Predigt am Missionsfest in Nürnberg

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Autor: Hermann von Bezzel
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Titel: Predigt am Missionsfest in Nürnberg
Untertitel: den 20. Juni 1911 gehalten in der St. Lorenzkirche
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Erscheinungsdatum: 1911
Verlag: Verlag der Buchhandlung des Vereins für innere Mission
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Erscheinungsort: Nürnberg
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Predigt
am


Missionsfest in Nürnberg
den 20. Juni 1911


gehalten


in der St. Lorenzkirche


von


Oberkonsistorialpräsident D. Dr. von Bezzel in München.



1911.
[Ver]lag [d]er Buchhandlung des Vereins für innere Mission.
Nürnberg, Ebnersgasse 10.


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Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen!
Und der Geist und die Braut sprechen:
Komm! Und wer es hört, der spreche: Komm!
Offenb. 22, 16a. 
 Missionsfeste geben einen hellen Schein, ein Freudenlicht, das auf Erlangtes und Erreichtes zurückfällt, ein Hoffnungslicht, das den ferneren Weg erleuchtet. Seit siebenzig Jahren feiert unsre Landeskirche ihre Missionsfeste, anfänglich in engeren Räumen, seit Jahrzehnten in diesem ehrwürdigen Gotteshause, das wie ein Wahrzeichen aus vergangenen Tagen die Gegenwart beglückt, für die Zukunft Dienst und Segen des Dienstes verbürgt. Wie wenn die Wolke der Zeugen sich tiefer zu uns niedersenke, Prediger der Gerechtigkeit, Zeugen der Wahrheit im Lichte der Verklärung treten uns nahe, „Hüter und Steine in Israel“, die einst auf dieser Kanzel in denselben Juni-Tagen dem Missionswerk Herz und Mund geliehen und gewonnen haben. Es sei dabei nur an die Männer erinnert, welche jetzt im oberen Heiligtum feiern und anbeten. 1851 predigte der damalige Pfarrer von Kurzenaltheim Lic. Gustav Wiener, ein Großer und Fürst unter den bayrischen Pfarrern, dem ich für das, was ich sieben Jahre lang unter seiner Kanzel empfangen habe, einst besser danken zu dürfen hoffe. 1861 pries der Leipziger Missionsdirektor D. Graul Kampf und Frieden in der Missionsarbeit. Der damalige Berichterstatter rühmt die Predigt als glücklichste Vereinigung von praktischer Erfahrung mit tiefgründiger Erkenntnis, von edelstem Hochgang der Gedanken mit kindlich erzählender Darstellung. Zehn Jahre später ward der Kieler Bischof D. Koopmann, der nordische Harleß, wie man ihn wohl genannt hat, zum Prediger bestimmt, dem zehn Jahre später der Pfarrer von Kempten, Karl Burger, folgte, der Mann der klaren Rede, der innerlichen Bestimmtheit und stillen Begeisterung, 1901 führte auf die Höhen des hohenpriesterlichen Gebetes der jüngst heimgegangene Prof. D. Ewald. Was die lutherische Kirche unsres Landes und in weiteren Kreisen an Auserwählten besaß, hat auf dieser Kanzel zu St. Lorenz in Beweisung der mancherlei Gaben Gottes sein Licht zu Ehren des ewigen Lichtes und zum Preise seiner Herrlichkeit dargeboten. Luthardt, Kaanis v. Delitzsch, Thomasius und v. Zezschwitz,| Harleß und Stählin, Weitbrecht, der teure Württemberger Stiftsprediger u. Ahlfeld – welch große Namen für die größte Sache! Wahrlich, Missionsfeste haben einen hellen Schein für vergangene Tage, für ihr Zeugnis und für dessen Wirkung in die Nähe und in die Weite. Und in diesem Lichte sehen wir auch in lichte Tage der Zukunft. Denn in unsre Mitte scheint der helle Morgenstern, wie sich der erhöhte Herr selbst in den unsrem Texte voraufgehenden Verse nennt, vor dem die Nacht nicht bleiben mag, weder die des kleingläubigen Zweifels noch die der tatenlosen Resignation, welche vergeblich den frommen Namen der Gelassenheit anspricht. Er gibt Morgentrost ins Herz, daß man sich dessen schämt, was gestern Mut und Sinn zu erschlaffen drohte und Mut auf den Weg, daß man hurtig weiter fortschreitet. Die Wurzel des Geschlechtes David, das edle Reis unverwelklicher Herrlichkeit bezeugt uns von Frühling und Frühlingserlebnis und von der Ewigkeit aller derer, die in seinem Lichte wandeln, wirken und suchend sich geloben bis an den Abend, ja um den Abend. Das Missionsfest aber erweckt aus dem preisenden Rückblick den bittenden, herzandringenden Ruf nach voller Offenbarung: komm, Herr Jesu!

 Die Bitte um das Kommen Jesu

 Deren Zeugnisse sind mein ewiges Erbe, denn sie sind meines Herzens Wonne. Amen. (Ps. 119, 111.)


1.
 Ein göttliches Tun. Auf einer einsamen Insel steht der greise Jünger Jesu, sein Meister ist von ihm gegangen, seine Mitapostel sind bei Ihm daheim. Und wie in stürmischer Sonntagsnacht Welle auf Welle am Felsenstrande sich bricht, kein Stern leuchtet und kein Mensch tröstet, so entfällt ihm der Mut, als ob sein Glaube nicht mehr der Sieg und sein Heiland nicht der Herrscher wäre. Da erscheint ihm der Erstandene mit dem Gruß, den seitdem in Nacht und Finsternis, in Sturm und Not die Gemeinde Jesu Christi als ihren höchsten Trost erfaßt und bewahrt hat: Fürchte dich nicht! „Er hätte nie gesagt: Ich habe die Welt überwunden, wenn er dulden könnte, daß die Seinen von der Welt überwunden würden“, schreibt Melanchthon einmal 1519 an Heß bei Überreichung| der Vorlesung über den Römerbrief. Ich bin der Erste und bin der Letzte und bin der Lebendige. So faßt der Auferstandene seine Welt überdauernde, Welt belebende und Welt verklärende Tätigkeit, seine heilige Mission an sie zusammen. Er ist ihr Anfänger geworden, er will ihr Lebensinhalt und ihr Vollender sein: an ihm und in ihm und zu ihm sind alle Dinge. Wäre er nur der erste, so wäre er nicht der lebendige, wäre er nur für sich, so wäre er nimmer der letzte. – Der heilige Geist ist Zeuge dieses Lebens geworden und geblieben, er hat Jesu den Weg in die Welt gebahnt, zu seinem Wort sich bekannt, sein Kreuz verklärt, seinen Tod mit dem österlichen Gnadenwerk verherrlicht. Nun ist er in der Welt geblieben, daß er in alle Wahrheit leite und aus dem Verlangen nach Wahrheit ruft er: Komm! –

 In welche Tiefen seiner selbst läßt der Geist Blicke tun! Allein auf dieser ihn so oft vergessenden Erde, mitten in der ihn betrübenden Welt sehnt er sich nach Jesu Wiederkunft, die ihn aus aller Gebundenheit frei machen soll. Oder ist es nicht Gebundenheit, wenn in unscheinbaren geringen Worten, in der menschlich beschränkten und unansehnlichen Schrift sich der Strom seines Wirkens, die Klarheit seines Wesens aufhalten lassen und verbergen muß! Habt ihr nie darüber nachgedacht, Geliebte, was der heilige Geist in diesen Tagen empfindet, da mit dem irdenen Gefäß der köstliche Inhalt verachtet und der Geist geleugnet werden will, weil er so schlicht einhergeht! Die einen nennen ihn einen Irrgeist, die andern einen zeitlich beschränkten, kurzsichtigen und kurzlebigen Geist, und wenigen nur ist er der Tröster, der mit Worten göttlicher Kraft und göttlicher Weisheit denen naht, die seine Ohnmacht und Torheit nicht belächeln, sondern als Erweis liebender Herablassung anbetend ehren. Was Wunder, daß aus der Schrift und ihren Rätseln, aus den tausendfachen Dissonanzen, die in der Gegenwart aufgezeigt werden, der heilige Geist zu dem ruft, dem er dient und den zu verklären er gesandt ist: Brich dein Schweigen, wenn sie um meines Zeugnisses willen dich leugnen, tritt herbei und bekenne dich zu meinem Worte und bezeuge dich als den Lebendigen! Einsamkeit des heiligen Geistes ruft den Meister herbei: Lässest du mich traurig gehen wenn der Feind mich drängt? (Ps. 42, 10.)

 Was leidet der heilige Geist unter der Erfolglosigkeit seiner Arbeit! Die Kirche immer mehr aus der Faßbarkeit der Erscheinung und aus der überwältigenden Herrlichkeit, mit der sie einst ihre Freunde zur Bewunderung fortgerissen hatte, in die Unfaßlichkeit| eines Glaubensbegriffs verdrängt, Kirche ist nimmer Macht, sondern Begriff, nimmer lichte Tatsache, sondern undurchsichtiges Geheimnis vielleicht nur etwas Gewesenes, jetzt aber Unnützes! Das ist der Erfolg neunzehnhundertjähriger Arbeit! Die Christenheit in ihren Massen nicht nur kirchenfeindlich, sondern Gott abgewandt. Unter der Leitung des heil. Geistes – ich rede töricht – scheinen Laster emporzusprießen, welche die Heidenwelt mit Schrecken kannte und nannte. Das Salz scheint dumm und nur noch äußere Form und Farbe zu bewahren, das Licht brennt trübe nieder und der Herr der Kirche ist ferne weggezogen, ohne ihr sich wirksam zu bezeugen. Da drängt sich aus den Tiefen des Geistes der Seufzer durch: Komm! Ein Tag deiner Offenbarung würde Feinde niederwerfen, Freunde ermutigen, würde zerstören und verneuen. Wie der Angstruf des Verfolgten, wie das Sterbensröcheln eines Todmatten klingt dieses „Komm“!
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 Wenn aber der heilige Geist Neues schaffen und schenken will, weil er ein Geist der Fülle aus den göttlichen Tiefen holt, so bedrohen ihn falsche Freunde, denen Nachahmung höher steht, als Nachfolge und äußere Bewahrung mehr gilt als innerliche Verneuerung und bezichtigen den Geist Gottes der Untreue, den Geist der Geschichte der Leugnung seiner selbst. Von Freund und Feind verkannt, ohne Erfolg, als arbeitete er vergeblich (Jes. 49, 4) klagt der heilige Geist dem sein Leid, der ihm das seine so oft anvertraut hat. Ist diese Klage und Bitte ein Tun, ist sie ein göttliches Tun? Geliebte, jedes Wort des Geistes ist eine Tat, weil es sein ganzes Wesen ausdrückt und sein ganzes Werk herausfordert. Denn der heilige Geist gibt seinem Wort Nachdruck und fördert die Erfüllung seiner Bitte, indem er den Aufhalt aus dem Weg räumt und Bahn macht (Jes. 57, 14). Seit bald zwei Jahrtausenden müht er sich, Jesu entgegenzugehen, entgegenzuführen. Du hörest das Rauschen des Stromes, der aus der Ewigkeit durch die Zeit zur Ewigkeit fließt, du vernimmst das Brausen als eines gewaltigen Windes – bald deutlicher und näher, bald wie aus weiter Ferne! Das ist der heilige Geist, der durch die Zeiten ihrem Herrn entgegeneilt und mit sich fortträgt, die ihn wollen, die Tausende, die nach Jesu rufen. Wir trösten uns wahrlich nicht über den Abfall in der Heimat mit der Sehnsucht der Heidenwelt, halten den Gedanken an eine Weltbekehrung für unevangelisch und Christo ungemäß, der nur verheißen hat, daß der Heroldsruf von einer Frohbotschaft durch alle Welt gehen soll, – glauben nimmer an einen numerischen Gewinn, der dem| Zahlenverlust und in der alten Christenheit die Wage hielte, aber trotz aller Vereinigungen gegen die Mission, trotz aller Antimissionsligas, wie sie eben in Indien und China gegründet werden, halten wir dankbar daran fest, daß der heilige Geist in vielen Heidenvölkern und für sie ruft: Komm, Herr Jesu. Seine Missionstätigkeit ist oft eine unmittelbare, er weckt das Sehnen nach Erlösung, bereitet das Ackerfeld für die kommende Saat, läßt keinen Heiden aus der Welt ohne Sehnsucht scheiden. Ein Tun, ein göttliches Tun! Denn das ist göttlich, was von Gott kommt, Gott meint und zu ihm will. Geliebte Missionsfreunde, sprecht aus tiefem Herzen: Ich glaube an den heiligen Geist, der Verlangen nach Vollendung hat und hegt und weckt und pflegt, an den Missionsgeist, der Gottgesandte zu Gott bringen will, ich glaube, daß er sein Verlangen erfüllen, seine Arbeit und Vorhaben ausführen und Jesum beim Wort nehmen will, daß er sei der Erste und der Letzte, weil er der Lebendige ist. Wenn die Knospe zur Blüte drängt und die Blüte zur Frucht reift, wenn der Frühling den Herbst vordeutet, aber auch als seine Wahrheit fordert, dann glaube ich auch, daß der Gottes Geist Anfänge zum Sieg führen und den Ersehnten der Welt noch zeigen wird, der zweifelnden wie der verlangenden


2.
 Der Ruf ist auch ein bräutliches Tun. Der heilige Geist hat so verborgen, wie er selbst ist, eine Gemeinde sich bewahrt, der Christus aus persönlicher Erfahrung der Beste, Größte und Liebste geworden ist. Das Geheimnis dieser Gemeinde ist groß, sagt ein treuer Zeuge solcher Liebe. Christus hat die Gemeinde geliebt, sich erworben, ihr den Brautschatz mit pur lautrem Gold, das im Feuer bewährt und köstlich ist, gezahlt und sich mit ihr in Gericht und Gerechtigkeit verlobt (Hos. 2, 21, 22). Die Braut Jesu Christi hat es im Laufe der Jahrhunderte gelernt, stiller zu werden. War im Anfang ihrer Beziehungen zu Christo ihr Mund voll Lachens und ihre Zunge voll Rühmens und das Bild ihres Herrn und Königs der Schmach und der Schmerzen entkleidet, ganz übermenschlich und von wundersamer Herrlichkeit, weil sie seine Zukunft nahe sich dachte und die kurze Zeit der Trennung kaum mehr achtete, das „über ein Kleines“ von ihr allzuwörtlich genommen ward, so hat sie im Sonnenbrand des auf den Herrn wartenden Tages und seiner heißen Arbeit, in Kampf und Streit, im Weh der Enttäuschung und der Niederlagen, im Leid über| eigene und fremde Untreue, Gehorsam und Schweigen gelernt, die Liebe der Anfangszeit ist stiller geworden, aber darum nicht weniger innig, sie hat die lebhaft erregte Hoffnung zur lebendigen gewandelt. Aber auf der Stirne ruht nicht nur eine entstellende Wolke, sondern als ein sie adelnder Schmerz, das Heimweh. Mit Maria hat sie frühe am Morgen ihrer Geschichte, ihren Herrn zu suchen, sich aufgemacht und seinen Friedensgruß vernommen, seine Lebensnähe gespürt, geehrt, bezeugt. Nun es auf den Abend geht, sieht sie Steine auf sein Grab gewälzt, von Gewalt und Macht der Welt aufgetürmt und gewahrt das Siegel der Wissenschaft auf den Stein gedrückt: Dieser ist Gottes Sohn gewesen und ists nimmermehr. Und ob sie gleich oft das Fenster gen Jerusalem weit aufgemacht und in die dunkle Nacht, in den lichten Morgen hinausgespäht hat, ob ihr Heiland nicht komme, hat sie nur den höhnenden Ruf vernommen: „Dein Herr kommt noch lange nicht“ (Matth. 24, 48). – Man hat ihr aus dem Ring, den ihr Herr ihr verehrt hat, den edlen Stein brechen wollen, als sei er unnütz und unwert – und wollte ihr den schlichten Glauben nehmen, der überjahrt und veraltet sei und heißt sie die Erde bebauen und das Feld behaupten und mit Großen und Größen rechnen. Man hat sie über ihren Träumereien gescholten (1. Mos. 37, 19) und über ihre Ungewandtheit verlacht. Und es ist wahr, lutherisch sein heißt unweltläufig, ohne rechte Klugheit und Geschicktheit sein. Es ist wahr: die Braut Jesu Christi ist oft zu spät gekommen, wenn man die Welt aufteilte und vergab. Aber eine Welt voll Liebe und eine Welt zur Liebe ist ihr geblieben.
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 Die Braut spricht: Komm! Ihre innigen Glaubens- und Heimatslieder, ihre Bekenntnisse und Bekenntnisschriften, nicht tote Paragraphen und dumpfe, kalte Lehrgebäude, sondern Lebenstaten und Auen voll lieblicher Blumen, deren Duft und Kraft Sterbende tröstet und Matte aufrichtet, ihre Katechismen Betbücher, Kindern behältlich, Männern diensam, Werdenden lieb, Gereiften wie ein Gruß aus frohen Tagen, – wahrlich eine Welt voll Liebe! Denn aus allem spricht das Verlangen nach ihrem Herrn, mit dem sie sich verbunden weiß, den sie nicht überall nennt, um ihn nicht preiszugeben, aber allerorts und allezeit bekennt, um ihn nie zu verleugnen. O Geliebte, schämt euch eurer Kirche nicht, deren bräutliche Geweihtheit unter den Tränen der Buße und des Heimwehs wahrlich nicht leidet. Haltet sie nicht für unwert, weil sie die| Großen und Gewaltigen, die Einflußreichen und Pracht und Macht und Bedeutung nicht zur Seite hat. Seht ihre von Leid durchfurchteten Züge, ihre von ernster Arbeit gestählte Hand! Eure Kirche hat zwei Kräfte: die Welt kennt sie nicht, aber vor Gott sind sie angenehm und erhört: Buße heißt die eine, Glaube die andere. Am Ende werden diese Kräfte Siege bedeuten.
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 Und in all ihrem Leid ist die bräutliche Kirche nicht selbstsüchtig, von tatenlosem Mitleid mit sich hingenommen der Welt zur Last, dem Herrn zur Unehre. Sie hat eine Welt zur Liebe um sich – könnten wir sonst Missionsfeste feiern? Ohne der Not im eignen Hause zu vergessen und so den Glauben zu verleugnen, ja unterheidnisch zu werden (1. Tim. 5, 8) vielmehr voll ernsten Jammers über die Erschlagenen ihres Volks und ihnen mitzuteilen bereit, was ihr Herr an Liebe und Güte ihr anvertraut hat, geht sie seit zweihundert Jahren hinaus in die Heidenwelt, zu suchen, zu werben, zu locken und zu laden. Es ist ein bräutliches Tun, sein Leid zu vergessen, indem man andre mit Freude antut. In diesem Jahre gedenkt man der 75 jährigen Tätigkeit der Dresden-Leipziger Mission unter den Tamulen: Wermelskirch, den Löhe treffend den „Bischof Thüringens“ genannt hat, mit dem Ernst der im Kampfe gestählten Treue, Cordes, der 1841 zu Trankeber die Tamulenmission aufnahm, die Direktoren Graul und Hardeland, Geistesreichtum und Willensgröße wirksam vereint, die treuen Missionare Wilhelm Stählin, Andreas Mayr, Julius Döderlein, Kelber und Kahl – ich nenne nur wenige, uns nächststehende Namen, sind doch die andern alle im Himmel angeschrieben! – stehen vor uns da: was für ein Volk, was für ein’ edle Schar! Sie alle in Verschiedenheit der Gaben und Kräfte, im Dienst der bräutlich liebenden Kirche, den Heiden zugesandt, den Heiden zugewandt mit der Bitte: Komm, Herr Jesu. Und 25 Jahre Neuendettelsauer Mission in Neuguinea! Dem, wie er hofft, langjährigen getreuen Nachbarn sei es verstattet, dieser in der Furcht Gottes langsam ausreifenden Mission sonderlich zu gedenken. Wie hat der Herr das Werk, das sein großer Knecht Wilhelm Löhe mehr erbetet als geschaut, der sel. Johannes Deinzer im Glauben gewagt hat, gesegnet: Weltreisende und Weltgelehrte haben es gerühmt, den Missionaren hohe Preise und Ehren verheißen, daß das Wort in Erfüllung ginge (Offbg. 3. 8. 9) von der kleinen Kraft, die zum Worte hält, zu deren Füßen auch Widersacher anbeten sollen. Am 20. August 1899 wurden| die ersten Heiden in Simbang getauft, am 25. Januar 1897 ist Missionsinspektor Johannes Deinzer gestorben, dieser reichbegnadete, feinsinnige und gründliche Theologe und Kirchenmann. „Ihr braucht euch unser nicht zu schämen“ hat Löhe auf einem Nürnberger Missionsfeste einmal ausgerufen. Wir freuen uns der stillen Siege unsrer heimischen Missionsanstalt mit großer Freude: Siehe, also wird gesegnet der Mann, der den Herrn fürchtet! (Ps. 128, 4). – Missionstätigkeit ist nicht Kultivierung noch Zivilisierung noch Humanität, sie ist von allem etwas, keines ganz, und größer als jedes. Sie ist bräutliches Tun: die Heiden sollen den Himmel offen schauen und Jesum den Sohn Gottes „zur Rechten stehen sehen“, wie Chrysostomus sagt, den „Seinen entgegenzugehen bereit“, sie sollen den Ruf vernehmen: Ich habe dich bei deinen Namen gerufen: Du bist mein und auf den Altären, die sie dem großen Gott Unbekannt gebaut haben, sollen sie die Inschrift lesen: Der Herr ist König ewiglich, Jesus Christus, auch für dich hingegeben. Mission ist nicht Vielgeschäftigkeit zur Übertäubung des Heimwehs. Wo sie in weltliche Händel sich mengte, ward sie getroffen und geschlagen und wo sie ihren Schwerpunkt auf heimatliche Interessen verlegte, ist sie gedemütigt worden. Mission ist Stillgeschäftigkeit der Maria, der Jesus mit seinem Wort und Wesen das Herz verwundet hatte, daß sie die köstliche Narde nicht achtete, ihn zu ehren. Von diesem Geruch bleibt das Kirchenhaus bis ans Ende durchduftet. Mission wird auch in diesen bewegten Tagen da zu der großen „offenen Türe“ sich viele widerwärtige Gesellen (1. Kor. 16, 9): keinen andren Grund für ihr Tun kennen dürfen als sehnliche Liebe zu dem himmlischen Herrn, kein andres Mittel anwenden als werbende, weckende Liebe, die glaubt, ohne leichtgläubig, hofft, ohne leichtfertig, trägt, ohne leichtsinnig zu sein, kein anders Ziel wissen, als Heiden dem Bräutigam zuzuführen, daß sie nicht mit leeren Händen vor dem erscheine, der sie ihr gefüllt hat. Teure Missionsgemeinde, bete für die Kirche, daß sie ihr Pfund brauche, nütze, verzinse, bräutliches Tun erwecke, in Sehnsucht rufe: Schmecket und seht, wie freundlich der Herr ist.


3.
 Komm Herr Jesu, dieser Ruf ein göttliches und bräutliches Tun vereinender. – Wer es hört – sagt unser Text. Also wäre es möglich, den Ruf des heil. Geistes und das sehnliche Verlangen der Kirche zu überhören? Geliebte, Bernhard v. Clairveaux sagt einmal: Die Sprache der Liebe| klingt dem barbarisch, der nicht liebt und der weltliche Dichter weiß von einem Auge zu reden, das nie die Sonne erblickt, von einem Gemüte, das Göttliches nie entzückt. Wo das Organ für Ewiges erstirbt, da bleiben Hammerschläge aus der Ewigkeit ebenso tonlos als das ängstliche Seufzen der Kreatürlichkeit. Der Knecht Gottes rühmt den Herrn nach, daß er ihm alle Morgen das Ohr öffne, daß er höre wie ein Jünger. Wir haben weder Recht noch Pflicht, in die Heidenwelt hinauszugehen. Aber die Pflicht, das Seufzen zu hören, haben wir.

 Ihr Studierende der Theologie, teure junge Freunde, das tiefste Studium ist das Hören auf den Geist Gottes, der manchmal und mancherlei Weise redet, ist Versenkung in diese Rede trotz ihrer Unscheinbarkeit, ihre Deutung aus eigner Herzenskenntnis. Wer sie prüft, erlebt und erleidet, dem wird die heil. Schrift Ausdruck für unverstandenes Sehnen geben und Verständnis für fremdes Leiden, der Sympathie, ohne welches alle Theologie nichts bedeutet. Der sel. August Neander, der Kirchenvater des 19. Jahrhunderts hat das Wort geliebt: pectus quod facit theologum. Nicht Wissen allein tut es, sondern Wollen. Bittet, daß Gott euch das Herz für alles Leid des Lebens erschließe und das rechte Verständnis gebe. Kirche ist nicht ein leerer inhaltsloser Begriff, ein Schreckgespenst mit Satzungen und Ordnungen und Unordnungen. Kirche ist ein Zusammenschluß der homines desiderii, eine Gemeinschaft der zur Heimat Wollenden und für sie Werbenden. Wer das hört, dieses himmelanstürmende Flehen des Geistes, dieses Tage und Stunden zählende Verlangen der Kirche, der spreche nicht gelernte, gewohnte, geübte Worte, sondern der spreche mit der Jüngerzunge, die da mit den Müden zur rechten Zeit weiß zu reden (Jes. 50, 4) eben das, was Geist und Braut sprechen: Komm. Fehlt der Theologie der Ewigkeitsdrang, so gebricht es ihr auch an Ewigkeitsluft, daran wird sie geprüft, darin wird sie bewährt. Heimweh ist nicht weichliche weibische Gefühligkeit, nicht kulturfeindliche Weltfremdheit, nicht bildungsferne Einseitigkeit, sondern männliche Kraft und wahrer Fortschritt. Ein jeglicher, der solche Hoffnung hat, der reinigt sich, gleich wie auch er rein ist (1. Joh. 3, 3.)

 Geliebte Festgenossen. „Wer es hört“. Unsere Kirche kennt keine Geistlichen als höheren Orden, noch Laien als Minderkeit, sie will alle die Ihrigen von Gott gelehrt sein (Joh. 6, 45) lassen. So bittet sie heute durch einen ihrer Knechte: Höret, wie der heilige Geist nach Vollendung durch die Zeit ruft, vernehmt am Missionsfest die Klage der einsamen| Braut. Lasset euch nicht durch allerlei Neuheiten und durch Weltgetriebe und Weltsorge die Stimme übertäuben, die nach der Heimat verlangt, hört auf euer tiefstes Sehnen und ruft voll Teilnahme über die Grenzen von Stadt und Land, von Erde und Zeit: Komm, Herr Jesu. Ihr betet die zweite Bitte wohl vielmals. Ist das Gebet die Kraft, welche die Ferne der Heiden zu euch heran- und die Weite der Ewigkeit zu euch und ihnen herabzwingt? – Ihr gebt für die Mission, gebt ihr jeder Gabe den Wunsch mit: Laß sie nicht leer zurückkommen. Beten und Geben sei ein Tun, verhaltene Kraft, ausgestaltete Liebe. Vergeßt nicht: was nicht fördert, hält auf, was aber aufhält, das verschlimmert die Zeit. Wenn wir nicht mit Willen nach der Heimat trachten, sondern in Erdensorgen und Erdentreiben Zeit und Kraft vergeuden, wird nicht nur unser Bürgerrecht geringwertiger, sondern das Werk der Mission gehemmt und damit Jesu Kommen verzögert. Ob unser Volk dem furchtbaren Bann, der sterbende Nationen umfängt, noch entrinnen wird, ob es ein Christophorus bleiben und in dieser Mission, Christum über Land und Meer zu tragen, erstarken wird? Edle Volksfreundschaft wäre es, sich, vor der Welt für die Welt bewahren, durch Heiligung heilen!
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 Der Herr, dem Sehnsucht und Arbeit sich zuwenden, spricht am Schlusse des im Heimweh und im Heimatsfrieden zumal geschriebenen Buches, am Schlusse auch dieser Betrachtung: Ja, Ich komme bald. Der treue und wahrhaftige Zeuge, der sich selbst das ewige, das einzige Amen nennt, schreitet machtvoll durch die Zeiten, Anfänge zu schenken, Fortschritte zu pflegen, Vollendung zu geben. Er hat das 19. Jahrhundert, das Jahrhundert der eilenden Gnade mit Gütern geschmückt, deren reichste Vereinigung wohl nie ein Jahrhundert der Kirchengeschichte so geschaut hat. Zu tiefgründiger Schrifterkenntnis, zur Erschließung seiner Reichsgeheimnisse im Werden, Wirken und Wesen gab Er praktische weltmächtige und Welt überwindende Werke der inneren und äußeren Mission, er lehrte einen Nägelsbach das Sehnen der Heidenwelt („homerische und nachhomerische Theologie“) verstehen und erklären, einen Hofmann den großen Gang des Gotteswortes in seiner Geschichte des Gottesreiches sehen und aufzeigen. Ein Thomasius hat die Lehre der Kirche liebend erforscht, ihr Leben ein Harleß bezeugt und vertieft. Und zu den Männern erleuchteten Wissens trat der Mann, in dem innere und äußere Mission Leben und Liebe verkörperten, der Mann des Heimwehs und der Held des Augenblicks| Löhe. Sie alle von dem einen Nürnberg ausgegangen, beschließen in sich eine Welt, reich und groß genug, ein Jahrhundert zu bestimmen. Sollte nicht der Herr, der in enge Zeit und auf kleinen Raum solche Gaben und Gnaden brachte, sein „schnell“ und „bald“ in wenige Jahre einschränken und was Jahrhunderte vergeblich erhofft haben, dem zwanzigsten Jahrhundert schenken, seine Zukunft, seine persönliche Parteinahme für seine Gemeinde und sein Wort gegen Gebildete und Ungebildete unter ihren Verächtern!

 Der Prophet sagt einmal: Die Weissagung wird endlich frei an den Tag kommen und nicht ausbleiben. (Habak. 2, 3). Jedes Missionsfest führt auf hohe Warte zur Umschau und Ausschau: Hüter, wie weit ist es in der Zeit des Wartens? Der getreue Herr wird kommen, wenn Völker fallen, Geschichtsreihen versinken, die Heidenwelt der Lockruf der Gnade durcheilt und sein Volk Israel ihn erfaßt haben wird. Über brechenden Jahrtausenden, sinkenden Welten und fallenden Weltanschauungen wird eine Gemeinde ihm entgegenrufen: Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!

 Dann wird der heilige Geist, der Schöpfer und ewige Baumeister, den rechten reinen Frühling, da man säet und erntet zumal, heraufführen und die Kirche als einen heiligen Gottesbau in vollendeter Schönheit darstellen, dann wird die bräutliche Gemeinde ihres Herrn froh und die gläubige Seele im Schauen getröstet werden. Wer dann Lobgesang hören wird, der wird, was kein Auge geschaut, kein Ohr gehört hat, mit Freuden als bleibendes Erbteil bewahren. Mit der Erfüllung des Herrnwortes ist jedwede Mission erfüllt: das „Gehet hin in alle Welt“ ist zu dem „Kommet her, ihr Gesegneten“ geworden.

 „In meinem Herzen herrscht allein und soll herrschen dieser einzige Artikel, Jesus Christus, welcher aller meiner geistlichen und göttlichen Gedanken, so ich immer bei Tag und Nacht haben mag, der einige Anfang, Mitte und Ende ist.“ Dieses Halleluja Luthers soll dann unser ewiger Preis und unser Halleluja sein. Amen.