Schwurgericht und Schöffengericht
Literatur:
[Bearbeiten]- A. Schwurgericht.
- Geschichtlich:
- Biener, Engl. Geschworenengericht 1852 fg.,
- Brunner, Entstehung der Schwurgerichte 1872.
- Dogmatisch:
- Glaser-Oetker, Handbuch des Strafprozesses Bd. 3, 1907.
- Ausserordentlich reich die rechtspolitische Literatur.
- Eingehende Nachweise der einheim. u. ausländ. Lit. bei
- Glaser-Oetker Bd. 1 S. 18 fg., 130 fg., 145 fg., 156 fg., 162 fg., 173 fg.,
- Bd. 3 S. 3, 42 (Gerichtsbildung; Oetker, Arch. f. Strafrecht Bd. 49, 50), 88, 117 u. 328
- (Fragestellung;
- H. Meyer, Tat- u. Rechtsfrage im Geschw.-Gericht 1860,
- v. Bar, Recht u. Beweis im Geschw.-Gericht 1865,
- Glaser in Holtzend. Rechtslexikon 1, 905 fg.,
- Oetker, Gerichtssaal Bd. 64 S. 55 fg.), 369 (Wahrspruch), 436 (Prüfung des Wahrspruchs), 530 (Aufhebung des Spruchs), 574 (Rechtsbelehrung), 649 fg. (Schwur- oder Schöffengericht?).
- Ferner:
- Sammelwerk Mittermaier-Liepmann, Schwurger. u. Schöffengerichte, 2 Bde. 1906 fg.;
- Beiträge z. Reform des Strafprozesses 1908 fg. Bd. 1 H. 4 (Bericht einer Kommiss. der Internat, kriminal. Vereinigung)
- H. 6 (Kleinfeller);
- Zeitschr. f. Strafrechtswiss. Bd. 31 S. 15 fg. (Rosenberg).
- Geschichtlich:
- B. Schöffengericht.
- Geschichtlich, dogmatisch und rechtspolitisch:
- Glaser-Oetker, Handbuch I S. 175 Anm. 10, III S. 649 fg., 665 (Gerichtsbildung);
- Sammelwerk Mittermaier-Liepmann.
- Zu A und B. Auf einige für die Zwecke des Aufsatzes besonders wichtige Schriften ist im Text hingewiesen.
- Geschichtlich, dogmatisch und rechtspolitisch:
I. Die Heranziehung nicht-beamteter Richter zum Strafgericht – eine kriminalpolitische Forderung, deren Berechtigung besonderer Prüfung bedarf (vgl. Wach, Volksrichter und Berufsrichter, in diesem Handbuch Abschnitt 22) – kann in Form des Schwurgerichts und des Schöffengerichts erfolgen. Der stets sich erneuernde Kampf zwischen den Anhängern der einen und der andern Bildung deutet darauf, dass beide eigentümliche Vorzüge und Mängel besitzen, und legt den Gedanken nahe, in einem einheitlichen gemischten Gericht nach Möglichkeit die Nachteile beider Institutionen zu überwinden, ihre guten Seiten zu vereinigen. Vorschläge in dieser Richtung bei Oetker Gerichtssaal Bd. 68 S. 81 fg., Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie Bd. 2 Heft 2. Geschworene und Schöffen sind naturgemäss ganz überwiegend Laien, doch ist nicht ausgeschlossen, dass sie rechtsgelehrte Bildung besitzen. Nicht-beamtete und Laien-Richter dürfen daher bei Würdigung der gemischten Gerichte nicht schlechthin gleichgestellt werden. Scharfe Trennung in der Fragestellung bei Binding, die drei Grundfragen zur Organisation des Strafgerichts (1876).
II. Der Ursprung der englischen Jury, die von Frankreich in der Revolutionszeit übernommen, hier stark umgebildet wurde und dann in dieser Gestalt einen grossen Teil des europäischen Kontinents, insbesondere von 1848 an das deutsche und österreichische Rechtsgebiet sich eroberte, ist nicht auf englischem Boden zu suchen. Der Keim liegt, wie Brunner bewiesen hat, in einem Institute des fränkischen Reichsrechts, in der „inquisitio“, der Vernehmung einer Anzahl wissender Gemeindegenossen durch den Richter nach eidlichem Wahrheitsversprechen, einem Gebilde, das von den erobernden Normannen aus dem Frankenreiche nach England übertragen und hier lebensvoll weiter entwickelt wurde, während es im Ursprungsgebiete verkümmerte. In zwei Anwendungen beherrscht die Jury das englische Rechtsleben. Die „grosse“ oder „Anklage“- Jury (23 Mitglieder) hat zu entscheiden (nach Stimmen-Mehrheit), ob die Anklage zur Verhandlung zuzulassen sei; sie ist hervorgegangen aus der Rüge der Genossen auf Befragung des Richters hin, die nach fränkischem Rechte zur Gleichbehandlung des Gerügten mit einem wegen des erfragten Vergehens Beklagten führte. Die „kleine“ oder „Urteils“-Jury fällt in der Hauptverhandlung auf Grund der Beweisaufnahme den Wahlspruch („veredictum“, Verdikt) über die Schuld, während die Strafe vom [364] Richter bestimmt wird. Auch in Zivilprozessen entscheiden sehr häufig Geschworene. Das nordamerikanische Recht hat die englischen Institutionen beibehalten.
Die geschichtliche Wurzel der Urteilsjury ist der Inquisitionsbeweis, die Beweisführung durch das Zeugnis der Genossen, Nachbarn, an Stelle der formalen Beweismittel des Volksrechts. Von den Satzungen der normannisch-englischen Herrscher, „assisae“, die zunächst auf zivilprozessualem Gebiete die neue Beweisart in den ordentlichen Rechtsgang aufnahmen, hat sich dieser Ausdruck auf die so gestalteten Gerichte übertragen. Dann erkannte die Magna Charta das Recht des Angeschuldigten an, sich – an Stelle der Reinigung durch Gottesurteil – auf den Spruch der Nachbarn zu berufen. Die bald folgende Aufhebung der Gottesurteile (1219, mit Ausnahme des Zweikampfes) erhöhte das Bedürfnis dieses Prozessaustrags. Der Richter vereidigt die Nachbarn auf wahrheitsgemässes Zeugnis aus eigenem Wissen über Schuld, Nichtschuld; daher heissen sie „Geschworene“, „juratores“, die Gruppe „jurata patriae“, „Jury“. Die Anwendbarkeit dieses Beweismittels schwand mit seinen sozialen Voraussetzungen. Nur auf primitiver Kulturstufe, bei unentwickelten Verkehrsverhältnissen, in einer sesshaften, nicht dichten Bevölkerung kann Kunde vom Tun und Treiben des Einzelnen mit einiger Sicherheit bei den Umwohnern erwartet werden. So musste sich mit der Zeit die eigene Information der Geschworenen als immer mangelhafter erweisen. Daher trat in sehr allmählicher Entwickelung an Stelle der Beweisführung durch Abhör der Geschworenen die Beweiserhebung vor diesen. Das Verdikt wird aus einer Zeugen-Aussage über die Schuld zu einem Urteil darüber auf Grund der Beweisergebnisse. Das Erfordernis der Nachbarschaft hatte nun jede Bedeutung verloren (noch ausdrücklich beseitigt 1825).
Das Verdikt ist in älterer Zeit zwölfstimmiges, bei Nicht-Einigung der anfänglich Berufenen eventuell durch Heranziehung weiterer Geschworenen erzieltes Gruppenzeugnis. Demnächst wandelt es sich in einen einstimmigen Spruch der 12 Urteilsgeschworenen. Die Annahme höherer Vertrauenswürdigkeit des einstimmigen Verdikts war nicht der Bestimmungsgrund für dieses Erfordernis, hat aber zu dessen Beibehaltung beigetragen und seine Empfehlung (durch Rüttimann, Köstlin pp., in zum Teil seltsamer Begründung) und Nachahmung in einigen deutschen Gesetzen (Braunschweig, Waldeck) veranlasst. Die schweren Bedenken liegen zutage: Begünstigung des Schuldigen, der nur einstimmig verurteilt, Benachteiligung des Unschuldigen, der nur einstimmig freigesprochen werden kann; Justizverweigerung bei nicht gelöstem Zwiespalt; Sieg der hartnäckiger vertretenen Sache mit dem Siege der bessern Sache nicht gleichbedeutend. Die Voraussetzungen, die in England die Einstimmigkeit erträglich machen, die Abhängigkeit der Geschworenen von Beweisregeln nach richterlicher Belehrung und die unbestrittene Autorität der richterlichen Weisungen, sind einer Übertragung nicht fähig.
Den Charakter eines Verteidigungsmittels hat der Geschworenenspruch in England insofern bis heute behalten, als auf Geständnis, „Autoverdikt“, hin der Richter ohne Geschworene urteilt. Auch hierin sind einige deutsche Gesetze dem englischen Vorbilde gefolgt (Württemberg 1849, Preussen pp.; so auch norweg. Ges. 22. 5. 1892 § 21). Wunderliche philosophische Deduktionen (Köstlin) haben die geschichtliche Zufälligkeit innerlich zu begründen versucht, während es doch Sache der Schuldbeurteilung, also des Richters der Schuldfrage sein muss, die Glaubwürdigkeit des Geständnisses zu prüfen.
Von den Fällen der summaries convictions abgesehen kommen in England alle Strafsachen vor Geschworene.
Als die französische Revolution den völlig entarteten, geheimen schriftlichen Untersuchungsprozess beseitigte, wurde nach englischem Muster mit dem öffentlich-mündlichen Anklageprozess auch die Jury in Frankreich eingeführt (Gesetze vom 16. bis 29. September 1791, code des délits et des peines vom 3. Brumaire IV). Die Volkssouveränetät erheischte Volksrichter, und die Schriftsteller der Aufklärungsperiode hatten seit Montesquieu die Jury gefordert. Als Anklagejury – eine vom kontinentalen Rechte fast durchweg reprobierte Bildung – hatte sie freilich nur kurzen Bestand. Dagegen wurde die Urteilsjury mit Beschränkung auf crimes, Verbrechen im eng. S., von Napoleon I., code d’instr. criminelle v. 1808, beibehalten.
Mit dem französischen Recht kam die Urteils-Jury in die Rheinlande. Die Bewegung der Jahre 1848 fg. hat dann – unter manchen Schwankungen – das Institut auf nahebei ganz Deutschland erstreckt.[1] Ausgenommen blieben schliesslich nur die wenigen Gebiete, die am gemeinrechtlichen Untersuchungsprozess festgehalten hatten (die beiden Mecklenburg, die beiden Lippe) und trotz Einführung des reformierten Strafverfahrens Sachsen-Altenburg und Lübeck. In Österreich hatte die Jury zunächst nur kurzen Bestand, bis die Prozessordnung v. 23. Mai 1873 sie als ordentliches Gericht wieder einführte.[2] Der Siegeslauf der Schwurgerichte in 1848 wurde ohne Zweifel durch die Tatsache begünstigt, dass man eine andere Form der Laienbeteiligung damals nicht kannte, indem die Form des Schöffengerichts erst nachher und sehr allmählich zur Ausbildung kam.
[365] Die Bekämpfung der Jury zugunsten des rechtsgelehrten Beamtengerichts, an der es in Deutschland nie gefehlt hat, ist bisher ohne Erfolg geblieben. Die Teilnahme des Volkes am Strafgericht liegt, wenn nicht logisch, so doch für die politische Gedankenwelt, die unsere Zeit beherrscht, in der Konsequenz des konstitutionellen Prinzips. Im Schöffengericht hingegen ist der Jury ein gefährlicher Rivale entstanden.
So hielt 1873 die Reichsregierung die Zeit für gekommen, unter Abschaffung der Schwurgerichte für Strafsachen aller Art Schöffengerichte einzuführen. Aber die Jury hat sich in den Reichsjustizgesetzen behauptet. Die Kommission zur Vorbereitung einer neuen deutschen Strafprozessordnung kam auf das Projekt von 1873 zurück. Doch bewährte sich wiederum die Volkstümlichkeit der Jury. Die neuen Entwürfe 1908, 1909 halten – mit einigen Beschränkungen der Zuständigkeit – an ihr fest.
Auf dem europäischen Kontinent bestehen Schwurgerichte ferner in Belgien (franz. code d’instr. crim. mit Abänderungen), Portugal (seit 1832), Griechenland (10. 3. 1834), in einer Reihe schweiz. Kantone (Genf, Waadt, Bern, Freiburg, Thurgau, Zürich, Aargau, Neuenburg, Solothurn), Italien (20. 11. 1859. bezw. 26. 11. 1865, 8. 6. 1874), Russland (20. 11. 1864, umgestaltet 1889, nicht überall eingeführt; Näheres: Foinitzki, Strafgesetzgebung der Gegenwart I S. 308 fg.), Rumänien (2. 12. 1864), Spanien (25. 4. 1888), Norwegen (1. 7. 1887, 22. 5. 1902), Ungarn (4. 12. 1896, 25. 8. 1897).
Die englischen Kolonien haben vielfach mit dem engl. Rechte auch die Jury (Malta, Australien, Ostindien pp.). In Brasilien wurden Anklage- und Urteils-Jury (5. 12. 1832) eingeführt.
Die Entwürfe für Italien und Österreich (1909) behalten die Jury bei, der letztere freilich in starker Beschränkung und mit unverkennbarer Hinneigung zum Schöffengericht.
III. Der Jury fällt die Schuld-, der Richterbank die Straffrage zu. Nicht der „nackte“ Tatbestand einer Tötung, sondern die Verübung eines Tötungsverbrechens in der Gesamtheit seiner rechtlichen Erfordernisse wird im Wahrspruche bejaht. An Stelle dieses allein fassbaren, in England klar erkannten Gegensatzes hat die französische Rechtsübung die zur Kompetenzabgrenzung ungeeignete Scheidung von Tat- und Rechtsfrage gesetzt, war bemüht, die Geschworenen auf blosse Tatsachen zu beschränken, den Rechtspunkt dem Gerichte vorzubehalten. Die englischen Geschworenen werden durch Rechtsweisung des Richters in ihrer stets zugleich rechtlichen Aufgabe unterstützt; in Frankreich ist dafür nicht gehörig gesorgt. Die deutsche Wissenschaft hat den Irrtum der französischen Praxis überwunden. In Deutschland und Österreich wird den Geschworenen richtig die Schuld-, den Richtern die Straffrage zugewiesen. Aber die Durchführung der Unterscheidung lässt noch zu wünschen übrig, indem Teile der Straffrage zur Schuldfrage gerechnet werden und (nach Reichsrecht im Anschluss an code 341) den Geschworenen die Feststellung der mildernden Umstände, die als Strafzumessungsgründe zur Straffrage gehören, zufällt.
Eine Ausnahme vermag für England zu begründen das „Spezialverdikt“: die Jury antwortet auf die einzelnen Anklagetatsachen und überlässt die Findung des Ergebnisses dem Richter, doch ist solche Selbstbeschränkung selten. In das kontinentale Recht sind die Spezialverdikte nur ganz vereinzelt und modifiziert (Braunschweig, Thüringen) aufgenommen worden.
Auf dem Grunde eines Schuldspruchs der Geschworenen hat das Gericht die Strafe zu bestimmen.
Das Ansehen des engl. Richters, der im Schlussvortrag (summing-up, charge) bestimmenden Einfluss übt, und die Abhängigkeit der Geschworenen von Beweisregeln, die der Richter bindend darlegt, ermöglichen, dass das engl. Verdikt unmittelbar die Anklageschrift für begründet erklären oder verwerfen kann. Die französ., deutschen pp. Geschworenen, die in der Beweiswürdigung ganz frei und an Rechtsweisungen des Gerichts formell nicht gebunden sind, bedürfen der Leitung durch Fragen des Gerichts (so von vornherein die franz. Gesetze), die, logisch gegliedert, die konkreten Tatbestände und Tatumstände hypothetisch unter die gesetzlichen ziehen und so gefasst sind, dass ihre Bejahung oder Verneinung die Schuld, Nicht-Schuld des Angeklagten vor dem Gesetze oder den Bestand, Nichtbestand gesetzlicher Erschwerungs-, Milderungs- pp. Gründe ergibt. Teilweise Bejahung, Verneinung einer Frage ist zulässig.
[366] Das deutsche System der Spezialbefragung, das auf der Fortbildung des französischen durch Überweisung der vollen Schuldfrage an die Geschworenen beruht und in den Hauptpunkten mit dem österreichischen Rechte übereinstimmt, scheidet drei Fragarten. Die Hauptfrage geht dahin, ob der Angeklagte sich des bestimmten bei Eröffnung des Hauptverfahrens angenommenen Verbrechens nach Massgabe der Tatbeschreibung im Gesetze, z.B. der vorsätzlichen, mit Überlegung ausgeführten Tötung eines Menschen schuldig gemacht habe. Eine Hilfsfrage („Eventualfrage“ in Österreich) tritt hinzu, wenn nach dem Verhandlungsergebnis mit einer andern als der bisherigen Beurteilung der Tat. z. B. mit Annahme von Erpressung statt Raubes, zu rechnen ist. Bejahung der Hauptfrage macht die Hilfsfrage abfällig. Nebenfragen („Zusatzfragen“ in Österreich, hier in noch weiterer Verwendung[3]) richten sich auf Erschwerungsgründe (Einbruch beim Diebstahl), Milderungsgründe (Reizung als Totschlagsanlass) oder Strafaufhebungsgründe, die für bestimmte Delikte gesetzlich anerkannt sind (Löschen des Brandes vor Entdeckung pp.). Nebenfragen setzen Bejahung der Hauptfrage voraus. Eine Mehrzahl von Angeklagten oder von strafbaren Handlungen führt zu der entsprechenden Zahl getrennter Schuldfragen (in Österreich nicht scharf durchgeführt).
Die starke Vernachlässigung der Fragstellungslehre in der Literatur hat zu der Meinung geführt (v. Hye-Glunek, Schwarze, H. Meyer pp.), dass sie ein unlösbares Problem sei.
Die Präzisierung und Gliederung des Beurteilungsstoffes in den Fragen und die Rechtsbelehrung der Geschworenen durch den Vorsitzenden verhüten keineswegs immer formell oder materiell mangelhafte Antworten, einen unvollständigen, einzelne Fragen, Fragteile nicht erledigenden oder sich widersprechenden, z. B. die Haupt- und Hilfsfrage, obwohl diese einander ausschliessen, zugleich bejahenden Spruch. Die Geschworenen sind dann unter Einleitung des Berichtigungs-Verfahrens (in Frankreich auf der Praxis beruhend, sonst gesetzlich bestimmt) zur Behebung des Fehlers zu veranlassen. Nur ein von solchen Mängeln freier Spruch kann Grundlage des Urteils sein.
In England wird der Wahrspruch mündlich abgegeben und erst protokolliert, nachdem etwaige Bedenken, Unklarheiten durch Befragung der Geschworenen und eventuell durch Änderung des Spruchs ihrerseits gehoben worden sind; ein formelles Berichtigungsverfahren ist bei dem freien Verkehr zwischen Richter und Jury erübrigt.
Die Beweiswürdigung und die Gesetzesauslegung der Geschworenen sind an sich nicht Gegenstand richterlicher Nachprüfung. Doch kann der Spruch abgewiesen werden, wenn sich nach einstimmiger Ansicht der Richter die Geschworenen in der Hauptsache zum Nachteil des Angeklagten geirrt haben (code 352, Ges. 9. 6. 1853 lässt Mehrheit der Richter genügen; österr. 332; Ungarn 371, Deutsch. Reich 317; Italien 509: mit Beschränkung auf Mehrheits-Wahrspruch, erweitert durch ital. E. 1909 art. 42). Dann endgültiger Entscheid durch eine Jury der nächsten Session, möchte der neue Spruch auch ebenso oder noch schärfer (Beschränkungen in letzterer Hinsicht nach französ., Österreich, pp. Praxis) ausfallen. Bei der Zweischneidigkeit der Massregel hätte der deutsche E. nicht von Irrtum „in der Hauptsache“ absehen sollen.[4]
Wenn der engl. Richter gegenüber einem seiner charge widersprechenden verurteilenden Verdikt einen anderen Spruch fordert, kommt’s nicht zur Verweisung; die Jury fügt sich.
Deutsch. Reich (262, 297, 307) fordert ⅔-Mehrheit und deren Konstatierung im Spruch, soweit die Schuldfrage zum Nachteil des Angeklagten entschieden wird (ebenso die grosse Mehrzahl der frühern deutsch. Ges. im Gegensatz zu franz. Ges. 9. 6. 1853: einfache Mehrheit); österr. 329 (ähnlich Ungarn 368) lässt, sonst übereinstimmend, zur Verneinung von Strafausschliessungs- und Milderungs-Gründen einfache Mehrheit genügen.
Dem Wahrspruch gehen voran die Vorträge der Parteien zur Schuldfrage, zwischen Wahrspruch und Urteil liegen ihre Ausführungen zur Straffrage. Anders die engl. Hauptverhandlung, die ein gesondertes Stadium des Plädierens nicht kennt, die Aufgabe der Parteien in die Beweisführung konzentriert (wohltuende Sachlichkeit der Partei-Ausführungen gegenüber der französ. Rhetorik).
Den Vorträgen zur Schuldfrage wird nach deutsch-österreichischem (ungarischem) Rechte (und ital. E. 09 art. 39, 40) durch die zuvor (diese zweckmässige Folge empfohlen von Walther pp.; anders Italien, Norwegen) – unter Beteiligung der Parteien (so weitgehend ital. E. 09 art. 39) [367] und (in nicht ausreichendem Masse) der Geschworenen (in Frankreich beides nur durch die Praxis gewährt) – bestimmten Fragen die Richtung gegeben, während ein Vortrag des Präsidenten an die Geschworenen, in Deutschl., Ungarn, ital. E. 1905 u. 1909 mit der Aufgabe nur der Rechtsbelehrung (formell nicht bindend), in österr., Italien, Norwegen zugleich im Sinne des unparteiischen Resumés der Verhandlungen (Beeinträchtigung der Selbständigkeit der Schuldbeurteilung) den Abschluss bildet. Frankreich kennt nicht die Rechtsbelehrung (Jury vermeintlich nur mit der Tatfrage befasst) und seit Ges. 19. 6. 1881 auch nicht das Resumé, doch fehlt es nicht an z. T. bedenklichen Surrogaten (Aufklärungen durch den Präsidenten im Beratungszimmer pp).
Das Fehlen der Wahrspruchs-Begründung weist die Urteils-Anfechtung wegen falscher Auslegung des Strafgesetzes in sehr enge Grenzen. Eine Reform hätte Stärkung des juristischen Elements unter Erhaltung der Unabhängigkeit des Wahrspruchs von der Verhandlungsleitung (durch Heranziehung eines rechtsgelehrten Geschworenen),[5] Wahrspruchs-Begründung,[6] weitergehenden Einfluss der Geschworenen auf die Fragenstellung, Vereinfachungen pp. anzustreben. Beteiligung der Geschworenen an der Strafbestimmung wäre zu erwägen.[7] Ein Vorzug von österr. 315 (Ungarn 351) ist das Recht der Geschworenen, der Richter der Schuld, zu Beweisanträgen an das Gericht.
Die Geschworenen haben Urteilsgewalt an der Hand der Gesetze, nicht Gnadengewalt, nicht ein vom Gesetze entbundenes Volksrichteramt (dazu Birkmeyer, Strafprozessrecht S. 224 fg.).
IV. Nur nach durchgreifender Reform der Jury (Minderung des Personalbedarfs pp.) käme ihre Verwendung in der Mittelstufe in Betracht („korrektionelle“ Jury in Genf und Neuenburg). Die gegebene Gestalt der J. hat in Frankreich die gegenteilige Tendenz hervorgerufen, Schwurgerichtssachen durch Unterdrückung erschwerender Umstände vor die Beamten-Gerichte zu bringen („Korrektionalisierung“).
Die öfters bestimmte Zuständigkeit der Geschworenen für politische und Press-Delikte (österr. 484, Ungarn Einf.-Ges. 15, Bayern, Württemberg, Baden, Oldenburg: Pressdelikte; in Frankreich diese Zuständigkeit eingeschränkt durch Ges. 16. 3. 1893)[8] führt auf das Streben zurück, diese nicht immer scharf zu umgrenzenden, erweiternder Auslegung leicht zugänglichen Tatbestände im Interesse ungehemmter politischer, publizistischer Betätigung dem Beamtengerichte zu entziehen und erübrigt sich durch eine diesen Anlass beseitigende Gesamtreform der Gerichtsverfassung.
Schwurgerichte als Ausnahmegerichte lediglich für Presssachen (Österr. Ges. 9. 3. 1869, Schweden) verleiten zu ungesetzlichen Entscheidungen nach subjektiven Rechtsüberzeugungen und dem Parteistandpunkte.[9]
V. Das kontinentale Recht unterwirft Schwurgerichtsurteile bezüglich des Schuldentscheids einer Nachprüfung nur im Rechtspunkt. Dagegen hat Crim. Appeal Act v. 1907 – 7 Edw. 7 c. 13 – (Mendelssohn-Bartholdy, Imperium des Richters S. 210 fg.) unter völligem Bruch mit der Tradition ein rechtsgelehrtes Beamtengericht den Schwurgerichten auch in der Tatfrage übergeordnet (stark abweichend von der deutschen Berufungsgestaltung).
Die herrschende deutsche Rechtsanschauung könnte, auch abgesehen vom Mangel der Begründung des Spruchs, eine zu dessen Nachprüfung geeignete Instanz weder in einem Berufungs- Beamten-, noch in einem Berufungs-Schwurgericht finden.
[368] Auch die Zulassung einer Berufung lediglich wegen des Strafentscheids, österr. 345, stösst schon wesen dessen Abhängigkeit von nicht-begründetem Schuldentscheid auf starke Bedenken.
Die „Berufung“ gegen Schwurgerichtsurteile nach Norweg. 378 fg. entspricht abgesehen von Anfechtung des Strafentscheids wesentlich der deutsch. Revision.
VI. Die Schwurgerichtsform bringt wegen der überlieferten Zwölfzahl der Geschworenen (9 wären genügend, 10 in Norwegen) und ihrer Auslosung für die einzelne Verhandlung unter Gewährung von Ablehnungsrechten an die Parteien eine recht erhebliche Belastung des Laienelements mit sich. Um die Störungen des bürgerlichen Berufes auf bestimmte Zeit zu beschränken, werden die Schwurgerichte nur periodisch gebildet (wovon jedenfalls nur bei Reduktion der Geschworenenzahl und der Ablehnungsrechte abgegangen werden könnte). Wiederholte Reduktionen – nach Reichsrecht 2 Wahlen und 2 Losungen – ergeben aus der Masse der Pflichtigen die Jury des Einzelfalls. Gleichmässige Heranziehung ist – wegen der Auslosungen für die Einzelsachen – nur unvollkommen erreichbar. Die Gewinnung der Geeignetsten – nach Intelligenz, Lebenserfahrung, bürgerlichem Ansehen, Unabhängigkeit des Urteils – strebt das Reichsrecht, unter Verzicht auf gesetzliche Beschränkungen in Form von Vermögens-, Bildungs-Zensus (so in den meisten frühem deutsch. Gesetzen) durch die Zusammensetzung der Wahlorgane an.
Schwurgericht und Schöffengericht haben Berechtigung nur als Gericht der Redlichen und Befähigten nach einer allein auf diese Eigenschaften gerichteten Auswahl. Vor einem Gericht der „honestiores“ über die „humiliores“, des „dritten“ Standes über den „vierten“, also die Klassen mit der grössten Kriminalitätsziffer (gemäss den sozialen Ursachen des Verbrechens), hat das reine Beamtengericht den Vorzug.
Ein ganz niedriger Zensus (Steuersatz pp., England, Österreich, Ungarn; ziemlich hoher Zensus in Belgien) trägt gewiss nicht die Vermutung einer besondern Befähigung und eine noch so weite Ausdehnung der „Kapazitäten“ (nach Bildung, Stand pp., so besonders im italien. Ges. 8. 6. 1874) lässt die Hauptmasse der Erwerbstätigen unberührt. Jede derartige Beschränkung aber muss auf die Ausgeschlossenen verbitternd wirken. Der österr. E. kennt einen Zensus nicht mehr.
Mit Recht sind der deutsche u. österr. E. bestrebt, durch die Gewährung von Tagegeldern den Geschworenen- (Schöffen-)Beruf auch den Unbemittelten, insbes. den „Arbeitern“, zugänglich zu machen.
Alle Bevölkerungsschichten sind bei der Auswahl möglichst gleichmässig zu berücksichtigen. Für die grosse Mehrzahl der Frauen (in Norwegen zugelassen) passt jedenfalls zurzeit das Richteramt nicht, mag man den Grund finden in unbildungsfähiger sozialer Lage oder in bleibender durchschnittlicher Eigenart.
Schwurgerichtsbildung nach Reichsrecht. Die Gesamtheit der Pflichtigen wird in den Urlisten, aufgestellt von den Gemeinde-Vorstehern, befasst. Diese Listen dienen zugleich der schöffengerichtlichen Rechtspflege. Neben gesetzlich Unfähigen (mit Verlust der Ehrenrechte Bestraften, Konkursschuldnern pp.) haben den Urlisten fern zu bleiben solche, die nicht berufen werden „sollen“, noch nicht Dreissigjährige, Beamte, deren Aufgaben mit denen eines unbeamteten Richters nicht verträglich scheinen, nach geltendem Recht auch Volksschullehrer pp. (verfehlte, im öst. E. aufgegebene Beschränkung, durch die tüchtige, bei Aburteilung Jugendlicher sogar besonders geeignete Elemente ferngehalten werden). Ablehnungsberechtigte (mehr als Fünfundsechzigjährige, Mitglieder gesetzgebender Versammlungen pp.) sind aufzunehmen. Aus der Urliste für den Amtsgerichtsbezirk wählt ein bei diesem Gericht jährlich zusammentretender Ausschuss (Amtsrichter als Vorsitzender, ein Staatsverwaltungsbeamter, sieben Vertrauensmänner; zweckmässige Unparteilichkeit, Personalkenntnis, das Vertrauen der Gerichts-Eingesessenen der Wahl nach Möglichkeit sicher stellende Zusammensetzung)[10] diejenigen Personen aus, die er für das nächste Geschäftsjahr zu Geschworenen vorschlägt: Vorschlagsliste, bemessen nach dem dreifachen Betrag der auf den Amtsgerichtsbezirk fallenden Geschworenenzahl. Die Vorschlagslisten der zugehörigen Amtsgerichtsbezirke liefern das Material für die Jahresliste (in Österr. und Ungarn direkt aus der Urliste gewählt) des Schwurgerichtsbezirks; das Landgericht wählt aus nach Prüfung der Vorschlagslisten auf gesetzliche Befähigung pp. der Geschworenen hin und nach Bescheidung bezüglicher Einsprachen. Mit der Jahreshauptliste verbindet sich die Jahreshilfsliste: eine Reserve leicht erreichbarer, in der Nähe der Gerichtsstelle wohnender Geschworenen zur Deckung eines Ausfalls (Behinderung, unentschuldigtes Ausbleiben pp.) bei einzelnen Verhandlungen. Die Jahreshauptliste ergibt durch Auslosung – seitens des Landgerichtspräsidenten – die Spruchlisten (in Österreich: „Dienstlisten“) von je 30 Geschworenen für die einzelnen Sitzungsperioden. Die Jahreshilfsliste bleibt für alle Sessionen. Der Schlussakt des Bildungs-Prozesses, die Auslosung der einzelnen Jury aus den erschienenen, nicht durch gesetzliche Gründe (Verwandtschaft [369] mit dem Beschuldigten, Verletztsein durch die Straftat pp.) für diese Sache ausgeschlossenen Geschworenen fällt nach Reichsrecht in die bezügliche Hauptverhandlung (in österr. Losung vor, in Ungarn nach Beginn der Verhandlung). Die Parteien dürfen, zu gleichem Rechte, soviel Geschworene ablehnen, ohne Angabe von Gründen, als Namenszettel über 12 in der Losurne enthalten sind. Stehen nicht mindestens 24 fähige Geschworene zur Verfügung, so wird vor Bildung der Jury die Zahl aus der Jahreshilfsliste durch Zulosung auf 30 ergänzt. In Österr. (ähnlich Ungarn) umfasst die Dienstliste neben 36 Hauptgeschworenen 9 Ergänzungsgeschworene, die stets zu erscheinen haben, um etwaigen Ausfall von Hauptgeschworenen zu ersetzen.
Die peremtorische Ablehnung wäre, wenn nicht überhaupt zu beseitigen, so doch zu beschränken (beachtenswert ital. E. 1909 art. 35) und daneben (wenn nicht ausschliesslich!) begründete Ablehnung zuzulassen, wie auch im engl, und schott. Recht beide Arten der Ablehnung bestehen. Spruchliste und erforderliche Präsenz würden dann (und bei einer Jury von nur 9) erhebliche Reduktion vertragen[11] (unabweisbar, wenn Schöffengerichte in der Mittelstufe – Deutsch. E. – und Schöffen-Berufungsgerichte den Bedarf an Laienrichtern steigern).
Nach Beeidigung der 12 Urteilsgeschworenen, die leider nach Reichsrecht u. deutsch. E. der nötigen Eindringlichkeit entbehrt, namentlich nicht die Pflicht zu gesetzmässiger Entscheidung betont – anders Österr. 313, Ungarn 349 – , folgt die Sachverhandlung.
Über Vorsitz und Beisitz im Schwurgericht wird nach Reichsrecht – im Gegensatz zu der sonstigen Gerichtsbesetzung je für ein Geschäftsjahr im voraus – sessionsweise bestimmt. Ebenso in Österreich, während Ungarn und Italien auf ein Jahr designieren. Unberechtigter Einfluss der Justizverwaltung auf die Gerichtsbildung (einer Einzelsache halber) wird nach dem letzteren Modus sicher verhütet und der Gewinn an Erfahrung in der schwierigen Funktion des Vorsitzes der Justiz in höherem Masse erhalten, als es sessionsweise Berufung erwarten lässt (Norwegen hat ständige Assisen-Präsidenten); sorgsame Auswahl ist freilich bei Ausschluss eines Wechsels im Geschäftsjahr um so mehr Bedürfnis. Wesentlich zu einer Befähigungsprobe, mit Rücksicht auf Beförderung pp., sollte jedenfalls das verantwortungsvolle Amt des Vorsitzenden nicht dienen.
In England ist regelmässig nur ein Richter beteiligt, was auch für Deutschland öfters empfohlen worden ist (das Kollegialsystem gerade bei den schwersten Strafsachen zu durchbrechen, wäre jedenfalls unrichtig). Italien hat seit Ges. 14. 7. 07 nur einen Richter.
Der französische Schwurgerichtspräsident ist ermächtigt, sich in der Sachleitung über Gesetzesvorschriften hinwegzusetzen, an sich unzulässige Beweismittel heranzuziehen pp.; er hat die „diskretionäre Gewalt“ (code 268 fg. u. anschliessende Praxis, Ital. 478 fg.). Das deutsche und (richtig verstanden) auch das österr. Recht (ital. E. 1905) kennen diese Missbildung nicht (anders öfters die frühern deutsch. Landesgesetze).
Die Wahl des Obmanns durch die Geschworenen zur Leitung ihrer Beratung und Abstimmung und zur Kundgebung des Wahrspruchs erfolgt erst nach Schluss der Verhandlungen zur Schuldfrage im Beratungszimmer. Weit richtiger würde für Organisierung des Geschworenen-Kollegs gleich nach der Auslosung gesorgt und ihnen so ermöglicht, gemeinsame Anträge zur Fragestellung, Beweiserhebung, nach Beratung unter sich, zu stellen.
Die Geschworenen unterliegen, wenn sie sich ihren Pflichten gesetzwidrig entziehen, der Strafgewalt des Gerichts (so deutsch. Reich, beschränkter Österr. u. Ungarn).
Das deutsch-österr. Recht billigt ihnen Ersatz der Reisekosten zu. Der deutsche und der österr. E. sehen Tagegelder vor (so Ungarn u. französ. Ges. 17. 7. 1908).
VII. Das Schöffengericht ist im Gegensatz zum Schwurgericht einheitlich gebildet. Schöffen und Berufsrichter sind ein Kollegium und fällen das Urteil gemeinsam. Mitbeteiligung der Schöffen an den dem Urteil vorgängigen Entscheidungen ist nicht begriffswesentlich. Immer beschränkt sich die Zuziehung der Schöffen auf die Hauptverhandlung. Erledigung erst der Schuld-, dann der Straffrage in getrennten Entscheidungen, je durch Richter und Schöffen gemeinsam, wäre mit dem Wesen des Schöffengerichts vereinbar. Fernhaltung der einen oder andern Urteilergruppe hingegen von der Entscheidung entweder der Schuld- oder der Straffrage würde das „Schöffengericht“ aufheben.
[370] Mit dem alten deutschen Schöffengericht, das auf der Scheidung zwischen dem Hegen des Gerichts durch den Richter und dem Urteilen durch die Schöffen auf Urteilsfrage des Richters hin beruhte, teilt das moderne Schöffengericht als einheitliches Spruchkollegium nur den Namen.[12]
Diese Gerichtsform ist zuerst in der hannoverschen Gesetzgebung 8. 11. 1850 eingeführt worden: ein Berufsrichter und zwei Schöffen urteilen über Polizeistrafsachen (Zweck: Popularisierung dieses Zweiges der Rechtspflege, Ermöglichung kollegialen Entscheids).
Es folgten: Oldenburg, Bremen, Kurhessen, Baden, Preussen (25. 6. 1867 f. d. neuen Landesteile), Württemberg, Sachsen (1. 10. 1868). Württemberg hatte Schöffengerichte auch in der Mittelstufe, Sachsen überwies ihnen nur die mittleren Straffälle. Das sächs. Schöffengericht war jedoch im Grunde modifiziertes Schwurgericht, indem den Schöffen die Straffrage entzogen war und sie auch am Schuldentscheid nur in dem gleichen Umfang wie Geschworene (§ 66 des sächs. Schwurgerichtsges. v. 1. Okt. 1868: Anwendung der Rechtsbegriffe vielfach den Richtern vorbehalten) teilnahmen; noch weitergehende Beschränkung der Schöffen in Kurhessen.
Ständige, nicht im Reihedienst amtierende Schöffen kannte Hamburg (Verfassung 28. 9. 1860, Ges. 30. 4. 1869). Diese Einrichtung entspricht nicht, wie immer die ständigen Schöffen bestimmt werden möchten, der rechtspolitischen Forderung einer Beteiligung des Volksganzen an der Strafrechtspflege.
An die so geschaffenen Schöffengerichte hat sich eine lebhafte Agitation zur Ersetzung der Geschworenen durch Schöffen angeschlossen. Seit 1865 war Schwarze (das deutsche Schwurgericht und dessen Reform usw.) dafür eingetreten; in neuerer Zeit fand das Schöffenprinzip zahlreiche Anhänger, unter denen Wach, Jurist. Zeitung Bd. 10 S. 81 fg., 321 fg., Bd. 14 S. 11, Recht, Bd. 15, S. 114 fg. hervorragt. Doch auch der Jury fehlt es nicht an Verteidigern (Ullmann, Birkmeyer, W. Mittermaier, v. Bar, Kahl, Liepmann usw). Für wesentlich reformiertes Schwurgericht (s. oben unter I u. III a. E.) und Umbildung des Schöffengerichts (Ausschluss des Vorsitzenden vom Schuldentscheid bei mittleren Straffällen, getrennte Erledigung von Schuld- u. Straffrage nach Ermessen des Gerichts, Aufstellung von Schuldfragen unter Mitwirkung der Parteien, entsprechend dem akkusatorischen Typus) mit dem Ziel der Verschmelzung beider Gerichtsformen: Oetker (insbes. Arch. f. Rechts- pp. Philosophie Bd. 2 Heft 2). Die Rückkehr zum rechtsgelehrten Beamtengericht empfehlen Binding, Beling pp. (meist unter Anerkennung relativen Vorzugs des Schöffengerichts vor der Jury).
Die ersten Entwürfe zu der geltenden Reichsgesetzgebung hatten für die erste Instanz die Alleinherrschaft des Schöffengerichts angestrebt. Die Volkstümlichkeit der Jury aber nötigte zu deren Beibehaltung unter Beschränkung des Schöffengerichts auf die unterste Stufe.
Ebenso blieb die Befürwortung des Schöffensystems durch die Kommission zur Vorbereitung einer neuen deutschen Strafprozessordnung insofern ohne Erfolg, als die Entwürfe 1908, 1909 – dem Drucke der Volksstimme nachgebend – die Jury für schwerere Verbrechen beibehielten. Dagegen siegte das Schöffengericht in der Mittelstufe – unter Beseitigung der nur mit Berufsrichtern besetzten Strafkammern – , während die Zuständigkeit der untern Schöffengerichte in den Entwürfen nach oben hin erheblich und bedenklich erweitert wird, zugleich aber die kleine Kriminalität und die summarischen Sachen den Amtsrichtern als Einzelrichtern zufallen.
Die Vorkommission wollte Schöffengerichte auch für die Berufungsinstanz.[13] Die Entwürfe hingegen überweisen diese Gerichtsbarkeit reinen Beamtengerichten. Wird indes in der Zuziehung von Schöffen eine Garantie des voll gerechten Urteils und volkstümlicher Strafjustiz erblickt und gegen Strafurteile die Berufung, eine Nachprüfung nicht nur im Rechtspunkte, sondern auch in der Beweisfrage gewährt – wofür starke Gründe sprechen – , die Berufungs-Verhandlung auch, wie nicht anders möglich, als neue Hauptverhandlung mit ausgiebiger Beweiserhebung in den Grenzen der Berufungsanträge gestaltet, so ergäbe die Fernhaltung der Schöffen vom Standpunkte der das Institut stützenden Erwägungen ein weniger gut besetztes Gericht und einen vollen inneren Widerspruch.
Die österr. Vorentwürfe von 1909 haben das Schöffeninstitut aufgenommen in Gestalt kleiner Schöffengerichte in der Mittelstufe und grosser Schöffengerichte, denen ein Teil der bisherigen Geschworenen-Kompetenz zugewiesen ist; die Übertretungen (für die einst der Prozess-E. 1867 § 476 [371] Schöffengerichte vorgeschlagen hatte) bleiben den Einzelrichtern. An der Berufungsgerichtsbarkeit, die in unserem Sinne nur in Übertretungssachen besteht, werden Schöffen nicht beteiligt.
Nach dem Schöffenprinzip gebildete Gerichte bestehen in Norwegen (1887; für Übertretungen u. leichtere Verbrechen 1 Berufsrichter, 2 Schöffen); in Bosnien-Herzegowina (1891; Bezirksamt: 1 Richter, 2 Schöffen; Gerichtshof: 3 Richter, 2 Schöffen); in Tessin (1895).
Die gemischten Gerichte in Serbien (seit 1871, 1892/94) und Bulgarien (1897; Kreisgericht, soweit es mit Zuziehung von „Beisitzern“ entscheidet) sind nicht echte Schöffengerichte, sondern modifizierte Schwurgerichte nach sächs. Muster (Entscheid der Schuldfrage durch Richter und Beisitzer gemeinsam, der Straffrage nur durch die Richter).
In Norwegen (§§ 400 fg.) können durch Antrag auf erneute Verhandlung (nicht „Berufung“ im techn. S.) Sachen, in denen ein Schöffengericht (oder Verhörsgericht) entschieden hat, vor das Schwurgericht gebracht werden.
Schöffengerichte (2, 4 Beisitzer) sind auch die deutsch. Konsular-Strafgerichte gemäss §§ 8 bis 12 Kons.-Ger.-Ges. 7. 4. 1900.
Den Charakter von Schöffengerichten haben endlich die Kriegsgerichte, Ober-Kriegsgerichte und das Reichsmilitärgericht nach R.-Milit.-Strafger.-Ordng. 1898 (zusammengesetzt aus jurist. Mitgliedern u. Offizieren; z. T. starke Abweichungen von den bürgerl. Schöff.-Gerichten). Diese Schöffeninstitution erstreckt sich auf die Berufungs- und Revisions-Instanz.
VIII. Die Schöffen haben das Richteramt nur für die Hauptverhandlung – vorher und nachher erforderliche Entscheidungen erlässt der Richter allein –, für diese aber nach Reichsrecht (von geringfügigen Ausnahmen abgesehen) auch in vollem Umfange, so dass auch die dem Urteil vorgängigen prozessualen Entscheidungen von ihnen mitgefällt werden (anders früher Sachsen, Oldenburg). Mag immerhin das Laienverständnis prozessrechtlichen Fragen öfters nicht gewachsen sein, so werden doch verständige Schöffen gerade hierin dem Richter willig folgen, während die Mitbestimmung der Beweiserhebung, über deren Ergebnisse sie zu urteilen haben, ihnen füglich nicht entzogen sein kann. Den Vorsitz hat der Richter; die Schöffen stimmen nach Reichsrecht (anders früh, deutsche Ges.) vor ihm ab, im Interesse ihrer Selbständigkeit, nachdem in der vorgängigen Beratung der Berufsrichter Gelegenheit hatte, seine Auffassung zu entwickeln. Entsprechend österr. E.
Auch in der Mittelstufe müssen die Schöffen die Mehrheit haben (anders früher Württemberg). Andernfalls sind sie blosse Figuranten und der gesetzliche Zweck der Schöffeninstitution, eine von der Billigung des Volkes getragene, von schablonenhafter Beweisbeurteilung und Strafbestimmung freie, das öffentliche Rechtsbewusstsein befriedigende und fortbildende Strafrechtspflege zu schaffen, bleibt unerfüllt. Zu tadeln der österr. E., der gleichviel Richter und Schöffen beruft.
Über Schuld- und Straffrage wird nach Reichsrecht im Anschluss an die Beweisaufnahme und nachdem die Parteien zu beiden Fragen in ungetrenntem Vortrage gehört worden sind, in einem Urteilsakt entschieden. Die Vereinfachung der so gestalteten Hauptverhandlung gegenüber dem schwurgerichtlichen Hergange leuchtet ein; doch könnten ein vorangestellter blosser Schuldentscheid und entsprechende Gliederung der Partei-Vorträge diese übersichtlicher, wirksamer gestalten und von Eventualitäten befreien. Österr. § 256 (für nicht-schwurgerichtliches Verfahren) ermöglicht getrennte Behandlung von Schuld- und Straffrage (so auch früher Braunschweig; ähnlich ottoman. St.P.O. 1879 §§ 290 fg.). Ebenso österr. E. § 256.
IX. Im Interesse möglichst gleichmässiger Verteilung des Schöffendienstes auf die Befähigten und zur Vermeidung jeder Willkür in der Gerichtsbesetzung werden nach deutschem Rechte der Justiz je für ein Geschäftsjahr eine bestimmte Zahl Pflichtiger – die Jahresliste der Schöffen – zur Verfügung gestellt und vor Beginn des Geschäftsjahres durch Auslosung aus dieser Liste die Schöffen auf die im voraus bestimmten Sitzungstage des Jahres verteilt.
Die Urliste ist dem Schöffen- und Schwurgericht gemeinsam. Die Jahresliste der Schöffen entsteht durch Wahl aus der Urliste seitens eines jährlich beim Amtsgericht zusammentretenden Ausschusses, der zugleich die Geschworenen vorzuschlagen hat (s. unter VI), nach vorgängiger Prüfung der Urliste und Entscheidung [372] der gegen sie erhobenen Einsprachen. Die Jahresliste zerfällt in die Hauptliste für den regelmässigen Bedarf und die Hilfsliste – Personen, die in der Nähe der Gerichtsstelle wohnen – zur Deckung eines Schöffen-Ausfalls (Behinderung, unentschuldigtes Ausbleiben pp.) bei einzelnen Sitzungen (nach einer vom Ausschuss festzusetzenden Reihenfolge). Die Zahl der Hauptschöffen ist so zu bemessen, dass voraussichtlich jeder zu höchstens 5 Sitzungstagen im Jahre herangezogen wird. Die Schöffen werden bei der ersten Dienstleistung für das Geschäftsjahr im ganzen beeidigt (Geschworene für jede einzelne Sache). Die Farblosigkeit der Formel, die namentlich nicht die Bindung des Schöffen an das Gesetz ausdrückt, ist zu beanstanden. Weit besser der österr. E. § 240 a.
Entscheidung durch den Amtsrichter allein lässt das geltende Recht nur zu, wenn der Beschuldigte lediglich wegen Übertretung verfolgt nach vorläufiger Festnahme vorgeführt wird, geständig ist und die Staatsanwaltschaft zustimmt. Erhebliche Erweiterung des schöffenlosen Verfahrens soll nach den Entwürfen eintreten.
Zur Bestimmung der Landgerichtsschöffen kombiniert der deutsche Entw. das schwurgerichtliche und das schöffengerichtliche Bildungsprinzip: Vorschlagsliste durch Wahl aus der Urliste seitens des Amtsgerichts-Ausschusses, Jahresliste durch Wahl aus der Vorschlagsliste seitens des Landgerichts, Auslosung auf die Sitzungstage durch das Landgericht.
Schöffen bei den „Jugendgerichten“, d. h. besonderen nach Anordnung der Landesjustizverwaltung bei den Amtsgerichten zu bildenden Abteilungen, sollen nur solche Persönlichkeiten sein, die auf dem Gebiete der Jugenderziehung besonders erfahren sind (Lehrer, Lehrherren, Mitglieder von Fürsorge-Vereinen pp.). Daher ist für diese Abteilungen eine Spezial-Jahresliste zu bilden. Um ein Zurückdrängen der sachverständigen Begutachtung durch die Annahme eigener Sachkunde zu verhüten und die „Väter“ nicht vom Gericht auszuschliessen, wäre richtiger die Heranziehung nur je eines Spezialschöffen. Auch sollten in Erweiterung des Entwurfs Jugendabteilungen mit je einem Spezialschöffen bei den Landgerichten ebenfalls bestehen.
Der österr. Entw. über die Bildung der Schöffenlisten ist in der Hauptsache nach deutschem Muster gearbeitet; zwischen Urliste und Jahresliste steht die von einem Verwaltungsbeamten aufgestellte Vorschlagsliste, die Jahresliste wird durch eine dem deutschen Amtsgerichtsausschuss entsprechende Kommission aus der Urliste unter Benutzung der Vorschlagsliste ausgewählt.
Im Hinblick auf Ordnungsstrafen, Ersatz der Reisekosten, Gewährung von Tagegeldern stehen die Schöffen den Geschworenen gleich.
- ↑ Verzeichnis der Gesetze bei Binding, Grundriss des Strafprozessrechts 5. Aufl. § 10. Sammlungen (bis 1860) von Häberlin und Sundelin.
- ↑ Näheres bei Glaser, Handbuch des Strafprozesses I S. 182 fg., Ullmann, österr. Strafprozessrecht S. 32 fg.
- ↑ 319 (Ungarn 358) lässt Zusatzfragen auf Schuldausschliessungsgründe zu. Allein Trennung der einen Schuldfrage in der Abstimmung kann zu verschieden zusammengesetzten Mehrheiten für die einzelnen Teile und somit leicht zu einer Scheinmehrheit für die Schuldannahme führen.
- ↑ Besser als Verweisung wäre eigene Entscheidung der bezüglichen Schuldfrage durch das Gericht zugunsten des Angeklagten.
- ↑ Verkehrt Anteilnahme des Präsidenten an der Geschworenen-Beratung nach Genf 1. 10. 1890 Art. 208 Abs. 2.
- ↑ Ein technisch nicht befriedigender Ansatz dazu liegt in den „Kontrollfragen“ nach Österr. 323 (Vorschlag v. Bar’s; nicht in Ungarn), d. h. in Zusatzfragen, welche bezwecken, ein in die Fragen aufgenommenes gesetzliches Merkmal auf das ihm entsprechende tatsächliche Verhältnis zurückzuführen. Noch bedenklicher die Fragenzerlegung im ital. E. 1905 Art. 486, 488 (beseitigt im E. 09).
- ↑ So Genf 1. 10. 1890. Vgl. den Kommiss.-Bericht der franz. Deput.-Kammer 1908 N. 1793 über die Entwürfe Peret und Briand. Vielfache Petitionen franz. Geschw.-Kollegien streben das an, rév. pénit. 34, 410, 1073; 35, 161 pp. So auch Beschluss der Schwurger.-Kommiss. der J.-K.-V. und ital. E. 1909 art, 43.
- ↑ Dazu Birkmeyer, Strafprozessrecht S. 227.
- ↑ Über die Erfahrungen in Österreich: v. Liszt, österr. Pressrecht S. 25 fg.
- ↑ Auswahl durch abhängige Verwaltungsorgane, wie besonders in der frühern französ. Gesetzgebung, bringt das Schwurgericht in Abhängigkeit von der Regierung oder erzeugt doch diese Annahme.
- ↑ Ein Fehler ist, dass der deutsche E. ohne diese Voraussetzungen reduziert (auf 22 u. 18).
- ↑ Vgl. auch Birkmeyer, Strafprozessrecht S. 222 zu K 5.
- ↑ Mitwirkung von (ständigen) Schöffen in höherer Instanz bestand in Hamburg.