RE:Fritillus

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Würfelbecher
Band VII,1 (1910) S. 108110
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Fritillus, der Würfelbecher; Senec. apocol. 14, 4. 15, 1. Martial. IV 14, 8. V 84, 3. XI 6, 2. XIII 1, 7. XIV 1, 2. Iuv. 14, 5 (mit Schol.). Sidon. ep. II 9. Der Name wird abgeleitet von fritinnio und soll das Geräusch bezeichnen, das in der Tat häufig in den meisten der oben zitierten Stellen erwähnt wird. Daß F. nichts anderes ist als ein einfacher Würfelbecher, zeigt besonders deutlich Seneca a. O. und Porphyrio zu Hor. sat. II 7, 15: ... quod nos fritillum dicimus, in quo coniectae tesserae agitataeque mittuntur, ferner die bildlichen Darstellungen in pompeianischen Wandgemälden, Helbig Wandgem. 1504. Sogliano Pitt. mur. 657, 3, abgeb. bei Presuhn Pompeji 1874–78, Abt. V Taf. 7. Nach diesen Bildern mochte ein solcher F. etwa 0,10 m hoch sein. Als Material wird Schol. Iuv. 14, 5 Horn angegeben und gesagt, man habe sich in alter Zeit eines Hornes bedient. Ein bei Rom (nicht in den Katakomben) gefundener F. ist abgebildet bei Boldetti Osservazioni sopra i cimiteri dei ss. martiri p. 447 (danach Daremberg-Saglio Dict. d. Ant. II 1341. Martigny Dict. d. ant. chrét. s. jeu. Kraus Real-Enc. d. christl. Altert. II 774), ohne Angabe über Größe und Material und ob die darin gezeichneten zwei Würfel wirklich da gefunden oder nur zur Erläuterung hinzugesetzt sind. Er hat im Inneren drei vorspringende Ringe, die gewissermaßen den Stufen des Pyrgus (s. u.) entsprechen. In Pompeii werden oft kleine tönerne Becher gefunden, die man dort nicht ohne Wahrscheinlichkeit für F. hält.

Mit Unrecht hat man mit dem F. den Pyrgus identifiziert. Wesentlich richtig schon Salmasius Exerc. Plin. 50 b AB. Der Pyrgus ist eine auf der Spieltafel stehende, vielleicht befestigte Vorrichtung in Form eines kleinen Turmes; in diesen werden die Würfel oben hineingeworfen; sie rollen in ihm über mehrere Stufen hinab, um noch oberhalb des Alveus aus einer seitlichen Öffnung hervorzutreten und über eine dieser Öffnung vorgelegte Treppe oder schiefe Ebene auf den Alveus herabzurollen. Dies ist vollkommen deutlich in dem Dezemberbilde des Calendariums des Chronographen von 354 (Strzygowski Calenderbilder des Chron. v. 354, 80 Taf. 32; ungenau Lambecius Notae in calendarium vetus, in Graevii Thes. VIII 102), wo das pyramidenförmige Dach als Deckel zu verstehen ist, der vor dem Gebrauch entfernt wird. Ferner das Epigramm der Anthol. Lat., Baehrens PLM IV nr. 373: in parte alveoli pyrgus velut urna resedit, qui vomit internis tesserulas gradibus; dazu Auson. prof. 1, 27. Sidon. ep. VIII 12, 5, auch Sidon. ep. V 17, 6 tesseras ceperat quatiebatque, quo velut classico ad pyrgum vocabat aleatores. Die älteste Erwähnung ist Martial. XIV 16: die turricula soll Betrug unmöglich machen; per me ist lokal zu verstehen. Es ist also wohl eine jüngere Erfindung. Vollkommen verständlich ist auch [109] Agathias Anth. Pal. IX 482, 23: τριχθαδίας ἀδόκητα βαλὼν ψηφῖδας ἀπ' ἠθμοῦ Πύργου δουρατέου κλίμακι κευθομένῃ: er warf die Würfel aus dem ἠθμός auf die im Pyrgos verborgene Treppe. In diesem Epigramm ist offenbar ἠθμός ein Gerät, aus dem oder durch das man die Würfel in den Pyrgos warf. Man könnte auch hier an einen Becher denken; doch führt der sonstige Gebrauch des Wortes auf eine andere Vorstellung. Es bedeutet nie ein Gefäß, sondern einen Trichter, ein Filtriernetz, auch trichterförmige Fischreusen (Arist. hist. an. IV 8). Ferner Hesych. σχοίνινος ἠθμός, δι' οὖ τὰς ψήφους οἱ δικασταὶ εἰς τὰς ὑδρίας καθιᾶσιν (Kratin. frg. 132 K.): also offenbar eine Art Trichter, der auf die Stimmurne gesetzt wurde, um das Einwerfen zu erleichtern. So wird also auch beim Würfelspiel der ἠθμός eine Art Trichter sein, durch den man die Würfel in den Pyrgos warf.

Ferner wird als Würfelgerät genannt φιμός, Aeschin. I 59 m. Schol. Diphilus frg. 76 K., phimus Hor. sat. II 7, 15. Poll. VII 203. X 150. Etym. M. 795, 19. Bekker Anecd. 314, 3. Er ist schon im Altertum mit dem F. identifiziert worden (Ps.-Acro und Porph. Hor. sat. II 7, 15. Schol. Iuv. 14, 5), aber schwerlich mit Recht. Das Wort bezeichnet auch den Maulkorb der Pferde, und man hat aus dieser Bedeutung die eines Würfelbechers ableiten wollen. Doch ist die Ähnlichkeit beider Gegenstände nicht überzeugend. Φιμός wird erklärt durch κημός: Schol. Aeschin. und Etym. M. a. O. Suid. s. φιμοί. Κημοί als Würfelgerät auch Poll. a. O. Dies aber ist synonym mit ἠθμός: es bedeutet die trichterförmige Fischreuse und den trichterförmigen Aufsatz auf die Stimmurne. Poll. VIII 17: κημὸς δὲ δι' οὖ κατῄεσαν αἱ ψῆφοι ἐπικείμενου τῷ καδίσκῳ. Schol. Aesch. a. O. Aristoph. Equ. 1147 m. Schol. Hesych und Phot. s. κημός. Dazu kommt, daß, wo vom φιμός = κημός als Würfelgerät die Rede ist, nur das Hineinwerfen erwähnt wird, Schol. Aesch. und Etym. M. a. O. (εἰς ὃν ἐνεβάλλοντο), besonders beweisend Hor. sat. II 7, 15: der Gichtleidende mietet sich einen, der ihm die Würfel aufhebt und in den Phimus tut; wäre es ein Würfelbecher, so müßte das Schütteln und Auswerfen erwähnt sein: denn wer das kann, der kann auch die Würfel aufheben und einwerfen. Aus alle dem ergibt sich, daß der Phimus etwas dem ἠθμός Ähnliches ist. Zweifelhaft bleibt, ob zum Gebrauch desselben auch ein Pyrgus gehört oder ob die Würfel aus dem Trichter direkt auf die Tafel fielen, der Phimus demnach dasselbe leistete wie der Pyrgus und nur eine andere Form desselben war. Für letzteres spricht Schol. Aeschin. I 59: φιμοὺς ... σημαίνει ... ἃ νῦν καλοῦσιν οἱ κυβευταὶ πυργία.

Ähnlich steht es mit κηθίς, κήθιον, κηθίδιον, κηθάριον, Poll. VII 203. X 150. Diese werden als Würfelbecher erklärt: κηθάριον Schol. Arist. Vesp. 674, wo gesagt wird, daß diese ὀξύβαφα geflochten waren, κήθιον Hermippos bei Schol. Aristoph. a. O. Phot. s. v. und s. κημός. Auch Athen. XI 477 D scheint es so zu verstehen. Da aber auch κηθάριον wie ἠθμός und κημός den trichterförmigen Aufsatz der Stimmurne bezeichnet, Aristoph. Vesp. 674 m. Schol., so kann vermutet werden, daß es wie jene Wörter auch beim [110] Würfelspiel eine ähnliche trichterartige Vorrichtung bezeichnete und obige Angaben auf Mißverständnis oder auf späterem Bedeutungswandel beruhen. Eine Spur eines solchen Mißverständnisses ist vielleicht die Angabe Phot. s. κήθιον, daß es πλεκτόν τι σύστομον war (vgl. auch Schol. Cruq. Hor. a. O.), denn eine enge Öffnung eines Würfelbechers ist wenig wahrscheinlich, ist auch an dem Exemplar aus den Katakomben und in den pompeianischen Abbildungen (s. o.) nicht vorhanden, dagegen wohl verständlich als untere Öffnung des Trichters. Auch daß dieser Becher aus Flechtwerk bestanden haben soll (Phot. a. O. Schol. Aristoph. Vesp. 674), ist nicht recht glaublich; dagegen war der ἠθμός geflochten: σχοίνινος ἠθμός Hesych., πλέγμα Schol. Aristoph. a. O., πεπλεγμένον πῶμα Hesych. s. κημός. Es könnte also jene Angabe aus einer auf κήθιον = ἠθμός bezüglichen Nachricht entstanden sein. Nach Hermippos a. O. – καὶ πρὸς κύβους ἕστηκ' ἔχων τὸ κήθιον – war es aber nicht ein auf der Tafel befestigter Turm, sondern wurde vom Spieler in der Hand gehalten.

[Mau. ]