Literarische Aquarellen – Varnhagen von Ense

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Autor: Eduard Schmidt-Weißenfels
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Titel: Literarische Aquarellen. II.
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aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 573-575
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
vgl. Literarische Aquarellen. I. Georg Spiller von Hauenschild
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[573]
Literarische Aquarellen.
II.

Varnhagen von Ense.

Nur zu gern pflegen wir in der Nähe berühmter Männer, zu verweilen und unwillkürlich prüfen wir sie in der Nähe, um möglichst außerordentliche Umstände bei ihnen zu entdecken. Je keuscher und edler der Ruhm eines Sterblichen ist, desto übernatürlicher malen wir gern uns seine Menschlichkeit aus und sehr oft locken wir damit die Enttäuschungen hervor. Die Liebenswürdigkeit ist eine so edle und seltene Tugend, daß wir meist jede Berühmtheit damit umkleiden, ohne sie jedoch immer bei ihnen in Wirklichkeit anzutreffen. Und kann etwas mächtiger einwirken, als einen großen Mann stets wohlwollend, liebenswürdig und edelsinnig anzutreffen?“

Varnhagen von Ense ist unstreitig einer der liebenswürdigsten Greise, der mit der Reinheit seines literarischen Ruhmes sich auch im Sturm der Zeiten jene freundliche Eleganz bewahrt hat, die immer mehr und mehr unserer Generation entschwindet und mir immer den Ausspruch eines anderen Nestors der Wissenschaft zurückruft, wonach die Feinheit und Grazie des Benehmens mit der allgemein werdenden Sitte des Cigarrenrauchens untergegangen ist. Die gewinnende Liebenswürdigkeit bleibt ein Verdienst der Erziehung des ancien régime und findet sich heute nur noch in wenig auserlesenen Cirkeln und Personen, gegen deren Weltton der unsrige wie ein unechter Goldflitterstaat erscheint. Aus dem Witz der Calembours ist der Kladderadatschton erstanden, aus der Geistreichigkeit der alten Zeit, welche noch die talons rouges abtreten sah, ist die haschende Pointenmanier geworden, wie denn überhaupt mit dem Umgestalten des socialen Lebens und dem Hinsterben der Salons der moderne gesellschaftliche Ton aller Reize verlustig gegangen ist und nur in den berüchtigten commerzienräthlichen Theesalons sein erkünsteltes Leben oft durch Trivialitäten erhält.

Ist es uns vergönnt, einer Celebrität der alten Salons zu begegnen und, wie bei Varnhagen, unmerklich in eins jener interessanten Geplauder zu gerathen, welches ein geistreicher Witz ohne Malice schärft und das wie ein klarer Bach über mancherlei Felder hinrollt, so denken wir ganz unwillkürlich daran, ob auch wir wohl dereinst so angenehme Greise werden könnten, abgesehen davon, ob der Himmel uns überhaupt mit einem so langen Leben und mit dem schönen Unglück des Ruhmes beschenken wird. Niemand mehr, als der greise, stets freundliche, elegante und fein diplomatische Varnhagen, ruft uns heute jene Zeit der Salonblüthe zurück und speciell die Epoche, in welcher Berlin sich zur nordischen Metropole der Intelligenz machte, die es in etwas anmaßlicher Einbildung noch heutigen Tages zu sein glaubt.

Karl August Varnhagen von Ense, geboren 1785, gehörte schon früh dem eigenthümlichen Kreise von Anschauungen und Bezügen, welche die gewaltige Uebergangsepoche der deutschen Nationalbildung machten, in unmittelbarem Zusammenwirken und als eins der wesentlichsten Glieder desselben an. Diese Uebergangsepoche im Anfange dieses Jahrhunderts bezeichnet sich mit den Ideen, welche einen Neubau der socialen Verhältnisse, eine Fortentwickelung der Religion und die Herstellung und Begründung einer befriedigendsten Periode des Völkerlebens im Auge haben: ein Echo der französischen Revolution und bedeutungsschwangerer Messianismus der Zukunft, der sich mit hochrothen Feuerzeichen an den Horizont der Zeit gemalt hat. Jenes Ziehen, Zucken und Wetterändern in Reflexion, Gesinnung und Gestaltung einer ganzen Menschheitsepoche, [574] jene bangen Wehen einer Uebergangsperiode hatten sich in Deutschland am mächtigsten in Rahel Levin abgedrückt, deren Salon, als der erste Berlins und gefeiertste in Deutschland, sonderbarer Weise mit der französischen Revolution sich öffnete und nach der Julirevolution mit den Augen der edlen und geistvollen Frau, die ihn so glänzend erhalten hat, schloß. In diesen Salon Rahel’s, welcher dem der Frau von Staël ebenbürtig an Bedeutsamkeit war, kam Varnhagen früh genug hinein, um nicht sowohl auf ihn die geselligen Einflüsse zu üben, die er seitdem bewahrt, als auch eine Liebe zu Rahel selber zu erwecken, die ihn anspornte, nach dem Besitz jenes hervorragenden Wesens zu ringen, den er auch im Jahre 1814 erreichte.

Außer dem Reiz der Liebe, der Varnhagen in dem Salon Rahel’s fesselte, vermochte er auch dort in das reichste Leben zu blicken, welches jemals sich in Hinsicht äußerer Verhältnisse und inneren Gehalts auf einen Punkt zusammengedrängt hatte. Prinz Louis Ferdinand von Preußen, dies Bild geistvoller Ritterlichkeit, belebte den Salon der mit ihm innig befreundeten Rahel und hatte dort seine reinsten Empfindungen, sein innigstes Streben und Denken genährt. Männer, wie der feine, lebensgenußsüchtige, diplomatische Gentz, Friedrich Schlegel und beide Humboldt waren diesem Kreise beeifert zugethan, der sich immer ergänzend und erneuernd, einen unendlich weiten Cirkel von berühmten Geistern umschloß, in dem sich fast alle hervorragenden Größen jener Zeit, Fürsten wie Diplomaten, Gelehrte, Künstler, Dichter und Schriftsteller bewegten: eine herrliche Bildergallerie von Männern und Frauen, durch welche Varnhagen unter lebensprühenden Erklärungen geleitet wurde und welche er in seinen später (1824–30) erschienenen „Biographischen Denkmalen“, in seinen „Denkwürdigkeiten“ (1837–42) und in der „Gallerie von Bildnissen in Rahel’s Umgang“, sowie in vielen meisterhaften Biographien gezeichnet hat.

Varnhagen’s Talent persönlicher Verbindungen und Anknüpfungen, welches ihn schon vor der Vermahlung mit Rahel mit fast allen literarischen und geistigen Strömungen seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts in Berührung brachte, wurde denn auch die bestimmende Potenz für alle seine Leistungen. Von Natur aus mit einem feinen diplomatischen Charakter begünstigt, wie er selten deutschen Naturen eigen ist, neigte er, wie es damals eine Tugend des gebildeten Adels war, auch zur Literatur hin und debütirte als Lyriker durch Herausgabe des „Musenalmanachs“ (1804–6), in Verbindung mit Hitzig, Chamisso, Theremin und Anderen. Auch schrieb er um dieselbe Zeit, nach Goethe’s Prosa-Vorbild und in dem damals Mode gewordenen Wilhelm Meister-Ton, mit Wilhelm Neumann zusammen den Roman „Karl’s Versuche und Hindernisse“ (1808). Gleichzeitig mußten seine Verbindungen mit A. W. von Schlegel, mit Fichte, Schleiermacher, Wolf und Steffens eine heilsame Einwirkung auf ihn ausüben.

Die Laufbahn seines Lebens begann damit, daß er aus Haß gegen den französischen Kaiser und den Unterdrücker seines in Schmach daliegenden Deutschlands, im Jahre 1809 als österreichischer Officier den österreichischen Feldzug gegen Napoleon mitmachte, 1813 aber als russischer Hauptmann der Adjutant Tettenborn’s wurde, dessen Freundschaft für ihn ihm wieder einen neuen Kreis glänzender Bekanntschaften eröffnete. Mitten in diesen Kriegsereignissen, welche die deutsche Nation mit so großer Liebe und so unendlichen Opfern führte, begann Varnhagen sein diplomatisches Talent durch die „Geschichte der Hamburger Ereignisse“ (1813) und die „Geschichte der Kriegszüge Tettenborn’s“ (1814) geltend zu machen. Vom Fürsten Metternich begünstigt, der ihn zur Anstellung im preußischen Staatsdienst empfahl, ging er, kurz nach seiner Vermählung mit Rahel, 1814 in Begleitung des Fürsten Hardenberg zum Congresse nach Wien, der bekanntlich tanzte, aber nicht ging – le congrès danse bien, mais il ne marche pas!

Varnhagen von Ense benutzte später besonders seine Stellung als Ministerresident in Carlsruhe, welches gewissermaßen eben so wie das nahe Baden-Baden noch einmal einen glänzenden Hof aller damaligen diplomatischen und militairischen Größen abhielt, um der deutschen Diplomatie eine eben so nationale, wie liberale Richtung zu geben. Natürlich mußten dergleichen Bestrebungen mit dem immer fester und ausgedehnter sich bildenden Regime der Reaction ihn in mannichfache Conflicte bringen; besonders da, trotz seiner diplomatischen Zurückhaltung, seine geheime Wirkung in der Presse zur Belebung und Erhebung des deutschen Nationalgefühls eine eben so bedeutende, als ungern gesehene war. So entsagte denn Varnhagen gern einem Staatsdienste, der seine Beamten zur Verleugnung der Grundsätze bewegen wollte, die einige Jahre vorher der Nation zum Mittel der Begeisterung für die Sache des Vaterlandes selber gelehrt worden waren, und für deren erhoffte und versprochene Ausführung das Volk seine gigantischen Kämpfe unternommen hatte. Im Jahre 1819 nahm Varnhagen als Geheimer Legationsrath seinen Abschied, um neue und glänzende Erfolge in der rein literarischen Laufbahn anzustreben, und im Verein mit seiner Gemahlin Rahel in seinem Salon in der Mauerstraße Berlins die Koryphäen der neuen Ideen und des jungen Deutschlands zu versammeln.

Das junge Deutschland bezeichnet recht eigentlich den Kreis, in welchem Varnhagen seine literarische Stellung nahm; Bettina von Arnim, Fürst Pückler-Muskau und Heinrich Heine hielten dort um ihn ihren Hof, dem sich manche französische Geister, wie der Marquis de Custine, Oelsner und andererseits Hegel und Gans verwandt fühlten. Varnhagen von Ense selber gewann nach mehreren Novellen, die er veröffentlichte und von denen die „deutschen Erzählungen“ (1815) am bekanntesten sind, eine dauernde Vorliebe für Biographien, deren Abfassung ihn denn auch zu dem größten und gefeiertsten Biographen Deutschlands gemacht hat. Eine große Gallerie von Bildnissen hat seine Feder der deutschen Nation gegeben, und sie ist stolz darauf; der alte Dörflinger, Blücher, Canitz, Zinzendorf; ferner die größeren Lebensbeschreibungen von Benjamin Erhard (1830), des Generals Seydlitz, Winterfeld, Grafen von Schwerin, Keith; der Königin Sophie Charlotte von Preußen, des Kriegsrath von Held, Karl Müller’s (1846) gehören zu den Meisterstücken der deutschen Literatur.

Eins der verdienstlichsten Werke, welches Varnhagen von Ense herausgab, und zwar zuerst als ein Andenken für Rahel’s Freunde, später auch für das größere Publicum, war der dreibändige Briefwechsel seiner Gattin, welche man die „Mutter des jungen Deutschlands“ und wohl mit Recht genannt hat. Unter dem Titel „Rahel, ein Buch des Andenkens für ihre Freunde“ (1833) erschien die von ihrem hinterbliebenen Gatten veranstaltete Sammlung der Briefe dieser großen, 1833 gestorbenen Frau, in denen sich der merkwürdigste Geistes- und Lebensverkehr entfaltet und der hohe, nach allem Edlen strebende und für alles Große schaffende Geist Rahel’s widerspiegelt. Dieser Briefwechsel Rahel’s mit den zahlreichen und bedeutenden Persönlichkeiten ihrer Zeit war ein herrliches Denkmal für die Verblichene, ein Arsenal ihrer kühnen und edlen Gedanken, ein Schatz, aus welchem manches Material einer großen und neuen Zukunft bereits entnommen ist. Auch ist die Theilnahme für dieses Buch, welches die tiefsten Blicke in einen genialen Frauencharakter werfen läßt, noch heute, nach fast einem Vierteljahrhundert, so groß, daß jährlich noch hundert bis hundertfünfzig Exemplare davon ihren Weg in’s Publicum finden.

Wohl ist der Gemahl dieses ausgezeichneten Weibes nach dem Tode desselben vereinsamter geworden; aber noch immer steht er mit einem ausgedehnten Geisterkreis in Verbindung, dem er still und wohlwollend seinen Rath und seine Erfahrungen mittheilt. Noch immer bewohnt der jetzt mit weißem Silberhaar bekränzte Greis jene Wohnung, in der einst er und Rahel so viele der größten Geister versammelten; es scheint, als habe die Pietät nichts in jener Wohnung verändert, so deutlich sieht man die Zeichen von Rahel’s Wirksamkeit noch in den traulich möblirten Zimmern. Beim Eintritt in die Wohnung empfängt den Besucher ein hohes Bibliothekzimmer, dessen Bücher, meist in altem Einband, bis in die Mitte des Gemaches im Regal reichen. In den anstoßenden Wohnzimmern, welche jetzt außer dem alten Herrn seine Nichte und eine alte Hausfrau inne haben, sieht man noch Manches, von dem Rahel in ihren Briefen spricht, die Bilder Goethe’s, Rahel’s und anderer Personen ihrer Zeit; dann die Bücher der jungen Generation in Maroquin und Goldschnitt, sorgsam auf einer Commode und an dem Bücherregal der Wand aufgestellt, die Zeichen der Verehrung, welche der berühmte Biograph täglich noch von den jüngeren Dichtern und Schriftstellern erhält. Seitwärts vom Bibliothekzimmer ist das Arbeitscabinet Varnhagens mit großen Bücherspinden, einem kleinen Schreibpult und Spinden, in denen, sorgsam in Cartons gepackt, manche Schrift von persönlichem Interesse, manche noch ungedruckte Manuscripte, Memoiren und Briefe ruhen, [575] in deren Mitte sich der stets kränkelnde, aber geistig frische Greis, noch immer schaffend und thätig, wie in der altgewohnten Gesellschaft fühlt, deren Mitglieder längst gestorben sind oder, zerstreut in der Welt, nur ihre Briefe an den langjährigen Freund senden. In diesem traulichen Zimmer empfängt Varnhagen seine Besuche, und gewiß sind es für Jeden die genußreichsten Augenblicke, die er in der Gesellschaft dieses stets wohlwollenden, freundlichen und feinwitzigen Greises verlebt, der mit seinem treuherzigen Auge und gütigen Antlitze, dem noch der diplomatisch schalkhafte Zug um den Mund eigen ist, und durch seine Liebenswürdigkeit immer wieder von Neuem seine Besucher in Entzücken versetzt.

Wie gesagt, arbeitet Varnhagen, dessen feine und schöne Schriftzüge merkwürdig sind, unausgesetzt an Biographien und Memoiren, die wohl erst nach seinem Tode im Druck erscheinen dürften. Seit dem Jahre 1848, wo von ihm eine Flugschrift unter dem Titel: „Schlichter Vortrag an die Deutschen über die Aufgabe des Tags“ anonym erschien, ist er literarisch gänzlich verstummt. Aber aus den zahlreichen Widmungen, die er von Dichtern und Schriftstellern erhält; aus den Zusendungen, die ihm täglich die neue Literatur macht, und aus den Verbindungen, welche die bessern Geister mit ihm suchen oder unterhalten, erhellt die Bedeutsamkeit eines Mannes, der auch groß ist, wenn er schweigt, und der außer einem beneidenswerthen, keuschen Ruhm das seltene Glück besitzt, von Jedem auch geliebt zu sein.
Schmidt-Weißenfels.