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ADB:Palmer, Christian

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Artikel „Palmer, Christian David Friedrich“ von Theodor Schott in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 25 (1887), S. 104–110, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Palmer,_Christian&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 17:11 Uhr UTC)
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Band 25 (1887), S. 104–110 (Quelle).
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Palmer: Christian David Friedrich P., geb. zu Winnenden (Würtemberg) am 27. Januar 1811, † als Professor der evangelischen Theologie zu Tübingen am 29. Mai 1875, war der Sohn von Johann David P., einem tüchtigen Mädchenschullehrer in Winnenden, und von Christiane Friederike Friesinger. [105] Ein munterer Knabe, mit guter, doch nicht allzurobuster Gesundheit ausgerüstet, wuchs er fröhlich heran, umgeben von der treuesten Vater- und Mutterliebe, welche dem einzigen Kinde die beste Erziehung zu geben suchte. Wegen seiner guten Begabung zum Theologen bestimmt, auf welchen Stand auch die fromme Tradition des Hauses, über die ein leiser pietistischer Hauch gebreitet war, hinwies, durchlief er die Pflanzstätten der würtembergischen Theologen, das niedere Seminar (Schönthal) 1824–28 und das höhere (Stift) zu Tübingen 1828–32 und machte im Sommer 1832 sein erste Prüfung mit Auszeichnung. Philologischen Studien war er nicht besonders zugewandt, weit mehr den philosophischen und am meisten den theologischen; von den damaligen Professoren (Steudel, Baur, Kern, Schmid) hatte der Letztere den meisten Einfluß auf den fleißigen arbeitsgewandten Studenten; die praktische Theologie, welche Schmid vertrat, war das Feld, für welches P. einen empfänglichen Boden, eine natürliche Anlage in sich trug, ihr wandte er sich mit besonderer Vorliebe zu. Von seinem Großvater mütterlicherseits hatte er eine vorzügliche Begabung für Musik ererbt, schon mit fünf Jahren lernte er Clavierspielen, in Schönthal erlernte er überdies Violoncell und Flöte, bald spielte er auch die Orgel. Dieser Lieblingsneigung, bei welcher er sich aber wol hütete, daß sie nicht zur beherrschenden Leidenschaft wurde, widmete er die meisten Freistunden, versuchte sich auch damals schon an kleinen Compositionen; auch während der Universitätszeit blieb er seiner Musica getreu und wenn er sich von studentischen Verbindungen entfernt hielt, so schloß er sich um so enger an einen kleinen Freundeskreis, der besonders durch diese Kunst zusammengehalten wurde. Mit Friedrich Silcher gab er 1829 den Anstoß zur Gründung der noch blühenden akademischen Liedertafel, in angesehenen Familien ertheilte er Clavierunterricht, auch seine nachherige Frau lernte er bei dieser Gelegenheit kennen. Ausgestattet mit einem sehr reichen Maaß theologischer Kenntnisse, verließ er die Universität, wurde bis April 1834 in Bissingen bei Kirchheim u. T., dann bis November 1836 in Plieningen bei Stuttgart Vicar. In dieser praktischen Thätigkeit legte er die ersten verheißungsvollen Proben seiner reichgesegneten erfolgreichen praktischen Wirksamkeit ab; seine natürliche rednerische Begabung unterstützt von einem außerordentlich treuen Gedächtniß und von soliden Studien, machte ihm das Predigen zu leichter, freudiger Aufgabe; mit Meisterschaft wußte er schon damals die Sprache zu handhaben, die klare angenehme Diction trug dazu bei, den ernsten, echt evangelischen Inhalt um so eindringlicher zu machen; auch der Pflege der Schule, der Seelsorge nahm er sich eifrig an, ebenso wenig vernachlässigte er die Musik (Gründung von Kirchengesangvereinen), dem eingezogen lebenden Geistlichen flogen die Herzen der Gemeinde zu. Schwere innere theologische und religiöse Kämpfe hatte P., wie es scheint, nicht zu bestehen; er war eine harmonisch angelegte Natur, die ihren harmlosen Kindessinn nicht gegen die theologische Scholastik preisgab; an Hegel hatte er wenig Gefallen gefunden, Schleiermacher’s Einfluß bewahrte ihn vor Einseitigkeit, die tiefe Erfassung der theologischen Probleme verdankte er den bei ihm gewonnenen Einwirkungen. Seine Grundrichtung aber war eine biblisch-kirchliche, mit allen Fasern seines Herzens und Gemüthes hing er an seinem evangelischen Glauben; der würtembergische Pietismus, der Tübinger Supranaturalismus, wie er in Storr und Steudel vertreten war, der biblische Realismus, wie ihn J. A. Bengel gelehrt, waren die bestimmenden Factoren seiner theologischen Entwicklung, dabei wahrte er sich aber entschieden seine Selbständigkeit und gehörte nie einer bestimmten Partei an. Im Sommer 1836 bestand er die zweite Dienstprüfung, im November desselben Jahres trat er als Repetent in das theologische Seminar in Tübingen ein, 30. Januar 1839 wurde er zum Helfer in Marbach ernannt. Ruhig und [106] einfach, wie der Mann selbst war, verfloß sein Leben in der Heimathstadt Schiller’s. 25. April 1839 heirathete er Wilhelmine Bossert, mit welcher er sich im Jahre vorher verlobt hatte. Die bescheidenen Verhältnisse von Haus und Gehalt störten den anspruchslosen Sinn der Gatten nicht, die reichliche Muße, welche ihm das kleine Amt ließ, benutzte der unendlich fleißige, stets thätige Mann zur Ausarbeitung der Werke, welche seinen theologischen und akademischen Ruf begründeten. Seine ungemeine Leichtigkeit im Arbeiten, das rasche Erfassen der Hauptpunkte eines Gegenstandes, die schöne Gabe, das Erfaßte klar, lichtvoll in fließender Sprache darzustellen, die Lebendigkeit und Beweglichkeit seines Geistes trieben ihn mit einer gewissen Naturnothwendigkeit zu schriftstellerischer Thätigkeit; mit nie ermüdender Feder ist er derselben zeitlebens treu geblieben. Zahllose Artikel in den verschiedensten kirchlichen und pädagogischen Zeitschriften, auf die verschiedensten Gebiete der Ethik, der praktischen Theologie, der Hymnologie, des Schulwesens, der Musik sich ausdehnend, legen rühmlichstes Zeugniß ab von seiner großartigen Belesenheit, seiner warmen Theilnahme für Kirche und Schule, seinen gediegenen Kenntnissen, seiner milden friedliebenden Auffassung, wie von seiner männlichen Entschiedenheit und seinem treffenden, nicht verletzenden, aber offen ausgesprochenen Urtheile. So enthielt z. B. Tholuck’s literarischer Anzeiger für christliche Theologie und Wissenschaft 1838 Recensionen über: Rothe, die Anfänge der christlichen Kirche und ihre Verfassung; Drey, Apologetik als wissenschaftliche Nachweisung der Göttlichkeit des Christenthums; 1839 Hirscher, christliche Moral; 1842 eine Abhandlung über Fr. W. Krummacher als Prediger; 1843 Frz. Theremin als Prediger; 1846 Pestalozzi und die christliche Pädagogik; der süddeutsche Schulbote seit 1838 beinahe in jedem Jahrgange Recensionen und Abhandlungen, so 1838 und 1839 Recensionen über musikalische Werke; Kritiken über Jugend- und Kinderschriften; 1839 eine Abhandlung über Mittel und Wege den Schönheitssinn der Kinder zu wecken; 1846 Mißverhältniß der Arbeit auf dem Felde der Erziehung zum Erfolg und des Erfolgs zur Arbeit; 1845 über Lehre und Erziehungsweise der Jesuiten; 1847 die Schule der Philanthropisten; 1848 der Pietismus in der Pädagogik; 1849 über Nationalbildung; 1851 die Poesie im Schulamt u. s. w.; die Studien der evangelischen Geistlichkeit Württembergs 1839 eine theologische Abhandlung über die Kirche; die in Kiel erscheinenden theologischen Mitarbeiten im Jahrg. 4, Andeutungen über eine wissenschaftliche Erörterung der christlich-ethischen Grundbegriffe; ferner über die dogmatische Construction der Lehre von der Aneignung des Heils und der Heilsordnung; die theologischen Studien und Kritiken 1843 eine Abhandlung über die neueren Reformen der Gesangbücher und Liturgien vom theologischen Standpunkt aus. Diese Proben genügen, um Palmer’s rastlose Thätigkeit, Productivität und Vielseitigkeit zu kennzeichnen, alle die hier genannten und in anderen Zeitschriften (allgemeinen Schulzeitung, Christoterpe etc.) zerstreuten Studien waren nur Bausteine und Spähne von größeren selbständigen Werken. Herbst 1840 wurde er von Tholuck zur Abfassung einer Homiletik aufgefordert. In einem Zug mit freudigem Herzen, wie er selbst bekennt, schrieb er sie nieder, Sommer 1841 war das Manuscript fertig, 1842 erschien dies erste größere Werk, 1844 folgte ihm die evangelische Katechetik. Beide Schriften tragen ganz das Gepräge ihres Verfassers: des evangelischen bibelgläubig vielbelesenen und allseitig gebildeten Christen, welcher Praxis und Wissenschaft harmonisch vereinigt und gesundes christliches Leben in Kirche und Schule pflanzen will. Der evangelischen Kirche, den Geistlichen und Lehrern wird hier ein klar aufgebauter Grundriß der Bedeutung und der Geschichte dieser beiden Disciplinen gegeben, diese selbst werden in den Zusammenhang der übrigen Wissenschaften eingegliedert und geben in ihrer systematischen [107] Darstellung ebenso die Principien, wie die praktischen Winke für die Thätigkeit des evangelischen Predigers, Seelsorgers und Lehrers. Die wiederholten Auflagen der Homiletik 1845, 1850, 1857, 1867, der Katechetik 1846, 1856, 1864, 1875, stets verbessert, durchgearbeitet, auf den neuesten Stand der Wissenschaft gebracht, beweisen die Beliebtheit und praktische Brauchbarkeit der beiden Werke. P. selbst galt seit dem Erscheinen der ersten Auflage als Autorität in diesem Gebiete. Aber auch auf anderen machte sich sein Einfluß in hervorragender Weise geltend. Das evangelische Würtemberg befand sich seit Ende der dreißiger Jahre in einer lebhaften Agitation wegen der Einführung eines neuen Gesang- und Choralbuches, sowie einer neuen Liturgie. In einer Abhandlung in den Studien der würtembergischen Geistlichkeit (Bd. 12) kritisirte P. den Entwurf des neuen Gesangbuches; seine von biblischem Geiste durchwehte Anschauung gepaart mit Verständniß für den poetischen und erbaulichen Charakter der Lieder, sein pietätsvoller maßhaltender Conservatismus gegen die alten Lieder fand großen Anklang, directen Einfluß hatte er nicht, da er in die Gesangbuchscommission nicht berufen wurde. Dagegen trat er 1843 in die Commission für das Choralbuch als berufener Meister; Psalmen und prophetische Stücke der heiligen Schrift für vierstimmige Chöre in Musik gesetzt, hatte er schon herausgegeben, mit Entschiedenheit vertrat er (Kocher[WS 1] und Silcher gegenüber) das Recht, ja die Nothwendigkeit des einstimmigen Choral-Kirchengesangs (die Erfahrung und Praxis gab ihm in der Folge vollständig Recht). Bei der Auswahl und Harmonisirung der Choräle war er sehr thätig und die letzte Revision des Choralbuches wurde in seinem Hause in Tübingen vollendet. Ebenso stand er der neuen Liturgie im Allgemeinen sehr sympathisch gegenüber und freute sich über den gesunden evangelischen Geist derselben. Er vertrat die Einheit der Formularien bei den Cultushandlungen, stellte die alten Liturgien als Muster für alle Zeiten auf, machte auch als praktischer Mann auf bequeme Einrichtung für den Gebrauch aufmerksam. Auch in den Streit über den Pietismus griff P. schriftstellerisch ein, 1839 erschien seine Schrift: An Freunde und Feinde des Pietismus; im Allgemeinen eine Vertheidigung des Pietismus, aber maßvoll und besonnen, durchaus nicht blind gegen die Fehler desselben, in welchem P. andererseits ein Licht und Salz der evangelischen Kirche anerkannte. In das Ende seines Marbacher Aufenthalts fällt auch die Herausgabe seiner evangelischen Casualreden (1842), eine Sammlung, welche bis 1855 12 Bände umfaßte, Predigten der verschiedensten Verfasser in sich vereinigte, und in ihren wiederholten Auflagen ungemein viel Anregung und Belehrung schuf. Auch an dem Zustandekommen des Predigtbuches zu Gunsten des Pfarrwaisenvereins, zu dessen Gründung 1841 P. wesentlich beitrug und der „Zeugnisse evangelischer Wahrheit“ hatte er lebhaften Antheil. Obgleich in weiten Kreisen bekannt als vorzüglicher Kanzelredner, anregender Lehrer, sehr tüchtiger Theologe wurde P. doch noch nicht mit der Würde und Stelle betraut, für welche er seiner ganzen Individualität nach eigentlich bestimmt war, der eines Professors der Theologie. Sommer 1839 wurde ihm die Professur in Zürich angetragen, welche Strauß und Elwert inne gehabt; er lehnte ab und bereute es nie; er war ein zu treuer Sohn seiner Heimath und seiner vaterländischen Kirche, als daß er sich in den schwierigen Schweizer Verhältnissen wol befunden hätte. Dagegen wurde er am 30. Mai 1843 zum zweiten, am 18. October 1848 zum ersten Diakonus, am 7. Juni 1852 zum Decan in Tübingen ernannt. Mit gewissenhafter Treue widmete er sich diesen geistlichen Aemtern, die ihm neben der stets wachsenden Seelsorge die Führung der Kirchenbücher, das Inspectorat über die Volksschulen, Theilnahme am Ehegericht, sowie an mehreren Vereinen brachten, aber seine vorzügliche Arbeitskraft verstand allen Ansprüchen des Amtes zu genügen, [108] seine ruhige Besonnenheit erhielt ihm auch in den schwierigen Jahren von 1848 und 1849 das Vertrauen der Gemeinde. Immer bereit als Prediger auszuhelfen, fand er Zeit zu wissenschaftlichen Arbeiten, Abhandlungen, Recensionen, auch die Musik wurde in keiner Weise vernachlässigt. 1847 übernahm er die Vorstandschaft des Oratorienvereins und bis zu Fr. Silcher’s Tod (26. August 1860) blieb er dessen treuer Freund und Berather. Mit der Universität, deren damalige theologische Lehrer noch theilweise seine Lehrer gewesen waren, trat er in nähere Verbindung, als er 1846 den Lehrauftrag zu einer Vorlesung über Pädagogik erhielt. Es war dies gewissermaßen das Vorspiel der eigentlichen akademischen Thätigkeit, welche ihm nach dem Tode von Schmid zufiel. Auf den einstimmigen Vorschlag der Facultät wurde er zum Professor der praktischen Theologie und Moral ernannt (7. Juli 1852). P. hatte damit erlangt, was ihm gebührte, einen Ruf nach Halle hatte er 1847 abgelehnt, ebenso eine Anfrage wegen der Stiftsprädicatur in Stuttgart, endlich 1853 einen Ruf als Oberhofprediger nach Dresden. 1853 erwarb er sich rite[1] den theologischen Doctorgrad in Tübingen. Fast 23 Jahre lang hatte P. seinen Lehrstuhl inne, segens- und erfolgreich in hohem Maße ist sein langjähriges Wirken gewesen. Sämmtliche Gebiete der praktischen Theologie (Homiletik, Katechetik, Pädagogik, Pastoraltheologie, Kirchenrecht) umfaßte seine Lehrthätigkeit, regelmäßig las er über Moral, exegetische Vorlesungen über neutestamentliche Schriften (Marcus, Lucas, Johannes, 1. Corinther-, Philipper- und Colosserbrief) schlossen sich an, einmal trug er die theologische Encyclopädie vor, im Winter 1859/60 hielt er für Studirende sämmtlicher Facultäten Vorträge über Religion, Christenthum und Kirche. Seine Vorlesung über Geschichte der Tonkunst sollte besonders den Geistlichen zu Gute kommen, wie die Darstellung der in Würtemberg heimischen Sekten und Gemeinschaften besonders den würtembergischen Theologen galt. Seine Vorlesungen zeichneten sich sämmtlich aus durch große Klarheit, reiche Belesenheit und genaues Vertrautsein mit dem Gegenstand, die Leichtigkeit, mit welcher in den systematischen der künstlerische Aufbau ausgeführt wurde, die Ruhe und Sicherheit, mit welcher die schwierigsten Probleme behandelt wurden, machten oft den Eindruck geringerer Tiefe; die wissenschaftliche Tüchtigkeit Palmer’s wurde daher auch häufig von den Studirenden nicht in dem Maaße gewürdigt, wie die Vorlesungen nach dem Reichthum des Inhalts verdient hätten; sie waren aber wie seine Bücher außerordentlich instructiv und sind unzähligen in ihrem amtlichen Leben von großem Nutzen gewesen. Sein theologischer Standpunkt blieb der positiv biblische, ohne daß er sich einer bestimmten Richtung oder Partei anschloß; gegen seines Kollegen Baur kritische Resultate verhielt er sich ablehnend, ebenso aber auch gegen Beck’s weitgehenden biblischen Realismus, auch gegen den Pietismus, mit welchem er sonst viel Verwandtes hatte, wahrte er seine theologische Selbständigkeit; ein Vortrag 1872 im Königsbau zu Stuttgart gehalten über: „Die Deutung der biblischen Weissagung auf Ereignisse und Zustände der Gegenwart“ trug ihm harte Angriffe ein, welche ihn tief betrübten. Seiner ganzen Natur nach war er gegen engherziges Hochkirchenthum, während er den immer weitergehenden Ansprüchen Rom’s gegenüber seinen protestantischen Standpunkt entschieden geltend machte. Einen höchst bedeutenden Theil seiner akademischen Thätigkeit bildete die Vorstandschaft über das evangelische Predigerseminar; hier in der Verbindung von Theorie und Praxis zeigte er seine volle Meisterschaft; in der Leitung der homiletischen und katechetischen Uebungen in der kleinen Schloßkapelle, in der Kritik der Predigten und Kinderlehren erkannte man seine ungemein reichen Kenntnisse, seine Gewandtheit und Leichtigkeit zu disponiren und die Hauptsachen hervorzuheben. Die große Schaar von Studirenden aus Württemberg und andern Ländern, [109] welche seiner sicheren Leitung sich anvertrauten, und welchen er in seinen jährlichen Abschiedspredigten die Würde ihres Berufes zeigte und denen er in seinen stark besuchten Sonntagspredigten in der Georgenkirche Muster von gediegenen und erbaulichen Predigten gab, hat im späteren Amte seine Winke und Lehre dankbar befolgt. Dieser angestrengten Lehrthätigkeit ging eine ebenso reiche schriftstellerische zur Seite; eifrigst betheiligte er sich als Mitherausgeber und treuer Mitarbeiter an der Encyclopädie des gesammten Erziehungs- und Unterrichtswesens, herausgegeben von K. A. Schmid 1859–78 (81 Aufsätze aus den verschiedensten Gebieten der Pädagogik, Kirchengeschichte, Musik, Ethik z. B. J. V. Andreä, Aufklärung, J. A. Bengel, Charakter, Clavierspiel, Ehe, Erziehung, Gebet, Gesang, Katechetik, Musik, Nachahmung, Pädagogik, Pietismus, Selbstgefühl, Sitte, Staat, Taufe, Unterricht, Volkslied etc.), sowie in der Realencyclopädie für protestantische Theologie und Kirche von Herzog, 1854–1866 (81 Artikel ebenfalls aus den verschiedensten systematischen und historischen Gebieten der Theologie und Philosophie z. B. Beredtsamkeit, Geistliche, P. Gerhard, Homiletik, Katechese, Kirchenlied, Liturgie, H. Müller; Palästina, Pastoraltheologie, Reinhard, Seelsorge, Fr. v. Spee, Wahrheit, Württemberg, Bach, Dann, Flattich, Knapp, Schnurrer, Sekten, Todesstrafe etc.). Die von ihm in Gemeinschaft mit Dorner, Ehrenfeuchter, Liebner, Wagenmann, Weizsäcker etc. herausgegebenen Jahrbücher für deutsche Theologie enthielten werthvolle Abhandlungen von ihm z. B. Zur praktischen Theologie 1856, Brenz als Prediger und Katechet 1871, die Objectivität der Exegese 1870, die Moral des Jakobusbriefs 1865, das Vorbild Jesu 1858, die christliche Lehre vom höchsten Gut 1860, Gesetz und Erlaubtes 1869, die Deutung der biblischen Weissagung 1872. Zu den stets wiederholten Auflagen seiner Homiletik und Katechetik gesellten sich als neue Werke: „Evangelische Pastoraltheologie“ 1860, „Die Moral des Christenthums“ 1864, „evangelische Hymnologie“ 1865 und die zwei Predigtsammlungen: „Ein Jahrgang evangelischer Predigten“ 1857, „Predigten aus neuer Zeit“ 1874, sowie eine Sammlung von Vorträgen u. d. T.: „Geistliches und Weltliches für gebildete christliche Leser“ 1873. Kleine Aufsätze, Recensionen und Kritiken fanden ihren Weg in andere Zeitschriften (Studien und Kritiken, Darmstädter Kirchenzeitung, mancherlei Gaben und ein Geist, süddeutscher Schulbote, neue Blätter aus Süddeutschland, allgemeine musikalische Zeitung). In liebenswürdiger Gefälligkeit spendete P. aus dem so reichen Maße seines Wissens gern Beiträge für öffentliche Vorträge in Tübingen, z. B. über Abraham a Santa Clara, Bach, Haydn, ebenso zu den in Stuttgart veranstalteten Königsbauvorträgen, z. B. über den eigenthümlichen Charakter der evangelischen Theologie in Würtemberg. Auch die Musik wurde ebenso eifrig gepflegt, wie früher, seine Lieblingscomponisten blieben Haydn und Mozart, Händel und Mendelssohn; Bach und Schumann traten gegen diese zurück und mit Wagner befreundete er sich erst, nachdem er Lohengrin gehört hatte. Von der Leitung des Oratorienvereins trat er bald nach Silcher’s Tode (26. August 1860) zurück, der ganz anders geartete Scherzer war ihm nicht sympathisch. An den öffentlichen Angelegenheiten des Landes betheiligte er sich, wenn auch nicht in hervorragender Weise, so doch gern und eifrig, die erste Landessynode 1869, in welche er als Mitglied der Facultät eintrat, wählte ihn zu ihrem Vicepräsidenten. Von politischen Agitationen hielt er sich fern, der Unmuth über den Krieg von 1866 verschwand in dem Siegesjahre 1870–71, die Tübinger Bürgerschaft, seine patriotische Gesinnung ehrend, gab ihm ein schönes Zeichen ihres Vertrauens und wählte ihn 1870 in die würtembergische Abgeordnetenkammer, aber nach zwei Jahren legte er sein Mandat nieder, weil es das Halten der geliebten Vorlesungen zu sehr beeinträchtigte. Hochangesehen, allgemein beliebt und geachtet, glücklich im Kreise seiner Familie (zwei Söhnen, [110] zwei Töchtern), in treuem Verkehr und gutem Einvernehmen mit seinen Collegen brachte er seinen Lebensabend dahin, 1857 hatte er das akademische Rectorat inne, 1853, als er den Ruf nach Dresden abgelehnt, hatte ihm ein hoher Orden den Werth gezeigt, welchen man auf sein Bleiben im Lande lege. Die sonstige Wanderlust der Schwaben war ihm fremd, er schweifte nicht gern ins Weite; größere anstrengende Gänge waren ihm schon in der Jugend ein Gegenstand des Schreckens; auch zu der Reise, welche sonst die würtembergischen Theologen nach vollendeter Studienzeit zu unternehmen pflegen, hatte er sich nicht aufgerafft und seine späteren Erholungsreisen führten ihn nie weit von der Grenze des Vaterlandes fort. Eine gewisse Bequemlichkeit, welche in einer nicht ganz kräftigen Constitution ihre Erklärung fand, machte sich bei ihm geltend, die Musik mit allem Schönen, was sie ihm bot, fesselte ihn sehr viel an das Zimmer. In den vierziger Jahren war er mit Kopfweh viel behaftet, später nahm häufig wiederkehrende Heiserkeit seiner sonst sonoren Stimme ihren Klang. Charfreitag 1875 hielt er seine letzte Predigt, unmittelbar nachher legte er sich auf das Krankenlager, von dem ihn nach schweren, geduldig getragenen Leiden (Typhus) am 29. Mai der Tod erlöste. – Mannigfach und weitgreifend ist Palmer’s Bedeutung, er war ein schwäbischer Vermittlungstheologe im besten Sinn des Wortes, der seinen evangelischen biblischen Glauben treu festhaltend, eine schöne harmonische Vereinigung von Wissenschaft und Praxis, Christenthum und allgemeiner Bildung repräsentirte; durch seine schriftstellerische und akademische Thätigkeit hat er den Disciplinen, welche er lehrte, ihren gebührenden Rang im Reiche der Wissenschaft gegeben, unzähligen Geistlichen und Lehrern war er dadurch Lehrmeister und Vorbild und wenn sich sein Wirken nicht in dem Gründen einer bestimmten Schule asdrückte, so war es doch besonders für seine vaterländische Kirche unendlich wichtig, langhin nachwirkend. Palmer’s Schriften sind schon erwähnt; sein Schwiegersohn Jetter gab aus seinem Nachlaß 1877 die Schrift heraus: „Die Sekten und Gemeinschaften Würtembergs“.

Quellen: J. Knapp, Christian Palmer, eine Skizze, im evangelischen Kirchen- und Schulblatt für Württemberg 1876–81; derselbe Ch. P. in Realencyclopädie von Herzog. 2. Aufl. Bd. II, S. 708 ff. Worte der Erinnerung an Chr. P. Tübingen 1875. Weizsäcker, Zur Erinnerung an Dr. Chr. P. in: Jahrbücher für deutsche Theologie. Bd. 20. Nekrologe im schwäbischen Merkur 1875, Nr. 162 (J. Hartmann); Staatsanzeiger, besondere Beilage 1875, Nr. 18 (H. Weiß); Allgemeine Zeitung 1875, Nr. 168 (Diestel); Protestantische Kirchenzeitung 1875, Nr. 24; Süddeutscher Schulbote 1875, Nr. 15 ff. (R. Kübel).

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 108. Z. 15 v. o. l.: 1853 erhielt er hon. causa. [Bd. 26, S. 832]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Konrad Kocher (1776–1872); deutscher Musiker und Komponist, hauptsächlich von Kirchenmusik