Zum Inhalt springen

ADB:Zwingli, Ulrich

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Zwingli, Ulrich“ von Emil Egli in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 45 (1900), S. 547–575, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Zwingli,_Ulrich&oldid=- (Version vom 23. November 2024, 04:03 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 45 (1900), S. 547–575 (Quelle).
Ulrich Zwingli bei Wikisource
Huldrych Zwingli in der Wikipedia
Huldrych Zwingli in Wikidata
GND-Nummer 118637533
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|45|547|575|Zwingli, Ulrich|Emil Egli|ADB:Zwingli, Ulrich}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118637533}}    

WS: Die Überschriften und das Inhaltsverzeichnis wurden von Wikisource hinzugefügt.

Zwingli: Ulrich (Huldreich) Z.

I. Die Heimath Zwingli’s ist das Toggenburg. Gern setzt er und setzen auch Freunde neben seinen Namen die Bezeichnung nach der Heimath: der Toggenburger. Die helle, frohe und tapfere Art dieses Volksschlages ist ihm durch das ganze Wirken nachgegangen; zugleich der Zug nach Freiheit, wie er seit dem 15. Jahrhundert in den dortigen Bergen gegen das geistliche Regiment, des Abts von St. Gallen, erwacht war. Die nachherige Schärfe Zwingli’s gegen die Abtherrschaft ist heimathliches Erbe. – Noch steht das Geburtshaus, eine der braunen Holzbauten mit steinbeschwertem Schindeldach, wie sie weithin über die Matten des oberen Toggenburg zerstreut sind. Es gehört mit der nächsten Häusergruppe Lisighaus zur Gemeinde Wildhaus. Diese ist die höchstgelegene des Landes, auf der Wasserscheide des Thur- und Rheinthales, hinter dem Sentis und angesichts der sieben Kurfürsten.

Die Familie Zwingli war im 15. Jahrhundert wohlhabend; darauf läßt schon das Haus schließen, das damals erbaut worden ist. Entsprechend war sie auch unter den Aelplern angesehen: 1475 ist Heini Z. einer der Gesandten des Landes nach Schwyz und Glarus nachher handelt wiederholt urkundlich Ulrich des Reformators Vater, als Ammann „von Wildhaus und St. Johannerthal“; dessen Bruder Bartholomäus wartete eine Anzahl Jahre des geistlichen Amts der Gemeinde. Des Ammanns Frau hieß Margaretha Meili; „andere nannten sie Bruggmann nach ihrem Geschlecht“. Ein Vetter war der Abt von Fischingen im Thurgau, Johannes Meili. Der Ammann hatte acht Söhne. Von diesen schlug der dritte, dem Vater gleichnamige Ulrich, die geistliche Laufbahn ein. Später folgten auch die zwei jüngsten auf diesem Wege, gefördert vom Bruder: Andreas, der 1520 der Pest erlag, und Jacob, der in das nahe St. Johann eintrat, als Mönch Profeß that und 1512 die Universität Wien bezog, dort aber schon 1517 im Schottenkloster starb.

Ulrich, oder wie er sich schrieb, Huldrych, ist am Neujahrstag 1484 geboren. Drei Jahre später kam der Oheim Bartholomäus nach dem Städtchen Wesen am Walensee als Pfarrer, zugleich als Decan des Capitels Landquart. Er nahm den Neffen zu sich und bestimmte dann dessen Studiengang: über Basel, Bern, Wien und wieder Basel. Das erste feste Datum in Zwingli’s [548] Leben gibt die Wiener Hauptmatrikel: zum Sommersemester 1500 ist er eingetragen mit Johannes Forrer, einem Landsmann.

In der ersten Basler Zeit war Z. Schüler des Gregor Bünzli an der Schule bei St. Theodor. Schon jetzt zeigte er schöne Gaben in der Musik und im Disputiren. Zu Bern bekam er als Lehrer den Heinrich Wölflin (Lupulus), der die erste humanistische Schule in der Schweiz eröffnet hatte. Umsonst suchten hier die Dominicaner den fähigen Knaben für den Orden zu gewinnen. Als nun die Wiener Universität im Sinne des Humanismus umgestaltet wurde, unter Konrad Celtes, zog Z. dorthin. Der Abschluß der Studien, und zugleich die ersten praktischen Versuche im Lehramt, fallen in den zweiten Basler Aufenthalt. Immatriculirt zum Sommer 1502 promovirte er an der Artisten- oder philosophischen Facultät als Baccalaureus 1504 und als Magister 1506. Daneben unterrichtete er an der Schule bei St. Martin; noch nach langen Jahren gedenkt seiner anerkennend ein Schüler, der Landschreiber Schmid von Uri. In diese Jahre fällt die gründlichere Einführung in die Scholastik und die erste reformatorische Anregung. Z., und sein elsässischer Commilitone Leo Jud, vergaßen es nie, wie nachhaltig der kurze Unterricht des Thomas Wyttenbach von Biel auf sie gewirkt: er habe sie auf die heilige Schrift gewiesen, und auf den Glauben an den Gekreuzigten, der allein selig mache; auch habe er bereits die Zeit verkündigt, da eine Erneuerung über die Kirche kommen werde.

Noch im J. 1506 hebt Zwingli’s geistliches Wirken an. In Wesen war sein Basler Lehrer Bünzli dem Decan im Pfarramt nachgefolgt. Jetzt wählte der nahe Flecken Glarus den jungen Z. zum Pfarrer. Daß ihn, den erst 23jährigen, der Hauptort eines eidgenössischen Standes berief, zeugt für die Erwartungen, die man auf ihn setzte. Neben den Amtspflichten einer weitläufigen Gemeinde lag er hier weiter dem Unterricht junger Leute ob; sie sind noch von den Hochschulen aus mit dem verehrten Lehrer im Briefwechsel geblieben. Zugleich arbeitete er mit eisernem Fleiß und vielseitigstem Interesse an der eignen Fortbildung und stand mit auswärtigen Humanisten in regem Verkehr. Am meisten hielt ihn über die Vorgänge in der litterarischen Welt ein Landsmann auf dem Laufenden, Heinrich Loriti, später als Glarean von bedeutendem Namen unter den Humanisten. Durch ihn hat Z. die persönliche Bekanntschaft des Erasmus gemacht, zu Basel im Frühjahr 1515. An Erasmus hielt sich der Glarner Pfarrer nun Jahre lang; ihm verdankte er die mannichfachsten Anregungen, wissenschaftliche und religiöse. Schon 1513 begann er, um das Neue Testament in der Ursprache zu verstehen, das Griechische zu erlernen. Ohne Lehrer rang er sich durch, entschlossen, sich durch nichts mehr davon abbringen zu lassen. Noch bezeugt das Lexikon die Freude seines Besitzers über das mühsam Errungene, durch die Aufschrift: „Ich bin des Zwingli und werde meinen Herrn nicht verändern bis zum Tod“. Z. galt bald als einer der ersten Humanisten der Schweiz.

Die spätere Glarnerzeit hat Z. in die Politik hineingezogen. Die Eidgenossen standen auf der Höhe ihres Kriegsruhms und ihrer Macht. Mit dem Glarner Landespanner zog nach schweizerischem Brauch der Pfarrer des Hauptortes aus; wiederholt hat Z. an den Mailänder Feldzügen theilgenommen, wahrscheinlich schon 1512 und 1513, sicher 1515. Wenige Tage vor der blutigen Niederlage zu Marignano hat er zu Monza, auf offner Gasse vor dem Kaufhaus, vor einem großen Volk gepredigt. Als Cleriker hielt er zum Papst. Noch sind von ihm aus der Zeit um 1510, als die Eidgenossen das päpstliche Bündniß eingingen, zwei Satiren erhalten, gerichtet gegen die Anhänger anderer fremder Herren. Es zeichnet ganz ihn selbst, wenn es in der einen heißt: [549] „Wolhin, dem frischen hilft das glück – Will es dann nit und zeigt sin tück – Ist es doch gnuog in großer tat – Daß einer fliß gebruchet hat – Warm erlich nieman hinnen ruckt – Dann der in tapfrer tat verzuckt“. Meisterhaft, überaus lebensvoll, ist dann eine Schilderung des Pavierzugs von 1512, leider verloren eine Rede von 1515: „Daß man den Tod nicht fürchten soll“. Jetzt, mit Marignano, kam die Wendung in der eidgenössischen Politik. In Glarus siegte die französische Partei, und damit war die Stellung des eifrigen Pfarrers erschüttert. Z. verließ die Gemeinde, doch ohne noch das Pfarramt aufzugeben; er stellte vorerst einen Vicar.

Vom Nachsommer 1515 bis Ende 1518 versah Z. die Leutpriesterei des Wallfahrtsortes Maria-Einsiedeln. Bedenkt man die Erlebnisse, die im J. 1515 für ihn zusammentrafen, seit Frühjahr die engere Verbindung mit Erasmus, im Sommer der Mailänder Zug, im Herbst zufolge von Marignano der Uebergang in den neuen Wirkungskreis, dieser Wechsel verknüpft mit der herben Lehre, daß die Politik am Geistlichen sich straft, so versteht man, daß Z. eben in diese Zeit seine reformatorischen Anfänge verlegt. Alles zusammen war wohl im Stande, sein Gemüth zu ergreifen und aus neue Ziele zu richten. Bereits war seine religiöse Anlage erwacht. Sie ist es, die schon dem energischen Studium der neutestamentlichen Sprache zu Grunde liegt. Sie bezeugte sich in einem Gewissen, das sich von Anfang an Gott für seine Amtsführung verantwortlich fühlte. Ohnehin erschien ihm dieses Amt mehr als Lehramt denn als Priesteramt und führte ihn auf Bibel und Predigt. Das ist der Weg, auf dem Z. zur evangelischen Verkündigung gekommen ist. Er bezeichnet es selbst als deren Anfang, daß er seit 1516 in Einsiedeln jedes Mal die kirchlich vorgeschriebenen Perikopen von der Kanzel schriftgemäß erklärt habe. Als jetzt das Neue Testament des Erasmus erschien, war es für Z. ein Ereigniß; sorgfältig hat er damals, anfangs 1517, die paulinischen Briefe sich abgeschrieben und den griechischen Wortlaut seinem Gedächtniß eingeprägt. Daneben studirte er eifrig die Kirchenväter, nicht ohne jetzt schon zu gewahren, daß sie, die lateinischen zumal, die reine Quelle verlassen haben, zu der es immer entschiedener zurückzukehren gelte. Der alleinige Heilsweg, äußert er später, sei der Glaube, der da anfange, wo der Mensch an sich zu verzweifeln und sein Vertrauen auf Gott zu setzen beginne. In diesen Anfängen stand er jetzt selbst. Auch andere fühlten aus seinem Auftreten ein Erstarken des christlichen Geistes heraus, und mit der Zeit ist die Entschiedenheit, für das Heil Göttliches und Menschliches zu unterscheiden, ein Grundzug der zwinglischen Theologie geworden.

Nicht daß Z. schon in Einsiedeln seinen Bruch mit der Kirche voraus gesehen hätte. Die Reformgedanken, die in ihm erwachten, waren auch hohen Prälaten nicht fremd, so dem mächtigen Cardinal Schinner, mit dem er zu dieser Zeit verkehrte. Noch ist es ein Schwanken: jetzt die Ahnung, daß das Papstthum einen schlechten Grund habe, dann wieder die Annahme päpstlicher Gunstbeweise, eines Jahrgeldes zum Ankauf von Büchern, der Würde eines Akoluthencaplans, noch am 24. August 1518. Zur Scheidung trieb erst die fernere Entwicklung der Dinge, vor allem was nun gleich eintrat: der Uebergang in den Wirkungskreis, der ihm für sein Lebenswerk bestimmt war. Am 11. December 1518, nicht zum wenigsten auf das Betreiben seines Freundes Oswald Myconius, des Lehrers am Stift, wurde der Einsiedler Leutpriester in die gleiche Stellung am Großmünster in Zürich gewählt.

Mit dem Neujahrstag 1519 trat er das Amt an. Dieses Datum bezeichnet den Anfang der schweizerischen Reformationsgeschichte.

II. Zürich war damals der Vorort der Eidgenossenschaft (diese ungefähr der jetzigen deutschen Schweiz entsprechend). Der religiöse und kirchliche Zustand [550] glich dem anderer Städte: eine hoch gesteigerte, durch die politischen Beziehungen zu Rom noch besonders zum guten Ton gewordene Werkheiligkeit und durch sie bedingt Aberglauben und Sittenverfall, von einem religiösen Erwachen wenig zu spüren. Es ist die judaistische und paganistische Verderbniß, welcher die Religion im späteren Mittelalter überall verfallen war. Von dieser Seite war somit die Reformation bloß negativ vorbereitet. – Anders stand es im weltlich-politischen Leben. Eben hatte die alte Schweiz ihre Glanzzeit durchlebt. Unter schweren Kämpfen und durch hohen politischen Aufschwung war die Eidgenossenschaft zum nationalen Abschluß gelangt und in die Reihe der modernen Staaten eingetreten. Diese Entwicklung hatte den Geist der Bürgerschaft, zumal im Vorort, mächtig angeregt. Die Realität des Lebens, Thatkraft, Selbstbewußtsein, die natürliche Persönlichkeit, erscheinen hoch ausgebildet. Von da aus erwachte dann eine doppelte Opposition gegen das alte Wesen: der gesunde Sinn beginnt sich aufzulehnen gegen die Unnatur und den Sittenverfall. – Eben diese im Zürcher Volk vorhandenen reformbereitenden Momente hat Z. aufgenommen. Es entsprach auch ganz seinem angebornen hellen und verständigen Geist und seiner humanistischen Bildung. Daher charakterisirt es sein Reformationswerk gegenüber dem Luther’s, daß er sich vorzugsweise von der verständigen und ethischen Seite her gegen die Verderbniß aufgelehnt hat; Luther that das mehr vom unmittelbar religiösen Interesse aus. Während Luther’s Protest vorzugsweise antijudaistisch ist, so der Zwingli’s antipaganistisch. Aber der Grund, von dem derselbe ausgeht, ist bei beiden Reformatoren die religiöse Persönlichkeit. Anders hätte auch Z. den Impuls zur Reformation nicht geben können (Weiteres hierüber in m. Abhandlung: Zürich am Vorabend der Reformation, Zürcher Taschenbuch 1896).

Zwingli’s Antritt auf der Kanzel des Großmünsters ist epochemachend. Dessen war er sich selbst bewußt (inauditum Germanis hominibus opus VII, 53); das fühlten auch die Gegner und das Volk. Gleich bei der Vorstellung vor dem Stiftscapitel kündigt er eine neue Art Predigt an: man habe nun lange genug den bloßen Namen Christi getragen und seine Heilsmacht zum Schaden der Ehre Gottes und der Seelen im Versteck gehalten; er werde das Evangelium Matthäi von vorn an auslegen ohne allen menschlichen Tand, durch den er sich weder irren noch bestreiten lasse. Diese Erklärung bezeichnet die Verderbniß in der alten Kirche und die Aufgabe des Reformators so zutreffend, und sie klang so entschieden, daß aus dem Schooße des Stiftscapitels sofort Verwahrung eingelegt wurde. Chorherr Hofmann, obwol er soeben noch Z. seine Stimme gegeben, erhob beim Propst schriftliche Einsprache: er sehe voraus, „daß die neue Predigt dem Volk Ursache zu Schwankung und Zweifel in heilsamen Lehren und Anlaß zu großem und verderblichem Aergerniß geben werde, das kaum zu bessern sei“. Aber Z. ließ sich nicht beirren. Er begann vor der Gemeinde Christus aus den Quellen zu verkündigen und erklärte, er werde die kirchlich vorgeschriebenen Perikopen verlassen und ganze biblische Bücher im Zusammenhange auslegen. Jetzt ahnte auch der gemeine Mann den Anbruch einer neuen Zeit: „Das ist ein rechter Prediger der Wahrheit; der wird sagen, wie die Sachen stehen“ (vgl. Hofmann’s Eingabe, in meiner Actensammlung Nr. 213).

Ueberblickt man den Gang der Zürcher Reformation bis Anfang 1526, so ist mit der ersten Disputation am 29. Januar 1523 ein Einschnitt zu machen. Bis dahin steht die Person Zwingli’s als des Impulsgebers im Vordergrund; von da ab erfolgt die Durchführung der Reformation durch den Staat.

Zwingli’s Entwicklung zum Reformator ist, entsprechend seinem verständigen Wesen, nach und nach, ruhig und stetig erfolgt. Sie ist erst in Zürich zum Abschluß gekommen. Im Briefwechsel der ersten Zürcher Jahre tritt noch das [551] humanistische Interesse stark hervor; in einem Kränzchen von Freunden trieb man griechische Litteratur. Gleichwol ist es unrichtig, sich das anfängliche Wirken Zwingli’s mit Mörikofer (I, 54) „still und ereignißlos vorzustellen. Die neue Predigt von Christus, begleitet von überaus scharfer Polemik gegen den Unverstand der scholastischen Theologie und unerbittlichem Strafernst gegen die sittlichen Schäden, rief allgemeiner Gährung in der Bürgerschaft. Der Prediger selbst wuchs zusehends zum geläuterten religiös-sittlichen Charakter heran, durch weitere, energische Vertiefung in die heilige Schrift. Diese Entwicklung ist wesentlich selbständig vor sich gegangen. Sie beruht nicht bloß auf einem Erkennen, sondern auf einem Erleben Gottes in der Schrift (vgl. Zwingli’s schönen Ausdruck: „ich han sin empfunden“). Nur so erklärt es sich, daß Z. sich gegen wichtige Kirchenlehren früher, entschiedener und nachhaltiger aufgelehnt hat als Luther. Auch in die Erfahrung des Evangeliums von der göttlichen Gnade ist er auf eignen Wegen eingeführt worden; das beweisen die religiös tief empfundenen Lieder nach überstandener Pest, Spätjahr 1519. Was er eben jetzt von Luthter darüber zu lesen bekam, konnte ihm nicht mehr neu sein; es konnte nur noch zu seiner Läuterung und Vertiefung beitragen. Mit diesem Wachsthum am inwendigen Menschen Hand in Hand ging die Abkehr von Rom. Nach 1519 hat Z. das päpstliche Jahrgeld nicht mehr angenommen. (Vgl. über das Verhältniß zu Luther Stähelin I, 173 ff. Dazu E. Nagel, Zwingli’s Stellung zur Schrift, 1896.)

Jetzt begannen sich auch die ersten größeren Erfolge der neuen Predigt zu zeigen. Sie haben hinwiederum auf den Prediger selbst zurückgewirkt, ihn seiner Berufung gewiß und über seine Aufgabe klarer gemacht. Schon zu Ende des ersten Jahres freut er sich, einen großen Theil der Stadt auf seiner Seite zu haben. Es ist auch großartig, wie die Bürgerschaft das Evangelium angenommen hat. Bereits erfolgt zu Anfang 1520 das Gebot der Obrigkeit an die Priester zu Stadt und Land, nach Maßgabe der Schriften alten und neuen Testaments zu predigen, anderer, zufälliger Neuerungen und Satzungen aber zu „geschweigen“. Der Rath selbst hebt später hervor, es sei das geschehen, ehe man von Luther gewußt habe. Z. persönlich stieg so hoch im Ansehen, daß er aus dem Diener des Stiftscapitels zum gleichberechtigten Mitglied, zum Chorherr, ernannt wurde, 29. April 1521, um die Zeit, da Luther von Kaiser und Reich geächtet ward. In diesen Tagen geschah auch der erste große Schritt auf dem Wege zur Freiheit. Auf Grund von Anfragen aller Zünfte und Landgemeinden beschloß der Rath die Ablehnung des französischen Bündnisses. Er that das im Gegensatz zur gesammten übrigen Eidgenossenschaft. Zürich entzog sich damit dem sittenverderbenden Einfluß des Auslandes. Längst hatten die Eidgenossen das Reislaufen als das Krebsübel ihres Gemeinwesens erkannt; aber jetzt zum ersten Mal folgte der Einsicht auch der Ernst der That. Bald brach Zürich auch den traditionellen Zusammenhang mit der päpstlichen Politik ab und verbot grundsätzlich alle fremden Dienste und Pensionen, 11. Januar 1522. Man kann nicht groß genug von diesem Entschlusse denken; ein bisanhin so kriegslustiges Volk verleugnet sich selbst und achtet weder des empfindlichsten Ausfalls seiner Einkünfte, noch der schwierigsten Folgen für seine Stellung im Schweizerbund. Schon die Zeitgenossen konnten sich das nur erklären im Zusammenhang mit Zwingli’s Einfluß: „es ist die Frucht des Evangeliums an denen von Zürich, ein groß Wunderzeichen, von Gott durch den Zwingli gewirkt, aus solchen wüthenden Löwen so geduldige Schäflein zu ziehen“ (Keßler, Sabbata I, 170).

Jetzt war der Boden zubereitet. Die kirchlich reformatorische Umgestaltung konnte beginnen. Mit ihr heben Zwingli’s reformatorische Schriften zu erscheinen an. Das Jahr 1522 ist bereits ein mächtig bewegtes. Es ist ein [552] glänzendes Zeugnis für Zwingli’s Liebe zur Bibel, daß er mitten in diesen Kämpfen die hebräische Sprache erlernte.

Allerdings hatte der Rath schon vor zwei Jahren die schriftgemäße Predigt geboten, aber gewiß noch unbefangen, ohne die Tragweite abzusehen, welche erst die weitere religiöse Erweckung herausstellen konnte. Ob der Rath auch fest dazu stand, mußte sich erst zeigen. Gegenüber der Predigt von Gott als dem alleinigen Heil erhob jetzt die Kirche den Anspruch, daß sie, ihr Organismus in Lehre und Leben, das Heil sei. Der Kampf mit den kirchlichen Autoritäten hob an.

Den Anlaß gab ein Vorkommniß, das unter anderen Umständen wenig beachtet worden wäre: der Buchdrucker Froschauer brach mit seinen Gesellen die kirchliche Fastensatzung. Aber jetzt kam der Stein ins Rollen. Z. trat von der Kanzel für die christliche Freiheit ein, und aus dieser Predigt entstand seine erste reformatorische Druckschrift „Von Erkiesen und Fryheit der Spysen“, 16. April 1522. Der Bischof von Constanz durfte die Bewegung nicht mehr übersehen; er ließ durch eine Gesandtschaft den Rath zur Treue an der Kirche ermahnen. Dieser wahrte zwar den kirchlichen Schein, trat aber in der Sache, auf Grund eines Gutachtens des Stiftscapitels, für Z. ein und verlangte dringend und schleunig einen Entscheid durch die höchsten Autoritäten, Papst und Concil. Statt dessen langte nur eine neue Abmahnung ein, vom Bischof „als für sich selbst“, 25. Mai. Z. nahm von dem Handel Anlaß zu einer grundsätzlichen Vertheidigung der Bibel als der alleinigen Autorität und zu scharfen Ausfällen gegen den römischen Primat, wie zu freudigen Zeugnissen für das Evangelium. Er nennt diese Schrift ein erstes und letztes Wort, Archeteles. Sie erschien am 22. August, nachdem kurz vorher bereits das Capitel Zürich, d. i. die gesammte Geistlichkeit vom Glarnerland bis hinab zur Limmatmündung sich einhellig für die schriftgemäße Predigt ausgesprochen hatte. Das Aufsehen war allgemein; Erasmus erschrak über die Kühnheit der Sprache, die sich der Leutpriester von Zürich erlaube.

Mittlerweile war ein neuer Handel an den Rath gewachsen. Die Mönche der Stadt vertheidigten den Heiligendienst. Es kam zu einer Verhandlung zwischen den Lesemeistern der Bettelorden und den drei städtischen Leutpriestern sammt dem Johannitercomthur Konrad Schmid von Küsnach. Dabei trat Z. so entschieden auf, daß die anwesende Rathscommission entschied, die Mönche haben sich an die Bibel zu halten und „ihren Thomas und Scotus ruhen zu lassen“, 21. Juli. Nun entzog man auch die Frauenklöster der Seelsorge der Ordensmänner und eröffnete ihre Kirchen der Predigt Zwingli’s. In diesen Zusammenhang gehört dessen wichtige Predigt „Von Klarheit und Gewißheit des Wortes Gottes“, erschienen kurz nach dem Archeteles, am 6. September: die h. Schrift beseligt und erneuert wie keine andere Offenbarung, ist die Bürgschaft der göttlichen Verheißung und erschließt sich Jedem, „der Gott allein selber den Schulmeister sein läßt“. Dieser Predigt folgte sofort, am 17. September, eine andere über Marienverehrung; sie führt aus, was der Refotmator unlängst an der Engelweihe zu Einsiedeln gepredigt hatte, und ist so recht auf die volksthümliche Verehrung, und auf die Klosterfrauen zumal, berechnet: bei aller Würde hat Maria doch keinen Anspruch auf die Mittlerschaft; wir ehren sie am besten in ihrem Sohne. Schon begehrten manche Nonnen den Austritt aus dem Kloster. Der Rath wies sie zwar noch ab, nahm aber Anlaß zu neuen Beschlüssen im Sinne Zwingli’s. Länger als bis Pfingsten, erklärte man, werde nun nicht mehr auf den Entscheid der kirchlichen Autoritäten gewartet, und die Klosterprediger wies man an, nur das zu predigen, „was sie mit dem heiligen Mund Gottes und Evangelio beschirmen mögen“, am 1. December 1522. Was [553] einst die Rathscommission beschlossen hatte, das erhob hiemit der gesammte Rath zu seiner Schlußnahme. Alles ließ sich günstig für Z. an. Es war jetzt nur noch zu wünschen, daß der Entscheid endgültig für Stadt und Land gefällt und dem aufregenden ungleichen Predigen überall ein Ende gesetzt werde.

Dabei war Z. noch besonders an der Ausbreitung seiner Lehre in der Eidgenossenschaft gelegen. Er hat von Anfang an sein Reformwerk als ein patriotisches aufgefaßt und seine Propaganda auf die innere Schweiz ausgedehnt. Hier gab es für ihn keine Kantonsgrenzen. So hatte er im Mai 1522 einen günstigen Augenblick benutzt, die Landsgemeinde von Schwyz zur zürcherischen Politik des Verzichts auf fremde Dienste herüberzuziehen; voll Vaterlandsliebe und mit prophetischem Feuer hatte er seine „Ermahnung an die ältesten Eidgenossen von Schwyz“ geschrieben, nicht ohne Erfolg. Allein der gute Vorsatz hielt nicht nach; wenige Monate später gewann in Schwyz die Reisläuferpartei wieder die Oberhand. Dann war unter seiner Führung im Juli ein Kreis zürcherischer und innerschweizerischer Geistlicher zu Einsiedeln zusammengetreten und hatte in beweglichen Zuschriften den Diöcesanbischof und die eidgenössische Tagsatzung gebeten, daß sie die Priesterehe und die freie Verkündigung des Evangeliums gestatten. Aber auch jetzt wurde nichts erreicht; die Eidgenossen liehen im Gegentheil dem Bischof den weltlichen Arm, das neue Wesen zu unterdrücken. Sollte daß begonnene Werk bei den Eidgenossen nicht verkümmern, so war ein kräftiges Zeugniß des Vorortes für das Evangelium gerade jetzt dringend nöthig.

So kam es auf Zwingli’s Anregung zur ersten Disputation, am 29. Januar 1523. Der Rath beschloß sie, „nach vielfältiger Erwägung des schweren Handels“. Er selbst, die weltliche Behörde, behielt sich den Entscheid über die theologische Frage vor, ob die Schrift die alleinige Autorität in Glaubenssachen sein soll oder nicht, wie er auch von vornherein nur die Schrift als beweiskräftig bei der Disputation anerkannte. Der Reformator rüstete sich zur Rechenschaft und Vertheidigung. In 67 Schlußreden oder Thesen faßte er seine bisherige Lehre zusammen. Voraus begründet er den evangelischen Glauben: Christus ist der einzige Weg zum Heil, die Kirche als sein Leib nur lebendig und der Einzelne nur selig durch ihn (1–16). Von da aus kritisirt er die alte Kirche: es fallen Papstthum, Meßopfer, Fürbitte der Heiligen, jede an aparte Personen, Orte und Zeiten geknüpfte Heiligkeit, jede aparte Sittlichkeit im Mönchthum und Cölibat, auch die geistlichen Stiftungen (17–33). Er schließt mit kritischen und positiven Folgerungen hinsichtlich weltlicher und geistlicher Gewalt, Cultus, Bußdisciplin, Fegfeuer, Priesterstand und anderem, sammt dem Anerbieten, auch über weitere Fragen, wegen der Zinse und Zehnten, der Kindertaufe und Firmung, Rede und Antwort zu geben, doch einzig auf Grund der Schrift (34–67). Die Schlußreden sind somit ein förmliches Programm der Reformation, das erste, das man überhaupt kennt, dabei eine durchaus originale Arbeit Zwingli’s. Schon in der Ausschreibung der Disputation durch den Rath lag soviel wie der Sieg. Die Discussion war nicht sehr erheblich, die Meinungen gemacht. Der Rath befahl Z. und allen Geistlichen zu Stadt und Land, gemäß der Schrift zu predigen. Der Entscheid war nach Zwingli’s Wunsch gefallen; laut dankte er Gott für den Sieg.

So war aus dem Humanisten der Reformator erstanden; der evangelischen Verkündigung war der Ernst der That für alles Volk gefolgt. Hier fand Z. den Beifall des Erasmus nicht mehr. Es kam bald zum offenen Bruch zwischen ihnen. Nicht daß Z. seine humanistische Vergangenheit verleugnet hätte; barg er doch edelmüthig den sterbenden Hutten auf der Ufenau vor seinen Feinden, im Sommer 1523. Gerade dieser Freundesdienst ist dann der Anlaß geworden, [554] die erkaltende Freundschaft mit Erasmus für immer zu lösen. Nie hat aber Z. vergessen, wie Großes er diesem zu danken hatte.

III. Z. hat in den vier ersten Zürcher Jahren den religiösen Impuls gegeben, die Gemüther zu Christus zurückgeführt. Diesen Impuls hatte soeben das Gemeinwesen aufgenommen. Von Staatswegen, durch den Beschluß der Obrigkeit zufolge der ersten Disputation, wurde der Grund gelegt, auf dem die neue Kirche erbaut werden konnte. Das war ein überaus kühner Schritt; der Obrigkeit hatte Z. diesen großen Erfolg zu verdanken. Durch sie ist auch die Reformation durchgeführt worden.

An eine Trennung des kirchlichen vom politischen Leben war damals nicht zu denken. Die alte Kirche in ihrer Ohnmacht hatte den Staat längst genöthigt, sich der geistlichen Dinge anzunehmen; insofern ist in der Zwinglischen Landeskirche nur eine jahrzehnte lange Entwicklung zum Abschluß gekommen. (Näheres in meiner Abhandlung „Die zürcherische Kirchenpolitik von Waldmann bis Zwingli“, Jahrb. f. Schweiz. Gesch. 1896.) Die politische Gemeinde war eo ipso die Kirchgemeinde. Ein anderes Verhältniß hätte eine Aenderung der Stadtverfassung erfordert. Diese, der „geschworne Brief“, verkündet das absolute Recht der Mehrheit, und so hat der Bürger auch in geistlichen Dingen „dem gehorsam zu sein, was die Kirchgemeinde zu Zürich für göttlich und christlich angenommen hat“. Damit war in der aristokratischen Republik das Regiment der Obrigkeit über die Kirche gesetzt. Eine aparte Kirche erwies sich, wie die Täufer erfuhren, als ein Ding der Unmöglichkeit. Z. überließ denn auch das Kirchenregiment der Obrigkeit; nur forderte er, daß diese eine christliche sei und dem Wort der Schrift die Ehre gebe, womit der Einfluß ihrer Verkündiger gewahrt blieb.

Die obrigkeitliche Leitung, überdies in den entscheidenden Momenten durch Anfragen der Zünfte und Landgemeinden gedeckt, gibt dem Gang der Zürcher Reformation etwas Imposantes. Wie ein Gesetz wickelt sie sich ab, planmäßig, fest, ohne Ueberstürzung und Tumult. Aber auch ohne Rücksicht auf die widerstrebenden Gewalten, aus sich selbst heraus. Kaiser und Reich, die Eidgenossen, die Curien von Constanz und Rom haben es zu hindern gesucht; aber alle Autoritäten der Welt blieben ohnmächtig gegenüber der elementaren Macht der Volksbewegung, und auf die Vorstellungen aus Rom antwortet der Rath: secus agere non licet propter vulgus. Dieser ganze Verlauf der Reformen ist auch ohne fremdes Vorbild, eigenartig und selbständig.

Dabei kommt in Betracht, daß Z. von Haus aus viel energischer auf das Leben gerichtet ist als Luther. Luther lebte Gott und dem Himmel; er vertraute darauf, daß die Gestaltung des kirchlichen Lebens sich unmittelbar geben werde, als Frucht des gepredigten Gotteswortes. Dieses Vertrauen ist groß, aber einseitig. Z. ist praktisch geschickt und thatkräftig; bei allem Gottvertrauen unterschätzt er die zeitlichen Factoren und Aufgaben nicht. Ihm erscheinen die neuen Ordnungen als wesentliches Mittel zum Zweck; sie helfen mit, das erweckte religiöse Leben wach zu halten und zu sichern. Hand in Hand mit der Obrigkeit geht er von Anfang an zielbewußt, sicher und durchgreifend vor. Das ist auch groß, wenn es ohne Vorurtheil und mit Verständniß für schweizerische Art und Geschichte gewürdigt wird. Die Zürcher Reformation trägt ganz das Gepräge von Zwingli’s klarem und tapferem Geist.

Praktische Reformen folgten der ersten Disputation zunächst noch nicht. Hatte man ja beschlossen, bis Pfingsten in jedem Fall auf Abhülfe durch die höchsten Autoritäten der Kirche zu warten. Diese Pause konnte Z. nur dienen. Er arbeitete jetzt seine Schlußreden weiter aus in eine „Auslegung und Begründung“, die rasch entworfene Skizze des neuen Baues zum Grundriß. Noch [555] lange hat man diese Schrift als die maßgebende Zusammenfassung der neuen Ziele angerufen. Aber auch nach Pfingsten entschloß sich der Rath zu keinen Aenderungen im kirchlichen Leben, obwol jetzt Z. darauf zu dringen begann. Er schrieb eine Kritik des Meßkanons und veranlaßte eine zweite Disputation über Bilder und Messe, in der Hoffnung, durch sie einen Entscheid über diese Hauptstücke des Cultus zu provociren. Aber die Ergebnisse blieben praktisch noch unbedeutend oder liefen auf mittelbare Fortschritte hinaus. Man kann es als den Hauptgewinn des Jahres 1523 bezeichnen, daß es den Grundgedanken der ersten Disputation verwirklicht, die schriftgemäße Predigt gefördert und das ihr dienende Pfarramt angebahnt hat.

Dahin gehört gleich die Ernennung einer Rathscommission, welche das „ungleiche“ Predigen überwachen und ahnden sollte; es war die Ausführung dessen, was man im Grundsatz beschlossen hatte. Z. selbst faßte bereits die Heranbildung eines neuen Predigerstandes ins Auge. Im Hinblick darauf schrieb er sein „Lehrbüchlein“, eine ansprechende Ausführung der Gedanken, die ihm über Erziehung und Schule vorschwebten (vgl. meine Jubiläumsausgabe 1884). Bereits brachte er auch das Stiftscapitel zu einer Reform des Stifts, welche im Zusammenhang mit einer bedeutenden Reduction herkömmlicher Mißbräuche den ersten Grund zu der gelehrten Schule legte. In ähnlicher Richtung laufen die Hauptbeschlüsse zufolge der zweiten Disputation. Erst jetzt traten nämlich die Bildungsmängel der alten Geistlichkeit recht zu Tage. Z. ergriff die Gelegenheit, um den versammelten Geistlichen des Landes das neue Berufsideal von der Kanzel vorzuhalten (seine Predigt „der Hirt“), und nach den Verhandlungen erhielt er vom Rath den Auftrag, für die Geistlichkeit eine Anleitung zur evangelischen Verkündigung zu verfassen; sie ist unter dem Titel „Christliche Inleitung“ und unter ausdrücklicher Genehmigung des Rathes ausgegangen. Um gleich das Muster der wahren Predigt zu geben, ordnete die Obrigkeit an, daß Z., Comthur Schmid von Küsnach und Abt Wolfgang Joner von Kappel persönlich die Landschaft bereisen und in den Kirchen predigen sollen. Erst jetzt gelang es auch, die Stadtkirchen vollständig im evangelischen Sinn zu versehen: an den St. Peter kam Leo Jud, Zwingli’s Studienfreund und sein Nachfolger in Einsiedeln, und am Fraumünster begann Myconius, der eine Zeit lang auswärts gelehrt hatte, nach seiner Rückkehr biblische Vorträge zu halten. Auf der Landschaft that man das Mögliche, um ähnliche Wünsche der Gemeinden zu erfüllen. Den vollen Ernst läßt endlich der Beschluß des Großen Rathes vom Anfang 1524 ersehen, von nun an alle Verhandlungen über unrichtiges Predigen zu Stadt und Land vom Kleinen Rath unmittelbar an sich zu ziehen. Bald, drei Mal im J. 1524, erschienen zu Zürich Nachdrucke des Luther’schen Neuen Testaments; auch in dieser Art ward dem Verlangen nach Gottes Wort Genüge gethan.

Schon in der Einsiedler Eingabe an Bischof und Tagsatzung von 1522 wird mit der freien Verkündigung des Evangeliums die Priesterehe gefordert. Seitdem jene im Gebiete von Zürich zum Siege gelangt war, und je mehr der priesterliche Charakter des Geistlichen vor dem eines Dieners am Wort zurücktrat, begannen die Pfarrer sich allgemein vom Cölibat abzuwenden, 1523 und 1524. Auch Z. trat in den Ehestand, mit Anna Reinhard, der Wittwe eines Junkers Meyer von Knonau; er bestätigte die Ehe durch den Kirchgang am 2. April 1524. Gleichzeitig mehrten sich die Austritte aus den Klöstern; der Glaube an eine aparte Sittlichkeit schwand immer mehr, und das führte zur Aufhebung aller Klöster. Es waren ihrer etwa zwanzig zu Stadt und Land, darunter die Fraumünsterabtei, eine Stiftung Ludwig’s des Deutschen vom Jahre 853; aus freien Stücken übergab die Aebtissin ihr Stift dem Rath, am [556] 30. November 1524, nachdem es 671 Jahre bestanden. Mächtig richtete sich die Bewegung gegen den ganzen hergebrachten Cultus. Seit der zweiten Disputation unterließ Z. nicht mehr, den Rath zu spornen, damit er treulich und unerschrocken dem Gotteswort folge; denn „so Gott auf unserer Seite ist, wer will wider uns sein?“ Schließlich war der öffentlichen Meinung kein Widerstand mehr gewachsen. Seit Ostern 1524 fielen die Ablässe, Wallfahrten und Processionen. Im Juli räumte man die Bilder aus allen Kirchen der Stadt. Man beseitigte die Reliquien, die Ampeln, die Altäre. Orgelspiel, Todten- und Wetterläuten verstummte; die Benedictionen, die Ornate, die letzte Oelung, die Feier von Allerheiligen und Allerseelen kamen außer Gebrauch. Gegen Ende des Jahres schloß man das Grab Christi, daß man vor wenigen Jahren noch kostbar zugerichtet hatte, und stellte den Taufstein vorn in die Kirche. Vom ganzen alten Cultus bestand nur noch die Messe zu Recht.

So ist das Jahr 1524 eine Zeit des rücksichtslosen Niederreißens, schmerzlich für altgesinnte Gemüther. Aber man hielt darauf, daß alles in Ordnung geschah, in der Stadt auf Anweisung der Obrigkeit, auf dem Land gemäß den Mehrheitsbeschlüssen der Gemeinden. Auch wurden die überkommenen Gottesdienste nicht etwa bloß abgeschafft; man sorgte so viel als möglich für Ersatz. Aller Cultus ward jetzt Predigtgottesdienst – der Gemeindegesang ist erst viel später herangezogen worden – immer auf Grund von Zwingli’s Anschauung, daß der wahre Gottesdienst das Thun des göttlichen Willens sei. Man kann der Obrigkeit das Zeugniß nicht versagen, daß sie dem stürmischen Begehren so viel als möglich entgegentrat. Es ist durchaus richtig, wenn sie den Papst versichert, sie vermöge daß Volk nicht mehr zurückzuhalten. Trotz aller Neuerungen ist sie sich nicht bewußt, daß sie nicht gut katholisch sei; sie richte sich, sagt sie dem heiligen Vater, einzig nach dem reinen Wort Gottes alten und neuen Testamentes und verwahre sich gegen den Verdacht, als halte sie zur lutherischen Secte!

Mit dem Jahr 1525 kam die Zürcher Reformation im wesentlichen zum Abschluß. Eine Reihe neuer Ordnungen traten ins Leben, die Armenordnung, Ehesatzungen, Gesetze und Institutionen zur Pflanzung von Zucht und Sitte, Reformen zum Besten des Spitals und der Pflege von Kranken. In diesem Zusammenhang erfolgte auch, obwol noch mit schweren Bedenken, die Abschaffung der Messe. Das letzte Bollwerk der alten Kirche fiel, und an Stelle der Messe wurde, nach Zwingli’s Vorschlag und im Sinne der ursprünglichen Einsetzung Christi, das Abendmahl eingeführt, als jährlich vier Mal zu begehende religiöse Gemeinschaftsfeier, auf Ostern 1525. Auch die gelehrte Schule zur Erziehung eines neuen Predigerstandes konnte jetzt ins Werk gesetzt werden. Z. wurde Schulherr und übernahm selbst die Hauptarbeit an der theologischen Lehranstalt, die er über den Gymnasien aufbaute. Es ist das die im Hinblick auf Paulus (1. Corinther 14) so genannte Prophezei, tägliche öffentliche Auslegungen der Bibel in den Grundsprachen, an Stelle der bisher im Chor des Großmünsters gesungenen Horen. Z. versah die Professur für Septuaginta. In der Wahl der Gehülfen bewies er einen glücklichen Blick. So gewann er den jungen Ceporin, dessen Pindarausgabe er mit einem Vorwort eingeführt hat, kurz nachher Pellican, den namhaften Hebraisten. Einer der ersten Schüler, Theodor Buchmann (Bibliander) ist nach Zwingli’s Tod sein Nachfolger in der Professur geworden.

Seit 1524 war der Kampf mit den Gegnern der Kindertaufe ausgebrochen. Diese stellten sich jetzt in vollen Gegensatz zu Z. und der öffentlichen Kirche, indem sie die Wiedertaufe einführten. Sie erstrebten eine vom Staat unabhängige Gemeinschaft der wahrhaft Heiligen. Dieser Sonderkirche gegenüber [557] hat Z. die Volkskirche vertheidigt, wie sie sich unter obrigkeitlicher Leitung gebildet hatte; er hat sie mit Recht als diejenige Organisation betrachtet, welche allein die Gewähr biete, die Errungenschaften der Reformation gegenüber der Papstkirche sicher zu stellen. Ohnehin galt es, gegenüber einem nothfesten, beschränkten Dringen auf den Buchstaben den freieren, biblisch erzogenen Geist dem Volk zu erhalten. Der Kampf war überaus hart; Z. bezeichnet ihn selbst als härter denn den Kampf mit Rom. Er hat sich noch lange hingezogen; aber im J. 1525 sind die Entscheidungen gefallen (vgl. meine Zürcher Wiedertäufer 1878). Zum Theil mit der Täuferei verbunden erhob sich eine Bewegung aus der erregten Bauernschaft. Es gelang, im Unterschied zum Reich, sie ohne Blutvergießen zu überwinden. Das ist hauptsächlich Zwingli’s Einfluß zu verdanken. Die Obrigkeit bewies die vom Geist des Evangeliums getragene Weisheit und hob auf Grund des biblischen Gebotes der Nächstenliebe die Leibeigenschaft mit ihren Lasten auf.

So ist die Reformation in Stadt und Landschaft Zürich durchgeführt worden, als sie ringsum erst in den Anfängen stand. Die Beziehungen zu Rom, bisher wegen der Soldguthaben noch immer nicht ganz abgebrochen, hören auf. Es kam zu einer letzten Auseinandersetzung Ende 1525, und von da ab vernimmt man lange nichts mehr von den früher so zahlreichen päpstlichen Breven. Noch einmal, auf der Badener Disputation im Frühjahr 1526, jetzt aber zum letzten Mal einmüthig, stellte sich die officielle Schweiz dem neuen Wesen entgegen. Den eidgenössischen Verwicklungen, wie sei mit dem Umschwung in Zürich Hand in Hand gingen, und den Sorgen für das Werk der Reformation im weiterem Umkreis haben wir jetzt nachzugehen.

IV. Die erste Disputation hatte die Gegensätze in der Eidgenossenschaft bedeutend verschärft. In den Städten, St. Gallen, Schaffhausen, auch Basel, gewannen die Führer der neuen Bewegung an Einfluß, Vadian, Hofmeister, Oecolampad und Andere, während in der inneren Schweiz, deren Haupt Luzern war, die Erbitterung stieg. Auf der Tagsatzung überwog die feindselige Stimmung, zumal jetzt die Unterthanengebiete in der Ostschweiz sich dem neuen Wesen zuwandten und Zürich auch politisch in diesen Gebieten immer einflußreicher wurde. Die Eidgenossen beschlossen auf die Klagen des Bischofs von Constanz hin, Z. womöglich gefangen zu nehmen und alle Anhänger der neuen Lehre in ihren Gebieten zu strafen. Unter diesen Umständen kam doppelt viel auf das mächtige Bern an. Zwar wirkten dort mit Berchtold Haller mehrere namhafte Männer in Zwingli’s Geist; aber der in der Stadt herrschende Adel war der Reformation meistentheils abgeneigt, weil es den Anschein gewann, daß sie das Regiment schwäche und die bürgerliche Rechtsordnung gefährde. Diesen Vorurtheilen suchte Z. durch die dem vornehmen Propst Wattenwyl gewidmete Schrift „Von göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit“ entgegenzuwirken (Juli 1523). Er legte dar, wie im Gegentheil beides durch das Evangelium gestützt werde. Dabei zeichnet er vom Gesichtspunkt des göttlichen Wortes aus, ähnlich wie schon in den Schlußreden und ihrer Auslegung, die Stellung der Obrigkeit zur Kirche. Aehnliche Arbeit verursachte der Gang der Dinge nach anderen Seiten; von überall her, auch aus Schwaben und Elsaß, wandte man sich um Rath und Hülfe an den Zürcher Reformator, der damit immer mehr als das Haupt der Bewegung in der ganzen Eidgenossenschaft und über ihre Grenzen hinaus erscheint.

Zur bedrohlichen Spannung gedieh der Gegensatz im Laufe des Jahres 1524. Von Rom aufgestachelt ergriffen die Eidgenossen eine Reihe scharfer Maßregeln wider das neue Wesen. Was gegenüber Zürich zu thun sei, fiel ihnen zu beschließen immerhin nicht leicht. Sie einigten sich zu einer gemeinsamen [558] Botschaft dahin. Diese sollte den Rath auffordern, sich wieder mit den Eidgenossen „gleichförmig“ zu machen, Ende Februar. Dabei wurde von den Gesandten klug unterschieden zwischen der Obrigkeit und Z., jene mit Rücksicht behandelt, dieser als der Verführer und Urheber aller Verwirrung hingestellt. Aber eine Entfremdung zwischen ihnen gelang nicht. Zürich und sein Reformator sind eins geblieben, und das gab ihrer Haltung eine schöne Festigkeit. Es konnte auch nicht anders als einigend auf Zürich zurückwirken, daß gleich hernach, am 9. März, das erste Märtyrerblut, wenn auch nicht ohne Verschuldung, floß: die Eidgenossen ließen den Zürcher Nicolaus Hottinger enthaupten. So antwortete der Rath von Zürich am 21. März auf die Vorstellungen der Botschaft mit einem entschiedenen Bekenntniß im Sinne seiner bisherigen Haltung; er stellte zugleich den Bischof und den Eidgenossen das Pfingstfest als Termin, ihn über Bilder und Messe eines besseren zu belehren. Z., offenbar an dieser Antwort betheiligt, gab überdies zu seiner persönlichen Rechtfertigung mit einem tapferen Vorwort jene Predigt „der Hirt“ heraus, worin er an der zweiten Disputation das Berufsideal des Predigers gezeichnet hatte, am 26. März. Nach unbenutztem Ablauf des gestellten Termins kam es dann, auf Grund eines von Z. verfaßten Gutachtens, zur Abschaffung der Bilder als eines „Mißbrauchs“, während die Entscheidung über die Messe als eine Sache, „die den Glauben betreffe“, noch verschoben wurde. Indem man die Bilder beseitigte, setzte man sich kurzer Hand über eine „Unterrichtung“ hinweg, die der Bischof noch eingelegt hatte; erst nachträglich hat sie Z. in amtlichem Auftrag beantwortet („Christliche Antwort Burgermeisters und Rats“ u. s. w.), am 18. August.

Das feste Vorgehen Zürichs hatte eine Scheidung innerhalb des gegnerischen Lagers zur Folge. Hatten sich die Eidgenossen schon zu jener Botschaft vom Februar nur mit Mühe einigen können, so trennten sich jetzt die V Orte der Innerschweiz unter Führung Luzerns von den gemäßigten Ständen. Es entstand ein Sonderbund zur gewaltsamen Unterdrückung der Reformation. Angesichts der bedrohten Lage versicherte sich der Zürcher Rath der Zustimmung seiner Zünfte und Landgemeinden, die auch einmüthig erfolgte. Tapfer lehnte man die Zumuthungen einer neuen eidgenössischen Botschaft ab; die Art, wie diese Zwingli’s Heirath und seine Freude an der Musik als weltliche Ueppigkeit auszubeuten suchte, erregte nur Anstoß, 16. Juli. Auch die Einmischung Roms wies man zurück, am 19. August, am Tag nach der „Christlichen Antwort“ an den Bischof. Damit war Zürich soweit gegangen, daß an ein Zurückweichen nicht mehr zu denken war. Inzwischen waren auch bereits Ereignisse eingetreten, die den Landsfrieden gefährdeten.

Im Zorn über den eidgenössischen Landvogt im Thurgau, der rechtswidrig einen Prädicanten gefangen nahm, hatte eine Menge thurgauischer und zürcherischer Unterthanen am 18. Juli das ihnen verhaßte Kloster Ittingen in Brand gesteckt. Die Eidgenossen drangen auf strengste Ahndung. Bei den complicirten Rechtsverhältnissen an der Grenze kam es, diesmal entgegen Zwingli’s Warnung, dazu, daß Zürich etliche angesehene Männer dem eidgenössischen Gericht auslieferte, gegen die Zusage, es werde nur auf Brandstiftung und nicht auf den Glauben inquirirt werden. Diese Zusage wurde gebrochen, drei der Männer, obwol sie sich von jener Anklage reinigen konnten, wegen ihres evangelischen Bekenntnisses enthauptet, am 28. September. Dieser Wortbruch, zusammen mit dem ergreifenden Martyrium der Drei, regte die Gemüther tief auf. Anderes kam um eben diese Zeit hinzu, die Schärfe, mit der jetzt die Eidgenossen, im Geiste des Regensburger Convents, nach allen Seiten die Reaction einleiteten, die Verbindung der innerschweizerischen Orte mit Oesterreich, während Zürich [559] von den gemeinsamen Tagen ausgeschlossen wurde, das Anerbieten Eck’s, mit Z. zu disputiren und die Art, wie die Eidgenossen diese Disputation betrieben, der Zulauf zürcherischer Freischaren nach Waldshut zum Schutz des durch Oesterreich bedrängten Evangeliums. Das alles verschärfte die Spannung in dem Grade, daß der Krieg unvermeidlich schien. Zürich rüstete sich zur Vertheidigung, und der Rath suchte wiederum den Rückhalt der Gemeinden. Diese erklärten abermals, sie werden entschlossen zur Obrigkeit und zu Z. stehen, Ende November 1524. Dadurch ermuthigt, wagte der Rath die Aufhebung der Klöster und bei den Eidgenossen beschwerte er sich in prächtiger Zuversicht auf seine gute Sache über den Ausschluß von der Tagsatzung. In diese Tage wird ein überaus merkwürdiger Kriegsplan Zwingli’s gehören, worin bereits der kühne Politiker hervortritt, als welcher der Reformator später erscheint. Zum Kriege kam es indeß doch nicht. Bern und andere Orte weigerten sich entschieden, und bald kühlte die Niederlage der Schweizer bei Pavia die Kriegslust ab; Z. versäumte nicht, aufs neue gegen den Solddienst und die geldgierigen Magnaten zu eifern.

Die gefahrvollen Wochen gegen Ende 1524 hatten Z. bestimmt, mit allen Mitteln die Sicherung seines Werkes und die Ausbreitung des Evangeliums zu betreiben. Er schrieb an die Toggenburger und die drei Bünde von Rätien, verhandelte mit Herzog Ulrich von Württemberg und wirkte nachher mannichfach auf die oberdeutschen Städte ein. Die Eidgenossen suchte er durch neue Schriften zu belehren und umzustimmen (Gutachten im Ittinger Handel; Wer Ursach gebe zu Aufruhr; Ueber die Gevatterschaft – alle drei vom December 1524 und Januar 1525). Da er vernahm, daß in den höchsten Kreisen Frankreichs viel Zuneigung zum Evangelium sei, wandte er sich auch dahin. Er widmete eine seiner bedeutendsten Schriften, an der er seit mehr als einem Vierteljahr angestrengt gearbeitet hatte, dem König Franz I. von Frankreich. Sie ist betitelt „Commentarius de vera et falsa religione“ und erschien im März 1525. Was er einst in der Auslegung der Schlußreden ausgeführt hatte, daß will er hier principiell begründen. Die evangelische Lehre wird, wie es bisher niemand versucht hatte, in den allgemeinen religiös-philosophischen Zusammenhang gerückt und aus den Begriffen Religion, Gott und Mensch heraus deducirt. „Männlicher, gesunder, einfacher hat kein Mensch des Reformationszeitalters das Christenthum aufgefaßt“ (Dilthey, Preuß. Jahrb. 1894). Fast gleichzeitig beantwortete Z. ausführlich die Schrift eines würdigen Gegners, des Urner Landschreibers Valentin Compar, die durch die Verlesung vor der Landsgemeinde einen officiellen Charakter trug; die Antwort, besonders eingehend über die Bilderverehrung, ist der Landsgemeinde von Uri gewidmet, 17. April. Der durch eine starke Täuferbewegung gefährdeten Kirche St. Gallen stand der Reformator durch die Schrift „Vom Tauf, Wiedertauf und Kindertauf“ bei, worin alle zu Zürich verhandelten Gesichtspunkte der Parteien zusammengefaßt waren, und half dort der Reformationskirche zum bleibenden Sieg (vgl. meine St. Galler Täufer, 1887).

Die Ereignisse des Jahres 1525, besonders der Fall der Messe in Zürich und die Annäherung der V Orte an Oesterreich, steigerten die Spannung in der Eidgenossenschaft aufs neue. Die vermittelnden Orte, und dann Bern für sich, versuchten es noch einmal, Zürich zurückzubringen. Allein der Rath, wiederum durch die Gemeinden gedeckt, blieb so standhaft wie je, und Z. knüpfte wieder wie früher Verhandlungen über ein Schutzbündniß mit Glaubensverwandten an, diesmal mit Straßburg, im Herbst 1525. Da die gewaltsame Unterdrückung der Reformation nicht durchführbar war und das neue Wesen sich besonders in der Ostschweiz und in den Städten immer mehr festsetzte, kamen die Eidgenossen auf den schon einmal lebhaft betriebenen Gedanken eines Religionsgesprächs [560] zurück. Durch dieses wollte man den Gegner überwinden. Eck bot sich abermals an, und so kam es zur Disputation in Baden, Frühjahr 1526. Allein Z. nahm nicht theil. Der entscheidende Grund war Zürichs isolirte Lage. Die Motive der Ablehnung waren durchaus berechtigt; aber daß es nicht leicht fiel, die Zeitgenossen, selbst Freunde, davon zu überzeugen, das zeigen die wiederholten Schriften Zwingli’s in der Sache, auch ein abermaliger „Vortrag“ des Zürcher Rathes an die Gemeinden. Soweit es der briefliche Verkehr mit dem nahen Baden zuließ, hat Z. immerhin auf das Gespräch Einfluß geübt. Die Eidgenossen schrieben Eck den Sieg zu, erreichten aber mit der Disputation nicht, was sie gehofft hatten. Z. verfehlte nicht, seine Kritik darüber abzugeben (zwei Schriften gegen Faber; Tröstliche Epistel an die Gläubigen zu Eßlingen); namentlich aber schadeten die Katholischen ihrer Sache selber, besonders durch ihren Uebermuth. Das Wichtigste war, daß sie Bern empfindlich verletzten und es Zürich zutrieben: Berna firmior facta est post disputationem quam antea fuerit. Jetzt suchte Z. zu zeigen, wie der Bestand des eidgenössischen Bundes mit der Freiheit des Glaubens in den einzelnen Territorien vereinbar sei, dies im Gegensatz zu der Anschauung der V Orte, daß der Bund nur bei voller Einheit der Glieder im alten Glauben bestehen könne (Februar 1527). Bei der nächsten Rathswahl erfolgte dann zu Bern der entscheidende Umschwung zu Gunsten der Reformation (Ostern 1527). Die Folge war, daß die V Orte ihrerseits sich neuerdings Oesterreich annäherten, und die vermehrte Spannung veranlaßte hinwiederum Z., sein Auge abermals auf die süddeutschen Städte zu richten. Seiner Energie gelang es, das erste Schutzbündniß abzuschließen, mit Constanz, 25. December 1527. Inzwischen war Z., zumal während erneuerter Kämpfe mit den Wiedertäufern (in diesen Zusammenhang gehört seine Schrift „In Catabaptistarum strophas elenchus“), für die evangelischen Städte immer mehr der unentbehrliche Mann geworden. In Bern kam es zum endgültigen Entscheid durch die Disputation vom Januar 1528. Zwingli’s persönliches Erscheinen und seine alle Genossen überragende Gewandtheit im Disputiren trugen daß beste zum Gelingen bei. Bern stellte seine Reformation unter Zwingli’s Leitung und trat ebenfalls dem Burgrecht mit Constanz bei, Ende Januar.

So hatte Z. endlich das erste große Ziel auf eidgenössischem Boden erreicht. Das Zusammengehen der beiden mächtigsten Stände, Zürich und Bern, gab die Gewähr, daß die Reformation nicht mehr unterdrückt werden konnte. Aber nicht nur das; es eröffnete sich die Aussicht auf den weiteren Sieg in der Eidgenossenschaft. Die Reformation, bisher nur von Zürich getragen und in dieser territorialen Entwicklung vom Gesammtstaat schwer bedrängt, trat in das Stadium nationaler Entfaltung ein. Mächtig entflammte der Berner Erfolg den Muth der Evangelischen im ganzen Schweizerland. Vorab kommen dabei die Unterthanengebiete oder gemeinen Vogteien in Betracht. Um hier den Evangelischen Luft zu machen, vereinbarten sich Zürich und Bern, auf Grund der Zwingli’schen Theorie, daß die eidgenössischen Bünde sich nur auf die weltlichen Interessen des Rechtsschutzes und der Vertheidigung, nicht aber auf den Glauben beziehen, zu dem Vertrage, den Gemeinden der Vogteien einzeln die Abstimmung über den Glauben zu gestatten; sie sollten hierin nicht mehr von dem Gebot der regierenden Stände abhangen, sondern durch Mehrheitsbeschluß selber bestimmen dürfen, ob sie zum alten oder neuen Wesen halten wollen (25. Juni 1528). Diesfalls war der nächste wichtige Erfolg der, daß Bremgarten und Mellingen, die beiden „Pässe“ an der Reuß, der Reformation beitraten; denn die bisher durch diesen katholischen Landstrich geschiedenen Gebiete von Zürich und Bern wuchsen damit gleichsam zur Einheit zusammen. Aber die neue [561] Sachlage brachte noch weiteren Gewinn. Sie kam auch der Bündnißpolitik Zwingli’s zu statten; noch im gleichen Jahr 1528 traten die Städte St. Gallen, Biel und Mülhausen dem christlichen Burgrecht bei. Und nicht minder gefördert wurde die evangelische Partei in denjenigen eidgenössischen Ständen, die bisher schon an der Seite Berns vermittelnd aufgetreten waren; seit Anfang 1529 erfolgte der Umschwung zu Gunsten der Reformation in Basel, Glarus, Schaffhausen und Appenzell. Damit wurde die reformirte Partei an Gebiet und Volkszahl mächtiger als die katholische; nur die zur politischen Mehrheit und damit zur Herrschaft im Bunde nöthige Anzahl der Stände war noch nicht erreicht. In Bundessachen hatten die kleinsten Kantone so viel Recht wie die größten.

Eben an diesem Bundesrecht lag es nun, daß die von Zürich und Bern beschlossene Reformation der gemeinen Vogteien sich nicht so schnell durchführen ließ, wie Z. wünschte. Der Widerstand der kleinen Kantone hemmte alles. Immet mehr erschien daher Z. das Verhältniß von Größe, Volkszahl und Leistung zur politischen Berechtigung der Stände als ungerecht. Seit dieser Zeit begann er die Umgestaltung der Eidgenossenschaft zu erwägen, im Sinne eines größeren Einflusses von Zürich und Bern, als der „zwei Ochsen, die den Karren ziehen“. Er hat später eine Art Memorial darüber ausgearbeitet (Was Zürich und Bern not sei zu betrachten in dem fünfortischen Handel). Es ist erst dem 19. Jahrhundert gelungen, die Grundgedanken dieses Zwinglischen Schweizerbundes zu verwirklichen. Begreiflich, daß sich die V Orte für ihr historisches Recht wehrten, und zwar verzweifelt; denn verzweifelt muß es, im Hinblick auf die Vergangenheit der Schweiz, erscheinen, daß sie sich mit dem alten Erbfeind Oesterreich verbündeten, zur Abstellung der neuen Lehre. Das ist der Waldshuter Bund vom 22. April 1529. Damit stellten die V Orte dem Burgrecht der Städte, einer Verbindung defensiven Charakters, einen Sonderbund mit offensivem Zweck gegenüber, wobei sie sich überdies für den Kriegsfall des Beistandes von Wallis und Freiburg versicherten. Eben um diese Zeit griff Z., der jetzt persönlich an den Sitzungen des Geheimen Rathes von Zürich theilnahm und bereits die Seele der zürcherischen Politik geworden war, mit voller Schärfe in den Kampf um die Unterthanengebiete ein. Er setzte es durch, daß das Kloster St. Gallen säcularisirt und die geistliche Herrschaft über ein großes Gebiet der Ostschweiz, auch über seine toggenburgische Heimath, mit Waffengewalt abgethan wurde. Damit fielen diese Landstriche der Reformation zu, und die getreue Stadt St. Gallen gelangte zu einer viel freieren Stellung in der Ostschweiz. Politisch war zunächst nichts anderes denkbar, als daß Zürich mit seiner starken Hand das Regiment verwaltete.

So häufte sich der Zündstoff von beiden Seiten her gefahrvoll an. Ein Handel mit Unterwalden gab den Anlaß zum Bruch. Z. drang darauf, daß der Oligarchie in den V Orten „der Nerv durchschnitten werde“. Er entwarf selbst einen Kriegsplan und zog mit ins Feld. Mit dreifacher Uebermacht rückten die Reformirten auf. Ohne Schwertstreich wurden die Gegner gezwungen, den Bundesbrief mit Oesterreich, von dem sie schmählich im Stich gelassen worden waren, herauszugeben und in den Vogteien die Mehrheitsabstimmungen zuzulassen. Das ist der sogenannte erste Cappelerkrieg und Friede, Sommer 1529. Ein großer Erfolg war erreicht, aber in Zwingli’s Augen doch nur ein halber, weil man nicht auch darauf bestanden hatte, daß die V Orte in ihrem eigenen Gebiet das Pensionenwesen abstellen und die freie Predigt des Evangeliums zulassen sollten. Nach seiner Meinung hätte man den günstigen Augenblick besser ausnutzen und mit der Uebermacht einen entscheidenden Schlag führen [562] sollen; die Friedensvermittler trügen die schwere Verantwortung dafür, daß man auf halbem Wege stehen geblieben sei.

Gleichzeitig mit diesen Ereignissen in der Schweiz entwickelte sich die Lage der deutschen Protestanten in einer Art, die Z. unmittelbar berühren und ihn von dem engern schweizerischen auf den weiteren allgemeinen Schauplatz hinausführen mußte. Zwingli’s Einfluß reichte längst über die Schweizergrenzen hinaus; weithin durch Oberdeutschland, besonders in mächtigen Städten, hielt man sich zu ihm und seiner Lehre. Erst noch, in den kriegerischen Tagen, hatte er den Städten seinen Jesajah-Commentar zugeeignet und darin ihre Freiheit gefeiert und ihre Solidarität betont. Aber über die Lehre, speciell über die vom Abendmahl, waren Luther und Z. uneins geworden. Dies wurde jetzt verhängnißvoll, weil die deutschen Protestanten vom Kaiser und den katholischen Reichsständen schwer bedroht wurden und ihr Zusammenschluß zu einem großen Bunde als das einzige Rettungsmittel erschien. Alles kam darauf an, den Lehrgegensatz auszugleichen. Worin bestand dieser Gegensatz, und wie verlief der Einigungsversuch?

V. Luther und Z. stehen neben einander als die beiden primären Impulsgeber der Reformation. Gleich entschieden haben sie sich gegen die Verderbniß der Religion in der Kirche des Mittelalters aufgelehnt und ihre Persönlichkeit eingesetzt, um Christus wieder zur Herrschaft zu bringen (für Z. sei hier nochmals an seine Erklärung vor dem Stiftscapitel verwiesen, schon Ende 1518). Das ist daß Gemeinsame. Aber daneben sind sie die typischen Urheber des Gegensatzes innerhalb des Protestantismus selber; auf sie geht die Spaltung in eine lutherische und eine reformirte Kirche zurück. Dieser Gegensatz ist begründet in der Verschiedenheit des religiösen Interesses und daneben in dem politischen und nationalen Boden, dem sie angehören. Die Auflehnung gegen die Verderbniß erfolgt also von zwei verschiedenen Seiten aus.

Luther hat vorzugsweise direct vom religiösen Gefühl aus protestirt. Bei seiner tief religiösen Anlage empfand er die Verderbniß vor allem als judaistische: sein inniges Bedürfniß nach Versöhnung und Frieden mit Gott fühlte sich gehemmt, sein Gewissen geängstigt durch die Scheidewand menschlicher Satzungen, welche die Kirche zwischen Christus und den Gläubigen aufgerichtet hatte. Er verkündet die göttliche Gnade statt des Verdienstes der eigenen Werke als unsere Gerechtigkeit. Z. steht auf dem gleichen religiösen Grunde; aber sein nächstes Interesse ist das intellectuelle und sittliche, darum sein Protest vorwiegend gerichtet gegen den heidnischen Rückfall in der Kirche, dagegen, daß man Menschlichem göttliche Wirkung beimaß. Diese Vermengung empfindet er direct als Aergerniß; der Aberglaube beleidigt den Verstand, die Sittenlosigkeit knechtet den Willen. Er will darum vor allem Göttliches und Kreatürliches auseinander halten, einstehen für Gottes Ehre. Luther, als Mönch tief verstrickt in die alte Kirche, muß sich in schwerem Kampf von ihr losringen; Z., als Leutpriester mit dem Leben der Gemeinde verwachsen, nimmt von Anfang eine freiere Stellung der Kirche gegenüber ein, zumal bei seiner verständigen Anlage und humanistischen Bildung. – Verschieden war auch der politische und nationale Boden, dem die beiden Reformatoren angehörten. Dort niederdeutsches, hier oberdeutsches Wesen, dort Kaiser und Reich, hier die Republik, soeben durch ruhmreiche Freiheitskämpfe in die Reihe der modernen Nationen eingetreten. Dort der Schwerpunkt der reformatorischen Entwicklung in den Anfangsjahren, sofern sie da noch gemeinsame Angelegenheit des ganzen Reiches ist, während sie seit 1526 zur Sache der einzelnen Territorien wird; hier umgekehrt im Anfang Beschränkung auf daß Einzelgebiet von Zürich und bei allem sieghaften Verlauf innerhalb desselben ein schweres Ringen mit dem Gesammtstaat der Eidgenossen, [563] später dagegen viel verheißender Anlauf zu nationaler Entwicklung. Daher dort bereits Defensive, hier Offensive, dort die Stimmung zurückhaltender, hier zuversichtlich.

Dieser Gegensatz hat sich in der Lehre von den Sacramenten zugespitzt. Nicht daß dies eine centrale Lehre wäre; sie ist secundär. Aber als Cultushandlungen stellen die Sacramente das Wesen der Sache heraus und machen es gleichsam faßbar. Darum sind Tauf- und Abendmahlsstreitigkeiten in der Kirchengeschichte von Anfang an so bedeutsam. Gerade im Abendmahl aber mußte der Gegensatz der Reformatoren sich offenbaren, weil ihr verschiedener religiöser Standpunkt auf die Vorstellung von Christus zurückwirkte, also auf die Fassung des Gegenstandes, dessen Sinnbild das Abendmahl ist. Dazu kommt, daß sich für Luther und Z. Sinn und Bild, Sache und Zeichen zu einander verschieden verhalten. Für Luther sind die Sacramente die göttlich geordneten Organe, welche die Gnade Gottes in Christo direct mit dem Zeichen effectiv darbieten, während Z. in ihnen menschliche Cultushandlungen erblickt, welche die Gnade dem Glauben darstellen und vermitteln. Dort sind Sache und Zeichen schon in den Elementen verbunden; hier verbinden sie sich erst in der Handlung, im Act des gläubigen Genusses. Bei diesen Unterschieden war es für eine Ausgleichung doppelt erschwerend, daß Carlstadt mit einer ähnlichen Abendmahlslehre wie Z. aufgetreten war, und daß Luther nun, ohne die ganz andere Begründung Zwingli’s genügend zu würdigen, diesem mit Vorurtheil entgegentrat; auch hat Luther überhaupt Zwingli’s selbständige Bedeutung neben ihm unterschätzt und den primären Impuls zur Reformation sich allein zugeschrieben.

Schon seit Ende 1524 begann der Streit. In einem Schreiben an Matthäus Alber zu Reutlingen, dann im Zusammenhang mit seinem ganzen System im Commentarius von 1525, legte Z. seine von Luther abweichende Abendmahlslehre dar. Bald secundirte ihm Oecolampad aus den Kirchenvätern; indeß blieb Z. der bedeutendste aller Gegner Luther’s. Direct geriethen die beiden Helden erst 1527 an einander; von den vielen Streitschriften sei hier nur Zwingli’s „Amica Exegesis“ aus diesem Jahre erwähnt. Diese Fehde, so hitzig sie von beiden Seiten geführt wurde, war ungefährlich, so lange sie eine litterarische blieb. Aber sie mischte sich verhängnißvoll in die protestantische Politik ein. Der zweite Speirer Reichstag von 1529 nöthigte die deutschen Protestanten durch seine drohenden Beschlüsse zum Zusammenhalten; aber da die Oberdeutschen zwinglisch waren, warf Luther seine religiösen Bedenken dazwischen: mit Leuten, die wider Gott und das Sacrament streben, gehe man nach Leib und Seele der Verdammniß entgegen. Es galt also Ausgleichung der beiden Reformatoren um jeden Preis, wenn das Bündniß nicht scheitern sollte. Um eine solche bemühte sich lebhaft der rührige Landgraf Philipp von Hessen. Er veranlaßte das Marburger Gespräch vom Herbst 1529.

Widerwillig kam Luther, voller Freude Z. Luther erklärte im voraus, die Zusammenkunft werde nichts nützen; an der Werra wollte er nicht weiter reisen, ohne den hessischen Geleitsbrief in aller Form entgegengenommen zu haben. Z. hoffte nichts Geringeres als den Sieg seiner Lehre in der ganzen Welt; in Marburg schien der erste große Erfolg zu winken. Heimlich reiste er von Zürich ab, um nicht zurückgehalten zu werden; selbst seiner Frau ließ er erst von Basel aus das Ziel seiner Reise wissen, und einen Geleitsbrief wartete er vollends nicht ab.

Schon im Vorgespräch am 1. October, wobei der Landgraf den beiden „heftigen und hitzigen“ Männern je den ruhigeren Secundanten der Gegenpartei gegenüberstellte, Luther den Oecolampad, Z. den Melanchthon, verlief ungünstig. Vollends das Gespräch selbst. Z. suchte mit der Stelle Ev. Johannes 6, wonach der [564] Geist lebendig macht und das Fleisch nichts nützt, den leiblichen Genuß als unnöthig zu erweisen; Luther blieb beim Buchstaben „das ist mein Leib“, den er auf den Tisch geschrieben hatte: „da kann der tüfel nit für“. Dann wollte Z. den leiblichen Genuß als unmöglich erweisen, da Christi Leib im Himmel sei, also nicht im Brot sein könne. Aber die Verhandlung lief in einen „häderigen Zank“ aus, wie es Z. bezeichnet. Jede Partei blieb auf ihrer Meinung.

Luther’s Verhalten erschien hartnäckig. Doch ist es nicht bloß das. Er konnte sich die Vereinigung mit Gott, die sein innigstes Anliegen war, nicht denken, ohne Christus ganz zu genießen, und zur Person Christi gehörte ihm der Leib. Wie ohne den Wein, nach dem Brauch der Messe, nicht die volle Gestalt, so hatte für ihn das Sacrament ohne den leiblichen Genuß nicht den vollen Gehalt. Ganz anders Z. Er findet die Gegenwart des Leibes im Brot abergläubisch, unvernünftig. Luther, dünkte ihn, verharre wesentlich bei der katholischen Lehre, die der Creatur Antheil am Heil zuschreibe und darum Gottes Ehre schmähe. Ueberhaupt ist Z. über das mystische Gemüthsbedürfniß hinaus, das der Mitwirkung eines sinnlichen Factors bedarf; er ist rationell und modern; ihm genügt das Geistige an der That Christi. Diese geistige Freiheit machte ihn weitherzig. Er vermag über die nebensächliche Differenz wegzusehen, dem Gegner im Gedanken an die große Sache, die auf dem Spiele steht, mit Thränen im Auge die Bruderhand zu reichen und auf die Einigkeit in der Hauptsache hin zu erklären: „Es sind auf Erden keine Leute, mit denen ich lieber wollte eines sein als mit den Wittenbergern“. Luther steht aus dem engeren, ängstlicheren Glaubensstandpunkt, der sich allezeit Bedenken macht, ein Opfer zu bringen; er weist die Bruderhand zurück und bezeichnet zutreffend Zwingli’s modernes Wesen: „Ihr habt einen anderen Geist als wir“.

So war die theologische Einigung gescheitert. Man setzte wohl die 15 Marburger Artikel auf, in denen die Einigkeit in allen Hauptlehren und selbst in der Abendmahlslehre bis auf den verhängnißvollen Punkt vom leiblichen Genuß ausgesprochen ist. Aber Luther hatte keine Ruhe, den Gegensatz immer neu geltend zu machen, wodurch die politischen Vereinbarungen geschädigt wurden. Z. bestand auch zu einseitig auf seinem Sieg: die Wahrheit habe so offenbar überwunden, daß wenn je jemand besiegt worden sei, so sei es der hartnäckige Luther. Wol werde jetzt das Wort Gottes statt in Kraft des Geistes „in Gwalt der Sachsen“ geführt; aber, so hatte er Luther schon früher zugerufen, daß kommende Jahrhundert werde nach unverfälschterem Gericht zwischen ihnen daß Urtheil sprechen. (Vgl. die weitere Ausführung dieses Abschnittes in m. Aufsatz: Luther und Zwingli in Marburg, in Meili’s Theol. Zeitschrift a. d. Schweiz I, 1884.)

Mit Marburg ist Z. auf den allgemein reformationsgeschichtlichen Schauplatz hinausgetreten, zum Besten der Einigung des gesammten Protestantismus zu einer geschlossenen Macht. Das zunächst auf theologischem Gebiete; aber die Einigung zerschlug sich, und der confessionelle Gegensatz hat sich nur verfestigt. Ob sich auf politischem Gebiete der Erfolg doch erreichen ließ? Wirklich sehen wir Z. um so eifriger sich nach dieser Seite wenden. Indem wir ihm auch hier folgen, lernen wir seine Größe in einer neuen Hinsicht kennen; aber es offenbart sich hier auch sein Verhängniß und seine Schranke.

VI. Zwingli’s Politik ist in letzter Linie durch zwei Factoren bestimmt. Der eine ist die Stellung Oesterreichs und des Kaisers zur Reformation, der andere Luther’s Verhalten ihm selbst gegenüber zu Marburg.

Wiederholt, soeben noch am Waldshuter Bund, hatte Z. Oesterreichs Gefährlichkeit für die schweizerische Reformation kennen gelernt. Jedes Mal sahen [565] wir ihn der Gefahr von dieser Seite dadurch entgegenwirken, daß er seine Bündnißpolitik mit den süddeutschen Städten aufnahm. Bei dieser Stimmung machte auf ihn erschreckenden Eindruck, was er auf der Marburger Reise in Straßburg vernahm. Aus directester Quelle, wie er überzeugt war, erfuhr er, daß Oesterreich darauf ausgehe, das Evangelium von Grund aus zu vernichten, und zwar in der Schweiz wie im Reich. Der Anschlag gehe dahin, zuerst die Schweizer und die süddeutschen Städte zu bezwingen, auf denen die Stärke der Reformation beruhe, und dann die Fürsten einen um den andern zu unterwerfen. Zu diesem Zweck habe sich der Kaiser überdies mit Frankreich verständigt. Nie vorher war Z. die Gefahr in dieser Größe und zudem als eine zuvörderst sein eignes Reformationswerk bedrohende vor Augen getreten. Gegen Habsburg-Oesterreich hatte sich also die Spitze eines protestantischen Bündnisses zu richten.

Unter diesen frischen Eindrücken wurden die Bündnißverhandlungen zu Marburg aufgenommen. Welches sollte aber die Grundlage des Bundes sein? Diesfalls wurde maßgebend, was Z. soeben in Marburg selbst erfahren hatte. Er hatte Luther zu genau kennen gelernt, um eine Verständigung auf Grund einer gemeinsamen Abendmahlsformel noch für möglich zu halten. Anderseits erschien ihm die Abendmahlslehre als eine verhältnißmäßig nebensächliche; er hielt es für ausreichend, daß man in den entscheidenden Grundfragen des Glaubens einig sei, und forderte fortan mit unverbrüchlicher Consequenz gerade die gegenseitige Anerkennung bei Freiheit der Abendmahlslehre. Es ist immer wieder dieselbe Bruderhand, die er schon im Gespräch Luther angeboten hat. Von diesem Standpunkt aus kam er zu einer neuen, umfassenderen Politik. Hatte man bisher an eine Verständigung unter engeren Glaubensverwandten gedacht, so wandte man sich jetzt größeren Entwürfen zu. Es wurde ein Bund aller antihabsburgischen Interessen, unter Voraussetzung jener allgemeinen Uebereinstimmung im Glauben, geplant, wahre europäische Politik getrieben. Der Plan eines Bundes zwischen Hessen, Straßburg und den Schweizern bildete jetzt nur noch die Basis; das ganze evangelische Deutschland, auch die lutherischen Gebiete, sollten beigezogen, die österreichische Macht, die sich wie ein Keil zwischen Norden und Süden einschob, durch Eroberung Württembergs zurückgedrängt, und sogar Dänemark, Frankreich und Venedig gewonnen werden: „Es wär dann alles Ein Sach, Ein Hilf, Ein Wille vom Meer herauf bis in unser Land“.

Dieser großartige Entwurf, sichtlich das Ergebniß jener doppelten Erfahrung, mit Oesterreich und mit Luther, ist zunächst Z. selber zuzutrauen, der als Schweizer ohnehin in Kaiser und Reich eine mittelalterliche, freiheitsfeindliche Macht sah und sich insofern zu Frankreich als deren Gegner hingezogen fühlte. Aber auch Landgraf Philipp von Hessen mußte von seinen Interessen aus auf ähnliche Ergebnisse kommen, und es wird der Antheil der Beiden, des Reformators und des Fürsten, am ganzen Project im Einzelnen schwer zu bestimmen sein. Sicher ist, daß sich die richtigen Männer gefunden hatten, und daß Z. auch persönlich dem Fürsten überaus sympathisch war „durch seinen Mutterwitz und eidgenössische Tapferkeit“. Auch nachher, im Briefwechsel, schlagen beide einen ungewöhnlich vertraulichen Ton an.

Allein der weitaussehende Plan verwirklichte sich nur zum kleinen Theil. Die deutschen Fürsten lehnten das Bündniß ab, weil sie mit Luther bei der Forderung voller Uebereinstimmung im Glauben beharrten. Dadurch wurden die Reichsstädte entmuthigt, womit hinwiederum die Eroberung Württembergs vereitelt war. Von Frankreich und Venedig, an die sich Z. wandte, war schon deshalb keine Zustimmung erhältlich, weil die vorausgesetzte religiöse Uebereinstimmung [566] auch gar zu sehr mangelte. Selbst der Bund mit Hessen stieß bei den Schweizerstädten auf Schwierigkeiten. Vorläufig blieb das einzige Ergebniß der Beitritt Straßburgs zum christlichen Burgrecht, Januar 1530.

Vollends lähmend wirkte der Augsburger Reichstag aus die Bündnißsache zurück. Die deutschen Protestanten ließen sich durch das persönliche Erscheinen des Kaisers in ungeahntem Grade imponiren, die Lutheraner unter ihnen, durch Furcht und Hoffnung bestimmt, sich ganz nach dem Wunsch der Papisten von den Zwinglianern trennen; sie sagten sich von diesen los und näherten sich weitgehend der alten Kirche an. So waren die Zwinglianer die bestgehaßten unter den Protestanten. Z. durchschaute die Gefahr in ihrer ganzen Größe. Kam es doch sogar dahin, daß auch die süddeutschen Städte schwach wurden, ohne ihn vorgingen und in der Tetrapolitana ein die Wahrheit verhüllendes Bekenntniß vorlegten. Z. war genöthigt, rein persönlich eine Schrift zu seiner Rechtfertigung einzureichen (Ad Carolum imperatorem fidei ratio). Entschieden, ob auch maßvoll, hat er darin seine Lehre bekannt und dadurch schweren Anstoß bei Katholiken und Lutheranern erregt. Eck’s leidenschaftlicher Kritik dieser Eingabe widmete er noch eine besondere Vertheidigung zu Handen der protestantischen Fürsten, mit der freimüthigen Warnung, die Gegner wollen den Reichstag zu einem Concil machen, das kurzweg den Papst wieder in seine Gewalt einsetze. So war Z. der Einzige, der angesichts der Mächtigen dieser Welt fest zu seiner Sache stand. In prächtigen Briefen suchte er immer neu seine deutschen Freunde zur Standhaftigkeit aufzurichten, voran den Landgrafen von Hessen, der ihm noch am treusten geblieben war: „halt an, frommer Ackermann, halt an; es geht nur wohl!“ Den Städten rief er zu, wenn sie sich mit den Schweizern nicht verbünden wollen, so sollen sie es doch unter sich selber thun. Zürich möge ihnen das Vorbild sein, wie Standhaftigkeit selbst dem Papst und Kaiser gegenüber zum Siege führe. „Euere Liebe zum römischen Reich ist allzugroß; was hat Deutschland mit Rom zu thun? Aber diese Erkenntniß wird sich erst in späterer Zeit Anerkennung verschaffen.“

Schließlich sahen doch die deutschen Protestanten ein, daß sie mit allem Nachgeben die Anerkennung des Reiches nicht erlangen werden. Jetzt, in ihrer Bedrängniß, traten sie dem Gedanken eines Bündnisses wieder näher. Es war eine Genugthuung für Z., daß jetzt Sachsen von sich aus bei den Schweizern um ein solches warb, November 1530. Aber daran war die Zustimmung zu einer von Butzer verfaßten vermittelnden Abendmahlsformel geknüpft, die zweideutig erscheinen konnte. Z. war unbestechlich genug, sie abzulehnen. Seinem Marburger Standpunkt gemäß bestand er darauf: entweder gegenseitige Anerkennung auf Grund der Hauptstücke des Glaubens bei Freiheit der Abendmahlslehre, oder dann gar kein Bündniß, das doch nur trügerisch wäre (Stabilior amicitia in Domino, quae libero spiritu nititur, quam quae quantivis ingenii humani cancellis continetur, 4. September 1530; auch bei abweichender Lehre könnten wir Freundschaft und Einigkeit haben, da wir in der Summe des Glaubens einig sind, 20. November 1530). Für diesen Verzicht auf Sachsen bot eben jetzt die Aufnahme Hessens in das Burgrecht mit den Schweizerstädten (ausgenommen Bern) etwelche Entschädigung. Nochmals, bald nachher Anfangs 1531, erklärte sich Sachsen zum Bündniß bereit; wenn die Schweizer nur die Tetrapolitana anerkennen würden, sollten sie in den schmalkaldischen Bund aufgenommen werden. Aber wiederum lehnte Z. ab, und sowol Zürich als Bern stimmten ihm nachdrücklich zu, weil die Abendmahlslehre nicht verdunkelt werden dürfe. Wenn Zürich (wie ähnlich Z. selbst) dabei erklärt, es sei wohl zu bedenken, daß man nicht nur sich selbst lebe, sondern auch den nachkommenden Zeiten und Menschen, so hat die spätere Entwicklung diesem Bedenken völlig [567] Recht gegeben; die Tetrapolitana ist überall, wo man sie angenommen hat, für spätere Geschlechter die Brücke zurück ins Lutherthum geworden (Stähelin 2, S. 454 f.).

So lag es an Z., daß schließlich, so nahe man sich gekommen war, das allgemeine Bündniß der Protestanten scheiterte. Der von ihm selbst früher so lebhaft erstrebte, in verlockende Nähe gerückte Erfolg erschien seinem gesunden Urtheil unter der gestellten Bedingung als eine sein Werk gefährdende Versuchung; er folgte seinem Gewissen und gab gegenüber einem Frieden um jeden Preis die Ehre der Wahrhaftigkeit. Diese Haltung gehört mit zur Größe Zwingli’s; sie stellt sein grundsätzliches, allem Markten fremdes Wesen in helles Licht. Die Nachfolger, sogar ein Bullinger, wiegten sich immer wieder in dem Wahn, doch noch eine völlige Concordie in Glaubenssachen zu Stande zu bringen, und sie haben schwere Arbeit daran gesetzt. Aber das Scheitern ihrer Bemühungen hat Z. Recht gegeben. Von den maßgebenden Männern der zweiten Generation hat sich keiner mehr zu seinem freien Blick erhoben, keiner sich auf die Höhe seiner Auffassung von der Einheit im Wesentlichen bei Freiheit im Nebensächlichen zu stellen vermocht; ihnen allen erschien eben auch daß Nebensächliche wesentlich. Dadurch unterscheidet sich der Reformator von den Epigonen.

Als Ausläufer der Bündnißbestrebungen können zwei Schriften Zwingli’s aus seinen beiden letzten Lebensjahren betrachtet werden, De providentia Dei, eine Marburger Predigt, jetzt für den Landgrafen auf seinen Wunsch weiter ausgeführt, und Christianae fidei expositio an König Franz I. von Frankreich (diese Schrift, im Mscr. nach Paris übersandt, ist erst nach des Verfassers Tod gedruckt erschienen). Von einem Bündniß ist hier allerdings nicht die Rede; aber wir gewahren doch, daß Z. nie darauf verzichtet hat, auch in der Ferne verwandte Elemente bei seiner Sache festzuhalten oder für sie zu gewinnen. Beide Schriften sind, von verschiedenen Gesichtspunkten aus, Zusammenfassungen seiner Lehre und namentlich die erstere philosophisch bedeutend als das Bild seiner von einer höchsten Idee aus einheitlich sich entfaltenden Weltanschauung. Auch das haben sie gemein, daß der Verfasser wieder mehr als in den letzten Jahren seine humanistische Betrachtungsweise hervortreten läßt. Dadurch, namentlich in der Anschauung, daß auch die Frommen des Alterthums vom Heil nicht ausgeschlossen seien, hat er eine Seite hervorgekehrt, an der Luther schweren Anstoß nahm. Insofern manifestirt sich auch hier die confessionelle Sonderung und der Verzicht auf die Bündnißpolitik; denn durch dieses Beides fühlte sich Z. der Rücksichten entbunden, die er vorher dem Gegner getragen hatte; er tritt uns wieder ganz in seiner originellen Eigenart entgegen.

Eben diese letztere werden wir nun erst in ihrem ganzen Umfang kennen lernen, wenn wir uns noch einmal auf den schweizerischen Boden zurückwenden und Z. bei der abschließenden Wirksamkeit im Umkreis seiner eigensten Schöpfung folgen. (Die Hauptschriften über Zwingli’s Politik sind: Lenz, Zwingli und Landgraf Philipp, in der Zeitschr. f. Kirchengeschichte III. 1879, und Hermann Escher, Die Glaubensparteien in der Eidgenossenschaft, 1882.)

VII. Nachdem wir eingangs Zwingli’s Entwicklung bis Zürich und hierauf seinen reformatorischen Impuls in Zürich geschildert hatten, ließen wir die Durchführung der Reformation daselbst folgen. Wir sahen, daß das Werk im Frühjahr 1526 wesentlich abgeschlossen war. Dann wandten wir uns der nationalen und universalgeschichtlichen Entwicklung zu, indem wir jener bis 1529, dieser bis 1531 folgten. Erst so können wir den weiteren Fortgang, in Zürich seit 1526 und in der Eidgenossenschaft seit 1529, richtig würdigen. Wir nehmen also die abgebrochenen Fäden wieder auf.

[568] In ihrem grundlegenden Verlauf bis 1526 kann die Zürcher Reformation als das gemeinsame Werk des Reformators und des ganzen Volkes zu Stadt und Land betrachtet werden, sofern die Obrigkeit, dem schweren Druck von außen gegenüber, in den entscheidenden Momenten die Zustimmung der Zünfte und Gemeinden eingeholt und auch jedesmal erlangt hat. Mit 1526 hören diese Volksanfragen auf. Die eidgenössische Opposition verlor ihren compacten Charakter, und die Obrigkeit konnte an Zwingli’s Seite das Werk allein aus bauen.

Mit dieser Wendung hängt zunächst zusammen, daß das Kirchenregiment seit 1526 vollends den staatskirchlichen Charakter erhält. Wol hatte einst die Obrigkeit den ersten Beschluß, die schriftgemäße Predigt, auf Grund der ersten Disputation von sich aus gefaßt; aber weiterhin, bei den cultischen Reformen, hatte man es dann den Landgemeinden überlassen, mit Mehrheit zu beschließen, ob und wann sie sich dem Vorgang der Stadt anschließen wollen, und so das Recht der „Kirchhöre“ oder Gemeinde anerkannt. Jetzt war das überall und überraschend einhellig geschehen. Der Rath verfuhr also kürzer, ergänzte und revidirte ganz von sich aus und trieb die noch Zurückgebliebenen an, „sich ihm gleichförmig zu machen“, „seines Gefallens zu leben“, „ihm gehorsam zu sein“. Das Bezeichnendste ist, daß man die Priester, die noch immer nicht geheirathet hatten, dazu verhielt, binnen vierzehn Tagen ihre Haushälterinnen ehelich zu nehmen. Immer kehrt die Forderung auf „Gleichförmigkeit“ wieder, und zusehends befestigt sich die autoritative Stellung der Obrigkeit in Kirchensachen.

Aber nicht bloß das. Auch im Glauben selbst mußte auf Uebereinstimmung gedrungen werden. Die Reactionsversuche nach der Badener Disputation wirkten auf Zürich zurück. Es gab hier noch immer altgesinnte Elemente, und diese regten sich wieder. Hier ist es nun Z. selbst, der eifersüchtig wacht, daß am Sitz der Reformation kein Rückfall möglich sei. Gerade weil er sagen kann, im Gebiet von Zürich herrsche „wunderbare Uebereinstimmung“ im Evangelium, ist er nicht gewillt, in der Stadt eine geheime Opposition zu dulden; übrigens hatten die Landgemeinden ausdrücklich auf diese hingewiesen und ihre Abstellung gefordert. Es traf die gesammten Reactionsgelüste, in Sachen des Pensionenwesens wie des Glaubens, als Z. durch die Enthauptung des Rathsherrn Jacob Grebel ein Exempel statuiren ließ, October 1526. Aehnlichen Motiven entsprang später die Zurücksetzung der Constafel- oder Adelszunft auf die Berechtigung der gewöhnlichen Zünfte, März 1530. Auch der Täuferei wurde man satt. Damit man „in Zukunft wisse, wer getauft sei und nicht“, regte Z. die Führung von Ephemeriden oder Kirchenbüchern an (1526); einige der hartnäckigsten Täufer wurden ertränkt (seit 1527). Als die Schützen nach Straßburg fuhren, wurde ihnen eingeschärft, zur Predigt zu gehen und keine Messe zu hören (1527), und wie einen letzten Termin für alle „Widerspenstigen“ betrachtete man die Berner Disputation; man will ihnen „nicht mehr soviel zulassen“ und fordert sie auf, abzustehen oder in Bern ihre Sache zu „erobern“. Es wird also die Losung: „nach innen fest“ consequent befolgt. Einheit, „Gleichform des Glaubens“, ist das ständige Ziel.

Eng mit dem Glauben ist bei Z. die Sittenzucht verbunden. Das Thun des göttlichen Willens ist ihm der wahre Gottesdienst. Wie daher von Anfang an „nach Anleitung des göttlichen Wortes alles unordentliche Wesen verboten“ worden war, so sah man nach dieser Seite immer schärfer auf. Wittwen und Waisen werden geschützt, die Sonntagsfeier geboten, die Satzungen gegen die Pensionen verschärft, Ehebruch und Kuppelei verfolgt, Spiel und alle andere „Ueppigkeit“ abgethan. Immer dasselbe Bestreben, „in christliche Einigkeit zu kommen“.

[569] Diese ganze Richtung spiegelt sich in dem Institut, das seit 1526 die einzige wesentlich neue Einrichtung der zürcher Kirche geblieben ist, in der Synode. Die Geistlichkeit in erster Linie sollte nach der erkannten Norm gestaltet und danach jährlich zwei Mal bereinigt werden, wobei die Gemeinden ihre Klagen über die Pfarrer durch Abgeordnete geltend zu machen haben. Gleich der erste Beschluß (September 1527) verkündet, die Synode habe die Einhelligkeit im Glauben und die Ehrbarkeit des Wandels unter den Geistlichen zu fördern, und als dann mit Frühjahr 1528 die Synoden ins Leben traten, fügte Z. die Pflege der Sittenzucht in den Gemeinden und den Kampf gegen die Reste der Täuferei als weitere Aufgaben bei; auch nahm er in den Synodaleid die bezeichnende Bestimmung auf, es dürfe der einzelne Geistliche keine neuen Dogmen oder Lehren vortragen ohne vorherige Genehmigung der „gemeinen ordentlichen Versammlung der Prädicanten“.

Lehre und Zucht sind Z. die wichtigsten Anliegen geblieben bis ans Ende. In ersterer Hinsicht war und blieb die Prophezei oder tägliche gelehrte Schriftauslegung im Großmünster der anregende und wegleitende Mittelpunkt, sowol für Geistliche, die in Amt und Würden standen und zeitweise nach Zürich kamen oder befohlen wurden, als für Heranbildung eines tüchtigen Nachwuchses. Z. hat diesem Institut unermüdet seine beste Kraft gewidmet; erst nach seinem Tode wurde diese Professur (der Septuaginta) vom Pfarramt abgelöst und als eigner Lehrauftrag Theodor Bibliander übertragen. Aus der Prophezei ist auch, zugleich im Zusammenhang mit der confessionellen Sonderung, die Zürcher Bibel von 1531 hervorgegangen; zum Theil an Luther anlehnend, ist sie gerade in den schwierigeren Partien eigne Arbeit der Zürcher und die erste vollständige deutsche Bibel der Reformation überhaupt. Was die Sittenzucht betrifft, so ist sie in Zwingli’s letzten Jahren noch besonders scharf gehandhabt worden. Wie Zwingli’s Geist immer mehr den ernsten Schwung des Prophetischen annimmt, so verlangt alles Volk mit Vorliebe nach den prophetischen Schriften des Alten Testaments, die ihm sein Prediger „impetu sancti spiritus“ auszulegen anhebt. So ist der ethische Ernst, der die reformirte Kirche des 16. Jahrhunderts kennzeichnet, parallel dem confessionellen Abschluß zur intensiven Geltung gelangt. Wunderbar erschien den Zeitgenossen, wie nachher unter Gustav Adolf und Cromwell, die Mannszucht des reformirten Heeres im ersten Cappelerkrieg, im Gegensatz zu den indisciplinirten alten Söldnerscharen. Die Sittenmandate aller Art wurden immer zahlreicher und strenger; statt aller anderen lese man nur die „Christenlich Ansehung des gemeinen Kilchgangs“ vom März 1530 mit ihren scharfen Bestimmungen über Predigtbesuch, Ehewesen, Wirthshäuser, Spiel u. A. Zwar unterscheidet sich diese Sittenzucht noch wesentlich von der durch Calvin eingeführten; aber es legt sich uns doch die Frage nahe, ob Z., wenn er länger gelebt hätte, nicht auf ähnliche Wege wie Calvin gekommen wäre; so stramm erscheint schon unter ihm die Sittenzucht „zur Ehre Gottes“, und so deutlich weist die reformirte Art auch in diesem Stück auf ihn als ihren Begründer zurück.

Ist es Z. gelungen, in Zürich die Erneuerung ganz nach seinen Intentionen durchzuführen, so hat er sein schweizerisches Ziel nicht ganz erreicht. Die nationale Reformation ist ein Torso geblieben. Wie das gekommen ist, bleibt noch zu zeigen; wir müssen dazu auf den ersten Cappelerfrieden zurückgreifen.

Dieser Friede war, wie wir wissen, ein Compromiß, einerseits dem Evangelium günstig, andrerseits den vollen Sieg unterbindend. Beides tritt dann zu Tage, zuerst der Erfolg, so daß das Jahr 1530 eine weitere und starke Ausbreitung [570] der Reformation bringt; dann aber auch die verhängnißvolle Seite, sichtbar an dem Rückschlag und der Krisis von 1531.

Im Friedensschluß hatte man vor allem die Unterthanengebiete der Reformation eröffnet. Es ging jetzt auch mächtig vorwärts, namentlich in der Ostschweiz, wobei Zürich kräftig, zuweilen, wie gegenüber dem Kloster St. Gallen, gewaltthätig nachhalf. Auch andere Gebiete traten nun entschieden bei, so Glarus, oder ließen das beste hoffen, so sogar Solothurn. Als die Berner im Herbst 1530 Genf befreiten, sorgte Z. auch da für die Begründung des neuen Wesens; andere welsche Gebiete hatte unter bernischem Schutz Farel bereits gewonnen. Z. stand in der Schweiz sehr mächtig da, wie „der Bischof des ganzen Vaterlandes und das Auge des Herrn“, und von neuem wurde er auch durch Süddeutschland der maßgebende Mann. Eine reiche Wirksamkeit hatte er jetzt nach allen Seiten zu entfalten. In den neu gewonnenen Gebieten galt es zu organisiren; zu Frauenfeld, St. Gallen, Lichtensteig hat Z. Synoden begründet und geleitet. Weiter war er darauf bedacht, die schweizerischen Kirchen aller Gebiete unter sich in engeren Zusammenhang zu bringen. Dabei ist es von Interesse, wie er einerseits jenen Grundsatz der Glaubenseinheit weniger dehnbar faßt als in den deutschen Bündnißbestrebungen; er will, wie es die Verhandlungen über das Abendmahl, die Täuferei und den Bann im J. 1530 zeigen, in der engeren Sphäre seines Einflusses die innere Einheit strammer wahren. Anderseits schont er doch wieder weise die Eigenart der verschiedenen Kirchen in Hinsicht auf Organisation und „Cerimonien“. In dieser Zeit sind eine Reihe wichtiger Reformationsgesetze Zürichs auch in anderen Gebieten der Schweiz theils kurzweg eingeführt, theils zum Vorbild für eigne Statuten genommen worden.

Dieser Siegeslauf des Evangeliums, dem die späteren Bündnißverhandlungen zur Seite traten, regte die Spannung in der Eidgenossenschaft aufs neue an und rief der Gegenwirkung der V Orte. Es kam diesen jetzt die Halbheit des Cappelerfriedens zu statten; dieser Friede hat alle ferneren Verwicklungen, wie Z. gleich vorausgesagt hatte, in seinem Schoß getragen. Die Sieger hatten zugelassen, daß die Reformation an den Grenzen der V Orte Halt machen mußte, und auf die Unterdrückung der Pensionen und die freie Predigt in jenen Gebieten verzichtet. Es läßt sich freilich fragen, ob die Hoffnungen Zwingli’s auf das Volk der Innerschweiz überhaupt begründet waren; auch kann man darauf hinweisen, daß ja Zürich im eignen Gebiet auch ausschließlich verfuhr, oder finden, es wäre weise gewesen, sich mit dem ersten Cappelerfrieden zu begnügen. Aber für Z. stand die Ehre Gottes und seines Wortes, zusammen mit der Regeneration des ganzen Vaterlandes, über allem; es erschien ihm kurzweg als Christenpflicht, den „gefangenen Gewissen“ in der ganzen Eidgenossenschaft die Erlösung zu bringen. Von da aus kam er zu immer neuen Versuchen, daß Ziel doch noch zu erreichen. Anderseits knüpften die V Orte wieder mit Oesterreich an. So kam es, daß der Krieg bald wieder unvermeidlich schien, im Mai 1531. Aber jetzt kam Bern dazwischen. Sein Verhalten hat den ganzen weiteren Verlauf der Ereignisse wesentlich bestimmt.

Berns Geschichte trägt von Anfang an einen ausgeprägt politischen Charakter. Auch in der Reformationszeit hat die Stadt nie wie Zürich die politischen Interessen den religiösen untergeordnet, oder genauer gesprochen: für Bern fielen die beiderlei Interessen nicht so glücklich wie für Zürich zusammen. So kam es trotz des Zusammengehens auf Grund der Reformation doch zu verschiedenen Standpunkten. Sowie Zürich seine Propaganda in der Ostschweiz für seine politischen Zwecke benutzte, erwachten in Bern Bedenken und Eifersucht. Bern hat sich darum nie herbeigelassen, den dort durch Zürich geschaffenen Verhältnissen [571] die bundesrechtliche Anerkennung zu gewähren. Der verhängnißvolle Cappelerfriede ist gewissermaßen Berns Werk, sofern es den Entscheid durch die Waffen deswegen vereitelte, weil er voraussichtlich eine neue politische Stärkung Zürichs bedingt hätte. Dazu kommt die Ablenkung der Bernischen Interessen nach Westen, auf Erweiterung der Herrschaft nach dem Genfersee, und die Rückwirkung dieser Politik auf Berns eidgenössische Stellung. Ohnehin hatte die Obrigkeit von Bern ihre Unterthanen für die religiös-kirchlichen Ziele lange nicht so entschieden hinter sich wie die von Zürich die ihrigen. So beruhte der Bund von Zürich und Bern auf zu verschiedenen Zuständen und Interessen, als daß ein freudiges gemeinsames Handeln möglich war. Zwar in der Theorie wollte Bern bis kurz vor der Cappelerschlacht mit Zürich eins sein; aber immer kamen halbe Maßregeln heraus, und die Zürcher Gesandten klagen gelegentlich, „die Tapferkeit der Herren von Bern stimme nicht zu ihren süßen Tönen“. Sogar auf der Zürcher Landschaft empfand man die Störung: „wir haben die Berner nicht an der Hand, als wir meinen“. Dieser lähmende Einfluß theilte sich den andern Städten des christlichen Burgrechts mit, und selbstverständlich wirkte er auch auf die Entschlüsse Zürichs selbst zurück.

Unter jenen halben Maßregeln war die unglückseligste eine Proviantsperre gegen die V Orte. Dieses Mittel hatte man schon einmal mit Erfolg angewandt, als es galt, die Kriegskosten von den V Orten zu erzwingen. Aber was in Geldsachen den Dienst gethan, war in Glaubenssachen das verfehlteste Mittel. Die Sperre war recht dazu angethan, den Krieg, den sie vermeiden sollte, erst recht zu bringen. Z. verurtheilte die gehässige Maßregel aufs schärfste. Sie treffe die Unschuldigen, Weiber und Kinder, und statt den Feind zu schlagen, richte man es so ein, daß man von ihm geschlagen werde. Z. konnte das mit Grund prophezeien; denn Bern hatte an seine Hülfe im Kriegsfall die Bedingung geknüpft, daß Zürich der angegriffene Theil sei. Damit war Zürich zur Defensive verurtheilt. Während Z. in einem offensiven Vorstoß allen Erfolg sah, mußte man nun den V Orten „den Vorstreich lassen“. Daraus folgte dann das militärisch verfehlte Cordonsystem, die Zersplitterung der Streitkräfte an den Grenzen. Zu allem kam in Zürich selber eine seltsame Vertrauensseligkeit und Mangel an Ernst, sofern man an eine Kriegserklärung der Gegner doch nicht glaubte. So erfolgte diese wider Erwarten. Bern kam zu spät, und die Zürcher, ungenügend vorbereitet, handelten überstürzt und kopflos. Von ihren Bundesgenossen isolirt und selbst erst zum kleineren Theil gesammelt, wurden sie von vierfacher Uebermacht zu Cappel geschlagen, am 11. October 1531. Der „Vorstreich“ ist den V Orten geglückt.

In diesem Treffen ist Z. gefallen. Sein tragischer Ausgang, von ihm selbst geahnt und voraus verkündet, verdient eine besondere Darstellung, sowol aus persönlichen als aus historischen Gründen.

VII. Selten wird ein so wichtiger kriegerischer Entscheid durch so wenig Volk ausgefochten worden sein wie zu Cappel. Die äußeren Vorgänge der Schlacht sind nebensächlich, der ganze Verlauf auf zürcherischer Seite ein schlagender Beweis, wie im Krieg die ersten Fehler alle folgenden erzeugen und durch keine Tapferkeit mehr wett zu machen sind. Z., nach altem Brauch, und weil er beim Volk in besonderem Ansehen stand, zum Panner ausgenommen, stand während des Kampfes im dritten Glied. Das letzte, was wir von ihm vernehmen, ist der Zuspruch an die Seinen: „Sind mannlich und frölich, lieben Zürcher, müssend wir schon hie einen schweiß lyden, so werden wir doch vor Gott gesigen (oder: mit Gott blyben)“; Myconius gibt den ähnlichen Gedanken in der biblischen Fassung: den Leib können sie tödten, nicht aber die Seele. Durch Stich und Wurf verwundet, blieb er unter den Todten liegen. Als ihn [572] die Feinde fanden, sah er staunend gen Himmel. Sie forderten ihn auf, zu beichten oder doch Maria und die Heiligen anzurufen; zu beidem schüttelte er verneinend das Haupt. Ein Unterwaldner versetzte ihm zornig den Todesstreich. Am andern Morgen war ein wundergroß Zulaufen; jedermann wollte den Z. sehen. Unbeschreiblich war es, mit was für Schmachworten er von Vielen überschüttet wurde. Meister Hans Schönbrunner aber, der Pfarrer von Zug, konnte sich Weinens nicht enthalten und sprach: „Wie du auch Glaubens halber warest, so weiß ich, daß du ein redlicher Eidgenosse gewesen bist; Gott verzeihe dir deine Sünde“. Der rohe Haufe verlangte ein Kriegsgericht über den Leichnam: als Verräther der Eidgenossenschaft wird der todte Z. verviertheilt und als Ketzer zu Asche verbrannt.

So ist Z. gestorben als ein Held, tapfer wie im ganzen Leben. Wenn man es im Alterthum als eine Gunst der Götter ansah, auf der Höhe des Lebens eines ruhmwürdigen Todes zu sterben, so hat auch für Zwingli’s Andenken diese Treue im Tode, weil sie zum Herzen spricht, wol nachhaltiger gewirkt als ein weiteres Leben. Sie wird ihm unvergessen bleiben, so lange es eine reformirte Kirche, ja ein Gefühl für geschichtliche Größe gibt. Selbst daß so viel längere und sehr bedeutende Wirken eines Bullinger konnte Zwingli’s Stellung als des primären Trägers der schweizerischen Reformation nie mehr verdunkeln.

Man hat schon bestritten, daß Zwingli’s Tod die entscheidende Bedeutung der Katastrophe seines Reformationswerks zukomme, und hat diese in seinem „Urlaubsgesuch“ vom 26. Juli vorher gefunden. Damals schon sei sein Einfluß zusammengebrochen und er von da an ein politisch todter Mann gewesen. Beides ist gleich schief. Sein damaliges Auftreten vor dem Zürcher Rath ist kein Zeugniß der Schwäche, sondern, sammt dem Anerbieten seines Rücktritts, ein Act großer Energie, wodurch er die Seinen noch einmal aufgeweckt und zu neuer Entschiedenheit um sich gesammelt hat, und seine fernere Leitung Zürichs bis zur Krisis ist so gut bezeugt als nur möglich. Wol hat, wie begreiflich, die vermittelnde Politik der Burgrechtsstädte lähmend und verwirrend auch auf Zürich zurückgewirkt; aber zum Abfall von Z., zu einer zürcherischen Politik neben oder im Gegensatz zur seinen ist es nicht gekommen. Die Versuchung dazu war wol eine Zeitlang vorhanden; aber Z., der den klaren Blick nie verlor, hat sie zur rechten Zeit beschworen und ist der Steuermann geblieben bis zuletzt.

Die Schlacht von Cappel war für die Sache der Reformation ein schwerer Schlag. Beide Parteien haben ihren Empfindungen selbst in Liedern Ausdruck verliehen (v. Liliencron, Die histor. Volkslieder d. Deutschen, Nr. 427–33). Ferdinand von Oesterreich schrieb an den Kaiser, dies sei der erste große Erfolg, den alten Glauben wieder zu beleben. Immerhin blieb in Zürich selbst das Werk Zwingli’s intact. Der junge Heinrich Bullinger, an den schon Z. selbst für seine Nachfolge dachte, hat die Kirche durch die Erschütterung zu bleibendem Bestand, ja zu neuer schöner Blüthe hindurchgeführt. Das beste Zeugniß für Z. als religiösen Reformator ist es, daß bald nach der Schlacht und mitten unter Vorwürfen über die kriegerische Politik die Landschaft fest erklärte, es sei niemand des Gemüths, vom Gotteswort zu weichen.

Anders kam es in der übrigen Schweiz. Zwar auch hier blieben die Städte und die starke Mehrzahl der Bevölkerung reformirt; aber in den Vogteien erzwangen die V Orte doch vielfach die Rückkehr zum alten Glauben, das um so leichter, als die Freundschaft von Zürich und Bern auf Jahre hinaus gestört blieb. Dadurch erreichten sie namentlich das, daß Zürich sich wieder von katholischen Gebieten umgeben sah und die Hegemonie über eine beinahe ganz reformierte [573] Ostschweiz verlor. Noch wichtiger war es, daß das alte Bundesrecht mit seiner Herrschaft der Länder gerettet und die gesunde nationale Entwicklung für drei Jahrhunderte zurückgeworfen war; erst der Sonderbundskrieg von 1848 hat dem gerechteren Schweizerbund in Zwingli’s Sinn zum Sieg verholfen.

Den schwersten Schlag erlitt Zürichs Einfluß auf Süddeutschland. Zwar kam es doch noch zu jener von Z. geplanten Eroberung Württembergs, und es ist unter Bullinger eine wahre reformirte Mission mit schönen Erfolgen vom Elsaß bis nach Augsburg betrieben worden; aber auf die Länge hielten diese Beziehungen nicht nach, das Gewitter des Interims verdarb die keimende Saat, und schließlich stellte es sich doch heraus, daß der Entscheid von Cappel zu tief eingeschnitten hatte. Süddeutschland fiel dem Lutherthum anheim, und der Rhein bildete zwischen den beiden Reformationsgebieten wie politisch die Grenze. Nur in der Ferne, im westlichen Deutschland und am Rhein, blieben dem reformirten Wesen einzelne Gebiete erhalten, und seit Calvin’s Wirken traten neue bei. Zunächst war der Hauptgewinn England, um dessen Reformation sich Bullinger und Zürich ein großes Verdienst erworben haben, und mit England eröffnet sich der Ausblick in bedeutsame moderne Entwicklungen des religiös-kirchlichen Lebens.

Z. ist, dem Dogmatiker Calvin gegenüber, lange Zeit zurückgesetzt worden. Heute ist seine Bedeutung wieder mehr zur Geltung gelangt, als des andern primären Impulsgebers der Reformation neben Luther. Luther’s Größe bleibt deswegen unberührt. Seine Genialität vermissen wir bei Z. Aber auch seine Einseitigkeit: Z. vereinigt mit dem Religiösen das Humane, mit philosophischer und politischer Begabung gewaltige Thatkraft und praktisches Geschick in schöner Harmonie.

Es sind Z. die politischen Bestrebungen zum Vorwurf gemacht worden, sowol die Bündnißpolitik im Reich als die Kriegspolitik in der Schweiz. Aber Bündnisse haben seit Marburg Reformirte und Lutheraner gesucht und geschlossen; der Unterschied ist, wie ich nochmals erinnere, nur der, daß Zwingli’s Gesichtspunkt dabei ähnlich wie in Glaubenssachen der freiere und modernere, der Luther’s der ängstlichere und engere, darum aber nicht auch der religiösere, ist. Und was die Schweiz betrifft, so hat Z. allerdings den Krieg dem faulen Frieden vorgezogen. Sein Grundgedanke, bedingt durch die ihm eigene Vereinigung des religiösen und des vaterländischen Gefühls, ging dahin, daß die reformatorische Erneuerung wie keine andere eine nationale Sache, ihre Durchführung also im gesammten Vaterlande eine heilige Gewissenspflicht sei. Damit darf sich Z. vor dem Richterstuhl des historischen Urtheils sehen lassen trotz des tragischen Verhängnisses, das sich für seine Person an jenen Grundgedanken geknüpft hat. Es ist wahr, sein Einstehen für das Evangelium ist bis zum äußersten gegangen, bis zur Gefährdung des damaligen Schweizerbundes. Aber wenn er erklärt, das müsse er darum thun, weil ein Rückfall unter die Papstherrschaft für das Volk das größere Uebel wäre als selbst der Verlust der zeitlichen Freiheit, so bekennt er damit nur, daß es für ihn höhere Güter gab als selbst diese, die ihm so theuer war. Z. bleibt eine so hervorragende geschichtliche Erscheinung, daß man sein Urtheil über ihn wohl bedenken muß. Nicht zuletzt kommt in Betracht das Zeugniß eines so weisen Zeitgenossen wie Bullinger. Kurz nach der Schlacht, und mitten unter den Schatten, wie sie einen tragischen Ausgang stets begleiten, hat er eine feierliche Gedächtnißrede auf den Gefallenen gehalten und dabei seinen Eindruck in dem schlichten Urtheil zusammengefaßt: „Alles an diesem Manne war groß“. (Dieser Abschnitt beruht auf m. Schriften: Die Schlacht von Cappel, 1873, und Zwingli’s Tod nach seiner Bedeutung für Kirche und Vaterland, 1893.)

[574] Nach dem historischen sei noch das persönliche Bild Zwingli’s in den Hauptzügen gezeichnet.

Seine äußere Erscheinung kennen wir nicht so genau, als wir es wünschen möchten. Es ist nicht zu beweisen, daß sein Porträt bei seinen Lebzeiten festgehalten worden wäre; doch besitzt man eine Medaille des zeitgenössischen geschickten Medailleurs Jacob Stampfer von Zürich, welche das Profilbrustbild des Reformators mehr oder weniger authentisch wiedergibt, und auf welches zwei Holzschnitte und ein Oelgemälde des Zürcher Malers Hans Asper, vor der Mitte des 16. Jahrhunderts entstanden, zurückgehen werden (vgl. m. Aufsatz über Zwingli’s Bild, mit Lichtdruck der Medaille, in den Zwingliana 1897, Nr. 1). Beiläufige spärliche Aeußerungen von Zeitgenossen melden, Z. sei ein stattlicher Mann von starkem und gesundem Körperbau gewesen, „nach Leibesform ein’ schöne, tapfere Person, ziemlicher Länge, sein Antlitz freundlich und rothfarb“.

Geistig erscheint Z. allseitig reich begabt. Alle Seelenkräfte verbinden sich bei ihm zu schöner Harmonie. Die Freunde rühmen seinen klaren Verstand, seine Gelehrsamkeit, seine Gewandtheit im Disputiren. In geistigen und weltlichen Händeln war er klug, fürsichtig und rathschlägig, im Gespräch schlagfertig und witzig. Seine Willenskraft erfüllt sein ganzes Wirken. Die Glarner rühmten seine Tapferkeit an den Schlachten mit Rath und That; Bullinger lobt seine Selbstbeherrschung in Essen und Trinken, seinen ausdauernden Fleiß im Studium bei wohl geordneter Eintheilung der Zeit; Keßler erzählt von seinem Brauch, des Winters in ungeheizter Stube zu studiren, um sich den Schlaf fern zu halten; Butzer preist seine treue und bescheidene Art, seinen Ernst und seine Standhaftigkeit. Von allen Seiten wird seines freien und fröhlichen Gemüthes gedacht. Von angeborner Freundlichkeit war er leutselig und gesellig, füraus barmherzig und gegen Arme oft nur zu freigebig, ein Vater der Vertriebenen, deren er keinen ungetröstet von sich ließ. Sanguinischen Temperaments konnte er leicht aufbrausen; aber er trug nichts lange nach, „neidig und hässig“ war er nicht. Auch Rührung bis zu Thränen übernahm ihn etwa, im häuslichen Kreise und in großen Momenten seines öffentlichen Wirkens. Seine Erholung war die Musik; vieler Instrumente kundig, war er auf der Laute ein „verrühmter Meister“ und besaß ein bedeutendes Talent im Componiren. Poetische Begabung zeigen seine Lieder, die Pestlieder vor, in und nach der Krankheit, das Kappelerlied, einst weit und breit auch an Fürstenhöfen gesungen und geblasen. Alle diese Gaben entfalteten sich am schönsten in der Predigt. Durch und durch voll Leben, dabei einfach, ohne Wortgepränge und gut zu merken, im Strafen ernst und doch väterlich, im Trösten anmuthig und lieblich, wurde Z. von Jedermann gern gehört und seine Predigt in Zürich jeder andern vorgezogen. Alles in allem zeigt sich uns das Bild einer überaus tüchtigen und gewinnenden Persönlichkeit, und das Ebenmaß der Kräfte, das sein öffentliches Wirken verräth, spiegelt sich in den zerstreuten kleinen Zügen wieder, welche die Freunde aus dem täglichen Umgang überliefern. –

Hauptquellen: Zwingli’s Werke, Ausgabe von Schuler und Schultheß, die vita Zwinglii von Myconius und Bullinger’s Reformationsgeschichte. Dazu das amtliche Material, für Zürich in meiner Actensammlung zur Zürcher Reformationsgeschichte, für die Eidgenossenschaft in den Abschieden und der Actensammlung zur schweizerischen Reformationsgeschichte, diese beiden Werke bearbeitet von Johannes Strickler. – Erste umfassende Biographie von Mörikofer (2 Bände 1867 ff.). Dazu Baur, Zwingli’s Theologie (1885 ff.). Hauptwerk ist jetzt Stähelin, Zwingli (2 Bände 1895/97); hier und bei Finsler, Zwingli-Bibliographie (1897), die ganze weitere reiche [575] Litteratur. – Eine Neuausgabe der Werke Zwingli’s ist zu Zürich in Aussicht genommen. Im Anschluß an das hier entstandene Zwinglimuseum erscheinen zwei Mal jährlich die Zwingliana, Mittheilungen zur Geschichte Zwingli’s und der Reformation, redigirt vom Unterzeichneten.