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BLKÖ:Payer, Hieronymus

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Payer, Julius
Band: 21 (1870), ab Seite: 398. (Quelle)
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Payer, Hieronymus (Tonsetzer, geb. zu Meidling bei Wien 13. Februar 1787, gest. ebenda 17. August 1845). Sein Vater war Schullehrer in Meidling und von ihm erhielt der Sohn seit seinem fünften Jahre Unterricht im Gesange und auf der Violine. Sechs Jahre alt, begann er Clavier und Orgel zu spielen, und später erlernte er einige Blasinstrumente. Die ärmlichen Verhältnisse im Elternhause wiesen den Knaben bald auf eigenen Erwerb, und kaum zehn Jahre alt, begann er schon Geld zu verdienen, indem er in Wirthshäusern zum Tanze aufspielte. Bald konnte er sich die Kleidung selbst kaufen und auch half ihm sein Verdienst, sich die theoretischen Werke von Albrechtsberger, Kirnberger, Mathisson und Andern anzuschaffen, die er nun mit großem Eifer studirte. Später eröffnete sich ihm als Clavierstimmer, namentlich bei Badegästen, die den Sommer über in Meidling zubrachten, eine neue Erwerbsquelle. Bei solchen Gelegenheiten bekam er hie und da neuere Tonwerke von Beethoven, Eberl, Gelinek, Hummel und Anderen zu hören; auch entlehnte er [399] von seinen Schülerinen die neuesten Claviercompositionen, die er dann zu Hause abschrieb und in der Art, wie er sie spielen gehört, nachzuspielen versuchte. Dann versuchte er damals schon ein und das andere Thema zu variiren und gelangte bei angebornem Talente und bei seiner, durch eigenes Studium gewonnenen Kenntniß in allen Gattungen des Contrapunctes, zu einer seltenen Leichtigkeit im Phantasiren. Da die Orgel der Meidlinger Kirche kein Pedal hatte, so besuchte er andere Chöre, besah die Pedale und schnitzte sich zu Hause nach den gesehenen Pedalen selbst alle Fußtöne aus, reihte sie nach der Ordnung unter das Clavier und tappte darauf so lange herum, bis seine Füße die nöthige Fertigkeit hatten; dann spielte er mit aller Zuversicht auf einer und der anderen Orgel. So hatte er – den Unterricht, den ihm sein Vater ertheilt hatte, ausgenommen – Alles aus Eigenem erlernt. Talent, großer Fleiß, rastloses Studiren tüchtiger Lehrbücher hatten ihn ohne fremde Anleitung zu einem sehr geschickten Musicus ausgebildet. Seit 1800, als er 13 Jahre alt war, verwendete ihn der Vater im Schuldienste, und als drei Jahre später sein Vater starb, übernahm er, damals 16 Jahre alt, die Meidlinger Schule, bei der er durch 13 volle Jahre, bis 1816, in Wirksamkeit blieb und den Lebensunterhalt seiner Mutter und vier Schwestern bestritt. Die Muße seines Lehramtes widmete er der Musik und vervollkommnete sich so, daß er ein vortrefflicher Organist, Pianist und Compositeur wurde. Auch fungirte er – seit 1806 bei dem im Meidlinger Badehause neuerbauten Sommertheater – als Capellmeister und componirte zu jener Zeit mehrere Operetten, wie: „Der wilde Jäger“, „Der hohle Baum“ und „Das Sternenmädchen“. Im Jahre 1815 trat er zum ersten Male öffentlich in einem Concerte im k. k. Redoutensaale auf, zum zweiten Male im Theater an der Wien; im Jahre 1816 gab er im kleinen Redoutensaale sein erstes Concert, in welchem er nur eigene Compositionen spielte. Er gab dasselbe noch als Schullehrer; als aber im nämlichen Jahre seine Mutter starb und seine Schwestern heiratheten, gab er den anstrengenden und wenig einträglichen Schuldienst auf und widmete sich ausschließlich der Musik. Er ging nun nach Wien, gab dort Unterricht im Pianospiel, verwerthete seine bald beliebt gewordenen Compositionen und erwarb sich durch Heranbildung einiger Schülerinen, wie Josephine Keil [Bd. XI, S. 134 in den Qu.] und Leopoldine Blahetka [Bd. I, S. 421], als Pianofortelehrer bald einen ausgezeichneten Ruf, der durch eine im Jahre 1818 unternommene Kunstreise nach Norddeutschland nur eine festere Begründung erhielt. Im Jahre 1824 folgte er einem Rufe als Capellmeister nach Amsterdam, wo er zwei seiner Opern, aber ohne nachhaltigen Erfolg, zur Aufführung brachte und nur ein halbes Jahr verblieb. Von Amsterdam aber ging er nach Paris, wo er acht Jahre als gesuchter Clavier- und Gesangslehrer zubrachte, im letzten Jahre die daselbst entstandene deutsche Oper dirigirte und im Theàtre Odeon zwei seiner Opern dargestellt wurden. Im Jahre 1832 kehrte er nach Wien zurück, übernahm daselbst die Capellmeisterstelle bei der neuerrichteten Oper im k. k. priv. Theater in der Josephstadt, die er jedoch übergroßer Anstrengung halber schon in drei Vierteljahren niederlegte und sich nun ausschließlich mit dem Musikunterrichte beschäftigte. Von einem Schlaganfalle, der ihn im Jahre 1838 zum [400] ersten Male heimgesucht, wurde er durch die sorgsame Pflege seiner Schwester so weit hergestellt, daß er seinen Broterwerb, das Unterrichtertheilen in der Musik, wieder aufnehmen konnte, jedoch mußten seine Schüler jetzt zu ihm in die Wohnung kommen; als ihm aber in den letzten Jahren widerholte Schlaganfälle alle Kraft zum Erwerbe raubten, versank er, da er in seinen besseren Tagen nicht zu sparen verstanden hatte, in große Dürftigkeit und lebte nur mehr von der Unterstützung seiner Jugendfreunde, bis ihn im Alter von 58 Jahren der Tod von seinen Leiden erlöste. P. liegt auf dem Meidlinger Friedhofe begraben. Als Compositeur war P. ungemein fruchtbar, die Zahl seiner Compositionen ist Legion und darunter befinden sich große Tonstücke, wie Opern, Messen, Concerte u. dgl. m.; die der gedruckt erschienenen erhebt sich über anderthalb Hundert. Nach den verschiedenen Gattungen abgetheilt, sind P.’s Compositionen im dramatischen Fache sechs komische deutsche Operetten: „Der wilde Jäger“; – „Der hohle Baum“; „Das Sternenmädchen“; – „Die musikalische Akademie“; – „Die Trauer“; – „Die Einsame“; drei romantische Opern: „Hochlands Fürsten“, in 4 Acten, für Amsterdam; – „La Folle de Glaris“, in 2 Acten, und „La croix de feu“, in 3 Acten, beide für das Theater Odeon in Paris; und ein deutsches Vaudeville: „Coco“, in 3 Acten, für das Theater in der Josephstadt; im Kirchenfache: 2 große Messen, 2 kleine Landmessen. 1 vier- und 1 dreistimmige Messe mit Orgelbegleitung für die Charwoche, mehrere Graduale, Motetten, „Tantum ergo“ u. s. w.; im Militärmusikfache: eine unzählbare Menge von Marschen, Rondo’s, Ouverturen, Variationen[WS 1], Walzern, Ecossaissen u. s. w. für Harmonie sowohl als für die ganze sogenannte „türkische Musik“. Hinsichtlich dieser Compositionen ist zu bemerken, daß P., der in dieser Richtung an 13 Jahre unentgeltlich thätig war, viel zu dem hohen Standpuncte beigetragen hat, auf welchen sich eben zu seiner Zeit die österreichische Militärmusik emporgeschwungen, er hatte ebenso wohl eine neue Instrumentirung eingeführt, als auch seine Compositionen ganz dem Geiste dieses Genre’s angepaßt; an Kammer- und anderen Compositionen: 3 Concerte für das Pianoforte; 1 Trio für Piano, Alto und Cello; 1 Quintett für Piano, Flöte, Viola, Alto und Cello; 1 Octett für Piano, Violon, Flöte, Alto, Cello, Basso und 2 Corni; 2 Gelegenheitscantaten; mehrere Fugen für 2 und 4 Violinen; eine Masse von Walzern, Menuets und sonstigen Tänzen für alle Tanzsäle Wiens; mehrere Serenaden für 1 Flöte und Guitarre concertant; andere für Mandoline und Guitarre; 10 Sonaten für das Piano allein; 1 für Piano und Flöte; viele Stücke für die Physharmonika; 60 Uebungen für die rechte und linke Hand für etwas vorgerückte Clavierspieler; 6 leichte Fugen für Orgel oder für Piano; 12 Valses de bravour dans tous les tons majeurs p. le Piano; Variations brill. p. le Piano sur la „Marsellaise“, deren über einzelne Themen aus „Wilhelm Tell“, „Robert der Teufel“, „La Straniera“, über die Barcarole aus „Oberon“, den Chor aus „Euryanthe“, über die Romanze aus „Zampa“ und über Weber’s „La dernière pensée“; Rondeau mignon pour le Pianoforte sur la Valse des démons de l’opéra „Robert le Diable“; Rondeau brillant pour le Piano; Duo pour deux Pianos; Concert au C-moll [401] pour le Piano et Orchestre; Souvenir de Paris; Potpourri pour l’Orchestre sur les airs favorits de „Robert le Diable“; 6 Exercices pour les Pianistes du prémier ordre; 3 Duo concert. pour deux flûtes; Trio élégante pour Piano, Violon et Cor ou Cello; Quintuor pour le Piano, Flûte, Clarinette, Basson et Cor; Variations concertants pour Piano, Physharmonica et Cello; Variationen über das beliebte Buchstaben-Thema C-A-F-F-E-E zur Feier des 200jährigen Jubiläums der Einführung des Kaffee’s in Europa (1644), dieses, wie es scheint, letzte im Drucke erschienene Opus Payer’s trägt die Zahl 159; Festouverture für’s Orchester; Arrangements der Opern: „Zauberflöte“ für Piano auf 12 Hände, „Fidelio“ für 8 Hände, „jeune Henri“ für 16 Hände, der Ouverture zu „Egmont“ für 8 Hände; Introduction für 3 Flöten; 4händige Fugen für Piano oder Orgel. Mehreres, darunter ein Offertorium aus dem Jahre 1834, eine Messe aus dem Jahre 1838, einige Variationen und Sonaten, und eine vollkommen ausgearbeitete Compositionslehre fanden sich in seinem Nachlasse. Noch ist zu bemerken, daß Payer die von Häckel[WS 2] in Wien im Jahre 1821 erfundene Physharmonika der Erste öffentlich – im October g. J. – spielte und für dieses Instrument, damals noch im Umfange von nur 3 Octaven, die ersten Compositionen schrieb. Im April des folgenden Jahres wurde die Physharmonika schon in seiner Operette:, „Die musikalische Akademie“ auf die Bühne gebracht und damals von Fräulein Fröhlich gespielt. Dr. August Schmidt, der mit P. befreundet war und von ihm mehrere Original-Compositionen und Räthsel-Canons in Handschrift aufbewahrt, entwirft von P. folgende Silhouette[WS 3]: P. war von kleiner, sehr gedrungener Gestalt. Sein dicker, von weißen Haaren dicht beschatteter Kopf saß tief in den breiten Schultern. Sein Gesicht war rund und voll, und die Gesundheit blühte auf seinen Wangen, die beinahe immer ein freundliches Lächeln umspielte. Die Züge waren ausdrucksvoll und gewannen im lebhafteren Gespräche einen Abglanz von geistiger Belebung. Sein Gang war selbst im gesunden Zustande etwas vorhängig und gebeugt. Seine ganze persönliche Erscheinung imponirte wenig, doch hatte sie auch durchaus nichts Abstoßendes. Seine Ausdrucksweise im gewöhnlichen Gespräche war leicht und ungezwungen; er sprach im eigentlichen Wiener Jargon, beim Unterrichte jedoch oder wenn er über Kunst perorirte, erhob sich seine Sprache oft bis zur rhetorischen Höhe. Ueber Payer den Musicus aber fällt ein Fachmann folgendes Urtheil: „Als Fortepiano-Virtuose gehört er zu den eminentesten Spielern seiner Zeit, und wurde Moscheles, Kalkbrenner, Ries und Hummel würdig an die Seite gesetzt; sein Vortrag war gediegen und sein Spiel, obwohl ernst und würdig, entbehrte nie der Folie einer gewissen genialen Leichtigkeit; als Orgelspieler aber hatte er in Wien keinen seines Gleichen. Als Compositeur gehört er der Mode, der Salonwelt an, und daher kam es, daß er, obgleich äußerst fruchtbar und seiner Zeit sehr beliebt, doch so bald vergessen ward. Als Lehrer aber war er ein Meister, denn seine Basis war die Empirik, die er als Autodidact an sich selbst erprobt hat. Als Mensch war er eine echte Künstlernatur: gefällig, guten Herzens, voll der erregbarsten Phantasie und Freund der ganzen Welt, Feind aller Gedanken an die Zukunft." Auch muß schließlich – zur [402] Vermeidung von Verwechslungen und irrigen Angaben – nicht unerwähnt bleiben, daß der hie und da in musikalischen Katalogen, Werken und Zeitschriften erwähnte J. Payer niemand anderer ist, als unser Hieronymus Payer, der sich auf seinen mit französischen Titeln herausgegebenen Tonstücken Jerome Payer zu nennen pflegte, woraus bei der üblichen Abkürzung des Taufnamens J. Payer, welches aber auch Jean oder Joseph P. bedeuten kann, entstanden ist.

Allgemeine Wiener Musik-Zeitung. Herausg. von Dr. August Schmidt (4°.) VI. Jahrg. (1846), Nr. 5 u. 6: „Hieronymus Payer“, von Groß-Athanasius; – und dieselbe, S. 384: „Payer’s Nachlaß“. – Schmidt (August Dr.), Denksteine, Biographien von Ign. Ritt. v. Seyfried u. s. w. (Wien 1848, Mechitar. Congr., 4°.) S. 95. – Gaßner (F. S. Dr.), Universal-Lexikon der Tonkunst. Neue Handausgabe in einem Bande (Stuttgart 1849, Frz. Köhler, Lex. 8°.) S. 679. – Neues Universal-Lexikon der Tonkunst. Angefangen von Dr. Jul. Schladebach, fortgesetzt von Ed. Bernsdorf (Dresden 1856, Rob. Schäfer, gr. 8°.) Bd. III, S. 149. – Meyer (J.), Das große Conversations-Lexikon für die gebildeten Stände (Hildburghausen, Bibliograph. Institut, gr. 8°.) Zweite Abthlg. Bd. II, S. 1061 [dieses und das vorige Werk mit der unrichtigen Angabe, daß Payer gegen das Ende des Jahres 1846 zu Wien gestorben sei]. – Frankl (Ludwig August), Sonntagsblätter (Wien, gr. 8°.) III. Jahrgang (1844), S. 1091. – Schilling’s Universal-Lexikon der Tonkunst, Bd. V, S. 406. – Porträt. Unterschrift. Facsimile des Namenszuges: Hier. Payer. Stadler 1846 (lith.). Gedruckt bei J. Höfelich (Wien, 4°.), auch in Schmidt’s „Denksteinen“.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Vaiationen.
  2. Vorlage: Härkel.
  3. Vorlage: Silhuette.