RE:Hermippos 6

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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der Kallimacheer aus Smyrna, Biograph geb. etwa 289 v. Chr.
Band VIII,1 (1912) S. 845 (IA)–852 (IA)
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6) Hermippos, der Kallimacheer, Biograph. ὁ Καλλιμάχειος verschiedentlich genannt von Athenaios, so 58f. 213f. Derselbe Athenaios bezeichnet 327 b. c als seine Heimat Smyrna. Für seine Zeitbestimmung läßt sich verwerten eben das Epitheton Καλλιμάχειος, wonach er ein Schüler des großen Alexandriners war, und dann der Umstand, daß er über die τελευτή des Chrysipp (gestorben 208/5) schrieb, Diog. Laert. VII 184. Die nähere Zeitbestimmung, die Preller 160f. mit Bezug auf Etym. M. s. Ἀπάμεια zu geben versuchte, ist hinfällig, da an dieser Stelle der Berytier H. zitiert ist (Susemihl I 492, 9. Müller zu frg. 72). Als Peripatetiker erscheint H. bei Hieronymus de Script eccles. 1, der hier auf Sueton fußt, und im Catalogus Vaticanus astronomischer Autoren (bei Maaß Aratea 121). Man hat diesen Namen verdächtigt, speziell mit dem Hinweise darauf, daß H. als Peripatetiker bei der Feindschaft zwischen Peripatos und Isokrates’ Schülern nicht so genau, wie Dionys. Hal. de Isaeo 1 es bezeugt, über die Isokratiker geschrieben haben würde (so Preller 161ff.). Diese Beweisführung ist falsch. Der Name Peripatetiker [846] bezeichnet für diese Zeit nichts weiter als einen literarhistorischen und biographischen Schriftsteller (Leo 118. Gercke-Norden Einl. in d. Altertumsw. II 363. 373) und paßt somit gut auf H. Speziell die in Alexandria lebenden Biographen führen ihn (Leo a. O.); Satyros, der nächste Geistesverwandte H.s, erscheint bei Athenaios 541 c und 248 d unter diesem Namen.

Der schriftstellerische Ruhm des H. gründete sich auf ein großes biographisches Werk. Sein Titel scheint βίοι gewesen zu sein; wenigstens wird in den sicher echten Fragmenten, wenn das Ganze gemeint ist, nur ἐν βίοις zitiert (Diog. I 33. ΙΙ 13. V 2). Auf Grund der Zitate haben die Einteilung des Werkes zu rekonstruieren versucht: Preller 168ff. und Nietzsche Rh. Mus. XXIV 189, 2. Es geht dabei nicht ohne Gewaltsamkeiten ab. Insbesondere wird die Hypothese Prellers, ein Hauptabschnitt, und zwar der 2., habe den Titel περὶ τῶν ἐν παιδείᾳ διαλαμψάντων gehabt, durch nichts gerechtfertigt (vgl. Susemihl I 492, 9). Die βίοι mehrerer, in irgendwelcher Beziehung zueinander stehender Männer scheinen verschiedentlich unter einem Titel vereinigt gewesen zu sein. So wird zitiert: περὶ τῶν νομοθετῶν (bei Athen. 619 b ein 6. Buch), περὶ τῶν ἑπτὰ σοφῶν (bei Diog. VIII 88 ein 4. Buch. Über H.s Behandlung der 7 Weisen vgl. Bohren De septem sap., Diss. Bonn 1867, 11ff. 32. Bemerkenswert ist die Sucht H.s, die Weisheit der Sieben aus dem Orient herzuleiten, worin ihm schon Duris von Samos vorangegangen war: s. o. Bd. V S. 1856 Schwartz), περὶ τῶν Ἰσοκράτους μαθητῶν (bei Athen. 342 c ein 3. Buch. Allerdings hat die Vermutung Prellers 174, wonach die zitierten Bücher 2 und 3 περὶ τῶν Ἰσοκρ. μαθητῶν die einzigen gewesen und eigentlich das 2. und 3. περὶ Ἱσοκράτους seien, eine gewisse Wahrscheinlichkeit), περὶ μάγων (bei Diog. I 8 ein 1. Buch; vgl. ferner Plin. n. h. XXX 2. Arnob. I 52. Athen. 478 a. Dieses Werk wurde dem Kallimacheer abgesprochen von Preller 175, hauptsächlich wegen der Pliniusstelle, wonach H. Kataloge der Schriften Zoroasters anfertigte und diesen eine ungeheure Zeilenzahl zuschrieb. Aber gerade jene Stelle zeigt, daß die Bücher περὶ μάγων durchaus nicht aus dem Rahmen der Hermippeischen Schriftstellerei, die stark pinakographischen Charakter hat, herausfallen, vgl. Susemihl I 493, 11. Diels Doxographi 151 findet in der merkwürdigen Beschäftigung des H. mit solchen Schriften einen angeborenen Hang zum Aberglauben und erklärt hieraus seine sonstige Leichtgläubigkeit, eine Vermutung, der v. Wilamowitz Philol. Untersuch. III 159 beitritt. Es ist natürlich eine andere Frage, ob dem H. wirklich griechische Übersetzungen persischer Religionsbücher in solchem Umfange vorlagen, oder ob es sich um griechische Fälschungen handelt; vgl. Susemihl a. O. Droysen Hellenism. III² 1, 50, 2), περὶ τῶν ἀπὸ φιλοσοφίας εἰς δυναστείας μεταστάντων (so bei Philodem, Ind. Stoicor. coL XVI = Comparetti Riv. filol. III 489; dagegen bei Philodem. Ind. Academicor, col. XI 4.... εἰς τυραννίδ⟩ας καὶ δυναστε⟨ίας μεθεσ⟩τηκότωνmit der Ergänzung von Bücheler, die in der neuen Ausgabe des Ind. Acad. von Mekler nach Diels Berl. Klassikert. [847] I S. XXXVIII 2 nicht hätte durch ἀριστείας statt τυραννίδας ersetzt werden sollen. Andererseits lautete der Titel nicht, wie Bücheler ergänzt: βίοι τῶν. . sondern περὶ τῶν ..; vgl. Comparetti a. O. Dieses Werk handelte vielleicht vorzugsweise über Hermeias, vgl. Diels a. O. S. XXXVIII).

Die meisten Zitate nennen Einzelbiographien: περὶ Πυθαγόρου (Joseph. c. Apion. I 22; das 2. Buch, angeführt bei Diog. VIII 10, scheint über die Schüler des Pythagoras gehandelt zu haben). περὶ Ἀριστοτέλους (ein 1. Buch bei Athen. 589 c. 696f,, ein 2. bei Didymos, Demostheneskomm. VI 51. Dieses neue Fragment beweist, daß Preller 174 und Susemihl I 492, 9 im Irrtum waren, wenn sie annahmen, das 2. Buch habe über Aristoteles’ Schüler gehandelt; denn obige Stelle berichtet von Hermeias, der natürlich bei der Schilderung von Aristoteles’ Leben selbst erwähnt wurde), περὶ Θεοφράστου (Diog. II 55). Das sind die einzigen Philosophenviten, die angeführt werden. Doch finden sich unter H.s Namen Notizen über die meisten bekannten Philosophen, und diese werden in der Regel auf besondere βίοι zurückgehen. So wird H. zitiert für das Leben der Pythagoreer Philolaos und Diodoros (frg. 25. 26), für Empedokles, Heraklit, Demokrit, Zenon, Anaxagoras, Sokrates, Platon, Arkesilaos, Alexinos, Menedemos, Stilpon, Antisthenes, Menipp und Epikur (frg. 27–40), für Lykon, Herakleides Pontikos, Kallisthenes, Demetrios von Phaleron,: Chrysipp und Persaios (frg. 47–52).

Zitiert werden dann βίοι von ῥήτορες: περὶ Γοργίου (Athen. 505 d), περὶ Ἰσοκράτους (Athen. 592 d. Argument, in Isocr. 2) und, wie oben erwähnt, περὶ τῶν Ἰσοκράτους μαθητῶν. Letzterer Abschnitt enthielt vielleicht die βίοι von Isaios (vgl. Harpokrat. s. Ἰσαῖος), Hypereides (vgl. Athen. 342c), Demosthenes (vgl. Plutarch. Dem. 5) u. a.

Von Dichterviten ist nur eine zitiert, nämlich ein βίος Ἱππώνακτος bei Athen. 327c, wo H. das' sonst nicht vorkommende Distinktiv ὁ Σμυρναῖος hat. Doch darf man deshalb nicht mit Preller 174 an der Identität des Kallimacheers und des Smyrnäers zweifeln. Es ist an und für sich sehr wahrscheinlich, daß H. in seinem großen Werke auch Dichter berücksichtigt hat, wie ja auch Satyros über Dichter, Philosophen und Redner schrieb (vgl. seine Fragm. in FHG III 159–166). Zudem haben wir noch eine Notiz des H. über Euripides (vita Eurip. bei Westermann Biogr. 138 = frg. 73 b), die doch auch wohl aus einer Euripides-Vita stammte; und ferner werden wir einen βίος Ἱππώνακτος am liebsten einem Manne der alexandrinischen Zeit zuschreiben, wo Herondas (vgl. mim. VIII 78 Crusius) die Iambographie des Hipponax nachahmte, und keinem Späteren. Es standen nun aber die Viten des Hipponax und Euripides jedenfalls nicht isoliert da; sondern H. wird sicher auch eine Reihe anderer Dichter behandelt haben, ein Beweis mehr, wie wenig wir in der Lage sind, uns ein Bild vom ursprünglichen Plane des Werkes zu machen.

Als Biograph erscheint H. in einem großen literarhistorischen Zusammenhange (vgl. besonders Leo 118ff.). Im Gegensatz zu den peripatetischen Biographen, zu Aristoxenos, Chamaileon u. a. ist er neben Satyros der Hauptvertreter der alexandrinischen Vitenschriftstellerei. Diese stützt sich [848] zwar auf die vorhergehende Generation, aber sie unterscheidet sich wesentlich von ihr durch Ausbildung einer wissenschaftlichen Methode. Es ist eine naive Freude am Sammeln und Zusammentragen, die wir bei diesen Leuten wahrnehmen; von den ungeheuern Schätzen der alexandrinischen Bibliothek werden mit Vorliebe die obskursten und entlegensten hervorgezogen und weitergegeben. Es entsteht ein gewaltiger Notizenkram, bei jeder Stelle werden die autores vermerkt, ein Verfahren, das seine Parallele findet in der zeitgenössischen Poesie, die ja auch stets ihre Gewährsmänner nennt. So sind die Quellen, aus denen H. seine Weisheit geschöpft haben will, oft sehr entlegener Natur. Für uns vollständig dunkle Historiker wie Euanthes von Samos (frg. 11) und Pappos (frg. 62; vgl. Leo 126), die Megarenser Hereas und Dieuchides (v. Wilamowitz Homer. Untersuch. 239ff.), den Periegeten Diodor von Athen (Diels Berl. Klassikert. I S. XL), das Pamphlet κατὰ τῶν σοφιστῶν des Euandros (Argum. ad Isocr. 2) benutzt er; ἀδέσποτα ὑπομνήματα (frg. 60, nach Diels a. O. = Demosthenesscholien, die es dann allerdings schon im 3. Jhdt. gegeben hätte), liefern ihm das Material für die Demosthenesbiographie. Zitate aus solchen Autoren bei H. für Fiktion zu halten, hieße seinen Spür- und Sammeleifer verkennen. Sehr viel bedenklicher aber ist es, wenn H. sich auf mündliche Berichte beruft, und das hat er nach den Fragmenten mit Vorliebe getan (frg. 10. 44. 49). Er will dadurch den Anschein erwecken, als ob er besondere Kunde besäße, eine Manier, die wir ebenfalls schon bei Duris von Samos finden, der als Nachkomme des Alkibiades ganz besonders gut unterrichtet zu sein vorgibt (s. o. Bd. V S. 1854 Schwartz). Es ist sodann ein Charakteristikum der alexandrinischen Biographen, daß sie, wo direkte schriftliche oder mündliche Quellen fehlen, zur Textinterpretation ihre Zuflucht nehmen (Leo 132). Dieser Methode huldigt H., wenn er Thukydides zum Geschlecht der Peisistratiden rechnet, weil er in seinem Geschichtswerk nicht in den üblichen Lobgesang auf Harmodios und Aristogeiton einstimmt (frg. 54 = Markellinos vita Thucyd. 29. v. Wilamowitz Hermes XII 339), er huldigt ihr aber auch speziell dadurch, daß er, wie es scheint, zuerst in größerem Maße (Diels a. O. S. XL 2) die Anspielungen der Komödie auf literarische Berühmtheiten verwertet hat. So scheint der Komödienklatsch durch H. in die Biographie des Euripides gekommen zu sein (Christ-Schmid Gr. Lit.-Gesch. I⁵ 329), und auch die Pythagoraslegende, an deren Ausbildung H. in hervorragender Weise beteiligt war, hat manche Züge aus den Lustspielwitzen übernommen (Christ-Schmid a. O. 585, 7. Rohde Rh. Mus. XXVI 562). Von zeitgenössischen Autoren kommt als Quelle für H. vielleicht Antigonos von Karystos in Betracht, so im βίος des Menedemos (vgl. Crönert Colotes und Menedemos 27. v. Wilamowitz Antig. v. Kar. 127 äußert sich dagegen reserviert). Von besonderer Bedeutung wurden ferner für die alexandrinische Biographik und speziell für H. die chronologischen Studien des Kallimachos, die er in seinen πίνακες niederlegte. Es ist eine sehr bestechende Vermutung, daß die Schüler des [849] Kallimachos an den Vorarbeiten für die πίνακες beteiligt waren und daß sie das chronologische Material, welches sie hierbei zu Tage förderten, auch in ihren biographischen Arbeiten verwerteten (Diels a. O. S. XXXVII). Wenn H. das Lebensalter angab (frg. 34), wenn er Datierungen von Werken versuchte (frg. 56. Argum. ad Isocr. 2), so sehen wir den Zusammenhang. Und dann deuten ja auch schon die Titel περὶ Ἰσοκράτους, περὶ Ἰσοκράτους μαθητῶν an, daß er die Zeitfolge beobachtete. Wir sehen bei ihm Ansätze zur διαδοχή, welches γένος die Folgezeit erst recht kultivierte. Bei Isaios beschränkte er sich auf die Angabe der Schulfolge (frg. 57. 58. Leo 125), den Archias rechnete er unter die Schüler des Rhetors Lakritos (frg. 70), und einmal ist er sogar in der Lage, eine die διαδοχή betreffende Notiz des Kallimachos zu korrigieren (frg. 46; vgl. auch frg. 41. 60. 61). Als direkter Fortsetzer aber und Ergänzer der Kallimacheischen Pinakographie erscheint H. durch sein Verzeichnis der Peripatetikerschriften. Sicher ist, daß der Katalog der Werke Theophrasts bei Diog. V 42–50 auf H. zurückgeht (Usener Analecta Theophrastea, Bonn 1858, 1ff.). Denn einmal wird in einer Subscriptio am Schlusse des 7. Buches von περὶ φυτῶν ἱστορίας, die sich im Codex Urbinas befindet, H., als Quelle für eine Variante des Titels dieses Werkes zitiert (Usener a. O. 23), und weiter heißt es in der Subscriptio hinter dem Bruchstück von Theophrasts Metaphysik (herausgeg. von Usener Bonner Index lect W. S. 1890–91, 1–12), daß H. dieses Buch nicht erwähne ἐν τῇ ἀναγραφῇ τῶν Θεοφράστου βιβλίων. Nun aber hat Usener Anal. 14ff. es wahrscheinlich gemacht, daß der Theophrastkatalog bei Diogenes in näherer Beziehung zur alexandrinischen Bibliothek stand, indem der 1. Teil den ursprünglichen Besitz der Bibliothek an Theophrastischen Werken, die 3 folgenden die späteren Neuerwerbungen uns vor Augen führen. Alles das deutet darauf hin, daß der Katalog des Diogenes auf H. zurückgeht, und da H. περὶ Θεοφράστου geschrieben hat, so wird er in diesem Werke den Katalog verfaßt haben. Über Fehler in der Angabe der Bücherzahl einzelner Theophrastischer Schriften im Verzeichnis des Diogenes, die gewiß schon auf Konto des H. zu setzen sind, vgl. Gercke Einl. i. d. Alt-W. I 19. Nicht mit derselben Sicherheit, aber doch mit großer Wahrscheinlichkeit hat man sodann die πίνακες der Aristotelesschriften bei Diog. V 22–27 und beim Anonymus Menagianus auf H. zurückgeführt, so Heitz Die verlorenen Schriften des Arist., Leipzig 1865, 46ff. Auch sie werden im βίος des Aristoteles gestanden haben. Wenn man aber auch die Schriftenverzeichnisse der übrigen Peripatetiker bei Diogenes, das des Straton V 58–60, des Demetrios V 80–82, des Herakleides V 86–88 als Hermippisch bezeichnet, so ist das nur ein Analogieschluß, der freilich ebenso berechtigt ist, wie wenn man auf Grund von Diog. V 64, wonach Ariston das Testament des Straton überlieferte, auf ihn auch die Testamente der übrigen Peripatetiker zurückführt (s. o. Bd. II S. 953f. Gercke). Übrigens kann man sogar aus Athenaios 589 c, wo H. für die Sorge des Aristoteles um Herpyllis in seinem Testamente zitiert wird, die Möglichkeit entnehmen, [850] daß H. in der Überlieferung der Peripatetikertestamente ein Mittelglied zwischen Ariston und Diogenes sei; so Susemihl I 494, 12. Nietzsche Rh. Mus. XXIV 208f. Sollte das alles zutreffen, so wäre zu fragen, ob nicht alle Peripatetiker-βίοι im 5. Buche des Diogenes überhaupt auf H. zurückgingen (vgl. v. Wilamowitz Antig. v. Kar. 78).

Einflüsse verschiedenster Art sehen wir so bei H. sich kreuzen, eminent wissenschaftliche und ganz abstruse; aber man merkt, bei letzteren ist sein Herz. Wie er mit Vorliebe unkritische Gewährsmänner sich holt, so ist er in seinen eigenen Leistungen durchaus pseudowissenschaftlich und kurios. So wird er zum Hauptvertreter jener kritiklosen Hypomnematik, deren Spuren sich durch das ganze spätere Altertum nachweisen lassen. Doxographische Angaben, im allgemeinen ein ,stehendes κεφάλαιον der Philosophenbiographie‘ (s. o. Bd. V S. 762 Schwartz), finden sich kaum bei ihm; statt dessen bringt er anekdotenhafte Aussprüche der Philosophen (frg. 10. 12. 13. 19. 53), die deutlich zeigen, daß H. an den Geschichtserfindungen über Philosophenleben, die im 3. Jhdt. blühten (vgl. Crönert Colotes 43), einen hervorragenden Anteil hatte. Verschiedene dieser Apophthegmen sind nicht von ihm erfunden; aber er legt sie willkürlich anderen Personen in den Mund (vgl. frg. 12. 13, auch 63 mit der Bemerkung von Müller). Auch sonst gewahren wir bei H. eine Masse von Anekdoten, die sich oft so ähnlich sind (Crönert a. O. 3), daß man wirklich von einer ,Typik seiner Anekdoten‘ sprechen kann (Christ-Schmid Gr. Lit.-Gesch. II⁵ 62, 8). Er weiß stets von Liebschaften und sonstigen Extravaganzen großer Männer zu berichten (frg. 42. 47. 55. 59; vgl. Körtge Dissert. Hal. XIV 274f.); den Philosophen hängt er gern eine für ihren Beruf wenig passende Nebenbeschäftigung an (frg. 39, ferner Diog. VII 13 mit der Bemerkung von Crönert a. O. 2, 5); mit Vorliebe erscheint bei ihm die ἀθυμία als Todesursache (frg. 36. 39 und Crönert a. O. 2. 3). Überhaupt hatte er ein auffallendes Interesse für die Todesarten berühmter Männer. Sein Vorgänger war in dieser Beziehung Neanthes (vgl. dessen frg. 9. 11. 22 in FHG III 2ff. Leo 113); aber H. treibt die Sache weit toller. (Eine Zusammenstellung der von H. überlieferten τελευταί bei Körtge a. O 273f.). Er schöpft auch hier wieder aus den bekannten Trugquellen, besonders den Komödienscherzen; auch setzte er wohl getrost bei namenlos überlieferten Anekdoten und Novellen den Namen irgend eines Philosophen oder einer sonstigen Größe ein (vgl. Lehrs Populäre Aufsätze 385ff. Gercke-Norden Einl. I 407f. So scheint H. für fast alle von ihm behandelten Personen eine merkwürdige Todesart gehabt zu haben, und man wird an manchen Stellen, wo ein absonderlicher Ausgang irgend einer Berühmtheit überliefert wird, seine Methode, auch wenn sein Name nicht genannt ist, leicht wiedererkennen (vgl. v. Wilamowitz Antig v. Kar. 47). Interessant ist die Überliefernng dieser Hermippischen τελευταί. Abgesehen von Plutarch. Demosth. 30 und vit. X orat. 849 C (frg. 62 und 65) und Didymos Demosth. Komm. VI 51 finden sich alle diese Fragmente bei Diogenes. Die beiden Plutarchstellen unterscheiden sich wesentlich von den Diogenesfragmenten; dort [851] sehr ausführliche Darstellung, hier in der Regel eine knappe Notiz. So liegt die Vermutung nahe, daß Diogenes für sein grosses Werk Exzerpte über die Todesarten aus H. benutzt hat. Diese Exzerpte kann er natürlich selbst gemacht haben, und wenn das zutrifft, wird er es wohl schon für seine Pammetros, die über die Todesarten handelte, getan haben (so v. Wilamowitz Philol. Unters. III 159); sie können ihm aber auch schon in der Form einer Epitome vorgelegen haben (vgl. Leo 126). Für letzteres spricht vielleicht seine Zitierweise. Wo er den H. für die τελευτή zitiert, sagt er stets allgemein: Ἕρμιππος φησί (nur einmal II 13: Ἕ. φασι ἐν τοῖς βίοις, also auch ganz allgemein), während er sonst durchweg den betreffenden βίος des H. anführt. In einer Epitome wurde natürlich nicht bei jeder Todesart die betreffende H.-Stelle zitiert.

Bei diesem ganzen Anekdotenkram, der auf den Namen des H. zurückgeht, ist es natürlich keine Frage, daß er wissenschaftlich sehr gering einzuschätzen ist. Aber darüber herrscht doch Meinungsverschiedenheit, inwieweit er selbst für alle die falschen Angaben verantwortlich gemacht werden muß. Diels Doxogr. 150 beurteilt ihn ziemlich günstig und weist auf den sorgfältigen Katalog der Peripatetikerschriften hin; nur seine Leichtgläubigkeit habe ihn zu den vielfachen Irrtümern gebracht. Dagegen bezichtigt ihn Leo 126, und die meisten stimmen ihm bei, der systematischen Fälschung. (Für die Pythagorasbiographie vgl. Rohde Rh. Mus. XXVI 562).

Das Altertum dachte anders über ihn. Niemand ist in der ganzen späteren biographischen Literatur häufiger benutzt worden als H.; das beweisen vor allem auch die neuen Funde. Sotion scheint öfters gegen ihn zu polemisieren (Crönert Col. 135f.); Philodem benutzte ihn für seine Spezialgeschichten der Akademiker und Stoiker, Plutarch ist im Leben Solons u. a., besonders aber im βίος Δημοσθένους von H. abhängig (Leo 176). Dieselbe Demosthenesvita des H. ist aber auch die Hauptquelle zu Didymos Demostheneskommentar (Diels Berl. Klassikertexte I S. XXXVIII) – speziell stammt die ganze Hermeiasepisode bei Didym. col. IVff. aus H. (Diels a. O.) – und zu Suidas’ 1. Artikel über Demosthenes (Arn. Schaefer Philol. VI [1851] 427ff.). Sehr wichtig wurde H. für Diog. Laert.; dieser benutzt ihn freilich ebenso wie die meisten anderen Biographen direkt (s. o. Bd. V S. 749 Schwartz), abgesehen vielleicht von der Pammetros (s. o. und v. Wilamowitz a. O.). Den pseudoplutarchischen βίοι τῶν δέκα ῥητόρων wurde er durch Caecilius vermittelt (Susemihl I 494, 14). Athenaios benutzte ein ,philosophengeschichtliches Handbuch mit reichen Auszügen aus H.‘ (Crönert Col. 137). Sein Einfluß zeigt sich auch in den den Ausgaben vorausgeschickten Einleitungen οερὶ τοῦ γένους, so in der Vita des Euripides und in der Thukydidesbiographie des Markellinos.

Erscheint H. in seinem biographischen Werk als Nachahmer des Kallimachos, so wandelt er in dem astronomischen Gedicht Φαινόμενα in den Spuren Arats. Die Hauptzeugnisse hierfür sind einmal das Epigramm des Ptolemaios in der Vita Arati (Westermann Biogr. 55), wo H. und Hegesianax neben Arat als unbedeutendere Vertreter [852] dieses γένος genannt werden, und dann der Katalog τῶν περὶ τοῦ πόλου συνταξαμένων (so ist nach v. Wilamowitz Antigonos v. Kar. 339 und Maaß 123 statt des überlieferten περὶ τοῦ ποιητοῦ scil. Ἀράτου ... zu lesen. Es ist also nicht von Araterklärern, sondern von astronomischen Schriftstellern die Rede) im Cod. Vatic. 191 bei Maass Aratea 121ff. Aus den Phainomena hat Hygin zwei Erzählungen, IV p. 38, 4-16 und XX p. 60, 25-61; ferner ist das Gedicht benutzt von Nigidius Figulus und in den Aratscholien (vgl. Robert Eratosthenis catasterism. Berlin 1878, 222ff.). Preller (1751) schrieb die Phainomena dem Berytier H. zu, wozu gar kein Anlaß vorliegt (Müller FHG III 54. Maaß 162). Streng beweisen läßt sich freilich auch nicht, dass der Kallimacheer ihr Autor ist; doch wird letzteres ziemlich allgemein angenommen (vgl. Robert 223f. Boll Sphaera, Leipzig 1903, 371). Die Fragmente passen am besten für den Schüler des Dichters der αἵτια (Robert 223). Bemerkenswert ist, daß H. die erste Spur der Bekanntschaft mit der ägyptischen Sphäre zeigt, indem er zum ersten Male den Bootes als Pflüger auffaßt (Boll a. O. 228. 371). Er scheint sich besonders für die Götter interessiert zu haben, welche die Kultur förderten (Robert 223); besonders behandelte er Katasterismen aus der Demetersage (Boll a. O. 110, 2). Versuche, Fragmente der Hermippischen Phainomena herauszuschälen, bei Robert 223 und Boll 110,2.

Für paradoxographische und geographische Notizen beruft sich auf H. Aelian. nat. an. VII 40 und Schol. Apoll. Rhod. IV 269 (frg. 76. 77). Diese Angaben können aus den βίοι stammen, sie können aber auch auf besondere Schriften des H. zurückgehen. Müller (zu frg. 76) vermutet ein geographisches Werk über Ägypten und Äthiopien und schreibt es einem H. zu, der nach dem Kallimacheer und vor dem Berytier gelebt habe. Ansprechender ist immer noch die alte Ansicht Lozynskis, die betreffenden Notizen stammten aus einem Werke περὶ θαυμασίων, das dann sehr wohl vom Schüler des Kallimachos, der in seinen ὑπομνήματα ja auch derartiges behandelte (wie überhaupt viele Alexandriner, vgl. Kentenich Analecta Alexandr., Bonn 1896), herrühren könnte.

Zitiert wird dann noch bei Stobaios Floril. V 59 Ἑρμίππου Συναγωγὴ τῶν καλῆς ἀναφωνηθέντων ἐξ Ὁμήρου. Ob hier der Kallimacheer gemeint ist, erscheint fraglich (vgl. Müller zu frg. 75).

Fragmentsammlungen. Die namentlichen Fragmente des H. wurden zuerst gesammelt von Ad. Lozynski Hermippi1 Smyrnaei Peripatetici frgm. Bonn 1832, schon für jene Zeit unvollständig (vgl. Preller 165fJ. Besser ist die Sammlung in FHG III 35–54. Übersehen ist Hypothes. zu Isocrat. orat. 2; neu hinzugekommen ist Didymos Demostheneskomm. col. VI 51, Philodem, Index Stoic. col. XVI 2 und Index Academ. col. XI 4. Ferner glaubt Crönert in Herculanensischen Bruchstücken einer Geschichte des Sokrates Hermippzitate zu finden: Rh. Mus. LVII (1902) 286. 288. 300.

Literatur. Preller Jahns Jahrbücher Bd. XVII (1836) 159ff. Susemihl Geschichte der gr. Lit. in der Alexandrinerzeit I (1891) 492ff. Leo Die griechisch-römische Biographie (1901) 124ff. Diels Berliner Klassikertexte I (1904) XXXVIff.