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ADB:Weißenborn, Wilhelm

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Artikel „Weißenborn, Wilhelm“ von Gustav Emil Lothholz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 41 (1896), S. 605–608, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wei%C3%9Fenborn,_Wilhelm&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 10:49 Uhr UTC)
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Weißenborn: Wilhelm W. Zu den ausgezeichneten Philologen und Schulmännern des Großherzogthums Sachsen gehört ohne Zweifel Wilh. W., der sich durch seine erfolgreiche pädagogische Thätigkeit am Gymnasium in Eisenach und kurze Zeit auch in Weimar die Anerkennung seiner Vorgesetzten und die Liebe und Verehrung seiner Schüler erworben und auf dem Gebiete der classischen Philologie durch seine Leistungen sich verdient gemacht hat. W. gehörte seiner Abstammung nach einer Predigerfamilie an, er wurde in Riethnordhausen im Weimarischen am 23. November 1803 geboren. Schon früh verlor er den Vater, so daß die Mutter ihren Wittwensitz nach Dankwartshausen, ihrem Geburtsorte in der Nähe von Eisenach verlegte. Hier wurde er in den ersten [606] Elementen unterrichtet. Nachdem ungefähr um das Jahr 1815 ihm auch die Mutter durch den Tod entrissen worden war, fand er in dem Hause seines Onkels, der ein geistliches Amt in Eisenach innehatte, freundliche Aufnahme. Er besuchte das Gymnasium. In späteren Jahren rühmte er noch, wie er durch den Unterricht Briegleb’s, der damals in das Lehrercollegium eingetreten war, besonders sein Interesse dem Homer und dem Studium des Altdeutschen zugewandt habe. In seiner Abschiedsrede von der Schule stellte er eine Vergleichung des Nibelungenliedes mit der Ilias an. Wohlvorbereitet bezog er 1821 die Universität Jena, um Theologie zu studiren. Dabei versäumte er nicht bei Heinrich Luden geschichtliche und bei Karl Göttling philologische Vorlesungen zu hören. Griechische Grammatik, römische Alterthümer, die Wolken und Ritter des Aristophanes, hörte er bei dem geistvollen Göttling. Er hebt als besonders anziehend die Einleitungen zu den Vorlesungen und die äußerst gelungenen Uebersetzungen des liebenswürdigen Philologen hervor. In der Theologie waren besonders Schott und Baumgarten-Crusius seine Lehrer. Sehr gern hätte W. auch andere Hochschulen zu seiner weitem Ausbildung besucht, aber die knappen Mittel, über die er zu verfügen hatte, reichten dazu nicht aus, war er doch schon in Jena auf Freitische, Stipendien und Lösung von Preisaufgaben angewiesen. Trotz der finanziellen Beschränktheit verstand er es doch in maßvoller Weise das Studentenleben zu genießen, er war Mitglied der Burschenschaft und streifte mit seinen Commilitonen gern in der herrlichen Umgebung der thüringischen Hochschule umher. Der Turnplatz und der Fechtboden wurden fleißig besucht. Nach vierjähriger wohl angewendeter Studienzeit bestand er die theologische Staatsprüfung und übernahm eine Hauslehrerstelle bei dem russischen Fürsten Dolgorucki, der in Paris lebte, später war er auch in Ruhla als Hauslehrer thätig. Um die Schweiz kennen zu lernen, hatte W. an dem Fellenberg’schen Institut zu Hofwyl eine Stellung als Lehrer angenommen. Ueber ein Jahr wirkte er an dieser berühmten Anstalt und versäumte nicht nach allen Richtungen hin die Schweiz kennen zu lernen. Am Ende des Jahres 1827 kehrte er nach Eisenach zurück, wurde Collaborator und ertheilte an einem Mädcheninstitute Unterricht, er hoffte mit der Zeit ein Amt als Landgeistlicher zu erhalten. Als jedoch nach einigen Jahren eine Stelle am Gymnasium frei geworden war, wurde er veranlaßt sich um dieses Lehramt zu bewerben. Am 3. Februar 1829 trat er als dritter Lehrer in das Lehrercollegium des Gymnasiums ein. An dieser ehrwürdigen Anstalt ist er 431/2 Jahre bis zu seiner Ostern 1873 erfolgten Pensionirung thätig gewesen. Seine amtliche Thätigkeit in Eisenach wurde nur kurze Zeit dadurch unterbrochen, daß er durch das Vertrauen seiner Mitbürger zur Theilnahme an dem Parlament in Frankfurt und in Erfurt berufen wurde. Auch wurde er von dem großherzoglichen Ministerium beauftragt nach dem Weggange Heiland’s die Direction des Weimarischen Gymnasiums zu übernehmen bis zu der Zeit, wo ein Nachfolger des als Schulrath nach Magdeburg berufenen Dr. Heiland gefunden sein würde. Es hätte nahe gelegen dem Prof. W. das Directorat des Weimarischen Gymnasiums zu übertragen. W. verstand es durch anregende Art des Unterrichts das Interesse der Schüler nachhaltig in Anspruch zu nehmen, durch heilsame auf Liebe zur Jugend gegründete Strenge und durch gewissenhafte Amtsführung wußte er sich die Verehrung seiner Schüler und Anerkennung seiner Mitbürger in hohem Grade zu erwerben. Durch seinen klaren für die Beurtheilung praktischer Lebensverhältnisse geschärften Blick zeichnete er sich immer aus. Daher war es ganz entsprechend, wenn er in den Gemeinderath gewählt für das Wohl seiner Mitbürger zu sorgen berufen war. Seine Wirksamkeit wurde in der Weise anerkannt, daß ihm das Ehrenbürgerrecht verliehen wurde, der Großherzog von [607] Sachsen ernannte ihn in gerechter Würdigung seiner Verdienste zum Hofrath. Einmal hatte er Aussichten an das Lyceum nach Wernigerode als Rector berufen zu werden, aber die Verhandlungen wurden wieder abgebrochen.

Weitgreifender als die pädagogische Thätigkeit und die Wirksamkeit als Stadtverordneter war die wissenschaftliche Bedeutung dieses anspruchslosen gründlichen Gelehrten. Seine Studien wurden durch eine dauerhafte Gesundheit und Frische des Geistes und Körpers unterstützt und durch eine gut angewendete Muße, da der Besuch des Gymnasiums in den dreißiger und vierziger Jahren nicht eben erheblich war, wesentlich gefördert. Außer Abhandlungen und Anzeigen neu erschienener Schriften veröffentlichte W. im J. 1835 (Eisenach) eine „Syntax der lateinischen Sprache für die oberen Classen gelehrter Schulen“. In diesem Werke, das auf eindringenden Studien der grammatischen Schriften Krüger’s, Gernhard’s, Hand’s, Hartung’s und anderer Philologen beruhte, hatte er die Werke über allgemeine Sprachwissenschaft von Becker, Herling, Schmitthenner, Hofmeister u. A. benutzt und so eine Arbeit zu Stande gebracht, die in Verhältniß zu anderen Lehrbüchern einen wissenschaftlichen Fortschritt bedeutete, namentlich beachtete er auch das Wesen des Locativus, was damals in den gewöhnlichen Grammatiken nicht berücksichtigt wurde. Vgl. Historische Uebersicht des Studiums der lat. Grammatik seit Wiederherstellung der Wissenschaften nebst einer Einleitung über das allgemeine Wesen der Sprache. Ein grammatischer Versuch von Conrad Michelsen. Hamburg 1837, S. 132 flg. Bald nach dem Erscheinen der lateinischen Syntax wurde er von dem Verleger Bärecke aufgefordert, eine vollständige lateinische Grammatik nach den in der Syntax befolgten durch die Gesetze des Denkens und den Geist der Sprache gebotenen Grundsätzen auszuarbeiten. Dieses Lehrbuch: „Lateinische Schulgrammatik“ erschien schon 1838. In ihm waren ebenfalls die neuesten Forschungen der Sprachwissenschaft fleißig und gewissenhaft berücksichtigt. Im J. 1844 bei Gelegenheit der Feier des 300-jährigen Jubiläums des Eisenacher Gymnasiums veröffentlichte er eine ebenfalls von Fachgenossen anerkannte Schrift: „De gerundio et gerundivo“. Für grammatische Dinge hatte W. überhaupt große Neigung, sodaß er immer gern gerade mit diesem Theile der Philologie sich beschäftigte. Doch der Lieblingswunsch des trefflichen Mannes sollte nicht in Erfüllung gehn. Im J. 1851 stellte die Weidmann’sche Buchhandlung an ihn den Antrag, für die Haupt-Sauppe’sche Sammlung griechischer und lateinischer Schriftsteller die Bearbeitung des Livius, mit dem er sich, wie sein Sohn H. Weißenborn schreibt, im Vereine mit Alschefski schon früher beschäftigt hatte, zu übernehmen. Nach längerer Ueberlegung ging er auf das Anerbieten ein. Er hat mir später erklärt, daß, wenn er die Schwierigkeiten einer solchen Arbeit geahnt hätte, er sich auf die Aufforderung der Buchhandlung nicht eingelassen hätte. Als er aber seine Zusage gegeben hatte, wandte er seine ganze Kraft der in jeder Hinsicht lohnenden Bearbeitung des römischen Geschichtsschreibers zu. Auch eine in der Teubner’schen Verlagsbuchhandlung bereits in mehreren Auflagen erschienene Textausgabe besorgte er. Durch diese in verschiedenen Auflagen verbreitete Ausgabe hat sich W. um Wissenschaft und Schule die größten, allseitig anerkannten Verdienste erworben. Conr. Bursian sagt in seiner Gesch. d. class. Philologie (II, 962), daß zwei Männer von klarem Verstand, unermüdlichem Fleiße und guter Beobachtungsgabe, Joh. Gottl. Kreyßig und Wilh. W., ihre ihnen karg genug zugemessene Mußezeit fast ausschließlich dem Livius gewidmet hätten und zwar so, daß bei Kreyßig die textkritische, bei W. die exegetische Thätigkeit in ihrer Bedeutung überwiege. H. Sauppe urtheilte in seinen Vorträgen über Hermeneutik und Kritik, daß W. durch ein gutes Gefühl auf das Richtige geleitet werde, aber oft sei er zu schüchtern. (Madvig’s [608] Emendationes Livianae erklärte S. für ein wahres Meisterwerk.) Nach dem Tode Weißenborn’s hat die Besorgung der weiteren Ausgaben der gründliche Kenner der römischen Litteratur Gymnasialdirector Prof. Dr. H. J. Müller in Berlin in die Hand genommen.

Immer wissenschaftlich thätig bis zu seinem Tode nahm W. doch an Allem theil, was seine Zeit bewegte, ließ seinen Blick über die Grenzen seiner einfachen nur mit den Bildern B. G. Niebuhr’s, Th. Mommsen’s, Jac. Grimm’s und K. Reimer’s geschmückten Studirstube weit hinausschweifen, nihil humani ab eo alienum! Sein scharfer Verstand und seine damit verbundene schnelle Auffassung ließ ihn auf allen Gebieten das Wesentliche neu auftauchender Fragen und Ansichten leicht erkennen. Allem, berichtet der Sohn des trefflichen Gelehrten, was das menschliche Leben betrifft, widmete W. seine Aufmerksamkeit, über Alles suchte er sich eingehend zu unterrichten, sei es nach Vollendung seiner amtlichen und wissenschaftlichen Arbeiten neue Bücher lesend, sei es durch Verkehr mit Anderen seine Kenntnisse erweiternd und klärend. Er genoß in allen Kreisen der Gesellschaft wegen seines biederen Charakters, seiner Bescheidenheit, Einfachheit und Anspruchslosigkeit die größte Hochachtung. Die Schicksalsschläge, die ihn in späteren Jahren trafen, ertrug er gelassen und dankbar für das, was ihm in der Familie seines geliebten Sohnes geblieben war. Mitten aus seiner Arbeit, nachdem er noch Abends zuvor mit der neuen Auflage des 1. Bändchens seines Livius beschäftigt gewesen war, brachte am 5. November 1878, Morgens 8 Uhr ein Herzschlag seinem arbeitsreichen Leben ein sanftes Ende. Sein Haus war wohlbestellt, in der Familie seines einzigen Sohnes hatte er die sorgsamste Pflege gefunden, war dankbar für alle Liebesbeweise. Er hatte verordnet, daß aus dem 1. Briefe Pauli an die Corinther, Cap. 15, V. 12–28 und 35–58 vorgelesen, aber keine Grabrede gehalten würde. Das Andenken dieses ausgezeichneten Gelehrten wird in der Wissenschaft unvergessen sein, und die, welche das Glück hatten, ihm persönlich näher treten zu dürfen, werden sich dieses trefflichen Mannes immer gern erinnern.

Vgl. Eisenacher Gymnasialprogramm 1878 (der Bericht über das Leben des Prof. Weißenborn ist von seinem Sohne Herm. Weißenborn, Prof. der Mathematik abgefaßt).