Zwei Predigten vom sel. Missionsinspektor Johannes Deinzer

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Autor: Johannes Deinzer
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Titel: Zwei Predigten vom sel[igen] Missionsinspektor Johannes Deinzer
Untertitel: gehalten in der Dorfkirche zu Neuendettelsau
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Herausgeber: F. Henkelmann
Auflage: 2
Entstehungsdatum: 1882
Erscheinungsdatum: 1908
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Erscheinungsort: Bryan (Ohio)
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Quelle: Commons
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Zwei Predigten
vom sel. Missionsinspektor
Johannes Deinzer,
gehalten in der
Dorfkirche zu Neuendettelsau.
(Nach der stenographischen Aufnahme des Herausgebers.)
2. Auflage.




Herausgegeben zum Besten der
Papua-Mission
von Pastor F. Henkelmann,
Bryan, Ohio, 1908.


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Johannes Deinzer,
geb. 2. Sept. 1848, gest. 25. Jan. 1897.


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Predigt
gehalten am 17. Sonntag nach Trinit. 1882.
Text Luk. 14, 11: „Denn wer sich selbst erhöhet, der soll erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöhet werden.“

 Es geht überall im Haushalt Gottes, im Weltregiment Gottes und in dem Regiment seines Reiches, nach diesem Grundsatz: Wer sich selbst erhöhet, der soll erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöhet werden.“ Es ist also ein wichtiger Satz. Und was noch für die Wichtigkeit dieses Satzes spricht, das ist der Umstand, daß uns dasselbige Wort, und fast in buchstäblicher Übereinstimmung, dreimal begegnet aus dem Munde unsers HErrn. Dreimal ist dieser Ausspruch in den Evangelien aufbewahrt, nämlich bei Matthäus im 23., dann hier bei Lukas im 14. Kapitel, und das 3. Mal bei Lukas im 18. Kapitel. Da, meine ich, ist es doch ein naheliegender Schluß zu sagen: Was dem HErrn so wichtig ist, daß er es wiederholt bei den verschiedensten Gelegenheiten, das muß auch unserer Aufmerksamkeit würdig, das muß auch uns ein Gegenstand ernsten Nachdenkens sein.

 So laßt uns denn unter Gottes Beistand dieses vom HErrn so oft gesagte Wort miteinander betrachten. Der HErr aber gebe uns den Ernst der Aufmerksamkeit und rechten Andacht zur Betrachtung, und Frucht und Segen von der Betrachtung.

 Wenn wir dies Wort im Zusammenhang mit dem heutigen Evangelium ansehen, so finden wir es eingereiht in lauter Tischregeln. Es heißt, der HErr sei eingeladen worden von einem Obersten der Pharisäer auf einen Sabbat, das Brot zu essen. Da hat der HErr mit Mißfallen bemerkt, wie die mitgeladenen Pharisäer auf die ersten Plätze lauerten, wie sie eine unwürdige Platzjägerei trieben und jeder sich bemühete, obenan zu sitzen und den Vorsitz bei Tische zu führen. Dies unwürdige Treiben hatte seinen Unwillen erregt und deshalb fing er an, wenn man so sagen dürfte, spitzig zu werden und geißelt dies Verhalten mit scharfem Wort. Und er sprach: „Wenn du von jemand geladen wirst zur Hochzeit, so setze dich nicht| obenan, auf daß nicht etwa ein Geehrterer denn du von ihm geladen sei, und so dann komme, der dich und ihn geladen hat, spreche zu dir: Weiche diesem! Und du müßtest dann mit Scham untenan sitzen. Sondern, wenn du geladen wirst, so setze dich untenan, auf daß wenn da kommt, der dich geladen hat, spreche zu dir: Freund, rücke hinauf! Dann wirst du Ehre haben vor denen, die mit dir zu Tische sitzen.“ Und an diese Tischregel sich anschließend, begegnet uns nun der Schlußvers, den wir heute zum Gegenstand der besondern Betrachtung machen wollen. „Wer sich selbst erhöhet, der soll erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöhet werden.“ In diesem Zusammenhang, auf den ersten Blick wenigstens angesehen, scheint dieser Spruch nichts anders zu sein als eine Höflichkeitsregel, eine Anweisung zum richtigen, anständigen Verhalten bei Tische, als wollte der HErr eine Ermahnung zur Bescheidenheit geben. Der sich selbst erniedrigt, scheint der bescheidene Mensch zu sein. Bescheiden, was ist denn bescheiden? Bescheiden ist, der sich seiner Grenzen bewußt ist und dieselben einhält, der keine Ansprüche macht, die hinausgehen über die Gabe seiner Leistung. Der mit einem Wort mäßiglich von sich hält und seinen Wert lieber niedriger als zu hoch taxiert.
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 Ein Meister der Bescheidenheit war Johannes der Täufer. Der wußte genau die Grenze seines Berufes und seiner Aufgabe. Er hielt mäßiglich von sich und machte keine Ansprüche, die hinausgingen über die ihm von Gott verliehene Stellung. Ihr wisset, als die Hohenpriester eine Gesandschaft zu ihm schickten mit der Frage: Bist du Elias oder ein Prophet u. s. w., was für eine bescheidene Antwort er gab. Bist du Elias? Und er hätte im gewissen Sinn sagen können, daß er es wäre, denn der HErr sagt: Wenn ihr es nur annehmen wollt, daß er Elias ist oder ein Prophet, gesandt an euch, ja er ist mehr als ein Prophet. Trotzdem sagt Johannes: „Ich bin eine Stimme eines Predigers in der Wüste, zu richten den Weg des HErrn, deß ich nicht wert bin, daß ich seine Schuhriemen auflöse.“ Schlichter und anspruchsloser hätte sich Johannes nicht bezeichnen können. Dafür ist er aber auch erhöhet worden. Was hat der HErr ihm für eine Lobrede, für eine Standrede gehalten! Was hat er ihm für ein schallendes schließliches Lob gegeben, als er sagte: „Einen| Propheten wolltet ihr sehen? Ja, ich sage euch, der auch mehr ist, denn ein Prophet. Denn dieser ist’s, von dem geschrieben steht: siehe, ich sende meinen Engel vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll.“ Da sehen wir, was Bescheidenheit ist und den Lohn der Bescheidenheit, und wie es sich an dem Täufer bewahrheitet, daß, wer sich selbst erniedrigt, von Gott hervorgezogen und erhöhet wird. Das Gegenteil von dem ist der Ehrgeiz, das anspruchsvolle Benehmen eines Menschen der gerne überall der Oberste sein möchte, der Mittelpunkt und die Achse, um die sieh alles drehen soll. Solcher Mensch hat aber das Unglück, daß er überall anstößt, daß er überall verletzt und beleidigt. Und dadurch zieht er sich überall scharfe Zurückweisung, scharfe Demütigung zu, und bewahrheitet sich auch das Wort des HErrn in diesem Sinn; Wer anspruchsvoll auftritt, über Gebühr hinaus Ansprüche erhebt, der wird zurückgewiesen und erniedrigt. Unsere selbstverschuldete Demütigung zu entgehen, sagt der HErr: Gehe nicht vorne an, dränge dich nicht nach vorn, sondern laß dich von andern nach vorn ziehen, das steht dir besser an. Suche nicht, daß du bemerkt werdest, um dein Licht auf den Scheffel zu stellen.

 Die Bescheidenheit oder Bescheidung ist freilich nicht nach dem Geschmack unserer Tage. Nichts ist, könnte man fast behaupten, dem Geschmack unserer Tage so sehr abhanden gekommen als die Bescheidung. Man hält die Bescheidung für eine altmodische Tugend, man spottet über sie mit dem gemeinen Reim, daß die Bescheidenheit eine Zier sei, doch daß man weiter ohne sie komme, worin sich die ganze Roheit dieser Tage ausspricht. Wer nichts aus sich macht, aus dem wird nichts, das ist die ganze Lebensweisheit von heute. Und was ist die Folge? Ein unverschämtes Sichhervordrängen, eine Entfesselung der niederen, selbstsüchtigen Triebe, wodurch aller Bestand hoher Güter und alle Sitte untergraben wird. Die Lehre von der Bescheidenheit tut unserm Volke so not, wie dem Kranken die Arzenei und wie dem Hungrigen das Brot. Du darfst ein Licht anzünden am hellen Tag, wenn du einen bescheidenen Menschen findest willst.

 So notwendig es aber auf Grund unsers Textes auch ist, ein Loblied der Bescheidenheit zu singen, so muß ich doch sagen: Der HErr hat Anlaß zu Höherem gegeben. Es scheint nur so auf den| ersten Blick, als ob der HErr die Bescheidenheit allein hervorheben wollte, wenn wir aber genau zusehen, finden wir, daß er etwas Höheres im Auge hatte. Wenn er die Bescheidenheit allein im Auge gehabt hätte, dann bedurfte es nicht eines Lehrers von Gott gekommen. Denn es heißt ja in unserm Texte: „Er sagte ihnen aber ein Gleichnis, als er merkte, wie sie erwählten, obenan zu sitzen. Alles dieses, was der HErr von der Platzjägerei sagt, wird übertragen auf das geistliche Leben. Der HErr bedient sich nur dieses Gleichnisses, um Geheimnisse des Himmelreichs zu enthüllen. Die Tischrede ist eine Lebensregel, die er den Christen geben will zum Reiche Gottes. An uns Christen ergeht der Spruch des HErrn: „Wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöhet werden, wer sich aber selbst erhöhet, der wird erniedrigt werden.“ Wenn wir diesen Spruch recht fassen und den Kern herausschälen, dann haben wir die innere, die geistliche Bedeutung, Der HErr will durch diesen Spruch uns nicht zur Bescheidenheit sondern zu Tieferem ermahnen, nämlich zur Demut. Wer sich erniedrigt, ist demütig, wer aber demütig ist, ist mehr als bescheiden. Bescheiden kann der natürliche Mensch auch sein. Die Demütigkeit aber ist eine Frucht des Geistes. Demut ist ein Stück des wiederhergestellten Menschen, ein Stück der Gnade von dem der sagen konnte: „Ich bin sanftmütig und von Herzen demütig.“

 Also die Frucht des Geistes ist es, welche uns der HErr empfielt und ans Herz legt. Die christliche Demut ist das Umgekehrte von Rang und Größe. Der natürliche Mensch liebt nicht untergeordnet zu sein, er beugt sich nicht unter den HErrn, er will nichts anders, als herrschen, nicht gehorchen, sondern kommandieren. Und der, der viel zu kommandieren hat, der gilt in der Welt. Der, unter den sich viele bücken, wird geehrt. So soll es aber im Reiche Gottes nicht sein, sondern, wer groß sein will, der werde ein Diener.

 Also sehen wir, daß der HErr zur Demut ermahnt. Was ist Demut? Sie ist nichts anders als der willige Sinn und die Lust, sich selber zu erniedrigen. Und nun werdet ihr auch wohl begreifen, daß die Demut etwas Köstlicheres und Tieferes ist als die Bescheidenheit. Die Bescheidenheit macht keine ungebührlichen Ansprüche. Sie sieht andere größer an als sich selbst, sie bückt und beugt sich vor jedermann, sie ist gerne klein und macht sich zu Knechten aller| Menschen, sie dienet gerne. Ja dieser Tugend, deren Ziel die heilige Demut ist, war er selbst, der sie uns empfiehlt, das größte Muster und Vorbild. Wer war demütiger als unser hochgelobter HErr und Heiland Jesus Christus? Wer konnte demütiger sein als er?

 Was will es aber bei uns viel sagen, wenn wir uns demütigen und herablassen zum niedrigen Dienst. Wir haben keine Höhen, von welchen wir herabsteigen müßten. Die Höhen, welche wir haben, sind erträumte Höhen, aufgeworfen in unserer eigenen Einbildung. Und wenn wir ja Höhen einnähmen, höher ständen als andere, was sind sie gegen die Höhen, welche der HErr Jesus einnahm, bevor, er herab kam ins menschliche Leben. Unsere Höhen sind im besten Fall etwa dagegen wie Maulwurfshügel neben himmelhohen Bergen. Aus was für Höhen aber stieg der HErr hernieder! Aus der Himmelsburg aus des Vaters Schoß und kam in dies Jammertal. Er entäußerte sich selbst, wurde ein Mensch, nahm Knechtsgestalt an sich. Und nicht genug, er stieg noch tiefer hinab, es ging in noch immer tiefere Tale der Selbsterniedrigung und Demut hinein. Er hat sein ganzes Leben im Dienen der Menschheit verzehrt. Er ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene. Er hat dienen für seinen Lebenszweck erklären können. Und in der Nacht, da er verraten ward, ist er so tief herabgestiegen, daß er auch das Gewand des Dienens anzog, die Schürze um sich gürtete und sich vor seinen Jüngern bückte zum niedrigen Sklavendienst.

 Aber da war er noch nicht angekommen, wo er stehen bleiben sollte. Es ging noch in immer tiefere Tale, in den Abgrund der Selbsterniedrigung hinein, und dieser Abgrund heißt Tod. „Er ward gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz. Darum,“ wie der Apostel sagt, „hat ihn auch Gott erhöhet und hat ihm,“ dem demütigen Jesus, „einen Namen gegeben, der über alle Namen ist. Daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, daß Jesus Christus der HErr sei zur Ehre Gottes des Vaters.“ Da sehet ihr, wie an dem Lebensgang unsers HErrn und Heilandes die Wahrheit seines Spruches sich bewährt hat, daß, wer sich selbst erniedrigt, erhöhet werden soll. Der Lebensgang des HErrn hat ihn stufenweise hinab geführt in immer tiefere Tiefen,| bis wohin wir ihm nimmer zu folgen vermögen. Aber dann ging es auch wieder aufwärts von einer Stufe zur andern, bis er erhöhet wurde zu Gottes Throne, bis er den Platz wieder einnahm zur Rechten Gottes des Vaters, von wannen er herrscht, bis alle seine Feinde zum Schemel seiner Füße gelegt sind. – Da habt ihr das große Beispiel der Demut und sehet, was es heißt, sich selbst erniedrigen, und wie die Verheißung sich erfüllt: „Wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöhet werden.“ Angesichts eines solchen Beispiels der Demütigung, wie es uns der HErr gelassen hat, laßt uns unsern elenden Hochmut und Rangstreitigkeiten aufgeben, dem HErrn nachfolgen, in seine Fußtapfen treten und gern den niedrigen Liebesdienst der Fußwaschung den Brüdern erweisen. Denn im Reiche unsers Gottes gilt nicht, wer sich selber groß macht, auch wirklich groß sei. Hier sind die weltlichen Rangstufen umgekehrt und auf den Kopf gestellt. Es heißt hier: Der Größte werde der Niedrigste, und wer regieren will, der diene. Dies ist des HErrn Sinn, wenn er uns die Selbsterniedrigung empfiehlt. Zur Demut will er uns ermahnen, nicht so wohl zur Bescheidenheit sondern zur Demut vornämlich.
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 Nun begegnet uns noch einmal der Spruch Lukas 18, 14. Er bildet den Schluß im Gespräch von dem Pharisäer und Zöllner. Und da laßt uns noch einen Blick auf dieselben werfen. „Zwei Männer gingen hinauf in den Tempel, um zu beten. Einer ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst also: Ich danke dir Gott, daß ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner! Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich habe.“ Der Pharisäer kramte seine Tugenden aus vor dem HErrn und ging ganz zufrieden mit sich in sein Haus. „Der Zöllner stand von ferne, wollte auch seine Augen nicht aufheben, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott sei mir Sünder gnädig!“ Gottes Urteil lautet aber ganz verschieden von dem, was diese Männer sich ausgestellt haben, denn der HErr spricht: „Ich sage euch, dieser ging hinab gerechtfertiget in sein Haus vor jenem, denn wer sich selbst erhöhet, der soll erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöhet werden.“ Hier hat das Wort Selbsterniedrigung| oder Selbsterhöhung wieder einen andern Sinn als den bewußten. Die Selbsterhöhung des Pharisäers ist hier seine Selbstüberhebung, seine Selbstgerechtigkeit, sein Tugendstolz, seine erträumte Heiligkeit und Vollkommenheit. Er dünkt sich vor Gott rein von aller Sündenschuld. Und daß er sich rein dünkt vor Gott, das war seine Selbstgerechtigkeit. Demnach besteht die Selbsterniedrigung des Zöllners darin, daß er die Hand zum Schlage an die Brust führte und vor dem Gefühl seiner Sündigkeit und Unwürdigkeit nichts über die Lippen brachte als: „Gott sei mir Sünder gnädig!“ Die Selbsterniedrigung ist hier wieder etwas anders als die Demut, es ist die Buße, daß bußfertige Bekenntnis der Sünde. Auch zur Selbsterkenntnis in diesem Sinn werden wir vom HErrn aufgefordert. Wer sich selbst erniedrigt wie der Zöllner, in dem er sein Angesicht in den Staub legt, in dem er sich vor Gott bekennt als ein unwürdiger Sünder, aller Gnade unwürdig, aller Strafe würdig, der zeitlichen und der ewigen, der betritt den Weg zur Erhöhung, den Weg zur Rechtfertigung.

 Es gibt keine heilsamere Weise der Selbsterniedrigung als das Bekenntnis der Sünde vor Gott und Menschen. Das begreift freilich die Welt nicht. In den Augen der Welt ist es keine Schande, Sünde zu tun, aber eine Schande zuzugeben, daß es Sünde ist. Vor Gott und Menschen seine Sünde bekennen, heißt bei ihr, sich selber schänden und blamieren. Aber so heißt es nicht in Gottes Augen, auch nicht in den Augen der Kirche. Buße zu tun aber ist niemand anders fähig als ein Christ, den der Geist Gottes regiert.

 Schon das ist Selbsterniedrigung, wenn jemand vor dem allwissenden Gott, dem nichts verborgen ist, an seine Brust schlägt und sich als einen Sünder bekennt. Und die wahre Demütigung, die dem alten Menschen zu Leibe geht, ist das Bekenntnis, die Beichte vor Menschen, sei es vor dem Beleidigten oder vor dem Beichtvater. Dies ist, wie Luther sagt, der rechte Weg zur Gnade und zur Vergebung. Denn in diesem Zusammenhang, wie der HErr das Wort im Schlusse des Gleichnisses braucht, bedeutet Selbsterhöhung Selbstgerechtigkeit, und Selbsterniedrigung ist die Buße und ein bußfertiges Bekenntnis. Aber die Erhöhung, die dem bußfertigen Bekenntnis folgt, ist eine furchtbar ernste Sache. Wenn der Pharisäer| vor Gott erscheint und sich selbst erhöht in seiner Tugend, so wird er von Gott erniedrigt, verdammt. Und der Zöllner, der sich vor Gott erniedrigt, wird von Gott erhöhet und als ein Kind Gottes zum Erben des ewigen Lebens ernannt. So ernst ist es also mit der Selbsterniedrigung, denn es steht die Seligkeit auf dem Spiel, wenn du dich nicht erniedrigst vor Gott und Menschen. Wenn du dich aber im Gegenteil selbst erhöhest, so wird es nicht gehen wie in dem Gleichnis: Freund, weiche diesem, und du müßtest an den untersten Platz, denn das wäre keine Strafe, wenn du an der Ewigkeitstafel den untersten Platz einnehmen dürftest. Der unterste Winkel dorten ist wahrlich noch ein beneidenswerter Platz. Wer sich nicht für einen Sünder bekennt, der bekommt keinen Platz im Himmel, er wird hinunter gestoßen in die Hölle. Es geht ihm wie dem Hochzeitsgast, der kein hochzeitlich Kleid an hatte, und betreffs dessen der Hochzeitsherr sagte: „Werfet ihn hinaus in die äußerste Finsternis, da wird sein Heulen und Zähnklappen.

 Das ewige Leben also steht auf dem Spiel, wenn du dahin gehst in deiner Selbstgerechtigkeit und meinest, du wärest gerecht, wie wohl du doch watest im Wasser der Sünde und deine Kleider bespritzest mit dem Schmutz derselbigen. Wenn du nicht bekennst, daß du ein Sünder bist, geht deine Seele verloren, und der HErr muß für einen solchen Stolz dich erniedrigen bis in die unterste Hölle. Den Unbescheidenen, der sich erhöhet im Sinn der Unbescheidenheit, den demütigen seinesgleichen, die Menschen; wer sich aber selbsterhöhet im Sinne der Selbstgerechtigkeit, den erniedrigt Gott, in dem er ihn verdammt.

 Darum laßt uns das ernste Wort wohl beherzigen und befolgen: Wer sich selbsterniedrigt, der soll erhöhet werden, wer sich aber selbsterhöhet, der soll erniedrigt werden. Die Bescheidenheit ist eine Zier, dieser denke nach. Die Demut erniedrigt sich selbst, sie ist mehr als Bescheidenheit, sie ist ein Lob in Gottes Augen, der Weg zur göttlichen Größe, ihr trachtet nach. Aber die Reue und das bußfertige Bekenntnis ist der Weg zur Seligkeit, zur Vergebung der Sünden. Jaget ihr nach und bekennet eure Sünde, dann wird der HErr euch zu Gnaden annehmen und zu seinen Kindern erklären und zu Erben seines Reiches. Und dann haben wir auch einen Platz an seiner Tafel bei dem ewigen Freudenmahle. Das wolle Gott uns geben um Christi willen. Amen.


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Missionsanstalt zu Neuendettelsau.


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Predigt
gehalten am 7. Sonntag nach Trinitatis 1882.


Text Off. Johannes 20, 11–15:
 Und ich sahe einen großen, weißen Stuhl, und den, der darauf saß, vor welches Angesicht flohe die Erde und der Himmel und ihnen ward keine Stätte erfunden. Und ich sahe die Toten, beide groß und klein, stehen vor Gott. Und die Bücher wurden aufgetan. Und ein ander Buch ward aufgetan, welches ist des Lebens. Und die Toten wurden gerichtet nach der Schrift in den Büchern nach ihren Werken. Und das Meer gab die Toten, die darinnen waren. Und sie wurden gerichtet ein jeglicher nach seinen Werken. Und der Tod und die Hölle wurden geworfen in den feurigen Pfuhl. Das ist der andere Tod. Und so jemand nicht ward erfunden geschrieben im Buch des Lebens, der ward geworfen in den feurigen Pfuhl.“

 Von Büchern ist hier die Rede, von Büchern in der Mehrzahl und von einem Buche in der Einzahl. In den vielen Büchern stehen aufgezeichnet alle Werke und Taten der Menschen, und nach ihnen wird die Welt gerichtet. Die Bücher sind also das Zeugnis, die Akten eines jeden menschlichen Lebens. Aufbewahrt in der himmlischen Registratur sind auch die Akte meines und deines Lebens in jenen vielen Büchern verzeichnet. Darin steht aufgeschrieben, was ein Mensch getan hat bei Leibesleben, es sei gut oder böse. Da ist nichts vergessen. Da ist aufgeschrieben jedes unnütze Wort, welches aus deinem Munde gegangen ist.

 Aber von diesen Büchern, nach welchen gerichtet wird, wird unterschieden ein anderes. „Ein ander Buch ward aufgetan,“ heißt es, welches das Buch des Lebens genannt wird. In diesem Buche sind nicht die Taten der Menschen aufgeschrieben, sondern die Namen| gewisser Personen eingetragen. Es ist aber dies eine Buch des Lebens wichtiger als die vielen Bücher, in denen die Taten der Menschen aufgeschrieben sind. Es wird zwar nach den vielen Büchern gerichtet werden, aber das ewige Schicksal des Menschen entscheidet sich nicht nach seinen Werken, sondern ob er eingetragen ist im Buch des Lebens. Da hat es also ohne Zweifel mit diesem Buch des Lebens eine große Bewandtnis und es wird wohl der Mühe wert sein, darüber nachzudenken.

 Ihr möchtet fragen, wie kommst du dazu, von diesem Text zu reden? Ich antworte: Es liegt mir nahe, weil an dem darüber, was es mit diesem Buch des Lebens für eine Bewandtnis habe, in der lutherischen Kirche Amerikas ein großer Streit ausgebrochen ist. Und da hoffe ich nicht, daß einer sagen wird: Was kümmert uns das, was in Amerika vorgeht? Das würde euch übel anstehen. Denn in eurer Mitte ist eine Anstalt, welche nach Amerika ihre Boten sendet. Und es würde euch übel anstehen, wenn euer geistlicher Horizont nicht weiter reichte als bis dahin, da die Kirchturmspitze eures Dorfes zu sehen ist. Und wenn es auch so stünde, so ist die Sache doch so wichtig, daß jeder eine Auskunft darüber bekommt, was es mit dem Buch des Lebens für eine Bewandtnis habe.

 Und ich will jetzt eine Frage beantworten, welche sich auf das Buch des Lebens bezieht. Was ist das Buch des Lebens? Es ist das Verzeichnis der Namen aller jener, welche Gott von Ewigkeit her nach seiner Gnade und Barmherzigkeit zum ewigen Leben verordnet hat. Wer in diesem Buch des Lebens am jüngsten Tage eingeschrieben erfunden wird, wird selig. Denn so lesen wir in der Offenbarung 21, 27: „Es wird nicht hineingehen“ in das himmlische Jerusalem „irgend ein Gemeines oder das da Greuel tut und Lügen, sondern die geschrieben sind im Lebensbuch des Lammes.“ Wer am jüngsten Tag nicht erfunden wird im Lebensbuch, der wird geworfen in den feurigen Pfuhl, wie es im Texte heißt. Der feurige Pfuhl aber ist der andere Tod, der hinter dem Tod dieses Lebens den Menschen erwartet, der ewige Tod, die ewige Verdammnis.

 Also kommt es ganz und gar darauf an, ob ein Mensch am Jüngstentag eingetragen erfunden wird im Buch des Lebens. Wer in diesem Buch eingetragen ist, wird selig, seine Seligkeit ist gewiß.| Derselbe kann fallen, vorübergehend straucheln, aber er kann nicht für immer fallen, er wird festbehalten bis ans Ende. Und von den Auserwählten sagt Christus, es sei unmöglich, daß sie verführt werden konnten. Er spricht von großer Versuchung, welche so mächtig und verführerisch sein werde, daß, wenn es möglich wäre, auch die Anserwählten verführt würden. Damit deutet er aber an, daß die Auserwählten nicht bis zu Ende verführt und aus der Gnade geworfen werden. Und ebenso lesen wir in der Offenbarung, in dem mehr als in einem andern Buche die Rede ist vom Buch des Lebens, im Kap. 13, 18: „Und alle die auf Erden wohnen, beteten es an,“ das Tier nämlich, den Antichrist, „deren Namen nicht geschrieben sind im Lebensbuch des Lammes, das erwürgt ist vom Anfang der Welt.“ Wer also nicht geschrieben ist im Buch des Lebens, der wird jenen höllischen Kräften, jenen Wundern der Lüge des Antichrists, womit er die ganze Welt bezaubert, unterliegen und in dem großen Strome der Versuchung, welcher über den ganzen Erdkreis kommt und gegen den nur die Auserwählten bestehen, nur sie allein, seinen Untergang finden.

 Und ihr merket nun wohl, daß das Buch des Lebens nur ein Bild ist für den Gnadenratschluß Gottes, für die Gnadenwahl, und daß in dem Buch des Lebens geschrieben sein, so viel bedeutet, als auserwählt und bestimmt zu sein zum ewigen Leben. Wenn wir fragen, wer eingeschrieben ist, so finden wir wieder in der Offenbarung (13, 8) die Antwort. Alle haben den Antichrist angebetet, außer die geschrieben sind im Buch des Lebens. Ebenso heißt es Offenbarung 17, 18: „Das Tier, das du gesehen hast, ist gewesen und ist nicht und wird wiederkommen aus dem Abgrund und wird fahren in die Verdammnis, und werden sich verwundern alle, die auf Erden wohnen, deren Namen nicht geschrieben stehen im Buch des Lebens vom Anfang der Welt.“ Dies Buch des Lebens ist vom Anbeginn. Es hat nicht bloß seinen Anfang von der Welt her, sondern es ist vor der Welt geschrieben, wie wir im Epheser Brief lesen, vor Grundlegung der Welt sind wir erwählt. Ist nun der Ratschluß zu unserer Erwählung vor Grundlegung der Welt gefaßt worden, so ist derselbige ein ewiger und unveränderlicher.

 Jetzt werden wir veranlaßt zu fragen: Welcher Ursache ist es| denn zuzuschreiben, daß wir eingetragen werden ins Buch des Lebens? Nicht unsere Verdienste, unsere Werke, unsere Würdigkeit. An uns hat Gott nichts gesehen und kann an uns nichts sehen, das der Liebe wert sei, was ihn hätte bewegen können, unsern Namen einzuzeichnen ins Lebensbuch. Aller Ruhm und Verdienst der Werke ist hier ausgeschlossen. An einer andern Stelle in der Offenbarung (21, 27) nennt Johannes das Lebensbuch das Buch des Lammes. Da wissen wir es also, mit wem wir es hier zu tun haben, wenn unsere Namen eingeschrieben sind im Buch des Lebens. Jesus Christus, das Lamm Gottes, das für uns erwürget ist, sein Leiden und Sterben, sein Opfertod, sein allerheiligstes Verdienst ist allein die Ursache unserer Erwählung. Alles, was wir Gutes von Gott empfangen, alle Wohltaten des dreieinigen Gottes, also auch die erste unter ihnen, welche bis in Ewigkeit zurück reicht, welche das erste Glied in der goldenen Kette des Heilsplanes Gottes ist, unsere Erwählung, verdanken wir dem HErrn, der uns Gott erkauft hat mit seinem Blut. In ihm müssen wir unsere Erwählung ansehen, er ist das rechte Buch des Lebens, sein Blut ist die rote Tinte, wie die Alten sagten, mit der unsere Namen eingeschrieben worden sind in dasselbige. Darum wir in seinen Wunden Erlösung finden, mit welchen Worten wir unsere Toten zur letzten Ruhe bestatten. „Laß mich durch deine Nägelmal erblicken deine Gnadenwahl.“ Wir müssen das Wort um Jesu willen, allein aus Gnaden setzen und immer den Ruhm der gnädigen Fügung ansehen, durch welche wir selig werden und die ewige Erlösung uns geschenket ist.

 Also dem Lamme, das für uns erwürget ist verdanken wir, daß unsere Namen eingetragen sind im Buch des Lebens. Und hier ist der Punkt, wo die Lehre von der Gnadenwahl am innigsten sich berührt mit dem Mittelpunkt des eigenen Heilsglaubens, mit der Lehre von der Rechtfertigung allein aus Gnaden.

 Nun haben wir noch einige Fragen zu beantworten. Denn wer von euch mit irgend einer Aufmerksamkeit gefolgt ist und nicht auch, wenn es sich um die Frage der Erwählung und Einschreiben ins Buch des Lebens handelt, in den Schlaf gesunken ist, dem wird dann die Frage auftauchen, welche im Leben und im Sterben am wichtigsten und geeignet ist, das Herz in Unruhe und in Verzweiflung| zu setzen vermag, wenn dieselbe nicht zur Beruhigung gelöst wird. Und diese Frage lautet: Stehe ich auch im Buch des Lebens? Steht mein Name im Buch des Lammes? Und wisset, daß von dieser Frage und Antwort unser ewiges Los abhängt. Denn wer nicht geschrieben ist im Buch des Lebens, wandert in den feurigen Pfuhl. Denn nur dem, der da eingetragen ist, öffnen sich die Perlentore der goldenen Gassen.

 Ich kann diese Frage hier noch nicht beantworten, denn sie setzt eine allgemeine Frage zu beantworten voraus. Kann ein Mensch wissen, ob er eingetragen ist im Buch des Lebens? Die Reformierten sagen: Nein! Die Römischen auch nein. Das wäre aber über die Maßen traurig und könnte den Menschen ins Narrenhaus bringen, wenn er seine Lebtage hingehen müßte in Ungewißheit, ob er erwählt sei oder nicht, ob er ein Gefäß der Barmherzigkeit oder des Zornes Gottes sei. So laßt uns was die Schrift sagt, hören und dann betrachten, ob ein Mensch wissen kann, ob er erwählt ist oder nicht. Als die 70 Jünger zum erstenmal ausgesandt und mit Wundermacht ausgestattet waren, zurückkamen, rühmten sie mit Freudigkeit, daß auch die Teufel ihnen untertan gewesen seien. Der HErr sagte darauf: „Freuet euch nicht, daß euch die Teufel untertan waren, sondern freuet euch, daß eure Namen im Himmel angeschrieben sind.“ Diese haben es also gewußt durch unmittelbare Offenbarung, daß ihre Namen eingetragen seien im Buch des Lebens. Auch der Seher der Offenbarung, der Apostel Johannes, hat, da ihm im Gesicht die Mauern des neuen Jerusalems gezeigt wurden, die Grundsteine der Mauern, auf welchen die Namen der zwölf Apostel eingegraben waren, gesehen, damit auch seinen Namen und seine ewige Wahl gelesen. Uns aber wird keine solche Offenbarung über den Rat Gottes gegen uns zu teil, wir können keinen Blick hinein tun in das Buch des Lebens, das ist Gottes Geheimnis. Aber wie können wir es dennoch wissen, ob wir erwählt und unsere Namen eingeschrieben sind im Lebensbuch?

 Erinnert euch daran, wie Paulus im Brief an die Römer (Kap. 8, 38–39) spricht: „Denn ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentum, noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch keine andere| Kreatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist unserm HErrn.“ Also, er hat es gewiß gewußt, daß nichts ihn scheiden könne von Christo Jesu seinem Heil, von seiner einigen Seligkeit, weder Not noch Tod. Der Tod scheidet von Leib und Seele, den Auserwählten aber kann der Tod nicht von Christo scheiden. St. Paulus hat gewußt, daß er nicht nur in der Gegenwart sondern auch in der Zukunft mit dem HErrn vereinigt sein wird. Es kann die Zukunft im Leben des Menschen viel verändern. Auch ist das Glaubensleben der Christen vieler Veränderung unterworfen. Trotz alledem ist sich der Apostel Paulus in Gegenwart und Zukunft, im Leben und im Sterben seiner Seligkeit gewiß und seiner Erwählung sicher.

 Aber noch mehr als das. Wenn wir lesen, was er an die Philipper schreibt ins 4. Kapitel im 2–3 Verse, so finden wir, daß er nicht bloß seinetwegen seiner ewigen Erwählung halben eine Gewißheit hat, sondern auch von wegen anderer. Er nennt hier Evodia und Syntyche und Clemens und andere Gehilfen, „deren Namen sind im Buch des Lebens.“ Wie konnte der Apostel zu dieser Gewißheit seinethalben und derer zu Philippi kommen, daß sie eingetragen seien im Buch des Lebens? Keineswegs durch Offenbarung, denn davon steht nichts geschrieben, sondern durch einen Schluß. Der Schluß ist: Ich glaube an den HErrn Jesum Christum, das für mich erwürgte Gottes Lamm. Wer aber glaubt, der ist gerecht. Wer gerecht ist, der ist ein Erbe des ewigen Lebens. Denn wo Vergebung der Sünden ist, da ist Gerechtigkeit und Seligkeit. Wer selig ist, der ist ein Erwählter, denn nur wer erwählt ist, wird selig. Und dies liegt am Glauben. Wenn du Glauben hast an Jesum Gottes und Marien Sohn, der um deiner Sünden willen gekreuzigt und um deiner Rechtfertigung willen wiederauferstanden ist, so bist du ein Erwählter, dem man nichts anhaben kann und an dem die Pforten der Hölle mit all ihrer List und Bosheit zu Schanden werden müssen. Am Glauben liegt es. Der im Glauben von uns ergriffene Jesus ist der einzige Grund unserer Erwählung.

 Nun könnte jemand sagen: Das ist es ja eben, daß ich oft darin angefochten bin, ob mein Glaube ein rechter oder ein gemalter, ein toter Glaube sei. Das ist es ja eben, was der Teufel in der Stunde| der Anfechtung dem Menschen einraunen tut: Es ist nichts mit deinem Glauben, du bildest dir das nur so ein. Da mußt du eben eine Untersuchung anstellen, denn es stehet geschrieben: Versuchet noch selbst, prüfet euch. Du kannst es prüfen, denn der Glaube hat seine Kennzeichen, und das sind die guten Werke. Gleich wie der Odem der Beweis des Lebens ist, so sind die guten Werke der Beweis des Glaubens. Gleichwohl sind sie keine Ursache der Erwählung, aber Kennzeichen derselben.

 Da mußt du nun nicht so töricht sein zu meinen, daß da Heldentaten der Liebe und des Glaubens von dir gefordert würden, aber eine Regung, irgend eine Frucht, wenn sie auch noch so schwach ist, mußt du entdecken können. Wenn du einen Trieb zum Worte Gottes hast, einen Trieb zum Gebet, wenn du zum Heiland rufst, einen Hunger und Durst hast nach der Gerechtigkeit, eine Sehnsucht, daß du fromm und selig werden möchtest, deinen Leib nicht die Zügel schießen läßt, die Sünde bekämpfst, so sind das alles Früchte und Regungen des göttlichen Lebens und bezeugen, daß du im Gnadenstande bist. Und die Bewahrung im Glauben macht die Erwählung gewiß. Wer im lebendigen Glauben mit dem Erlöser steht, der hat die Gewißheit, er sei ein Erwählter.

 Aber eins könnte jemand fragen, und diese Frage wollen wir zum Schluß beantworten: Eins quält mich, lautet die Frage, wenn ich auch jetzt im Glauben stehe, denn durch eine Prüfung bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß ich einen Funken des Glaubens habe, wenn er auch nur armselig ist, und das beruhigt für den Augenblick, aber – wer bürgt mir dafür, daß ich im Glauben bis ans Ende behalten werde? Kann man auch aus dem Buch des Lebens gestrichen werden? Da muß ich dir sagen: Ja, die Schrift redet so. Wenn wir lesen, was in dem Sendschreiben an den Bischof zu Laodicäa steht, so finden wir die Bestätigung. Offenbarung 3, 5 heißt es: „Wer überwindet, soll mit weißen Kleidern geziert werden, und ich will seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens.“ Das klingt so, als wenn unter Umständen es dahin kommen könnte, daß ein einmal Eingetragener wieder ausgestrichen werden könnte. Und sehen wir, was der HErr zu Mosis sprach, als er für die Israeliten bittet: „HErr, vergib ihnen ihre Sünde,“ die mit| dem goldenen Kalbe ist gemeint, „wo aber nicht, so tilge mich aus dem Buch des Lebens.“ Der HErr aber sprach: „Ich will den aus dem Buch des Lebens tilgen, der wider mich gesündigt hat.“ Da scheint es wieder, als ob jemand, der schon eingetragen ist, wieder ausgelöscht werden könnte. Aber das ist vom Standpunkt menschlicher Anschauung geredet. Die ewige Wahl Gottes kann nicht fallen. Sein ewiger Vorsatz kann nicht umgestoßen werden. Sein Buch des Lebens ist von Ewigkeit her geschrieben und erleidet keine Korrektur, daß ein vorhin darin Eingetragener gelöscht, oder später jemand eingetragen werde. Der, von dem es heißt: Er war getilgt, ist nicht darin gestanden. Aber vom menschlichen Standpunkt sieht es so aus, als ob einer getilgt werden könnte. Man macht die Erfahrung, daß einer lange im Glauben gestanden, ein Kind Gottes gewesen sei, so daß er meint, und andere mit ihm meinen, er müsse eingetragen sein im Buch des Lebens, und doch kann ein solcher fallen und in Unbußfertigkeit verharren und so verloren gehen.

 Nun, wirst du sagen, nimmst du ja mit der andern Hand den Trost wieder, den du mit der einen Hand gegeben hast. Doch mit nichten. Dadurch, daß du auf die Möglichkeit des Falls hingewiesen wirst, soll dir der Trost nicht genommen, sondern du sollst vor fleischlicher Sicherheit bewahrt werden.

 Die Schrift spricht von einer Freude, die die Furcht nicht ausschließt, von einer Freude mit zittern. So gibt es eine Gewißheit des Heils und der Erwählung, die dennoch geteilt ist mit der Sorge der Möglichkeit ihres Verlustes. Derselbe Apostel, der Römer 8 spricht: Ich bin gewiß, daß nieder Tod noch Leben mich scheiden möge von der Liebe Gottes, sagt zu den Korinthern: „Ich betäube meinen Leib und zähme ihn, auf daß ich nicht andern predige und selbst verwerflich werde.“ Er hat also selber die Möglichkeit ins Auge gefasst, daß er verwerflich werden könnte. Und zu den Philippern spricht er: „Schaffet eure Seligkeit mit Furcht und Zittern.“

 Es bleibt aber noch ein reicher Trost übrig, das ist der Trost von der erhaltenden Gnade. „Der heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten.“ Es gibt eine bewahrende Gnade, eine| Gnade der Beharrlichkeit und Beständigkeit, wie die Schrift sagt: „Der das gute Werk in euch angefangen, der wird es auch vollenden.“ Und: „Welcher auch wird euch festbehalten bis ans Ende, daß ihr unsträflich seid auf den Tag unsers HErrn Jesu Christi (1. Kor. 1, 8.).“ Wir müssen nicht alles tun, sonst wären wir schnell verloren. Wir werden aus Gottes Macht bewahrt zur Seligkeit. Der HErr spricht an anderer Stelle: „Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen und niemand soll sie aus meiner Hand reißen.“

 Niemand kann dich aus der Gnade des guten Hirten reißen, als du, du selbst. Du selbst kannst frech sündigen, du selbst kannst dich aus der Gnade werfen und den Händen des guten Hirten dich entwinden. Du mußt die Sünde wider dein Gewissen meiden. Das kannst du. Aber nicht kannst du meiden, daß du überhaupt sündigst, strauchelst und fällst. Du darfst aber deinem Fleische nicht die Zügel schießen lassen, wie es Sündenknechte tun. Dieselben tun sich keinen Zwang an, streiten und kämpfen nicht gegen die Sünde, schwimmen mit dem Strom des alten Menschen und waten hinein in den Schmutz der Sünde. Tust du das, so verspottest du die Gnade, entwindest dich den Händen deines Heilandes und gehst verloren.

 Also, hüte dich vor beharren in der Sünde mit Wissen und Willen. Der alte und der neue Mensch passen nicht zusammen. Mit dem bösen Vorsatz kann der Glaube nicht zusammen wohnen. Darum wirst du bei jeder Beichte gefragt, ob du den guten Vorsatz habest, dich zu bessern. Wenn du im Gegenteil darin beharren wolltest, würde dir die Absolution nichts helfen.

 Das ist es also mit der Gnade der Bewahrung. Gott will dich behalten trotz deiner großen Sünde. Er will dich erhalten, wenn du nicht mutwillig sündigest, widerstrebst und in deiner Sünde beharrst. Darum hast du weiter nichts zu tun, als dich zu hüten vor frechem Beharren in der Sünde, dann wird die Gnade dich umfangen. Der HErr wird dich dann behüten, er wird wie ein Vortrab und Nachtrab hinter dir hergehen, dich beschützen von vorne und von hinten, wie Israel beschützt wurde, als es durch die Wüste zog,| gegen alle Angriffe der Feinde. Er wird dich vollbereiten, kräftigen und gründen. Dann wirst du die Berufung und Erwählung festhalten.

 Nach 2. Petri wird der Mensch durch die guten Werke immer fester gegründet, gegründet in der Hoffnung, daß er erhalten bleiben möge. Und er wird festbehalten werden bis ans Ende.

 Am Ende öffnen sich dann dem Gläubigen die Tore der himmlischen Stadt und ihm wird dargereicht der Eingang ins ewige Leben. Da sieht er dann nicht nur seine Erwählung mit dem Fernrohr des Glaubens, wie wir jetzt nur mit Glaubensaugen unser Heil schauen, sondern da greift er dann mit Händen und nimmt sein ewig Erbe in Besitz. Da ist das Werk der Gnade Gottes am Menschen vollendet, da schließt sich der letzte Ring in der Kette des Heils. Da ist dann das Ziel der Gnaden- und Heilsordnung erreicht, welches St. Paulus Römer acht so ergreifend schildert: „Welche er zuvor versehen hat und verordnet, die hat er auch berufen, welche er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht, welche er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch herrlich gemacht.“

 Will’s Gott, so stehen wir auf der vorletzten Stufe. Denn alle, die wir im lebendigen Glauben an den Erlöser stehen, stehen auf der vorletzten Stufe. Und die Gnade, die uns gerecht gemacht hat, die möge uns auch helfen, uns die Gnade zu erlangen, uns helfen zur Vollendung und uns krönen mit Gnade und Herrlichkeit zum ewigen Leben.


Amen.




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Inneres der Dorfkirche in Neuendettelsau.