Schwere, Elektricität und Magnetismus/Erster Abschnitt

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
« Inhaltsverzeichnis Schwere, Elektricität und Magnetismus Zweiter Abschnitt »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).

|[3]

Erster Abschnitt.


Die Potentialfunction.



§. 1.
Newton’s Gravitationsgesetz.


 Die Theorie der Schwere beschäftigt sich mit der Untersuchung der gegenseitigen Anziehung ponderabler Körper. Dieser Untersuchung liegt als Hypothese das allgemeine Gravitationsgesetz von Newton zu Grunde. Dasselbe lautet:

 Zwei mit ponderabler Masse erfüllte Punkte üben eine Anziehungskraft auf einander aus. Die Richtung dieser Kraft wird durch die gerade Verbindungslinie der beiden Punkte angegeben. Die Grösse der Kraft ist direct proportional dem Producte der beiden Massen und umgekehrt proportional dem Quadrate ihrer Entfernung.

 Es sei die Grösse der Kraft, mit welcher zwei Masseneinheiten einander anziehen, wenn ihre Entfernung gleich der Längeneinheit ist.
Fig. 1.
Dann üben nach Newton’s Gesetze zwei Massen und , die in zwei Punkten von der Entfernung concentrirt sind, eine Anziehungskraft auf einander aus, deren Grösse


(1)


ist. Es seien (Fig. 1) die rechtwinkligen Coordinaten des Punktes von der Masse und die rechtwinkligen Coordinaten des Punktes von der Masse . Die Entfernung dieser beiden Punkte ist |[4]


(2)


und die von dem Punkte nach dem Punkte gerichtete gerade Linie von der Länge schliesst mit den positiven Coordinatenaxen Winkel ein, deren Cosinus die Werthe haben


(3)




 Die Kraft, mit welcher die Masse von der Masse angezogen wird, ist von dem Punkte nach dem Punkte hin gerichtet. Die Componenten dieser Kraft parallel den Coordinatenaxen sind demnach resp.


(4)




 Es werde ferner die Masse von mehreren Massen angezogen. Irgend eine dieser anziehenden Massen werde mit bezeichnet. Sie sei im Punkte concentrirt. Der Abstand dieses Punktes von dem Punkte findet sich, indem man in (2) an die Stelle von resp. setzt. Die Masse übt auf die Masse eine Anziehung aus, deren Componenten aus (4) hervorgehen, wenn man dort den Grössen den Index gibt. Wird dann für der Reihe nach gesetzt, so ergeben sich die Componenten der einzelnen Kräfte, mit welchen die Masse resp. von den Massen angezogen wird. Alle diese Componenten greifen im Punkte an. Handelt es sich um die Gesammtwirkung, so hat man nur die gleichnamigen Componenten zu summiren. Die Masse wird also durch eine Gesammtkraft in Anspruch genommen, deren Componenten parallel den Coordinatenaxen sich berechnen: |[5]


(5)


 Die Gesammtkraft selbst ist


(6)


 Sie greift im Punkte an, und ihre Richtung schliesst mit den positiven Coordinatenaxen Winkel ein, deren Cosinus die Werthe haben


(7)


 Von besonderer Wichtigkeit ist der Fall, dass die Anziehung nicht von einzelnen getrennt liegenden Massenpunkten ausgeübt wird, sondern von den sämmtlichen Molekülen eines physischen Körpers. Dann ist ein Raum von endlichem Volumen mit einer Masse von endlicher Grösse erfüllt, ein unendlich kleines Raumelement mit einer unendlich kleinen Masse. Dagegen enthalten Punkte, Linien und Flächen keine anziehende Masse. In diesem Falle treten in den Ausdrücken (5) Integrale an die Stelle der Summen. Wir betrachten im Innern des Raumes, welchen die anziehende Masse
Fig. 2.
erfüllt, ein unendlich kleines Parallelepipedon (Fig. 2), dessen Kanten den Coordinatenaxen parallel laufen. Der dem Anfangspunkte der Coordinaten zunächst gelegene Eckpunkt habe die Coordinaten . Die Länge der von ihm ausgehenden Kanten sei resp. . Die Masse dieses Parallelepipedon ist unendlich klein. Wir bezeichnen sie mit . Da alle drei Dimensionen des Parallelepipedon unendlich klein sind, so darf man seine Masse als in einem Punkte desselben concentrirt ansehen, z. B. in dem Eckpunkte . Der Factor , mit welchem man das Volumen

|[6]des Parallelepipedon multipliciren muss, um seine Masse zu erhalten, wird die Dichtigkeit genannt, und zwar die Dichtigkeit im Punkte . Im allgemeinen ändert sich die Dichtigkeit, wenn der Punkt an eine andere Stelle rückt. Es ist also eine Function des Ortes


(8)


Wenn nichts anderes ausdrücklich festgesetzt wird, soll diese Function im Innern des anziehenden Körpers überall endlich und stetig variabel sein. Ausserhalb des anziehenden Körpers ist sie Null. Die Masse des betrachteten Parallelepipedon ist



Sie übt auf die im Punkte befindliche Masse eine Anziehung aus



deren Componenten parallel den Coordinatenaxen die Werthe haben





 Die Oberfläche des anziehenden Körpers werde ausgedrückt durch die Gleichung


(9)


wobei eine Function von bezeichnet. Diese Function habe negative oder positive Werthe, je nachdem der Punkt im Innern oder ausserhalb des anziehenden Körpers liegt. Die Componenten der Gesammtanziehung, welche auf die Masse ausgeübt wird, sind


(10)


|[7]  Die dreifache Integration erstreckt sich auf alle Werthen-Combinationen , für welche



ist.



§. 2.
Die Potentialfunction.


 Wir wollen der Einfachheit wegen und setzen. In dem angezogenen Punkte soll also die Masseneinheit sich befinden, und das Maass der Kraft ist so gewählt, dass zwei Masseneinheiten in der Einheit der Entfernung sich mit der Einheit der Kraft anziehen.

 Sind die anziehenden Massen in einzelnen getrennt liegenden Punkten concentrirt, so hat man für die Componenten der auf den Punkt ausgeübten Kraft die Ausdrücke:


(1)




Das Zeichen ist so zu verstehen, dass der dahinter stehende Ausdruck der Reihe nach für jeden einzelnen anziehenden Massenpunkt gebildet und dann die Summirung der sämmtlichen entstehenden Werthe vorgenommen werden soll. Die Gleichungen (1) zeigen, dass Functionen von den Coordinaten des Punktes sind, in welchem die angezogene Masse sich befindet. Lagrange hat bemerkt, dass diese Functionen sich ausdrücken lassen als die partiellen Derivirten einer einzigen Function von . Es ist nemlich





|[8]Wenn also die anziehenden Massen in einzelnen getrennt liegenden Punkten concentrirt sind, so hat man





Wir bezeichnen mit die Function


(2)


Dann zeigt sich, dass die partiellen Derivirten von sind:


(3)




Die Function und ihre ersten Derivirten sind endlich und stetig variabel, so lange der angezogene Punkt in endlicher, wenn auch noch so kleiner, Entfernung von jedem der anziehenden Massenpunkte sich befindet. Fällt er in einen dieser Punkte hinein, so wird in (1) und in (2) einer der Summanden unendlich gross. Die Function wird dann also unendlich wie , und ihre ersten Derivirten werden unendlich wie .

 Wenn die anziehende Masse einen körperlichen Raum stetig ausfüllt, so lauten die Ausdrücke für die Componenten der Anziehung: |[9]


(4)




Auch hier sind die partiellen Derivirten einer Function , und es gelten die Gleichungen (3). Die Function ist aber in diesem Falle


(5)


Die Grenzen der Integration in (4) und (5) sind dieselben wie in den Ausdrücken (10) des vorigen Paragraphen.

 Die Function , welche durch die Gleichung (2), resp. durch die Gleichung (5) definirt wird, nennt man die Potentialfunction des anziehenden Massensystems auf den angezogenen Punkt.

 Es ist nun leicht, den Satz in Worte zu fassen, der sich in den Gleichungen (3) ausspricht. Er lautet:

 Soll die Componente der Anziehung in der Richtung einer der Coordinatenaxen berechnet werden, so hat man den angezogenen Punkt in dieser Richtung um eine unendlich kleine Strecke zu verschieben und die daraus hervorgehende Aenderung der Potentialfunction durch die Grösse der Verschiebung zu dividiren. Der Quotient ist die gesuchte Componente.

 Bisher ist über die Lage des Coordinatensystems keine besondere Voraussetzung gemacht. Man kann die Axen legen, wie man will. Handelt es sich also um die Componente der Anziehung in irgend einer Richtung, so braucht man nur ein Coordinatensystem zu Hülfe zu nehmen, von welchem eine Axe dieser Richtung parallel gelegt ist. Auf diese Weise gelangt man zu dem erweiterten Satze:

 Soll die Componente der Anziehung in irgend einer Richtung berechnet werden, so hat man den angezogenen Punkt in dieser Richtung um eine unendlich kleine Strecke zu verschieben und die daraus hervor- |[10]gehende Aenderung der Potentialfunction durch die Grösse der Verschiebung zu dividiren. Der Quotient ist die gesuchte Componente.

 Der Fall, dass die anziehende Masse in einzelnen getrennt liegenden Punkten concentrirt ist, wird in der Folge nur ausnahmsweise vorkommen. Bis auf weiteres halten wir die Voraussetzung fest, dass sie einen körperlichen Raum stetig ausfüllt.


§. 3.
Die Gleichung von Laplace.


 Wir bilden die zweiten partiellen Derivirten der Function :


(1)



.


 Daraus findet sich unmittelbar durch Addition


(2)


 Diese Gleichung, welche zuerst Laplace*)[1] gefunden hat, wird nach ihm die Gleichung von Laplace genannt.

 Sie gilt jedoch nur, wenn der angezogene Punkt ausserhalb der anziehenden Masse liegt. Laplace hielt sie für allgemein gültig. Diesen Irrthum hat Poisson später berichtigt.**)[2]

 Liegt nemlich der angezogene Punkt ausserhalb der anziehenden Massen, so ist für jeden Punkt des mit Masse erfüllten Raumes die Function eine endliche und stetig veränderliche Function von . Dasselbe gilt von allen ihren De- |[11]rivirten. Ebenso sind die Functionen des vorigen Paragraphen [Gleichungen (4) und (5)] endliche und stetig veränderliche Functionen von . Sollen von der Function die ersten Derivirten nach , nach , nach gebildet werden, so darf man die Differentiation unter dem Integralzeichen vornehmen, weil ihr Resultat einen durchaus bestimmten endlichen Werth hat. Darauf beruht die Gültigkeit der Gleichungen (3) des vorigen Paragraphen. Auch die Herstellung der zweiten Derivirten und aller Derivirten höherer Ordnung kann durch Differentiation unter dem Integralzeichen ausgeführt werden, weil die Resultate dieser Differentiation bestimmte endliche Werthe haben, die bei einer stetigen Verschiebung des Punktes sich ebenfalls stetig ändern.

 Wenn aber der Punkt im Innern der anziehenden Masse liegt, so behalten zwar, wie später (§§. 6. 10.) gezeigt werden soll, die durch die Gleichungen (4) und (5) des §. 2 definirten Functionen bestimmte endliche Werthe, und es gelten deshalb auch noch die Gleichungen (3) desselben Paragraphen. Aber die Integrale auf der rechten Seite der Gleichungen (1) des gegenwärtigen Paragraphen haben dann gar keine Bedeutung, weil in einem Element der Integration ein unendlich grosser Factor auftritt. Liegt also der angezogene Punkt im Innern der anziehenden Masse, so sind die Gleichungen (1) nicht gültig und ebenso wenig die Gleichung (2). Für diesen Fall ist vielmehr eine besondere Untersuchung anzustellen.



§. 4.
Specieller Fall: Anziehung einer Kugelschale, deren Dichtigkeit nur vom Radius vector abhängt.


 Wir wollen zunächst die Gleichung von Laplace benutzen, um in einem speciellen Falle die Potentialfunction zu berechnen.

 Die anziehende Masse sei stetig vertheilt im Innern einer Kugelschale, d. h. des Raumes zwischen zwei concentrischen Kugelflächen. Den Anfangspunkt der Coordinaten legen wir in den Mittelpunkt der Kugeln. Die Dichtigkeit der anziehenden Masse sei dieselbe in allen Punkten einer zu der Begrenzung concentrischen Kugelfläche. Sie ändere sich nur mit dem Abstande vom Mittelpunkte. Dann ist auch die gesuchte Potentialfunction nur abhängig von dem Radius vector , und die partielle Diffe- |[12]rentialgleichung (2) des vorigen Paragraphen vereinfacht sich zu einer gewöhnlichen Differentialgleichung.

 Es ist


(1)


und


(2)


 Daraus findet man durch Differentiation



und



 Berechnet man in derselben Weise und , so ergibt sich durch Addition


(3)


 Die partiellen Derivirten von sind aus der Gleichung (1) herzuleiten. Man erhält





 Hiernach ergibt sich ohne weiteres




 Setzt man diese Werthe in die Gleichung (3) ein, so geht sie über in folgende |[13]



 Die Gleichung von Laplace lautet demnach hier


(4)


 Dividirt man auf beiden Seiten dieser Differentialgleichung durch , so lässt eine Integration sich ausführen. Sie ergibt



oder, was auf dasselbe hinauskommt:


(5)


Dabei ist mit die willkürliche Integrationsconstante bezeichnet. Die Gleichung (5) lässt sich unmittelbar weiter integriren. Man erhält


(6 )


wobei unter eine neue Integrationsconstante verstanden ist.

 Die Gleichung (6), welche zwei willkürliche Constanten und enthält, ist das vollständige Integral der Differentialgleichung (4). Es kommt nur noch darauf an, den Grössen und solche Werthe beizulegen, wie das vorliegende Problem sie erfordert. Dabei ist zu unterscheiden, ob die angezogene Masseneinheit in einem Punkte des inneren Hohlraumes sich befindet, oder in dem von anziehender Masse nicht erfüllten Raume ausserhalb.

 Die Begrenzungsflächen der anziehenden Masse seien ausgedrückt durch die Gleichungen


und resp. ,


und es sei .

 Erstens. Die angezogene Masseneinheit befinde sich in einem Punkte des inneren Hohlraumes, also in einem Punkte, für welchen ist. In diesem Falle berechnen wir zunächst direct die Anziehung, welche die Masseneinheit im Anfangspunkte der Coordinaten erfährt. Zu dem Zwecke denken wir uns die Kugelschale, welche die anziehende Masse enthält, in unendlich dünne Elementarschalen zerlegt. Eine solche, deren Begrenzungsflächen die Radien und haben, kann als ein Cylinder mit der kugel- |[14]förmigen Basis und der Höhe angesehen werden. Ihre Masse ist also



Dividirt man durch , so ergibt sich die Potentialfunction der Elementarschale auf den Anfangspunkt der Coordinaten. Um die Potentialfunction der gesammten anziehenden Masse zu erhalten, hat man in Beziehung auf zwischen den Grenzen und zu integriren. Diese ist demnach


(7)


Das Integral hat einen endlichen Werth, wenn die Dichtigkeit, wie wir voraussetzen, an keiner Stelle unendlich gross ist.

 Soll auf der anderen Seite aus dem vollständigen Integral (6) berechnet werden, so hat man dort zu setzen. Dadurch würde aber unendlich gross werden, wenn nicht in (6) die Constante gesetzt wird. Und da, wie bewiesen, nicht unendlich gross ist, so muss sein. Hierdurch geht die Gleichung (6) über in


(8)


Die Potentialfunction auf einen Punkt im inneren Hohlraume ist also constant, und da ihr Werth für den Anfangspunkt bereits berechnet ist, so hat man überhaupt für jeden Punkt im inneren Hohlraume


(9)


 Ist die Dichtigkeit constant, so ergibt sich speciell


(10)


 Die Derivirten von sind gleich Null. Die Kugelschale übt also auf einen Punkt im inneren Hohlraume gar keine Anziehung aus.

 Zweitens. Die angezogene Masseneinheit befinde sich in einem Punkte des äusseren Raumes, d. h. in einem Punkte, für welchen ist.

 In diesem Falle ist der Werth leicht zu bestimmen, den annimmt für . Wenn nemlich wie hier kein Theil der an- |[15]ziehenden Masse in unendlicher Entfernung liegt, so ergibt sich unmittelbar aus der Definition [§. 2, Gleichung (5)], dass ist für . Folglich ist jetzt . Um zu bestimmen, stellen wir folgende Betrachtung an.

 Der angezogene Punkt, welcher vom Anfangspunkte der Coordinaten um die Strecke entfernt ist, hat von den einzelnen Punkten der Kugelschale verschiedene Abstände. Der grösste Abstand ist , der kleinste . Man hat also die doppelte Ungleichung



Wir multipliciren an allen drei Stellen mit und integriren über die gesammte anziehende Masse. An der mittleren Stelle ist das Resultat . An den beiden äusseren Stellen kann man die Nenner und , die bei der Integration constant bleiben, vor das Integralzeichen nehmen. Beachtet man also, dass



d. h. gleich der gesammten anziehenden Masse ist, so ergibt sich



Nun ist aber , folglich



Diese Ungleichung gilt für jedes , das grösser als ist, also auch für . Sie geht aber für über in die Gleichung



Folglich ist die Potentialfunction der Kugelschale von der Masse in Beziehung auf einen Punkt im äusseren Raume


(11)


 In der Richtung des Radius vector wirkt die Kraft



|[16]und in jeder Richtung, die zum Radius vector rechtwinklig liegt , ist die Componente gleich Null.

 Demnach fällt die gesammte Kraft, welche die Kugelschale auf einen Punkt im äusseren Raume ausübt, in die Richtung des Radius vector, und da sie negativ ist, in die Richtung des abnehmenden Radius vector. Es ist also eine anziehende Kraft, und zwar dieselbe, die sich ergeben würde, wenn die gesammte anziehende Masse in dem Mittelpunkte der die Schale begrenzenden Kugelflächen concentrirt wäre.

 Die Gleichung (11) behält für einen Punkt im äusseren Raume ihre Gültigkeit auch für , d. h. wenn die anziehende Masse eine volle Kugel ist.



§. 5.
Anziehung einer homogenen Kugel.


 Die im vorigen Paragraphen gewonnenen Resultate können dazu dienen, bei constanter Dichtigkeit die Anziehung zu berechnen, welche eine kugelförmige Masse auf einen Punkt im Innern derselben ausübt. Man hat nur zu bemerken, dass die Gleichung (10) für den angezogenen Punkt im inneren Hohlraume und die Gleichung (11) für den angezogenen Punkt im äusseren Raume gültig ist, wie nahe derselbe auch der Begrenzungsfläche der anziehenden Masse liegen möge. Die Gleichungen gelten also selbst dann noch, wenn der angezogene Punkt der Begrenzungsfläche unendlich nahe, oder mit anderen Worten, wenn er auf der Begrenzungsfläche liegt.

 Die Oberfläche der anziehenden kugelförmigen Masse habe den Radius , der angezogene Punkt sei vom Mittelpunkte der Kugel um die Strecke entfernt, und sei kleiner als .

 Dann zerlegen wir die anziehende Masse in zwei Theile, nemlich eine mit der Gesammtmasse concentrische Kugel vom Radius und die Schale, durch welche diese Kugel zu der Gesammtmasse ergänzt wird. Für die Kugel vom Radius ist der angezogene Punkt im äusseren Raume gelegen, speciell auf der Begrenzungsfläche. Die Potentialfunction ist also nach §. 4, Gleichung (11) zu berechnen. Die Masse ist hier , folglich die Potentialfunction |[17]



Für die Kugelschale liegt der angezogene Punkt im inneren Hohlraume, speciell auf der inneren Begrenzung. Folglich ist die Potentialfunction nach §. 4, Gleichung (10) zu berechnen und an die Stelle von zu schreiben.

 Die Potentialfunction der gesammten anziehenden Kugel vom Radius auf einen inneren Punkt ist also



oder kürzer


(1)


 Dagegen ist die Potentialfunction derselben kugelförmigen Masse auf einen äusseren Punkt


(2)


wie sich unmittelbar aus §. 4, Gleichung (11) ergibt. Der Ausdruck für ist also durchaus verschieden, je nachdem der angezogene Punkt innerhalb oder ausserhalb der anziehenden Kugel liegt. Ebenso weichen auch die Ausdrücke für die ersten Derivirten ab. Denn es ist für :


(3)




 Dagegen hat man für :


(4)




 Es ist nicht überflüssig zu bemerken, dass für die beiden Ausdrücke für in (1) und (2) denselben Werth geben, |[18]und ebenso die Ausdrücke für die gleichnamigen Derivirten in (3) und in (4). Obgleich also die Function durch zwei ganz verschiedene analytische Ausdrücke dargestellt wird, je nachdem der Punkt innerhalb oder ausserhalb der anziehenden Masse liegt, so hat sie doch überall einen endlichen Werth, der sich stetig ändert, wenn der Punkt sich stetig bewegt, auch dann noch, wenn er durch die Oberfläche der anziehenden Masse hindurchgeht. Dasselbe gilt von den ersten Derivirten . Es gilt aber nicht von den zweiten Derivirten. Man erhält nemlich für .


(5)




 Dagegen ergibt sich für :


(6)




 Hier geben auch für die Ausdrücke der gleichnamigen Derivirten in (5) und in (6) nicht dieselben Werthe. Die zweiten Derivirten von ändern sich also sprungweise, wenn der Punkt durch die Oberfläche der anziehenden Masse hindurchgeht.

 Zu bemerken ist noch, dass für sich ergibt


(7)


Dies ist die Gleichung von Laplace, die wir für einen Punkt ausserhalb der anziehenden Masse bereits allgemein bewiesen haben.

 Für , d. h. wenn der angezogene Punkt innerhalb der anziehenden Kugel liegt, erhalten wir |[19]


(8)


 Diese Gleichung ist hier vorläufig nur für einen Specialfall bewiesen. Der allgemeine Fall soll ausführlich behandelt werden.



§. 6.
Die Function und ihre ersten Derivirten für einen inneren Punkt.


 Wir kehren zu der allgemeinen Untersuchung der Potentialfunction zurück. Der angezogene Punkt soll im Innern der anziehenden Masse liegen, die über einen körperlichen Raum stetig vertheilt ist. Das Integral


(1)


welches in §. 2, Gleichung (5) als Definition der Potentialfunction aufgestellt ist, enthält dann ein Element, für welches unendlich gross ist. Es fragt sich, ob dabei das Integral einen endlichen Werth behält oder nicht. Um diese Frage zu untersuchen, führen
Fig. 3.
wir Kugel-Coordinaten ein. Der Punkt werde zum Mittelpunkt (Fig. 3) einer Kugelfläche vom Radius 1 gemacht. Auf ihr nehmen wir als Pol den Endpunkt desjenigen Radius, welcher parallel zur positiven Axe läuft. Halbe grösste Kreise, welche vom Pol aus nach dem diametral gegenüberliegenden Gegenpol gezogen sind, sollen Meridiane genannt werden. Als Anfangsmeridian wählen wir denjenigen, auf welchem der Endpunkt des zur positiven Axe

|[20]parallelen Radius liegt. Die vom Punkte nach dem Punkte gezogene gerade Linie schneidet die Kugel in einem Punkte, welcher durch seine Poldistanz und seine geographische Länge eindeutig festgelegt wird. Die Poldistanz des Punktes ist sein sphärischer Abstand vom Pol. Seine geographische Länge ist der sphärische Winkel, welchen sein Meridian mit dem Anfangsmeridian einschliesst. Irgend ein Punkt im Innern der anziehenden Masse wird dann einerseits durch seine rechtwinkligen Coordinaten , andererseits durch seine Kugel-Coordinaten festgelegt. Zur Transformation der Coordinaten dienen die Gleichungen


(2)




Auf der Kugel vom Radius 1 wählen wir vier Punkte mit den sphärischen Coordinaten



und ziehen durch sie vom Punkte aus vier Strahlen, welche die Kanten einer vierseitigen Ecke bilden. Aus dieser Ecke schneiden die um als Mittelpunkt mit den Radien und gelegten Kugelflächen ein unendlich kleines Raumelement aus, dessen einer Eckpunkt im Punkte liegt. Die Masse dieses Raumelementes ist



Man kann sich dieselbe im Punkte concentrirt denken. Sie liefert zu der Potentialfunction den Beitrag


(3)


Die Potentialfunction selbst wird hiernach


(4)


 Darin ist mit der Werth bezeichnet, welchen annimmt, wenn der Punkt in der Oberfläche der anziehenden Masse liegt. ist eine Function von und . Man erhält den Zusammenhang zwischen , indem man in die Gleichung der |[21]Oberfläche statt die Variabeln einführt und für an die Stelle setzt.

 Aus (3) geht hervor, dass man zu der Potentialfunction den Beitrag Null erhält, wenn man den anziehenden Punkt mit dem angezogenen Punkte zusammenfallen lässt. Damit ist bewiesen, dass auch dann eine endliche Function von ist, wenn der angezogene Punkt im Innern der anziehenden Masse liegt.

 Ebenso lässt sich zeigen, dass unter derselben Voraussetzung die Ausdrücke für die Componenten der auf den Punkt ausgeübten Anziehung bestimmte endliche Werthe geben. Es sind dies die Ausdrücke (4) des §. 2. Sie gehen durch Einführung von Kugel-Coordinaten über in


(5)




 Auch hier erhält man zu den Integralen einen unendlich kleinen Beitrag, wenn der anziehende Punkt mit dem angezogenen Punkte zusammenfällt. Sämmtliche Elemente in den Integralen (5) sind unendlich klein von der dritten Ordnung, auch diejenigen, welche von Massenelementen herrühren, die dem Punkte unendlich nahe liegen. Daher haben die Integrale bestimmte, endliche Werthe, und die durch sie ausgedrückten Componenten sind endliche Functionen von , auch wenn der angezogene Punkt im Innern der anziehenden Masse sich befindet.

 Die Transformation der Coordinaten, welche die Gleichungen (4) und (5) liefert, ist auch dann noch zulässig und führt zu denselben Resultaten, wenn der angezogene Punkt in der Oberfläche des mit Masse erfüllten Körpers liegt. Nur ist zu beachten, dass in diesem Falle das Integrationsgebiet in Beziehung auf und sich einschränkt, weil nicht für alle Werthe von und die obere Grenze von Null verschieden ist. |[22]

 Damit ist bewiesen, dass die Integrale in den Gleichungen (4) und (5) des §. 2 je einen bestimmten, endlichen Werth liefern, wo auch der Punkt liegen möge. Die Ausdrücke (4) des §. 2 sind aber die partiellen Differentialquotienten von , so lange die unter dem Integralzeichen vorgenommene Differentiation bestimmte, eindeutige Resultate liefert. Da dies, wie jetzt bewiesen, unter allen Umständen der Fall ist, so gelten die Gleichungen (3) des §. 2 ganz allgemein, der angezogene Punkt mag ausserhalb oder innerhalb des anziehenden Körpers oder in seiner Oberfläche liegen.

 Will man die zweiten partiellen Derivirten dadurch herleiten, dass man in den Ausdrücken [§. 2, (4)] für die Differentiation unter dem Integralzeichen ausführt, so haben die Resultate nur dann eine bestimmte, klare Bedeutung, wenn der angezogene Punkt ausserhalb des anziehenden Körpers liegt. Denn diese Resultate sind ausgesprochen in den Gleichungen (1) des §. 3. Sie gehen durch Einführung der Kugel-Coordinaten in folgende über


(6)




 Die Integration ist zuerst nach auszuführen. Liegt der Punkt im Innern des anziehenden Körpers oder in seiner Oberfläche, so ist die untere Integrationsgrenze gleich Null. An ihr wird die Function unter dem Integral unendlich gross, und das Integral selbst wird unendlich wie für .

 Schliessen wir um den Punkt herum von dem Gebiete der Integration einen beliebig kleinen Raum aus, dessen Oberfläche den Radius vector hat, so bleibt das Integral


(7)


vollständig unbestimmt, weil die Oberfläche des ausgeschlossenen |[23]Raumes ganz beliebig gewählt werden kann, oder - was dasselbe sagt - in der Gleichung dieser Oberfläche



die Function völlig willkürlich ist. Bezeichnet man mit den grössten, mit den kleinsten Werth, welchen die Dichtigkeit überhaupt annimmt, so findet sich



Der zu grosse und der zu kleine Werth sind unbestimmt, so lange endlich bleibt. Fragt man aber nach dem Grenzwerthe für ein unendlich abnehmendes , so kann von einem solchen nicht die Rede sein, weil ist für

 Die Integrale in (6) haben also gar keine Bedeutung, wenn der Punkt im Innern der anziehenden Masse liegt.

 Wollte man in (4) und (5) bei der Integration nach zunächst als untere Grenze nehmen, so fände sich



und ferner



 Auch hier sind die zu grossen und die zu kleinen Werthe unbestimmt, so lange endlich bleibt. Diese Unbestimmtheit fällt aber bei unendlich abnehmendem weg, weil das von Abhängige den Grenzwerth Null hat.

 Um die zweiten Derivirten von auch für den Fall zu ermitteln, dass der angezogene Punkt im Innern der anziehenden Masse liegt, wollen wir zunächst die Ausdrücke für transformiren und erst nachher die neue Differentiation vornehmen.


|[24]

§. 7.
Transformation von .


 Der Ausdruck für lautet:



Nun ist aber, wie man leicht sieht:



 Folglich kann man schreiben


(1)


 Die dreifache Integration ist über den ganzen mit anziehender Masse erfüllten Raum auszudehnen. Wir bemerken darüber das Folgende. Das Coordinatensystem sei so gelegt, dass für jeden Punkt im Innern und in der Oberfläche der anziehenden Masse die Coordinaten positiv sind. Nöthigenfalls lässt sich dies durch parallele Verschiebung der Coordinaten-Ebenen erreichen. In der Ebene zeichnen wir ein unendlich kleines Rechteck, dessen Seiten von der Länge und resp. den Axen der und resp. der parallel laufen. Der dem Anfangspunkt zunächst gelegene Eckpunkt habe die Coordinaten . Ueber diesem Rechteck als Basis soll ein gerades Prisma errichtet werden, dessen Seitenkanten parallel zur Axe der laufen. Die Lage des Punktes wird so gewählt, dass dieses Prisma den mit Masse erfüllten Raum durchdringt. Wir bezeichnen mit und resp. die auf der Axe gezählten Coordinaten der Eintritts- und der Austrittsstelle. Tritt das Prisma öfter ein und aus, so sollen die Abscissen der Eintrittsstellen, die Abscissen der Austrittsstellen sein, und zwar so, dass



Die Bestandtheile des Elementarprisma, welche innerhalb der anziehenden Masse liegen, zerschneiden wir in unendlich viele gerade |[25]Parallelepipeda, jedes vom Inhalte . Der Inhalt eines solchen Parallelepipedon werde multiplicirt mit dem Werthe, welchen die Function in seinem einen Eckpunkte hat.

Das Product



ist das Element des Integrals. Die Integration nach wird ausgeführt, indem man dieses Product fur alle parallelepipedischen Bestandtheile des Elementarprisma bildet, welche innerhalb der anziehenden Masse liegen, und sämmtliche Producte addirt. Die Integration nach und nach besteht darin, dass man die eben besprochene Summe von Producten für alle Elementarprismen herstellt, welche die anziehende Masse überhaupt treffen, und alle diese Summen wiederum durch Addition verbindet.

 Wir wollen zunächst die Integration nach ausführen. Das unbestimmte Integral



lässt sich umformen durch Integration nach Theilen, nemlich


(2)


Diese Formel ist zur Umgestaltung des bestimmten Integrals leicht zu benutzen, wenn die Function innerhalb der Integrationsgrenzen überall endlich und stetig ist. Die Integrale auf der linken und auf der rechten Seite der Gleichung (2) sind dann zwischen denselben Grenzen zu nehmen und von dem freien Gliede hat man die Summe aller Werthe an den oberen Grenzen der Integration zu vermindern um die Summe aller Werthe an den unteren Grenzen. Wir bezeichnen die Werthe von und an den Grenzen der Reihe nach durch Anhängung der betreffenden Indices. Für die Integration nach und nach erhält man demnach das Element |[26]



Das Integral ist über alle die Theile des Elementarprisma zu erstrecken, welche innerhalb der anziehenden Masse liegen. Wir bezeichnen nun mit die unendlich kleinen Flächenstücke, welche das Elementarprisma aus der Oberfläche des mit Masse erfüllten Raumes bei seinem Ein- und Austritt herausschneidet und mit die Winkel, welche die nach dem Innern dieses Raumes zu auf errichteten Normalen mit der Axe der positiven einschliessen.

Fig. 4.

Es ist zu bemerken, dass die Cosinus dieser Winkel an den Eintrittsstellen positiv, an den Austrittsstellen negativ sind. (Fig. 4.) Demnach findet sich



und das Element der Integration nach und nach lautet jetzt



Die Summe bezieht sich auf alle die Stellen, an |[27]denen das Elementarprisma in den anziehenden Körper ein- und aus ihm austritt. Führt man nun die Integration nach und nach aus, so ergibt sich


(3)


Das dreifache Integral auf der rechten Seite ist über den ganzen mit Masse erfüllten Raum, das Integral über seine gesammte Oberfläche zu erstrecken.

 Die vorgenommene Transformation ist nur dann zulässig, wenn die Function innerhalb des mit anziehender Masse erfüllten Raumes an keiner Stelle unstetig wird. Findet an einzelnen Stellen eine Aenderung sprungweise statt, so hat man von dem Integrationsgebiete zunächst solche Raumtheile auszuschliessen, welche die Unstetigkeitsstellen völlig in sich enthalten. Dann wird man das Integral (1) auf die ausgeschlossenen Raumtheile nicht mit erstrecken und darf deshalb die Transformation vornehmen. Nachher ist die Frage zu beantworten, welchem Grenzwerthe das Resultat der Transformation sich annähert, wenn man die Oberflächen der ausgeschlossenen Gebiete den Unstetigkeitsstellen unendlich nahe rückt.



§. 8.
Fortsetzung.


 Wir haben bis jetzt vorausgesetzt, dass die Dichtigkeit des anziehenden Körpers eine endliche und stetige Function des Ortes sei. Diese Voraussetzung soll jetzt noch beibehalten werden. Liegt der angezogene Punkt ausserhalb der anziehenden Masse, so ist für jeden Punkt in ihrem Innern endlich und stetig, und daher kann man die Transformation des vorigen Paragraphen ohne weiteres vornehmen.

 Wenn aber der angezogene Punkt im Innern der anziehenden Masse liegt, so wird die Function für ein Element der Integration unendlich gross. Deshalb machen wir den Punkt zum Mittelpunkte einer Kugelfläche vom Radius und schliessen den von ihr begrenzten inneren Raum zunächst von der |[28]Integration aus. Dadurch wird die Transformation des vorigen Paragraphen zulässig und man erhält


(1)


Die dreifachen Integrationen erstrecken sich auf den anziehenden Körper mit Ausnahme der den Punkt enthaltenden Kugel. Das Integral ist auszudehnen über die Oberfläche der anziehenden Masse und über die Oberfläche des ausgeschlossenen kugelförmigen Gebietes. Bezeichnen wir mit den grössten Werth von auf dieser Kugelfläche und beachten, dass in den äussersten Fällen sein kann, so findet sich, dass der von der Kugel herrührende Beitrag zu dem Oberflächen-Integral einen Werth hat, der absolut genommen kleiner ist als



d. h. kleiner als



oder, was dasselbe sagt, kleiner als



Folglich wird dieser Beitrag zu Null für . Nun behalten aber die dreifachen Integrale in (1) bestimmte, endliche Werthe, wenn man den Radius der ausgeschlossenen Kugel zu Null macht. Von dem Integrale links ist dies in §. 6 bewiesen. Für das Integral rechts ergibt sich der Beweis auf demselben Wege, wenn man beachtet, dass im Innern des Integrationsgebietes überall endlich ist. Folglich gilt die Gleichung (1) auch dann noch, wenn man die dreifachen Integrale über den ganzen anziehenden Körper erstreckt und das Integral über seine Oberfläche. D. h. die Gleichung (3) des vorigen Paragraphen bleibt gültig, wenn der angezogene Punkt im Innern der anziehenden Masse liegt. Auf entsprechende Weise kann man auch die Ausdrücke für und transformiren. Bezeichnen die drei Winkel, |[29]welche die auf dem Oberflächen-Element des anziehenden Körpers nach seinem Innern zu errichtete Normale mit den positiven Coordinatenaxen einschliesst, so lauten die Resultate der Transformation:


(2)




 Diese Gleichungen sind gültig, der angezogene Punkt mag ausserhalb oder innerhalb der anziehenden Masse liegen. Denn für beide Fälle ist die Zulässigkeit der Transformation nachgewiesen. Die einzige Bedingung, die erfüllt sein muss, besteht darin, dass die Dichtigkeit der anziehenden Masse im Innern des von ihr erfüllten Raumes eine stetige Function des Ortes sei.



§. 9.
Die zweiten Derivirten von für einen inneren Punkt.


 Nun ist es leicht, die zweiten partiellen Derivirten in einer Form herzustellen, die bestimmte endliche Werthe liefert, der angezogene Punkt mag ausserhalb oder innerhalb der anziehenden Masse liegen. Man erhält


(1)




Diese Ausdrücke gehen durch Differentiation aus den Gleichungen (2) des vorigen Paragraphen hervor. Auf der rechten Seite ist die Differentiation unter dem Integralzeichen vorgenommen. Das darf geschehen, weil die Integrale, die daraus hervorgehen, durchaus |[30]bestimmte, endliche Werthe besitzen. Bei den über die Oberfläche ausgedehnten Integralen auf der rechten Seite der Gleichungen (1) sind nemlich sämmtliche Elemente unendlich klein wie , weil wir den angezogenen Punkt ausserhalb oder innerhalb der anziehenden Masse in endlicher, wenn auch noch so kleiner, Entfernung von der Oberfläche voraussetzen. Dass die sämmtlichen Elemente der dreifachen Integrale unendlich klein von dritter Ordnung sind, erkennt man ohne weiteres, wenn der Punkt ausserhalb der anziehenden Masse liegt. Für einen inneren Punkt beweist man es auf dem in §. 6 vorgezeichneten Wege.

 Legt man den Punkt in die Oberfläche des anziehenden Körpers, so behalten die Integrale, durch welche die Function und ihre ersten Derivirten ausgedrückt sind, bestimmte, endliche Werthe. Anders ist es aber mit den Integralen auf der rechten Seite der eben hergestellten Gleichungen (1). Die dreifachen Integrale haben zwar auch jetzt noch bestimmte, endliche Werthe. Aber die über die Oberfläche ausgedehnnten Integrale verlieren alle Bedeutung. Soll also von den Derivirten die Rede sein für einen Punkt in der Oberfläche des anziehenden Körpers, so ist darüber noch eine besondere Untersuchung anzustellen.

 Die Transformation, welche zu den Gleichungen (2) des vorigen Paragraphen geführt hat und also auch für die Gleichungen (1) dieses Paragraphen die Grundlage bildet, ist nur dann zulässig, wenn die Dichtigkeit der anziehenden Masse eine durchweg stetige Function des Ortes ist. Es kann aber auch der Fall eintreten, dass der anziehende Körper aus einzelnen Bestandtheilen zusammengesetzt ist, so dass in jedem von ihnen die Dichtigkeit endlich und stetig variabel ist, aber beim Uebergange aus einem Bestandtheile in den andern sich sprungweise ändert. Die Trennungsflächen der einzelnen Bestandtheile sind dann Unstetigkeitsstellen der Dichtigkeit. Wir betrachten nun einen Punkt im Innern des anziehenden Körpers. Es ist zu unterscheiden, ob er in endlicher, wenn auch noch so kleiner, Entfernung von den Unstetigkeitsstellen sich befindet oder ob er in eine solche Stelle hineinfällt. Im ersten Falle kann man die anziehende Masse in zwei Bestandtheile zerlegen. Der erste Bestandtheil wird so gewählt, dass er den angezogenen Punkt in sich enthält, aber keine Unstetigkeits- |[31]stelle der Dichtigkeit, und dass der Punkt nicht in die Begrenzung dieses Bestandtheils fällt. Was nach Ausschluss des ersten Bestandtheils an Masse noch übrig ist, bildet den zweiten Bestandtheil. Er enthält alle Stellen, an denen die Dichtigkeit sich sprungweise ändert. Dem entsprechend zerfällt auch die Potentialfunction in zwei Bestandtheile



so dass nur von dem ersten, nur von dem zweiten Bestandtheile der anziehenden Masse herrührt. Für den ersten Bestandtheil der Masse ist die Zulässigkeits-Bedingung der Transformation erfüllt. Die Function , ihre ersten und ihre zweiten Derivirten können also durch die Gleichung (4) des §. 6, die Gleichungen (2) des §. 8 und resp. die Gleichungen (1) des §. 9 ausgedrückt werden. Für den zweiten Bestandtheil der anziehenden Masse ist der Punkt ein äusserer Punkt. Die Function und ihre Derivirten der ersten und der zweiten Ordnung werden demnach durch die Gleichungen (5) und (4) des §. 2 und resp. die Gleichungen (1) des §. 3 unzweideutig ausgedrückt. Folglich haben auch die Function und ihre partiellen Derivirten der ersten und der zweiten Ordnung bestimmte, angebbare, endliche Werthe fur jede Lage des inneren Punktes , in welcher er in endlicher, wenn auch noch so kleiner, Entfernung von den Unstetigkeitsstellen der Dichtigkeit bleibt.

 Fällt aber der Punkt in eine Unstetigkeitsstelle der Dichtigkeit, so behalten zwar die Function und ihre ersten Derivirten bestimmte, endliche Werthe. Aber die Ausdrücke für die zweiten Derivirten sind unbestimmt. Denn es ist in diesem Falle nicht möglich, um den Punkt herum einen Raum abzugrenzen, für welchen die Transformation des §. 8 zulässig wäre. Die Integrale auf der rechten Seite der Gleichungen (1) des §. 3 oder der Gleichungen (1) des §. 9 sind dann ohne alle Bedeutung.

 Handelt es sich also um die Werthe der zweiten Derivirten für den Fall, dass der angezogene Punkt in eine Unstetigkeitsstelle der Dichtigkeit hineinfällt, so ist jedenfalls noch eine besondere Untersuchung anzustellen.


|[32]

§. 10.
Stetigkeit der Function und ihrer ersten Derivirten. Unterbrechungen in der Stetigkeit der zweiten Derivirten.


 Die Function und ihre ersten Derivirten werden durch Integrale ausgedrückt, die - wie bewiesen - je einen bestimmten endlichen Werth haben, wo auch der angezogene Punkt liegen möge. Dagegen ist von den Integralen, welche die zweiten Derivirten ausdrücken, dieselbe Eigenschaft bis jetzt nur bewiesen, wenn der angezogene Punkt in endlicher, wenn auch noch so kleiner, Entfernung von der Oberfläche des anziehenden Körpers und von den Unstetigkeitsstellen der Dichtigkeit sich befindet. Daraus folgt, dass im ganzen unendlichen Raume eine stetig veränderliche Function von ist, und dass sich stetig ändern, so lange der Punkt in endlicher, wenn auch noch so kleiner Entfernung von der Oberfläche des anziehenden Körpers und von den Unstetigkeitsstellen der Dichtigkeit bleibt. Wir wollen nun beweisen, dass die ersten Derivirten auch dann noch eine stetige Aenderung erleiden, wenn der Punkt durch die Oberfläche des anziehenden Körpers oder durch eine Unstetigkeitsstelle der Dichtigkeit hindurchgeht oder in ihnen verschoben wird. Der Beweis soll zunächst für geführt werden.

 Der Punkt liege in einer Fläche, in welcher die Dichtigkeit sich sprungweise ändert, oder in der Oberfläche des anziehenden Körpers. Wir umschliessen ihn mit einer Kugelfläche vom Radius und bezeichnen mit den Raum, welchen diese aus dem anziehenden Körper ausschneidet. Der übrige Theil des anziehenden Körpers sei . Dem entsprechend zerlegen wir auch die Potentialfunction in zwei Bestandtheile


(1)


so dass nur von der Masse in dem Raume und nur von der Masse in dem Raume herrührt. Für den Raum ist der Punkt ein äusserer Punkt, und daher sind die |[33]ersten Derivirten stetige Functionen von . Es ist also jedenfalls


(2)


 Die Derivirte wird ausgedrückt durch das Integral



wenn man die Integration über den Raum ausdehnt. Dieses Integral kann - wie bewiesen - nicht unendlich gross werden, wohin man auch den Punkt im Innern der Kugel vom Radius verlegen möge. Es hat vielmehr einen endlichen Werth, der um so kleiner ist, je kleiner genommen wird. Man kann demnach so klein wählen, dass für jede Lage des angezogenen Punktes im Innern jener Kugel der Werth von kleiner bleibt als eine beliebig kleine Grösse . Verschiebt man also den Punkt beliebig im Innern der Kugel vom Radius , so wird die Aenderung, welche dadurch erfährt, ebenfalls kleiner sein als . Man kann aber kleiner werden lassen als irgend eine angebbare Zahl. Es ist damit nur eine unendliche Abnahme des Radius verbunden.

 Folglich ist


(3)


Aus (3) und (2) ergibt sich ohne weiteres


(4)


d. h. ist eine überall stetig variable Function.

 Auf demselben Wege wird der Beweis für und geführt. Die Function und ihre ersten Derivirten sind also überall endliche und stetige Functionen. Sie erleiden unendlich kleine Aenderungen bei einer unendlich kleinen Verschiebung des Punktes , mag diese Verschiebung innerhalb oder ausserhalb oder in der Oberfläche der anziehenden Masse vorgenommen werden oder durch die Oberfläche hindurchführen. |[34]

 Der Beweis ist noch anwendbar auf die zweiten partiellen Derivirten, aber nur für solche Lagen des Punktes , für welche die Gleichungen (1) des vorigen Paragraphen gelten. D. h. die zweiten partiellen Derivirten ändern sich stetig bei allen Verschiebungen des Punktes ausserhalb oder innerhalb des anziehenden Körpers, die in endlicher, wenn auch noch so kleiner Entfernung sowohl von der Oberfläche, als auch von den Unstetigkeitsstellen der Dichtigkeit vorgenommen werden.

 Errichtet man nun gegen die Oberfläche des anziehenden Körpers in irgend einem Punkte derselben die Normale nach innen und nach aussen, so darf man auf der inneren wie auf der äusseren Normale den Punkt unendlich nahe an die Oberfläche heranrücken lassen, ohne dass die Functionen aufhören, endliche und stetig variable Werthe anzunehmen. Für zwei Lagen des Punktes auf der inneren und auf der äusseren Normale in unendlich kleinem Abstande von der Oberfläche hat jede der vier Functionen zwei Werthe, die nur unendlich wenig abweichen von dem Werthe, welchen sie in dem Fusspunkte der Normale auf der Oberfläche selbst besitzt. Aus diesem Verhalten der Functionen folgt, dass die zweiten Derivirten von nicht unendlich gross werden können, wenn der Punkt auf der inneren oder auf der äusseren Normale unendlich nahe an die Oberfläche heranrückt oder in den Fusspunkt der Normale auf der Oberfläche selbst übergeht. In diesem letztgenannten Punkte verlieren die Ausdrücke, welche wir für die zweiten Derivirten gefunden haben, alle Bedeutung. Das weist darauf hin, dass jede der zweiten Derivirten sich sprungweise ändert, wenn der Punkt beim stetigen Durchlaufen der Normale durch die Oberfläche des anziehenden Körpers von innen nach aussen oder von aussen nach innen hindurchgeht. In dem Beispiele des §. 5 ist diese Eigenschaft der zweiten Derivirten von direct nachgewiesen. Sie lässt sich aber für eine beliebig gestaltete Oberfläche des anziehenden Körpers beweisen. Man hat zu dem Ende, was anlangt, die Integrale auf der rechten Seite der Gleichungen (1) des §. 9 für den Fall zu untersuchen, dass der Punkt auf der äusseren oder auf der inneren Normale unendlich nahe an die Oberfläche heranrückt. |[35]Dabei zeigt sich, dass jedes der drei Raumintegrale für beide Lagen des Punktes Werthe von unendlich kleiner Differenz besitzt. Die Grenzwerthe der Oberflächen-Integrate haben aber eine endliche Differenz, und zwar sind die Werthe für den inneren Punkt um resp.



kleiner, als für den äusseren Punkt. Dabei bezeichnen die Winkel, welche die Richtung der nach innen gezogenen Normale mit den positiven Coordinaten-Axen einschliesst, und ist die Dichtigkeit in dem unendlich nahe an der Oberfläche gelegenen inneren Punkte. Der Beweis dieser Behauptung stützt sich im wesentlichen auf Entwickelungen, welche im §. 15 für einen anderen Zweck vorgenommen werden.

 Die Durchführung des Beweises kann hier unterbleiben, da von hauptsächlichem Interesse die unstetige Aenderung der Summe ist, und diese lässt sich mit einfacheren Hülfsmitteln nachweisen (§. 13).

 Der anziehende Körper werde durch eine innere Scheidungsfläche in zwei getrennte Räume zerlegt, so dass die Dichtigkeit sich stetig ändert in jedem einzelnen der beiden Räume, aber sprungweise beim Durchgange durch die Scheidungsfläche. Errichtet man dann in irgend einem Punkte dieser Fläche nach beiden Seiten hin die Normale und lässt auf ihr von beiden Seiten her den Punkt unendlich nahe an die Scheidungsfläche heranrücken, so wird jede der zweiten Derivirten von sich einem bestimmten endlichen Grenzwerthe unaufhörlich annähern. Aber der Grenzwerth irgend einer von den zweiten Derivirten in unendlich kleinem Abstande von der Scheidungsfläche ist auf der einen Seite verschieden von dem Grenzwerthe auf der anderen Seite. Jede von den zweiten Derivirten ändert sich sprungweise, wenn der Punkt beim stetigen Durchlaufen der Normale durch jene Fläche hindurchgeht. In der Scheidungsfläche selbst sind die Ausdrücke für die zweiten Derivirten von ohne alle Bedeutung.

 Nach dieser Orientirung über das Verhalten der zweiten Derivirten kommt es darauf an, die Summe



|[36]für einen Punkt im Innern des mit Masse erfüllten Körpers zu ermitteln. Wir gelangen dazu mit Hülfe eines von Gauss aufgestellten allgemeinen Satzes, welcher zunächst entwickelt werden soll.



§. 11.
Das Oberflächen-Integral . Satz von Gauss.


 Wir bezeichnen mit einen beliebig, aber vollständig begrenzten Raum und mit ein Element seiner Oberfläche. In irgend einem Punkte dieses Oberflächen-Elementes errichten wir nach dem Innern des Raumes die Normale und nehmen auf ihr einen Punkt , welcher von dem Fusspunkte der Normale den Abstand hat. Es lassen sich dann zwei veränderliche Grössen und so wählen, dass sie in irgend einem Punkte der Oberfläche je einen und nur einen Werth haben, und dass umgekehrt zu einer bestimmten Werthen-Combination von und jedesmal nur ein bestimmter Punkt der Oberfläche gehört. Die Lage des Punktes lässt sich dann auch dadurch angeben, dass man sagt, welche Werthe die Grössen und im Fusspunkte der Normale
Fig. 5.
haben und wie lang die Strecke auf der Normale ist. Man hat also jede der drei Coordinaten als eine Function von den drei unabhängigen Variabeln anzusehen. Lässt man und ihre Werthe beibehalten und ertheilt der dritten Variabeln den Zuwachs , so erhält man auf derselben Normale einen zweiten Punkt, dessen rechtwinklige Coordinaten sind (Fig. 5), und es ist hier speciell . Man erkennt leicht, dass die Projectionen von auf den rechtwinkligen Coordinatenaxen sind. Bezeichnet man also mit die Winkel, welche die Richtung der Normale mit den positiven Richtungen der , der , der einschliesst, so ergibt sich

|[37]


 Wir denken uns nun die gesammte anziehende Masse, die gleich der Einheit genommen werden möge, in einem Punkte concentrirt, der entweder innerhalb oder ausserhalb oder in der Oberfläche des Raumes T liegen soil. Der Punkt übt auf den Punkt eine Anziehung, deren Componente in der Richtung der wachsenden mit bezeichnet werden möge. Man findet


(1)


wenn den Abstand des Punktes von dem Punkte bezeichnet, also


(2)


Die Linie ist von dem Punkte nach dem Punkte hingezogen, und unter ist der Winkel zu verstehen, welchen diese Richtung mit der Richtung der wachsenden einschliesst. Für den Cosinus dieses Winkels ergibt sich



Mit soll ein Element der Oberflache von bezeichnet werden, und der Punkt soll in der Begrenzungslinie dieses Elementes liegen, so dass für ihn ist. Es handelt sich darum, den Werth des Integrals


(3)


zu ermitteln, wenn die Integration über die ganze Oberfläche von erstreckt wird. Zu dem Ende betrachten wir als die Basisfläche eines Kegels, dessen Spitze im Punkte liegt. Die conische Oberfläche wird dadurch erzeugt, dass man einen von ausgehenden beweglichen Radius vector längs der Begrenzung von hingleiten lässt. Beschreibt man nun (Fig. 6.) um als Mittelpunkt mit dem Radius eine Kugelfläche, so schneidet der eben construirte Kegel aus ihr ein Flächenelement heraus, welches als die rechtwinklige Projection von angesehen werden kann. Denn wegen der unendlich kleinen Dimensionen darf man sowohl , wie das Element der Kugelfläche als ebene |[38]Flächen ansehen. Die Erzeugenden des Kegels sind dann die projicirenden Strahlen. Sie stehen als Radien sämmtlich rechtwinklig

Fig. 6.

auf der Kugelfläche. Man erhält also das Element der Kugelfläche, indem man mit dem Cosinus des spitzen Winkels multiplicirt, welchen die im Punkte errichteten Normalen der Kugel und des Flächenelementes einschliessen, d. h. mit dem absoluten Werthe von . Das Element, welches der Kegel aus der Kugelfläche vom Radius ausschneidet, ist demnach



und es gilt das negative oder das positive Zeichen, je nachdem der von ausgehende Radius vector an der Stelle in den Raum eintritt oder aus ihm austritt. Die Richtigkeit dieser Vorzeichen-Bestimmung ist leicht einzusehen. Die Richtung der wachsenden schliesst nemlich spitze Winkel ein mit allen geraden Linien, die vom Punkte aus nach dem Innern des Raumes gezogen werden, und stumpfe Winkel mit allen Linien, die vom Punkte nach aussen gehen. Der von nach gezogene Radius vector ist aber der Richtung von gerade entgegengesetzt.

 Legt man nun um den Punkt als Mittelpunkt eine zweite Kugelgläche mit der Längeneinheit als Radius, so schneidet aus dieser der Kegel ein Element heraus, dessen Inhalt sich berechnet


(4)


|[39]  Der eben betrachtete Kegel kann die Oberfläche des Raumes öfter treffen. Dann ist die centrale Projection aller ausgeschnittenen Oberflächen-Elemente, und es ist in der Gleichung (4) das negative oder das positive Vorzeichen gültig, je nachdem das Element an einer Eintritts- oder an einer Austrittsstelle liegt.

 Der Punkt befinde sich zunächst im Innern des Raumes . Dann tritt der Kegel einmal öfter aus als ein.

 Jede Austritts- und jede Eintrittsstelle liefert einen Beitrag zu dem Integral (3), und zwar sieht man aus Gleichung (4), dass dieser Beitrag gleich ist an allen Austrittsstellen und gleich an allen Eintrittsstellen. Der Inbegriff aller Beiträge, welche die durch den Kegel ausgeschnittenen Oberflächen-Elemente liefern, ist demnach



Denn der Beitrag jeder Eintrittsstelle hebt den Beitrag der vorhergehenden Austrittsstelle auf und es bleibt nur der Beitrag der letzten Austrittsstelle übrig. Der Werth des Integrals (3) ist also


(5)


wenn man das letztere über alle die Stellen der Kugel vom Radius 1 erstreckt, welche Projectionen von Oberflächen-Elementen des Raumes sind. Da aber der Punkt im Innern des Raumes liegt, so kann der Elementarkegel durch kein Element der Kugelfläche vom Radius 1 hindurchgehen, ohne irgendwo auch die Oberfläche von zu durchschneiden. D. h. das Integral (5) ist über die ganze Kugelfläche zu erstrecken, und folglich hat man


(6)


wenn der Punkt im Innern des Raumes liegt.

 Nimmt man aber zweitens den Punkt ausserhalb des Raumes , so trifft der Elementarkegel die Oberfläche von entweder gar nicht, oder er tritt ebenso oft aus wie ein. Jede Eintrittsstelle liefert zu dem Integral (3) auch hier den Beitrag , und jede Austrittsstelle den Beitrag . Folglich heben sich die Beiträge auf, welche von jedem einzelnen Elementarkegel herrühren, und man hat |[40]


(7)


wenn der Punkt ausserhalb des Raumes liegt.

 Wenn drittens der Punkt in der Oberfläche des Raumes genommen wird, und zwar an einer stetig gekrümmten Stelle, so zerschneidet die Tangentialebene dieses Punktes die Kugelfläche vom Radius 1 in zwei Halbkugeln. Die eine Halbkugel wird von allen den Elementarkegeln getroffen, deren Erzeugende anfänglich innerhalb des Raumes verlaufen. Die andere Halbkugel wird von allen den Elementarkegeln getroffen, deren Erzeugende anfänglich ausserhalb des Raumes liegen. Rücksichtlich der ersteren ist der Punkt anzusehen als innerhalb des Raumes liegend, rücksichtlich der letzteren als ausserhalb liegend. Folglich erhält man


(8)


wenn der Punkt an einer stetig gekrümmten Stelle der Oberfläche des Raumes sich befindet.

 Liegt endlich der Punkt in einer Kante oder einer Spitze der Oberfläche von , so sieht man leicht, dass das Integral (3) gleich demjenigen Theil der Kugelfläche vom Radius 1 ist, für welchen die schneidenden Elementarkegel anfänglich innerhalb des Raumes liegen. Um die Begrenzung dieses Flächentheils zu finden, braucht man nur im Punkte den Tangentenkegel der Oberfläche von zu construiren. Diese Kegelfläche schneidet die Kugel in der gesuchten Begrenzungslinie.

 Der Satz dieses Paragraphen rührt von Gauss her. Soweit er sich in den Gleichungen (6), (7), (8) ausspricht, bildet er das Theorema 4 der Abhandlung: Theoria attractionis corporum sphaeroidicorum ellipticorum homogeneorum methodo nova tractata.*)[3] Den letzten Zusatz hat Gauss später gemacht im 22. Artikel der Abhandlung: Allgemeine Lehrsätze in Beziehung auf die im verkehrten Verhältnisse des Quadrats der Entfernung wirkenden Anziehungs- und Abstossungskräfte.**)[4]


|[41]

§. 12.
Das Oberflächen-Integral . Satz von Gauss.


 Wir wollen das Resultat des vorigen Paragraphen verallgemeinern. Vorab werde folgende Bemerkumg gemacht. Wir haben einen beliebig, aber vollständig begrenzten Raum betrachtet und ihn mit bezeichnet. Ein Element dieses Raumes soll nun mit bezeichnet werden. Der Ausdruck für ist ein anderer, je nachdem man andere Coordinaten nimmt. So hat man z. B.



für rechtwinklige Coordinaten, dagegen



für Kugel-Coordinaten.

 Ein Flächen-Element wollen wir mit bezeichnen und ein Linien-Element mit . Die Ausdrücke für und für sind ebenfalls abhängig von der Wahl der Coordinaten.

 Bisher ist fast ausschliesslich der Fall betrachtet, dass die anziehende Masse über einen Raum von drei Dimensionen stetig vertheilt ist, und dass nur in einem Raume von endlicher Grösse sich eine endliche Masse befindet. Der Allgemeinheit wegen sollen aber auch die beiden abstracten Fälle mit berücksichtigt werden, dass die Masse in einer Fläche oder in einer Linie stetig ausgebreitet ist, und dass in einer Fläche von endlicher Grösse oder resp. in einer Linie von endlicher Grösse eine endliche Masse zu finden ist. Bezeichnet man mit ein Massenelement und mit die Dichtigkeit, so hat man


(1)


bei räumlicher Vertheilung der Masse; dagegen


(2)


bei der Vertheilung auf einer Fläche; und endlich


(3)


bei der Vertheilung auf einer Linie. Dabei ist resp. mit , , ein Element des Raumes, oder der Fläche oder der Linie bezeichnet, über welche die Masse vertheilt ist. Jedenfalls ist die Componente der Anziehung, welche auf den Punkt in der Richtung der wachsenden ausgeübt wird: |[42]


(4)


 Wir wollen nun wieder den Punkt in die Oberfläche eines beliebig, aber völlig, begrenzten Raumes legen und das Integral



über die ganze Oberfläche von erstrecken. Es ist



oder, wenn man in der umgekehrten Reihenfolge integrirt:



Wir haben aber im vorigen Paragraphen bewiesen, dass das Integral



den Werth oder hat, je nachdem der Punkt , in welchem das Massenelement concentrirt gedacht wird, ausserhalb oder innerhalb des Raumes T liegt. Folglich ist



und man hat die Integration rechts nur über die Massenelemente zu erstrecken, welche innerhalb liegen. Bezeichnet man mit die gesammte Masse, welche innerhalb liegt, so ergibt sich


(5)


Dies Resultat bezieht sich auf den Fall, dass die anziehende Masse über einen Raum oder über eine Fläche oder über eine Linie vertheilt ist, und dass ein endlicher Theil davon in das Innere des Raumes fällt, in den beiden letzten Fallen aber kein endlicher Theil in die Oberfläche von .

 Ist die Masse über eine Fläche oder eine Linie ausgebreitet, die nicht im Innern des Raumes , sondern in seiner stetig gekrümmten Oberfläche liegt, so erhält man


(6)


|[43]  Ist die Masse über eine Kante der Oberfläche von vertheilt, so hat man sie in Linienelemente zu zerlegen. Die Masse eines solchen Linienelementes kann man sich in einem Punkte desselben concentrirt denken. Fur diesen Punkt hat man das Integral


(7)


nach Anleitung des vorigen Paragraphen zu ermitteln. Der Werth des Integrals ist mit zu multipliciren und hierauf eine neue Integration über die mit Masse erfüllte Kante auszuführen.

 Wenn endlich die Masse in einem Punkte concentrirt ist, der entweder an einer stetig gekrümmten Stelle oder in einer Kante oder Spitze der Oberfläche von liegt, so hat man wieder den Werth des Integrals (7) nach dem Satze des vorigen Paragraphen zu ermitteln und diesen mit zu multipliciren.

 Beispielsweise sei der Raum ein rechtwinkliges Parallelepipedon. Befindet sich in seinem Innern die endliche Masse , dagegen keine Masse in der Oberfläche, so ist



Ist die Masse über die Oberfläche ausgebreitet, aber im Innern und in den Kanten und Ecken keine endliche Masse vorhanden, so hat man



Ist die Masse M allein über die Kanten vertheilt, so findet sich



Wenn endlich nur in den Eckpunkten sich Masse befindet, deren gesammtes Quantum ist, so ist



Es ist nicht unwichtig, hier noch eine Bemerkung zu machen. Versteht man unter die Potentialfunction der anziehenden Masse auf den Punkt , so hat man


(8)


|[44]Für jede Lage des Punktes , in welcher die Componente der Anziehung einerseits, der Differentialquotient andererseits je einen bestimmten Werth haben, ist


(9)


Trifft dies an jeder Stelle der Oberfläche von ein, so kann man in dem Satze dieses Paragraphen statt auch schreiben . Es trifft ein, wenn kein endlicher Theil der Masse in der Oberfläche von gelegen ist. Wir werden aber im §. 14 sehen, dass es nicht mehr eintrifft, wenn eine endliche Masse in der Oberfläche von vertheilt ist. Es muss aber betont werden, dass der Satz dieses Paragraphen sich auf die Componente der Anziehung bezieht. Der Satz rührt von Gauss her.*)[5]



§. 13.
Die Gleichung:


 Die Masse sei in einem Raume von drei Dimensionen stetig vertheilt. Im Innern dieses Raumes betrachten wir ein gerades

Parallelepipedon, von welchem ein Eckpunkt, dem Anfangspunkte
Fig. 7.
zunächst gelegen, die Coordinaten hat. Die von diesem Eckpunkte (Fig. 7) ausgehenden Kanten von der Länge sollen den rechtwinkligen Coordinatenaxen parallel laufen. Auf dieses Parallelepipedon wenden wir den Satz des vorigen Paragraphen an. Rechtwinklig zur Axe der liegen zwei Seitenflächen, jede vom Inhalt , die eine im Abstande , die andere im Abstande von der Ebene. Für die erste ist



|[45]für die andere


.


Folglich liefern die beiden eben betrachteten Flächen zu dem Integral


(1)


den Beitrag



Ebenso findet sich



als der Beitrag, welchen die beiden zur Axe rechtwinkligen Begrenzungsflächen liefern, und



als der Beitrag, welcher von den beiden zur Axe rechtwinkligen Begrenzungsflächen herrührt. Das Integral (1), über die ganze Begrenzung des Parallelepipedon erstreckt, hat also den Werth


(2)


Dabei ist vorausgesetzt, dass je einen bestimmten endlichen Werth haben, dass also der Punkt weder in der Oberfläche des anziehenden Körpers noch in einer Unstetigkeitsstelle der Dichtigkeit liege.

 Nach dem Satze des vorigen Paragraphen ist das Integral (1) gleich


(3)


wenn mit die Dichtigkeit im Punkte bezeichnet wird. Folglich erhält man aus (2) und (3)


(4)


Dies ist die Verallgemeinerung des Satzes von Laplace. Wir haben sie an einem Beispiele bereits in §. 5, Gleichung (8) kennen gelernt. Hier ist sie für jeden Punkt bewiesen, der innerhalb eines beliebig gestalteten, mit Masse erfüllten Raumes liegt, |[46]nur nicht in der Oberfläche und nicht in einer Unstetigkeitsstelle der Dichtigkeit.



§. 14.
Die anziehende Masse ist über eine Fläche ausgebreitet. Die Gleichung:


 Wir betrachten den abstracten Fall, dass die Masse über eine Fläche stetig vertheilt ist. Ein Punkt der Fläche habe die Coordinaten . Die Dichtigkeit an dieser Stelle sei . Wir verstehen darunter den Quotienten, der sich ergibt, wenn die Masse des an anstossenden Flächen-Elementes durch den Inhalt dieses Elementes dividirt wird. Die Dichtigkeit soll in keinem Punkte der Fläche unendlich gross sein und, wenn nichts anderes ausdrücklich gesagt ist, sich überall stetig ändern. Dann haben wir


(1)


und die Integration ist über die ganze anziehende Fläche zu erstrecken.

 Liegt der angezogene Punkt ausserhalb der anziehenden Fläche in endlichem, wenn auch noch so kleinem Abstände von derselben, so haben und ihre Derivirten bestimmte, endliche Werthe, und die Untersuchung bietet nichts neues dar. Wir wenden uns deshalb zu dem Falle, dass der Punkt in der anziehenden Fläche selbst liegt, oder dass er auf der Normale von der einen oder von der anderen Seite in die Fläche hineinrückt.

 Von jedem Punkte der Fläche aus verläuft die unbegrenzte Normale nach zwei entgegengesetzten Richtungen, die wir als positiv und negativ unterscheiden. Ist für irgend einen Punkt der Fläche festgesetzt, nach welcher Seite hin die Normale positiv genannt werden soll, so hat man damit über die positiven Normalen aller anderen Punkte der Fläche entschieden. Verschiebt man nemlich die positive Normale eines Punktes so, dass ihr Fusspunkt in der Fläche sich bewegt und sie selbst stets normal zur Fläche bleibt, so fällt sie der Reihe nach mit den positiven Normalen aller der Punkte zusammen, welche ihr Fusspunkt in der Fläche durchläuft. Um einen Punkt herum, in welchem die Fläche stetig |[47]gekrümmt ist, kann man auf derselben immer in endlichem Abstande eine Begrenzung so zeichnen, dass die positiven Normalen aller Punkte des umgrenzten Gebietes spitze Winkel mit einander bilden.

 Auf der unbegrenzten Normale einer Fläche wollen wir von dem Fusspunkte aus eine veränderliche Strecke mit bezeichnen. Die Grösse ist positiv oder negativ, je nachdem die Strecke von dem Fusspunkte aus auf der positiven oder auf der negativen Normale abgetragen ist. Auf jeder Normale gibt es hiernach nur eine Richtung der wachsenden , und in dieser Richtung ist der positive Zuwachs zu rechnen.

 Wir legen nun den Anfangspunkt der Coordinaten in den Punkt der Fläche, in welchen der angezogene Punkt hineinrücken soll. Die Axe der positiven werde in die positive Normale gelegt, die Axen der und der in die Tangentialebene. Es sei der Winkel, welchen die auf errichtete positive Normale mit der Axe der positiven einschliesst. Um den Anfangspunkt der Coordinaten herum grenzen wir ein endliches Gebiet der Fläche so ab, dass innerhalb desselben endlich und stetig variabel ist. Der Theil der Potentialfunction , welcher von diesem Gebiete herrührt, werde mit , der übrige Theil mit bezeichnet. Für die anziehende Masse, von welcher herrührt, ist der Punkt ein äusserer und daher ist die Function mit allen ihren Derivirten endlich und stetig variabel. Es kömmt also nur noch auf an.

 In der Ebene führen wir Polar-Coordinaten ein, so dass




Für einen Punkt innerhalb des Gebietes, welches den Anfangspunkt der Coordinaten in sich enthält, kann man ein angrenzendes Flächenelement ausdrücken durch



Alsdann findet sich


(2)


Das Gebiet, von welchem herrührt, habe in der Ebene eine Kreisfläche vom Radius zur Projection. Dann ist in (2) die In- |[48]tegration von bis in Beziehung auf und von bis in Beziehung auf auszudehnen. Nun lässt sich leicht zeigen, dass einen bestimmten, endlichen Werth hat. Denn zunächst ist die Function innerhalb der Integrationsgrenzen überall endlich. Für wird freilich auch , wenn man den angezogenen Punkt auf der Normale des Anfangspunktes der Coordinaten in diesen selbst hineinrücken lässt. Aber der Bruch kann in die Form gebracht werden



Für ist auch . Lassen wir nun auch in Null übergehen, so nimmt der positive Bruch die Form an. Welchen Werth er aber auch haben möge, so sieht man doch, dass nicht unendlich werden kann. Die Function unter dem Integralzeichen in (2) ist also innerhalb des Integrationsgebietes überall endlich, und deshalb hat auch das Integral einen durchaus bestimmten endlichen Werth.

 Behält man auf der Fläche dasselbe abgegrenzte Gebiet, von welchem die Potentialfunction herrührt, bei, lässt aber den angezogenen Punkt von aussen her an eine andere Stelle dieses Gebiets rücken, so nimmt auch einen anderen, jedenfalls aber einen bestimmten, endlichen Werth an. Es lässt sich demnach eine Grösse angeben, die nicht unendlich gross ist und so beschaffen, dass



an welcher Stelle des abgegrenzten Gebietes der angezogene Punkt liegen möge. Wird dieser Punkt unendlich wenig in der Fläche verschoben, so gilt für die dadurch entstehende Aenderung um so mehr die Ungleichung



Die Grösse lässt sich aber kleiner und kleiner machen und dem Grenzwerthe Null unaufhörlich annähern. Dazu hat man nur nöthig, den Radius unaufhörlich abnehmen zu lassen. Folglich ist



|[49]Von ist schon oben nachgewiesen, dass es endlich und stetig variabel ist. Folglich ist auch



d. h. die Function ist endlich, wenn auch der Punkt in die anziehende Fläche hineinfällt, und der Werth von ändert sich stetig, wenn der Punkt in der Fläche stetig verschoben wird. Bezeichnen wir mit eine unendlich kleine Verschiebung in der Fläche, so hat der Differentialquotient einen bestimmten, endlichen Werth. Er ist nur unendlich wenig von den Werthen verschieden, welche derselbe Differentialquotient annimmt, wenn der Punkt auf der einen oder auf der anderen Seite unendlich nahe an der Fläche liegt. Der Differentialquotient ist identisch mit der Componente der Anziehung in der Richtung von , so lange der Punkt nicht in der Fläche liegt. Fällt aber der Punkt in die Fläche, so ist zwischen dem Differentialquotienten und der Componente der Anziehung zu unterscheiden. Jener behält, wie eben bewiesen, einen bestimmten angebbaren Werth. Diese wird völlig unbestimmt, weil das Integral, durch welches sie ausgedrückt wird, jede Bedeutung verliert, sobald der angezogene Punkt in die anziehende Fläche fällt.

 Fasst man aber eine Verschiebung auf der Normale ins Auge, so findet sich, dass die Componente der Anziehung in der Richtung dieser Verschiebung und die Derivirte in derselben Richtung identisch sind, falls der Punkt auf der positiven oder der negativen Normale der Fläche unendlich nahe genommen wird. Legt man ihn aber in die Fläche selbst, so hat die Componente der Anziehung einen bestimmten Werth, die Derivirte ist dagegen völlig unbestimmt.

 Um dies zu beweisen, errichten wir auf der Stelle, in welche der Punkt hineinrücken soll, die Normale und tragen auf ihr die unendlich kleinen Strecken und ab. Die Componente der Anziehung in der Richtung der positiven Normale werde resp. mit bezeichnet, je nachdem der angezogene Punkt auf der Normale in ihrem Fusspunkte liegt oder um die Strecke oder von dem Fusspunkte entfernt. Ein Flächenelement, in dessen Begrenzung der Fusspunkt der Normale

|[50]liegt, werde mit bezeichnet. Wir nehmen die Begrenzung von zur Directrix einer Cylinderfläche, deren Erzeugende zu der Normale parallel läuft, und legen zwei Schnittebenen rechtwinklig zur Normale (Fig. 8) im Abstande und resp. von dem Fusspunkte.
Fig. 8.
Dadurch werden zwei unendlich kleine cylindrische Räume abgegrenzt, deren gemeinschaftliche Basisfläche ist, und die nach der Seite der positiven und resp. der negativen Normale zu liegen. Auf jeden dieser beiden Räume wenden wir den Satz von Gauss (§. 12) an. Der Beitrag, welchen die cylindrischen Mantelflächen zu dem Integral liefern, kann vernachlässigt werden, weil wir die Höhe so klein nehmen, dass das Verhältnis der Mantelflächen zu unendlich klein wird. Betrachten wir zuerst den Cylinder, welcher nach der Seite der positiven Normale liegt, so liefert die Basisfläche zu dem Integral den Beitrag



denn die auf nach dem Innern des Cylinders gezogene Normale fällt mit der positiven Normale der anziehenden Fläche zusammen. Die Gegenfläche liefert den Beitrag



denn ihre nach dem Innern des Cylinders gezogene Normale fällt in die Richtung der negativen Normale der anziehenden Fläche. Im Innern des Cylinders ist keine anziehende Masse vorhanden, sondern nur in seiner einen Begrenzungsfläche . Das Quantum dieser Masse ist , wenn mit die Dichtigkeit im Fusspunkte der Normale bezeichnet wird. Der Satz von Gauss lautet hier also



und daraus findet sich


(3)


 In derselben Weise wenden wir den Satz von Gauss auf den zweiten Cylinder an, der nach der Seite der negativen Normale liegt. Hier ergibt sich



d. h.


(4)


|[51]  Die Componente der Anziehung in der Richtung der positiven Normale nimmt also sprungweise um ab, wenn der angezogene Punkt von der Seite der negativen Normale in die Fläche eintritt, und aufs neue um , wenn er aus der Fläche nach der Seite der positiven Normale austritt.

 Was nun den Differentialquotienten betrifft, so hat man


(5)


Denn so lange der Punkt ausserhalb der Fläche liegt, haben die ersten Differentialquotienten von einerseits und die Componenten der Anziehung andererseits bestimmte, endliche Werthe, und wo dies der Fall ist, gelten die Gleichungen (5). Fällt aber der Punkt in die Fläche hinein, so hat der Differentialquotient keinen bestimmten Werth mehr. Er ist gleich oder gleich , je nachdem man den Punkt auf der positiven oder auf der negativen Normale in deren Fusspunkt hineinrücken lässt, d. h. eben: sein Werth ist unbestimmt.

 Aus den Gleichungen (3), (4), (5) folgt noch


(6)


Der Differentialquotient nimmt also sprungweise um ab, wenn der Punkt von der Seite der negativen Normale nach der Seite der positiven Normale durch die Fläche hindurchgeht.



§. 15.
Fortsetzung: Die Componente der Anziehung normal zur Fläche.


 Wir haben den Anfangspunkt der Coordinaten an die Stelle der anziehenden Fläche gelegt, in welche der angezogene Punkt hineinrücken soll, die Axe der positiven in die positive Normale, die Ebene in die Tangentialebene. Die Componente der Anziehung in der Richtung der positiven Normale, die wir im vorigen Paragraphen mit bezeichnet haben, ist fur dieses Coordinatensystem dasselbe wie und wird ausgedriickt durch das Integral


(1)


|[52]welches über die ganze anziehende Fläche zu erstrecken ist. Grenzt man nun auf der Fläche ein Gebiet ab, welches den Anfangspunkt der Coordinaten in sich enthält, und dessen Begrenzungslinie von diesem Punkte überall endlichen Abstand hat, so kann man das Integral in zwei Bestandtheile zerlegen. Für den ersten Bestandtheil wird die Integration über das abgegrenzte Gebiet erstreckt, für den zweiten Bestandtheil über die ganze Fläche ausserhalb des abgegrenzten Gebietes. Der angezogene Punkt soll auf der Axe der liegen, jedenfalls in endlicher Entfernung von allen Punkten des äusseren Gebietes. Danach sieht man, dass der zweite Bestandtheil des Integrals eine endliche Function ist, die sich überall stetig ändert, selbst dann noch, wenn der angezogene Punkt beim stetigen Durchlaufen der Axe von der negativen Seite durch den Nullpunkt auf die positive Seite übergeht. Diese stetige Function soll mit bezeichnet werden (functio continua). Das abgegrenzte Gebiet, über welches bei dem ersten Bestandtheil von die Integration zu erstrecken ist, werde so gewählt, dass seine Projection in der Ebene einen Kreis vom Radius einfach bedeckt, und dass innerhalb der Integrationsgrenzen der Quotient überall endlich und stetig variabel ist. Führen wir dann für das abgegrenzte Gebiet dieselben Coordinaten ein, wie in Gleichung (2) des vorigen Paragraphen, so ergibt sich


(2)


Dabei ist und Wir wollen zur Abkürzung setzen. Zunächst ist das Integral


(3)


zu untersuchen. Wir haben



folglich



|[53]Multiplicirt man hier auf beiden Seiten mit und integrirt, so findet sich



Den ersten Bestandtheil der rechten Seite transformiren wir durch Integration nach Theilen:



Demnach ist



d. h. kürzer



Handelt es sich um die bestimmte Integration zwischen den Grenzen und , so hat man den Werth von an diesen Grenzen zu ermitteln. Für ist , folglich Ferner ist für auch und deshalb:



 Nehmen wir , so ist



Es fragt sich also, was aus wird für . Wir legen eine Ebene, welche die Axe der in sich enthält und mit der Axe

|[54]der positiven den Winkel einschliesst. Diese Ebene schneidet die Ebene in der geraden Linie, auf welcher gezählt wird.
Fig. 9.
Da nun die Ebene die anziehende Fläche berührt, so ist (Fig. 9) die Axe der im Anfangspunkte der Coordinaten Tangente an der Curve, in welcher die Fläche von der Hülfsebene geschnitten wird, und es findet sich


für


Folglich lautet das Ergebnis



An der oberen Grenze sei . Die Grössen und sind endliche und stetige Functionem von . Man findet also


(4)


und die Constante hat den Werth oder oder , je nachdem positiv oder negativ oder Null ist. Die Function hat immer einen endlichen Werth, der sich nur unendlich wenig ändert, wenn von unendlich kleinen negativen durch Null zu unendlich kleinen positiven Werthen übergeht.

 Es bleibt noch übrig, die beiden Integrale auf der rechten Seite der Gleichung (4) zu untersuchen. Wir zerlegen das Intervall von bis in zwei, nemlich von bis zu einer beliebig kleinen Grösse und von bis . Die Grösse soll so klein gewählt werden, dass zwischen und sein Vorzeichen nicht ändert. Da ein echter Bruch ist, auch für , so ist der absolute Werth des Integrals |[55]



jedenfalls kleiner als der absolute Werth von



d. h. kleiner als der absolute Werth der Differenz . Nun ist aber stetig variabel, folglich kann diese Differenz durch unendliches Abnehmen von kleiner gemacht werden als irgend eine angebbare Zahl. Um so mehr wird


(5)


beim unendlichen Abnehmen von unter jeden angebbaren Werth herabsinken.

 Das Integral


(6)


hat einen endlichen Werth, der mit sich stetig ändert, auch für und für unendlich kleine positive oder negative . Denn eine Aenderung von bewirkt unter dem Integralzeichen nur eine Aenderung des Factors . So lange einen endlichen Werth hat, nimmt dieser Factor Werthe an, die sich nur unendlich wenig unterscheiden, man möge oder unendlich klein nehmen. Bei unendlich abnehmendem hat man aber



d. h. da ist:



|[56]Man kann aber bei eimem gegebenen unendlich kleinen das unendlich kleine so wählen, dass ist. Innerhalb der Integrationsgrenzen und ist demnach für ein unendlich kleines



gleichgültig, ob oder ist. Damit ist die eben behauptete Eigenschaft des Integrals (6) bewiesen auch für ein unendlich abnehmendes . Wir gehen über zu dem Integral


(7)


Da ist für , so kann man im allgemeinen setzen



wobei eine positive Constante und eine Function von und bedeutet, die innerhalb der Integrationsgrenzen überall von Null verschieden, endlich und stetig variabel ist. Daher findet sich



ist ein echter Bruch, der sich für und dem Grenzwerthe annähert. Also ist innerhalb der Integrationsgrenzen endlich. Der grösste Werth dieser Function sei .

 Dann haben wir



und man sieht, dass durch unaufhörliches Abnehmen von der Werth des Integrals (7) unter jede angebbare Zahl herabsinkt. Der Werth dieses Integrals ist demnach für ein unendlich kleines davon unabhängig, ob oder gleich genommen wird.

 Das Integral


(8)


hat für ein endliches einen bestimmten, endlichen Werth, der |[57]sich nur unendlich wenig ändert, wenn von unendlich kleinen negativen Werthen durch Null zu unendlich kleinen positiven Werthen übergeht. Lässt man aber die untere Grenze unendlich klein werden, so kommen zu dem Integral nur solche Beiträge hinzu, deren Inbegriff selbst unendlich klein ist, und die deshalb auch bei einer Aenderung von einen wesentlichen Einfluss nicht ausüben.

 Nach diesen Erörterungen kann man nun in Gleichung (4) auf beiden Seiten mit multipliciren und hierauf in Beziehung auf von bis integriren. Die rechte Seite gibt dann den Werth von . Auf diese Weise bestätigt sich der Satz des vorigen Paragraphen über die sprungweise eintretende Aenderung der zur Fläche normalen Componente der Anziehung.

 Es muss noch erwähnt werden, dass in einem Ausnahmefalle das Integral



keinen endlichen Werth behält, nemlich wenn für der Differentialquotient wird wie . Setzt man



so ist



Daraus folgt, dass das unbestimmte Integral eine Function von ist, die für unendlich gross wird wie . Das bestimmte Integral hat also keinen angebbaren Werth. Dieser Ausnahmefall darf aber ohne Nachtheil von der Untersuchung ganz ausgeschlossen werden.*)[6]


|[58]

§. 16.
Die anziehende Masse ist über eine unendliche gerade Linie vertheilt.


 Wir gehen zu dem abstracten Falle über, dass die Masse in einer Linie vertheilt ist. Unter der Dichtigkeit im Punkte dieser Linie verstehen wir den Quotienten, den man erhält, wenn die Masse des an den Punkt anstossenden Linienelementes durch die Länge dieses Elementes dividirt wird. Die Dichtigkeit soll in jedem Punkte der Linie endlich sein und, wenn nichts anderes ausdrücklich gesagt ist, an keiner Stelle sich sprungweise ändern.

 Zunächst nehmen wir den einfachsten Fall, dass die Masse mit constanter Dichtigkeit in einer unbegrenzten geraden Linie vertheilt ist. Wir legen in sie die Axe der . Das an den Punkt anstossende Massenelement ist . Die Entfernung von dem angezogenen Punkte ist . Statt mit darf man auch mit multipliciren und hat demnach


(1)


Denn die Derivirten dieser Function nach oder nach oder nach sind dieselben, als wenn unter dem Integral einfach stände. Die Function wird eingeführt, weil das Integral



keine Bedeutung mehr hat, wenn die Grenzen und genommen werden. Man hat deshalb so einzurichten, dass das Integral (1) einen bestimmten, angebbaren Werth erhalte. Wir setzen


für


für


für


und verstehen unter eine beliebige endliche, positive Grösse. Die unbestimmte Integration |[59]



lässt sich ausführen. Man erhält



und daher ergibt sich


(2)


Auf demselben Wege berechnet man



folglich


(3)


 Endlich gelangt man durch einfache Umformungen zu der Gleichung


(4)


Aus (2), (3), (4) setzt sich das Integral auf der rechten Seite von (1) durch Addition zusammen. Das Resultat lautet:



|[60]Die willkürliche Zahl darf man nun setzen. Dann wird


(5)


oder, wenn man den Abstand des Punktes von der anziehenden Linie mit bezeichnet:


(6)


Die Potentialfunction ist hier also von unabhängig und daher die Componente der Anziehung in der Richtung parallel zur anziehenden Linie gleich Null. Dies war bei dem unbegrenzten Verlauf der Linie und der constanten Dichtigkeit ihrer Masse vorauszusehen. Man hätte auch den Anfangspunkt der Coordinaten auf der Axe der so verschieben können, dass der angezogene Punkt in die neue Ebene fällt. Dadurch wird und geht über in . Die Integration in (1) bleibt aber von bis zu erstrecken.

 Von der Richtigkeit der Gleichung (6) kann man sich auch auf folgendem Wege überzeugen. Man nehme ausser dem Punkte noch einen Punkt und bezeichne die Potentialfunction der anziehenden Linie auf den ersten Punkt mit , auf den anderen mit . Setzt man und , so hat man


(7)


Die Integration erstrecken wir zunächst von bis und suchen den Grenzwerth für . Nun ist aber



folglich



für , d. h.


(8)


|[61]Da aber nur von und nur von abhängig ist, so zerfällt die Gleichung (8) in die beiden folgenden:



Die Constante hat in beiden Gleichungen denselben Werth. Es kömmt aber auf sie gar nichts an. Man darf sie also auch setzen und erlangt so wieder die Gleichung (6).

 Uebrigens ist es auch leicht, die Potentialfunction für den Fall herzustellen, dass die Masse mit constanter Dichtigkeit über einen endlichen Theil der Axe (von bis ) vertheilt ist. Man erhält


(9)


Die Integration lässt sich ausführen. Wir bringen das Resultat in drei verschiedene Formen, je nachdem oder oder ist, nemlich


(10)


für ; dagegen


(11)


fur ; und endlich


(12)


für .

 Lässt man in (12) werden, d. h. den angezogenen Punkt in die anziehende Linie fallen, so wird unendlich wie , also gerade so wie bei der unbegrenzten anziehenden Linie.


|[62]

§. 17.
Die anziehende Masse ist über eine beliebige Linie vertheilt. Die Gleichung:


 Die anziehende Masse sei über eine krumme Linie vertheilt. Wir bezeichnen mit s die Länge des Bogens von dem Anfangspunkte der Curve bis zum Punkte . Im Endpunkte sei . Die Dichtigkeit wird als eine stetige Function von vorausgesetzt. Wir legen den Anfangspunkt der Coordinaten in einen Punkt der Curve, in welchem die Krümmungsradien nicht unendlich klein sind. Die Tangente der Curve in diesem Punkte wählen wir zur Axe der . Der angezogene Punkt soll in der Ebene liegen. Es handelt sich hauptsächlich um die Frage, was aus der Potentialfunction wird, wenn der angezogene Punkt unendlich nahe an den Anfangspunkt der Coordinaten heranrückt. Wir haben


(1)


(2)


 Zur Abkürzung werde gesetzt. Bezeichnen wir mit die Dichtigkeit im Anfangspunkte der Coordinaten, so lässt sich leicht beweisen, dass für die Function unendlich wird wie . Um den Beweis zu führen , bringen wir zunächst in die Form


(3)


Hier sind und die Werthe von für und resp. , und ist der Winkel, welchen die Tangente der Curve mit der Axe der positiven einschliesst. Denken wir uns nun die Axe der von der Stelle bis zu der Stelle mit anziehender Masse von der constanten Dichtigkeit belegt und bezeichnen die davon herrührende Potentialfunction mit , so findet sich |[63]



 Aus (3) und (4) erhält man


(5)


Das Integral auf der rechten Seite dieser Gleichung hat einen bestimmten, endlichen Werth, so lange von Null verschieden. Für nimmt der Factor von an einer Stelle zwischen den Integrationsgrenzen die Form an, nemlich an der Stelle . Um den wahren Werth zu ermitteln, bringen wir die Function in die Form



Nun kann man leicht zeigen, dass für die Brüche und sich derselben endlichen Grenze annähern, wenn man in übergehen lässt. Denn es ist




Lässt man in Null übergehen, so werden gleichzeitig auch und zu Null. Man erhält . Beide Differentialquotienten sind aber gleich Null für , weil die Axe der im Anfangspunkte die Curve berührt. Für hat man also



Dieser gemeinschaftliche Grenzwerth ist aber jedenfalls verschieden von , d. h. er ist endlich, selbst wenn man nehmen will. |[64]

 Man kann also schreiben



und es handelt sich jetzt nur noch um den Grenzwerth von



Dieser findet sich nach den Regeln der Differentialrechnung



Nun ist aber für . Die Differentialquotienten und sind endlich. Ist also , so erhält man selbst an der Stelle zu dem Integral (5) nur einen unendlich kleinen Beitrag. Alle übrigen Elemente des Integrals sind ebenfalls unendlich klein. Folglich hat das Integral einen bestimmten, endlichen Werth auch für , und die Differenz ist eine endliche und stetige Function von . Die Function ist aber in Gleichung (12) des vorigen Paragraphen ausgedrückt. Wir haben demnach


(6)


wenn mit eine endliche und stetige Function bezeichnet wird. Das eben gewonnene Resultat lässt sich auch aus dem Satze von Gauss (§. 12) herleiten. Wir machen auf der Curve ein Element , das als geradlinig angesehen werden darf, zur Axe eines geraden Kreiscylinders mit dem Radius (Fig. 10). Da in Null übergehen soll, so kann man es so klein wählen, dass das Verhältnis gleich Null wird. Die Endflächen des Cylinders sind dann verschwindend klein im Vergleich zu der Mantelfläche,

|[65]und daher darf der Beitrag zu dem Integral welcher von den Endflächen herrührt, vernachlässigt werden.
Fig. 10.
Für einen Punkt der Mantelfläche fällt die Richtung der nach innen gezogenen Normale zusammen mit der Richtung der abnehmenden . Es ist also hier



und diese Componente der Anziehung hat wegen der unendlich kleinen Dimensionen des Cylinders denselben Werth in allen Punkten seiner Mantelfläche. Danach findet sich das Integral hier



Die anziehende Masse liegt im Innern des Cylinders, in seiner Axe. Bezeichnen wir die Dichtigkeit in einem Punkte von mit , so lautet der Satz von Gauss:



d. h. nach gehöriger Reduction


(7)


 Daraus geht ohne weiteres hervor, dass für ein unendlich ahnehmendes die Function unendlich wird wie .



§. 18.
Recapitulation.


 Wir recapituliren noch einmal die gewonnenen Resultate.

 Die anziehende Masse kann in einzelnen getrennt liegenden Punkten concentrirt sein. Dann ist



und die Summirung bezieht sich auf sämmtliche Massenpunkte. |[66]Oder die Masse ist stetig vertheilt über einen Raum, resp. über eine Fläche, resp. über eine Linie. In diesen drei Fällen ist



und man hat die Integration üiber das ganze mit Masse erfüllte geometrische Gebilde auszudehnen. Unter allen Umständen genügt die Potentialfunction in einem Punkte , wo keine Masse vorhanden ist, der Gleichung von Laplace:


(1)


 Wir wollen voraussetzen, dass kein Theil der anziehenden Masse in unendlicher Entfernung liege.

 Ist die Masse über einen Raum stetig vertheilt, so genügt die Potentialfunction ausserhalb dieses Raumes der partiellen Differentialgleichung (1), innerhalb desselben aber [§. 13 (4)] der partiellen Differentialgleichung


(2)


und es bedeutet die Dichtigkeit in dem inneren Punkte . Die Function und ihre ersten Derivirten sind im ganzen unendlichen Raume endlich und stetig variabel.

 Bei stetiger Vertheilung der Masse auf einer Fläche genügt die Potentialfunction im ganzen unendlichen Raume der partiellen Differentialgleichung (1). Die Function selbst ist überall endlich und stetig variabel. Die ersten Derivirten , , sind endlich und stetig variabel, so lange der Punkt in endlicher, wenn auch noch so kleiner Entfernung von der Fläche sich befindet. Für einen Punkt in der Fläche oder unendlich nahe an derselben hat man eine Verschiebung in der Fläche von einer Verschiebung auf der Normale zu unterscheiden. Die Derivirte ist in der Fläche endlich und stetig variabel. Sie weicht nur unendlich wenig ab von den Werthen der gleichnamigen Derivirten in einem ausserhalb der Fläche unendlich nahe gelegenen Punkte auf der einen wie auf der anderen Seite. Die |[67]Derivirte ändert sich sprungweise beim Durchgang durch die Fläche, und zwar so, dass


(3)


Mit ist die Dichtigkeit in dem Punkte der Fläche bezeichnet, auf dessen Normale die unendlich kleinen Abstände und gezählt werden.

 Bei stetiger Vertheilung der Masse in einer Linie (§. 16) genügt die Potentialfunction im ganzen unendlichen Raume der Differentialgleichung (1). Sie ist endlich und stetig variabel, so lange der Punkt in endlicher Entfernung von der anziehenden Linie bleibt. Nimmt man seinen Abstand von der Linie unendlich klein, so wird die Function unendlich wie , und es gilt demnach die Gleichung:


(4) für


Hier bedeutet die Dichtigkeit an der Stelle der anziehenden Linie, in welche der Punkt für hineinrückt.

 Ist endlich die Masse in einem Punkte concentrirt, so gilt für den ganzen unendlichen Raum die partielle Differentialgleichung (1). Die Function ist endlich und stetig variabel, so lange der Punkt in endlicher Entfernung von dem anziehenden Punkte liegt. Bezeichnet diese Entfernung, so findet sich leicht


(5)


und diese Gleichung gilt noch fur .

 Je nach der Art der Massenvertheilung gilt also neben der partiellen Differentialgleichung (1) noch eine von den Gleichungen (2), (3), (4), (5). Zur vollständigen Bestimmung der Function sind nun noch Gleichungen hinzuzufügen, in denen sich ausspricht, was aus der Function und ihren ersten Derivirten wird, wenn der Punkt in unendliche Entfernung rückt.

 Wir setzen



und bemerken, dass



|[68]ist, wenn keine der Coordinaten unendlich und genommen wird. Liegt also die anziehende Masse ganz im endlichen Gebiete, so hat man bei stetiger Vertheilung:



dagegen bei einer Vertheilung in discreten Punkten:



d. h. es ist in allen Fällen


(6) für


Ferner sieht man leicht, dass



ist für . Dabei ist die Linie in der Richtung von dem Anfangspunkte der Coordinaten nach dem unendlich fernen Punkte genommen. Die letzte Gleichung lässt sich auch so schreiben:


für


Also hat man bei stetiger Massenvertheilung



dagegen bei einer Vertheilung in discreten Punkten



Entsprechende Gleichungen finden sich, wenn und resp. statt genommen wird. Dadurch erlangt man die Resultate:


(7)


(8)


(9)


 Durch die partielle Differentialgleichung (1), die Gleichungen (6) bis (9) und eine der Gleichungen (2) bis (5) ist die Potentialfunction für jeden Punkt vollständig und eindeutig bestimmt. Dieser wichtige Satz soll im §. 22 bewiesen werden.



  1. *) Théorie des attractions des Sphéroïdes et de la figure des Planètes. Par M. de la Place. (Histoire de l’Académie des Sciences 1782.)
  2. **) Bulletin de la société philomatique. Tome 3, Page 368. - Ferner: Poisson. Mémoire sur la théorie du magnétisme en mouvement. (Mémoires de l’Académie royale des Sciences de l’Institut de France. Tome 6, Page 463.) - Mémoire sur l’attraction des sphéroïdes. (Connaissance des temps. 1829. Page 360.)
  3. *) Commentationes Societ. reg. Gotting, recent. Vol. 2. Gottingae 1813. – Carl Friedrich Gauss’ Werke. Bd. 5. Göttingen 1867.
  4. **) Resultate aus den Beobachtungen des magnetischen Vereins im Jahre 1839. Herausgegeben von Gauss und Weber. Leipzig 1840. – Gauss’ Werke. Bd. 5. Göttingen 1867.
  5. *) Allgemeine Lehrsätze etc. Art. 22.
  6. *) Gauss. Allgemeine Lehrsätze etc. Art. 15. 16.