Pariser Bilder und Geschichten/Unterhaltungen mit Heinrich Heine

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Autor: Ludwig Kalisch
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Titel: Pariser Bilder und Geschichten Unterhaltungen mit Heinrich Heine
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 745, 746, 748
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Pariser Bilder und Geschichten.


Unterhaltungen mit Heinrich Heine.


Von Ludwig Kalisch.


Heine gehörte zu den wenigen Schriftstellern, die während ihrer ganzen Laufbahn das Interesse des Publicums wach halten, mit deren Persönlichkeit die allgemeine Neugierde sich beschäftigt. Kein Literat konnte von einem Ausfluge nach Paris in’s deutsche Vaterland zurückkehren, ohne von allen Seiten gefragt zu werden, ob er dort Heine gesehen. Daher kam es auch, daß kein Literat in Paris anlangte, ohne ihn sogleich aufzusuchen, einige Witzworte von ihm aufzuschnappen und sie schwarz auf weiß nach Hause zu tragen. Heine war ein stehender Artikel in jedem Buch über Paris, besonders seit ihn ein grausam schleichendes Siechthum auf’s Lager geworfen. Der kranke Dichter mußte den Stoff zu einem mehr oder minder langen Capitel liefern, in welchem er mit dem ängstlichsten Detail abconterfeit wurde. Als ich nun im Jahre 1849 nach Paris kam, beschloß ich eine Ausnahme von den fahrenden Schriftstellern zu machen und den kranken Dichter, dem ich kein Heilmittel bieten konnte, nicht zu stören. Ich würde auch gewiß bei meinem Entschlusse beharrt sein, wenn ich nicht bald sein Nachbar in der Rue d’Amsterdam geworden wäre. Er wünschte meinen Besuch, und so begab ich mich in Begleitung eines uns Beiden befreundeten Schriftstellers an einem nebligen Novemberabend in Heine’s Wohnung. Heine lag in einem sehr kleinen Zimmer und klagte sogleich bei unserm Eintreten, daß er vorige Nacht wieder von den fürchterlichsten Schmerzen heimgesucht worden, und daß er nur durch starke Opiatdosen sich einige Linderung seiner Qualen verschaffen könnte.

Er wurde indessen nach und nach sehr gesprächig und munter, ließ seiner Satire den Zügel schießen und zeigte, daß in seinem fast aufgelösten Körper der Geist sich noch frisch und regsam erhalten. Seine Lebenskraft hatte sich so zu sagen in sein Gehirn geflüchtet. Sein arbeitender Kopf saß auf einem todten Rumpfe.

Deutschland war natürlich das Hauptthema unsers Gesprächs, und indem wir von den Zuständen in unserm Vaterland sprachen, kamen wir auf Venedey’s Ausweisung, von der damals in den Zeitungen viel geredet wurde. „Der gute Venedey!“ sagte Heine. „Er ist eine Art Maßmann, nur daß er noch weniger Latein weiß, als dieser.“

Als ich ihn fragte, warum er so oft seine satirische Lauge über Maßmann ausgieße, erwiderte er: „Du lieber Gott! Ich bin ein alter Mann; ich kann mir nicht mehr neue Narren anschaffen. Ich muß von den alten leben. Maßmann ist für mich rentabler Narr. Er ist meine Rente. Was kann ich dafür?“

Bald lenkte sich das Gespräch auf die moderne deutsche Poesie und auf die Vertreter derselben. Bei dem Namen Lenau’s wurde einer Reihe deutscher Dichter erwähnt, die im Wahnsinn endeten, oder im Elend untergingen. Als bei dieser Gelegenheit des armen Grabbe gedacht wurde, bemerkte Heine, daß er über diesen Dichter merkwürdige Aufschlüsse hätte geben können. „Ich habe ihn in Berlin kennen gelernt, wo wir beide studirten,“ sagte er. „Es war in ihm ein seltsames Gemisch von Demuth und unbezwinglichem Poetendünkel. Er hielt mich für sehr reich, weil ich damals – ich weiß nicht durch welchen Zufall – einen schönen Mantel besaß, und er behauptete, daß ich, von diesem Mantel behaglich durchwärmt, südlich glühende Lieder bequem dichten könnte, während er, in einem fadenscheinigen lebensmüden Rocke dem unverschämten Berliner Wind ausgesetzt, seine dramatischen Stoffe aus dem fernen Norden holen müßte. Er hatte gerade den ‚Herzog Gothland‘ vollendet und brachte mir ihn, um mein Urtheil darüber zu hören. Bei der Lectüre dieser absonderlichen Hervorbringung war mir’s, als ob mir ein Dutzend Mühlräder im Kopfe klapperte. Ich gönnte mir den Eindruck, den dieses dramatische Erzeugniß auf mich hervorgebracht, nicht allein, sondern gab es einem meiner Freunde, der mir’s, aus Angst verrückt zu werden, bald wieder zurückbrachte. Ich ging dann damit zu Varnhagen, der, wie man sich leicht denken kann, es noch weniger erquicklich fand und mich um Gotteswillen bat, es ihm schnell wieder abzunehmen; es mache ihm das ganze Haus toll. – Ja, dieser Grabbe war ein drolliger Mensch, aber ein bedeutendes Talent und ich hätte, wie gesagt, manche sehr interessante Aufschlüsse über ihn geben können; aber wie manches Andere wird auch dies mit mir begraben werden.“

Das Gespräch kam sodann auf die Dorfgeschichtenliteratur.

„Ich kenne sehr wenig davon,“ sagte Heine. „Ich kenne [746] blos die Elsässer Dorfgeschichten von Alexander Weill. Man hat mir gesagt, daß er der Erste gewesen, welcher mit derartigen Productionen vor dem deutschen Publicum aufgetreten. Ich habe dieselben sogar mit einem kurzen empfehlenden Vorworte begleitet und in diesem geäußert, daß man mit der Dorfnovellistik viel zu viel Spectakel macht. Auch hätte ich dieses Vorwort gar nicht geschrieben, wäre ich nicht gewissermaßen dazu gezwungen worden. Eines Tages kam nämlich Weill zu mir und zeigte mir nicht nur an, daß er im Begriffe sei, sich zu verheirathen, sondern auch, daß er zu diesem schönen Schritte nothwendig fünfhundert Franken brauche. Als ich schwieg, fügte er hinzu, er würde die genannte Summe von einem Buchhändler leicht erhalten, wenn ich einen Band seiner Sittengemälde aus dem elsässischen Volksleben mit einigen Einführungszeilen versehen wollte. Ich hatte nun die Wahl, entweder fünfhundert Franken zu geben, oder ein paar Seiten zu schreiben, und Sie können sich leicht denken, daß ich nicht lange wählte.“

Es wurde bald seiner neuern Gedichte erwähnt. Heine sagte, daß ihm die Poesie das beste Linderungsmittel in seinen schlaflosen Nächten sei. „Die Poesie ist meine treue Freundin geblieben,“ rief er. „Sie läßt sich von meinem Siechthum nicht abschrecken; sie ist mir bis an den Rand des Grabes gefolgt und macht mich dem Tode streitig.“

Da wir nun einmal von seinen Poesien sprachen, fragte ich ihn, wann sich in ihm der poetische Trieb geäußert.

„Sehr früh, sehr früh,“ antwortete er. „Sie kennen mein Gedicht ‚Belsazar‘,“ fuhr er fort; „nun, ich habe dasselbe geschrieben, bevor ich noch das sechszehnte Jahr zurückgelegt. Und wissen Sie, was mich zu demselben inspirirt hat? Ein paar Worte in der hebräischen Hymne Bachazoz halajla (Um Mitternacht), die man, wie Sie wissen, an den zwei ersten Osterabenden singt.“

Diese erwähnte Hymne gedenkt nämlich einer auf die Geschicke der Juden sich beziehenden historischen Begebenheit, die in der Nacht vorgefallen, und in fünf Worten spricht sie von dem Tode des babylonischen Tyrannen, der in Folge der Entweihung der Tempelgefäße in der Nacht hinweggerafft wurde.

Heine wußte kaum ein paar hebräische Wörter; er kannte aber viele jüdische Sagen, und diese Kenntniß verdankte er ganz besonders dem geistvollen Gelehrten Zunz. Während seines Aufenthaltes in Berlin suchte er den Umgang dieses vortrefflichen Mannes, dem er auch, wie ich sah, eine sehr warme Freundschaft bewahrt hatte. Heine hatte nur wenige Freunde, oder wenn man will, er war nur Wenigen ein Freund; diesen Wenigen aber war er sehr zugethan.

Er streckte mir die dürre, welke Hand entgegen, als ich mich von ihm verabschiedete, und bat mich, ihn während meines Aufenthaltes in Paris recht häufig zu besuchen. Ich war schon an der Thür, als er mich fragte, ob ich nicht seine Gattin sehen wollte, und als ich dies natürlich bejahte, sagte er mir, daß sie sich den Fuß verstaucht und ihr Zimmer hüten müsse. Er ließ mich von seiner Wärterin zu ihr führen. Ich fand Madame Heine in einem Lehnsessel, die Beine auf einem vor ihr stehenden Stuhl ausgestreckt. Sie war damals noch jung, aber schon so abgerundet, daß ihr der Fauteuil fast zu eng war. Nach der langen Unterhaltung mit Heine ließ die kurze Unterhaltung mit ihr keine Eindrücke in mir zurück. –

Ich war von dem ersten Besuche bei Heine so ergriffen, daß ich einige Monate verstreichen ließ, ohne ihn wieder zu sehen. Da ließ er mich eines Tages – es war am 20. Januar 1850 – zu sich rufen. „Warum lassen Sie sich so selten bei mir sehen?“ rief er, als ich meinen Namen nannte. „Sie sollten öfter kommen, da Sie nur zwei Schritte entfernt von mir wohnen.“

Ich äußerte meine Befürchtung, daß sein Zustand keine Besuche vertrage.

„Es ist wahr,“ sagte er, „ich werde oft von den fürchterlichsten Schmerzen heimgesucht, so daß ich mir selbst zur Last bin. Aber ich bitte Sie, lassen Sie sich dadurch nicht abschrecken, mich zu sehen!“

Ich fand ihn sehr leidend, sehr ernst und niedergeschlagen.

„Ich liege hier so einsam und vereinsamt,“ seufzte er. „Ich wäre gern in Deutschland gestorben, und ich hätte mich vielleicht hintragen lassen. Aber was würde meine arme Frau in Deutschland anfangen? Das ist sehr traurig. Hier hab’ ich, in Deutschland hat sie kein Vaterland. Ich weiß, daß ich nicht mehr von diesen Lager mich erhebe. Das Lied ist aus. Ich habe auch gerade das Alter, in welchem ein deutscher Schriftsteller sterben muß. Wie werden sie mich loben, wenn ich einmal todt bin! Sie werden mir statt der faulen Aepfel, mit denen sie mich früher beworfen und noch immer bewerfen, nur Blumensträuße und Lorbeerkränze zuwerfen. Der Campe wird sich auch freuen, wenn er hört, daß sie mich hinausgetragen, daß ich das schmerzvolle Grab in der Rue d’Amsterdam mit dem schmerzlosen auf dem Kirchhofe Montmartre vertauscht habe. Ja, der Campe wird sich freuen; denn mein Tod ist sein bestes Buchhändlergeschäft.“

Nachdem er eine Zeitlang von seinen häuslichen Verhältnissen gesprochen und zu wiederholten Malen und mit sichtbarer Genugthuung bemerkt hatte, daß er die Zukunft seiner Gattin gesichert, kam er auf seinen Glauben zu sprechen. Ich sagte ihm, daß man in den Blättern viel von seiner Bekehrung rede, daß man von vielen Seiten behaupte, er habe sich wieder dem Judenthume zugewendet. „Ja,“ sagte ich, „man spricht fast täglich von Ihrer Rückkehr zu Jehova Zebaoth. Ich habe bei meinem ersten Besuche absichtlich vermieden, mit Ihnen über diesen Punkt zu sprechen.“

„Warum das?“ rief er. „Ich mache kein Hehl aus meinem Judenthume, zu dem ich nicht zurückgekehrt bin, da ich es niemals verlassen hatte. Ich habe mich nicht taufen lassen aus Haß gegen das Judenthum. Mit meinem Atheismus ist es mir niemals Ernst gewesen. Meine früheren Freunde, die Hegelianer, haben sich als Lumpen erwiesen. Das Elend der Menschen ist zu groß. Man muß glauben.“

Ich fragte ihn, ob er bei den Alten, von denen er doch in seinen Schriften mit so viel Begeisterung dem Nazarenerthume gegenüber spreche, keine Befriedigung fände?

„Ich bin nicht Nazarener geworden,“ erwiderte er; „aber das Griechenthum, so schön und heiter es auch ist, genügt mir nicht mehr, seitdem ich selbst nicht mehr schön und heiter bin. Ich bin in Passy (Stadttheil von Paris) gelegen, als meine böse Krankheit anfing. Während ich mich krampfhaft auf dem Lager wälzte, wurde draußen der entsetzliche Junikampf gekämpft. Der Kanonendonner zerriß mein Ohr. Ich hörte das Geschrei der Sterbenden; ich sah den Tod mit seiner unbarmherzigen Sense die Pariser Jugend hinmähen. In solchen gräßlichen Augenblicken reicht Pantheismus nicht aus; da muß man an eines persönlichen Gott, an eine Fortdauer jenseits des Grabes glauben. Ich bin kein Mucker geworden. Ich habe den Weg zum lieben Gott weder durch die Kirche, noch durch die Synagoge genommen. Es hat mich kein Priester, es hat nach ihm kein Rabbiner vorgestellt. Ich habe mich selbst bei ihm eingeführt, und er hat mich gut aufgenommen. Er hat meine Seele geheilt; möge es ihm gelingen, auch meinen Körper zu heilen! Ich würde ihm wahrlich dafür sehr dankbar sein.“

Ich theilte ihm mit, daß man in den Blättern von seinen Memoiren rede, die er herauszugeben beabsichtige.

„Allerdings beabsichtige ich sie zu veröffentlichen,“ entgegnete er; „allein ich weiß nicht, ob ich damit werde zu Stande kommen können. Ich dictire fast jeden Tag, was mir eine entsetzliche Anstrengung verursacht. Es erschöpft mich fürchterlich. Wenn Sie noch ein wenig weilen, werden Sie den Schlemihl (Pechvogel) sehen, dem ich in die Feder dictire. Doch was sag’ ich?“ rief er berichtigend, „nicht er ist der Schlemihl; ich bin es.“

„Ich habe viele Manuscripte verbrannt,“ sagte er nach einer Pause, „weil ich gefunden, daß dieselben gar Manches enthielten, was mit meiner jetzigen Ueberzeugung nicht mehr übereinstimmt. Ich habe jedoch leider zu viel verbrannt,“ setzte er mit einem Seufzer hinzu. „Dies geschah in einem jener dunklen Augenblicke, wo man geistigen Selbstmordgedanken nicht widerstehen kann. Es waren hübsche Sachen darunter. Friede ihrer Asche!“

Ich bemerkte nichts darauf, da ich an dieses Autodafé nicht glaubte. Heine war nicht der Mann, der seine Productionen so lange liegen ließ, um sie dann grausam dem Feuertode zu überliefern, weil sie nicht mehr der Ausdruck seiner Gesinnung waren. Kein Dichter war für die Kinder seiner Muse mehr eingenommen, als er. Kein einziges derselben hielt er für ungerathen. Er sprach beständig von ihnen; er erzählte gern von ihrer wunderbaren Geburt und wie viel Vaterfreuden sie ihm verursacht hätten.

[748] Heine konnte nicht einmal einen schnöden Witz unterdrücken, und hatte er ein Bonmot gemacht, das sich für den Druck nicht eignete, so wiederholte er es so oft, bis es durch mündliche Verbreitung allgemein bekannt wurde. –

Wir kamen auf sein Buch über Börne zu sprechen. Ich sagte ihm, daß es allerdings sehr geistreich sei, daß aber die gehässigen Angriffe auf einen Mann, dem selbst dessen erbitterteste Feinde einen edeln Sinn und ein aufrichtiges Streben nicht absprechen konnten, sich durchaus nicht rechtfertigen lassen.

„Du lieber Gott!“ rief Heine, „wer Bücher schreibt, schwebt immer in Gefahr, große Dummheiten zu begehen. Trotz alledem,“ fügte er gleich hinzu, „ist besagtes Buch lange so schlecht nicht, wie man in meinem lieben Vaterlande behauptet.“

Er machte sich dann über die talentlosen Schriftsteller lustig, die mit ihrer Charakterfestigkeit prunken; die Antithese von Talent und Charakter gab ihm Stoff zu den drolligsten Bemerkungen.

„Sie haben vollkommen Recht,“ sagte ich, „der Talentlosigkeit zu spotten, die mit stolzen Phrasen um sich wirft; aber Sie haben doch mit Ihrer Satire im ‚Atta Troll‘ ein großes Unheil angerichtet. Früher nämlich meinten die talentlosen Schriftsteller, der Charakter ersetze das Talent; jetzt aber meinen die charakterlosen Schriftsteller, sie seien große Talente, blos weil sie charakterlos sind. Sie werden übrigens zugeben, daß alle großen Dichter bedeutende Charaktere waren. Dante, Milton, Molière, Lessing, Goethe und Schiller waren große Menschen. Lessing wird sogar durch seinen ebenso edeln wie festen Charakter eine hochpoetische Erscheinung. Der Charakter macht das Talent nicht; aber er giebt ihm Halt und Würde, regelt sein Schaffen und bürgert ihn im Herzen des Volkes ein, das am Ende die poetische Schöpfung von der Persönlichkeit des Poeten nicht trennen mag. Molière’s außerordentliche Popularität ist großentheils seiner Persönlichkeit zuzuschreiben, und so sitzt auch Schiller wegen seines edeln Charakters im Herzen unseres Volkes fest. Besonders ist das Publicum berechtigt, Charakterfestigkeit von denjenigen Schriftstellern zu verlangen, die sich im Kampfe für die Ideen des Fortschritts die ersten Sporen verdient haben. Das Volk trägt freudig sein Herz dem Schriftsteller entgegen, in welchem es den Ausdruck seiner Ansichten, seiner Hoffnungen findet; aber es entzieht ihm die Liebe, sobald es merkt, daß er den Lorbeerkranz um jeden Preis erhaschen will.“

„Das Volk selbst ist charakterlos,“ sagte Heine; „und es bekränzt die Dummheit ebenso leicht wie das Genie, ja noch leichter. Ich weiß etwas davon zu erzählen. – Nun, einstweilen liege ich hier eine Halbleiche und kämpfe den Zweikampf mit dem schwarzen Ritter Thanatos, der mich im Bewußtsein seines baldigen Sieges höhnisch angrinst.“

Er sprang bald in seiner lebhaften Weise auf andere Gegenstände über, und ich hatte Gelegenheit die Elasticität dieses reichen Geistes zu bewundern, der den Körper in Stücke zerfallen sah, ohne dadurch auch nur das Allergeringste von seiner Frische zu verlieren.

Heine wurde immer lebhafter. Er ließ viele unserer modernen Schriftsteller die Revue passiren, und es versteht sich von selbst, daß es bei dieser Gelegenheit nicht an scharfen Geißelhieben fehlte. Gutzkow namentlich mußte stark herhalten.

„Kommen Sie bald wieder!“ sagte er, als ich mich von ihm verabschiedete, „kommen Sie recht bald wieder! Jetzt haben Sie blos einige Schritte zu meiner Wohnung; wenn Sie aber zögern, werden Sie den langen schmutzigen Weg zum Kirchhofe Montmartre zurücklegen müssen, wo ich bereits eine Wohnung mit der Aussicht auf die Ewigkeit bestellt habe. Das wird eine schlecht möblirte Wohnung sein; aber die Nachbarschaft ist dort still und ruhig und wird meinen Schlaf nicht stören.“

Ich verließ einige Monate später Paris und habe ihn nicht wieder gesehen; doch war ich mit mehreren meiner Landsleute zugegen, als man ihn hinaustrug zur ewigen Ruhestätte. Es war an einem traurigen Februarmorgen. Die kahlen Ulmen in den Elyseeischen Feldern zitterten fröstelnd im Nebelwinde. Wir hatten uns in der Wohnung des Dichters versammelt, und als man die Todtenlade aus dem Zimmer brachte, in welchem er ausgerungen, erfaßte uns ein tiefer, unsäglicher Schmerz. Wir fühlten den großen Verlust, den Deutschland durch den Tod des Dichters erlitten. Unter den Franzosen, die mit uns den Leichnam begleiteten, befanden sich Mignet und Theophile Gautier. Auf dem Wege schloß sich uns Alexander Dumas an, der aus einem Fiaker den Leichenzug herankommen sah und Heine’s Tod erst an dessen Sarge erfuhr. Er stieg sogleich aus und folgte uns in sichtbarer Bestürzung auf den Kirchhof. Schweigend gingen wir hinter der Bahre einher und schweigend sahen wir den Sarg in die Gruft senken. Die Worte des Dichters:

Keine Messe wird man singen;
Keinen Kadosch wird man sagen.
Nichts gesagt und nichts gesungen
Wird an meinen Sterbetagen,

waren in Erfüllung gegangen. –

Man hat seitdem viel über Heine geschrieben, und sein Genie wird gewiß noch gar manche Federn in Bewegung setzen, wenn diejenigen längst vergessen sein werden, die von ihm behaupten, er habe sich zum Dichter gelogen. Heine litt an großen Schwächen. In fortwährender nervöser Aufregung, war er leicht zu verletzen und schonte Niemand, der ihn einmal auf den Fuß getreten. Er war auch in mancherlei Dingen eben nicht heikel, und es haften an seinem Charakter sehr dunkle Flecken. Sein Benehmen gegen Börne läßt sich durchaus nicht rechtfertigen, und seine Ausfälle gegen Frau Strauß sind geradezu erbärmlich. Er hat auch seine Ansichten über Personen oft gewechselt; allein in der Hauptsache ist er sich doch treu geblieben. Ein eifriger Kämpfer der revolutionären Idee im weitesten Sinne des Wortes, hatte er für dieselbe selbst auf seinem Todtenbette rüstig fortgekämpft. Er hat niemals um die Gunst der Gewaltigen gebuhlt; er hat nicht nach Titeln und Ordensbändern gehascht. Wie groß erscheint er trotz aller seiner Schwächen und Gebrechen, wenn man ihn mit seinen Widersachern vergleicht, die im Jahre des Heils 1848 rothe Cocarden an eingequetschten Filzhüten trugen, in Volksversammlungen ihre Mähne schüttelten, von der Weltrepublik wie Löwen brüllten und jetzt wie geschorene Hunde kriechen und wedeln!