ADB:Riedel, Friedrich Justus
C. A. Klotz, der ihn später vom Jenaer Docenten 1768 zum Professor in Erfurt befördern half, wo R. mit Vernachlässigung aller ernsten Pflichten in dem durch Bahrdt sattsam geschilderten Kreis einer der ausschweifendsten und würdelosesten war. [522] Im Mai 1771 erhielt er aus unaufgeklärten Gründen seine Entlassung und suchte, während Wieland ihm eine reiche Partie empfahl, festere Anknüpfung mit Weimar und Karlsruhe. Lehrstühle in Jena und Erlangen will er abgelehnt haben. Er dachte dann den Segen „St. Ulpian’s und St. Moser’s“ nachzuholen. Schon seit einiger Zeit hatte er, ein Freund Gebler’s und mit Kaunitz’s Sohn vertraut, Aussicht auf eine Carriere in Oesterreich. Im November erhielt er wirklich das Decret als kaiserlicher Rath mit ansehnlichem Gehalt und „freyer Religionsübung“. Ihm glückte, was Männer wie Klopstock, Lessing, Gerstenberg vergeblich ersehnt hatten, eine Berufung nach Wien. 1772 trat er seine Stelle an der Kunstakademie an. Ungedruckte Briefe aus dieser Zeit zeugen von eitelstem und schmählichstem Streberthum, z. B. wie er beim badischen Markgrafen um den „honorablen Charakter“ eines Hofrathes bettelt. Mit Wieland zerfiel er damals für immer. R. trug den Keim völliger Zerrüttung schon in sich. Er vermochte in Wien nicht festen Fuß zu fassen. In Erfurt durch mehrere in Vers und Prosa siegreich durchgeführte Katzbalgereien gefürchtet, wirksamer Journalist der Klotz’schen Clique und eine Zeit lang auf Wieland’s auch durch die Idriswidmung bezeugte Freundschaft pochend, stieß er nun durch allzufreie Sitten an, machte schriftstellerisch und als Lehrer Fiasco, verlor als Freigeist die hohe Protection und sein Amt und war, bis ihm eine kleine Pension zugebilligt wurde, ganz auf die Wohltaten Gluck’s und Kaunitz’s, die dem körperlich und geistig siechen Mann ein Asyl boten, angewiesen. Irrsinnig starb er im Krankenhaus von St. Marx am 2. März 1785, längst vergessen, der redendste Zeuge für die unselige Wirthschaft des Klotz’schen Bundes, bei großer Begabung nie an redliche Arbeit gewöhnt, durchaus unzuverlässig und zweideutig, schnell fertig in unselbständiger und sprunghafter Mache, ein geschwätziger Litterat und dreister Klopffechter ohne sachlichen Ernst, früh verachtet von den Führern der Litteratur, auch von denen, die Bedeutendes erwartet hatten. Ein bedenkliches Selbstporträt liefert der handschr. Brief an Ring vom Januar 1772: „Stellen Sie sich einen Menschen von 29 Jahren vor, der aber wegen vieler Arbeiten (in Jena las ich täglich acht Stunden Collegia und schrieb und lernte dabei), wegen ökonomischer Sorgen (von meinem zwölften Jahre an war ich in der Fremde und seit 1761 mußte ich durch mich selbst leben, ohne irgend einen Zuschuß zu haben), wegen vieler Attention auf sich selbst und andere, um wenig zu sagen, zehn Jahre älter ist und der Bildung nach scheint, als er dem Kirchenbuche nach sein sollte. Meinen Kopf kann ich nicht völlig beurtheilen; das weiß ich, daß ich mit vieler Leichtigkeit lerne, aber mit vieler Schwierigkeit lehre und schreibe, immer mißtrauisch auf mich selbst. Ich bin ein helluo librorum, aber eben diese Seuche, diese Lesesucht hat mir mehr geschadet als genützt, auch in oeconomicis, denn ich habe vor mehr als 2000 Rthlr. Bücher, die ich gern um die Hälfte verkaufen möchte. Mein Herz kenne ich besser als meinen Kopf. In meinem ganzen Leben bin ich mir noch keiner Niederträchtigkeit bewußt, aber Leichtsinn, Procrastination, Flatterhaftigkeit, Gutheit und dabei immer ein gewisser Stolz, an dessen Hinwegschaffung ich schon lange vergebens arbeite, haben mir viele schlimme Streiche gespielt. Sonst passir’ ich für einen der besten Gesellschafter im Großen und im Kleinen, bei Hüten und Unterröcken, und dies (nicht meine Bemühungen für die Erfurtische Universität) war es, was den vorigen Statthalter für mich einnahm. Ich jagte, tanzte, ritt, scherzte, so wie er … Er wußte auch nicht einmal, daß ich ein Buch schreiben könnte, bis ich ihm meine Briefe über das Publicum dedicirte [man lese nun die Lobhudelei daselbst an den erhabenen Freiherrn v. Breidenbach!]. Hier haben Sie eine Skizze zu meinem moralischen Portrait, das physikalische soll bald nachfolgen.“ Ein fatales [523] Profil prangt vor der 2. Auflage der „Theorie“ 1774; R. selbst rühmt sich seiner „moquanten Mienen“.
Riedel: Friedrich Justus R., Schriftsteller, geboren am 10. Juli 1742 als Sohn eines Pastors in Wisselbach bei Erfurt, vorgebildet auf dem Weimarer Gymnasium, studirte in Jena, Leipzig und Halle und wurde an letzterem Ort als gescheiter, flinker und lebenslustiger Jünger der schönen Wissenschaften nach dem Verzicht auf eine juristische Laufbahn ein Liebling des leichtsinnigen MäcenDie „Sämmtlichen Schriften“ (Wien 1786 f. vgl. Jördens 3, 352) geben, obwol unvollständig, einen Ueberblick über Riedel’s Vielschreiberei. Er hat kleine Anläufe zum Lustspiel genommen, schon früh in Satiren Liscow, dem er eine Monographie widmen wollte, und Swift, aber auch die platten Humoristen der Wochenblätter nachgeahmt (anonym „Sieben Satyren nebst drei Anhängen, gesammelt von R. R.“ 1765 u. s. w.), hat aus Butler u. a. übersetzt und Gelegenheitsgedichte (nicht übel die heitere „Epistel an Herrn Oeser“) mancher Art geschmiedet. Von Wien nahm er in den „Launen an meinen Satyr“ „auf ewig Abschied von diesem meinen Busenfreunde“. Nach neuerem Brauch behandelte er ästhetische und litterarhistorische Fragen in der Form loser Briefe „Ueber das Publicum“ 1768 (der Rest der Auflage ohne Widmung und Vorrede 1774 der „Theorie“ angehängt): an Weiße, Flögel, Moses, Wieland, J. G. Jacobi, Klotz, Kästner, Nicolai, Gleim, Thümmel; mit grober Polemik gegen Bodmer wie früher gegen Gottsched, interessanten Bemerkungen über die Machtverschiebung in der Gelehrtenrepublik seit den Litteraturbriefen, thörichtem Einspruch gegen eine deutsche Homerübersetzung, von Riedel’s Schriften heute die lesbarste und lehrreichste. Dieser bequemen Form hat er sich auch sonst bedient. Er streifte die romanische Litteratur. Er behandelte Erfurter Universitätsangelegenheiten und gleichzeitig den Stadtklatsch. Er erging sich 1775 begeistert „Ueber die Musik des Ritters Christoph v. Gluck“. R. war Mitbegründer von Klotzens „Deutscher Bibliothek“, selbständiger Leiter der mehr referirenden „Philosophischen Bibliothek“ 1768 f. und einer Erfurter Gelehrtenzeitung und blieb auch in Wien journalistisch thätig, aber „Der Einsiedler“ 1774 ist nur der elende Nachzügler einer abgestorbenen Gattung mit schalen Spötteleien und Briefen, breiter Reclame für Zimmermann u. s. w.; weniges darin hat ein gewisses Localinteresse oder eine weitere Bedeutung wie die Polemik gegen Gleim’s aufgestutzte Minnepoesie. 1776 warf er eine ganz unzulängliche Ausgabe von Winckelmann’s Kunstgeschichte auf den Markt. Lessing’s „Antiquarische Briefe“ haben im Schwarm der „aufschießenden Scribler“ auch R., dem für die Erfurter Recension des ersten Theiles eine vollere Salve zugedacht war, getroffen. Die schmeichelnde Behutsamkeit seines ersten Widerspruches gegen einzelne Lehren des „Laokoon“, wie über die Caricatur oder die Furien, Philosoph. Bibl, 2, 1 ff. Theorie passim, verfingen nicht bei dem stolzen Richter. Unverschämter griff er Hamann und Herder an. letzterer aber behielt ein besonderes „Wäldchen“ gegen R. im Pulte. Sein ästhetisches Hauptwerk, die „Theorie der schönen Künste und Wissenschaften“ 1767, das er in zweiter Auflage 1774 umzuarbeiten nicht der Mühe werth fand, ist bei einzelnen guten Einfällen und einem gewissen Geschick der Auslese im Grunde nur eine, zunächst fürs Colleg vorgenommene, rasche Compilation aus Dubos, Home, Mendelssohn, Schlegel, Lessing u. a., gespickt mit zahllosen Beispielen, ohne eine Spur von Induction und Analyse.