Das Deutsche Volk in seinen sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen

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Autor: Friedrich Zahn
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Titel: Das Deutsche Volk in seinen sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen
Untertitel:
aus: Handbuch der Politik Zweiter Band: Die Aufgaben der Politik, Neuntes Hauptstück: Allgemeine Wirtschaftsfragen, 43. Abschnitt, S. 175−215
Herausgeber: Paul Laban, Adolf Wach, Adolf Wagner, Georg Jellinek, Karl Lamprecht, Franz von Liszt, Georg von Schanz, Fritz Berolzheimer
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Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Dr. Walther Rothschild
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Erscheinungsort: Berlin und Leipzig
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[175]
Neuntes Hauptstück.


Allgemeine Wirtschaftsfragen.




43. Abschnitt.


a) Das Deutsche Volk in seinen sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen.
Von
Ministerialrat Dr. Friedrich Zahn,
Direktor des Kgl. Bayerischen Statistischen Landesamts und Universitätsprofessor in München.


Literatur:[Bearbeiten]

Friedrich Zahn, Die Volkszählung im Deutschen Reich, Bd. 150 der Statistik des Deutschen Reichs. –
Ders., Deutschlands wirtschaftliche Entwicklung mit besonderer Berücksichtigung der Volkszählung 1905 und der Berufs- und Betriebszählung 1907. Annalen des Deutschen Reichs 1910 und 1911 (auch als Sonderabdruck erschienen München 1911). –
Ders., Haushaltsstatistik und Heiratsstatistik. Handwörterbuch der Staatswissenschaften. 3. Aufl. Jena 1910. –
Ders., Die Frau im Erwerbsleben der Hauptkulturstaaten. Allgem. Statistisches Archiv Bd. VII. Tübingen 1914. –
Ders., Verbreitung der Deutschen im Ausland. Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1905. Berlin 1906 S. 894 fg. –
Robert Höniger, Das Deutschtum in Übersee. Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1910. Berlin 1911 S. 1088 fg. –
Ders., Das Deutschtum im Ausland. Hermann Müller-Bohn’s Werk „des Deutschen Vaterland“, Stuttgart 1912. –
Arthur Dix, Materialien zur internationalen Wanderungsbewegung. Weltwirtschaftliches Archiv 1913. –
Rudolf Goldscheid, Höherentwicklung und Menschenökonomie. Grundlegung der Sozialbiologie. Leipzig 1911. –
Anton von Vogl, Die Sterblichkeit der Säuglinge in ihrem territorialen Verhalten in Württemberg, Bayern, Österreich und die Wehrfähigkeit der Jugend. München 1910. –
Ders., Die Armee, die schulentlassene Jugend und der Staat. München 1911. –
J. von Schjerning, Sanitätsstatistische Betrachtungen über Volk und Heer. Berlin 1910. –
Max Sering, Die Verteilung des Grundbesitzes und die Abwanderung vom Lande. Berlin 1910. –
Wilhelm Stieda, Ausländische Arbeiter in Deutschland. Zeitschrift für Agrarpolitik 1911 Nr. 9. –
Reichsarbeitsblatt 1913. –
Die deutsche Ostmark. Lissa 1913. –
Waldemar Mitscherlich, Die Ausbreitung der Polen in Preussen. Leipzig 1913. –
Otto Most, Die deutsche Stadt und ihre Verwaltung. Berlin 1912. –
Ders., Bevölkerungswissenschaft. Sammlung Göschen 1913. –
Arthur Steinhart, Gebürtigkeit der deutschen Grossstadtbevölkerung. Berlin 1912. –
Siegmund Schott, Die grossstädtischen Agglomerationen 1871–1910. Breslau 1912. –
Otto Landsberg, Eingemeindungsfragen. Breslau 1912. –
Julius Pierstorff, Der moderne Mittelstand. Leipzig 1911. –
G. Schmoller, Über Wesen und Verfassung der grossen Unternehmungen. Sozial- und Gewerbepolitik der Gegenwart 1890 S. 391 fg. –
Wilhelm Böhmert, Das Berufsschicksal der Arbeiter und Angestellten nach Überschreitung des 40. Lebensjahrs. Der Arbeiterfreund 1913 S. 233 fg. –
Wilhelm Schallmayer, Soziale Massnahmen zur Besserung der Fortpflanzungsauslese.

[176]

Handbuch von Mosse und Tugendreich über „Krankheit und Soziale Lage“. München 1913. –
F. Zahn und Jos. Kleindinst, Bekämpfung der sozialen Krankheitsursachen durch den Staat. Ebenda München 1913. –
Karl Kindermann, Die Führer im modernen Völkerleben. Stuttgart 1910. –
Friedrich Naumann, Neudeutsche Wirtschaftspolitik. 3. Aufl. Berlin 1911. –
Andrew Carnegie, Kapital und Arbeit. Leipzig 1012. –
Statistik des deutschen Reichs Bd. 211 (Berufsstatistik 1907). –
Reichs-Arbeitsblatt 1913 mit den Artikeln: Gliederung der deutschen Lohnarbeiterschaft. Die Angestellten in Deutschland. Die ausländischen Wanderarbeiter in Deutschland.

Inhalt:[Bearbeiten]

Einleitung. – I. Wachstum des Deutschen Volkes. – II. Das Deutschtum im Ausland. – III. Binnenwanderungen in Deutschland. – IV. Grössere Binnenmischung unseres Volkes nach Geschlecht, Alter, Familienstand, Haushaltung, Muttersprache, Staatsangehörigkeit, Religion. – V. Änderungen im beruflichen Aufbau des Volkes. – VI. Soziale Umschichtung des Volkes. – Schluss.

Einleitung.[Bearbeiten]

Ausgangspunkt und Ziel der Politik ist das Volk.

Ausgangspunkt ist es insofern, als die Politik bedingt wird und abhängig ist von der Beschaffenheit des Volkes. Das Niveau, die Art, die Intensität der Politik, insbesondere der Wirtschaftspolitik, wird von der Grösse, der natürlichen, sozialen und beruflichen Gliederung des Volkes entscheidend beeinflusst. Nach der quantitativen Höhe und qualitativen Reife der Bevölkerung bemisst sich ganz wesentlich der Erfolg der Politik.

Aber die Politik hat auch die Bevölkerung zum Ziel. Ist doch das kostbarste Gut eines Volkes die Volkskraft, das Volk selbst. Es ist das organische Nationalkapital, das in weitem Umfang Mutterboden der Kultur und der wirtschaftlichen Produktivität darstellt. Die Kräfte des Volkes müssen – nach Art andrer wertvoller Kapitalien – daher von der Politik so gebraucht werden, dass hierbei Entwicklungswerte geschaffen werden, ohne dass das Volk selbst in seinem inneren, in seinem Kapitalwert beeinträchtigt wird. Nur ein Volk mit den besternährten, organisch gepflegten Individuen entfaltet auch die höchste wirtschaftliche Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit, die grösste Reproduktivkraft. Die Politik muss daher letzten Endes organisches Kapitalisieren sein, sie muss darauf abzielen, unser organisches Kapital nach Quantität und Qualität zu erhalten und zu fördern, um so die grösstmögliche Vollendung des Einzelnen und der ganzen Nation herbeizuführen.

Gleichwie die beste Theorie unentbehrlich für die beste Praxis, so erscheint die Kenntnis von unserem Volk in seiner natürlichen, sozialen und beruflichen Gliederung und seinen Entwicklungstendenzen notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche wirtschaftliche und soziale Politik, für die Politik überhaupt.

I. Wachstum des Deutschen Volkes.[Bearbeiten]

Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 wurden im Deutschen Reich auf einer Fläche von 540 857,62 qkm 64,9 Millionen Einwohner gezählt, die bis Mitte 1913 sich auf 67 Millionen vermehrt haben. Eine grössere Bevölkerung als Deutschland haben von den wichtigeren Kulturstaaten die Vereinigten Staaten von Amerika mit 92,0 Millionen nach dem Zensus von 1910 und Russland mit 168 Millionen anfangs 1911. Die übrigen Länder folgen erst in weitem Abstand hinter Deutschland, obschon ihre räumliche Ausdehnung der deutschen zum Teil ziemlich nahe kommt beziehungsweise sie noch übertrifft. Zieht man die Bevölkerung der deutschen Schutzgebiete mit heran, die auf 12,9 Millionen zu veranschlagen ist, so ergibt sich als Gesamtzahl aller Angehörigen des Deutschen Reichs mit Einschluss der Kolonien rund 80 Millionen. Damit erreicht Deutschland freilich bei weitem noch nicht die Bevölkerungszahl, über die das grosse Britische Reich (420 Millionen), Frankreich mit seinen Kolonien (92 Millionen), die Vereinigten Staaten von Amerika (102 Millionen), das europäische und asiatische Russland (171 Millionen) und China (438 Millionen) verfügen.

[177] Die jetzige Ziffer des Deutschen Volkes ist das Ergebnis eines stetigen Wachstums, dessen sich die deutsche Bevölkerung erfreut. Besonders erheblich ist dieser Zuwachs seit 1885:

      Einwohner       Zuwachs von Jahrfünft zu Jahrfünft
absolut       Prozent
1885 46 857 704
1890 49 428 470 2 570 766 5,49
1895 52 279 901 2 851 431 5,77
1900 56 367 178 4 087 277 7,82
1905 60 641 489 4 274 311 7,58
1910 64 925 993 4 284 504 7,07

An dieser Entwicklung sind die einzelnen Bundesstaaten und Reichsgebietsteile nicht gleichmässig beteiligt. Besonders rasch und gross war das Wachstum der Bevölkerung rings um Berlin, dann in der Provinz Westfalen, im Rheinland, in Hessen-Nassau, ferner im Königreich Sachsen und in den Stadtstaaten der Hansastädte, langsamer und geringer war das Wachstum in den süddeutschen Staaten und insbesondere in den ostelbischen Provinzen Preussens:

Bevölkerungswachstum seit der Reichsgründung:
Einwohnerzahl Zunahme seit 1871
1871 1910 absolut %
Stadt Berlin 826 341 2 071 257 1 244 916 150,6
Prov. Brandenburg 2 036 844 4 092 616 2 055 772 100,9
Prov. Westfalen 1 775 175 4 125 096 2 349 921 132,4
Prov. Rheinland 3 579 347 7 121 140 3 541 793 98,9
Prov. Hessen-Nassau 1 400 370 2 221 021 820 651 58,6
Kgr. Sachsen 2 556 244 4 806 661 2 250 417 88,0
Bremen 122 402 299 526 177 124 144,7
Hamburg 338 974 1 014 664 675 690 199,3
 
Prov. Ostpreussen 1 822 934 2 064 175 241 241 13,2
Prov. Westpreussen 1 314 611 1 703 474 388 863 29,5
Prov. Pommern 1 431 796 1 716 921 285 125 19,9
Bayern 4 863 450 6 887 291 2 023 841 41,6
Württemberg 1 818 539 2 437 574 619 035 34,0
Baden 1 461 562 2 142 833 681 271 46,6
Elsass-Lothringen 1 549 738 1 874 014 324 276 20,9
Mecklenburg-Schwerin 557 707 639 958 82 251 14,7

So verschieden die Entwicklung in den einzelnen Teilen des Reiches vor sich geht, so darf die Entwicklung des Volkes als Ganzes doch als günstig bezeichnet werden. Beruht sie ja auf eigener Kraft ohne nennenswerte Beihilfe fremdländischer zugewanderter Elemente.

Aus welchen Faktoren setzt sich doch unser Bevölkerungswachstum zusammen? Es kommen in Betracht ziemlich grosse Geburtenhäufigkeit, eine mittlere Sterbehäufigkeit und endlich eine verschwindend geringe Auswanderung, der eine noch kleinere Einwanderung gegenübersteht. So kommt es, dass wir über einen starken natürlichen Zuwachs verfügen, der in den Jahrfünften 1895–1900 und 1900–1905 zugunsten unserer tatsächlichen Zunahme sogar noch durch einen kleinen Wanderungsgewinn erhöht wurde; in den anderen Jahren der Neuzeit erfolgte zwar ein Wanderungsverlust, aber nur ein sehr unerheblicher.

Was die erwähnten Faktoren im einzelnen betrifft, so beläuft sich die Zahl der Geburten jährlich auf rund 2 Millionen (in Frankreich 770 000). Diese Zahl ist im vergangenen Jahrzehnt sowohl absolut wie relativ, d. i. im Vergleich zur Bevölkerung, zurückgegangen – eine Erscheinung, die sich auch in anderen Kulturstaaten zeigt:

[178]

Zahl der Geborenen (einschl. Totgeborene)
      überhaupt       berechnet auf 1000 der Bevölkerung
1880 1 764 096 39,1
1890 1 820 264 37,0
1900 2 060 657 36,8
1905 2 048 453 34,0
1910 1 982 836 30,7
1911 1 927 039 29,5
1912 1 925 883 29,1

Dieser Geburtenrückgang, auf den ich in einem besonderen Artikel (Abschnitt 43 b.) näher eingehe, ist, wie Rudolf Goldscheid treffend bemerkt, „die notwendige Resultante im Parallelogramm der gesamten historischen Kräfte.“ Als solche wirken hier mit: grössere Langlebigkeit, späteres Heiratsalter und längere Ausbildungszeit in den höheren Gesellschaftsklassen, Steigerung der Lebensansprüche, Kampf um Reichtum und Wissen, Ausbreitung des weiblichen ausserhäuslichen Erwerbs, Anwachsen der städtischen, unter teueren Wohnungs- und Lebensverhältnissen leidenden Bevölkerung, grösseres Verantwortungsgefühl in bezug auf Aufzucht der in die Welt gesetzten Kinder auch bei der Arbeiterschaft. Ebenso sind geburtenhemmend: Kinderschutz, Schulzwang und allgemeine Militärpflicht, sie haben zur Folge, dass das Kind länger als früher ein unproduktiver und kürzer als zuvor ein produktiver Faktor ist. Nebenher mögen auch, zum Teil im Zusammenhang mit den erwähnten wirtschaftlichen Ursachen, eine Reihe sozialpathologischer Momente (Zunahme der prophylaktischen Aborten, Geschlechtskrankheiten, Nervosität usw.) in Betracht kommen.

Die sinkenden Geburtenziffern, die übrigens noch keineswegs das Zweikindersystem in Deutschland deklarieren, können einstweilen noch nicht als Degenerationssymptome gelten. Die geringere Natalität wird stark überkompensiert von der höheren Lebenskraft und Lebensdauer der geborenen Bevölkerung, die sich vor allem in der zurückgehenden Sterbehäufigkeit äussert.

Die Sterbeverhältnisse haben sich gerade in den letzten Jahrzehnten sehr erfreulich verbessert. Die Zahl der Gestorbenen betrug 1912 1,086 Millionen – eine Zahl, die schon absolut niedriger ist als in früheren Jahren, wo beispielsweise im Jahre 1900 bei einer kleineren Volksziffer 1,3 Millionen starben. Besonders deutlich erhellt aber die Verbesserung der Sterbeverhältnisse aus der relativen Zahl: 1912 betrug die Sterbeziffer 16,4 vom Tausend der Bevölkerung, 1900 dagegen noch 23,2‰, 1890 25,6‰, 1880 27,5‰! Das Jahr 1911 mit 1,19 Millionen Gestorbenen oder 18,2‰ kann wegen seines anormalen Charakters (grosse Sommerhitze) zum Vergleich nicht gut herangezogen werden.

Diese Verbesserungen der Sterbeverhältnisse bedeuten – positiv ausgedrückt – eine längere Erhaltung der Lebenskraft, eine Verlängerung der Lebensdauer.

Es ist die mittlere Lebensdauer (d. i. die Zahl der Jahre, die durchschnittlich von jedem Mitglied einer Generation unter den obwaltenden Sterbeverhältnissen durchlebt werden) in den Jahrzehnten 1871/80 bis 1901/10 beim männlichen Geschlecht von 35,58 auf 44,82 Jahre oder um 25,97%, beim weiblichen von 38,45 auf 48,33 oder um 25,70% gestiegen:

Mittlere Lebensdauer
1871/80 1881/90 1891/1900 1901/10
männliches Geschlecht 35,58 Jahre 37,17 Jahre 40,56 Jahre 44,82 Jahre
weibliches Geschlecht 38,45 Jahre 40,25 Jahre 43,97 Jahre 48,33 Jahre
Mithin Zunahme
1871/80–1881/90 1881/90–1891/1900 1891/1900–1901/10 1871/80–1901/10
männliches Geschlecht 1,59 Jahre 3,39 Jahre 4,20 Jahre 9,24 Jahre = 25,97%
weibliches Geschlecht 1,80 Jahre 3,72 Jahre 4,36 Jahre 9,88 Jahre = 25,70%

Noch stärker hat die sogenannte „wahrscheinliche Lebensdauer“ zugenommen. Man versteht hierunter das Alter, bis zu dem die Hälfte aller Personen gestorben ist, so dass also [179] für ein neugeborenes Kind die gleiche Wahrscheinlichkeit besteht, vor dem durch die wahrschenliche Lebensdauer angezeigten Alter zu sterben, wie auch diese Altersgrenze zu überschreiten. Nach der Sterbetafel von 1871/80 betrug diese Zahl beim männlichen Geschlecht 38,1 Jahre, beim weiblichen 42,5 Jahre, bis 1901/10 war sie auf eine Höhe von 55,2 bezw. 60,6 Jahren angewachsen.

Was besonders bedeutsam erscheint, an der in diesen Zahlen zum Ausdruck kommenden allgemeinen Besserung der Sterbeverhältnisse haben fast alle Altersklassen, vor allem auch die produktiven, teil. Für die im erwerbsfähigen Alter stehenden Klassen (von 15 bis 60 Jahren) ergibt sich seit 1871/80 eine namhafte Erhöhung der mittleren Lebensdauer, beim männlichen Geschlecht um 2,53 und beim weiblichen Geschlecht um 2,46 Jahre. Es werden also von diesen produktiven Klassen jetzt durchschnittlich 2½ Jahre mehr durchlebt als vor 30 Jahren. Hieraus ergibt sich allein für das männliche Geschlecht ein Gewinn von 1⅔ Millionen Arbeitsjahren in jeder Generation.

Der Vorteil, der hierdurch erreicht ist sowohl vom Standpunkt der Privatwirtschaft wie für den Staat, liegt auf der Hand. Er beruht nicht nur in der längeren Erhaltung der wertvollen Arbeitskraft des Einzelnen, sondern auch in der längeren Verwertbarkeit der reichen, kostbaren Erfahrungen, über die das höhere Lebensalter verfügt, und die vom Standpunkt der Interessen des Staates und der Gesellschaft so hochwillkommen sind. Die Verlangsamung des Generationswechsels, das längere Zusammenleben und die intensivere Wechselwirkung der einzelnen Generationen bedeutet eine grössere individuelle und gesellschaftliche Ausnutzung der Lebensarbeit und ihrer Erfolge und eine gesichertere Übertragung der Errungenschaften der einen Generation auf die nächstfolgende. Es wird, wie Heinrich Rauchberg gelegentlich sich ausdrückt, ein Maximum der Bevölkerung und Kultur durch ein Minimum von persönlichem Wechsel erstellt.

Diese trotz der aufreibenden Hast des modernen, insbesondere städtischen und industriellen Erwerbslebens eingetretene günstige Gestaltung unserer Lebensdauer steht in innigem Zusammenhang mit den hervorragenden medizinischen Fortschritten sowohl in bezug auf Bekämpfung und Heilung der Krankheiten wie in bezug auf die Hygiene (Kanalisation, Wasserleitung, Desinfektion) und die prophylaktischen Massnahmen (vor allem gegen die Volkskrankheiten, z. B. Tuberkulose). Weiter war von Einfluss die bessere Versorgung der Bevölkerung mit Ärzten und entsprechenden gut geleiteten Krankenhäusern und nicht zuletzt die Arbeiterschutz- und Arbeiterversicherungs-Gesetzgebung, deren Seele bekanntlich die Prophylaxis ist und die gerade dadurch wesentlich mithilft, dem Arbeiter die Gesundheit, der Nation die Lebenskraft zu erhalten. Neben dieser zielbewussten Gesundheitspflege spielt die mit der Zunahme des Volkswohlstandes ermöglichte instinktive Verbesserung unserer Ernährungs-, Wohnungs- und Pflegeverhältnisse eine Rolle.

Jahr Im 1. Lebensjahr Gestorbene (ohne Totgeborene)
überhaupt eheliche[1] uneheliche[1] auf 100 Lebendgeborene
überhaupt eheliche[1] uneheliche[1]
1901 420 223 361 745 58 478 20,7 19,4 33,9
1902 370 799 321 055 49 744 18,3 17,3 29,3
1903 404 529 351 086 53 437 20,4 19,3 32,7
1904 397 781 344 972 52 809 19,6 18,6 31,4
1905 407 999 353 342 54 654 20,5 19,4 32,6
1906 374 636 324 592 50 044 18,5 17,5 29,4
1907 351 046 302 920 48 126 17,6 16,6 28,0
1908 359 022 308 680 50 342 17,8 16,8 28,5
1909 335 436 288 202 47 234 17,0 16,0 26,8
1910 311 462 267 171 44 291 16,2 15,2 25,7
1911 359 522 308 765 50 757 19,2 18,2 29,9

[180] Ausserdem ist der Rückgang der allgemeinen Sterbeziffer mitbedingt durch die Verminderung der Säuglingssterblichkeit (vergl. Tabelle S. 179 unten), und diese ist ihrerseits zurückzuführen auf die Hebung der allgemeinen Hygiene, die gesteigerte Sauberkeit, das häufigere Stillen an der Mutterbrust und auf eine Reihe staatlicher und gemeindlicher Massnahmen – Mutterschutz, Geburts- und Wochenbetthygiene, Förderung des Stillgeschäfts durch Beratungen, Stillprämien etc., Milchküchen, Säuglingspflege- und Krankenanstalten, Kostkinderaufsicht, Einrichtung von Beratungsstellen etc. Die Säuglingssterblichkeit hat hierdurch ihre früheren Schrecken schon wesentlich verloren; ihr Rückgang kommt ebenfalls unserer volklichen, ethischen und wirtschaftlichen Kraft zustatten, bedeutet doch jedes dem Tod entrissene, an sich lebensfähige Kind die Erhaltung eines guten Stückes Nationalkapital von ideellem und materiellem Wert.

Ohne Zweifel kann noch viel geschehen, um die derzeitige Sterbeziffer weiter herabzudrücken. Namentlich sind von dem jetzt allenthalben aufgenommenen Kampf gegen die Säuglingssterblichkeit und gegen die hauptsächlichsten Volkskrankheiten (Tuberkulose, Alkoholismus, Geschlechtskrankheiten, Krebs usw.) sowie von der Förderung der Hygiene in der Stadt und auf dem Land noch beträchtliche Erfolge für das natürliche Wachstum unserer Bevölkerung zu erwarten.

Freilich ist die Sterbeziffer für sich allein kein verlässiger Massstab für die konstitutionelle Gesundheit und körperliche Tüchtigkeit der Bevölkerung. Eine Bevölkerung kann, worauf Max von Gruber mit Recht aufmerksam macht, infolge Beseitigung einer äusseren Todesgefahr langlebiger werden und trotzdem schwächlich, kränklich, zur Fortpflanzung untauglich werden, ja sogar ihre Beschaffenheit verschlechtern. Indessen besteht nach den sachkundigen Untersuchungen der Generalstabsärzte von Schjerning und von Vogl einstweilen kein Anlass zur Annahme eines Niedergangs des physischen Werts der deutschen (wehrpflichtigen) Jugend oder gar eines Rückstands gegenüber anderen Nationen. Immerhin mögen Symptome, die darauf schliessen lassen, dass es mit der Gesundheit der städtischen und industriellen Bevölkerung trotz ihrer grösseren Langlebigkeit nicht völlig befriedigend bestellt ist, im Aussterben von Familien erblickt werden. Vielfach handelt es sich um Familien der oberen Gesellschaftsschichten mit älterer Kultur und höherer Bildung. Insofern hierdurch wichtige vererbbare Werte von Wissen und Können dem Volke verloren gehen, lässt sich in gewisser Beziehung von einem Degenerationsvorgang sprechen, der zugleich bewirkt, dass der durchschnittliche Pegelstand des Volkes sich nicht in einer an sich möglichen Weise hebt, sondern infolge des Wegsterbens der genannten Familien immer wieder herabgedrückt wird.

Das natürliche Wachstum des Volkes, wie es in der Differenz zwischen Geburten und Sterbefällen, also im Geburtenüberschuss – 1912 in Höhe von 839 887 oder 12,7‰ (1911: 739 945 oder 11,3‰) – sich äussert, lässt unser Volkstum jedenfalls noch derzeit als sehr jugendkräftig und weit entfernt von einer Greisenhaftigkeit erscheinen. Auch im Lichte der internationalen Statistik stellt sich die natürliche Bevölkerungsbewegung in Deutschland durchaus befriedigend dar. Sie hat bei starker Geburtenhäufigkeit und mittlerer Sterblichkeit den Vorzug eines relativ regelmässigen und doch raschen Fortschritts. Sie unterscheidet sich dadurch namentlich von Frankreich, das im Jahre 1910 nur einen Geburtenüberschuss von 70 581 oder 1,8‰ (774 358 Geburten, 703 777 Sterbefälle), im Jahre 1911 nicht nur keinen Geburtenüberschuss (742 114 Geburten, 776 983 Todesfälle), sondern sogar ein Geburtendefizit von 34 869 hatte. In Russland wird trotz höherer Fruchtbarkeit nur ein klein wenig grösserer Nettoertrag erzielt als in Deutschland; es betrug im Jahre 1911 dort die Geburtenziffer 42,0, die Sterbeziffer 25,3, der Geburtenüberschuss 16,6‰. Auch gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika schneidet Deutschland besser ab. Dort beruht die Zunahme in erster Linie auf starkem Negerzuwachs und auf Einwanderung von gegen früher – was Besitz, Bildung, Gesundheitswert, Unterstützungsbedürftigkeit anlangt – erheblich verschlechterten Elementen, sie ist bei dem Rückgang der weissen Geburten mit einer bedenklichen tiefgreifenden Umgestaltung der rassenmässigen Zusammensetzung der Bevölkerung verbunden.

Im Gegensatz zu Frankreich und den Vereinigten Staaten ist in Deutschland von einer Stockung der natürlichen Bevölkerungszunahme, die eine patriotisch-politische Angst vor Erschöpfung der bevölkerungserhaltenden Volkskraft rechtfertigt, geschweige von Rassenselbstmord keine Rede. [181] Im letzten Jahrzehnt 1901/10 betrug in Deutschland trotz der erwähnten Geburtenabnahme die Zahl der Geburten noch etwa 40% mehr, als zur eigenen Forterhaltung notwendig gewesen ist, während in Frankreich (1898/1903) 2,47% an der hierzu erforderlichen Geburtenzahl fehlten.

Allerdings hat die Auswanderung aus Deutschland neuerdings stark nachgelassen, so dass in den Jahren 1895/1900 und 1900/1905 sie sogar von der Einwanderung etwas übertroffen wurde.

Während in den 80er Jahren beispielsweise die überseeische Auswanderung aus dem Reich eine Höhe von über 200 000 Köpfen erreichte, beträgt sie jetzt nur noch rund 20 000. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Reiches haben eben eine derartige Erwerbsgelegenheit geschaffen, dass nicht nur die deutschen Arbeitskräfte im wesentlichen im Inland verbleiben, sondern auch noch ausländische Arbeiter hier Beschäftigung finden.

Freilich ist diese Einwanderung qualitativ kaum so hoch einzuschätzen wie die Zahl unserer deutschen Auswanderer, die an Wissen, Können, Bildung und Vermögen das Gros der Elemente von anderen Auswandererstaaten vielfach übertreffen. Die Wanderungsbilanz ist daher qualitativ trotz zeitweisen zahlenmässigen Wanderungsgewinns eher passiv als aktiv zu bewerten.

Um so mehr wird man in diesem Urteil bestärkt, wenn man sich die Elemente der zu uns kommenden ausländischen Arbeiter näher ansieht. Es sind grösstenteils Saisonarbeiter, die hauptsächlich für Feldbestellung und andere landwirtschaftliche Arbeiten verwendet werden, und Arbeiter, welche unsere Industrie, speziell die Montanindustrie und das Baugewerbe vielfach beschäftigt. Sie kommen in der Hauptsache aus Russland (Polen), Österreich (Böhmen und Galizien) und Italien, zum geringen Teil auch aus Dänemark, Holland und Belgien. Ihre Zuwanderung ist nicht ganz unbedenklich. Einmal vom Standpunkt der Rassenfrage. Es mischt sich durch diese Zuwanderer häufiger, als sonst es der Fall wäre, germanisches Blut mit polnischem, ruthenischem, italienischem und jüdischem Blut. Für die Volksgesundheit bringen sie erhöhte Gefahren von Erkrankungsmöglichkeiten. Denn die aus Russland und Österreich Kommenden sind nicht selten Träger von Pocken, Fleckfieber, Typhus, Granulose, Grind, Krätze, die Italiener Träger des Typhus, die holländischen und belgischen Gruben- und Ziegelarbeiter Träger der Wurmkrankheit. Politisch bedeuten die polnischen Elemente eine Hemmung der Germanisierung im Osten, eine Förderung der Polonisierung im Westen, eine Art nationaler Expropriierung. Und wirtschaftlich verdrängen jene Ausländer die bisherige einheimische Bevölkerung, welche dem auf dem Land ansässigen Mittelstand eine viel grössere Kaufkraft und Kauflust bedeutete als die ausländischen Arbeiter mit ihrer geringeren Lebenshaltung und dem Bestreben, ihre Ersparnisse möglichst in die eigene Heimat zurückfliessen zu lassen. Ausserdem gerät durch die Deckung unseres heimischen Arbeiterbedarfs mit Ausländern unsere Volkswirtschaft in Abhängigkeit von unseren Nachbarstaaten, die mit der intensiveren Entwicklung ihrer eigenen Volkswirtschaft und dem damit sich mehrenden eigenen Arbeiterbedarf uns leicht diesen Zuwandererstrom ablenken können, ganz abgesehen davon, dass der Zufluss jener fremden Arbeiter neuestens noch erschwert wird durch die Nachfrage anderer Länder (Frankreich, Skandinavien, Amerika, Canada).

Mit Rücksicht hierauf erheischt die Beschäftigung ausländischer Arbeiter im Inlande besondere Aufmerksamkeit seitens der Verwaltung. Soweit sie unbedingt notwendig erscheint, wie in der Landwirtschaft und in gewissen Industriezweigen, wo es sich um harte, schwere Arbeit handelt, gegen die weite Kreise des deutschen Volkes immer grössere Abneigung zeigen, wird eine dauernde Beschäftigung einer genauen Kontrolle zu unterstellen sein. Selbstverständlich kann nicht von einer etwaigen Parole „Deutschland ausschliesslich den Deutschen“ die Rede sein. Eine solche Maxime würde, wenn gleichmässig auch von den Auslandsstaaten angewandt, vor allem sich gegen die Deutschen selber kehren, die in grösserer Zahl in gut bezahlten und angesehenen Stellungen im Ausland tätig sind. Anderseits ist unter den inländischen Arbeitern ein besserer Ausgleich zwischen Arbeitsangebot und -nachfrage herbeizuführen durch Ausgestaltung des Arbeitsnachweises, durch Verlegung gewisser Arbeiten (Eisenbahn-, Kanal-, Wegbauten usw.) in andere Jahreszeiten. Daneben erscheint die energische Durchführung einer inneren Kolonisation, die Kultivierung unserer Moore und Heiden, die vermehrte Ansiedlung von Bauern und Landarbeitern, die Förderung des Arbeiter-Familienlebens geboten. Hierdurch [182] kommen wir in der Selbstdeckung des steigenden Kräftebedarfs voran und benötigen weniger aus fremdem Kräfte-Reservoir. Erst wenn diese Selbstdeckung in befriedigender Weise möglich ist, kann die mehrfach vorgeschlagene Steuer auf ausländische Arbeiter zum Schutz des nationalen Arbeitsmarkts zur Erwägung kommen, kann ein derartiger Schutz des nationalen Arbeiters als Glied in den sonstigen Schutz der nationalen Arbeit einbezogen werden.

II. Das Deutschtum im Ausland.[Bearbeiten]

Wie schon erwähnt, war die Zuwanderung nach Deutschland nur in den Jahrfünften 1895/1900 und 1900/1905 grösser als die Auswanderung. Sonst überwog die Auswanderung, bestand m. a. W. ein Wanderungsverlust. Er bezifferte sieh für die Periode 1871/1910 auf nicht weniger als 2,47 Millionen. Es betrug nämlich

die natürliche Bevölkerungsmehrung 26 339 528
die tatsächliche Bevölkerungsmehrung 23 866 990
mithin der Wanderungsverlust 2 472 538

Für die einzelnen Volkszählungsperioden verteilt sich diese Zahl in folgender Weise:

      mehr (+), weniger (–) zu- als abgewandert
absolut auf 1000 der Bevölkerung
durchschnittlich jährlich
1871–1876 – 319 750 – 1,91
1875–1880 – 381 181 – 1,73
1880–1885 – 980 215 – 4,26
1885–1890 – 329 110 – 1,38
1890–1895 – 448 810 – 1,77
1895–1900 + 094 125 + 0,35
1900–1905 + 052 307 + 0,18
1905–1910 – 159 904 – 0,51

Soweit es sich dabei um die überseeische Auswanderung handelt, ist diese am stärksten in den Jahren 1881 und 1882 mit 220 902 und 203 585 deutschen Auswanderern gewesen. Seitdem ging sie mit geringen Unterbrechungen ständig zurück; im Jahre 1912 betrug sie 18 545 (oder nur 0,28‰ der Bevölkerung). In den letzten 3 Jahrfünften war die nachgewiesene Übersee-Auswanderung nahezu gleich gering. Der neuerliche Wanderungsverlust kann nur durch Zunahme der trockenen Auswanderung über Land (z. B. Wanderung von Elsass-Lothringen nach Frankreich) und (bezw. oder) Abnahme der Zuwanderung verursacht sein.

Eine nähere Kenntnis von der Ausbreitung des Deutschtums im Auslande ist – obschon in Hinsicht auf die neuzeitliche Ausgestaltung der volks- und weltwirtschaftlichen Lage und die Beziehungen der verschiedenen nationalen Volkswirtschaften zueinander von grossem Belang – nicht leicht zu beschaffen.

Natürlich kommen als „Deutsche im Ausland“ nur solche in Betracht, die ausserhalb des zum Deutschen Reich gehörigen Gebiets, also auch ausserhalb der deutschen Schutzgebiete sich befinden. Aber woran sind die Betreffenden als Deutsche zu erkennen? An der Staatsangehörigkeit? Der Begriff unterliegt vielen Irrtümern. Daher gelingt schon innerhalb des Reichs die Ermittlung der Reichsangehörigkeit mangelhaft, noch mangelhafter natürlich für die im Ausland befindlichen Deutschen bei dem dort meist viel unvollkommeneren Zählapparat. Dazu kommt aber, dass vielfach, namentlich in englischen und sonstigen Kolonialgebieten sowie in den mittel- und südamerikanischen selbständigen Staaten, die Aufnahme in die dortige Staatsangehörigkeit und die Preisgabe der deutschen Staatsangehörigkeit sehr erleichtert ist, und die wenigsten sind sich bewusst, dass sie mehrere Staatsangehörigkeiten nebeneinander besitzen können. Überdies stellen die als „deutsche Reichsangehörige“ im Auslande ermittelten Personen auch sonst die Gesamtzahl des Deutschtums keineswegs erschöpfend dar. Es gibt genug Deutsche, die die Reichsangehörigkeit [183] durch Entlassung oder zehnjährigen Aufenthalt im Auslande oder durch Verheiratung mit einem Ausländer oder aus anderen Gründen verloren haben, die aber trotz dieser Änderung ihres formal-rechtlichen Charakters tatsächlich vorzügliche Elemente des Deutschtums im Auslande sind. Bei der Reichserhebung vom Jahr 1900 wurde für 708 071 Personen im Auslande die Reichsangehörigkeit nachgewiesen.

Brauchbarer ist als Anhalt für unser Auslandsdeutschtum der Geburtsort, den man nicht ablegen, abstreifen, den man höchstens verleugnen kann. Freilich sind auch diese Nachweise der Personen, die das Ausland als aus dem Deutschen Reich Gebürtige verzeichnet, nicht einwandfrei. Sie skizzieren das Deutschtum nur für eine Generation, unterliegen dem Einfluss von Zufälligkeiten des Geburtsorts, umschliessen auch Angehörige fremden Volkstums, sind nur für verhältnismässig wenig Länder vorhanden und untereinander nicht gleichwertig. Wenn die amtliche Reichserhebung 1900 etwas über 3 Millionen (3 094 692) deutsche Reichsgebürtige im Auslande und von den obigen 708 071 Reichsangehörigen 457 702 nicht Reichsgebürtige aber Reichsangehörige feststellt, so repräsentieren diese rund 3½ Millionen Reichsgebürtige oder Reichsangehörige im Auslande eine Minimalzahl für die Verbreitung der Deutschen im Auslande. (Näheres darüber in meinem oben zitierten Vortrag beim Kolonialkongress 1905.)

Der Begriff Volkstum oder Nationalität geht eben viel weiter als der von Gebürtigkeit oder Staatsangehörigkeit. Er umfasst die Gesamtheit von Menschen gemeinsamer Abstammung, die ein und dieselbe Sprache sprechen, eine gemeinsame politische und kulturelle Entwicklung durchgemacht haben und das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit besitzen.

Namentlich die Sprache ist es, in der sich das Gepräge einer Nation äussert. Sie ist das Werkzeug des Denkens, an ihr haftet die Kultur mehr als am Boden, an Regierungsformen, Bauten etc., ihr folgt der Handel lieber als der Flagge.

Mangels genauer Feststellung der Sprachenverhältnisse in den einzelnen Ländern muss man sich freilich mit Schätzungen begnügen über das Auslandsdeutschtum, das – ohne Unterschied der Staatsangehörigkeit – deutsch spricht und deutsch fühlt, das sich der innern Gemeinschaft mit dem deutschen Muttervolk bewusst ist und dies durch Festhalten ihrer deutschen Muttersprache bekundet. Nach Robert Höniger ist die Zahl derer, die ausserhalb des Deutschen Reichs Deutsch als ihre Muttersprache sprechen, auf etwa 32 Millionen zu veranschlagen. Sie lassen sich in 3 Gruppen des Auslandsdeutschtums gliedern:

1. Etwa 13 Millionen Deutschösterreichs, der deutschen Schweiz und Luxemburgs, die, an das Deutsche Reich unmittelbar angrenzend, mit diesem das geschlossene deutsche Sprach- und Siedlungsgebiet Mitteleuropas bilden.

2. Die deutsche Diaspora im übrigen Europa, etwas über 5½ Millionen: davon 2½ Millionen in Ungarn, denen man im Hinblick auf die geographische Lage und unter Berücksichtigung unserer Interessen im nahen Orient die Deutschen der Balkanstaaten mit etwa 100 000 Seelen anreihen darf, weitere 2 Mill. in Russland, endlich nahe an 1 Mill. zu einem erheblichen Teil nicht bodenständiger Deutscher in den sonstigen Staaten unseres Erdteils.

3. Die Deutschen in Übersee, etwas über 13½ Millionen. Davon treffen ca. 12 Millionen auf die Vereinigten Staaten von Amerika.

An sich müsste die Zahl der Deutschen in der Union an 25 Millionen betragen, hat sich doch der weitaus grösste Teil der deutschen Auswanderer Jahrzehnte hindurch nach Nordamerika gewendet. Aber Nordamerika wurde wie kein anderes Gebiet „ein Massengrab deutschen Volkstums.“ Ein gewaltiger Bruchteil der Nachkommen der deutschen Auswanderer dorthin hat die angestammte Sprache und Art nicht behauptet. Es mangelte den deutschen Einwanderern zu sehr politischer Ehrgeiz und nationales Selbstgefühl, sie begegneten allzuoft einer niederdrückenden Geringschätzung ihres heimischen Wesens. Drum vollzog sich nicht selten schon für die erste Geschlechtsfolge die Verschmelzung mit dem rasseverwandten Angelsachsentum. Die ehemalige Zwiespältigkeit und Ohnmacht des Mutterlandes wirkte schädigend auch auf das Deutschtum im Ausland. Dies rächte sich am Mutterland selbst, das die Rolle einer wohlfeilen Kinder- und [184] Schulstube für das Ausland spielte; die 6 bis 7 Mill. deutschen Auswanderer im 19. Jahrhundert kosteten dem Heimatland 6–8 Milliarden Mk. an unvergoltenen Erziehungskosten, an mitgenommenem Kapital. Der Verlust, den durch diese Abwanderung die deutsche Volkswirtschaft erlitt, war doppelt empfindlich, weil die Ausgewanderten, wie erwähnt, vielfach in der 2. Generation aufhörten, Deutsche und Konsumenten deutscher Ware zu sein, statt dessen Kulturdünger für andere mit uns im Wettbewerb befindliche Völker wurden und zur Erschwerung unserer Stellung auf dem Weltmärkte beitrugen.

Umgekehrt in der Neuzeit. Die Einigung des Reichs, sein wirtschaftlicher Aufschwung, seine Ausbildung zur Weltmacht und zum Welthandelsstaat, sein wirksames auf achtunggebietende Land- und Seemacht gestütztes Auftreten nach aussen, unsere Stellung im Rat der Völker hat das Ansehen des deutschen Namens im Ausland und damit zugleich das Selbstbewusstsein unseres Auslandsdeutschtums bedeutsam gehoben. Das Ausland selbst begrüsst die deutsche Zuwanderung vielfach geradezu als hervorragendes Heilmittel gegen wirtschaftliche Rückständigkeit und gegen politische Gefahren und Krankheiten, als ein Element des Fortschritts und der ruhigen Ordnung zugleich. Vom Standpunkt Deutschlands sind die Deutschen draussen – wenn auch staatsrechtlich ausgeschieden –, diese deutschen Menschenkolonien unter fremder Herrschaft, wichtige Vorkämpfer und Bahnbrecher unserer Wirtschaftsinteressen, sie ebnen den Weg für lohnende Arbeit des deutschen Kapitals in ausländischer Landwirtschaft und Industrie und sind wertvolle Pioniere für unsern Handel. Von der Haltung und Gesinnung der Auslandsdeutschen hängt wesentlich die Kulturstellung des deutschen Volks ab, die Verbreitung seiner Sprache, die Wirkung seiner Wissenschaft, Literatur und Kunst – kulturelle Errungenschaften, die sich ebenfalls in wirtschaftliche Vorteile umsetzen. So sind denn auch unsere Auslandsdeutschen dem Reich ganz namhafte Hilfe in seiner bei unserem Kräfte-Überschuss (an Menschen und sonstigen Kapitalien) immer vitaler werdenden Aufgabe, unsere nationalen und wirtschaftlichen Interessen auch im Weg der Expansion wahrzunehmen.

Alles in allem bildet mithin das Deutschtum im Auslande, die Wanderungsbilanz, die Deutschland im internationalen Bevölkerungsverkehr aufweist, einen eminent wichtigen Posten in unserer Zahlungsbilanz gegenüber dem Auslande. Bekanntlich kommt diese keineswegs in der blossen Handelsbilanz richtig zum Ausdruck, vielmehr erst in der Abgleichung aller Elemente internationaler Wertübertragungen, wie des Zahlungsmittel-, des Kreditwesens, des Verkehrswesens (Schiffahrt und Eisenbahn) und auch der Wanderbewegung. Dieser letztere Posten fällt neben den Kapitalien, die wir dem Auslande zur Verfügung stellen, um so vorteilhafter für uns in die Wagschale, je mehr es uns gelingt, zu verhindern, dass die abgewanderten Deutschen dem Mutterlande dauernd verloren gehen. Und darum mag die Abwanderung definitiven, kolonisatorischen oder nur temporären Charakter haben, auf alle Fälle müssen die Beziehungen dieser unserer fremdländischen Menschenkolonien zur Heimat rege erhalten werden. Darum zielbewusste Stärkung der nationalen Widerstandskraft des Deutschtums, eifrige Pflege deutscher Sprache, deutschen Geistes, deutscher Sitte, deutscher Staatsangehörigkeit, kräftiger diplomatischer, konsularischer, maritimer Schutz der deutschen Interessen im Ausland! Was bisher zur Sicherung und Pflege des Auslandsdeutschtums von der Reichsregierung geschah im Weg der Auswandererfürsorge, Erleichterung der Überseeverbindungen, Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes, namentlich im Weg der Förderung der Auslandsschulen, muss in erhöhtem Masse fortgesetzt werden; insbesondere bedarf auch die deutsche Presse und der deutsche Film im Ausland sowie die ausländische Presse und der ausländische Film bezüglich deutscher Verhältnisse weit besserer Bedienung als seither. Daneben muss in der Jugendleitung des nachwachsenden Geschlechts gebessert werden, was bei der Erziehung früherer Geschlechter versäumt wurde, es muss schon in unseren Schulen (nach dem Vorbild von Sachsen und Württemberg) das Verständnis und die rechte Schätzung des eigenen Volkstums auf breiterer Grundlage als bisher gepflegt werden, insonderheit durch eine tiefer greifende Belehrung über das Auslandsdeutschtum und seine rühmlichen Leistungen.

[185] Dann wird das leider bisher so häufige Aufgehen in fremder Nationalität immer mehr deutschem Nationalstolz in der Fremde weichen. Dann werden unsere Ausgewanderten die nationale und kulturelle Gemeinschaft mit uns bewahren und werden zu dauernden Trägern des deutschen Volkstums im Auslande. Dann wird unser Wanderungsverlust im internationalen Völkerverkehr zu einer Erweiterung unserer Macht und Herrschaft, und zwar ideell, kulturell und auch wirtschaftlich. Dann ist Deutschland „die grosse Kinderstube der Welt“ zum eigenen Glück und Wohlstand unseres Vaterlandes.

III. Binnenwanderungen in Deutschland.[Bearbeiten]

Mit der grossen Bevölkerungszunahme hat das innere Gefüge des Volkskörpers in mehrfacher Richtung Wandlungen erfahren. An Stelle der ehedem starken Auswanderung über die Reichsgrenzen trat eine ungeheuere Binnenwanderung, die an Umfang und Intensität die Völkerwanderung früherer Jahrhunderte, auch das verflossene „Völkerwanderungs-Jahrhundert“, weit übertrifft. Der Schauplatz der Tätigkeit des Volkes hat sich hierdurch nicht unwesentlich verschoben. Geleitet vom Streben nach besseren Futterplätzen, nach höheren Futteranteilen, wenden sich viele Elemente des Volkes von ihrem Geburts- und ihrem bisherigen Erwerbsort ab, um in Städten und industriellen Gegenden sich niederzulassen.

Infolgedessen wurde die Siedlungsweise stark verändert. Das platte Land erlitt stellenweise eine beträchtliche Entvölkerung. Die Gegenden des Westens in der Nähe von Kohle und Eisen, an den Hochstrassen des Weltverkehrs bewirkten grosse Anziehungskraft. Der Verstadtlichungsprozess machte ungemein rasche Fortschritte. Infolge der grösseren Dichtigkeit der Bevölkerung in weiten Gebieten des Reichs treffen auf 1 qkm jetzt (1910) durchschnittlich 120 Einwohner (1871: 75,9; 1890: 91,4).

Wohl sind schon früher von den ländlichen Gemeinden Besitz und Intelligenz immer wieder abgewandert. Jetzt aber folgen ihnen die langsamen und schwerfälligen Massen so zahlreich, dass die Abwanderung grosse Dimensionen annimmt und bedenkliche Erscheinungen hervorruft. Während im Jahre 1880 auf dem platten Lande (Gemeinden mit unter 2000 Einwohnern) 58,6% der Reichsbevölkerung wohnten, waren es 1910 nur mehr 40,0%. Umgekehrt stieg die Stadtbevölkerung von 41,4 auf 60,0%. Allerdings spielt bei diesen Veränderungen noch der Umstand mit, dass eine Reihe von Gemeinden sich aus kleineren Ortschaften mit unter 2000 Einwohnern zu grösseren „städtischen“ entwickelten und so einerseits zur Verminderung der ländlichen, anderseits zur Vergrösserung der städtischen Bevölkerung beitrugen. Aber zahlreiche ländliche Gemeinden sind tatsächlich im Laufe der letzten Jahrzehnte an Bevölkerung zurückgegangen. Von 8000 bayerischen Gemeinden verloren beispielsweise in der Zeit 1855/1905 2882 direkt an Einwohnern, 48 verzeichneten einen Stillstand, 500 eine Mehrung von nur höchstens 10 Personen, mithin war bei 3430 oder 43% aller bayerischer Gemeinden im verflossenen halben Jahrhundert die Entwicklung ungünstig. Diese Entwicklung ging so weit, dass ganze Bezirksämter (von 161 sind es 27) jetzt eine geringere Bevölkerungsziffer haben als vor 50 Jahren. Ähnliche Klagen sind aus Preussen, besonders aus den östlichen Gegenden Preussens bekannt.

Diese Massenabwanderung vermindert nicht nur die Leistungsfähigkeit der ländlichen Gemeinden, da gerade die jungen, arbeitskräftigen Elemente – freilich gibt es auch Minus-Varianten darunter, Gesindel, Streuner usw. – das Hauptkontingent der Abwanderung stellen. Sie bedeutet vielfach eine erhebliche Steigerung der Armenlasten, die zurückbleibenden Familienmitglieder fallen nicht selten der öffentlichen Armenpflege anheim. Unterstützungsfälle, auch noch von auswärts, überraschen die Gemeinden, nehmen die Steuerkraft übermässig in Anspruch und führen zu hohen Gemeindeumlagen und zu weiterer Abwanderung. Sie ist vor allem nicht unbedenklich in Hinblick auf die bisherige grosse Wichtigkeit der ländlichen Bevölkerung für die Volksvermehrung, die Wehrhaftigkeit und die Volksgesundheit; auch was die ländliche Bevölkerung zur Blutauffrischung für die immermehr sich verstadtlichende Bevölkerung liefern soll, fällt ihr fortgesetzt schwerer, da schon jetzt nicht nur der entbehrliche Überschuss vom platten Land abgegeben, sondern ein gut Teil des Stammkapitals an bäuerlicher Kraft mit angegriffen wird.

[186] Dieser Wanderungsprozess, der die gegenwärtig lebende Generation wenig bodenständig erscheinen lässt, bringt es mit sich, dass Gegenden mit an sich hoher natürlicher Fortpflanzung (Geburtenüberschuss) gleichwohl ein relativ geringes Wachstum aufweisen, weil sie durch Wanderungen viel mehr verlieren als gewinnen, während andere Gebiete mit mittlerer Fortpflanzungskraft sich dank der erhöhten Wanderungsgewinne eines grösseren tatsächlichen Wachstums erfreuen. Wie nachstehende Tabellen S. 186 u. 187 dartun, sind am meisten von einem Wanderungsverlust betroffen die vorwiegend landwirtschaftlichen Gebietsteile, also der preussische Osten, ferner Bayern, Württemberg, Elsass-Lothringen. Umgekehrt haben die grössten Wanderungsgewinne zu verzeichnen Gross-Berlin, die Hansastädte (vor allem Hamburg), der niederrheinisch-westfälische Industriebezirk und das Mittelrhein-Maingebiet. Als eine weitere Folge ergibt sich aus dieser Entwicklung ein immer grösseres Überwiegen von Norddeutschland, ein allmähliches Zurückweichen des süddeutschen Anteils an der Bevölkerungsziffer.

Hand in Hand mit diesem Zug nach dem Westen und der Entvölkerung des platten Landes geht der Zug nach den Städten. Im Gegensatz zu dem platten Land und den Landstädten erfreuen sich die Mittelstädte und vor allem die Grossstädte mit


Abgleichung zwischen der natürlichen und der tatsächlichen Bevölkerungszunahme (Wanderungsgewinn und -verlust) 1905 bis 1910.
Staaten und Landesteile Zahl der vom 1. XII. 1905 bis 30. XI. 1910 Geburten-

überschuss

Tat-
sächliche Bevöl-
kerungs-
zunahme
1905/1910
Mithin Gewinn (+) oder Verlust (–) durch Wanderungen Auf 1000 der mittleren Bevölkerung trafen 1905/1910 durchschnittlich jährlich
Geborenen Gestorbenen Geborene Gestorbene Geburten-
überschuss
Tatsächliche Bevölkerungs-
zunahme
Wanderungs-
gewinn (+) oder
-verlust (–)
einschl. der Totgeborenen
Deutsches Reich 10 247 257 5 802 849 4 444 408 4 284 504 –159 904 32,64 18,49 14,16 13,65 –0,51
Preussen 6 461 173 3 542 366 2 918 807 2 871 955 –46 852 33,37 18,29 15,07 14,83 –0,24
I. Wichtige Abwanderungs-
gebiete
 
Prov. Ostpreussen 337 811 207 948 129 863 33 999 –95 864 33,00 20,32 12,69 3,32 –9,37
Prov. Westpreussen 326 994 176 041 150 953 61 600 –89 353 39,10 21,05 18,05 7,37 –10,68
Stadt Berlin 251 340 168 692 82 648 31 109 –51 539[2] 24,45 16,41 8,04 3,03 5,01[2]
Prov. Pommern 271 270 163 418 107 852 32 576 –75 276 31,90 19,22 12,68 3,83 –8,85
Prov. Posen 404 207 203 332 200 875 113 194 –87 681 39,57 19,90 19,66 11,08 8,58
Prov. Schlesien 927 873 570 263 357 610 283 237 –74 373 36,50 22,43 14,07 11,14 –2,93
Prov. Sachsen 479 184 281 763 197 421 110 026 –87 395 31,58 18,57 13,01 7,25 –5,76
Kgr. Bayern 1 145 291 717 467 427 824 362 919 –64 905 34,16 21,40 12,76 10,82 –1,94
Kgr. Württemberg 386 207 229 421 156 846 135 395 –21 451 32,60 19,36 13,24 11,43 –1,81
Elsass-Lothringen 259 213 170 634 88 579 59 450 –29 129 28,11 18,50 9,61 6,45 –3,16
I. Wichtige Zuwanderungs-
gebiete
 
Prov. Brandenburg 523 181 322 951 200 230 560 760 +360 530[2] 27,45 16,94 10,50 29,42 +18,91[2]
Prov. Westfalen 766 621 335 696 430 925 507 006 +76 081 39,60 17,34 22,26 26,19 +3,93
Prov. Rheinland 1 181 356 583 038 598 318 684 803 +86 485 34,85 17,20 17,65 20,20 +2,55
Bremen 41 411 22 728 18 683 36 086 +17 403 29,42 16,15 13,27 25,64 +12,37
Hamburg 121 222 72 912 48 310 139 515 +91 205 25,66 15,43 10,23 29,53 +19,30

[187]

Anteil der einzelnen Reichsgebietsteile an der Gesamtbevölkerung 1871–1910.
Reichsgebietsteile Ortsanwesende Bevölkerung Promille-Anteil an der Reichsbevölkerung
1871 1880 1890 1900 1910 1871 1880 1890 1900 1910
I. Hansastaaten (Hamburg, Bremen, Lübeck) 513 534 674 163 879 458 1 009 006 1 430 789 12,51 14,90 17,79 19,34 22,04
II. Preussen 24 689 252[3] 27 279 111 29 957 367 34 472 509 40 165 219 601,31[3] 603,07 606,08 611,57 618,63
davon
a) ostpreussische Provinzen (Ost-, Westpreussen, Pommern, Posen, Schlesien)
9 860 188 10 591 190 10 889 333 11 751 248 12 810 363 240,15 234,16 220,31 208,47 197,31
b) mittelpreuss. Provinzen (Schleswig-Holstein, Hannover, Brandenburg, Berlin, Sachsen)
7 973 259 8 948 479 10 198 471 11 808 925 13 816 588 194,18 197,82 206,32 209,51 202,80
c) westpreuss. Provinzen (Westfalen, Rheinland, Hessen-Nassau, Hohenzollern)
6 820 450 7 739 442 8 869 563 10 912 336 13 538 268 166,12 171,09 179,45 193,59 208,52
III. Königreich Sachsen 2 556 244 2 972 805 3 502 684 4 202 216 4 806 661 62,26 65,72 70,86 74,55 74,03
IV. Übrige mittel- und norddeutsche Staaten
(Thüringen, Anhalt, Waldeck, Lippe, Braunschweig, Oldenburg, Mecklenburg)
2 753 579 2 978 822 3 203 201 3 549 603 3 899 661 67,07 65,85 64,81 62,98 60,06
V. Süddeutschland 10 546 183 11 329 160 11 885 760 13 052 844 14 623 763 256,85 250,46 240,46 231,56 225,24
davon
a) Bayern
4 863 450 5 284 778 5 594 982 6 176 057 6 887 291 118,45 116,83 113,19 109,57 106,08
b) Württemberg
1 818 539 1 971 118 2 036 522 2 169 480 2 437 574 44,29 43,58 41,20 38,49 37,54
c) Südwestdeutschland (Baden, Hessen, Elsass-Lothringen)
3 864 194 4 073 264 4 254 256 4 707 307 5 298 898 94,11 90,05 86,07 83,50 81,62
Deutsches Reich 41 058 792 45 234 061 49 428 470 56 367 178 64 925 993 1000 1000 1000 1000 1000

[188] der vielseitigen Erwerbsmöglichkeit, die daselbst namentlich Gewerbe, Industrie und Handel bieten, einer starken Vermehrung ihrer Einwohnerzahl.

Einwohnerzahl absolut % der Gesamt-
bevölkerung
1885 1910 1885 1910
Landgemeinden (unter 2000 Einw.) 26 376 927 25 954 587 56,3 40,0
Landstädte (2000–5000 Einw.) 5 805 900 7 297 770 12,4 11,2
Kleinstädte (5000–20 000 Einw.) 6 054 600 9 172 333 12,9 14,1
Mittelstädte (20 000–100 000 Einw.) 4 171 900 8 677 955 8,9 13,4
Grossstädte (100 000 Einw. und darüber) 4 446 400 13 823 348 9,5 21,3

Während das Jahr 1885 noch 21 Grossstädte (mit über 100 000 Einwohnern) und eine Grossstadtbevölkerung von 4,4 Millionen zählte, sind es 1910[4] bereits 48 Grossstädte mit 13,8 Millionen. (In England gibt es 41, in Frankreich 15, in den Vereinigten Staaten von Amerika 50 Grossstädte.) Der Anteil der Grossstädte an der Gesamtbevölkerung stieg in diesen 25 Jahren von 9,5 auf 21,3%. In Wirklichkeit ist dieser Prozentsatz noch beträchtlich grösser, da die städtische Interessen- und Einflusssphäre noch weit über den Burgfrieden der einzelnen Stadt hinausreicht. Ausserdem haben sich Millionenkomplexe von Einheiten grossstädtischer Art herausgebildet, welche weiten Umgegenden einzelner Städte städtisches, speziell grossstädtisches Gepräge geben. Nimmt man noch die wirtschaftliche, technische und intellektuelle Bedeutung der Grossstadtbevölkerung hinzu, so kann man bereits von einem Überwiegen des Grossstadttums innerhalb unseres Volkstums sprechen und man versteht es, dass den Grossstädten heute die Führung im wirtschaftlichen, geistigen und künstlerischen Leben des Volkes gehört, wie sie auch zu den öffentlichen Lasten am meisten beisteuern.

Gross-Berlin zahlt beispielsweise allein etwa ein Viertel der direkten Staatssteuern Preussens oder soviel als die 7 preussischen Provinzen Ostpreussen, Westpreussen, Posen, Pommern, Brandenburg (ohne Gross-Berlin), Schlesien, Schleswig-Holstein zusammen. Der Haushalt der blossen „Stadt“ Berlin mit über 300 Millionen Mk. ist grösser als der württembergische Staatshaushalt (249 Mill. Mk. im Jahre 1911/12). Das Gewerbepersonal von Gross-Berlin wird nach Heinrich Silbergleit an Zahl nur vom Rheinland, von Sachsen und Bayern übertroffen; die 4 Provinzen Ostpreussen, Westpreussen, Posen und Pommern beschäftigen zusammen noch nicht 80% des Gewerbepersonals von Gross-Berlin; Württemberg und Baden zusammen erst 90%!

Einen so intensiven Verstadtlichungsprozess hat ausser Grossbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika wohl kein anderer Staat aufzuweisen. Dieser Prozess macht die städtische Kommunalwirtschaft immer verantwortungsvoller, geben doch die neuen Ziele und Aufgaben, vor die sie sich gestellt sieht, immer mehr und immer stärker an den Lebensnerv der Gesamtbevölkerung.

Selbstredend ist bei dem Anwachsen der Grossstädte auch die natürliche Vermehrung der heimischen Bevölkerung beteiligt. Allerdings machte sie nicht so viel aus als die Einverleibungen und Zuwanderungen. Nach der Berufszählung von 1907 waren von der grossstädtischen Bevölkerung 42% einheimisch (und dabei sind die Kinder eingerechnet, deren Eltern erst zugezogen sind und die daher selbst, wenn auch in der betreffenden Stadt geboren, noch keineswegs als waschechte Einheimische gelten können), 58% zugezogen. (In Berlin 59,5% Zugezogene, in Charlottenburg 81,4, München 59,5, Dresden 57,0%.) Diese Zuwanderung ist übrigens vielfach selbst Anziehungskraft für weiteren Zuzug, insofern als die betreffenden Städte eine grosse Anzahl steuerkräftiger Elemente empfangen, dadurch ihren Wohlstand vermehren, infolgedessen weniger Gemeindeumlagen zu erheben brauchen und auf diese Weise zu weiterer Zuwanderung aus ärmeren Gegenden anreizen. Allerdings ist die Zuwanderung nach Alter und Besitz für die einzelnen Städtegruppen nicht gleichartig. Je nach dem Charakter der Stadt als Industriestadt (z. B. Gelsenkirchen, Plauen) oder als Handels-, Verkehrs- und Konsumtionsstadt (z. B. Berlin, Frankfurt a. M.) oder als Konsumtions- und Beamtenstadt (Wiesbaden, München) rekrutieren sich die Einwanderer mehr aus Arbeiterschichten im zeugungsfähigen Alter und mit relativ früher Verehelichung, oder mehr aus Mittelklassen mit hohen Anteilen an Personen im reiferen, auch im hohen Alter.

[189] Was die in Grossstädten Geborenen anlangt, so bekunden sie eine bedeutende Sesshaftigkeit. Von der 5,4 Millionen zählenden Grossstadt-Geburtsbevölkerung im Jahre 1900 sind ¾, nämlich 4 Millionen in ihrer Geburtsstadt verblieben, nur 1,4 Millionen nach auswärts gewandert. Beispielsweise fanden sich damals im ganzen Reich 1 Million geborene Berliner; davon waren 772 784 der Reichsresidenz treu geblieben, nur 275 370 hatten ihren Aufenthaltsort ausserhalb ihrer Geburtsstadt und da vielfach unmittelbar vor den Toren Berlins.

Innerhalb des Weichbildes der Grossstädte gehen allerdings bemerkenswerte Verschiebungen vor. Die inneren Stadtteile der eigentlichen City erfahren fortgesetzt eine Verringerung ihrer Wohnbevölkerung, die äusseren Stadtteile (die Peripherie des Grossstadtkerns und der Aussenring) eine um so namhaftere Vermehrung. Es vollzieht sich eine Art Aushöhlung der Grossstädte in bezug auf die Wohnbevölkerung der inneren Teile zugunsten der Umwandlung dieser zentral gelegenen Stadtteile in Amts-, Geschäfts-, Vergnügungsviertel. Soweit sich die dabei stetig wachsende Einwohnerschaft über die Grossstadtgrenze hinausbegibt und in den Vororten niederlässt, ist mit den wirtschaftlichen Verschiebungen zugleich eine Verschiebung der Steuerkraft, ein Verlust an steuerkräftigen Elementen für die Grossstadt verbunden; daher haben auch die Eingemeindungsfragen, die Gründung von Zweckverbänden, Interessengemeinschaften eine so hervorragende Aktualität für unsere Grossstädte. Die genannte Entwicklung stellte sich beispielsweise für Berlin, Hamburg und München folgendermassen:

Jahr Gemarkungs-
fläche
ha
Einwohnerzahl
(nach dem jeweiligen
Gebietsstand
am Zählungstag)
Einwohnerzahl
auf der
Gemarkungsfläche
vom
1. Dezember 1871
Einwohnerzahl
des Stadtkerns[5]
(City)
Einwohnerzahl
der Agglomeration
im Umkreis von
10 km
Berlin.
1871 5 923 825 937 825 937 154 662 886 574
1880 6 061 1 122 330 1 119 360 134 826 1 250 615
1890 6 338 1 578 794 1 570 471 126 126 1 854 494
1900 6 333 1 888 848 1 865 121 101 102 2 534 021
1905 6 349 2 040 148 1 998 249 92 983 2 876 768
1910 6 352 2 071 257 2 010 703 73 730 3 417 678
Hamburg.
1871 6 344 300 504 300 504 156 722 435 096
1880 6 344 410 127 410 127 170 875 583 492
1890 6 344 569 260 569 260 160 403 803 884
1900 7 690 705 738 700 671 139 221 986 411
1905 7 700 802 793 795 521 127 757 1 112 783
1910 7 793 931 035 923 554 102 069 1 270 467
München.
1871 3 551 169 693 169 693 49 431[6] 193 044
1880 4 709 230 023 222 418 48 671 260 543
1890 6 399 349 024 305 884 48 743 368 139
1900 8 696 499 932 395 997 43 955 526 163
1905 8 756 538 983 .[7] 40 223 .[7]
1910 8 871 596 467 428 312 40 562 632 853

IV. Grössere Binnenmischung unseres Volkes nach Geschlecht, Alter, Familienstand, Haushaltung, Muttersprache, Staatsangehörigkeit, Religion.[Bearbeiten]

Mit der Änderung der Szenerie, mit dem vorgeschilderten Zug nach dem Westen und in die Städte ist mehr als ein Ortswechsel verbunden. Der ganze Habitus des Volkskörpers wurde beeinflusst. Die verstärkte Binnenmischung innerhalb Deutschlands zeigt [190] sich in den verschiedensten Richtungen, insbesondere in bezug auf die Verteilung der Bevölkerung auch nach Geschlecht, Alter, Familienstand, Haushaltungen, Muttersprache, Staatsangehörigkeit, Religion, sowie in beruflicher und sozialer Hinsicht.

Der Frauenüberschuss, den das Reich aufweist (auf 1000 männliche trafen 1910 1026 weibliche Personen gegen beispielsweise 1039 i. J. 1880) und der unter anderem mit der stärkeren Beteiligung der Männer an den Fern-, an den Überseewanderungen zusammenhängt, ist infolge Nachlassens der ehemaligen Auswanderung etwas zurückgegangen. Anderseits ist durch die Binnenwanderung, namentlich der männlichen Arbeitskräfte von der Landwirtschaft zur Industrie, auch infolge Verlegung von Garnisonen das Bild von der Verteilung der Geschlechter in den einzelnen Reichsgebieten teilweise so erheblich verschoben, dass in einer Reihe von Bezirken (in Rheinland, Westfalen, Elsass-Lothringen) ein Männerüberschuss vorhanden ist. Übrigens existiert der für den Durchschnitt des Reiches festgestellte Frauenüberschuss keineswegs in allen Altersklassen, er gewinnt erst in den Altersklassen mit über 20 Jahren und zwar besonders in den höheren Altersklassen Bedeutung, er ist nicht eine Frage der Jungfrauen, sondern der älteren Witwen und daher für die Heiratsfrage nicht entscheidend.

Bei der Alters- und Familienstandsgliederung des Volkes bewirken die Binnenwanderungen, dass die produktiven Altersklassen und die Ledigen eine stärkere Besetzung in den Grossstädten aufweisen als im Reichsdurchschnitt und insbesondere auf dem Lande, wo die jüngeren und älteren Jahrgänge sowie die verheirateten stärker vertreten sind. Die Familienstandsgliederung zeigt zu Gunsten des verheirateten Elements eine Verschiebung gegen früher. Die Zahl der Verheirateten ist stärker gewachsen als die der Ledigen und der Verwitweten. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung hat seit 1871 um 2% zugenommen (1871: 33,54%; 1880: 33,99; 1890: 33,93; 1900: 34,76; 1910: 35,78). An der erwachsenen (über 15 Jahre alten) Bevölkerung sind die einzelnen Familienstände wie folgt beteiligt (%):

1900       1910
Ledige 37,99 37,37
Verheiratete       53,18 54,25
Verwitwete 8,58 8,06
Geschiedene 0,25 0,32

Der Grund dieser Erscheinung liegt am veränderten Verhalten der einzelnen sozialen Klassen gegenüber der Verehelichung. In den an Zahl ausschlaggebenden unteren Kassen wird mehr und frühzeitiger, in den oberen Klassen weniger und später als ehedem geheiratet. Im ersteren Falle spielt die verringerte, früher vielfach abgewartete Aussicht auf die Möglichkeit, sich selbständig machen zu können, eine Rolle, im letzteren sind es die längere Berufsvorbereitung und die höheren Kulturansprüche, die jetzt für die Eheschliessung, Familiengründung, Kinderzahl mit massgebend geworden sind.

Mit dem eben erwähnten steht in Zusammenhang, dass die Familienhaushaltungen zugunsten der Einzelhaushaltungen etwas zurückgehen, an Zahl ihrer Mitglieder sich vermindern, die einen geringeren Bestand von Familienangehörigen, dagegen einen grösseren Bestand von familienfremden Mitgliedern (Einmieter, Schlafgänger etc.) aufweisen. Die städtische Entwicklung führt also dazu, die Menschen räumlich anzuhäufen, aber haushaltlich zu zersplittern, wobei die Wohnungsnot, die teueren Wohnungspreise in den Städten nicht unerheblich mitwirken. Grössere Familienhaushaltungen sind hauptsächlich nur auf dem Lande nachgewiesen.

Hinsichtlich der Sprachenverhältnisse hat Deutschland im grossen und ganzen den Vorzug der Spracheneinheit: 92% der Bevölkerung bezeichnen (1900) Deutsch als ihre Muttersprache. Der Vorzug wird uns namentlich in den Schwierigkeiten der Sprachenfrage n anderen Ländern, vor allem in Österreich, deutlich ersichtlich. Unsere Spracheneinheit machte im allgemeinen noch weitere Fortschritte, speziell zum Beispiel auch in bezug auf die französisch sprechenden Bevölkerungselemente. Nur die Polen in Preussen machen eine Ausnahme durch ihre fortgesetzt starke Vermehrung: ihre Zahl stieg von 2 Millionen im Jahre 1852 auf 2,8 Millionen im Jahre 1890, auf 3,1 Millionen i. J. 1900, auf 3,3 Millionen i. J. 1905, auf 3,5 Millionen i. J. 1910. Sie befinden sich [191] nicht mehr wie früher bloss im Osten Preussens, sondern bilden dem Zug nach Westen sich anschliessend auch anderwärts eine Reihe von polnischen Sprachinseln, z. B. in den Kreisen Recklinghausen, Gelsenkirchen, Bochum, Dortmund, Essen. Aber in der Ostmark (in den vier östlichen Provinzen Preussens) ging der Anteil der Polen an der Bevölkerung 1890/1910 derart (von 28,47 auf 27,12%) zurück, dass seine im übrigen Preussen erfolgte Zunahme in der Gesamtziffer Preussens mehr als ausgeglichen und auch da ein geringerer polnischer Anteil (8,71 gegen 9,23 i. J. 1890) zu konstatieren ist. Demgemäss sind wir dem Bismarck’schen Ziel schon etwas näher gekommen, wonach die Verhältniszahl zwischen der polnischen und der deutschen Bevölkerung zum Vorteil der Deutschen gebessert werden muss, um sichere Leute, die am preussischen Staat festhalten, in der Ostmark zu gewinnen. Auch die zunehmende Ausbreitung der Polen über immer grössere Teile des Staats macht deren Position ungünstiger, sie vergrößert ihre Kampfesfront im Nationalitätenkampf und stärkt die strategische Position der Deutschen.


Entwicklung der konfessionellen Gliederung der Bevölkerung in einzelnen Staaten und Landesteilen seit 1871.
Staaten und Landesteile Ortsanwesende evang. bezw. kathol. Bevölkerung Von 1000 Einw. waren ev. bezw. kath.
1871 1880 1890 1900 1910 1871 1880 1890 1900 1910
Deutsches Reich ev. 25 581 685[8] 28 318 592 31 026 810 35 231 104 39 991 421 623 626 628 625 616
kath. 14 869 292[8] 16 229 290 17 674 921 20 327 913 23 821 453 362 359 358 361 367
I. Gebiete mit evangelischer Mehrheit bezw. katholischer Minderheit.
Ostpreussen ev. 1 569 365 1 654 510 1 675 792 1 698 465 1 740 822 861 856 856 851 843
kath. 233 007 249 708 257 159 269 196 290 877 128 130 131 135 141
Berlin ev. 735 783 982 346 1 352 559 1 590 115 1 689 118 886 875 857 842 816
kath. 51 729 80 603 135 407 188 440 243 020 62 72 86 100 117
Brandenburg ev. 1 987 891 2 199 516 2 431 307 2 907 863 3 676 693 976 970 957 935 898
kath. 34 530 50 926 89 910 160 305 300 320 17 22 35 52 73
Pommern ev. 1 397 467 1 498 809 1 476 300 1 579 080 1 637 299 976 973 971 966 954
kath. 16 858 23 873 27 476 38 169 56 289 12 16 18 23 33
Prov. Sachsen ev. 1 966 696 2 154 274 2 383 561 2 610 080 2 830 151 935 932 924 921 916
kath. 126 735 145 498 183 233 206 121 232 573 60 63 71 73 75
Schleswig-Holstein ev. 1 034 363 1 110 850 1 190 793 1 349 297 1 549 032 989 986 976 972 956
kath. 6 276 8 891 21 807 30 524 53 513 6 8 18 22 33
Kgr. Preussen ev. 16 040 750 17 627 658 19 232 449 21 817 577 24 830 547 659 646 642 633 618
kath. 8 268 206 9 204 930 10 252 818 12 113 670 14 581 829 335 337 342 351 363
Kgr. Sachsen ev. 2 493 556 2 885 622 3 351 751 3 972 063 4 520 835 976 971 957 945 941
kath. 53 642 73 009 129 382 198 265 236 052 21 25 37 47 49
Kgr. Württemberg ev. 1 248 860 361 559 1 407 176 1 497 299 1 671 183 687 692 691 690 686
kath. 553 542 590 183 609 794 650 392 739 995 304 299 299 300 304
Hamburg ev. 306 553 419 937 571 497 712 338 929 758 904 925 918 927 916
kath. 7 748 12 035 23 444 30 903 51 036 23 27 38 40 50
II. Gebiete mit katholischer Mehrheit bezw. evangelischer Minderheit.
Westfalen ev. 806 464 949 414 1 152 985 1 537 948 1 947 672 454 465 475 482 472
kath. 949 118 1 070 207 1 250 603 1 616 462 2 121 534 535 524 515 507 514
Rheinland ev. 906 867 1 076 355 1 295 673 1 663 218 2 097 619 253 264 275 289 295
kath. 2 628 173 2 944 150 3 351 864 4 021 388 4 916 022 734 723 712 698 690
Bayern ev. 1 342 592 1 477 320 1 571 863 1 749 206 1 942 658 276 280 281 283 282
kath. 3 464 364 3 748 032 3 962 941 4 363 178 4 863 251 712 709 708 707 706
Baden ev. 491 008 546 777 598 678 704 058 826 364 336 349 361 377 386
kath. 942 560 992 938 1 028 222 1 131 639 1 271 015 645 632 620 606 593
Elsass-Lothringen ev. 270 251 305 167 337 476 372 078 408 274 174 195 210 216 218
kath. 1 235 706 1 218 468 1 227 225 1 310 450 1 428 343 797 778 765 762 762

[192] Noch besser als mit dem in den Sprachenverhältnissen zum Ausdruck gelangenden Deutschtum steht es mit der nationalstaatlichen Kompaktheit der Bevölkerung, wie sie sich in der staatsrechtlichen Zugehörigkeit zum Reich äussert. Nur 1,4% sind staatsrechtlich Fremde unter der deutschen Bevölkerung, nicht viel mehr (1,5%) nach ihrer Geburt Fremde. Der Einschlag staatsfremder und fremdgeborener Elemente ist also ziemlich unerheblich, wenn er auch in den letzten Jahrzehnten etwas zugenommen hat. Von den 1,26 Millionen Ausländern, die 1910 (allerdings im Winter!) im Reich ermittelt wurden, waren über die Hälfte (634 983) Österreicher, ihnen folgen die Niederländer mit 144 175, die Russen mit 137 697, die Italiener mit 104 204, die Schweizer mit 68 257. Auf diese fünf Staaten treffen 86,5% unserer Reichsausländer.

Im Gegensatz zu der eben geschilderten sprachlichen und nationalstaatlichen Kompaktheit zeigt Deutschland in religiöser Beziehung nach wie vor eine politisch wenig vorteilhafte Zersplitterung. Es sind von der Reichsbevölkerung 61,6% evangelisch, 36,7% katholisch, 0,4% andere Christen, 0,9 % Israeliten (der tatsächliche %-Satz der Bevölkerung jüdischer Rasse lässt sich wegen der vielen Übertritte zahlenmässig nicht ausdrücken). An dieser Religionsgliederung hat sich in den letzten Dezennien verhältnismässig wenig geändert. Immerhin bekundet die Entwicklung die Richtung auf Minderung des Anteils der evangelischen und auf Mehrung desjenigen der katholischen Bevölkerung. Es hängt dies, abgesehen vom grösseren Kinderreichtum der landwirtschaftlichen, vielfach katholischen Bevölkerung des Reiches, auch mit der aus den angrenzenden vorwiegend katholischen Ländern (Russland, Österreich, Italien) erfolgenden Einwanderung zusammen, durch welche die Katholiken mehr als andere Konfessionen Zuwachs erhalten. Daneben vollzogen sich in den einzelnen Teilen des Reiches, namentlich im Anschluss an die bereits skizzierte Wanderbewegung, gewisse konfessionelle Verschiebungen. Frühere glaubenseinheitliche Bezirke werden mehr und mehr konfessionell gemischt, weshalb auch die Zahl der Mischehen, die Zahl der Familien mit gemischter religiöser Kindererziehung sich mehren. Die in der ausgesprochenen Minorität befindlichen Konfessionen folgen dem Gesetz der Minoritäten, denen die Tendenz innewohnt, raschere Zunahme zu bewirken, sie erhöhen ihren bisherigen Anteil. Doch geht dabei die in der Mehrheit befindliche, die vorherrschende Konfession in den betreffenden Bezirken – dies wird von der politischen Presse häufig übersehen –an absoluter Zahl keineswegs zurück, (cf. S. 191.)

Die verstärkte deutsche Binnenmischung, welche durch die Wanderungen herbeigeführt ist, bedeutet also gleichzeitig eine grosse Binnenmischung in konfessioneller Beziehung und ist mit der mancherseits gewünschten vollkommeneren Absperrung der Konfessionen, mit Bestrebungen, die unser ganzes soziales Leben konfessionalisieren möchten, unvereinbar. Wohl aber erhöhen sich jetzt die Pflichten zur gegenseitigen religiösen Duldung und Achtung. Nebenbei bemerkt, verringert sich bei jenem Mischungsprozess von selbst die sog. wirtschaftliche und kulturelle Inferiorität der deutschen Katholiken, wie sie neuerdings auf Grund der gegenüber den Evangelischen geringeren Steuerleistung der katholischen Bevölkerung, ihrer Vertretung in besseren sozialen und wirtschaftlichen Berufen und ihrer Beteiligung am höheren Studium von katholischen Schriftstellern dargetan wird (Hans Rost, Die wirtschaftliche und kulturelle Lage der deutschen Katholiken. Cöln 1911).

Tatsächlich treffen nach der Berufsstatistik von 1907 von der Gesamtzahl der Erwerbstätigen auf die Evangelischen 61%, auf die Katholiken nicht, wie es ihrer Gesamtvolksstärke entspricht, 36,5 sondern mehr, 37,8%. Diese grössere Beteiligung des katholischen Volksteils am Erwerb rührt von der relativ grösseren Zahl landwirtschaftlicher Berufskräfte unter den Katholiken her, insbesondere aus der Mithilfe, die von Angehörigen bei Bewirtschaftung ländlichen Besitzes geleistet wird. In der Industrie, im Handel und Verkehr sowie in den freien Berufen zählt die katholische Bevölkerung eine geringere Anzahl von Berufstätigen als ihrer Gesamtvolksstärke entspräche. In grösserem Masse gegenüber dem Bevölkerungsdurchschnitt sind die katholischen Berufstätigen vertreten nur in Land- und Forstwirtschaft, Bergbau, Stein- und Erdindustrie, Baugewerbe, also in Erwerbszweigen mit den meisten ländlichen Arbeitskräften und (ausgenommen die Forstwirtschaft) den meisten ausländischen Wanderarbeitern. [193] Israeliten kommen meistens vor im Handels-, Nahrungsmittel-, Bekleidungsgewerbe und in den freien Berufen. Im übrigen bestätigt die Statistik, dass die Evangelischen und Juden besonders in Berufszweigen, die akademische. Bildung voraussetzen, stärker vertreten sind als die Katholiken.

V. Änderungen im beruflichen Aufbau des Volkes.[Bearbeiten]

Die eben geschilderte Entwicklung der Bevölkerung, ihre grosse Zunahme, die erhöhte Lebenskraft auch in den produktiven Altersklassen, der Zug in die Stadt und nach dem Westen zu besseren Futterplätzen und Futtergegenden steht in Wechselverbindung mit unserem kapitalistischen Zeitalter, mit dem Zeitalter der Arbeit, mit dem Zeitalter der Maschine, mit dem Zeitalter des Dampfes und der Elektrizität, mit dem Zeitalter des Verkehrs. Dieses Zeitalter hat uns eine quantitative und qualitative Steigerung der Erwerbstätigkeit, eine wirtschaftliche und soziale Umschichtung des Aufbaus unserer Bevölkerung, eine erhöhte Intensität des gesellschaftlichen Lebens gebracht.

Was die Erwerbstätigkeit im allgemeinen anlangt, so wurden bei der Berufszählung 1907 von 61,7 Millionen Reichsbevölkerung 28 Millionen oder 45,51% ermittelt, die die eigentliche Arbeitskraft des Volkes repräsentieren. Und zwar schaffen 26,8 Millionen oder 43,46% unmittelbar für die Volkswirtschaft, 1,3 Millionen oder 2,05% als Hausgesinde.

Für das männliche Geschlecht beträgt die Erwerbsziffer 61,06%, für das weibliche Geschlecht, in dem die zahlreichen, nur in der Haushaltung tätigen Ehefrauen und Töchter hier ausser Betracht bleiben, 30,37%.

Im wesentlichen ist es die Bevölkerung im Alter von 14–60 Jahren, auf der die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Reiches beruht. Rund 9/10 der Männer dieses Alters üben eine Erwerbstätigkeit aus. Das weibliche Geschlecht ist in erheblicherem Masse nur bis zum 30. Jahr erwerbstätig (55% aller erwerbenden Frauen stehen im Alter von unter 30 Jahren); späterhin wird seine Tätigkeit mehr durch die Aufgaben der Ehefrauen in Anspruch genommen, die aber als solche – da nach aussen nicht hervortretend – von der Berufsstatistik nicht registriert wird.

Den übrigen Teil der Bevölkerung bilden 30,2 Millionen nichterwerbstätige Familienangehörige (48,97%), worunter neben den ebengenannten, mit der Besorgung des Hauswesens befassten Hausfrauen, die noch nicht und die nicht mehr erwerbstätigen Haushaltungsmitglieder inbegriffen sind.

Ferner sind zu nennen 3,4 Millionen (5,52%) sogenannte berufslose Personen – eine Sammelgruppe, die sich aus Rentnern, Pensionären, auch Armenunterstützten, Anstaltsinsassen und solchen, deren Beruf nicht feststellbar ist, zusammensetzt; diese Berufsgruppe umfasst Volksteile aus allen anderen Berufsstellungen, die ihnen aber nach den tatsächlichen Verhältnissen nicht mehr, nicht, oder noch nicht zugerechnet werden können.

In den letzten 25 Jahren hat die Erwerbstätigkeit der Bevölkerung von 41,92% auf 45,51% der Gesamtbevölkerung sich erhöht. An der Mehrung sind beide Geschlechter beteiligt, und zwar stieg die Erwerbsziffer des männlichen Geschlechts von 60,57 auf 61,06%, die des weiblichen Geschlechts von 24,02 auf 30,37%.

Doch hat in dem Mass, wie es die Berufsstatistik zeigt, die weibliche Erwerbstätigkeit kaum zugenommen. Bei den einschlägigen Zahlen dieser Statistik handelt es sich zweifellos zum grössten Teil um Verschiebungen formaler Art, die nur auf schärferer Erfassung der Mithilfe von solchen Familienangehörigen beruhen, die früher in der Gruppe der (nichterwerbstätigen) Familienangehörigen gezählt wurden, jetzt dagegen in der Gruppe der Erwerbstätigen erscheinen. Dieserhalb zeigt sich auch bei der Gruppe der nichterwerbstätigen Familienangehörigen ein Rückgang, der ebenfalls zum Teil lediglich formaler Natur ist. Immerhin wird tatsächlich – entsprechend der immer grösseren Einengung des Tätigkeitsbereiches der Familie und dem gesteigerten wirtschaftlichen Druck im allgemeinen – ein grosser Teil der Familienangehörigen jetzt ausserhalb der Familienwirtschaft mithelfen und früher als ehedem dem eigenen Erwerb nachgehen. In der Landwirtschaft [194] wie im Kleingewerbe spielt diese Familienarbeit eine erhöhte Rolle angesichts der wachsenden Lohnansprüche der Arbeiter und Angestellten, namentlich in Anbetracht der zunehmenden Bedeutung der kleinen und mittleren Bauerngüter innerhalb unserer heutigen Agrarverfassung. Abgesehen davon wird das Streben nach einem Hauptberuf durch das Verlangen nach einer Anwartschaft auf die Wohltaten der Versicherungsgesetzgebung erhöht.

Bei den Dienstboten ist nach dem Berufszählungsergebnis von 1907 ein Rückgang gegen früher zu verzeichnen. Die Einschränkung der Dienstbotenhaltung hängt teils mit den gesteigerten Ansprüchen dieser Dienstnehmer, mit der schwierigen Erlangung dieser Kräfte, die sich lieber der ungebundenen Fabrikarbeit und dem Handelsgewerbe (als Verkäuferinnen, Kontoristinnen) zu wenden, teils mit ihrer Entbehrlichkeit bei der modernen Wohnungsausstattung zusammen.

Der Anteil der berufslosen Selbständigen hat sich in den letzten 25 Jahren nahezu verdoppelt. Die soziale Fürsorge für die arbeitenden Klassen und der erhöhte Wohlstand leisteten der Möglichkeit Vorschub, sich früher als dies ehedem tunlich gewesen, von der beruflichen Tätigkeit zurückzuziehen und von Rente und Pension zu leben. Auch spielt die gestiegene Zahl derer, die zu Ausbildungs- und Fortbildungszwecken ausserhalb des Haushalts leben, ohne sich noch einem bestimmten Beruf zugewendet zu haben, eine Rolle.

Ziffernmässig ergibt sich das Gesagte aus folgenden Übersichten:[9]

a) Erwerbstätigkeit der Bevölkerung.
Bevölkerungsgruppe 1907 1895 1882
absolut % absolut % absolut %
I. Männliche Bevölkerung.
Erwerbstätige im Hauptberuf 18 583 864 61,01 15 506 482 61,03 13 372 905 60,38
Dienende für häusliche Dienste im Haushalte der Herrschaft 15 372 0,05 25 359 0,10 42 510 0,19
Angehörige 10 249 088 33,65 8 850 061 34,83 8 082 973 36,49
Berufslose Selbständige 1 612 776 5,29 1 027 259 4,04 652 361 2,94
Männliche Gesamtbevölkerung 30 461 100 100,00 25 409 161 100,00 22 150 749 100,00
II. Weibliche Bevölkerung.
Erwerbstätige im Hauptberuf 8 243 498 26,37 5 264 393 19,97 4 259 103 18,46
Dienende für häusliche Dienste im Haushalte der Herrschaft 1 249 383 4,00 1 313 957 4,99 1 282 414 5,56
Angehörige 19 974 341 63,90 18 667 224 70,81 16 827 722 72,94
Berufslose Selbständige 1 792 207 5,73 1 115 549 4,23 702 125 3,04
Weibliche Gesamtbevölkerung 31 259 429 100,00 26 361 123 100,00 23 071 364 100,00
III. Gesamtbevölkerung (I + II).
Erwerbstätige im Hauptberuf 26 827 362 43,46 20 770 875 40,12 17 632 008 38,99
Dienende für häusliche Dienste im Haushalte der Herrschaft 1 204 755 2,05 1 339 316 2,59 1 324 924 2,93
Angehörige 30 223 429 48,97 27 517 285 53,15 24 910 695 55,08
Berufslose Selbständige 3 404 983 5,52 2 142 808 4,14 1 354 486 3,00
Gesamtbevölkerung überhaupt 61 720 529 100,00 51 770 284 100,00 45 222 113 100,00

Die Zunahme der Erwerbstätigkeit vollzog sich vornehmlich in Berufen, die zu Gewerbe und Industrie sowie zu Handel und Verkehr zählen. Von den 10 Millionen Mehrvolk in der Periode 1882/1907 haben 10 + 4 [195]

b) Zunahme der Erwerbstätigen und der Gesamtbevölkerung.
  1882–1895 1895–1907 1882-1907
absolute Zunahme % absolute Zunahme % absolute Zunahme %
Erwerbstätige (ausschl. häusl. Dienstboten)
männliche 2 133 577 15,95 3 077 382 19,85 5 210 959 38,97
weibliche 1 005 290 23,60 2 979 105 56,59 3 984 395 93,55
überhaupt 3 138 867 17,80 6 056 487 29,16 9 195 354 52,15
Gesamtbevölkerung
männliche 3 258 412 14,71 5 051 939 19,88 8 310 351 37,52
weibliche 3 289 759 14,26 4 898 306 18,58 8 188 065 35,49
überhaupt 6 548 171 14,48 9 950 245 19,22 16 498 416 36,48
c) Gliederung der berufslosen Selbständigen 1907 und 1895.
  Insgesamt Männlich Weiblich Zu- bezw. Abnahme (–)
1. Reihe absol.; 2. Reihe %
Insgesamt männlich weiblich
F 1 Von eigenem Vermögen, von Renten und Pensionen Lebende 1907 2 278 022 1 051 414 1 226 608 989 538 453 972 535 566
1895 1 288 484 597 442 691 042 76,8 76,0 77,5
F 2 Von Unterstützung Lebende (ohne die zu Nr. 5) 1907 126 653 24 003 102 650 –47 200 –21 100 –26 100
1895 173 853 45 103 128 750 –27,2 –46,8 –20,3
F 3 Nicht in ihrer Familie lebende Studierende, Seminaristen und Schüler, Zöglinge in Anstalten für Bildung, Erziehung und Unterricht, in Kadettenhäusern, Waisenanstalten usw. 1907 606 341 363 259 243 082 191 754 113 382 78 372
1895 414 587 249 877 164 710 46,3 45,4 47,6
F 4 Insassen v. Invaliden-, Versorgungs- und Wohltätigkeitsanstalten 1907 66 801 22 829 43 972 12 550 4 754 7 796
1895 54 251 18 075 36 176 23,1 26,3 21,6
F 5 Insassen von Armenhäusern (soweit nicht als gewöhnliche Haushaltungen und einzeln Lebende zu zählen) 1907 26 149 12 197 13 952 –9 913 –4 554 –5 359
1895 36 062 16 751 19 311 –27,5 –27,2 –27,8
F 6 u. 7 Insassen von Siechen- und öffentlichen Irrenanstalten 1907 127 837 64 710 63 127 46 100 23 630 22 470
1895 81 737 41 080 40 657 56,4 57,5 55,3
F 8 Insassen von Straf- und Besserungsanstalten 1907 66 374 52 950 13 424 5 129 1 124 4 005
1895 61 245 51 826 9419 8,4 2,2 42,5
F 9 Ohne eigentlichen Beruf und ohne Berufsangabe 1907 106 806 21 414 85 392 74 217 14 309 59 908
1895 32 589 7 105 25 484 227,7 201,4 235,1

Millionen bei Industrie und Handel Aufnahme gefunden. Demzufolge haben die beiden grossen Schlagadern unserer Volkswirtschaft, Landwirtschaft und Industrie, ihre Stellung im Gesamtorganismus vertauscht. Deutschland hat sich, wie schon in der Periode 1882/1895, so weiter in der Periode 1895/1907 aus einem überwiegenden Agrikultur- zu einem überwiegenden Industriestaat entwickelt – ein Prozess (der sogenannte Industrialisierungsprozess), der auch bei anderen wirtschaftlich rührigen Ländern, vor allem in Grossbritannien und in den Vereinigten Staaten von Amerika wahrnehmbar ist.

Der berufliche Aufbau unserer Bevölkerung stellt sich hiernach wie folgt: zunächst eine zwar noch breite aber gegen früher etwas geringer gewordene Agrarbasis, darauf eine ständig mächtiger werdende Industrieschicht, darauf eine nicht so starke, aber rasch sich entwickelnde Schicht von Handel und Verkehr, zu oberst Armee und Beamtenschaft, freie Berufe und alle sonstigen Erwerbszweige.[10] [196]

d) Berufliche Gliederung im Reich 1907, 1895 und 1882 nach Berufsabteilungen.[11]
Berufsabteilung Jahr Erwerbs-
tätige im
Haupt-
beruf
Dienende
für häusliche
Dienste
Angehörige Berufs-
zu-
gehörige
Von 1000
Erwerbstätigen
des Reichs
entzfielen
auf jede
Berufsabteilung
Von 100
der Gesamt-
bevölkerung des
Reichs entfielen
auf jede
Berufsabteil.
Berufszugehör.
Von 1000 Berufszugehör.
jeder Berufsabteilung
kamen auf
Er-
werbs-
tätige
Die-
nende
Ange-
hörige
A) Landwirtschaft, Gärtnerei u. Tierzucht, Forstwirtschaft u. Fischerei 1907 9 883 257 163 829 7 634 090 17 681 176 32,7 28,6 559,0 9,2 431,8
1895 8 292 692 374 697 9 833 918 18 501 307 36,2 35,8 448,2 20,3 531,5
1882 8 236 496 424 913 10 564 046 19 225 455 43,4 42,5 428,4 22,1 549,5
B) Industrie einschl. Bergbau u. Baugewerbe 1907 11 256 254 331 756 14 798 527 26 386 537 37,2 42,8 426,6 12,6 560,8
1895 8 281 220 320 134 11 651 887 20 253 241 36,1 39,1 408,9 15,8 575,3
1882 6 396 465 302 561 9 359 054 16 058 080 33,7 35,5 398,3 18,9 582,8
C) Handel und Verkehr einschl. Gast- u. Schankwirtsch. 1907 3 477 626 342 955 4 457 658 8 278 239 11,5 13,4 420,1 41,4 538,5
1895 2 338 511 283 977 3 344 358 5 966 846 10,2 11,5 391,9 47,6 560,5
1882 1 570 318 295 451 2 665 311 4 531 080 8,3 10,0 346,6 65,2 588,2
D) Häuslich. Dienste, auch Lohnarbeit wechselnder Art. 1907 471 695 1 226 319 827 792 748 1,6 1,3 595,0 1,5 403,5
1895 432 491 1 270 453 046 886 807 1,9 1,7 487,7 1,4 510,9
1882 397 582 2 189 538 523 938 294 2,1 2,1 423,7 2,4 573,9
E) Militär-, Hof-, bürgerl. u. kirchl. Dienst, auch sog. freie Berufsart. 1907 1 738 530 223 388 1 445 208 3 407 126 5,7 5,5 510,3 65,5 424,2
1895 1 425 961 191 122 1 217 931 2 835 014 6,2 5,5 503,0 67,4 429,6
1882 1 031 147 164 570 1 027 265 2 222 982 5,4 4,9 463,9 74,0 462,1
A bis E zusammen 1907 26 827 362 1 063 154 28 655 310 56 545 826 88,7 91,6 474,4 18,8 506,8
1895 20 770 875 1 171 200 26 501 140 48 443 215 90,6 93,6 428,8 24,2 547,0
1882 17 632 008 1 189 684 24 154 199 42 975 891 92,9 95,0 410,3 27,7 562,0
F) Ohne Beruf und Berufsangabe 1907 3 404 983 201 601 1 568 119 5 174 703 11,3 8,4 658,0 39,0 303,0
1895 2 142 808 168 116 1 016 145 3 327 069 9,4 6,4 644,1 50,5 305,4
1882 1 354 486 135 240 756 496 2 246 222 7,1 5,0 603,0 60,2 336,8
A bis F zusammen 1907 30 232 345 1 264 755 30 223 429 61 720 529 100 100 489,8 20,5 489,7
1895 22 913 683 1 339 316 27 517 285 51 770 284 100 100 442,6 25,9 531,5
1882 18 986 494 1 324 924 24 910 695 45 222 113 100 100 419,8 29,3 550,9

Die erwähnte Verschiebung des Schwerpunktes unserer Gesamtwirtschaft ist bei unserer starken Volksvermehrung naturnotwendig. Ohne Vermehrung der Arbeitsgelegenheit keine gesunde Volksvermehrung. Darum ist unsere industrielle Entfaltung geradezu eine Lebensfrage für die Ernährungsmöglichkeit unserer gewachsenen Volksziffer, wenn anders diese im Inland gehalten und nicht wie früher ihr Ventil in hoher Säuglingssterblichkeit und in Abwanderung nach dem Ausland finden soll. Denn die Aufnahmefähigkeit der Landwirtschaft ist infolge ihrer natürlichen Produktionsbedingungen beschränkt. Sie vermag ihren eigenen Nachwuchs im grossen und ganzen nur soweit aufzunehmen, als er zur Rekrutierung ihres Bestandes notwendig ist. Der Überschuss muss anderweitig sich Erwerbsgelegenheit suchen. Der grösste Teil desselben wurde von Handel und Industrie anfgenommen, d. h. von denjenigen Erwerbszweigen, die ihrer Natur nach die grösste Ausdehnungsfähigkeit besitzen, und die in Deutschland gerade in den letzten 25 Jahren sich auch tatsächlich in ganz hervorragendem Masse entfaltet haben. Relativer Rückgang der landwirtschaftlichen Bevölkerung und Zunahme der Industrie- und Handelsbevölkerung stehen also in Wechselwirkung.

Allerdings wandern aus der Landwirtschaft mehr ab, als für den landwirtschaftlichen Betrieb erwünscht ist, und wenden sich, angelockt durch die besseren Löhne und die grössere persönliche Selbständigkeit, gewerblichen und städtischen Berufen zu. Die Lücke, die so in der Landwirtschaft [197] an deutschen Arbeitern entsteht, wird teilweise durch angestrengtere Arbeit der übrigen landwirtschaftlichen Arbeiter, durch umfassendere Mitarbeit der weiblichen Kräfte (freilich Gefahr der Überanstrengung, Nachteil für die Wehrhaftigkeit des Nachwuchses!), teilweise durch Nachschübe ausländischer, insbesondere slavischer Arbeiter und durch erhöhte Maschinenverwendung ausgefüllt, teilweise bewirkt die Abwanderung, wie oben geschildert, eine Verödung des platten Landes.


e) Berufsgruppen im Reich 1907, 1895, 1882.
Berufsgruppe Erwerbstätige
im
Hauptberuf
1907
Berufs-
zugehörige
überhaupt
1907
Auf die einzelnen Berufsgruppen entfielen von je 100
Erwerbstätigen Berufszugehöri-
gen überhaupt
1907 1895 1882 1907 1895 1882
I. Landwirtschaft, Gärtnerei u. Tierzucht 9 732 472 17 242 935 39,54 43,13 50,12 32,04 40,40 47,32
II. Forstwirtschaft und Fischerei 150 785 438 241 0,61 0,72 0,72 0,84 0,97 0,97
III. Bergbau, Hütten- u. Salinenwesen, Torfgräberei 963 278 2 982 161 3,91 3,00 2,72 5,70 4,13 3,39
IV. Industrie der Steine und Erden 714 520 1 796 798 2,90 2,65 2,05 3,43 2,94 2,25
V. Metallverarbeitung 1 186 099 2 826 623 4,82 4,56 3,26 5,40 4,81 3,37
VI. Industrie der Maschinen, Instrumente u. Apparate 907 048 2 241 057 3,68 2,04 1,76 4,28 2,33 2,01
VII. Chemische Industrie 158 776 421 122 0,65 0,54 0,36 0,81 0,65 0,42
VIII. Industrie der forstwirtschaftl. Nebenprodukte, Leuchtstoffe, Seifen, Fette, Öle und Firnisse 75 879 217 262 0,31 0,23 0,19 0,42 0,30 0,24
IX. Textilindustrie 1 057 243 1 940 818 4,29 5,00 5,25 3,71 4,25 4,65
X. Papierindustrie 206 763 441 022 0,84 0,72 0,56 0,84 0,68 0,50
XI. Lederindustrie u. Industrie lederart. Stoffe 219 443 534 677 0,89 0,89 0,80 1,02 0,96 0,83
XII. Industrie der Holz- und Schnitzstoffe 787 754 1 989 096 3,20 3,42 3,22 3,80 3,78 3,45
XIII. Industrie der Nahrungs- u. Genussmittel 1 127 516 2 511 013 4,58 4,64 4,09 4,80 4,65 4,29
XIV. Bekleidungsgewerbe 1 421 695 2 645 531 5,78 8,00 8,23 5,05 6,65 6,86
XV. Reinigungsgewerbe 270 374 458 788 1,10 0,88
XVI. Baugewerbe 1 905 987 4 854 836 7,74 7,16 5,84 9,27 8,29 6,98
XVII. Polygraphische Gewerbe 197 903 401 643 0,80 0,63 0,43 0,77 0,56 0,37
XVIII. Künstlerische Gewerbe 37 111 79 904 0,15 0,15 0,15 0,15 0,14 0,13
XIX. Fabrikanten, Fabrikarbeiter, Gesellen u. Gehilfen, deren nähere Erwerbstätigkeit zweifelhaft bleibt 18 865 44 186 0,08 0,16 0,56 0,08 0,17 0,59
XX. Handelsgewerbe 1 739 910 3 724 347 7,07 6,37 5,20 7,12 6,57 5,73
XXI. Versicherungsgewerbe 60 531 148 805 0,25 0,13 0,07 0,28 0,16 0,09
XXII. Verkehrsgewerbe 1 026 288 3 157 872 4,17 3,25 2,70 6,03 4,48 3,66
XXIII. Gast- und Schankwirtschaft 650 897 1 247 215 2,64 2,61 1,72 2,38 2,13 1,90
Zusammen I–XXIII: 24 617 137 52 345 952 100 100 100 100 100 100

Indessen hat bei dem Rückgang des landwirtschaftlichen Personals die deutsche Landwirtschaft an qualitativer, dynamischer Bedeutung keineswegs verloren, eher noch zugenommen. Ihre Leistungen vom Standpunkt der Versorgung des Reichs mit Getreide, Vieh und Viehnutzung, namentlich mit Brot, Fleisch, Milch, Butter, sind den grösseren Aufgaben, welche unsere wachsende Bevölkerung mit sich bringt, in weitem Umfang gerecht geworden, wenn auch zu einem – verhältnismässig geringen – Teil noch das Ausland hier mithelfen muss.

[198] Bekanntlich empfängt die deutsche Landwirtschaft ihr Gepräge vom Bauerngut, das fast ¾ der landwirtschaftlichen Betriebsfläche in sich schliesst, und zwar speziell vom mittleren Bauerngut, das fast ⅓ der landwirtschaftlichen Fläche auf sich vereinigt:

Landwirtschaftliche Betriebe im Reich 1907, 1895, 1882.

Zahl der Betriebe Auf die einzelnen Grössenklassen
entfallen von je 100 Betrieben
Grössenklasse 1907 1895 1882 1907 1895 1882
unter 002 ha 3 378 509 3 236 367 3 601 831 58,9 58,2 58,0
2 ha bis unter 005 ha 1 006 277 1 016 318 981 407 17,5 18,3 18,6
5 ha bis unter 020 ha 1 065 539 998 804 926 605 18,6 18,0 17,6
20 ha bis unter 100 ha 262 191 281 767 281 510 4,6 5,1 5,3
100 ha u. darüber 23 566 25 061 24 991 0,4 0,4 0,5
Zusammen      5 736 082 5 558 317 5 276 344 100 100 100
Landwirtschaftlich benutzte Fläche Auf die einzelnen Grössenklassen
entfallen von je 100 ha landw.
benutzter Fläche
Grössenklasse 1907 1895 1882 1907 1895 1882
unter 002 ha 1 731 311 1 808 444 1 825 938 5,4 5,6 5,7
2 ha bis unter 005 ha 3 304 878 3 285 984 3 190 203 10,4 10,1 10,0
5 ha bis unter 020 ha 10 421 564 9 721 875 9 158 398 32,7 29,9 28,8
20 ha bis unter 100 ha 9 322 103 9 869 837 9 908 170 29,3 30,3 31,1
100 ha u. darüber 7 055 018 7 831 801 7 786 263 22,2 24,1 24,4
Zusammen      31 834 874 32 517 941 31 868 972 100 100 100
Gesamtfläche der landw. Betriebe Auf die einzelnen Grössenklassen
entfallen von je 100 ha landw.
benutzter Fläche
Grössenklasse 1907 1895 1882 1907 1895 1882
unter 002 ha 2 492 002 2 415 914 2 159 358 5,8 5,6 5,4
2 ha bis unter 005 ha 4 306 421 4 142 071 3 832 902 10,0 9,6 9,5
5 ha bis unter 020 ha 13 768 521 12 537 660 11 492 017 31,9 28,9 28,6
20 ha bis unter 100 ha 12 623 011 13 157 201 12 415 463 29,3 30,4 30,9
100 ha u. darüber 9 916 531 11 031 896 10 278 941 23,0 25,5 25,6
Zusammen      43 106 486 43 284 742 40 178 681 100 100 100

Dieses Bauerngut, das sich durch Selbstbewirtschaftung und Selbsteigentum des Inhabers sowie durch grosse Ausdehnung der Familienwirtschaft auszeichnet, das in seinen Leistungen hervorragend wichtig ist für die Volksernährung und Viehzucht, hat sich in den letzten 25 Jahren in starkem Masse behauptet. Es bewährte – insbesondere das mittlere Bauerngut – seine Selbstbehauptungskraft sowohl als Widerstands- wie als Anziehungskraft. Und darum ist auch der auf ihm wirtschaftende Bauernstand (9,58 Millionen oder 63% des in der Landwirtschaft tätigen Personals), speziell der mittlere Bauernstand (4,6 Millionen Personal oder 30%) uns erhalten geblieben. Eine erfreuliche Erscheinung! Erweist sich doch der Bauernstand als die Verkörperung von eminent wuchtigen Lebensinteressen unseres Volkes, denen in der heutigen Zeit der immer grösseren Industrialisierung und Verstadtlichung der Gesamtbevölkerung gegen früher doppelt und dreifach erhöhte Bedeutung zukommt. Er ist der Jungbrunnen der physischen, geistigen und moralischen Kraft und Gesundheit unseres Volkes. Er ist der konstitutionell wertvollste Teil unseres Volkes mit unermesslichen rassenhygienischen Werten. Er ist der Hauptversorger des Reiches mit Brot, Fleisch, Milch, Butter, ein sicherer und wichtiger Abnehmer unsrer industriellen Produkte. Er ist die Grundlage unseres ländlichen Gemeindewesens, der Berufszweig mit besonders günstigen Vorbedingungen für zahlreiche selbständige Existenzen, wie überhaupt der widerstandskräftigste Bestandteil des selbständigen Mittelstandes, ein mächtiges Bollwerk gegen umstürzlerische Bestrebungen, eine der festesten Säulen unseres gesamten Staatswesens.

[199] Dem gegenüber bedeutet die grosse Entfaltung von Gewerbe und Industrie, Handel und Verkehr, die innerhalb der letzten 25 Jahre in Deutschland in grossartiger Weise sich vollzogen hat, nicht bloss reiche Erwerbsgelegenheit für das Inland, Anziehungskraft für ausländische Arbeitskräfte, sondern auch Ermöglichung des deutschen Expansionsdranges im Ausland, indem unsere Industrie gleichzeitig zu einem hochwertigen (der Zahl der Arbeitskräfte nach an erster Stelle unter den Nationen rangierenden) Bestandteil der Weltindustrie, unser Handel zur zweitgrössten Stellung auf dem Weltmarkt und Welthandel sich emporgearbeitet hat. Dieser Erfolg wurde ganz wesentlich erzielt mit der Ausbildung zum Grossbetrieb, mit der Erstarkung der Grossindustrie und des Grossbetriebs.

Zwar ist laut nachstehender Übersicht von einem förmlichen Verschwinden der Kleinbetriebe nicht die Rede. Ihre Zunahme hält jedoch nicht gleichen Schritt mit derjenigen der grösseren Betriebe. Diese verstanden es, sich die Vorzüge der Betriebskonzentration, die Vorteile einer rationellen Arbeitsteilung und Arbeitsvereinigung zu nutze zu machen, sowie die motorischen Kräfte und Arbeitsmaschinen in ihrer modernen Ausbildung besonders vorteilhaft zu verwerten. Sie haben ferner im


Entwicklung vom gewerblichen Klein-, Mittel- und Grossbetrieb 1882 bis 1907.
Gewerbeabteilung Zahl der gewerblichen Von je 100 Betrieben sind
Klein- davon
Allein-
Mittel- Gross- Klein- davon
Allein-
Mittel- Gross-
Betriebe Betriebe
Gewerbe überhaupt[12] 1907 3 124 198 1 446 286 267 430 32 007 91,3 42,2 7,8 0,9
1895 2 934 723 1 714 351 191 301 18 953 93,3 54,5 6,1 0,6
1882 2 882 768 1 877 872 112 715 9 974 95,9 62,5 3,8 0,3
A) Gärtnerei, Tierzucht und Fischerei 1907 49 200 17 547 3 970 146 92,3 32,9 7,4 0,3
1895 39 698 22 462 2 571 52 93,8 53,1 6,1 0,1
1882 30 673 17 582 1 183 30 96,2 55,1 3,7 0,1
B) Industrie einschl. Bergbau u. Baugewerbe 1907 1 870 261 994 743 187 074 29 033 89,6 47,7 9,0 1,4
1895 1 989 572 1 237 349 139 459 17 941 92,7 57,6 6,5 0,8
1882 2 175 857 1 430 465 85 001 9 481 95,8 63,0 3,8 0,4
C) Handel u. Verkehr einschl. Gast- u. Schankwirtschaft 1907 1 204 737 433 996 76 386 2 828 93,8 33,8 6,0 0,2
1895 905 453 454 540 49 271 960 94,7 47,6 5,2 0,1
1882 676 238 429 825 26 531 463 96,1 61,1 3,8 0,1
Gewerbeabteilung Gewerbetätige Personen in den Von je 100 gewerbetätigen Personen
jeder Abteilung entfallen auf
Auf je einen
Klein- davon
Allein-
Mittel- Gross- Klein- davon
Allein-
Mittel- Gross- Klein- Mittel- Gross-
Betriebe Betriebe Betrieb
entfallen Personen
Gewerbe überhaupt[12] 1907 5 353 576 1 446 286 3 644 751 5 350 025 37,3 10,1 25,4 37,3 1,7 13,6 167,2
1895 4 770 669 1 714 351 2 454 333 3 044 267 46,5 16,7 23,9 29,6 1,6 12,8 160,6
1882 4 335 822 1 877 872 1 391 720 1 613 247 59,1 25,6 18,9 22,0 1,5 12,3 161,7
A) Gärtnerei, Tierzucht und Fischerei 1907 96 378 17 547 40 820 16 913 62,5 11,4 26,5 11,0 2,0 10,3 115,8
1895 70 091 22 462 25 853 7 184 68,0 21,8 25,1 6,9 1,8 10,1 138,2
1882 51 437 17 582 11 422 4 559 76,3 26,1 16,9 6,8 1,7 9,7 152,0
B) Industrie einschl. Bergbau u. Baugewerbe 1907 3 200 282 994 743 2 714 664 4 937 927 29,5 9,2 25,0 45,5 1,7 14,5 170,1
1895 3 191 125 1 237 349 1 902 049 2 907 329 39,9 15,5 23,8 36,3 1,6 13,6 162,0
1882 3 270 404 1 430 465 1 109 128 1 554 131 55,1 24,1 18,7 26,2 1,5 13,0 163,9
C) Handel u. Verkehr einschl. Gast- u. Schankwirtschaft 1907 2 056 916 433 996 889 267 395 185 61,6 13,0 26,6 11,8 1,7 11,6 139,7
1895 1 509 453 454 540 526 431 129 754 69,7 21,0 24,3 6,0 1,7 10,7 135,2
1882 1 013 981 429 825 271 170 54 557 75,7 32,1 20,2 4,1 1,5 10,2 117,8

[200] Weg der Vergesellschaftung die Befriedigung des Geldbedarfs und des Kreditbedürfnisses ihrer Unternehmungen erleichtert. Zugleich ist dabei der Unternehmer unter Entlastung von initiativ-feindlichen finanziellen Sorgen in Stand gesetzt worden, sein technisches Können, seine kaufmännische Gestaltungskraft, sein starkes Selbständigkeitsgefühl, seine kräftige Organisationsgabe, seinen kaufmännischen Weitblick voll zu entfalten.

Welche zahlenmässige Bedeutung den Grossbetrieben im Rahmen sämtlicher Betriebe zukommt, erhellt aus folgender Tabelle, die nicht nur die Zahl der Betriebe und der beschäftigten Personen berücksichtigt, sondern auch die motorischen Arbeitskräfte umfasst.

Ausrüstung der Unternehmungen mit menschlicher und motorischer Kraft 1907
(bei Zählung der Gesamtbetriebe als Betriebseinheiten).
Grössenklasse Betriebe Personen Pferdestärken Kilowatt
absolut % absolut % absolut %
Gewerbe überhaupt.[13]
Alleinbetriebe 1 451 701 44,4 1 451 701 10,1
Betriebe mit bis 3 Personen 1 294 362 39,7 2 776 645 19,2 437 251 5,0 62 302,1 4,1
Betriebe mit 4 u. 5 Personen 229 520 7,0 1 007 978 7,0 215 438 2,4 46 899,1 3,0
Zus. Kleinbetriebe 1 523 882 46,7 3 784 623 26,2 652 689 7,4 109 201,2 7,1
Betriebe mit 6 bis 10 Personen 146 272 4,5 1 089 041 7,5 304 178 3,4 69 297,6 4,5
Betriebe mit 11 bis 50 Personen 113 210 3,5 2 426 685 16,8 1 222 657 13,9 172 884,3 11,2
Zus. Mittelbetriebe 259 482 8,0 3 515 726 24,3 1 526 835 17,3 242 181,9 15,7
Betriebe mit 51 bis 200 Personen 24 677 0,7 2 286 521 15,8 1 774 231 20,1 247 086,3 16,1
Betriebe mit 201 bis 1000 Personen 5 295 0,2 2 018 232 14,0 2 029 984 23,0 446 127,4 29,0
Betriebe über 1000 Personen 586 0,02 1 378 886 9,6 2 835 026 32,2 493 532,1 32,1
Zus. Grossbetriebe 30 558 0,9 5 683 689 39,4 6 639 241 75,3 1 186 745,8 77,2
Zusammen 3 265 623 100 14 435 739 100 8 818 765 100 1 538 128,9 100
davon Gesamtbetriebe[14] 334 783 10,3 3 954 470 27,4 4 424 476 50,2 735 578,3 47,8
Industrie (einschl. Bergbau und Baugewerbe).[15]
Alleinbetriebe 987 403 48,8 987 403 9,1
Betriebe mit bis 3 Personen 687 832 34,0 1 534 756 14,1 405 119 5,1 58 334,0 4,3
Betriebe mit 4 u. 5 Personen 146 999 7,2 644 575 5,9 204 509 2,6 43 031,4 3,2
Zus. Kleinbetriebe 834 831 41,2 2 179 331 20,0 609 628 7,7 101 365,4 7,5
Betriebe mit 6 bis 10 Personen 93 670 4,6 695 941 6,4 287 483 3,6 62 840,4 4,6
Betriebe mit 11 bis 50 Personen 82 433 4,1 1 830 195 16,8 1 177 333 14,8 148 849,3 10,9
Zus. Mittelbetriebe 176 103 8,7 2 526 136 23,2 1 464 816 18,4 211 689,7 15,5
Betriebe mit 51 bis 200 Personen 21 782 1,1 2 034 020 18,7 1 706 441 21,4 205 057,9 15,1
Betriebe mit 201 bis 1000 Personen 4 875 0,2 1 869 023 17,2 1 891 978 23,8 406 354,0 29,8
Betriebe mit über 1000 Personen 548 0,03 1 277 788 11,8 2 289 064 28,7 436 411,1 32,1
Zus. Grossbetriebe 27 205 1,3 5 180 831 47,7 5 887 483 73,9 1 047 823,0 77,0
Zusammen 2 025 512 100 10 873 701 100 7 961 927 100 1 360 878,1 100
davon Gesamtbetriebe[14] 191 658 9,5 3 219 805 29,6 3 755 957 47,2 682 502,6 50,2
Handel und Verkehr (einschl. Gast- und Schankwirtschaft).[16]
Alleinbetriebe 429 639 36,9 429 639 13,0
17 209[17] 70,3 17 209 19,6
Betriebe mit bis 3 Personen 577 429 49,6 1 178 551 35,5 30 852 3,7 3 723,6 2,2
3 481 14,2 7 782 8,9 213 3,8 175,4 5,1
Betriebe mit 4 u. 5 Personen 76 379 6,6 336 387 10,2 9 832 1,2 3 467,0 2,0
1 012 4,2 4 482 5,1 631 11,2 300,3 8,8
Zus. Kleinbetriebe 653 808 56,2 1 514 938 45,7 40 684 4,9 7 190,6 4,2
4 493 18,4 12 264 14,0 844 15,0 475,7 13,9
Betriebe mit 6 bis 10 Personen 48 588 4,2 363 587 11,0 14 873 1,8 6 026,0 3,5
1 127 4,6 8 559 9,8 1 282 22,9 350,1 10,2
Betriebe mit 11 bis 50 Personen 28 199 2,4 542 354 16,3 43 659 5,2 23 245,4 13,4
1 528 6,2 34 758 39,6 1 161 20,7 588,1 17,1
Zus. Mittelbetriebe 76 787 6,6 905 941 27,3 58 532 7,0 29 271,4 16,9
2 655 10,8 43 317 49,4 2 443 43,6 938,2 27,3
Betriebe mit 51 bis 200 Personen 2 656 0,3 231 684 7,0 56 032 6,7 40 461,7 23,4
105 0,4 8 343 9,5 1 638 29,2 1 290,4 37,6
Betriebe mit 201 bis 1000 Personen 380 0,03 136 190 4,1 131 456 15,8 39 027,6 22,5
16 0,1 5 374 6,2 685 12,2 727,7 21,2
Betriebe mit über 1000 Personen 36 0,00 97 658 2,9 545 962 65,6 57,121,0 33,0
1 0,00 1 154 1,3
Zus. Grossbetriebe 3 072 0,3 465 532 14,0 733 450 88,1 136 10,3 78,9
122 0,5 14 871 17,0 2 323 41,4 2 018,1 68,8
Zusammen 1 163 306 100 3 316 050 100 832 666 100 173 072,3 100
24 479 100 87 661 100 5 610 100 3 432,0 100
davon Gesamtbetriebe[14] 139 749 12,0 712 233 21,5 658 087 79,0 52 88,0 30,3
995 4,1 6 526 7,4 1 628 29,0 425,5 12,4

[201] Unter den 30 500 Grossbetrieben befinden sich allein 586 Riesenbetriebe (mit über 1000 Personen). Obschon sie der Zahl nach nur 0,02% sämtlicher Betriebe ausmachen, vereinigen sie auf sich nicht weniger als 1,4 Millionen oder 9,6% des gesamten gewerblichen Millionen Pferdestärken und 500 000 Kilowatt, d. s. 32% aller motorischen Kräfte! Wie sehr sich gerade auch diese grössten Gebilde unserer gewerblichen Unternehmungen seit 1895 vermehrt und erweitert haben, zeigt folgende Übersicht:

1895 1907
Zahl der Riesenbetriebe 29600 58600
Personen 562 62800 1 378 88600
Pferdestärken 665 26500 2 835 02600
Kilowatt unermittelt 493 53200
Auf 1 Riesenbetrieb entfallen
Personen 1 90100 2 35300
Pferdestärken 2 247,5 4 837,9
Kilowatt unermittelt 842,2
Auf 100 Personen treffen in den Riesenbetrieben
Pferdestärken 118,2 205,6
Kilowatt unermittelt 35,8

Diese modernen Gebilde unserer volkswirtschaftlichen Organisation, in denen Tausende von Menschenhänden nebeneinander arbeiten und in ihrer Tätigkeit von gewaltigen Motoren und technisch sehr vervollkommneten Arbeitsmaschinen unterstützt werden, sind in ihrer äusseren Erscheinung [202] ziemlich allgemein bekannt; ich verweise nur beispielsweise auf Betriebe wie Friedr. Krupps Werke, Badische Anilin- und Sodafabrik (Ludwigshafen), Hamburg-Amerika-Linie, Warenhaus Wertheim (Berlin, Leipzigerstrasse), Deutsche Bank. Aber, was hier Hervorhebung verdient, sie sind gemäss ihrer Verfassung, Ausdehnung und Produktivkraft von so weit tragendem Einfluss auf die Volkswirtschaft, dass private und öffentliche Interessen in ihnen aufs engste verbunden erscheinen. Die sozial verschiedensten Klassen von Familien sind in ihrer wirtschaftlichen Existenz von ihnen abhängig, zunächst die leitenden Persönlichkeiten, die Aktionäre, stillen Teilhaber, sonstige Kapitalinteressenten, die Gläubiger, die Werkmeister und Arbeiter. Daneben verfolgen Hunderte und Tausende von Kunden aus Nah und Fern das Geschäft; zahlreiche Händler, Lieferanten, Konkurrenten, endlich die Nachbarn, die ganze Stadt, der Kreis, die Provinz, haben Interesse am Auf- und Niedergang der betreffenden Unternehmen. Die Lage, die baulichen Einrichtungen, die guten oder schlechten Verkehrsbeziehungen des Grossbetriebs werden zu einer

Deutscher Binnen- und Seeverkehr, Aussenhandel seit 1889.
1889 1901 1904 1907 1908 1909 1910 1911 1912
Postanstalten 23 396 37 702 38 658 40 083 40 566 40 769 40 816 40 987 .
Telegraphenanstalten 16 408 25 600 29 978 37 309 41 276 43 680 45 116 46 444 .
Telegraphennetz,[18] Länge der Linien (km) 98 391 133 315 142 100 152 600 211 700 219 200 225 800 228 600 .
Post- u. Telegraphengebühren in 1000 M.[19] 217 508 434 540 513 349 628 319 661 904 701 934 738 223 783 919 .
Telegraphen- u. Telephongebühren besonders in 1000 M. 31 618 80 108 107 689 150 177 161 216 176 912 193 459 214 401 .
Telephonstellen 115 007 341 134 515 300 766 200 849 800 938 900 1 039 200 1 154 500 .
Telephonnetz (km) 7 740 95 749 126 600 157 600 106 700 109 500 111 200 117 600 .
Zahl der Telephongespräche in Tausenden 446 941 766 226 1 069 100 1 466 800 1 519 400 1 670 200 1 850 700 2 074 000 .
Eisenbahnnetz:
Voll- u. Schmalspurbahn (km)
41 793 52 933 55 817 58 291 59 241 60 389 61 209 61 978 .
Anlagekapital bis zum Jahresende (Mill. M.) 10 304 13 250 14 326 15 794 16 428 17 037 17 518 18 009 .
Zurückgelegte Personenkilometer (Mill.) 10 222 20 793 24 051 29 873 31 208 33 932 35 696 38 152 .
Zurückgelegte Tonnenkilometer (Mill.) 22 050 35 390 41 292 51 372 49 978 52 930 56 397 61 995 .
Binnenwasserstrassen (km) . 14 366 13 749 . 15 000 15 000 . . .
Fluss-, Kanal-, Haff-, Küstenschiffe (Zahl) 19 989 21 945 24 839[20] 26 191 . . . . .
Tragfähigkeit (Tonnen) 2 100 705 3 370 447 4 877 509[20] 5 914 020 . . . . .
Tonnenkilometer (Millionen) 2 900 115 00[21] 12 000[20] 15 000[22] . . . . .
Seeschiffe (Zahl) 3 653 3 833 4224[22] 4 430 4 571 4 640 4 675 4 658 4 732
Tragfähigkeit (Reg.-Tonnen brutto) 1 969 238 2 826 400 3 517 647[22] 4 002 896 4 282 720 4 356 067 4 430 227 4 513 191 4 711 993
Seereisen beladener Schiffe (Zahl der Schiffe) 55 934 84 851 94 559 86 055 85 434 87 768 89 797 89 410 .
Nettoraumgehalt derselben (Reg.-Tonnen) 21 398 522 53 948 615 70 622 118 40 327 880 38 735 041 41 172 584 43 911 689 44 525 317 .
Aussenhandel(einschl. Edelmetallverkehr):
Ausfuhr (Millionen M.)
3 339,8[23] 4 512,6 5 315,4 7 094,9 6 481,5 6 858,7 7 644,2 8 224,4 9 099,5
Einfuhr (Millionen M.) 4 403,4[23] 5 710,3 6 854,5 9 000,6 8 077,1 8 860,4 9 310,0 10 007,0 11 017,1

[203] Gemeinde- und Bezirksangelegenheit; von dem Betrieb werden Schulwesen, Steuerkraft, Bevölkerungszu- und -abnahme, Wohlstand und Verarmung der ganzen Gegend, Art der Siedelung und Grundeigentumsverteilung beeinflusst. Diese von G. Schmoller betonte volkswirtschaftliche Bedeutung kommt mehr oder minder allen grösseren Unternehmungen zu, namentlich aber den erwähnten Riesenunternehmungen; bei ihnen tritt der öffentliche gemeindeähnliche Charakter ganz besonders deutlich hervor.

Unterstützt wurde diese Entfaltung unserer Gewerbetätigkeit, insbesondere unseres grossindustriellen Gewerbefleisses durch die Ausbildung des modernen Verkehrs, den die Zahlen S. 202 veranschaulichen. (Tabelle: Deutscher Binnen- und Seeverkehr).

Für alle Verkehrsarten brachten die letzten Jahrzehnte eine bedeutsame Vermehrung, Verbesserung und Verbilligung der Verkehrseinrichtungen. Die Transportverbesserungen hatten eine gewaltige Steigerung des Verkehrs auf fast allen seinen Gebieten zur Folge und übten kraft ihres eminent produktiven Charakters, der speziell der von ihnen bewirkten Verkürzung von Raum- und Zeitdistanz zukommt, auf das ganze Wirtschaftsleben, die Gütererzeugung, auf Handel und Verbrauch den nachhaltigsten Einfluss aus. Der Bezug von auswärtigen, auch ausländischen Rohstoffen, die Übernahme von Aufträgen durch und die Lieferung an ausserhalb des Betriebssitzes vorhandene Auftraggeber wurde erleichtert, der Markt für gewerbliche Einkäufe oder Verkäufe erfuhr erhebliche Erweiterung. Viele Gewerbezweige konnten ihre frühere, mehr lokale Bedeutung mit einer nationalen oder auch internationalen vertauschen. Natürlich wurde der Verkehr seinerseits wieder stark belebt und befruchtet durch unsere industrielle Entwicklung, namentlich durch Entwicklung der Kohlen- und Eisenindustrie, durch die inländische Kohlen- und Eisenproduktion, ohne die die grossen Maschinen zur Bewältigung der Massenfabrikation und des heutigen Verkehrs überhaupt nicht möglich wären.

Mit dem gewerblichen Aufschwung war gleichzeitig Hebung unseres Volkswohlstandes, unserer Finanz- und Steuerkraft verbunden, so dass reiche und immer reichere Mittel zur Pflege und Förderung der einzelnen Kulturaufgaben auf dem Gebiete der geistigen und sittlichen Bildung, auf dem Gebiete von Wissenschaft und Kunst, Gesundheitspflege, Wehrkraft, namentlich auch auf weiten Gebieten der Wohlfahrtspflege und Sozialpolitik zur Verfügung gestellt werden konnten.

Aus dem Gesagten ergibt sich zugleich die Erklärung, dass neben den drei materiellen Berufszweigen auch die Berufsabteilung des öffentlichen Dienstes und der freien Berufsarten im Lauf der letzten Jahrzehnte ihre Bedeutung verstärkt hat: Von 1882 auf 1907 von 2,2 Millionen auf 3,4 Millionen oder von 4,92% auf 5,53%. Diese Zunahme hat ihren Grund in den immer weiter um sich greifenden Aufgaben der öffentlichen Verwaltung, im steigenden Bedarf an Kulturgütern und Dienstleistungen (Schule, Unterricht, Kunst, Wissenschaft, ärztliche Hilfe) sowie in der Erhöhung des Wehrbedarfs.

VI. Soziale Umschichtung des Volkes.[Bearbeiten]

Hand in Hand mit der vorgeschilderten wirtschaftlichen Umschichtung vollzog sich eine soziale Umschichtung.

Diese Entwicklung wird gekennzeichnet durch Verstärkung der Lohnarbeiterschicht und des verheirateten Elements in derselben, durch Aufkommen einer neuen Mittelklasse in der Kategorie der Angestellten (kleine und mittlere Beamte des öffentlichen und des Privatdienstes), durch Abnahme der Selbständigen, durch vermehrte Beteiligung der Frau am Erwerbsleben, insbesondere am Lohnerwerb. (Siehe Tabelle S. 204.)

Wie aus dieser Tabelle erhellt, die die soziale Gliederung der Erwerbstätigen für das Jahr 1907 und 1895 veranschaulicht, so stellte zu der Zunahme der Erwerbstätigen, die in der Zeit 1895/1907 6 Millionen betrug, die Arbeiterklasse allein 5 Millionen. Allerdings treffen – mehr aus formalstatistischen wie aus tatsächlichen Gründen – von den 5 Millionen 2,2 [204]

Soziale Gliederung der Erwerbstätigen 1907 und 1895.
Stellung im Berufe Hauptberuflich Erwerbstätige in der Berufsabteilung
A
Land- und Forst-
wirtschaft
B
Industrie
C
Handel und
Verkehr
A bis C Alle Erwerbenden
(Erwerbstät. A bis E
und Dienstbot. G)
ausser Heer
und Flotte (E 1)
insgesamt weiblich insgesamt weiblich insgesamt weiblich insgesamt weiblich
Selbstständige ohne Hausgewerbetreibende (a ohne afr) 1907 2 500 859 328 215 1 729 0467 342 610 1 012 192 246 641 5 242 518 917 466 5 801 365
1895 2 568 666 346 877 1 774 375 389 105 843 557 202 616 5 186 598 938 598 5 618 706
Selbstständige Hausgewerbetreibende (afr) 1907 115 19 247 655 134 680 247 770 134 699 247 770
1895 59 22 287 389 130 387 287 448 130 409 287 448
Angestellte 1907 98 812 16 264 686 007 63 936 505 909 79 689 129 0728 159 889 1 588 168
1895 96 173 18 107 26 3745 9 324 261 907 11 987 621 825 39 418 817 890
Mithelfende Familienangehörige (c 1) 1907 3 894 579 2 840 841 132 787 105 895 260 517 230 998 4 287 883 3 177 734 4 287 883
1895 1 903 649 1 020 443 56 003 43 974 109 933 94 527 2 069 585 1 158 944 2 069 585
Arbeiter ausschließlich der mithelfenden Familienangehörigen (c ohne c 1) 1907 3 388 892 1 413 647 8 460 338 1 456 803 1 699 008 374 045 1 3548 238 3 244 495 15 515 737
1895 3 724 145 1 367 705 5 899 708 948 328 1 123 114 270 478 1 074 6967 2 589 511 12 685 584
Stellung im Berufe Auf die in der Vorspalte bezeichnete Berufsstellung entfielen von 100 Erwerbstätigen der Berufsabteilung
A B C A bis C A bis E (ohne E 1) + G
a ohne afr 1907 25,30 25,30
30,98
15,37 17,57
24,90
29,10 21,99 22,30
28,95
21,14 22,04
27,50
1895 30,98 21,43 56,07 27,43 26,16
afr 1907 0,00 2,20 1,01 0,90
1895 0,00 3,47 1,52 1,34
b 1907 1,00 6,09 14,55 5,24 5,79
1895 1,16 3,18 11,20 3,29 3,81
c 1 1907 39,41 73,70
67,86
1,18 76,34
71,92
7,49 56,35
52,73
17,42 72,46
67,76
15,63 72,17
68,69
1895 22,95 0,68 4,70 10,94 9,63
c ohne c 1 1907 34,29 75,16 48,86 55,04 56,54
1895 44,91 71,24 48,03 56,82 59,06

[205] Millionen auf die im Betrieb des Mannes oder Vaters mithelfenden Familienangehörigen. Aber die verbleibenden 2,8 Millionen repräsentieren die Zunahme der sonstigen, der eigentlichen Arbeiter. Von der Gesamtheit der erwerbstätigen c-Personen („Arbeiter“) in Höhe von 19,80 Millionen sind nach der Berufszählung von 1907: 4,29 Millionen mithelfende Familienangehörige (c1-Pers.), 6,92 Millionen Gesellen und Gehilfen mit Vorbildung sowie (in der Landwirtschaft) Knechte und Mägde (c2) und 6,02 Millionen Hilfspersonen ohne Vorbildung (c3 bis c5). Die eigentliche Arbeiterschaft, also alle c-Personen mit Ausnahme von c1 (mithelfenden Familienangehörigen), umfasst 15,52 Millionen.

An der Mehrung der Lohnarbeiterschaft sind alle drei materiellen Berufszweige, Landwirtschaft, Gewerbe und Handel, beteiligt, und zwar die männliche wie die weibliche Arbeiterschaft. Nur in der Landwirtschaft ist ein Rückgang der männlichen Arbeiter, die anderen Berufen sieh zugewendet haben, zu konstatieren, während die Zunahme der weiblichen Kräfte in der Landwirtschaft wesentlich durch Familienangehörige bewirkt ist, deren Zahl – teils aus formalen Gründen, teils infolge stärkerer Heranziehung der weiblichen Familienangehörigen – sich fast verdreifacht hat.

Das verheiratete Element, das jetzt innerhalb der Arbeiterschaft, speziell innerhalb der gelernten, stärker als früher hervortritt, ist vor allem in den Beamtenbetrieben (Post, Eisenbahn, Strassenbahn usw.) und in den Gewerben mit vorherrschendem Grossbetrieb (Montan-, Maschinen-, chemische Industrie, Baugewerbe) sehr gewachsen, während der Anteil der ledigen Arbeiter in den handwerklichen und ländlichen Kleinbetrieben nach wie vor überwiegt. Diese Tatsache verdient für die Bestrebungen, die auf ein gesteigertes Familienleben innerhalb der Arbeiterschaft abzielen, besondere Beachtung.

Was die Möglichkeit des beruflichen Aufstiegs betrifft, so zeigt sich, dass, wer einmal Fabrikarbeiter ist, es im allgemeinen auch bleibt, solange ihn nicht seine Körperkräfte im Stich lassen; soweit er über diese Stellung hinauskommt, erreicht er es regelmässig in einem anderen Wirkungskreis und zumal unter anderen Betriebsverhältnissen innerhalb und ausserhalb der industriellen Tätigkeit. Die fachlich Ausgebildeten haben auf jene Selbständigkeit grössere Anwartschaft als die Ungelernten. Namentlich in den vorwiegend handwerksmässigen Betrieben und Erwerbszweigen haben sie vorzugsweise Chancen auf eigene Selbständigkeit. In grösseren fabrikmässigen Betrieben sind auch die gelernten Arbeiter ganz überwiegend auf Verbleib in Arbeiterstellung beschränkt; soweit sie sich zur Selbständigkeit emporarbeiten, ist es vorwiegend die eines kleinen gewerblichen Meisters. Diese Feststellungen sind von Belang für unsere Arbeiterpolitik, insonderheit für die Fachausbildungs-Bestrebungen. Überdies verlassen zahlreiche Arbeiter aus Industrie und Handel (ca. ein Fünftel aller in Betracht kommenden Personen) nach dem 40. Lebensjahr diesen Beruf und wenden sich der Landwirtschaft zu, von der sie vermutlich ursprünglich hergekommen sind. Sie sind da teils als Lohnarbeiter, zum grösseren Teil – dank der vorher erzielten Ersparnisse – als landwirtschaftliche Besitzer tätig.

Die Angestellten, deren Zahl in den Berufsabteilungen Landwirtschaft, Gewerbe und Handel seit 1895 von 600 000 auf 1,3 Millionen stieg, erfuhren ebenfalls grossen Zuwachs in allen drei materiellen Berufszweigen an männlichen wie an weiblichen Erwerbstätigen. Die grosse Zunahme ist die selbstverständliche Begleiterscheinung der fortschreitenden Betriebskonzentration. Letztere stellt erheblich höhere Ansprüche an die geistige Arbeit des Unternehmers, steigert also auch das Bedürfnis, die geistige Arbeit des Unternehmers durch die Tätigkeit der technisch und kaufmännisch geschulten Beamten zu ergänzen. Die grössere Verwendung von körperlicher und mechanischer Arbeitskraft verlangt daher eine grössere Menge auch von Kopfarbeitern im Betrieb. Es handelt sich bei diesen Angestellten um sozial und wirtschaftlich – im Vergleich zu den Arbeitern – in gehobener Stellung befindliche Gruppen,[24] die berufen sind, den Prinzipal zu vertreten und ihn in der Leitung des Unternehmens zu unterstützen, anderseits die Arbeiter anzustellen, zu beraten und zu führen. Es handelt sich um Personen, die durch besondere Kenntnisse, durch [206] besondere Vertrauenswürdigkeit für den betreffenden Betrieb von Wichtigkeit sind, um Personen, die nach ihren Beziehungen zum Betrieb, nach der Art ihrer Vorbildung, nach der Art ihres Arbeitsvertrags beamtenähnliche Stellung haben. Zu diesen wichtigen Gruppen gehören nicht bloss Techniker, Werkmeister, kaufmännische Angestellte, sondern auch intelligente und strebsame Arbeiter, die in diesen Stellungen sich emporgearbeitet haben. Aus diesem Grund hat bekanntlich auch das Reichsgesetz vom 20. Dezember 1911 sich um die Versicherung der Angestellten besonders angenommen, wenigstens soweit Angestellte mit einem Einkommen von weniger als 5000 Mark in Frage kommen.

Die ganze Kategorie der Privatangestellten entwickelt sich jetzt im sozialen Leben zu immer grösserer Bedeutung als neuer Mittelstand, der eine wichtige Stütze der modernen Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung bildet. Zu dem neuen Mittelstand zählt übrigens noch das mittlere Beamtentum, das in Staat und Gemeinde mit der Ausdehnung der öffentlichen Aufgaben eine grosse Verstärkung erfahren hat und insbesondere infolge der Ausdehnung der öffentlichen Betriebe (Eisenbahn, Post, Gas-, Wasser-, Elektrizitätswerke) auch an der Erfüllung grosser geschäftlicher Aufgaben erheblich beteiligt ist; ferner zählen hierher die zu Hunderttausenden vorhandenen Arbeiter, die nach Leistung und Einkommen sich vielfach weit über die selbständigen Handwerker und Händler erheben und eine ebenso sichere Stellung, wie wenn sie unabhängig geblieben wären, errungen haben.

Was die Selbständigen betrifft, so haben sie bei Landwirtschaft und Industrie – teils im Zusammenhang mit der Abwanderung vom platten Land, teils infolge der Ausbildung der Grossbetriebe – einen Rückgang erfahren, und zwar sowohl die männlichen wie die weiblichen. Umgekehrt ist eine Mehrung der männlichen und weiblichen Selbständigen erfolgt im Handel und Verkehr.

In der Klasse der Selbständigen sind die verschiedensten Elemente vereinigt, die an der Hand der Berufsstatistik sich nicht ohne weiteres spezialisieren lassen.[25] Sie umspannen die Kreise von der Näherin und Obstlerin bis zu den Grossunternehmern wie Kirdorf, Stinnes usw., insbesondere auch den ganzen selbständigen Mittelstand, zu dem der kleine und mittlere Bauer, der Handwerker und Kleingewerbetreibende, der kleine und mittlere Händler gehören.

Von diesen Bestandteilen des selbständigen Mittelstandes hat sich der landwirtschaftliche widerstandskräftiger erwiesen als der von Gewerbe und Handel, weil entgegen früherer sozialistischer Behauptung die ökonomische Entwicklung weniger in der Landwirtschaft als in Gewerbe und Handel zum kapitalistischen Grossbetrieb tendiert. Alle drei Kategorien der mittelständischen Klassen erfahren jedoch nachhaltige Förderung in den modernen Organisationen, die unter Zurückdrängung des übertriebenen Individualismus auf wirtschaftlichem Gebiet genossenschaftliche Gebilde in neuer Form und auf neuer Grundlage wieder erwecken. Namentlich hat das neuzeitliche Genossenschaftswesen viel dazu beigetragen, dem Kleingewerbe, Handwerker und der bäuerlichen Landwartschaft die Vorteile des Grosskapitals, des Grossbetriebs und Grosshandels zugänglich zu machen und sie auf diese weise dem Grossbetrieb gegenüber zu stärken. Sache der Mittelstandspolitik bleibt es, weiter in dieser Richtung zu arbeiten. Angesichts der Tatsache, dass die grossen Massen schlecht ausgebildeter Arbeiter und Betriebsinhaber die Hauptfeinde für den Aufstieg des gewerblichen Mittelstandes sind, anderseits heute mehr als früher Nachfrage nach Qualitätsleistungen (Kunsthandwerk) ist, wird neben der kaufmännisch-wirtschaftlichen auch der rein technischen Ausbildung des Mittelstandes besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden sein; auf dem Boden der Arbeitsschule, die bisher im Volks- und realistischen Mittelschulwesen zu kurz kam, also auf dem Boden der praktischen Arbeit dürfte am ehesten die Erziehung von Arbeitsfreude und Arbeitsehrlichkeit gelingen. Zum andern wird für Erfolge der Mittelstandsbestrebungen die Elektrizität stark mithelfen, insbesondere die von ihr im Genossenschafts- oder Gesellschaftsweg ermöglichte billige Uebertragung von motorischer Kraft oder deren Lieferung in die einzelnen Werkstätten, auf die einzelnen Bauerngüter usw.

[207] Will man übrigens die soziale Gliederung unserer Gesellschaft in tunlichster Anlehnung an unser tatsächliches Gesellschaftsleben skizzieren, so tut man gut, nach Familien zu schichten, also den Erwerbstätigen auch die von ihnen ernährten Angehörigen zuzurechnen. Hiernach stellt sich im Gegensatz zu obiger Berechnung der Anteil der Selbständigen und Angestellten gegenüber dem der Arbeiterschicht naturgemäss etwas höher:

Berufsabteilung A bis E (ohne E1) + G ohne mit,
Einrechnung der
Angehörigen[26]
Selbständigenschicht (ohne afr) 21,14% 38,04%
Angestelltenschicht 5,79 % 6,61 %
Arbeiterschicht (ohne c 1) 56,54% 54,41%
Dazu Hausgewerbetreibendeschicht (afr) 0,90% 0,94%
Soziale Schichtung der Gesamtbevölkerung
(Erwerbstätige + Angehörige).
Berufsabteilung Nach der Zählung vom 12. Juni 1907 gehörten Erwerbstätige und Angehörige (zusammen) zur Berufsstellung der Von 100 Erwerbstätigen und Angehörigen entfielen auf die Schicht der
Selbständigen[26] ausschl. der Hausgewerbetreibenden Angestellten Hausgewerbetreibenden[26] Arbeiter (ausschl. der mithelfenden Familienangehörigen c 1) Selb-
ständigen
An-
gestellten
Haus-
gewerbe-
treibenden
Arbeiter (ausschl. der
mithelfenden
Familienang.)
A Landwirtschaft 11 634 773 239 111 149 5 643 314 66,42 1,36 0,00 32,22
B Industrie 5 321 967 1 691 570 524 398 18 516 846 20,43 6,49 2,01 71,07
C Handel u. Verkehr 3 096 507 1 052 808 3 785 969 39,02 13,27 47,71
A bis C 20 053 247 2 983 489 524 547 27 946 129 38,93 5,79 1,02 54,26
A bis E (ohne E 1) + G 21 300 327 3 702 451 524 547 30 460 761 38,04 6,61 0,94 54,41

Weiter interessiert die Frage: Wieviel ist von dem seit 1882 ermittelten Plus an Bevölkerung den drei sozialen Schichten zugewachsen? Dies soll wenigstens für die Berufsbevölkerung von Landwirtschaft, Industrie und Handel gezeigt werden. Dabei werden die mithelfenden Familienangehörigen in der Landwirtschaft (A 1) zweckmässig der Selbständigenschicht zugerechnet. Alsdann ergibt sich, dass an dem Plus von 12,5 Millionen, welches für die Berufsbevölkerung von A, B und C (–1,5 + 10,0 + 4,0 = 12,5 Millionen) in der Zeit 1882/1907 eingetreten ist, die Arbeiterschicht mit 10,0, die Angestelltenschicht mit 2,2 Millionen und die Selbständigenschicht mit rund 300 000 beteiligt ist:

Berufszugehörige[27]
1882 1907 Zunahme
%-Anteil %-Anteil %-Anteil
Selbständige (a einschl. A 1 c 1) 20 586 372 51,7 20 881 542 39,9 295 170 2,4
Angestellte 829 865 2,1 3 067 649 5,9 2 237 784 17,9
Arbeiter (c ohne A 1 c 1) 18 398 378 46,2 28 396 761 54,2 9 998 383 79,7
Summe 39 814 615 10000 52 345 952 10000 12 531 337 10000

Hat sich auch hiernach der Anteil der Abhängigenschicht innerhalb unserer Gesellschaftsgliederung im Lauf der letzten Jahrzehnte verstärkt und die Selbständigenschicht verringert, [208] so ist doch keineswegs eine Proletarisierung der Gesellschaft, keine zunehmende Verelendung der Massen eingetreten. Dies war so wenig der Fall, dass die gegenteilige Annahme (Karl Marx) auch von den Sozialdemokraten selbst (Bernstein, Schönlank, Kautsky usw.) nicht mehr aufrecht erhalten, sondern zum alten Eisen geworfen wird.

Anderseits ist selbstverständlich, dass bei dem sozialen Aufbau der Bevölkerung die Arbeiterklasse die breiteste Schicht einnimmt. Indessen finden sich in der untersten Klasse keineswegs die schlechtesten Elemente der Gesellschaft, sondern viele verjüngende, belebende Kräfte des Volkstums. Während die verlebten Elemente von oben nach unten herabsinken, erfolgt im weiten Umfang ein Aufstieg junger, tüchtiger Elemente des Volkes von unten durch den neugeschaffenen Mittelstand in die Höhe der sozial besser gestellten Kategorien. Das Volk verjüngt sich von unten nach oben.

Bei all diesen Betrachtungen bilden übrigens die berufsstatistischen Nachweise zwar wichtige Unterlagen für die Kenntnis der bestehenden Klassenunterschiede. Aber die soziale Schichtung wird keineswegs bloss durch die Stellung im Beruf bedingt. Fast noch mehr von Einfluss ist Besitz und Höhe des Einkommens und dessen Verhältnis zu den Bedürfnissen. Der Gegensatz des Besitzes teilt jeden Berufsstand in einen vermögenden und einen vermögenslosen Teil und bringt in die gesamte soziale Klassenbildung manche wesentliche Modifikation, wie wir beispielsweise bereits oben zum neuen Mittelstand die qualifizierte Arbeiterschaft zu rechnen hatten, deren Gehalt und Lohn den Verdienst des selbständigen Handwerkers übersteigt. Das Besitzmoment ist für die moderne Klassenbewegung noch besonders von Belang in Anbetracht der heutigen Beweglichkeit der Arbeit sowie der Beweglichkeit und Teilbarkeit des Besitzes, wonach man mit seinem Besitz – Grundbesitz, Kuxe, chemische, Brauerei-, Bank-Aktien usw. – in den verschiedensten Berufen stehen kann, ohne sich mit seiner Person anpassen zu müssen oder zu können. Indessen hat gerade die Vergesellschaftung unserer Grossbetriebe eine Milderung im Gegensatz des Besitzes ermöglicht. Anstatt dass, wie Karl Marx meinte, je ein Kapitalist viele totschlug, erzeugte das vergesellschaftete Grossunternehmen eine Mehrzahl von Kapitalisten, als Aktionäre, Gesellschafter usw., als welche heute auch kleinere Kapitalsbesitzer und besser gestellte Arbeiter am Kapitalgewinn der Grossbetriebe partizipieren. Mit anderen Worten, die Dezentralisierung des Kapitals im Zusammenhang mit der Entwicklung der Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung etc. wirkte dem an sich vorhandenen Gegensatz des Besitzes innerhalb der Klassen wenigstens etwas entgegen.

Überdies muss bei Abmessung des sozialen Gewichts der sozialen Schichten nicht bloss die Quantität berücksichtigt werden, sondern auch ihre qualitative oder dynamische Bedeutung, nämlich die Bedeutung der Individuen für das Ganze nach Massgabe persönlicher Eigenschaften des Geistes, Charakters usw. Die Industriekapitäne, die Betriebsleiter von Hunderten oder Tausenden von Personen, die Männer, die einen entscheidenden Einfluss im wirtschaftlichen Leben, ausüben bezw. ausgeübt haben, die Pioniere der industriellen und kommerziellen Armee, die sogenannten Kulturträger, können nicht auf gleicher Stufe sozial eingeschätzt werden wie die ebenfalls in der Selbständigen-Schicht von der Statistik gezählten Näherinnen, Waschfrauen usw. Es handelt sich im ersteren Fall um Führer, Organisatoren grossen Stils, kulturelle Vorkämpfer die mit Wagemut und kräftiger Energie, mit Kenntnis des Bedarfs und der Absatzfähigkeiten, mit sicherem Blick für die Vorbedingungen einer weiteren nationalen Wohlfahrt, mit Übung in der Kunst der Menschenbehandlung sich als geistige Triebkräfte – jeder innerhalb seines Wirkungskreises – durchsetzen und Grosses im Gesamtinteresse, im Dienste der wirtschaftlichen, politischen, kulturellen Mission des Vaterlandes leisten. Solche Individualitäten, solche Persönlichkeiten, die sich nicht bloss in der statistischen Klasse der Selbständigen, sondern auch in der der Angestellten und Arbeiter finden, kommen in der alles nivellierenden Statistik nicht gebührend zur Geltung. Und doch sind sie für das Emporsteigen des Volkes von hohem Belang. Bei Analysierung des Volksgefüges nach der quantitativen Seite darf man also die qualitative nicht ausser acht lassen, sonst kommt man bei einer Gliederung nach sozialen Schichten zu unrichtigen Massverhältnissen, die in der Sozial- wie in der Wirtschaftspolitik leicht Schaden anrichten.

[209] Das Gesagte ist auch zu berücksichtigen bei Betrachtung einer weiteren bemerkenswerten Erscheinung in unserer sozialen Umschichtung, nämlich der Ausdehnung des Frauenerwerbs.

In der Statistik tritt der Frauenerwerb gegenüber der Männerarbeit bedeutend zurück. Es wurden 1907 gezählt 18,6 Millionen männliche Erwerbstätige oder 61,06% der männlichen Bevölkerung, 9,5 Millionen weibliche Erwerbstätige oder 30,37% der weiblichen Bevölkerung. In dieser Erwerbsziffer ist nicht inbegriffen die Hausfrauentätigkeit, ihre Kinderfürsorge, kurz jenes natürliche Arbeitsgebiet des weiblichen Geschlechts, das in seinem volkswirtschaftlichen Wert keineswegs hinter der anderen Erwerbstätigkeit zurücksteht. Immerhin ist eine von Zählung zu Zählung steigende Beteiligung der Frau am allgemeinen Erwerbsleben zu konstatieren:

Jahr       Weibliche Erwerbstätige
(einschl. Dienstboten)
      Prozentanteil an der weiblichen
Bevölkerung
1882 5 541 517 24,02
1895 6 578 350 24,96
1907 9 492 881 30,37

Darnach wären seit 1895 nicht weniger als 2,9 Millionen, seit 1882 fast 4 Millionen Frauen mehr in das Erwerbsleben eingetreten. Ein solcher Grad der Zunahme ist, wie schon oben angedeutet, jedoch kaum erfolgt, es handelt sich bei diesen Zahlen zum guten Teil um Verschiebungen formaler Art, die lediglich auf schärfere Erfassung der Mithilfe von Familienangehörigen beruhen, die früher in der Gruppe der Familienangehörigen gezählt wurden, jetzt in der Gruppe der Erwerbstätigen erscheinen.

Gleichwohl bleibt die tatsächliche Vermehrung der weiblichen Erwerbstätigen gross. Hauptsächlich vollzog sie sich in der Klasse der mithelfenden Familienangehörigen und in der Klasse der Arbeiterinnen:

Weibliche Erwerbstätige Zunahme bezw. Abnahme (–)
im Jahre 1907 seit 1895 seit 1882
abs. % abs. % abs. %
a Selbständige 1 197 593 12,62 26 148 2,23 118 462 10,98
b Angestellte 192 619 2,03 138 577 256,42 168 407 695,55
G Häusliche Dienstboten 1 249 383 13,16 –64 574 –4,91 –33 031 –2,58
c1 Mithelfende Familienangehörige 3 177 734 33,47 2 018 790 174,19 3 697 526 117,17
c2–5 Sonstige Arbeiterinnen 3 675 552 38,72 795 590 27,63
Zusammen 9 492 881 10000 2 914 531 44,30 3 951 364 71,30

Das Plus der mithelfenden Familienangehörigen (1895 bis 1907: 2 Millionen) entfällt vornehmlich auf die Landwirtschaft (1,8 Millionen); am Rest von 200 000 ist der Handel mehr als doppelt so stark wie die Industrie beteiligt (136 000 bezw. 55 000). Das Plus an Arbeiterinnen von rund 800 000 (1895/1907) hat fast zur Hälfte in Gewerbe und Industrie Unterkommen gefunden, im übrigen im Handel, bei Lohnarbeit wechselnder Art und ausserdem in Landwirtschaft und in freien Berufen.

Diese Vermehrung der weiblichen Erwerbsarbeit bedeutet, wie ausdrücklich erwähnt sei, nicht etwa eine Verdrängung der Männerarbeit durch Frauen. Haben doch die männlichen Erwerbstätigen 1895/1907 um über 3 Millionen zugenommen (überwiegend in der Klasse der Arbeiter bei Industrie und Handel). Die Männerarbeit stellt nach wie vor das Hauptkontingent unserer Erwerbskraft, wenn auch der Abstand zwischen den Geschlechtern sieh im Laufe der letzten Jahrzehnte abschwächte. Aber es hat sich die Erwerbsgelegenheit im ganzen, dank des Aufschwungs von Gewerbe, Handel und Verkehr, vermehrt und daran partizipieren neben den männlichen auch die weiblichen Personen und zwar letztere mit um deswillen, weil sie in der modernen (mehr auf Ordnung des Konsums als auf Produktion sich erstreckenden) Hauswirtschaft keine genügende Beschäftigung mehr finden und wegen der anspruchsvolleren Haushaltung und des teurer gewordenen [210] Unterhalts zum Miterwerb genötigt sind. Die Männer wenden sich dabei den neuen von der Technik erschlossenen und lohnenderen Arbeitsgebieten zu, während die Frauen, im allgemeinen wenigstens, die von den Männern verlassenen Arbeitsstellen (in der Landwirtschaft) und die von Natur ans ihnen mehr als den Männern gelegenen Arbeitsverrichtungen übernehmen. Dieser Einzug der Frauen ins Erwerbsleben wird begünstigt einerseits durch die immer weitere Absplitterung der Hauswirtschaft, durch die Familienwirtschaft im Bauernbetrieb und im gewerblichen Kleinbetrieb (die etwa 9/10 aller Familienangehörigen beschäftigen), anderseits durch die Schwierigkeit der Arbeiterverhältnisse in der Landwirtschaft sowohl wie in der Industrie und durch das Vordringen der Arbeitsmaschinen, welche so manche gewerbliche Arbeit im Mittel- und Grossbetrieb gegen früher vereinfachen und so die Frau daselbst festen Fuss fassen lassen.

Was den näheren Charakter des Frauenerwerbs betrifft, so finden sich von 9,5 Millionen Erwerbstätigen 1,2 Millionen in selbständiger Stellung, sie haben als solche einen landwirtschaftlichen Betrieb, ein Gewerbe oder ein Geschäft, sind Erzieherinnen, Hebammen, Schauspielerinnen, Musikerinnen, Künstlerinnen, Lehrerinnen. Soweit sie der Landwirtschaft, der Industrie und dem Handel angehören, handelt es sich bei vielen weniger um die Ausübung eines Berufes als um die Verwaltung eines übernommenen Besitzes seitens der Witwe.

4,4 Millionen von den erwerbstätigen Frauen verrichten Dienste in engster Beziehung zur Familie. Es sind dies 3,2 Millionen Frauen und Töchter, die im Betrieb des Haushaltungsvorstandes mithelfen (⅓ der Gesamtzahl der weiblichen Erwerbstätigen!), ferner 1,2 Millionen Dienstboten, deren Arbeit, wenn auch nicht in der eigenen Familie, so doch anderweitig innerhalb der Familie sich vollzieht.

Die verbleibenden 3,9 Millionen Frauen und Mädchen sind – abgesehen von 192 619 als Rechnerinnen, Buchhalterinnen, Kassiererinnen, Diakonissinnen tätigen – gewöhnliche Arbeiterinnen und zwar über die Hälfte ungelernt. Von den 3,9 Millionen lässt sich sagen, dass sie bei ihrem Erwerb dem Haus und der Familie entzogen sind.

Nach Berufen gegliedert, haben die meisten weiblichen Personen in der Landwirtschaft ihren Erwerb (fast die Hälfte der Gesamtzahl: 4,6 Millionen). 2,1 Millionen arbeiten in der Industrie und 900 000 im Handel und Verkehr. Als Hauptgebiete (mit mehr als 100 000 weiblichen Erwerbstätigen) weiblicher Erwerbstätigkeit sind zu nennen:

Bekleidungsgewerbe mit zusammen 2,5 Millionen weiblichen Erwerbstätigen = 84% aller weiblichen Erwerbstätigen von Gewerbe. Handel und Verkehr.
Handelsgewerbe
Textilindustrie

Gast- und Schankwirtschaftsgewerbe

Nahrungs- und Genussmittelgewerbe
Reinigungsgewerbe

Am geringsten ist der Anteil der weiblichen Erwerbstätigen in den Berufsgruppen:

Maschinenbau mit nur 1 bis 5 weiblichen von 100 Erwerbstätigen überhaupt.
Verkehrsgewerbe
Bergbau
Baugewerbe

1,2 Millionen sind häusliche Dienstboten, 320 000 sind Aufwartefrauen und Lohnarbeiterinnen wechselnder Art. Die übrigen 290 000 gehören mit ihrem Beruf zu Gesundheitspflege, zu Kunst, Theater, Lehrberufen usw.

Mehr noch als für die Charakterisierung der Erwerbstätigkeit der Bevölkerung im allgemeinen ist für die Darstellung des Frauenerwerbs erforderlich, dass auch der Nebenerwerb berücksichtigt wird. Nicht als ob die Frauen, die einen Hauptberuf haben, häufig noch nebenher tätig wären. Dies ist nur selten der Fall, wenn man von der hauswirtschaftlichen Tätigkeit absieht, die fast jede Frau und Haustochter in Anspruch nimmt. Zu weiterer Nebenarbeit fehlt es aber den hauptberuflich tätigen Frauen an Zeit, Kraft, Bedürfnis und Selbständigkeit. Das Wichtige liegt vielmehr darin, dass von den Angehörigen, die in erster Linie in der Haushaltung sich beteiligen, also [211] vornehmlich von den Ehefrauen und erwachsenen Töchtern, eine ganze Reihe einem Nebenerwerb nachgehen. So wurden für das weibliche Geschlecht 3,4 Millionen Nebenberufsfälle (45% der Gesamtzahl) festgestellt. An diesen sind die Angehörigen und Selbständigen ohne Hauptberuf und die Dienstboten mit mehr als 4/5 (2,9 Millionen), die Erwerbstätigen mit Hauptberuf nur mit rund 500 000 beteiligt. Dabei sind diese Zahlen Mindestzahlen, da einer vollkommenen Erfassung des Nebenerwerbs erhebliche Schwierigkeiten entgegenstehen.

Indessen reichen die erwähnten berufsstatistischen Daten bei weitem nicht hin, um die Bedeutung der Frau für unser heutiges Erwerbsleben gebührend darzutun. Es kommen noch eine Reihe von wichtigen unmessbaren Qualitäten in Betracht, die die Frau für unser Erwerbsleben hat, Imponderabilien, die sich nicht zur Ziffer bringen lassen. Ich meine den indirekten Einfluss, den die Frau auf unser Erwerbsleben übt, der – obschon nur mittelbar – gar nicht hoch genug zu bewerten ist.

Vor allem gehört hierher, was die Frau unserem Erwerbsleben ist, in ihrer Eigenschaft als Hausfrau, in ihrem rein hauswirtschaftlichen Beruf. Über die Wichtigkeit einer guten Haushälterin und Verwalterin für die Sicherung der Früchte des Erwerbs ist hier kein Wort zu verlieren, „sie mehrt den Gewinn mit ordnendem Sinn.“ Eine Aufgabe, die keineswegs einfach; nicht selten ist Erwerben leichter als Erhalten. Erfahrungsgemäss führt aller Erwerb auf keinen grünen Zweig, wenn die Frau jener Aufgabe nicht gerecht wird.

In engem Zusammenhang damit steht der hohe Beruf der Frau als Gattin, ihr Beruf, durch ein geordnetes, lebens- und liebevolles Heim dem Mann den Kampf ums Dasein zu erleichtern, ihm als treuer Kamerad in guten und in bösen Tagen beizustehen, ihn durch Rat und Ermunterung in seinen wirtschaftlichen Plänen zu bestärken und zu edler Tat zu begeistern. Die Frau soll die Seele des Familienlebens sein, welches Kraftzentralen für das Wirken des Mannes wie für die spätere Tätigkeit der Kinder schafft. Sie hat den geistig-sittlichen Besitzstand der Familiengemeinschaft zu pflegen, die durch moralische Lebensführung, Pflichtgefühl, Einfachheit, Sparsamkeit und Ordnung vorbildlich wirken und den Kindern Güter übermitteln soll, die wertvoller sind als Geld und Besitz. Dieser weibliche Beruf ist bei den heutigen hohen Anforderungen an die Leistungsfähigkeit des Mannes, nicht minder bei der Richtung unserer Sozialgesetzgebung, die dem Arbeiter immer mehr Zeit für die Familie schafft, wichtiger geworden als je zuvor und stellt bei der grossen Vertiefung und Verfeinerung, die er gegen früher erfahren, an die Frau besondere Ansprüche in Bezug auf ihre Lebenstüchtigkeit.

Gleich hochbedeutsam vom Standpunkt unseres Erwerbslebens, ja geradezu Voraussetzung für die heimische Volkswirtschaft, für den Gesamtbestand des Staates, ist der Mutterberuf der Frau, die Frau als Mutter und Erzieherin der Erwerbstätigen. Was die Frau in dieser Eigenschaft dem Lande leistet, stellt Deutschland unter die Staaten mit hoher Geburtenhäufigkeit. Damit der Effekt dieser Geburtstätigkeit noch mehr als bisher unserer Erwerbskraft zugute kommt, müssen die neuzeitlichen Bestrebungen zur Bekämpfung unserer relativ grossen Säuglingssterblichkeit energisch gefördert werden, nämlich die Bestrebungen, die sowohl eine bessere Pflege der werdenden Mutter wie eine rationellere Ernährung und Behandlung der Säuglinge herbeizuführen suchen, und ferner die Bestrebungen, die auf eine gehörige körperliche Entwicklung des heranwachsenden weiblichen Geschlechts, unserer künftigen Mütter, Bedacht nehmen. Denn nur bei entsprechender körperlicher Tüchtigkeit und bei richtiger Kenntnis von den Pflichten der werdenden Mutter und den Aufgaben in bezug auf Säuglingsbehandlung ist die Freude am Mutterberuf denkbar. Und diese unserem weiblichen Geschlechte zu erhalten, erscheint in Anbetracht des auch in Deutschland wahrzunehmenden Rückgangs der Geburtenziffer doppelt geboten: nur Völker mit leistungsfähigen Müttern setzen sich durch.

Auch was die Frau als praktische Hygienikerin in der Familie leistet, verdient hier Hervorhebung. Es obliegt ihr die Herstellung der Mahlzeiten, die Ernährungsweise der Haushaltsmitglieder, die Reinlichkeit des Hauses, die krankheitvorbeugende Hygiene sowie die Pflege im Fall der Erkrankung des Mannes oder der Kinder, – alles Arbeiten, von deren geschickter und gewissenhafter Erfüllung das Gedeihen und das Glück der Familie ganz wesentlich mit abhängt. Indem sie im [212] Haushalt gesundes Leben hegt und pflegt, der Vergeudung und Zerstörung von Menschenleben entgegenwirkt, dem Persönlichen und Individuellen Geltung schafft, tut sie besonders Wichtiges für die nationale Wirtschaft, deren grösstes Gut der Mensch, seine Gesundheit, seine persönliche Tüchtigkeit ist. Gibt es doch ohne individuelle Vollwertigkeit keine Vollwertigkeit von Staat, Rasse und Gesellschaft.

Endlich darf nicht unerwähnt bleiben die umfassende gemeinnützige Tätigkeit der Frau als Hausfrau, die ebenfalls unserem Erwerbsleben zugute kommt. Auch auf diesem Arbeitsfeld ist heutzutage in der Zeit der verschärften sozialen Gegensätze die Mitarbeit der zielbewussten und doch liebevollen Frau unentbehrlich und erfreulicherweise in weitem Umfange vorhanden.

All diese in der Berufsstatistik nicht in die Erscheinung tretende Tätigkeit der Frau als Gattin, als Mutter, als Mitarbeiterin an den Werken der Nächstenliebe verdient eingehende Beachtung, will man die Beteiligung der Frau am deutschen Erwerbsleben richtig erkennen.

Schluss.[Bearbeiten]

Im heissen Wettringen der Nationen ist die Siegespalme schliesslich derjenigen am sichersten, die über die grössten Reserven an körperlicher und geistiger Kraft, physischer und sittlicher Gesundheit gebietet. Nur ein Volk mit respektabler absoluter Volkszahl, mit besternährtem, organisch gepflegten Individuen, mit stark vertretenen jugendlichen Energien entfaltet auch die höchste Leistungsfähigkeit, die grösste Reproduktionskraft, die nachhaltigste Konkurrenzfähigkeit. Auf der Höhe staatsmännischen Horizonts erscheint, um mit Albert Schäffle zu reden, als oberstes Ziel nicht Reichtum und Tüchtigkeit Weniger, sondern grösste physische, materielle und moralische Kraft der Massen, des ganzen Volks. Damit ist der deutschen Politik klar vorgezeichnet, welcher Weg sich im Interesse des deutschen Volks empfiehlt.

Vor allem gilt es unser organisches Nationalkapital, die Bevölkerung, nach Quantität und Qualität zu erhalten und organisch weiterhin zu kapitalisieren. Im Vordergrund steht hier angesichts des bereits eingetretenen Geburtenrückgangs die Pflicht zur Kinder- und zur Frauenökonomie.

Durch Säuglings- und Jugendschutz muss für Lebenderhaltung aller Geborenen und für gesundes Heranwachsen derselben immer gewissenhafter und erfolgreicher gesorgt werden. Zugleich aber ist im Weg rationeller Rassenhygiene eine Verminderung der Erzeugung von Minusvarianten anzustreben.

Dem Weib, das ja in sich produktive und reproduktive Kraft vereinigt, kommt bei dieser Regeneration eine führende Rolle zu. Es genügt nicht bloss Wöchnerinnen- und Mutterschutz. Auch eine sachgemässe Regelung der weiblichen Arbeit überhaupt, die nicht Kinderscheu erzeugt, sondern einen Stolz auf Mutterschaft zulässt, und soziale Massnahmen zur Besserung der Fortpflanzungsauslese sind erforderlich.

Anderseits muss das Familienleben – dieser Jungbrunnen physischer, geistiger und sittlicher Kraft, dieses natürlichste Gefäss der Symbiose von Alt und Jung – gefördert, materiell erleichtert, weiter veredelt werden. Hierbei ist eine bessere Ausbildung der Frau für den Ehe- und Haushaltsberuf von erheblichem Belang. Auch die Wohnungsfrage in der Grossstadt, deren bisherige Gestaltung kinderreichen Familien die Existenz so sehr erschwert, verlangt energische Schritte, vor allem auf dem Gebiete der Bodenreform; hiermit würden zugleich eine Reihe sonstiger, mit der modernen Grossstadt zusammenhängenden Gefahren eingedämmt.

Die Fortführung und weitere Ausbildung der hygienischen Massnahmen erscheint gleichermassen im Interesse des Individuums wie im Interesse der Rasse geboten, und zwar um so mehr, als aus der grösseren Bevölkerungsdichtigkeit, aus der intensiveren Erwerbstätigkeit, aus der Zunahme von Nationalwohlstand und Zivilisation immer neue Schwierigkeiten und Gefahren der Entartung sich für die Rasse ergeben. Alle der Gesundheitspflege dienenden Einrichtungen dienen auch der Wohlfahrt. Gesundheit ist Reichtum. Die Tätigkeit eines Volkes in hygienischer Beziehung darf geradezu als Massstab gelten für die. Grösse seiner Fähigkeiten, in der Kulturgeschichte eine Rolle zu spielen, als Massstab dafür, wie viel gesunder Sinn ihm auch sonst [213] innewohnt (M. v. Pettenkofer). Ein tüchtiges Volk pflegt seine Gesundheit, um seine volle Kraft für seine Grösse einsetzen zu können.

Der Zuwanderung fremdländischer Elemente müssen wir ein besonderes Augenmerk schenken. Wir müssen auf grössere Selbstdeckung des steigenden Kräftebedarfs durch Massnahmen der oben (S. 181) besprochenen Art Bedacht nehmen.

Des weiteren erheischt die drohende Blutleere des platten Landes dringend Gegenmassnahmen durch Festigung des Landvolks auf dem Lande, durch Wohlfahrts-, Jugendpflege, Haushaltungsschulen, angemessene ländliche Vergnügungen und durch Kleinsiedlungen. Der Bauer muss wieder heimatfroh und heimatstolz auf seiner Scholle werden. Wir müssen den Bauernstand selber verstärken. Darum gilt es, was wir noch an landwirtschaftlichem Boden haben, zu erhalten und zu dem Behuf auch die zum Teil stark um sich greifende Fideikommissbildung zu beschränken, ausserdem im Weg weiterer innerer Kolonisation und Intensivierung der Landwirtschaft (Ausnützung der Moore und Ödländereien) kulturfähiges Land neu zu erschliessen. Dies gebietet schon die Rücksicht auf die vermehrten Aufgaben, die die Landwirtschaft für Ernährung der Bevölkerung mit Brot, Fleisch, Milch zu erfüllen hat, also die Rücksicht auf die wünschenswerte agrarische Selbstversorgung. Aber neben diesen wirtschaftlichen Erwägungen müssen wir aus nationalen, politischen und sozialen Gründen der Landwirtschaft, dem Bauernstand den Rücken stärken. Das Bauernvolk ist der konstitutionell wertvollste Teil der Bevölkerung, die Sterblichkeit des bäuerlichen Berufs zählt zu der niedrigsten. Daher kann die Kolonisation im Innern unermessliche rassenhygienische Werte schaffen, wenn sie energisch fortgeführt wird. Damit steuern wir zugleich der physischen wie politischen Gefahr, die der Gesundheit des Volkes droht aus dem jetzigen mit der Bevölkerungsmehrung zusammenhängenden Hasten und Treiben, aus der lebhaften Neigung aufsteigender Klassenbewegung, aus dem allgemeinen Wahlrecht und der fortschreitenden Volksbildung. Indem wir im Bauerntum pfleglich behandeln, was unsern Volksorganismus jung hält und stetig auffrischt, sichern wir ein politisches Gegengewicht, erhalten wir eine der festesten Säulen des gesamten Staatswesens. – Mit diesem Vorgehen zwecks Erhaltung und Stärkung unsres Bauernstands müssen Massnahmen im Interesse der landwirtschaftlichen Arbeiter Hand in Hand gehen. Gerade weil Letzteren derzeit die wirtschaftliche Stellung des gewerblichen Arbeiters, ähnlich der des mit Pensionsberechtigung angestellten Beamten, so begehrenswert erscheint und sie deshalb in gewerbliche Berufe so vielfach abwandern, gilt es, dem Landarbeiter-Beruf wieder zu erhöhter Anziehungskraft und grösserer Sesshaftigkeit zu verhelfen. Man muss den Landarbeiter in die Lage versetzen, sich durch Erwerb von Eigenland selbständig zu machen, sei es im Weg von Pächter- oder Eigentumsstellen (Rentengüter) oder von Häuslereien, die an langgediente Arbeiter pacht-oder erbpachtweise abgegeben werden. Eine derartige Aufstiegsmöglichkeit wird den Stand der Landarbeiter sozial heben und festigen.

Ebenso verlangen pflegliche Behandlung Industrie, Handel und Verkehr, welche zahlreichen Arbeitskräften Geld und Nahrung geben, für den öffentlichen Haushalt wichtige Finanzquellen repräsentieren, die für staatliche Grösse und Macht so notwendigen Eigenschaften von Schaffenskraft, Mut, Ausdauer, Disziplin innerhalb der Nation entfalten. Und zwar auch in den Reichsgebietsteilen, wo sie einstweilen schwach vertreten aber ausbaufähig sind. Die stellenweise bereits in die Wege geleitete Ausnützung der Wasserkräfte, die weitere Verbesserung der Transportverhältnisse für industrielle Rohstoffe, die Ausgestaltung der Eisenbahnen und Herstellung leistungsfähiger Wasserstrassen (auch im Vollzug des neuen Schiffahrtsabgabengesetzes) werden sich dabei sehr förderlich erweisen. Aber auch auf dem Gebiete der Besteuerung empfiehlt sich jene pflegliche Behandlung, damit nicht die Produktivkraft der Industrie, die Unternehmungslust der Kaufmannschaft im Keim erstickt und lahm gelegt oder gar ins Ausland gedrängt wird. Ebenso verhält es sich mit den Lasten der Sozialpolitik, die die Tragfähigkeit der industriellen Schultern nie ausser acht lassen darf. Allerdings gilt auch die Erfahrung, dass nur der höhere Mensch höhere Werte schaffen kann, dass nur bei höheren Lebensbedingungen, wie sie von unserer sozialpolitischen Meliorationsgesetzgebung (Arbeiterschutz, Jugendpflege, Arbeiterversicherung) angestrebt werden, bessere Waren möglich sind. Gerade aus dem letzteren Gesichtspunkt wird der intelligente Berufsarbeiter immer unentbehrlicher, [214] während der unqualifizierte Arbeiter, der nur seine Muskelkraft einsetzen kann, durch die technischen Fortschritte an Bedeutung verliert. Darum wird die industrielle Führung künftig weniger dem Staat mit den meisten Menschenkräften, sondern dem Staat mit den intelligentesten Arbeitern zufallen. An die allgemeine Volksschulpflicht wird sich also bald eine Pflicht zur beruflichen Ausbildung reihen müssen, je mehr wir genötigt sind, auf fremden Märkten mit differenzierter hochentwickelter Qualitätsware zu konkurrieren.

Als weltwirtschaftlicher Industrie-, Handels- und Gläubigerstaat hat das Deutsche Volk ferner erhebliche Interessen im Ausland. Diese erheischen Schutz und Förderung durch zielbewusste Auslandspolitik, durch Rückhalt an einem geeinten land- und seestarken Mutterland. Die Erhaltung des offenen Markts wird nach wie vor besondere Aufgabe dieser Auslandspolitik sein, denn wir müssen notwendigerweise einen Teil unserer Waren im Ausland absetzen, wenn wir nicht Blut statt Gold, Menschen statt Waren exportieren wollen. Anderseits ist es wichtig, dass heimische Organisationskräfte und heimische Kapitalien im Auslande grosse Kulturarbeiten übernehmen und dass sie Macht und Ansehen des Reichs, abgesehen von den dem Heimatland zufliessenden Gewinnen und Zinsen, auch durch das dem deutschen Namen verschaffte Prestige fördern. Durch verständiges Zusammenarbeiten von Regierung, Kapitalistengruppen, Privatorganisationen und speziellen Sachverständigen können die deutschen Interessensphären in aussichtsreichen Zukunftsgebieten wesentlich ausgedehnt werden. Das Auslandsdeutschtum aber, in dem bedeutsame Werte für die wirtschaftliche und kulturelle Weltstellung des Deutschen Volkes verkörpert sind, bedarf nach wie vor seitens des Mutterlands warmherziger Fürsorge, hierdurch helfen wir ihm die sprachliche und geistige Gemeinschaft mit der deutschen Nation wahren und stärken wir die Stellung des Deutschtums in der Welt.

Daneben ist eine ausgleichende Wirtschaftspolitik im Innern unerlässlich. Wir haben Bundesstaaten und Reichsteile mit geradezu stürmischem wirtschaftlichen Aufschwung und solche mit wesentlich langsamerem Tempo. Bei letzteren handelt es sich vornehmlich um Agrarbezirke, die gerade bei der zunehmenden Industrialisierung und Verstadtlichung des Reichs hoch im Kurse gestiegen sind und noch steigen werden, sowohl als Menschenproduktionsstätten für Industrie und Wehrkraft und als unentbehrliche Lieferanten von Lebensmitteln wie als wichtige Reserve für künftige intensivere Wirtschaft. Soweit sie fiskalisch negativ sind, muss ihnen im Weg ausgleichender Wirtschaftspolitik zur Pflege der Kulturaufgaben unter die Arme gegriffen werden. Denn auch ihre Leistungen liegen im ureigensten Interesse der Selbsterhaltung von Reich und Volk. Hierher gehören u. a. Massnahmen, die im Gegensatz zur seitherigen Entwicklung eine Dezentralisierung von staatlichen und Reichsämtern bezwecken, soweit eine solche ohne Beeinträchtigung ihrer sachlichen Wirksamkeit möglich ist.

In einer solchen Agrar-, Industrie- und Handelspolitik liegt zugleich ein gut Stück Sozialpolitik, dazu angetan, den unteren Klassen wirtschaftlich und gesellschaftlich zu helfen, ihnen das Hineinwachsen in den Bedürfniskreis, die Denkweise, das Seelenleben der Mittelklassen zu erleichtern. Damit muss Hand in Hand gehen die Förderung des sozialen Verständnisses. Die Unternehmer sind zugänglicher zu machen für die neuen, billigen Bedürfnisse der Arbeiter, um willige und tüchtige Kräfte zu haben, die Arbeiter müssen in die schwierigen Aufgaben der Arbeitgeber, in die das wirtschaftliche Gedeihen der Unternehmerarbeit bedingenden Faktoren Einsicht erlangen. Hierdurch wird die gegenseitige Annäherung, das Mitverantwortungs-, das Solidaritätsgefühl, das Bewusstsein, dass Arbeiter und Arbeitgeber aufeinander angewiesen sind, profitieren zum Besten des beiderseitigen wohlverstandenen Interesses.

Was diese Einsicht in die Interessengemeinschaft von Unternehmer und Arbeiter für den Erfolg des Zusammenarbeitens bedeutet, das ist für das Gesamtinteresse im Weg besserer staatsbürgerlicher Erziehung anzustreben. Sie muss bei richtiger Pflege zur allgemeinen Erkenntnis des organischen Zusammenhangs, der zwischen den Berufsständen und sozialen Schichten besteht, zum Verständnis der ganzen Volkswirtschaft als eines lebendigen Organismus führen, in dem jeder Einzelne mit tausend Fäden ans ganze Volk geknüpft ist. Sie muss so die Ausbildung eines starken National-Bewusstseins der Massen bewirken und das Volk von der Überzeugung durchdringen, dass jeder Einzelne mitverantwortlich ist und auch mittätig zu sein hat für des [215] Reiches Wohlfahrt. Wie nichts im Leben mehr bindet als gemeinsame Ziele, so bindet auch politisch noch mehr als die Vergangenheit die gemeinsame Zukunft, sie ist eine starke Willensgemeinschaft, die, richtig dem Verständnis der Allgemeinheit näher gerückt, tiefer wirkt als jede Erinnerung, weil sie den ganzen Menschen im innersten ergreift.

Die Bekanntschaft mit den tatsächlichen Verhältnissen leistet da vorzügliche Dienste. Unter ihrem Zwang, unter ihrem Bann verflüchtigen sich Vorurteile, einseitige Interessenmeinungen, profitiert das Gesamtinteresse unter Wahrung des Suum cuique, erweitert sich der Sinn für das Ganze und das Mögliche, werden die Energien zur Selbstbehauptung und Durchsetzung unserer nationalen Interessen geweckt und gekräftigt. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die durch die neueste Statistik aufgenommene Inventur über das Deutsche Volk von besonderem Wert; sie fördert – abseits von Partei- und sonstiger subjektiver Meinung – den realistisch politischen Blick, die Einsicht in das innere Gefüge des Volks, in die Existenzbedingungen des Reichs und seine Entwicklungstendenzen, sie führt zur nüchternen Schärfe eines unbestechlichen Wirklichkeitssinns und zur kühlen Berechnung.

Je mehr diese Kenntnis wirtschaftlicher, gesellschaftlicher Tatsachen verbreitet wird, um so mehr wird die wirtschaftliche Einsicht vermehrt. Wirtschaftliche Einsicht aber ist wirtschaftliche Kraft. Dies gilt für die Regierung wie für die Massen. Mit der Selbsterkenntnis auf der Basis des zeitlichen und räumlichen Vergleichs, also mit früheren Zeiten und anderen Völkern, schwindet die Eifersucht, kommt der Eifer, der nachzukommen sucht, stellt sich von selbst das weitere zielbewusste Streben des Volkes ein, kommt der Wille zur Tat, wird aus dem Lernvolk ein Tatvolk.

Pflege der Energien im Volk ist aber das beste Gegengewicht gegen die mit Zunahme des Wohlstandes auch in Deutschland auftretende Gefahr der Saturiertheit, der Verweichlichung, der Decadence. Die sicheren Grundlagen eines erfolgreichen nationalen Charakters – sagt Th. Roosevelt – beruhen auf den grossen Kampfeseigenschaften, die nicht nur im Krieg, sondern auch im Frieden sich offenbaren können, sie sind verkörpert in den kampfesfreudigen Recken, die mit nie erlahmender Tatkraft und Zähigkeit unter Aufbietung aller Kräfte einem grossen schwierigen Ziel nachstreben. Solche Naturen entspriessen seltener den wohlhabenden Klassen, wo der in der Notwendigkeit liegende Sporn fehlt. Dagegen (um mit Carnegie zu reden) „in ehrlicher Armut geboren und gezwungen zu sein um des Lebens Notdurft in der Jugend zu arbeiten und zu kämpfen“, das ist die beste Schule, seine Fähigkeiten zu entwickeln, den Charakter zu stählen, sich zu nützlichem Glied der menschlichen Gesellschaft heranzubilden. Das ist die Schule, aus der zumeist unsere Führer hervorgegangen sind, das schafft die zu Taten berufenen feurigen Naturen, bei denen – wie H. Treitschke so schön sagt – Charakter und Bildung zusammenfallen und jede Erkenntnis als ein lebendiger Entschluss in der Seele glüht. Grund genug, der Aufwärtsentwicklung der unteren Klassen Raum zu schaffen und auch in wohlhabenden Kreisen das heranwachsende Geschlecht zur Freude an der Arbeit, zur gewissenhaften Erfüllung der Pflicht, zur Charakterstärke, zur Ausbildung der Energie zu erziehen! Die Kraft, Reichtümer zu erwerben, ist wichtiger als der Reichtum selbst.

Geht solche Politik Hand in Hand mit einer verständigen Förderung sonstiger Einfachheit, Abhärtung und körperlicher Tüchtigkeit (Turnen, Sport, Militärdienst), so ermöglichen wir eine gehörige Entfaltung der Persönlichkeit, des Selbstvertrauens, des dem Wirtschaftsleben Schwungkraft verleihenden Unternehmungsgeistes, des tatenfrohen Organisationstalents. Und wir sorgen für ein starkes, weitblickendes Führertum, das in unserem Zeitalter der ausgeprägten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Koalitionen noch mehr als früher von Bedeutung ist. Darin liegt aber zugleich die Gewähr für weitere nachhaltige Rührsamkeit des Volkskörpers, für Ausbildung unserer sozialen Gesamtkraft, für Hebung des Gesamt-Niveaus, für Steigerung der wirtschaftlichen, wehrhaften und kulturellen Gesamtleistung der deutschen Nation.





  1. a b c d Da von den gestorbenen ehelichen Kindern einige unehelich geboren wurden, so sind die hier berechneten Sterblichkeitszahlen bei den ehelichen Kindern etwas zu gross und bei den unehelichen etwas zu klein.
  2. a b c d Der Wanderungsverlust von Berlin erklärt sich aus der neuerdings verstärkt eingetretenen Abwanderung aus der Altstadt Berlin in die an der Peripherie liegenden Vorstädte; daher auch (z. T.) der grosse Wanderungsgewinn der Prov. Brandenburg.
  3. a b Einschl. der 1871 in Frankreich gezählten Militärpersonen (35 355 = 0,86‰), die sich nicht nach Landesteilen ausscheiden lassen.
  4. Einschliesslich der am 1. April 1911 zur „Stadt“ erhobenen Gemeinde Hamborn.
  5. Der Stadtkern (City) umfasst in Berlin: Alt-Berlin, Alt-Cölln, Friedrichswerder, Dorotheenstadt, Friedrichsstadt; in Hamburg: das vom alten Festungsgürtel umspannte Gebiet; in München: die Altstadt.
  6. Zahl von 1875.
  7. a b Wird für München nur von 10 zu 10 Jahren berechnet.
  8. a b 1871 einschl. der Truppen in Frankreich.
  9. Übersicht b) und c) auf folgender Seite.
  10. Vergl. hierzu auch Übersicht d) auf der nächsteu Seite.
  11. Vergl. auch Übersicht e), die nach Berufsgruppen gliedert.
  12. a b Ohne Musik-, Theater- und Schaustellungsgewerbe.
  13. Einschliesslich Gruppe XXIII Musik-, Theater- und Schaustellungsgewerbe.
  14. a b c Das sind diejenigen Betriebe, welche (nach dem allgemeinen betriebsstatistischen System) aus mehreren Einzel- und Teilbetrieben bestehen.
  15. Die gewerbsmässige Kunst- und Handelsgärtnerei, Tierzucht und Fischerei ist nur unter „Gewerbe überhaupt“ berücksichtigt.
  16. Eisenbahn-, Post- und Telegraphenbetrieb fallen nicht in den Rahmen der Gewerbestatistik.
  17. Die kleinen Ziffern beziehen sich auf die Gruppe XXIII Musik-, Theater- und Schaustellungsgewerbe. Sie sind nicht unter den Ziffern für „Handel und Verkehr etc.“ enthalten.
  18. Die Linien der Fernsprech-Verbindungsanlagen sind seit 1908 beim Telegraphennetz mitgerechnet.
  19. Ohne die Einnahmen aus dem Absatze von Zeitungen und ohne Personenfahrgeld.
  20. a b c Im Jahre 1902.
  21. Im Jahre 1900.
  22. a b c Im Jahre 1905.
  23. a b Im Jahre 1891.
  24. Von der Gruppe der Angestellten, des Verwaltungs-, Aufsichts- und Bureaupersonals im Gesamtumfang von 1,59 Millionen (1907) sind ausgeschieden als technisch gebildete Beamte, Wirtschaftsbeamte: 170 540, als Aufsichtspersonal: 272 175, als Bureau-, kaufmännisch gebildetes Verwaltungspersonal: 322 734.
  25. Nach der Berufszählung von 1907 sind von den 6,05 Millionen Selbständigen ausgeschieden als Eigentümer und Miteigentümer 4,87 Millionen, als Pächter (auch Erbpächter) 210 419, als sonstige Betriebsleiter, leitende Beamte 140 176 und als selbständige Hausgewerbetreibende 247 770.
  26. a b c Als Angehörige sind hier auch die mithelfenden Familienangehörigen (c 1) eingeschlossen; die häuslichen Dienstboten sind hier nicht berücksichtigt.
  27. Das sind Erwerbstätige einschl. ihrer Familienangehörigen und ihrer häuslichen Dienstboten. Die hier abgedruckten Zahlen können mit denen der oben gegebenen Tabelle nicht verglichen werden, da in letzteren die Dienstboten nicht enthalten sind und ferner die c 1-Personen auch von B und C (nicht nur die von A 1) aus der Summe der c-Personen ausgeschieden sind.