Schützengrabenverse

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Autor: Peter Baum
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Titel: Schützengrabenverse
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Erscheinungsdatum: 1916
Verlag: Der Sturm
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Commons; ULB Düsseldorf
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SCHÜTZENGRABENVERSE


PETER BAUM

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VERLAG DER STURM / BERLIN 1916

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PETER BAUM


GEBOREN AM 30. SEPTEMBER 1869

GEFALLEN AM 6. JUNI 1916


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[5]

Leuchtkugeln steigen hoch hinauf,
Nachtweitend Feuerwerk und Lichtgebraus
Zerfallenden Monds. So starr ragst du dahin
Bei deinem Büchsenlauf, wie die erhellten Häuser.

Leuchtkugeln aus gesträubtem Tigerhaar.
Jeder erhellten Regung lauert auf ein Hahn
Bei Späherblick, als blute noch der Tag,
Wo einer noch des anderen Wild,
Mund lag bei Kehle,
Bis man vernahm des andern Orgelton.

Mit aufgerissnen Augen staunst Du auf die Pracht
Des bunten Raubtiers, funkelnd aus der Finsternis.
Bis wieder tief vergräbt mich Nacht und Schneien,
Graugrüne Augen halten wach die wilden Melodeien.

[6]

Und regt sich drüben nur ein Mann,
So duckst du hin und schlägst du an.
Und schlägst du an, und schlägt er um,
In frohem Schauder schwankst du stumm.

[7]

Den kurzen Tag bei Arbeit überwacht,
Auf Lauer warten wir die lange Nacht.
Für Stunden winken uns die Schlummerarchen:
Ruhloses Wachen zwischen scharfem Schnarchen.

Den Stand verlassen. Sterne glänzen kühl.
Da hebt mich auf ein schwingendes Gewühl
Von heitern Genien. Weithin weisse Schleier.
Weltkörperkerzen brennen tief zur Feier.

[8]

Die schwach Behaarten und die weiss Umbarteten,
Mit den von junger Haut Umzarteten
Sind Feinde. Gern sie möchten auch entschlummern.
Doch hocken sie in Sorgen um das Schummern
Der Öfen, voll von Zorn, mit Gramfalten,
Mit Scheitanlegen und mit Klötzespalten
Die Wärmegluten wach zu halten.
Die Alten wissen, wenn sie fehlen,
Die Knaben auch sich um die Feuer quälen,
Drum sind die Herzen voll von Plappern, Schmälen.

[9]

Wir sitzen da mit wenig Haaren,
Als seien eben wir geboren,
Und sind doch lange schon bei Jahren.

Gesichte immer sich enthüllen,
Als wären wir noch junge Füllen
Mit Zukunftsrauschen in den Ohren.

[10]

O Deutschland, grosses Muttervolk der Erde,
Wie viele Völker tief dein Herz umfängt!
Nun da sich alle nahn mit Wutgebärde,
Stehst du verderbend Lauf an Lauf gedrängt.
Und siehst doch Grosses über vieler Erde.

In Tigeraugen, die dich hassumglühn,
Siehst immer du jahrhundertaltes Blühn.
Und wandelst dräuend mit dem Wetterschwerte.

[11]

Der Gewehre Knattern, wie das Rattern von Kriegswagen.
Die Granaten an die alte Uhr, die Erde schlagen,
Mit dumpfem Schallen sie verwirrte Zeit ansagen.

Ihr weissen Wölkchen, die den Tod verklären,
Die blaue Luft mit hartem Stahl bewehren,
In viele Länder senden Ruhm und Zähren.

So haben wir bei Tag den Tod begleitet,
Aus raschen Gruben Müttern Weh bereitet,
Aus dunklen Rohren das Geschick geleitet.

Noch einstens, wenn wir längst nach Hause kehrten,
Wir werden oftmals weinen, wir Bekehrten,
Dass wir so tötend um die Erde gährten.

Und wenn die Abende die Städte wiegen,
Wir werden staunend lachen unserm Kriegen.
Hoch, tief im Blau, die Kraterdrachen stiegen,
Die unsre Augen in die Fernen wiegen.

[12]

Am Beginn des Krieges stand ein Regenbogen.
Vögel schwarz vor grauen Wolken schnitten Kreise.
Silbern glänzten Tauben, wenn auf ihrer runden Reise
Sie durch einen schmalen Streifen Sonne bogen.

Schlacht grenzt hart an Schlacht. Sie himmlisch logen.
Viele Reihn geklaffter Stirnen grausen.
Oft kracht der Granaten Kopf,
Wenn sie schon schwänzelnd leiser sausen.
Immer wachsen der Granaten Wehebogen.

Harrend zwischen Tod und Friedensbogen,
Fester krampfen sie den Lauf, das Heim zu schützen,
Speien auf den Feind, sich wankend stützen,
Über Hügel stürzend, Meereswogen,
Schwanken sie heran, vom Tod magnetisch angezogen.

[13]

O Weihnachtsfest, das meine Kindheit süsste,
Mit Friedenskerzen zu mir niedergrüsste!
O Mann, den rohe Knechteshand gestochen,
Wir sind heut wieder mit dir aufgebrochen.
Wir haben wieder deine Stirn bespieen,
Dir unser Hurra ins Gesicht geschrieen,
Von neuem dich zum Schädelberg getragen
Und mit Granaten an das Kreuz geschlagen,
Dich zwischen deinen Sternen ausgebreitet
Und einen Holzstoss unter dir gescheitet.
Und während Flammen deinen Glanz belecken,
„Frieden auf Erden!“ unsre Zähne blecken.

[14]

Eiserne Brücken, durch die Luft getragen,
Sind in der Nacht mit Lichtern ausgeschlagen.
Und der du Feind im fremden Graben stehst,
Im stillen Schnee in gleichen Träumen wehst.
Fremd zwischen Völkern, die sich mordend hassen,
Sind Menschen wir, die bei den Stirnen fassen.
Und über Schlangen, die die Tode schwingen,
Erhebt sich schweigend von uns gleiches Singen.

[15]

Die weissen Dächer, Zäune überschneit,
Maria stieg herab im weissen Kleid.
Mit ihrem Sohne ist ihr Leib geweiht,
Drum liegen Linnen auf den Feldern breit.

Ein weisser Eimer hängt von weissem Stab.
Der Brunnen drunten wartet als ein Grab.
Maria schaut mit feuchtem Blick herab.

Die fernen Wälder stehn gewebehaft:
Auf fernem Lichte, schneeluftüberglänzt,
Als seien sie von Monden eingekränzt
Auf einer weiten Wolkenwanderschaft.

Maria singt erstaunt ihr zartes Lied,
Weil ihrem Saume folgen Reh und Ried.
Die Schöpfung wieder von der Erde flieht,
Sie langsam nach der kleine Knabe zieht.

[16]

Nun da wir endlich nahen dir, o Tod,
Sind unsre Augen vor dir trüb und rot,
Dir abgekehrt, selbst im Granatendunkel,
Ganz ohne Neugier auf dein Lichtgefunkel.
Sie haben singend Graun um dich getragen,
All deine Spiegel sind schwarz ausgeschlagen.
So suchen wir den kleinen Freuden nach,
Erinnrungssang hält uns dem Leben wach.
Nur manchmal wir versunken lächelnd unken:
„Vielleicht sind wir noch einmal springende Funken,
Fische im Netz, das noch im Meer versunken.“

[17]

Scheinwerfer ängstlich über Himmel suchen,
Nach Barken, die den Tod herunterfluchen.
Ihr Scheine! Freunde mit aus jener Stadt,
Auf der ihr spieltet, eures Lichtes satt.
Wir uns des Menschen-Himmellichtes freuten,
Der Frauen auch, die Kaffeefenster streuten.
Ein Fieberwanken zwischen Blut und Weh,
Ganz nah dem Schwanken zwischen Tod und Schnee.

[18]

Die vielen Frauen in den Städten. –
Aus Sesseln steigen sie auf,
wie Vögel
aus den Nestern.
Manche sind schwanksam.
Wenn sie sich rückwärts neigen,
ihre Lippen die Wand berühren.
Die Raschen mit den Hinlehnenden
tauschen die Gebärden,
als kämen sie aus vielfacettigem Spiegel.
Würd ich sie anders alle so lieben?

Frauen mit fertigem Antlitz
schufen Wetter, Fröste und Wärme ums Herz hin,
das sich ihnen gab
wie ein Stern Göttinnen.
Sie stiegen hoch
aus all dem vielfiedrigen, lieblichen Kehlchenschwarm,
herrlicher!
Würd ich sie anders so lieben?

[19]

Kaffeefenster schweben leicht erhoben.
Innen ist Musik und Täubchenlachen.
Lang ich’s nicht vernahm, seit mich der Rachen
Dieses Krieges in den Schlund geschoben.

Schöne Frauen faltern zarte Kleider.
Lieb ich Eine, doch ihr Brennen, Gleiten,
Schweben, Keuschen musst mich stets begleiten
Allzu eng sind wir mit Männern leider.

Heisser Odem stickt. Dann schwere Tritte.
Graue Foltern über Leiber fressen.
Ruhend brennen wir auf harten Essen,
Und es schrumpfet meines Hirnes Mitte.

Offiziere lächeln bei den Weinen,
Kennen Scherz noch, leichten Schwatzes Blitzen.
Sollte auch der Tod uns ihnen einen,
Immer wir im Frohn der Trübsal schwitzen.

[20]

Eiserne Stürme, erst vom Geist ersonnen,
Von ihrem Sausen hin- und hergesponnen,
Schau schwindelnd ich zurück durch jene Bronnen.

Heimkehrend lehnte ich bei deinem Zimmer,
Noch in mir all der grossen Stadt Geflimmer.
Und deine Geige, die wie deiner Stimme Laut,
Mich immer tief in deine Seele taut,
Wie eine Klage plötzlich mich erschreckt,
Dass sich viel fremde Vögel in mein Hirn geheckt.
Und jäh in deine Grottennacht versunken,
Nur deine Augen über mir, zwei graue, grüne Funken.

[21]

Ich würde eben jetzt am Fenster stehn,
Verstohlen unterm Lid dein Antlitz sehn
Im Lampenschimmer. O du zart Gerät,
Voll langem Klang, tief in dich selbst verweht.
Du stolze Stirne über kühnen Nüstern,
Der grauen Augen abgekehrtes Flüstern.
Ihr Hände, knochenzierlich, süss von Sang.
Nun eben überm Schnee dein Bogen schwang.
Granaten in die hohe Luft vereisten;
Die Vögel lang zu warmem Sande reisten.
Durch Schneesturm trug ich deiner Töne Schwere,
Dass ich nicht ganz in mir verloren wäre.

[22]

Höllen standen über meinen Jugendstunden,
Ihre Zungen leckten rote Flammenwunden.
Labyrinthisch zahndurchwegtem Rachen
Morgens ich entrann mit hellem Tageslachen.
Nun Granaten um mich drehen Wirrsäle,
Krachend um mich platzen Zimmerschlingen,
Nun entspringt das Lachen meiner Kehle
Tausendfachem seligen Entspringen.

[23]

Die Müdigkeit muss Süsse offenbaren.
In steilen Lüften Her- und Widerfahren.
Wie Mädchenscheine lugt es aus den Zügen,
Sie töten uns mit klirrendem Vergnügen.

Und immer tausende Maschinen platzen.
Ein Auseinanderspeien zarter Fratzen.
Im jüngsten Sturm entzünden sich die Axen.
Hände und Küsse zu uns niederwachsen,
Mein Kopf macht mit Walküren Faxen.

[24]

Im Stürmen hielten in der Hand das Leben,
Die Erde stockte in der Lüfte Beben,
Da hört ich deine Geigenstimme schweben –

Und Häuser tief gesenkt in Frieden,
Bis dass sie rot gen Himmel sieden,
Ein Teufelshut auf Kindesblick,
Ein Flammenaufgang fern, bald näher.
Und deine Geige strahlte weher
Mir spiegelfaltigen Glanz zurück.

[25]

Des Mondes Flug durch braune Wölkchenwellen,
Bis dass er stockt. Dann brausen sie vorbei.
Das Kinderspiel auf Inseln zwischen Stromschnellen.
Bald schwebt er in das Blaue wie ein Weih.

Beschwingt Gestirn, beschwingter brauner Duft!
Bei uns nur unten klaffen Kluft und Gruft,
Bei uns nur Schaufel, Schollen, Tod
Und harten Wachens Krampf und Not.

Doch selig droben Liebesraserei:
Schwingst du an mir, schwing ich an dir vorbei?
Begegnen uns, ewig rauschend, hoch und frei.

[26]

Unsre Väter in den Wäldern breit zum Schildklang sangen, schmausten,
Blutge Kehlen, wenn die Leiber aufeinander sausten.
Enkel kamen, deren Stirnen weich umschrieben,
Zarte Lieder sich ersannen, über kleinste Tiere schrieben.
Hinter toten Adern doch Vulkane grollten,
Bis Geschütze aus den runden Stirnen rollten.
Wie einst Pallas aus dem Haupt des Donnrers sprengte,
Toll sie ihre neu erfundene Lanze schwenkte.
Schön da galten Lanzen, Schwerter, wenn vor ihnen Feindesreih gelichtet.
Nun sind selten sie geschwungen, heut wird mit Maschinen hingerichtet.
Blutgeschmetter. – Als wir später durch die Feindesgräben kamen,
Lagen sie mit abgesprengten Gliedern. Auf Gesichtern war zerfetzt der Namen.

[27]

Wo wir schaufeln, hübsche Bäumchen pflanzen,
Uns Granaten rund beringelreigentanzen.
Tief sie bohren sich mit ihren Maulwurftatzen,
Speien, Krater, schwarze Erde, wenn sie platzen.

Heut, wo’s ist wie erstes Frühlingssonnenscheinen,
Kann nicht bange Ahnung in mir weinen.
Bäume stehen hell in Paradiesen.
Ruhig will ich meine Ohren schliessen.

[28]

Der Eisenstürme wildes Überschwemmen.
Die Eisenstirnen sich entgegenstemmen.
Die krieggeschirreten Granaten rennen,
Bis dass zum Ohr hinflüchtet das Erkennen.
Aus vielem Taumel schimmert das Erwachen.
Den höchsten Irrgischt überspringt der Nachen.
In Lüften dunkel der Geschicke Streben.
Muss ich dein Antlitz zueinanderweben.
Auf blickt es, wie aus Sturmgetraum geschlagen,
Doch zart, als ob es Rosenblätter tragen.
Mein Kopf ward Schweigen unter starkem Toben,
Hallt in sich deine Stimme hocherhoben,
Bis sie auf weisser Schwinge sich umkreist.
Aus schöner Kehle losgelöster Geist.

[29]

Viele Tiere dräuen, Vielzeller, die Granaten,
Einzeller bohren nur ein kleines Loch.
Zu einem Mythenfest bin ich geladen.
Harpyien suchen tief und schweifen hoch.
Im ganzen mild. Sie könnten furchtbar schaden.
So mancher Arm vermisst den Körper doch,
Den armen Kopf, der eben lenkte noch.
O Sturm, o Ruhm
O Heldentum!
Schön glänzt auf weissem Feld die süsse rote Blum.

Hoch überm Stand begegnen sich die Schwärme
Der Eisenvögel ohne Flügelwärme.
Und viele neue Ungeheuer geben
In Menschenfaust die grossen Flügelleben.
Sie reissen schwere Not,
Wie sprüht das Leben rot,
Wenn über euch
Und unter euch
Hinkracht und fegt der Tod!

[30]

Wo Wölfe durch die blanke Schneenacht liefen,
Mit jäherm Hunger war die Nacht geladen:
Luftwildem Heulen. Die Granaten
Und die Schrapnells mit langen Hälsen riefen.
Eiserne Zähne ohne Lippen
Hungerten heiss nach meinen Rippen.

Früh uns im Schneelichtfieber überschwimmen
Von neuem die vom Tod zerdehnten Stimmen,
Mit gellem Knallen nach uns grimmen.