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ADB:Mosen, Julius

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Artikel „Mosen, Julius“ von August Schwartz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22 (1885), S. 359–368, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mosen,_Julius&oldid=- (Version vom 21. Dezember 2024, 18:07 Uhr UTC)
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Mosen: Julius M. wurde am 8. Juli 1803 zu Marieney im sächsischen Voigtlande geboren. Seine Eltern waren Johann Gottlob Mosen, der gleich sehr vielen seiner Vorfahren Dorfschullehrer war, und Sophie Magdalena Mosen, [360] geborene Eniglein. Von seinen Geschwistern, drei Brüdern und zwei Schwestern, war Julius das älteste Kind. Der Vater Mosen’s war ein geistig reger, origineller Mann mit einer Bildung, die über die damaligen Anforderungen an den Bildungsgrad eines Schullehrers weit hinausging. Das kam den Kindern sehr zu statten und so wurde der Geist des jungen M. schon früh durch große Vorstellungen genährt und durch die Hinlenkung auf hohe, ideale Ziele in schöner, harmonischer Weise entwickelt. In dem Lehrerhause waren die Verhältnisse recht bescheiden und je älter die Kinder wurden, desto mehr mußten die Eltern sich einschränken, weil namentlich die Söhne durch ihre kostspieliger werdenden Studien viele pecuniäre Opfer beanspruchten. Im J. 1817 verließ M. das Elternhaus und besuchte das Gymnasium zu Plauen, wo er fünf Jahre lang als fleißiger Schüler sich durch eifriges Studium auf die Universität vorbereitete. Nach Absolvirung des Gymnasiums bezog er 1822 die Universität Jena und ergab sich hier dem Rechtsstudium, welches den regen, nach hoher Bildung strebenden Geist des jungen Studenten jedoch allein nicht befriedigte, und so widmete er sich gleichzeitig mit Vorliebe auch philosophischen Studien. In dem Hause des Hofraths Hand, der den armen Studenten bei sich aufgenommen hatte, fand er viele geistige Anregung, und der Unterstützung seines gütigen Gönners ist es auch zu danken, daß M. als Mitglied der damaligen großen Jenenser Burschenschaft sich auch an dem frischen, fröhlichen Studentenleben betheiligen konnte. – In seine Burschenzeit fallen Mosen’s erste poetische Leistungen, mit denen er an die Oeffentlichkeit trat und gleich durchschlagenden Erfolg hatte. Ein Festgedicht zur 50jährigen Jubelfeier Karl August’s, welches Professor Hand auf eigene Kosten drucken ließ und im Namen des Verfassers dem Jubilar überreichte, fand den hohen Beifall Goethe’s, der es als das beste von allen vorliegenden Festgedichten bezeichnete und mit dem ersten Preise krönte. Als Honorar erhielt der Dichter dafür 12 Ducaten, die mit einem Honorar für die Herausgabe von Kosegarten’s Dichtungen die nächste Ursache wurden, daß er das Land seiner heißen Sehnsucht: Italien sehen und durch längeren Aufenthalt kennen lernen sollte. Nach dem im J. 1823 erfolgten Tode seines Vaters war nämlich die Fortsetzung von Mosen’s juristischen Studien zweifelhaft geworden, und der junge, unternehmende Studio machte, sein erstes Dichter-Honorar in der Tasche, eine Wanderung durch Tirol. Zufällig traf er auf dieser Reise einen lieben Freund, Dr. August Kluge, einen mit irdischen Glücksgütern reich gesegneten Mann, der ihn durch Zureden leicht dazu bestimmte, seine bescheidene Reisekasse mit der seinigen zu vereinigen und mit ihm dem schönen, heißersehnten Ziele: Italien und der Siebenhügelstadt zuzustreben. So wurde M. das große Glück zu theil, den classischen Boden mit seinen großen Kunstschätzen und die Pracht des Südens in einem Alter zu schauen, wo jeder Eindruck mächtig, überwältigend und für das ganze Leben nachwirkend zu sein pflegt. Nachdem der junge Dichter zwei Jahre lang Italien nach allen Richtungen durchzogen und alles Große mit Begeisterung in sich aufgenommen hatte, kehrte er im Herbst 1826 wieder nach Deutschland zurück und setzte mit großem Eifer in Leipzig seine unterbrochenen juristischen Studien fort.

Daß der längere Aufenthalt in Italien von großem Einfluß gewesen ist auf Mosen’s ganzes dichterisches Schaffen, ist bekannt. In seinen späteren Dramen „Otto III.“, „Rienzi“, „Die Bräute von Florenz“, sowie in dem Roman „Der Congreß von Verona“ und in den italienischen Novellen spiegeln sich die tiefgehenden Erinnerungen an Italien und die Liebe zu diesem classischen Stück Erde; vor allem aber legte die merkwürdige Volkssage „Il cavaliere Senso“, welche er zufällig dort auffand, die ersten Keime zu dem bedeutenden Epos „Ritter Wahn“ in die junge Dichterseele. „Von allerbedeutendstem Einfluß auf meine Weltanschauung“, sagt M. selbst, „war die Betrachtung des [361] Schlachtfeldes, wo die alte Götter- und Völkerwelt ihren Todeskampf gegen das siegende Christenthum gerungen hatte, so daß die beiden gewaltigsten Dämonen der Weltgeschichte, der Sensualismus und der Spiritualismus, fast verkörpert vor meine Seele traten, mir später gewissermaßen die beiden epischen Gedichte ‚Ritter Wahn‘ und ‚Ahasver‘ in die Feder dictirten und mich lehrten, die Geschichte anzusehen als einen Kampf der Gegensätze, in welchem sich die ringenden Geister läutern und verklären, und so die höchste Aufgabe der Menschen hienieden darstellen und lösen …, aus welcher Idee heraus sich später meine Tragödien construirten.“

Nachdem der Dichter unter sehr harten Entbehrungen im Jahre 1827 in Leipzig sein juristisches Studium vollendet hatte, bestand er im Frühling 1828 mit großer Auszeichnung sein Examen und machte darauf den Acceß bei dem Advocaten Schweinitz in Markneukirchen, wo er „mit gequälter Seele den juridischen Haarzopf flechten lernte“. M. nennt diese Zeit die härteste seines Lebens, denn drei Jahre lang mußte er hier unter dem drückenden bureaukratischen Hochmuth des Stadtschreibers das jus tractiren. Endlich schüttelte er dieses verhaßte Joch ab und wendete sich wieder nach Leipzig, wo er in Johann Ambrosius Barth für sein Epos „Ritter Wahn“ einen guten Verleger fand und den Plan für seine Novelle mit Arabesken „Georg Venlot“ entwarf. Aus dieser und nächster Zeit stammen auch seine bekannten Lieder „Die letzten Zehn vom vierten Regiment“, „Andreas Hofer“ und „Der Trompeter an der Katzbach“. Dieselben fanden in den Jugendfreunden des Dichters, Franz Otto und August Schuster, ihre glücklichen Componisten und waren in der hochwogenden Zeit der Julirevolution von so mächtig durchschlagender Wirkung, daß sie sofort Eigenthum des Volkes wurden und bis zum heutigen Tage im Munde des Volkes lebendig fortleben.

Im Herbst 1831 siedelte M. nach Kohren, einem Städtchen im Amte Frohburg, über, wo er eine Stellung als Actuar beim dortigen Patrimonialgerichte angenommen hatte. In diesem Jahre erschien auch seine vorstehend erwähnte erste epische Dichtung „Ritter Wahn“ und kurz darauf sein „Georg Venlot“. Diese beiden waren jedoch nicht die ersten größeren litterarischen Erscheinungen Mosens; schon im J. 1825 war in Jena eine Novelle „Der Gang zum Brunnen“ erschienen, des Dichters Erstlingswerk voller Romantik, welches wenig bekannt wurde und bei dem Verfasser selbst später in Vergessenheit gerathen war. Es hat diese Novelle auch keine Aufnahme in die erste Gesammtausgabe von Mosen’s Werken gefunden, die zweite bringt daraus „Widmung“ und „Frühlingstraum“. Sie wurde von des Dichters Sohn, Dr. R. Mosen, auf einem alten Verlagsboden in Jena aufgefunden.

Mit großem Fleiße und außerordentlicher Pflichttreue verwaltete M. in Kohren seine Berufsgeschäfte, die ihn sehr in Anspruch nahmen und ihm eine um so größere Arbeitslast aufbürdeten, als er die Arbeiten seines vorgesetzten Gerichtsdirectors, der dem Trunke ergeben war und später in Wahnsinn endete, zum großen Theil mit übernehmen mußte. Jedoch trotz Actenstaub und überhäufter Berufsarbeit zog die Muse bei ihm ein und die frische Jugendkraft des Dichters schuf hier neben den schönsten lyrischen Liederblüten eine Reihe seiner Novellen und das Schauspiel „Heinrich der Finkler“, welches 1836 im Druck erschien. Im J. 1834 war M. endlich in der glücklichen Lage, den Actenstaub Kohrens von sich abzuschütteln und eine Advocatur in Dresden anzunehmen. Hier stand der Dichter mit einem Male in dem ersehnten erweiterten Weltverkehr, in dem Verkehr mit gleichstrebenden Geistesverwandten aus der Künstler- und Schriftstellerwelt. Ludwig Tieck’s Haus besuchte er häufig, doch es kam zwischen beiden Dichtern nicht zu einem intimeren Verkehr. Freundschaftlichere Beziehungen entwickelten sich zwischen M. und den jüngeren Vertretern des [362] geistigen und Künstlerlebens in Dresden, wie Dr. Adolf Peters, Dr. Karl Snell, Echtermeyer, Arnold Ruge, dem Dichter Ernst von Brunnow, dem Buchhändler Gerhard Fleischer, der von Leipzig nach Dresden sich zurückgezogen hatte, dem Orientalisten Hermann Brockhaus, dem Architekten Semper, Professor Karl Förster, den Bildhauern Rietschel und Hähnel und dem Componisten vieler Mosenscher Lieder Baron von Weyrauch. Vor allem aber entstand ein warmes Freundschaftsverhältniß zwischen dem Dichter und dem Historienmaler und Professor an der Dresdener Akademie, Johann Karl Bähr, dem wir das beste Porträt Mosens aus dem Jahre 1838 zu verdanken haben. In treuer Freundschaft hat Bähr in späteren Jahren den kranken, gelähmten Dichter in Oldenburg noch häufig besucht.

In der Nähe des großen Gartens, in dem reizend gelegenen Dorfe Strehlen bewohnte M. eine schöne Sommerwohnung, die bald der Mittelpunkt eines angenehmen und anregenden geistigen Verkehrs wurde und in welcher durchreisende Dichter und Schriftsteller die liebenswürdigste Gastfreundschaft fanden. Bedeutende Dichternamen wie Uhland, Geibel, Hoffmann von Fallersleben, Gutzkow, Prutz, Meißner, Herwegh hat dieses anmuthige Dichterheim als Gäste zu verzeichnen. In diese Dresdener Periode fällt das reichste dichterische Schaffen Mosen’s. Es entstanden in den wenigen Jahren derselben das zweite Epos, „Ahasver“, ein gleichwerthes Seitenstück zum „Ritter Wahn“, die bekannten Novellen „Die blaue Blume“ und „Das Heimweh“, welche zuerst in dem Taschenbuch „Urania“ erschienen, der geschichtliche Roman „Der Congreß von Verona“, die geschichtlichen Trauerspiele „Otto III.“, „Die Bräute von Florenz“, „Wendelin und Helene“, „Der Sohn des Fürsten“ und „Herzog Bernhard von Weimar“ und endlich ein stattlicher Band „Gedichte“, der 1836 im Druck erschien.

Mosen’s Dichtername wurde nicht allein beim Volke durch seine weit verbreiteten und vielgesungenen Lieder bekannt und populär, die Aufmerksamkeit und das lebhafte Interesse der ganzen gebildeten Welt und deren hervorragendsten, besten Vertreter wandte sich dem in Zurückgezogenheit lebenden Dichter zu, und die Universität Jena ehrte sein reines Kunststreben und seine großen Verdienste um die Litteratur, namentlich das Theater, durch Verleihung der Doctorwürde honoris causa im J. 1840. Mosen’s ganzes dichterisches Streben wendete sich jetzt der deutschen Bühne zu; die Geschicke des deutschen Theaters berührten den Dichter so sehr, daß er fortan die ganze Vollkraft seines Schaffens auf das Drama concentrirte und den Interessen unserer Bühne stets die wärmste Theilnahme widmete.

Die materiellen Verhältnisse des Dichters, der seinen Berufsgeschäften als Advocat auch mit großer Gewissenhaftigkeit nachging und sich einer guten Praxis erfreute, hatten sich inzwischen recht günstig gestaltet. Im Hause des Hofraths Kreyßig hatte er die Tochter des 1825 verstorbenen Landgerichtsdirectors Jungwirth in Wittenberg, die nach dem Tode des Vaters in der engbefreundeten Kreyßigschen Familie als Pflegetochter eine zweite Heimath gefunden hatte, näher kennen und lieben gelernt und sich 1840 mit Minna Jungwirth verlobt. Der Verlobung folgte am 4. Januar 1841 die Hochzeit. – Mosen’s Gattin ist mit dem Dichterleben so eng und innig verbunden, daß sie bei Schilderung desselben unmöglich davon getrennt werden kann, „sie hat sich ein heiliges Recht erworben, mit ihres Mannes Namen der Litteratur einverleibt zu werden“. In inniger Liebe ihrem Gatten zugethan, war sie bei feiner, vielseitiger Bildung das Ideal einer echten deutschen Hausfrau, die belebende Seele des anmuthigen Dichterheims, die an dem reichen Schaffen ihres Gatten den lebhaftesten Antheil nahm und in demselben ihren größten Stolz fand. Wie jäh traf sie der harte [363] Schicksalsschlag, der nach wenigen glücklichen Jahren der Ehe den Dichter auf das Schmerzenslager warf und allmählich lähmte! Zweiundzwanzig lange Leidensjahre hat Minna Mosen als echte deutsche Frau mit zärtlichster Liebe den Gatten gepflegt; zeitweilig selbst sehr leidend, kannte sie keine Schonung, sondern mit seltener Aufopferung saß sie stets wie ein schützender Engel an dem Krankenlager, jedem Wunsche, jedem Gedanken des Leidenden lauschend, und widmete sich, ohne ihre schwere Pflicht als Mutter: die Erziehung ihrer beiden Söhne, zu vernachlässigen, mit ganzer, liebender Seele ihrem heiligen Opferdienst. So war sie Dolmetsch aller schönen poetischen Gaben, welche während der Leidenszeit auf dem Schmerzenslager in Oldenburg gelegentlich noch häufig emporblühten.

Die Tragödie „Der Sohn des Fürsten“ sollte Mosen’s Lieblingswunsch, seine ganze, volle Kraft dem Drama und dem deutschen Theater zu widmen, in Erfüllung bringen. Der kunstsinnige und kunstfördernde Großherzog Paul Friedrich August von Oldenburg war durch den Intendanten, Freiherrn von Gall[WS 1], und Professor Adolf Stahr, damals Conrector am Oldenburgischen Gymnasium, auf Mosen’s Tragödie aufmerksam gemacht worden und war nach Kenntnißnahme derselben so voller Anerkennung für den Dichter, daß er ihn zur Aufführung seines „Herzog Bernhard von Weimar“ nach Oldenburg einladen ließ und bei dieser Gelegenheit als Dramaturg des Hoftheaters mit dem Titel Hofrath engagierte. Im Mai 1844 zog M. mit seiner Familie, der das Scheiden aus den liebgewordenen Dresdener Verhältnissen natürlich recht schwer wurde, nach Oldenburg und hinterließ dem dortigen Freundeskreise gewissermaßen als Scheidegruß noch sein neuestes Werk „Die Dresdener Gemälde-Gallerie“. Jetzt war das Ziel seiner höchsten Wünsche erreicht: ein neues Wirken, eine schöpferische Thätigkeit begann mit dem Feuereifer, mit der rastlosen, vollen Kraft des Schaffens, wie sie M. eigen waren. Eine deutsche Musterbühne war das Ideal des jungen Dramaturgen, das er, unterstützt von einem kunstfördernden Fürsten, einem kunstsinnigen Publicum und einem Künstler-Ensemble, welches Talent und Verständniß ihm entgegenbrachte, mit Begeisterung und großem Erfolg erstrebte. Gleichzeitig mit Mosen hatte Immermann in Düsseldorf die Musterbühne geschaffen, jedoch mit ganz anderen Mitteln. Was Immermann durch rücksichtslose Strenge, durch Zwang und Dressur Außerordentliches leistete, erreichte M. durch Liebe und Begeisterung, die er bei den Darstellern geschickt zu wecken verstand. Classische Dramen und moderne Dramen höheren Stiles waren es, die der Dichter mit Vorliebe auf das Repertoire brachte; namentlich den Aufführungen Shakespeare’scher Stücke wandte er seine ganze Kraft zu. Die Aufführung des ersten Theils von Goethe’s Faust (1845) war eine mustergültige. Auch fünf von seinen eigenen Dramen brachte er nach und nach zur Aufführung. Sehr günstig für das künstlerische Streben des Dramaturgen wirkte damals sein Freund Adolf Stahr durch seine vortreffliche „Theaterschau“, durch welche er Sinn und Verständniß für die Bühne beim Publicum weckte und bei den darstellenden Künstlern höchst anregend und belehrend wirkte.

Leider sollte M. das schöne Glück, das er in seinem neuen, langersehnten Wirkungskreise fand, nur kurze Zeit zu Theil werden. Eine Erkältung, die er sich zugezogen, sollte schon im J. 1845 der Anfang jener schmerzvollen, lähmenden Krankheit werden, welche den Dichter in der ganzen Vollkraft seiner schöpferischen Thätigkeit bei gesundem Herzen und klarem Geiste unbarmherzig packte und die langsam, aber unerbittlich in hartem Kampfe ihn bezwang. „Don Johann von Oesterreich“, sein neuestes Drama, welches am 27. März 1845 mit großem Beifall in Oldenburg aufgeführt wurde, sollte das letzte sein, welches der Dichter für die Bühne vollendete. Sein Novellenbuch „Die Bilder im Moose“ erschien 1846. – Eine Reihe von Bädern und Heilanstalten, durch welche die liebevolle, [364] aufopfernde Gattin und Pflegerin ihn meist begleitete, mußte M. auf Anrathen der Aerzte besuchen – leider ohne Erfolg. Wir sehen ihn auf Helgoland, im schwäbischen Wildbad, dann in der Kaltwasserheilanstalt zu Lehsen in Mecklenburg, später in der Schreber’schen Anstalt für Heilgymnastik in Leipzig und endlich zu Gastein vergebens Besserung und Heilung suchen. Nach dem ersten Besuche von Gastein schien es, als wenn eine Besserung eingetreten wäre, denn M. fühlte sich gestärkter, kräftiger und geistig sehr angeregt, aber nach dem zweiten Besuche wurde jede Hoffnung auf ein Besserwerden zerstört und die angefangenen „Erinnerungen“, sowie die im Entwurf fertigen Dramen „Chriemhild“ und „Cromwell“ mußten leider unvollendet bleiben.

Es kam nun die schreckliche Zeit des qualvollen Leidens, in der die fortschreitende Lähmung den Körper immer mehr ergriff und den Kranken an das Lager fesselte. Das Leiden war zu fürchterlich, als daß die Feder es beschreiben könnte. Mit unerbittlicher Grausamkeit lähmte es allmählich auch die inneren Organe, Gaumen und Zunge wurden davon ergriffen, so daß die Ernährung mit großen Schwierigkeiten verbunden war und die Sprache fast ganz verloren ging. Nur durch leises Flüstern konnte sich der Kranke noch verständlich machen und mit aufopfernder Liebenswürdigkeit lauschte ihm seine treue Pflegerin jedes Wort vom Munde ab. In erregten Momenten kam es allerdings häufiger vor, daß M. bei großer Gemüthsbewegung plötzlich seine volltönende Sprache wiedergewann und laut einige Worte oder Verse sprach, die ihm der Augenblick eingegeben hatte. So erinnert sich Schreiber dieses, der das Glück hatte, in dem Dichterhause freundschaftlich zu verkehren, mancher denkwürdigen Stunde, der wir schöne poetische Blüten zu danken haben. Wie Lichtstrahlen aus der dunklen Leidensnacht können wir hier verzeichnen 1858 den Festgruß zum Jubiläum nach Jena, 1859 den Festgruß zum großen Schillerfeste, 1862 zur Säcularfeier von Fichte’s Geburtstag, seine Verse zu Arndt’s und Uhland’s Gedächtniß, 1863 sein Turnerlied, 1865 sein Festgruß zum Jenenser Burschenschaftsjubiläum, seine extemporirten Sprüche bei Empfang des Freiligrath’schen Gedichtes an ihn und bei Empfang des auf Anregung des Lahrer „Hinkenden Boten“ ihm vom deutschen Volke gestifteten Ehrenbechers, sowie eine Anzahl kleinerer Gedichte. – Die ältere Schwester von Minna Mosen, Lilly Jungwirth, stand letzterer treu zur Seite und unterstützte die mit der schweren Krankenpflege unausgesetzt Beschäftigte durch Führung des Haushaltes, dem sie mit unablässiger Sorgfalt vorstand.

Den Lebensabend des schwergeprüften Dichters, dessen sehnlicher Wunsch es war, seine Geisteskinder vor seinem Ende noch unter Dach und Fach gebracht zu sehen, sollte das Zustandekommen der Gesammtausgabe seiner Werke noch erheitern. Fern von aller buchhändlerischen Speculation, ohne Wissen und Mitwirkung des leidenden Dichters, entwickelte sich das Unternehmen der Nationalsubscription auf Mosen’s Werke ganz aus dem Volke heraus, ins Leben gerufen von Deutschlands frischer, kräftiger Jugend, den Turnern, die durch diese Ende 1862 eröffnete Subscription mit bestem Erfolg den Grund zu der Gesammt-Ausgabe legte. Das Unternehmen fand Anklang und Unterstützung bei allen Koryphäen der deutschen Litteratur, die einmüthig in der Presse dafür eintraten, sodaß es schon bald als gesichert angesehen werden konnte und Schreiber dieses in der Lage war, am Weihnachtsabend 1862 dem nichtsahnenden Dichter als Festgabe die Subscriptionslisten mit fast 3000 Subscribenten zu überreichen. –

Die Herausgabe der Werke, welche der damals in Jena Philologie studierende Sohn Mosen’s, Reinhard, jetzt Bibliothekar der Oldenburger Landesbibliothek, besorgte, brachte dem gequälten Dulder herzerquickende, frohe Tage [365] und Stunden. Der gelähmte Körper schien sich oft neu zu beleben, die Sprache wurde in Augenblicken der Erregung volltönend und manches Kraft- und Scherzwort, manche humorvolle Aeußerung warf er von seinem Lager aus in die belebte Unterhaltung. Am Johannistage 1863 trat Schreiber dieses in Mosen’s Zimmer; er brachte ihm den Prospectus zu der Gesammtausgabe seiner Werke. Der Dichter ruhte in der Sophaecke des Wohnzimmers, wohin er sich täglich tragen ließ, wenn ihn sein schweres Leiden nicht an das Bett gefesselt hielt, und wo er im Kreise der Seinen ein paar Stunden zuzubringen pflegte. Ich las meine Arbeit vor: M. saß regungslos da und äußerte sich in keiner Weise über das Gehörte. Bald darauf entfernte ich mich in das Nebenzimmer, wo ich im Kreise der Familie den Abend zubrachte. Es war schon spät geworden, da wurde uns ein Gedicht gebracht, das eben auf der Leidensstätte des Dichters, den wir längst schlummernd wähnten, emporgeblüht war und das er unter unsäglicher Anstrengung mit gelähmter Zunge flüsternd dictirt hatte:

 St. Johannistag.
     Am Johannistag
Tanzt die Sonn’ im Purpurschein
Mitten in die Welt hinein;
Ueber Meer und Länder
Flattern goldne Bänder,
Und Gott selber rufet laut:
„An mein Herz, du schöne Braut!“

     Am Johannistag.
Wenn im Blumenduft
Zittert heiß die Luft,
Wenn die Rosen blühen.
Alle Sinne glühen,
Unter Nachtigallenschlag
Ich wohl selig sterben mag.

Die ganze sonnige Blüthenfülle des Johannistages schien ausgegossen über die Schmerzensstätte, der heiterste Junihimmel blaute über dem Krankenlager und es war heller, lichter Sonnenschein und Nachtigallenschlag in dem Herzen des Dichters. Als wir alle mit Entzücken diese Verse vernommen, ließ M. die kurze Frage an mich richten, ob das eben Gehörte kein Gedicht sei? Beschämt verstand ich diese Frage und fühlte mich einer großen Unterlassungssünde schuldig, denn ich hatte Mosen’s dichterischer Thätigkeit während seiner langen Leidensjahre in dem Prospecte mit keinem Worte gedacht. Ich ergänzte später den Prospectus durch folgenden Zusatz: „Wirft man einen Blick auf Mosen’s dichterische Thätigkeit während seiner Leidensjahre, so muß man staunen, wie die gelähmte Hand des Dichters trotz seiner unsäglichen Qualen noch die schönsten, edelsten Perlen in den Kranz deutscher Lyrik geflochten. Mit tief schmerzlicher Wehmuth erinnert man sich dabei seiner Worte: ‚Wage Keiner sich von der mütterlichen Brust des gemeinen, engbeschränkten Lebens loszureißen, wenn er nicht die Kraft fühlt, mit göttlicher Ruhe allem Erdenglück sagen zu können: ich bedarf dich nicht! und zu den grimmigsten Seelenleiden der Menschheit: kommt herab auf mich, ich fürchte euch nicht! denn die Wahrheit heischt ein gewaltiges Herz und einen klaren, kräftigen Geist!‘ – Nur sein ‚gewaltiges Herz‘ und sein ‚klarer, kräftiger Geist!‘, welche so wunderbar ergreifend durch seine letzten Lieder klingen, vermochten es, die schweren Prüfungen zu tragen, die die Vorsehung über ihn verhängt, und dabei sich noch zu so frisch duftenden, echt poetischen Blüthen aufzuschließen, so daß man wähnt, vor einem Zauberschloß zu stehen, welches sich die Hand des Dichters aus den Edelsteinen des Geistes aufgebaut, um seine ‚grimmigen Leiden‘ den Augen der Welt zu entziehen.“

[366] In dieser Zeit der Gesammtausgabe seiner Werke wurde dem schwergeprüften Dichter noch manche Freude zu Theil. Ein lebhafter brieflicher Verkehr mit Schillers Tochter, Freifrau von Gleichen-Rußwurm, den Minna Mosen vermittelte, sowie herzliche Briefe von Fritz Reuter, der ihm seine Dichtung „Kein Hüsung“ schickte, erfreuten den Kranken sehr. Die namhaftesten und besten Vertreter des Deutschthums in Nordamerika sandten ihm ein Photographie-Album mit ihren Porträts als ein Zeichen ihrer Verehrung; in der Oldenburgischen Hafenstadt Brake an der Weser lief ein stolzes Seeschiff von Stapel, welches zu Ehren des Dichters den Namen ‚Julius Mosen‘ erhielt, und die bekannte Tiroler Sängergesellschaft Holaus pflegte stets, wenn sie in Oldenburg concertirte, an das Krankenlager des Dichters zu treten, um ihn durch den Vortrag seines ‚Andreas Hofer‘ zu erfreuen. Zu den vielen Lichtblicken, welche die dunkle Leidensnacht in den letzten Jahren der Krankheit erhellten, gehörte vor allem die Neugestaltung Deutschlands, die ersten Schritte zu der langersehnten und erstrebten Einheit nach den Feldzügen von 1864 und 1866, welche M. wie eine hellaufsteigende Morgenröthe mit freudigem Herzen begrüßte. Seinen ältesten Sohn Erich, welcher Jura studirt hatte, sah er darum auch mit Freude als Freiwilligen ins Feld ziehen und 1866 an den Waffenthaten der Oldenburger im Mainfeldzuge theilnehmen. Als Lieutenant kehrte er aus dem Feldzug zurück. Die große Zeit von 1870 sollte M. nicht mehr erleben. Auch gegen Frankreich zog sein Sohn Erich als Freiwilliger wieder mit ins Feld und fand leider allzufrüh dort den Heldentod in der Schlacht von Mars-la-Tour.

Bei Gelegenheit der National-Subscription auf Mosen’s Werke wurde oft die irrige Auffassung laut, daß dieselbe unternommen sei, um den kranken Dichter vor materieller Noth zu schützen. Diese Auffassung muß berichtigt werden, denn neben den geordneten Vermögensverhältnissen Mosen’s waren es vor allem die Munificenz des Großherzogs Nicolaus Friedrich Peter von Oldenburg, welcher ihm den Jahresgehalt bis zu dessen Tode unverkürzt zahlen ließ, und eine Pension der Schillerstiftung, die die großen pecuniären Opfer, welche das lange Leiden erforderte, deckten. – Zum Schluß muß noch eines kleinen Kreises treuer Freunde gedacht werden, der die trüben Leidensstunden des Dichters durch anregendes Gespräch und Vorlesen der neuen interessanten Tageserscheinungen zu erheitern pflegte. Er war auf Anregung eines der vertrautesten Freunde Mosen’s, des Generals Mosle (s. u. S. 401), im J. 1852 zusammengetreten und versammelte sich jeden Donnerstag Abend an dem Krankenlager des Dichters bis zu dessen Tode. Es waren General Mosle, Geheimer Hofrath Dr. Günther, Präsident von Beaulieu-Marconnay, Professor Dr. Laun, Geheimer Rath Jachmann und Präsident Meyer. Wenn der gelähmte Dichter auch noch so muthig gegen sein grimmiges Leiden ankämpfte, endlich mußte seine Widerstandskraft dem grausamen Feinde erliegen. Am 10. October 1867 starb M., umgeben von den Seinen und dem treuen Hausarzte, Hofrath Kindt. Dreizehn Jahre später, am 22. März 1880, folgte ihm auch seine treue Gattin Minna, die nach langen, schweren Leiden durch einen sanften Tod endlich Erlösung gefunden hatte. Sie fand neben ihrem geliebten, unvergeßlichen Gatten auf dem Friedhofe zu Oldenburg ihre letzte Ruhestätte. Zwei Fichten aus der voigtländischen Heimath des Dichters rauschen über dem gemeinsamen Grabe.

M. hat sich fast in allen Zweigen der Dichtung versucht und überall schöne Erfolge erzielt. Eine männlich-edle, künstlerische Haltung, klares, gemessenes Streben ohne pikantes Blendwerk, das um den Beifall der Menge buhlt, zeichnen seine Dichtungen aus. Sowohl in seinen Liedern als auch in seinen dramatischen Dichtungen tritt uns unwillkürlich eine Verwandtschaft mit [367] Uhland entgegen, den M. als Freund sehr liebte und verehrte. Bei beiden Dichtern hatte das Vaterlandsgefühl die tiefsten Wurzeln geschlagen und die schönsten poetischen Blüthen gezeitigt. Mosen’s Lieder sind alle sehr musikalisch empfunden, dabei von wunderbar anmuthender Schönheit und Tiefe des Gefühls, die Symbolik in seinen Bildern ist überall treffend, anschaulich und natürlich. Seine Novellen, in welche der Dichter häufig die Märchenwelt hineingezogen, sind fein psychologisch abgerundete Kunstwerke und muthen uns durch ihre Naturfrische lieblich an, wie ein liebenswürdiges Idyll. Von großer Bedeutung sind die beiden Epen „Ritter Wahn“ und „Ahasver“; er ringt hier mit den tiefsten Problemen. Ritter Wahn ist der Held, der dem Tode um jeden Preis entfliehen will, ja den im Himmel selbst noch Sehnsucht nach der Erde ergreift, während Ahasver vergebens den Tod sucht. Gewaltige Tiefe des Gedankens, riesige Kraft des forschenden, grübelnden Geistes und großartige Schilderung zeichnen beide Dichtungen aus. Beide von gewaltiger Anlage, suchen in mächtig fortreißender Handlung vergebens die dunklen Räthsel des Menschendaseins zu lösen. – Aus dem Geistesringen der gährenden Zeit vor 1848 wurde der historisch-politische Roman „Der Congreß von Verona“ geboren. Mit scharfen, treffenden Zügen schildert M. darin das Parteitreiben und das beliebte Bestreben, der unablässig fortschreitenden Zeit fesselnde Zügel anzulegen und sie zurückzuhalten. Unverkennbar gezeichnet tritt die Gestalt von Gentz in scharfen Konturen aus dem Roman hervor. – Als Dramatiker können wir M. am besten beurtheilen, wenn wir sehen, wie er selbst sich Wege und Ziel vorzeichnet: „die Geschichte anzusehen als einen Kampf der Gegensätze, in welchem sich die ringenden Geister läutern und verklären, und so die höchste Aufgabe der Menschen hienieden darstellen und lösen“ … oder „die Geschichte zu freiem Bewußtsein zu vermitteln und sie auf ähnliche Art in ihr Ideal zu erhöhen, wie es die Alten mit der Natur gethan“. Fern von aller Tendenzmacherei, ohne durch die so oft beliebten Schlagwörter sich um die Gunst der großen Masse zu bewerben, faßte M. seine hohe Aufgabe mit edlem Ernst auf: historische Treue, eine weltgeschichtliche, befreiende Idee, ein stolzes, kühnes Pathos zeichnen seine Dramen aus und so werden dieselben stets von großer poetischer und sittlicher Bedeutung bleiben. Nicht auf den schnell verrauschenden Beifall der Menge waren seine Bestrebungen gerichtet, sie waren ernster, edelster Natur und gingen auf das höchste Ziel, welches zu erreichen ihm das grausame Schicksal, das seinen Körper in der Vollkraft des Schaffens lähmte, leider versagte. – Den Band Mosenscher Gedichte wird man stets zu den besten Erzeugnissen der deutschen Lyrik rechnen. Mit frischer männlicher Kraft und gesunder Lebensanschauung klingen die Verse aus innerstem Herzensgrunde nicht träumerisch, sondern lebendig, echt deutsch, gedankenreich, innig und wahr heraus. Mit Recht rühmt Mundt ihnen nach, daß sich in ihnen „Gedankenfülle mit der höchsten dichterischen Kraft vereinigt“. Wie klar M. seine Aufgabe als Volksdichter selbst erkannt hat, sehen wir aus seinem Denkspruch:

„Der Dichter wurzle tief in seinem Volke
Und steig’ empor frisch wie ein Tannenbaum,
Mag dann er brausen mit der Wetterwolke
Und auch sich wiegen in des Lenzes Traum;
Denn mit dem Weltgeist eins in jeder Regung,
Fühlt er des Daseins leiseste Bewegung.“


Mosen’s sämmtliche Werke erschienen in einer neuen vermehrten Auflage 1880 bei Wilhelm Friedrich in Leipzig, herausgegeben von seinem Sohne, Bibliothekar Dr. Reinhard Mosen, mit einer Biographie von demselben. Der Inhalt folgt nachstehend: I. Band. Erinnerungen. – Aus dem Erstlingswerk: „Der Gang zum Brunnen“: Widmung und Frühlingstraum. – Ritter [368] Wahn. – Georg Venlot. Eine Novelle mit Arabesken. – II. Band. Heinrich der Finkler. – Ahasver. – Ueber die Tragödie. – Kaiser Otto III. – III. Band. Cola Rienzi. – Wendelin und Helene. – Die Bräute von Florenz. – Johann von Oesterreich. – Herzog Bernhard. – Der Sohn des Fürsten. – Cromwell, dramat. Fragment. – IV. Band. Der Congreß von Verona. – V. Band. Studien zur Kunst der Malerei. – Bilder im Moose. – VI. Band. Ueber Goethes Faust. Eine dramaturgische Abhandlung. – Das neuere deutsche Drama und die deutschen Theaterzustände. – Gedichte. – Biographie.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Ferdinand Freiherr von Gall (1809–1872), oldenburgischer Kammerherr und Intendant des Hoftheaters.