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Wenn die Schakale feiern/Welwale singt

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Man wußte nicht, wessen das Morgen war Wenn die Schakale feiern
von Hermann Sternbach
Wenn die Schakale feiern
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[16]


Welwale singt.

In jener Nacht, die die Kinder um ihre Jugend betrogen und Elternherzen zermalmt hatte, daß sie nicht mehr fühlten, in jener Nacht hat Welwale seinen großen Glauben und sein Restchen Verstand verloren.

Und das hatte sich nicht anders als so zugetragen.

Die Geschichte ist einfach, und fast selbstverständlich. Wo Kosaken hausen, versteht sich alles von selbst; alles, auch was Herz und Hirn gerinnen macht. Das Unmenschliche wird selbstverständlich und auch selbstverständlich der Eifer, sich im Tun des Einzelnen zu übersteigen.

Sie wollten der Schenkung des Kommandeurs mit aller Gründlichkeit gerecht werden. So teilten sie denn die Stadtviertel in Plünderungsrayons ein und suchten zu zweit oder zu dritt Gassen, Häuser und Menschen heim. Bei alledem schienen sie ihrem Orientierungsvermögen nicht recht zu trauen und jedes Grüppchen hatte einen einheimischen „Bruder“ mit, einen von denen, die lange schon heimlich oder offen ihr Sehnen nach Frevel und Russentum trugen.

Die Gassen waren leer, wie ausgestorben; alles Leben schien abgemäht. Nur das Grausen hing über [17] ihnen grau, grinsend, und senkte sich immer tiefer und ward rot und war schon unten und begann blitzhell durch die Nacht auf- und abzulaufen, den Galoppierenden immer voran.

Welwale aber, der Fuhrmann, hatte keine Furcht. Er diente Gott und seiner Donetschka (Donetschka hieß sein magerer Gaul) unverdrossen und ehrlich, daß ihn keiner darob schelten durfte. Er fuhr Fracht nach Boryslaw und jetzt, da der Verkehr völlig stockte, hatte er viel freie Zeit und verweilte mehr mit Gott auf Donetschkas Kosten. Er war ein eifriger Betbruder geworden und hatte mit Gott häufige, lange und heimliche Auseinandersetzungen. Was die Zwei miteinander auszumachen hatten, wußte niemand. Auch kümmerte sich jetzt kein Mensch drum, da jeder an sich selbst genug zu tragen hatte. Zu einer anderen, geruhigen Zeit wäre das den Leuten vielleicht aufgefallen, da Welwale in der Gasse eine gar nichtige oder gar keine Rolle spielte. Er trug und führte sich nicht nach frommer Art, seine Kleidung und seine ganze Lebensart hatte an sich etwas Bauernhaftes, Einfältiges, Nichtssagendes.

Nur zu den hohen Feiertagen kam er in der Leute Mund für eine Woche etwa, denn er stellte dem für diese Feiertage gedungenen Vorbeter den „Baß“, wie sie sagten und wie er selber nicht ohne Stolz sich einbildete, obwohl seine Stimme eher eine zackige Nuance zwischen Tenor und Bariton abgab. Welwale aber wollte just „Baß“ sein, denn es war ihm einmal in dieser Stimme eben (wie er glaubte) ein vortreffliches Solo beim „Mchalkel chajim“ im Achtzehngebet [18] gelungen. Herrlich klangs, was er vom „Speiser alles Lebenden“ aus seiner Kehle hervorbrachte und versetzte die Hörer in Staunen geradezu. Von diesem Solo sprachen sie am nächsten Sonntag noch. –

Welwale war stolz darauf. Und wenn er mit Gott sich besprach, er führte dieses Solo ins Treffen. O, wie gut er’s noch heute traf! Wie das erste Mal.

„Wer singt dir so ein Solo in der ganzen Stadt –?“ fragte er den Herrn, indem er sein spitzes Bärtchen partieenweise zwirbelte. „Ich weiß, du hast mir diese Kraft gegeben, aber mit Trällern geb ich sie dir zurück. Wer bringt dir so viel Träller auf? Ich – Welwale –!“

Ja. Gott versagte Welwale sein Gehör nicht und gab ihm nach Wunsch. Welwale war nicht anspruchsvoll. Er bat um dürres Obst für jeden Schabbes.... Etwa ein Viertelpfund war ihm genug; davon hatte er noch am Sonntag zu essen. Das war was Feines und die saftige Sauce war gut für seine Stimme. Er war um sie nicht minder besorgt als um seine Donetschka, den Gaul.

Es ist wahr: die Zeiten waren so schwer, wie wenn an jeder Stunde ein Hundertpfünder hinge, und Donetschka mußte ihm schon nachsehen. Es war nicht seine Schuld, wenn sie keinen Hafer mehr bekam. Auch er mußte sein Dürrobst, seine Leibspeis entbehren. Was war dabei? Kosaken sind keine Ewigkeit –.

Die sinnende Furcht der hereinbrechenden Nacht ging an ihm vorbei, ohne ihn auch nur mit einer [19] Fingerspitze zu berühren. Und die Not der Zeit trug er mit einer festen Ergebenheit in Gott. Denn Welwale kannte nicht der Not Gegenteil. Wer konnte ihm dann was anhaben? Und dann: sein Gott war ja mit ihm. Sein Gott, versteht ihr mich! Seine Recha hatte ein paar Gulden erspart, davon wollten sie zehren und schon durchhalten. Sie war jetzt nachhause gekommen, da die Herrschaft, bei der sie diente, vor dem Unheil irgendwohin geflüchtet, nach Wien, oder gar weiter noch. Wer konnte es wissen? Denn wer nur einen Groschen in der Tasche klingen hatte, lief in wirrer Angst davon, ohne Ziel, um nur nicht dort zu sein, wo Russen waren. Nur die Armen waren geblieben, – und das Gesindel in übervoller Zahl.

Welwale konnte dieses Fliehen in keinem Fall verstehen. Und als Recha heimkam, da fühlte er sich sogar wohl, denn das war ihm eine Hilfe in dieser arbeitslosen Zeit. Und als sie ihm voller Angst das laufende Gerücht mitteilte, begann er über das sinnlose Gerede aus vollem Hals zu lachen und die Dummheit der Leute zu höhnen. Wie könne erstens ein Kommandeur, und wenn’s auch ein russischer ist, eine Nacht verschenken, da die Nacht doch Gottes sei und auch einen Kommandeur, ja sogar einen russischen Kommandeur, in die Ewigkeit hinüber schläfern könne? Und zweitens: Kosaken! Nichts als Gerede! Solche Menschen könne Gott überhaupt nicht geschaffen haben. Und wenn auch? Sagen wir: sie sind des Teufels. Wo wäre dann sein Gott? Sein Gott! Ob sie ihn verstehe – –?

[20] Ja. Recha verstand ihn. Aber sie fürchtete. Denn sie war ein dralles Mädchen mit ihren fünfzehn Jahren.

Welwale aber ging vorabends ins Bethaus und verweilte sich länger, als es seine Art war. Er hatte eben freie Zeit und Wichtiges mit Gott zu besprechen. Und ging dann nach Hause. Ungefährdet, daß er über all die andern lachte, die sich hinter Schlössern, Vorhängen und Tüchern versteckten.

Und dann legte er sich ins Bett und Recha machte sich ihr Lager auf dem Koffer – – –

Sie schliefen eine gute Weile, als sie an die Tür klopfen hörten. Ein festes, drohendes Klopfen. Recha überlief es kalt. Sie sprang in die Röcke und sah sich im Dunkel um. Es war kein Ausweg. Kein Versteck.

Widtschyniaj, Jewreju –!“ Wie ein Dröhnen durchbohrte es die Wand.

Welwale wußte nicht, wie’s ihm ward. Rote Ringe tanzten vor seinen Augen. Er taumelte vom Bett und ehe er dazu kam, zu fragen oder zu öffnen, knarrte die Tür auf und zwei Kosaken waren in der Stube.

Zasjwjety!“ – Wie ein jäher Blitzstrahl zückte das Wort durch das finstere Zimmer.

Welwale machte Licht mit flatternden Händen.

„Soo! – sagte einer von den Kosaken – „das ist deine Tochter –“ und machte sich ohne Umstände an sie heran. Zuerst streichelnd und liebkosend. Recha wehrte es. Welwale waren die Augen aus den Höhlen herausgekrochen. Er sah es finster vor sich und vermochte [21] kein Wort über die Lippen zu bringen. Er starrte den mit seiner Recha scherzenden Kosaken in einem fort an und übersah beinah den zweiten, der den schußbereiten Revolver gegen seine Brust gerichtet hielt.

Nein. Das konnte unmöglich Wirklichkeit sein! Gewiß, er träumte nur. Wie traumwandelnd versuchte er einen Schritt auf Recha zu machen. Der Soldat vertrat ihm den Weg mit einer breiten herrlichen Lache, in der Welwales schmale Figur vollständig zusammenschrumpfte.

Tschto to za chalira – ?“ sagte er und schwamm in Heiterkeit, indes er Welwale mit der Faust einen gutgemeinten Stoß versetzte.

Welwale wich einen Schritt zurück.

Der Kosak rang mit der Recha. Er hielt sie schon zwischen seinen Beinen festgeklemmt. Und scherzte mit ihr, wie die Katze mit der Maus, die sie in der Falle zappeln hat..

Da schrie Welwale zu Gott auf.

Der Soldat aber, der vor ihm stand, legte ihm besänftigend den Revolver an den Mund. „Wer wird schreien –“? hänselte er. „Singe doch lieber!“

Welwale verstand nicht, faßte nicht, was der Kosak wollte. Der gab’s ihm mit der Nagajka zu verstehen. Da verstand er es....

„Singen“ – befahl der Kosak – „oder ihr beide, du und deine Tochter, seid bald nicht mehr.“

Welwale fühlte, wie sein Blut mit einemmal stille stand. Seine Haare waren drahtsteif geworden; seine Schädelknochen lösten sich und kamen aus [22] den Fugen. Sein Gehirn, fühlte er, war in Flut geraten.

„Singen –“ wiederholte der Soldat seinen Befehl. Seine Augen zogen sich in die Höhlen zurück, tief hinein und lohten nur so aus der Tiefe.

Der zweite rang mit Recha, bis er sie liegen hatte –.

„Singen – oder ich schieße euch wie Hunde nieder, dich und sie,–“

Keuchend und halbtot lag Recha unter der Wucht des wütenden Kosaken....

Welwale sah nur noch, wie sie die ohnmächtigen, unwissenden Hände schwer fallen ließ. „Ich lebe noch, Vater –“ rief sie ihm zu.

Wie im Nu wars ihm leicht geworden. Er war ohne Herzschwere, ohne Hirnlast. Alles war von ihm abgefallen – er hatte nichts zu tragen. Wie seltsam! So leicht war’s ihm nie und so wohl in dieser Leichtigkeit, daß er – sang. Sang sein Solo: „Mchalkel chajim“ –. Und lachte blöd dazwischen und redete zum Kosaken jüdisch.

„Gott! Hm! –“ faselte er – „ich verheirat ihn mit meiner Donetschka und Recha kutschiert –“.

Die Kosaken haben ihre Rollen gewechselt. Jener saß siegessatt dem Faselnden gegenüber und brummte gemütlich: Tschto won gawarytj?“

Und klopfte ihm vertraulich auf die Schulter....