Gott der Sünde Ursach’ sei, kann von Gott nicht einmal gedacht werden, weil solches dem geradezu zuwiderlauft, was er von seiner Erkenntniß in der Natur geoffenbaret hat. Ueberdieß bezeugt die Schrift vielfältig, daß Gott nicht Ursache der Sünde sei, Ps. 5, 5. „Du bist nicht ein Gott, dem gottlos Wesen gefällt.“ Sirach 15, 11. ff. „Du darfst nicht sagen: Habe ich unrecht gelehret, so hat er mich betrogen, denn er bedarf keines Gottlosen, denn er hasset alle Abgötterei, und wer ihn fürchtet, scheuet sich davor;“ und V. 21.: „Er heißet Niemanden, gottlos sein, und erlaubt Niemanden, zu sündigen.“ Jac. 1, 13. „Niemand sage, wenn er versucht wird, daß er von Gott versucht werde, denn Gott ist nicht ein Versucher zum Bösen, er versuchet Niemanden. “

 224. Die rechte Ursache aller wirklichen Sünde ist entweder in uns oder außer uns. Die Ursache in uns ist die Erbsünde oder das sündliche Fleisch, davon Galat. 5, 17. geschrieben steht: „Das Fleisch gelüstet wider den Geist,“ und V. 19.: „Offenbar sind die Werke des Fleisches, als da sind Ehebruch, Hurerei, Abgötterei, Zorn, Haß u. s. w.“ Und der Herr Christus lehret: Matth. 15, 19. „Aus dem Herzen kommen arge Gedanken, Mord u. s. w.“ Jac. 1, 14. 15.: „Ein Jeglicher wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust gereizet und gelocket wird, darnach, wenn die Lust empfangen hat, gebieret sie die Sünde.“

|  225. Außer dem Menschen ist Ursache der Sünde der leidige Teufel und die Welt.

 226. a. Der Teufel ist eine Ursache der Sünden, als der unsre ersten Aeltern in die erste Sünde gestürzt hat, 1 Mos. 3, 1. ff. Von ihm zeuget der Herr Christus, „daß er ein Lügner sei und ein Vater derselben,“ Joh. 8, 44., und St. Johannes 1 Ep. 3, 8.: „Wer Sünde thut, der ist vom Teufel, denn der Teufel sündiget vom Anfang.“

 b. Die Welt reizt auch zu Sünden. Weish. 4, 11. 12.: „Der Gerechte wird (aus der Welt) hinweggerissen, daß die Bosheit seinen Verstand nicht verkehre, noch falsche Lehre seine Seele betrüge, denn die bösen Exempel verführen und verderben einem das Gute.“

 227. Der dritte Punkt: Das Subject oder wer es sei, der Sünde thut? ist kurz dahin zu beantworten: Weil alle Menschen der Erbsünde theilhaftig werden, so sind auch alle mit der wirklichen Sünde besudelt, wovon sich Niemand ausschließen kann, wer sich nur selber prüfen will.

 Ueberdieß bezeugt Gott vielfältig, daß alle Menschen Sünder seien. Ps. 14, 2. 3.: „Der Herr schauet vom Himmel auf die Menschenkinder, daß er sehe, ob Jemand klug sei und nach Gott frage, aber sie sind alle abgewichen, und allesammt untüchtig, da ist Keiner, der Gutes thue, auch nicht Einer.“ 1 Könige 8, 46.: „Es ist kein Mensch, der nicht sündiget.“ Ps. 143, 2.: „Vor dir ist kein Lebendiger gerecht.“ Röm. 3, 23.: „Sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den sie vor Gott haben sollen.“ Sprüchw. 20, 9. Pred.| Sal. 7, 21. Röm. 3, 10. 19. Cap 11, 32. Gal. 3, 22. 1 Joh. 1, 10.

 228. Es werden hievon auch die kleinen Kinder nicht ausgenommen, weil ihr Zorn und ihre boshaftigen Gedanken, die sie mit Weinen und widerwärtigen Geberden anzeigen, dem Gesetz Gottes von völliger Liebe des Nächsten zuwiderlaufen; was aber dem Gesetz ungemäß ist, das ist Sünde. 1 Joh. 3, 4. Gott bezeugt selbst, daß alles Tichten und Trachten des menschlichen Herzens nur böse sei von Jugend auf und immerdar. 1 Mos. 6, 5. Cap. 8, 21.

 229. Eben so sind hievon die wiedergebornen Christen, welche der Geist Gottes treibet, nicht auszuschließen. Denn ob sie schon die Sünde in ihrem sterblichen Leibe nicht völlig herrschen lassen, so bleiben sie doch soferne Gefangene der Sünde, daß sie auch wider ihren Willen Böses thun, wie St. Paulus von sich selber klagt Röm. 7, 15. 19.

 230. Es beweisen dieses auch die Exempel der Wiedergebornen. David sündigte schwer mit Ehebruch und Todtschlag, 2 Sam. 11, 4. 15. Salomo dadurch, daß er sein Herz zur Abgötterei neigen ließ, 1 Könige 11, 3. Moses und Aaron zweifelten an Gottes Werk und Verheißung, 4 Mos. 20, 12. Petrus verläugnete Christum, Matth. 26, 70. ff.; er wandelte nicht richtig nach der Wahrheit des Evangeliums, Gal. 2, 11. 14. Nicht zu gedenken, was in geringen Werken, in Worten, Geberden, Gedanken täglich geschieht und zum großen Theil verborgene Fehler sind (Ps. 19, 13.) und von keinem Menschen aufgezeichnet werden.

 231. Ueber das müssen alle Heiligen, keinen ausgeschlossen, Gott um Vergebung der Sünden bitten,| Ps. 32, 6. Matth. 6, 12.; müssen aus Gnaden selig werden Apst. Gesch. 15, 11., und also durch Christum Cap. 4, 12. durch Christum aber allein werden die Sünder selig Matth. 1, 21. 9, 13., was sie nicht bedürften, wenn sie aus eigener Gerechtigkeit und ohne Sünde zu Gott kommen könnten, Röm. 4, 5, Gal. 2, 21.

 232. Der vierte Punkt handelt von den unterschiedenen Graden der Sünde, wobei zu merken ist, daß obwohl alle Sünden darin gleich sind, daß sie Gottes Zorn erregen und über den Sünder das göttliche Gericht und ewige Verdammniß bringen, doch ein großer Unterschied zwischen ihnen ist, indem etliche aus Unwissenheit, Unverstand und Einfalt, andere aus Vorsatz, halsstarriger und muthwilliger Bosheit vollbracht werden, wie der Herr Christus zu Pilatus spricht Joh. 19, 11.: „Der mich dir überantwortet hat, der hat größere Sünde,“ und St. Paulus schreibt von seiner Sünde, als er die christliche Gemeinde verfolgte, ihm sei Barmherzigkeit widerfahren, denn er habe es unwissend gethan im Unglauben, 1 Timoth. 1, 13. Es ist auch gewiß, daß wenn etwas wider den Willen und aus des Fleisches Schwachheit begangen wird, solches in Gottes Gerichte nicht so hoch strafbar sei, als wenn eine Sünde aus Vorsatz und Muthwillen geschieht, weil in jener Sünde allein das Fleisch wider den Geist streitet, in dieser aber das Fleisch in Menschen herrschet, ihn überwunden und mit allen seinen Kräften gefangen hat.

 233. Darum wird auch auf ungleiche Sünde ungleiche Strafe folgen. Luc. 12, 47. 48. „Ein Knecht, der seines Herrn Willen weiß, und hat nicht| nach seinem Willen gethan, der wird viel Streiche leiden müssen; der es aber nicht weiß, hat doch gethan, das der Streiche werth ist, wird wenig Streiche leiden.“ Cap. 20, 47. „Die Schriftgelehrten fressen der Wittwen Häuser und wenden lange Gebete vor, die werden desto schwerer Verdammniß empfahen.

 234. Der 5te Punkt geht auf die mannichfachen Arten der Sünden. Diese alle aufzuzählen, ist nicht nöthig, etliche laufen wider die erste Gesetztafel, andere wider die andere Tafel, etliche wider die Liebe Gottes, andere wider die Liebe des Nächsten u. s. w. Zwei Arten müssen aber besonders beachtet werden, als

 a. unterschiedliche peccata mortalia, Todsünden, und Venialia, die Luther tägliche Sünden nennt, was aber nicht so zu verstehen ist, als ob etliche Sünden zwar den ewigen Tod und Verdammniß verdienten, die andern aber nicht mit dem ewigen Tode, sondern allein mit zeitlicher Strafe belegt werden; denn so fern sind alle Sünden Todsünden; sondern hier werden insonderheit diejenigen Sünden Todsünden genannt, welche in dem menschlichen Leib und Seele regieren, die Keiner, ohne wider sein Wissen und Gewissen begehen kann oder doch begangen hat.

 Andere werden von diesen unterschieden und tägliche Sünden genannt, weil sie nicht vorsätzlich geschehen, sondern den Menschen so zukommen, daß er entweder meinet, es sei damit nichts Unrechtes gethan (wie St. Paulus in der Meinung, über dem Gesetz zu eifern, die Gemeine Christi verfolgt hat, 1 Timoth. 1, 13., und die Apostel sind getödtet worden von Leuten, die meineten, sie thun Gott einen Dienst daran, Joh. 16, 2.),| oder daß der, welcher sündiget, nicht weiß, was er Böses thue, wovon Ps. 19, 13. Oder es entstehen einem in seinem Herzen unversehens böse Gedanken, denen man doch alsbald widerstrebt; oder es entfahren einem Worte, ja auch wohl böse Werke, von denen er alsbald wünschet, daß sie ihm nicht entfahren wären.

 235. Der berührte Unterschied der Sünden besteht sonach darin, daß das eine Todsünde ist, was wider Gewissen, aus Vorsatz und Bosheit geschieht und von dem der Mensch weiß, daß es unrecht ist, es aber doch nicht unterläßt, Peccatum veniale oder tägliche Sünde ist, was, obschon es böse ist, doch ohne Vorsatz, allein aus Schwachheit und Unwissenheit begangen wird.

 236. Dieser Unterschied erweiset sich damit, daß, wenn eine Todsünde begangen wird, darein alle Kräfte des Menschen willigen, der Sünde das Regiment gelassen, also der h. Geist ausgestoßen, der Glaube, welcher seine Zuversicht auf Christum, den Sündenträger gesetzt hat, dahin geworfen wird. Das ist eine Todsünde, weil ein solcher Mensch weder Sünde noch Gottes Zorn, Strafe, der Sünde Beichtung oder auch Vergebung achtet. Ein solcher Sünder kommt dem ewigen Tode am allernächsten, und kann schwer zur Buße gelangen, weil er nicht sowohl die Sünde hassen kann, welche ihn so hoch beliebt hat, daß er derselben wegen Gottes Gnade und Ungnade, Verheißung und Drohung und Strafe verworfen und nichtig geachtet hat. Er läßt sich nicht leicht durch Gottes Gesetz bewegen, die Sünde ernstlich und herzlich zu bereuen, wie auch solches nicht vermocht hat, ihn von der Begehung der Sünde abzuhalten.

|  Aus solcher Ursache nun wird die muthwillige und vorsätzliche Sünde eine Todsünde genannt, wie Nathan zu David sagte: „Er sei ein Mann des Todes, weil er Ehebruch und Todschlag wider sein Gewissen begangen hatte.“ 2 Sam. 12, 5. 7. Ein solches aber ist nicht bei den Sünden zu befürchten, die wider den Willen geschehen, und deßwegen alsobald betrauert und bereuet werden, dawider der heil. Geist streitet, sie dämpfet und tödtet, Röm. 8, 13. Gal. 5, 16. 17.;

 237. b. daß man unterscheidet zwischen Sünden, die vergeben werden können, und deren, die nimmermehr Vergebung erlangen und die Sünde in den h. Geist genannt wird. Davon muß man wissen 1) der Schrift Meinung und Urtheil, 2) ihren Namen, wie und warum sie Sünde in den h. Geist heißt, 3) ihre Form und worinnen sie eigentlich bestehe, 4) die Ursachen, um derentwillen sie nicht vergeben werden kann.

 238. a) Der Schrift Meinung und Urtheil von der Sünde in den h. Geist wird also gebildet, wenn der Herr Christus gesprochen hat Matth. 12, 31. 32. „Alle Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben, aber die Lästerung wider den Geist wird den Menschen nicht vergeben; und wenn Jemand etwas redet wider des Menschen Sohn, dem wird es vergeben, aber wer etwas redet wider den h. Geist, dem wirds nicht vergeben, weder in dieser noch in jener Welt.“ Und die Apostel lehren davon also 1 Joh. 5, 16. „Es ist eine Sünde zum Tode, dafür sage ich, daß Niemand bitte“ Hebr.6, 4. ff. „Es ist unmöglich, daß die, so einmal| erleuchtet sind, und geschmecket haben die himmlischen Gaben, und theilhaftig worden sind des h. Geistes, und geschmecket haben das gütige Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt, wo sie abfallen, und wiederum ihnen selbst den Sohn Gottes kreuzigen und für Spott halten, daß sie sollten wiederum erneuert werden zur Buße.“ Cap. 10, 26. ff. „So wir muthwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntniß der Wahrheit empfangen haben, haben wir fürder kein ander Opfer mehr für die Sünde, sondern ein schrecklich Warten des Gerichts und des Feuereifers, der die Widerwärtigen verzehren wird. Wenn Jemand das Gesetz Mosis bricht, der muß sterben ohne Barmherzigkeit, durch zween oder drei Zeugen, wie viel, meinet ihr, ärger Strafe wird der verdienen, der den Sohn Gottes mit Füßen tritt, und das Blut des Testaments unrein achtet, durch welches er geheiliget ist, und den Geist der Gnaden schmähet?

 239. b. Name dieser Sünde, oder warum sie die Sünde wider den heil. Geist heißt. Wider den h. Geist sündigen alle die, welche wider Gott sündigen, weil der h. Geist wahrer Gott ist.

 Es wird aber diese besondere Sünde also genannt, weil sie zuwider lauft der evangelischen Lehre,

 α. die der h. Geist durch’s Predigtamt in der Welt ausbreitet und den Menschen vorhalten läßt. Daher auch sonst (wiewohl in| anderem Verstande) wider den h. Geist diejenigen sündigen, welche sich dem Predigtamte, als dem Amte des Geistes (2 Corinth. 3, 6.) widersetzen, wie die Leute vor der Sündfluth thaten, welche sich den Geist Gottes, der durch Noah predigte, nicht strafen lassen wollten, 1 Mos. 6, 3. Die Israeliten, welche sich wider Mosen und Aron empörten, erbitterten und entrüsteten den h. Geist, Jes. 63, 10. Ananias und Sapphira, die den Aposteln vorlogen, die logen dem h. Geist, Apost. Geschichte 5, 3. 4.

 β) Die der h. Geist in der Menschen Herzen bekräftiget und versiegelt, und Zeugniß gibt unserm Geiste, daß wir Gottes Kinder sind. Ephes. 1, 13. Römer 8, 16. Wenn nun der h. Geist uns also lehrt und versiegelt, es wollte aber jemand diesem Amt freventlich entgegen handeln, der begehet die Sünde in den h. Geist.

 240. c. Die Form dieser Sünde oder worin sie eigentlich bestehe. Solches zu verstehen, gehört dazu

 α) daß die rechte, wahre, heilsame, seligmachende Lehre recht erkannt werde, oder, daß einer geschmeckt habe die himmlischen Gaben, und geschmeckt habe das gütige Wort Gottes. Wer demnach diese heilsame Lehre nicht erkannt hat, und verfolgt sie, lästert sie auch, der begeht diese Sünde nicht. So war St. Paulus vor seiner Bekehrung ein Lästerer, ein Verfolger und ein Schmäher, aber unwissend, 1 Timoth. 1, 13. So auch nicht die Kreuziger des Herrn Christi, für welche er bei seinem Vater gebeten hat, daß ihnen| die Sünde vergeben würde, weil sie nicht wußten, was sie thäten, Luc. 23, 34.;

 241. β. daß die erkannte himmlische seligmachende Wahrheit aus freiem boshaftigem Willen verläugnet werde. Die evangelische Wahrheit aber wird verläugnet

 242. durch epicurische Sicherheit, daß, obschon Mancher das Evangelium bekennet, doch alle seine Werke beweisen, daß er wenig darnach frage; und das sind die Thoren, die in ihrem Herzen sprechen: Es ist kein Gott, Ps. 14, 1., die da sagen, sie kennen Gott, aber mit ihren Werken verläugnen sie es Titum 1, 16. Die begehen nicht diese Sünde, weil sie aus Sicherheit, nicht aus boshaftigen freien Willen verläugnen;

 243. Durch Furcht in Verfolgungen. Ist in diesen die Versuchung stark, der Teufel geschäftig und das Fleisch schwach (Matth. 26, 41. Luc. 22, 32.), so geschieht wohl auch guten Christen, daß sie in Kleinmüthigkeit sinken, aus Furcht und Schrecken verläugnen, wie St. Petrus that, und doch Vergebung seiner Sünde erlangte, Matth. 26, 75. Joh. 21, 15 ff., und wie Saulus die Christen zwang, das Evangelium zu lästern, Apost. Gesch. 26, 11. aber Gnade erlangte, Kap. 9, 5 ff.;

 244. durch freien Willen und Bosheit, da keine so hoch dringende und bewegende Ursache ist, die erkannte Wahrheit zu verläugnen, und man verläugnet sie doch, so ist dieses ein Gradus, ein Schritt zu der Sünde in dem h. Geist, wie z. B. die Pharisäer erkannten, daß Jesus wäre ein Lehrer von Gott gekommen (Joh. 3, 2.) und diese| Lehre gleichwohl wider ihr eigenes Gewissen verläugneten; und wie auch nicht anders noch heutiges Tages im Papstthume die evangelische Lehre von Vielen erkannt und doch verläugnet wird, womit diese dieser Sünde in den h. Geist ziemlich nahe treten. Von diesem Grade redet die Epistel Hebr. 10, 26.

 245. γ. Daß die verläugnete seligmachende Lehre gelästert werde. Solche Lästerung meldet insonderheit der Herr Christus, wenn er diese Sünde die Lästerung wider den Geist nennt, Matth. 12, 31, und Hebr. 6, 6. wird also beschrieben: „Die wiederum ihnen selbst den Sohn Gottes kreuzigen und für Spott halten.“ Kap. 10, 29. „der dem Sohn Gottes mit Füßen tritt, und das Blut des Testaments unrein achtet, und den Geist der Wahrheit schmähet.“ So thaten die Pharisäer, welche den Sohn Gottes lästerten als einen Verführer, Matth. 27, 63., sie lästerten ihn, als hätte er den Teufel, Joh. 8, 48. 52; sie lästerten seine Werke, als ob sie ursprünglich vom Teufel herkämen, Luc. 11, 15.; und damit schmäheten sie den h. Geist, dessen Werk und Amt der Sohn Gottes verrichtete, Jes. 61, 1. Apost. Gesch. 10, 38.

 246. Es ist also diese Sünde so zu verstehen, daß sie ist eine muthwillige Verläugnung und Lästerung der erkannten seligmachenden himmlischen Wahrheit von der gnadenreichen Vergebung der Sünden durch Christum.

 247. Die Ursachen, warum diese Sünde nicht vergeben werden kann. Solches ist weder Gottes Gnade, noch des Herrn Christi Verdienst zuzuschreiben; denn, wenn man Gottes Willen und Gnade ansieht, so vergibt er gern alle Sünden,| Röm. 5, 20.: „ Wo die Sünde mächtig worden ist, da ist Gnade viel mächtiger worden;“ 1 Joh. 1, 9.: „Gott reiniget uns von aller Untugend.“

 248. Siehet man auf des Herrn Christi Verdienst, so hat er uns mit seinem Blute von allen Sünden gereiniget, 1 Joh. 1, 7. Wenn demnach gesagt wird, daß eine Sünde nicht vergeben werden könne, so muß solches weder der Güte Gottes, als ob diese sich nicht so weit erstrecken sollte, noch dem Verdienste des Herrn Christi zugemessen werden.

 249. Was aber die eigentliche Ursache sei, daß die Sünde in dem h. Geist nicht vergeben werden könne, ist aus dem, was bereits gesagt worden ist, zu verstehen, nämlich weil ein solcher Mensch alle Mittel, dadurch er zur Buße und Bekehrung kommen könnte, sich selbst hinwegnimmt und abschneidet.

 250. Denn zur Buße und wahren Bekehrung kann er kommen 1) durch das Gesetz, welches ihm seine Sünden offenbart, 2) durch die Predigt von der göttlichen Gnade, 3) durch die Predigt von Aussöhnung unsrer Sünden, die durch den Herrn Christum geschehen, und 4) durch des h. Geistes Versiegelung, wenn das menschliche Herz und Gewissen überzeugt wird, daß Alles, was von Gottes Gnade und Christi Verdienst gelehrt wird, die himmlische, göttliche und ewige Wahrheit sei. Außer diesen ist kein Mittel und kein Weg, zur Bekehrung zu kommen.

 251. Diesen Weg aber hat ein solcher Sünder sich selbst dermassen verschlossen, daß er dieser Mittel keines gebrauchen kann. Das Gesetz, ob’s ihm schon| die Sünde zeiget, verachtet er, und thut nach seinem eigenen Willen. Die göttliche Gnade und des Herrn Christi Verdienst begehrt er nicht, verspottets, verhöhnts, verlästerts, und tritt den Sohn Gottes mit Füßen, kreuziget ihn von Neuem, achtet das Blut des Testamentes für unrein. Das Lehramt des h. Geistes wird auch hintan gesetzt, verspottet und gelästert. Es bleibt also einem solchen Menschen kein Mittel, zur Buße und Gottes Gnade zu kommen, übrig, wiewohl sie ihm reichlich vorgestellt und gegeben worden sind.

 Dazu kommt, daß ein solcher Sünder dem Fleisch die Oberhand über den Geist läßt, sich der Sünde gänzlich ergibt, sie in seinem Leibe herschen läßt, ja sich dem Satan in seine Stricke ergibt, daß er ihn führe nach seinem Gefallen, welches alles Ursache genug ist und unmöglich macht, von der Sünde in den h. Geist sich wieder zu Gott durch Buße zu bekehren und Vergebung der Sünden zu erlangen.

 252. Es ist nun von der wirklichen Sünde überhaupt noch übrig der sechste Punkt, nämlich die Früchte, die aus der wirklichen Sünde entspringen. Von diesen Früchten sind etliche allen Sünden gemein, andere etlichen Sünden besonders eigen.

 253. Allen Sünden gemeine Früchte sind

 a. der Zorn Gottes und Fluch des Gesetzes, welcher aus Gottes Zorn erfolgt und welcher nach Röm. 1, 18. vom Himmel wird offenbaret über alles gottloses Wesen und Ungerechtigkeit des Menschen. Diese Sünden sind| nicht allein die äußerlichen und groben Sünden, sondern ohne Unterschied Alles, was dem göttlichen, im Gesetz geoffenbarten Willen nicht gemäß ist, worüber sich Gott also erkläret hat: „Verflucht sei, wer nicht alle Worte dieses Gesetzes erfüllet, daß er darnach thue“ 5 Mos. 27, 26. und worüber der Apostel Jacobus schreibt Cap. 2, 10. „So Jemand das ganze Gesetz hält, und sündiget an einem, der ist es ganz schuldig.“ Wer demnach mit Gedanken, mit Worten und Werken sündigt, sie seien auch gleich dem Ansehen nach so gering als möglich ist, so sind sie doch Ungerechtigkeiten und gottloses Wesen, um derentwillen der Zorn Gottes und des Gesetzes Fluch über die kommt, die sie begehen;

 254. b. ein unruhig Gewissen. Obwohl der Unterschied bleibt, daß eine das Gewissen härter beschwert als die andern, so sind sie doch darin einander gleich, daß sie alle das Gewissen anfechten, weil auch diejenigen, welche sich keiner groben Sünden bewußt sind, gleichwohl vor Gottes Gericht erschrecken, solcher Schrecken aber daher kommt, „daß einer sich nicht trauet, zu verantworten.“ Weisheit 17, 12. St. Paulus redet insgemein von den Heiden, daß, ob ihnen schon das Gesetz nicht so, wie den Juden, gegeben worden sei, sie nichts desto weniger des Gesetzes Werk in ihren Herzen geschrieben gehabt haben, welches sie der Sünden überzeugt hat, dazu auch ihre Gedanken sich untereinander verklagt und entschuldigt haben auf den Tag, da Gott das Verborgene der Menschen richten wird, Röm. 2, 15. 16.;

 255. c. die ewige und höllische Verdammniß. Gott straft zwar der Menschen Sünde auch| wohl mit zeitlicher und leiblicher Strafe, aber daß das höllische Verderben aller Sünden ordentliche und ihnen gemeinsame Strafe sei, wird aus dem nächstfolgenden Kapitel zu ersehen sein.

 256. Eine ganz besondere Frucht der Sünden, welche wider Gewissen begangen werden und in dem Menschen regieren, ist, daß sie aus dem Wiedergebornen den h. Geist austreiben und den Glauben abwerfen. Denn

 257. a. Durch dieselbe Sünde wird der h. Geist betrübet, Ephes. 4, 30., erbittert und entrüstet Jes. 63, 10. Wo aber der h. Geist betrübet, entrüstet und erbittert wird, da ist gewiß seine gnädige Beiwohnung nicht zu finden.

 258. b. Wo die Sünde herrschet, da hat sie den h. Geist (wie derselbe in dem Herzen wohnet) überwunden, und wie sie mit demselben gestritten, ihn auszutreiben, also treibt sie ihn aus, wenn sie im Menschen das Regiment erlangt.

 259. c. Wo Gottes Geist wohnt, da ist Leben und Seligkeit, Röm. 8, 13. „Wo ihr durch den Geist des Fleisches Geschäfte tödtet, so werdet ihr leben.“ Corinth. 3, 6. „Der Geist macht lebendig, wo aber die Sünde herrschet, da ist nicht Leben und Seligkeit.“ Röm. 8, 13. „Wo ihr nach dem Fleische lebet, so werdet ihr sterben müssen.“ Cap. 1, 32. „Die solches (Hurerei, Schalkheit, Geitz u. s. w.) thun, sind des Todes würdig.“ 1 Corinth. 6, 9. 10. „Weder die Hurer, noch die Abgöttischen u. s. w. werden das Reich Gottes erben.“ Gal. 5, 19. „Die Werke des Fleisches sind Ehebruch, Hurerei u. s. w., von welchen ich euch habe zuvor gesagt, und sage noch zuvor,| daß, die solches thun, werden das Reich Gottes nicht erben.

 260. Daraus folgt, wo Sünden wider das Gewissen herrschen, da wohnet Gottes Geist nicht, und also, wo dergleichen Sünden von wiedergebornen Menschen begangen werden (wie von David, Petrus und andern bekannt), daselbst werde der h. Geist ausgetrieben, und seine Werke, nämlich der seligmachende Glaube, zerstört.





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