Gründliche und allgemein faßliche Darlegung der Glaubenslehre der evangelisch-lutherischen Kirche/13. Kapitel

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Gründliche und allgemein faßliche Darlegung der Glaubenslehre der evangelisch-lutherischen Kirche
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Das dreizehnte Kapitel.
Obgleich Gott, vermöge seiner Gerechtigkeit, alle Menschen zum ewigen Tode hätte verstoßen können, hat er sich doch der armen Sünder erbarmt, und will, daß ihnen allen geholfen werden soll.

 279. Bisher haben wir den natürlichen Zustand des Menschen, wie dieser durch die Sünde so voll Jammers worden ist, betrachtet. Nun ist ferner zu vernehmen, ob denn die Menschen in demselben haben untergehen und verderben müssen, gleichwie Gott der Engel, die gesündigt haben, nicht verschont, sondern sie mit Ketten der Finsterniß zur Hölle verstoßen und übergeben hat, daß sie zum Gericht behalten werden, 2 Petr. 2, 4.?

 280. Darauf antworten wir aus Jeremiä Klagliedern 3, 22.: „Die Güte des Herrn ist es, daß wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein| Ende, und seine Treue ist groß.“ Da wir dem ewigen Tode unterworfen waren, „hat Gott dem Tode seine Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen an’s Licht gebracht.“ 2 Timoth. 1, 10. „Er hat uns errettet von der Obrigkeit der Finsterniß, und hat uns versetzet in das Reich seines Sohnes,“ Coloss. 1, 13.

 281. Von diesem Gnaden-Werke uns’res lieben Gottes ist nun zu handeln, und zwar 1) von Gottes gnädigem Willen gegen das arme sündige Geschlecht der Menschen, und 2) von Gottes gnädigen Mitteln, die aus seinem Willen herrühren.

 282. Der Wille Gottes ist, daß die Menschen, die gesündigt haben, wieder bei ihm zu Gnaden kommen, und ewig selig werden. Dieser Wille ist aber zweierlei und ist folgender Unterschied zu merken: Wenn Gott der Menschen Seligkeit will, so erstreckt sich sein Wille nicht dahin, daß die Menschen selig werden sollen, sie mögen sich gegen ihn erzeigen, wie sie wollen; sondern er hat gewisse Mittel festgesetzt, durch welche ihnen geholfen werden solle und könne, und will nun, daß alle Menschen diese Mittel ergreifen und dadurch zu ihm kommen. Dieß ist sein allgemeiner Wille.

 283. Weil aber nur wenige Menschen diese festgesetzten Mittel annehmen, der meiste Theil aber sie von sich stoßt, und in seiner Bosheit wider Gott beharrt, so will er, daß die, welche die gegebenen Mittel annehmen und im festen Glauben an Christum bis an’s Ende beständig bleiben, zu der ewigen Seligkeit gelangen, die andern aber läßt er im Verderben bleiben, und das ist der besondere oder Gerichts-Wille Gottes, der allein etliche selig haben will (der| oder dessen Rathschluß die Gnadenwahl und Verordnung der Gläubigen zum ewigen Leben genannt wird), die übrigen aber in ihrem natürlichen Elend verbleiben und untergehen läßt.

 284. In diesem Kapitel ist denn der allgemeine Wille Gottes zu betrachten, und von diesem vier Punkte zu beachten, 1) daß Gott aller Menschen ewige Wohlfahrt ohne allen Unterschied wolle; 2) daß Gott seinen Willen von aller Menschen Wohlfahrt auf gewisse Ordnung und Mittel festsetze, dadurch er sie selig machen wolle; 3) daß Gott in diesem hochwichtigen Werke seinen Willen uns richtig geoffenbart und in seinem Worte nicht etwa nur vorgebe, wie er unser aller Seligkeit herzlich wolle, indessen aber bei sich geheim beschließe, den größten Theil derselben mit ewigem Feuer zu verderben; 4) daß Gott sich selber nicht zuwider sei, wenn er aller bösen Menschen Seligkeit will, und doch (weil er weiß, daß sie in ihrer Bosheit verharren werden) zugleich auch will, daß die halsstarrigen Verächter nicht selig werden sollen.

 285. Der erste Punkt: daß Gott aller Menschen ewige Wohlfahrt ohne allen Unterschied wolle, wird aus folgenden Gründen bewiesen:

 a) weil Gott mit klaren, deutlichen Worten sagt, wie er alle Menschen liebe, und wolle, sie sollen ewig selig werden. Hesek. 18, 23. 32. Cap. 33, 11. „So wahr, als ich lebe, spricht der Herr, ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daß sich der Gottlose bekehre von seinem Wesen und lebe.“ Matth. 18, 14. „Es ist von eurem Vater im Himmel nicht| der Wille, das jemand von diesen Kleinen verloren werde.“ 1 Timoth. 2, 4. „Gott will, daß allen Menschen geholfen werde, und sie zur Erkenntniß der Wahrheit kommen.“ 2 Petr. 3, 9. „Gott will nicht, daß jemand verloren werde, sondern daß sich jedermann zur Buße kehre;“

 286. b. weil Gott sich Aller, die gesündiget haben, erbarmen will. Röm. 11, 32. „Gott hat’s beschlossen unter den Unglauben, auf daß er sich aller erbarme.“ Gal. 3, 22. „Die Schrift hat es alles beschlossen unter die Sünde, auf daß die Verheißung käme durch den Glauben an Jesum Christum, gegeben denen, die da gläuben.“ Daß aber alle Menschen gesündiget haben, ist aus dem angeführten und andern Stellen der Schrift (Sprüchw. 20, 9. Predig. 7, 21. Röm. 3, 22.) zu entnehmen. Daraus folgt, daß sich Gott aller Menschen erbarmen wolle;

 287. c. weil Gott auch die Wohlfahrt derer haben will, die noch nicht bekehrt werden. Daß Gott die zur Seligkeit bringen wolle, die selig werden, ist kein Zweifel. Wenn nun aber bewiesen wird, daß er auch die selig haben wolle, welche doch nicht selig werden, so ist es gewiß, daß er alle Menschen selig haben wolle. Nun bezeugt aber Gott seinen gnädigen Willen vor denen, welche nicht bekehrt noch selig werden, Jes. 65, 2. „Ich recke meine Hände aus den ganzen Tag zu einem ungehorsamen Volk, das seinen Gedanken nachwandelt auf einem Wege, der nicht gut ist.“ Sprüchw. 1, 24. ff. „Weil ich denn rufe und ihr weigert euch, ich recke meine Hand aus, und Niemand achtet darauf, und laßt fahren allen meinen Rath, und wollet meiner Strafe nicht,| so will ich auch lachen in eurem Unfalle, und euer spotten, wenn da kommt, das ihr fürchtet.“ Matth. 22, 3. ladet der König zur Hochzeit, und will, daß diejenigen seiner Gnade wirklich genießen, welche doch hernach aus Ungehorsam ausbleiben, des Königs Diener höhnen und tödten, auch durch des Königs ausgesandtes Heer umgebracht worden. V. 6. 7. welches Gleichniß von Himmelreich handelt, und anzeigt, wie Gott auch die in sein Reich gern haben wollte, welche ihm ungehorsam sind und seine gnädige Einladung verachten;

 288. d. weil Gott allen Menschen seinen Sohn gesandt hat. Wem Gott seinen Sohn sendet, den will er zu seinem Reich und zu der ewigen Seligkeit befördert wissen. Er sendet aber seinen Sohn allen Menschen; darum will er alle Menschen zu seinem Reiche und zu der ewigen Seligkeit befördert wissen;

 289. e. weil Gott alle Menschen zu seinem Reiche und zu der ewigen Seligkeit beruft. Wen Gott zu der ewigen Seligkeit beruft, den will er auch selig haben. Nun beruft Gott alle Menschen zur Seligkeit. Matth. 28, 19. „Gehet hin in alle Welt, und lehret alle u. s. w.“ Marc. 16, 15. „Gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium allen Creaturen.“ Apost. Gesch. 17, 30. [„]Gott gebeut allen Menschen an allen Enden Buße zu thun.“ Coloss. 1, 28. „Wir verkündigen und vermahnen alle Menschen, und lehren alle Menschen mit aller Weisheit, auf daß wir darstellen einen jeglichen Menschen vollkommen in Christo Jesu.“ Daraus folgt, daß Gott wolle, es sollen alle Menschen selig werden.

|  290. Der andere Punkt ist dieser: daß Gott seinen Willen von aller Menschen Wohlfahrt in gewisse Ordnung und Mittel setze. Wie Gott will, daß alle Menschen selig werden, so will er doch nicht, daß sie ohne Mittel und gewisse Ordnung zur Seligkeit kommen und ihnen frei stehen sollte, zu thun und zu lassen, was ihnen gelüstet; sondern er giebt gewisses Maaß, Ordnung und Mittel, und will, daß alle Menschen diese annehmen, und dadurch zur ewigen Seligkeit gelangen.

 291. Vor allen sendet er seinen Sohn, der menschliche Natur an sich genommen, in derselben die Sünden der Menschen gebüßt und sie mit seinem himmlischen Vater versöhnt hat. Davon läßt er dann den Menschen predigen, daß sie ernste Buße thun, diese Erlösung annehmen, sie nicht von sich stoßen, auf Christum Jesum, ihren Heiland, sich verlassen, und nicht zweifeln, daß sie also bei Gott in Gnaden seien. Er macht sie durch solchen Glauben gerecht, er gebieret sie von Neuem durch sein Wort und die h. Taufe, er stärket ihren Glauben durchs Wort und heiliges Abendmahl u. s. w., welches die Mittel sind, durch welche Gott die Menschen selig machen will.

 292. Daß Gott so seinen Willen auf den Gebrauch der Mittel gesetzt habe, wird daher bewiesen, daß Gott seinen Willen also geoffenbart hat. Hesek. 18, 21. „Wo sich der Gottlose bekehret von allen seinen Sünden, so soll er leben.“ V. 24. „Wo sich der Gerechte kehret von seiner Gerechtigkeit, soll er in seiner Uebertretung und Sünde, die er gethan hat, sterben.“ Marc. 16, 16. „Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden, wer| aber nicht glaubet, der wird verdammt.“ Johan. 3, 18. „Wer an den Sohn glaubt, der wird nicht gerichtet, wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingebornen Sohnes Gottes.“ 1 Timoth. 2, 4. „Gott will, daß allen Menschen geholfen werde, und zur Erkenntniß der Wahrheit kommen.“ 2 Petri 3, 9. „Gott will nicht, daß jemand verloren werde, sondern daß sich jedermann zur Buße kehre.“ Daraus ist zu entnehmen, wie Gott aller Menschen Seligkeit wolle, aber unter der Bedingung, daß sie sich in der festgesetzten Ordnung halten lassen, nämlich, daß sich der Gottlose bekehre von seinen bösen Wesen, der Gerechte in seiner Gerechtigkeit beständig bleibe, der Sünder Buße thue, zur Erkenntniß der Wahrheit komme, an den Sohn Gottes glaube, alsdann (und nicht außer dieser Ordnung) kann an ihm der göttliche Wille wirklich vollstreckt werden.

 293. Der dritte Punkt ist: daß Gott in diesem hochwichtigen Werke seinen Willen uns richtig geoffenbart und nicht ein Anderes in seinem Wort vorgebe, ein Anderes aber in seinem Rathschluß beschließe. Dieser Punkt bedarf keines weitläuftigen Beweises. Denn

 294. a. ist solcher Gedanke von Gott auch dem Lichte der Natur so zuwider, daß ein jeder vernünftiger Mensch so viel versteht, daß dergleichen nicht ohne Gottlosigkeit von Gott gedacht werden könne;

 295. b. ist’s dem zuwider, was Gott von seiner Wahrhaftigkeit bezeugt, daß er nicht wie ein Mensch sei, daß er lüge, sondern alle seine Worte seien wahrhaftig,| und was er zusagt, das halte er gewiß, 4 Mos. 23, 19. 1 Sam. 15, 29. Ps. 33, 4. Titum 1, 2.

 296. c. Wenn von Gott zu denken wäre, daß er ein Anderes in seinem Worte vorgebe, und das Gegentheil in seinem Rathe beschließe, so dürfte Niemand mehr dem geoffenbarten Worte unfehlbar trauen, sondern hätte allzeit zu zweifeln, ob Gott auch gewißlich also und nicht anders zu thun gesinnt wäre, als er in seinem Worte vorgiebt, oder ob er Gutes uns versage, und das Widrige in seinem Rathe beschlossen habe, womit der christliche Glaube allerdings fallen müßte und Niemand aus dem freundlichen Vorgeben Gottes ein kindliches und festes Vertrauen zu ihm schöpfen könnte. Denn weil der Glaube auf einen Felsen gegründet werden soll, d. i. weil ein solches festes Vertrauen zu Gott auf sein Wort erbaut sein soll, daß es kein anstoßender Sturmwind noch Wasserfluth, d. i. keine Versuchung, Anfechtung oder Gefahr danieder werfen soll (Matth. 7, 24. 25.), so muß das göttliche Wort, aus welchem der Glaube entspringt (Röm. 10, 17.), dermassen gewiß und unfehlbar sein, daß Niemand Ursache habe, daran zu zweifeln; was nicht geschehen könnte, wenn ungewiß wäre, ob Gott auch das gewiß und also meine, was er in seinem Worte vorgiebt und verheißt.

 297. Der vierte Punkt, daß Gott sich selbst nicht zuwider sei, wenn er aller bösen Menschen Seligkeit will, und doch (weil ers weiß, daß sie in ihrer Bosheit verharren werden) zugleich auch will, daß die halsstarrigen Verächter nicht selig werden sollen, wird von dem Herrn Christo in den beiden Parabeln| von des Königs Hochzeit und von dem großen Abendmahle schön gezeigt, Matth. 21, 1 ff., Luc. 14, 16 ff.

 298. Es findet sich bei diesem Könige und bei diesem Hausvater zweierlei Wille, 1) ein Gnaden- und Freuden-Wille, nach welchem sie wollen, daß es ihren geladenen Gästen wohl gehe und sie ihre Güter mit Freuden genießen, und 2) ein Gerichts-Wille, nach welchem sie wollen, daß ihre Geladenen, wegen der großen Undankbarkeit und Verachtung, ihre Güter nicht genießen und ihre Gnade und Freundlichkeit in der That nicht empfinden sollen. Beide Willen sind einander nicht im geringsten zuwider, obwohl der eine den Gästen die Mahlzeit gönnt, der andere aber nicht.

 299. Eben so hat unser Herr Gott auch zweierlei Willen, deren einer der Gnadenwille ist und von den Kirchenvätern der vorhergehende Wille darum genannt wird, weil er nicht auf der Menschen Frömmigkeit oder Bosheit, Dank oder Undank, Gehorsam oder Ungehorsam siehet, sondern dessen ungeachtet Allen ohne Unterschied Gnade und Seligkeit anbietet. Der andere ist der Gerichts-Wille, den die Kirchen-Väter den nachfolgenden oder nachgehenden Willen darum nennen, weil er auf das erfolgt, wie die Menschen sich gegen das freundliche und gnädige Anerbieten Gottes erweisen, daß er ihnen nämlich, da sie dasselbe von sich gestoßen und verachtet haben, mit verdienter Ungnade und scharfem Urtheil wiederum begegnete und sie von sich stoßen werde. Wie also Gott nach seinem Gnaden-Willen aller Menschen Wohlfahrt begehrt, so will er auch nach seinem Gerichtswillen, daß alle die zur ewigen Seligkeit| gelangen sollten, welche die angebotene Gnade angenommen haben, dagegen die Verächter dieser Gnade nicht genießen sollen.

 300. Es verfährt also unser lieber Gott in diesem Werke wie eine fromme gottselige Obrigkeit, welche nichts liebers wünscht, als daß es allen ihren Unterthanen wohl gehen solle, sie auch mit allem Ernste und mit aller Freundlichkeit vermahnt, ja wohl auch bittet, daß sie sich also verhalten, damit es ihnen nach ihrem Wunsche ergehen möge; wenn aber diese Freundlichkeit ausgeschlagen wird, und der Unterthan das Vermahnen und Bitten seiner Obrigkeit nicht hört, sondern sie verlacht und freventlich wider ihren Willen und ihr Gebot thut, so hört dieser Gnaden-Wille auf, und es folgt der Gerichtswille, nach welchem die Obrigkeit will, daß es einem solchen Unterthanen und Frevler nicht wohl gehen soll, ihn dem Scharfrichter übergibt, durch den er vom Leben zum Tode gebracht werde.

 301. Wie aber in diesem Allen weder der König, noch der Hausvater, noch die Obrigkeit sich selber zuwider sind, ob sie schon nach gewissem Unterschied etwas wollen und nicht wollen, so ist auch Gott sich nicht entgegen, wenn er, nach gewissem Unterschied, aller Menschen ewige Seligkeit will, und etlicher Seligkeit nicht will.





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