Die Gartenlaube (1867)/Heft 27

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1867
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 27.   1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.      Vierteljährlich 15 Ngr.      Monatshefte à 5 Ngr.


Das Geheimniß der alten Mamsell.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


Mit Heinrich zugleich war Rosa eingetroffen. Felicitas erhielt deshalb von Frau Hellwig die Erlaubniß, in die Stadt zurückzukehren. Sie wußte, daß Tante Cordula eine ausgezeichnete Brandsalbe in ihrem reichhaltigen Medicinkasten hatte, und eilte sofort, indeß Heinrich das Haus bewachte, hinauf in die Mansarde.

Während die alte Mamsell bestürzt die kühlende Salbe hervorholte und mit sanfter Hand den verletzten Arm verband, erzählte Felicitas den Vorfall. Sie sprach hastig, in fliegenden Worten. Physischer Schmerz und Gemüthsbewegung hatten sie in eine fieberhafte Aufregung versetzt. Noch siegte indeß der starke Wille des Mädchens über die Leidenschaftlichkeit; als aber Tante Cordula ruhig einwarf, sie hätte die ärztliche Hülfe nicht zurückweisen sollen, da brach die letzte mühsam behauptete Schranke.

„Nein, Tante!“ rief sie hastig, „die Hand soll mich nicht berühren, und wenn sie mich aus Todesnoth erretten könnte! … Die Menschenclasse, aus der ich stamme, ist ihm ‚unsäglich zuwider‘. Dieser Ausspruch aus seinem Munde hat einst mein Kinderherz bis in den Tod betrübt – ich werde ihn nie vergessen! … Seine Pflicht als Arzt ließ ihn heute für einen Moment den Abscheu überwinden, den er gegen die ‚Paria‘ fühlt – ich will sein Opfer nicht!“

Sie schwieg erschöpft und ihr Gesicht verzog sich im Schmerz, den ihr die Wunde verursachte.

„Er ist nicht mitleidslos,“ fuhr sie nach einer Pause fort, „ich weiß es, er versagt sich Genüsse um seiner armen Patienten willen. An jedem Anderen würden mich solche fortgesetzte Opfer, solch’ stille Tugend zu Thränen rühren, hier aber empören sie mich wie an einer anderen Menschenseele das Laster… Ich bin unedel, Tante, niedrig denkend – ich fühle es wohl, aber ich kann mir nicht helfen, es verursacht mir heftige Pein, Zorn und Groll, an ihm etwas bewundern zu sollen, den ich bis in alle Ewigkeit verabscheue!“

Einmal vom Boden strenger, Zurückhaltung und Verschlossenheit gewichen, beklagte sie sich auch heute zum ersten Mal bitter über das herzlose Benehmen der jungen Wittwe. Jener eigenthümliche, rothe Fleck erschien, wenn auch flüchtig, unter dem linken Auge der alten Mamsell.

„Kein Wunder – sie ist ja Paul Hellwig’s Tochter!“ warf sie hin. In diesen wenigen, mit schwacher, aber schneidender Stimme gesprochenen Worten lag eine strenge Verurtheilung. Felicitas horchte überrascht auf. Nie hatte Tante Cordula eine Beziehung zu irgend einem Hellwig’schen Familienglied berührt – die Nachricht von der Ankunft der Regierungsräthin hatte sie damals schweigend und scheinbar völlig theilnahmlos angehört, so daß Felicitas annehmen mußte, die Verwandten am Rhein haben ihr zeitlebens fern gestanden.

„Frau Hellwig nennt ihn den Auserwählten des Herrn, den unermüdlichen Streiter für den heiligen Glauben,“ sagte das junge Mädchen nach einer kurzen Pause zögernd. „Er muß ein glaubensstrenger Mann sein, einer jener finsteren Eiferer, die zwar mit eiserner Consequenz nach Gottes Geboten leben, aber auch eben deshalb unerbittlich und unnachsichtig die Fehler und Schwächen Anderer richten.“

Ein leises, heiseres Gelächter schlug an Felicitas’ Ohr. Die alte Mamsell hatte jene eigenthümliche Art von Gesichtszügen, bei welchen man nie fragt: „sind sie schön oder häßlich?“ Die herzerquickende Sprache weiblicher Sanftmuth und Güte, eines tiefsinnenden Geistes vermittelt hier zwischen den strengen Anforderungen der Schönheitsgesetze und der eigenwillig formenden Natur – wo die Linie abweicht, da ergänzt der Ausdruck, aber eben deshalb kann uns auch diese Gattung Gesichter plötzlich vollkommen fremd werden, sobald ihre gewohnte Harmonie gestört wird. Tante Cordula erschien in diesem Augenblick förmlich unheimlich; es war ein Hohngelächter, wenn auch ein leises, gedämpftes, welches sie ausstieß, ihr sonst so stilles, liebes Gesicht hatte etwas Medusenhaftes durch den plötzlichen Ausdruck unsäglicher Bitterkeit und einer namenlosen Verachtung. Jene Aeußerung im Verein mit dem seltsamen Gebahren der alten Mamsell warfen abermals einen schwachen Lichtreflex auf ihre geheimnißvolle Vergangenheit, aber nicht ein leitender Faden wurde sichtbar in dem dunklen Gewebe, und auch jetzt that sie Alles, um den Eindruck ihres momentanen Sichgehenlassens bei dem jungen Mädchen zu verwischen.

Auf dem großen, runden Tisch mitten im Zimmer lagen verschiedene Mappen, sie waren geöffnet. Felicitas kannte die zerstreut umherliegenden Blätter und Hefte sehr gut. Da, auf grobem, vergilbtem Papier, mit verblichener Tinte und oft in sehr verzwickten Hieroglyphen hingeworfen, leuchteten Namen, wie Händel, Gluck, Haydn, Mozart – es war Tante Cordula’s Handschriftensammlung berühmter Componisten. Bei Felicitas’ Eintritt in das Zimmer hatte die alte Dame in den Papieren gekramt, die, Jahre lang unausgelüftet hinter den Glasscheiben liegend, jetzt einen durchdringenden Modergeruch ausströmten. Sie nahm schweigend die Arbeit wieder auf, indem sie die Papiere mit großer Vorsicht und Behutsamkeit in die Mappen schob. Der [418] Tisch leerte sich allmählich und dadurch wurde auch ein tiefer unten liegendes, dickes, geschriebenes Notenheft sichtbar. „Musik zu der Operette: ‚die Klugheit der Obrigkeit in Anordnung des Bierbrauens‘, von Johann Sebastian Bach,“ stand auf dem Titelblatt.

Die alte Mamsell legte bedeutungsvoll den Finger auf den Namen des Componisten. „Gelt, das kennst Du noch nicht?“ fragte sie mit einem wehmüthigen Lächeln. „Das hat viele Jahre zusammengerollt im obersten Fach meines Geheimschrankes gelegen… Heute Morgen gingen allerlei Gedanken durch meinen alten Kopf – sie meinten alle miteinander, es sei Zeit, Ordnung für die Heimreise zu machen, und nach dieser Ordnung gehört das Heft da in die rothe Mappe… Es mag wohl das einzige Exemplar sein, das existirt – es wird dereinst mit Gold aufgewogen werden, meine liebe Fee. Das Textbuch, ganz speciell für unsere kleine Stadt X. und meist im hiesigen Dialekt geschrieben, ist vor beinahe zwei Jahrzehnten hier aufgefunden worden und hat um seiner muthmaßlichen Bach’schen Composition willen in der musikalischen Welt Aufsehen erregt; diese Composition, die man noch sucht – hier ist sie. Die Melodien, die für die Welt weit über ein Jahrhundert hier auf dem Papier geschlafen haben, sind für die Musiker eine Art Nibelungenhort, um so mehr, als sie die einzigen eigentlichen Opernmelodien sind, die Bach je componirt hat… Anno 1705 haben die Schüler der hiesigen Landesschule und verschiedene Bürger drüben im alten Rathhaussaale, damals der Tuchboden genannt, die Operette aufgeführt.“

Sie schlug das Titelblatt um; da stand auf der Rückseite in zierlicher Schrift: „Johann Sebastian Bach’s eigenhändig geschriebene Partitur, von ihm erhalten zum Andenken im Jahre 1707. Gotthelf v. Hirschsprung.“ – „Der da soll mitgesungen haben,“ fuhr sie mit etwas vibrirender Stimme fort, indem sie auf den letzten Namen zeigte.

„Und wie kam dies Heft in Deine Hände, Tante?“

„Durch Erbschaft,“ klang es kurz abweisend, fast rauh von Tante Cordula’s Lippen, während sie die Partitur in die rothe Mappe legte.

In solchen Momenten war es geradezu unmöglich, ein Gespräch verlängern zu wollen, welches die alte Mamsell abzubrechen wünschte. In Haltung und Geberden der kleinen, hinfälligen Gestalt lag dann eine so entschiedene Zurückweisung, daß nur Tactlosigkeit und unverschämte Neugierde vorzugehen vermochten. Felicitas warf einen sehnsüchtigen Blick auf das verschwindende Manuscript; die Melodieen, die kein Lebender, außer Tante Cordula, kannte, erregten ihr höchstes Interesse, aber sie wagte nicht, um einen Einblick zu bitten, wie sie ja auch vorhin bei ihrer Mittheilung die Armbandgeschichte völlig unerwähnt gelassen hatte – nie hätte sie eine schmerzlich klingende Saite im Innern ihrer Beschützerin zum zweiten Mal berühren mögen.

Die alte Mamsell schlug den Flügel auf und Felicitas zog sich in den Vorbau zurück… Die Sonne war im Untergehen. Dort drüben lag es noch wie ein aufgewirbelter, funkelnder Goldstaub, der das Auge blendete und Himmel und Erde formlos ineinander schwimmen ließ. Wie aus der Hand des Sämanns die weithin geschleuderten Körner, so fielen von dort her Streiflichter purpurn und goldig färbend auf die Wipfel des Bergwaldes und auf das blüthenbeschneite Thalgelände. Einzelne Partien der Gegend traten dadurch überraschend und fremdartig hervor, gleich einem neuen Gedanken in der sinnenden Menschenstirn… Das kleine Dorf dort, das seine letzten Hütten keck den Fuß des Berges ersteigen ließ, erreichte der Sonnenstrahl nicht mehr, aber vom Knopf des spitzen Kirchthurms zuckten noch Blitze, und die weit offenen Thüren der Häuser zeigten das rothglühende Heerdfeuer, auf welchem die Abendkartoffeln kochten… Süßer Abendfrieden lag da draußen, und hier oben quoll der Blumenduft betäubend empor, kein Lüftchen trug ihn weiter, noch rührte es an die sonnenmüden Blätter und Zweige. Manchmal fiel ein schwerfälliger Maikäfer klatschend auf die Galerie, oder ein Schwalbenpaar schwirrte, von Elternsorgen getrieben, vorüber – sonst war es still, feierlich still. Um so ergreifender schwebten die Klänge des Beethoven’schen Trauermarsches heraus in den Vorbau, aber schon nach wenigen Accorden hob Felicitas erschreckt den tiefgesenkten Kopf und blickte angstvoll in das Zimmer zurück – das war kein Clavierspiel mehr; ein Tongeflüster, hinsterbend und geisterhaft, schlug es doch mit der ganzen Kraft einer unabweisbaren, urplötzlich begriffenen Mahnung an das Herz des jungen Mädchens: die Hände, die über die Tasten hinglitten, waren müde, sterbensmüde, und das, was unter ihnen hervorklang, waren die Flügelschläge einer Seele, die sich losreißen wollte für immer.


15.

Die Feuer- und Wassertaufe hatte für die zwei Betheiligten doch ihre Folgen. Ein starkes Schnupfenfieber brach während der Nacht bei dem Kind aus, und Felicitas erwachte am andern Morgen mit heftigem Kopfweh. Sie besorgte trotzdem die ihr übertragenen Geschäfte mit gewohnter Pünktlichkeit, der verletzte Arm hinderte sie wenig, denn die vortreffliche Salbe hatte über Nacht bereits ihre Schuldigkeit gethan.

Nachmittags kehrte der Professor nach Hause zurück. Er hatte eben eine Augenoperation, an die sich bis dahin kein Arzt gewagt, glücklich ausgeführt. In Gang und Haltung offenbarte sich wie immer jenes ruhige, rücksichtslose Sichgehenlassen, das scheinbar durch nichts aus dem Gleichgewicht gebracht werden konnte, auch die kräftige Hautfarbe seines Gesichts war nicht um eine Nüance erhöhter – wer aber sein Auge kannte, dem mußte der ungewohnte Glanz auffallen, der unter den starken Brauen hervorleuchtete; diese kalten, stahlgrauen Augen, die nur gemacht schienen, prüfend und kühl sondirend in das Seelenleben Anderer zu dringen, hatten also doch auch Momente, wo sie eigene innere Befriedigung und Wärme ausstrahlten.

Er blieb an der Hofthür stehen und frug Friederike, die mit einem Eimer voll Wasser in die Hausflur trat, nach ihrem Befinden.

„Mir geht es wieder gut, Herr Professor,“ antwortete sie, ihren Eimer hinstellend, „aber die da drüben,“ sie zeigte über den Hof hinweg nach einem Fenster im Erdgeschoß, „die Caroline hat gestern bei der Feuergeschichte Eins weggekriegt. Ich hab’ fast kein Auge zuthun können, so hat sie die ganze Nacht im Schlafe vor sich hingeschwatzt, und heute geht sie mit einem Kopf ‘rum, so roth wie Scharlach, und –“

„Das hätten Sie früher sagen sollen, Friederike,“ unterbrach sie der Professor streng.

„Ich hab’s auch der Madame gesagt, aber sie meinte, es würde sich schon wieder geben. Für die ist sein Lebtag kein Doctor geholt worden, und sie ist auch durchgekommen – Unkraut verdirbt nicht, Herr Professor! … Es hilft ja auch gar nichts, wenn man gut mit ihr sein will,“ setzte sie entschuldigend hinzu, als sie sah, daß sich sein Gesicht auffallend verfinsterte; „sie war von klein auf ein verstocktes Ding und hat immer so apart gethan, wie ein Königskind – daß Gott erbarm, so ein Spielersmädchen! … Manchmal, wenn ich für die Madame ‘was Gutes gebacken oder gebraten hatte, da hab’ ich ihr auch ein paar Bissen hingestellt – lieber Gott, man hat ja doch auch ein Herz! Aber glauben Sie denn, sie hätte es angerührt? Ja, Gott bewahre – ich hab’s allemal wieder forttragen müssen. Sehen Sie, Herr Professor, so machte sie’s schon als Kind! Sie hat sich überhaupt immer nur halb sattgegessen, von der Zeit an, wo der sel’ge Herr gestorben ist; es wundert Einen nur, daß sie dabei so groß geworden ist… Das ist aber Alles die pure Verstocktheit und der sündhafte Hochmuth, sie will nichts geschenkt haben, partout nicht! Ich hab’s mit meinen eigenen Ohren gehört, wie sie dem Heinrich gesagt hat, wenn sie erst einmal das schreckliche Haus im Rücken hätte, da wollte sie arbeiten, daß ihr das Blut unter den Nägeln hervorkäme, und jeden verdienten Groschen an die Madame schicken, bis jeder Bissen Brod, den sie hier im Hause gegessen hätte, bezahlt wäre.“

Die alte Köchin bemerkte nicht, daß ihrem Zuhörer während ihres Herzensergusses das Blut immer mehr in das Gesicht stieg. Sie hatte kaum den letzten Satz beendet, als er, ohne ein Wort zu entgegnen, sofort über den Hof nach dem ihm bezeichneten Fenster schritt. Es war ein großes Bogenfenster mit steinerner Einfassung, das sehr tief auf den Boden herabging und zu der Kammer gehörte, in welcher Friederike und Felicitas schliefen. Die offenen Flügel ließen nackte, getünchte Wände und elende Geräthschaften sehen, es war jener enge, abscheuliche Raum, in welchem einst die kleine vierjährige Felicitas die ersten Sehnsuchtsschmerzen hatte durchleiden müssen… Jetzt saß sie da am Fenster, die Ausgestoßene, die Verstockte, die sich nicht satt aß in fremdem Brode, die arbeiten wollte, bis ihr das Blut unter den Nägeln hervorkam, um jede Verpflichtung trotzig abschütteln zu können – ein [419] Stolz, der sich mit wahrhaft männlicher Unbeugsamkeit inmitten der tiefsten Demüthigungen aufrecht erhalten hatte, eine energische Seele voll unerschöpflicher Kraft, und das Alles in diesem jungen Geschöpf, das sich da so kindlich lieblich, scheinbar im Schlafe, zusammenschmiegte. Ihr Kopf ruhte, vom untergelegten Arm gestützt, auf dem Fenstersims, die atlasweiße Haut des Gesichts und die schimmernde Pracht der Haare hoben sich scharf ab von dem verwitterten, grauen Gestein. Unschuldig still und leidvoll erschien das reine Profil mit den sanftgeschlossenen Lippen und den schwermüthig herabgeneigten Mundwinkeln – lagen doch die dunklen Wimpern tief auf der bleichen Wange und bedeckten die Augen, die so oft in Groll und Erbitterung aufblitzten.

Der Professor war geräuschlos herangetreten, er betrachtete sie einen Moment unbeweglich, dann bog er sich zu ihr nieder.

„Felicitas!“ klang es weich und mitleidsvoll von seinen Lippen.

Sie fuhr empor und starrte wie ungläubig in die Augen, die auf sie niedersahen – ihr Name, von ihm ausgesprochen, hatte sie wie ein elektrischer Schlag berührt. Aber ihre Gestalt, die eben noch wie ein harmloses Kind sich elastisch zusammengeschmiegt hatte, sie stand urplötzlich da, in jedem Muskel gespannt, gleichsam aufhorchend, als gelte es, einen feindlichen Angriff abzuwehren.

Der Professor ignorirte diese Umwandlung völlig.

„Ich höre von Friederike, daß Sie leidend sind,“ sagte er in dem gewohnten, ruhig freundlichen Ton des Arztes.

„Ich fühle mich wieder wohl,“ antwortete sie gepreßt. „Ungestörte Ruhe stellt mich stets rasch wieder her.“

„Hm – Ihr Aussehen jedoch,“ er vollendete den Satz nicht, streckte aber ohne Weiteres den Arm herein und wollte ihr Handgelenk ergreifen. Sie wich einige Schritte tiefer in’s Zimmer zurück.

„Seien Sie vernünftig, Felicitas!“ ermahnte er, immer noch freundlich ernst, aber seine Brauen runzelten sich finster, als das Mädchen bewegungslos stehen blieb, während sie die Arme beinahe krampfhaft fest um ihre Taille legte. Trotz des dichten Bartes konnte man sehen, wie er zornig die Lippen zusammenkniff.

„Nun, so werde ich nicht mehr als Arzt, sondern als Vormund zu Ihnen sprechen,“ sagte er in hartem Ton, „und als solcher befehle ich Ihnen, sofort hierher zu kommen!“

Sie sah nicht auf, ihre Wimpern legten sich vielmehr noch tiefer auf die Wangen, die eine glühende Röthe bedeckte, und ihre Brust hob und senkte sich im schweren inneren Kampfe, aber sie kam langsam heran und reichte ihm schweigend, mit weggewandtem Gesicht, die Hand hin, die er sanft in die seine nahm… Diese außerordentlich schmale, kleine, aber hartgearbeitete Hand zitterte so heftig, daß es wie ein tiefes Erbarmen durch die ernsten Züge des Professors ging.

„Thörichtes, eigensinniges Kind, da haben Sie mich nun wieder einmal gezwungen, mit aller Strenge gegen Sie aufzutreten!“ sagte er mit mildem Ernst. „Und ich hätte gewünscht, daß wir ohne weitere Feindseligkeiten auseinandergehen sollten… Haben Sie denn gar keinen anderen Blick für mich und meine Mutter, als den eines unauslöschlichen Hasses?“

„Man kann nicht anders ernten wollen, als man gesät hat!“ entgegnete sie mit halberstickter Stimme. Sie strebte fortwährend, sich loszuwinden, und ihre Augen hafteten mit einem so still entsetzten Ausdruck auf den Fingern, die ihr Handgelenk weich, aber kräftig umschlossen, als seien sie glühendes Eisen.

Jetzt ließ er ihre Hand rasch fallen. Milde und Mitleid verschwanden aus seinen Zügen, er stieß mit der Spitze seines Stockes ärgerlich nach einigen schuldlosen Grashalmen, die zwischen dem Gefüge des Pflasters sproßten – Felicitas athmete auf, so sollte er sein, rauh, hart; sein mitleidsvoller Ton war ihr entsetzlich.

„Immer derselbe Vorwurf,“ sagte er endlich kalt. „Ihr übermäßiger Stolz mag freilich oft genug verwundet worden sein; war es doch gerade unsere Aufgabe, Sie auf möglichst gemäßigte Ansprüche zurückzuführen… Ich kann getrost Ihren Haß auf mich nehmen, denn ich habe nur Ihr Bestes gewollt, und meine Mutter? … nun, ihre Liebe mag schwer zu gewinnen sein, das will ich nicht bestreiten, aber sie ist unbestechlich gerecht, und schon ihre Gottesfurcht wird nicht zugelassen haben, daß Ihnen wirkliches Leid und Unrecht geschehe… Sie sind im Begriff, hinauszutreten in die Welt und sich auf eigene Füße zu stellen, dazu bedarf es in Ihrer Lage vor Allem der Fügsamkeit… Wie soll Ihnen der Verkehr mit den Menschen überhaupt möglich werden bei Ihren falschen Ansichten, die Sie so eigensinnig festhalten? Wie wollen Sie je auch nur ein Herz gewinnen mit diesen trotzigen Augen?“

Sie hob die Wimpern und sah ihn ruhig und fest an.

„Wenn man mir beweist, daß meine Ansichten der Moral und der reinen Vernunft gegenüber nicht Stich halten, dann will ich sie gern fallen lassen,“ entgegnete sie mit ihrer tiefen, ausdrucksvollen Stimme. „Aber ich weiß, ich stehe nicht allein mit der Ueberzeugung, daß keinem Menschen, und sei er, wer er wolle, das Recht zukommt, Andere zu geistigem Tod zu verurtheilen; ich weiß, daß tausend Andere mit mir fühlen, wie ungerecht und strafbar es ist, einer Menschenseele die Berechtigung des Aufwärtsstrebens abzusprechen, weil sie in einem niedrig geborenen Leib wohnt… ich gehe getrost hinaus unter die Menschen, denn ich habe Vertrauen zu ihnen und hoffe zuversichtlich diejenigen zu finden, denen ich ganz gewiß nicht trotzig gegenüberstehen will… Ein unglückliches Menschenkind wie ich, das unter gemüthlosen Seelen leben muß, hat keine andere Waffe, als seinen Stolz, keine andere Stütze, als das Bewußtsein, daß es auch Gottes Kind, Geist von seinem Geiste ist. Ich weiß, daß für ihn alle die Stufen und Schranken in der menschlichen Gesellschaft nicht bestehen – sie sind Menschenerfindung, und je kleiner und erbärmlicher die Seele, um so fester hält sie an ihnen.“

Sie wandte sich langsam um und verschwand hinter der Thür, die nach der Gesindestube führte, und er stand draußen und starrte ihr nach, dann drückte er den Hut tief in die Stirn und schritt dem Hause zu. Was in diesem gesenkten Kopf vorging, vermochte wohl Niemand zu ergründen; soviel aber war gewiß, jener Glanz seiner Augen, den er vorhin mit heimgebracht, war verflogen – es lag wie ein finster brütender Geist auf den stark gefurchten Brauen.

In der Hausflur standen der Rechtsanwalt Frank und Heinrich beisammen. Der Professor sah rasch, wie erwachend, auf, als ihre Stimmen sein Ohr berührten.

„Nun, Du hast Patienten im Hause, Professor?“ fragte der Rechtsanwalt, indem er ihm die Hand reichte. „Die Feuergeschichte hat fatale Folgen, wie ich höre – das Kind –“

„Hat ein tüchtiges Schnupfenfieber,“ ergänzte der Professor trocken. Er schien offenbar nicht in der Laune, sich auf weitere Erörterungen einzulassen.

„Ach, Herr, Professor, das hat ja wohl nicht viel zu bedeuten!“ meinte Heinrich. „Das Kind ist einmal eine arme, kranke Creatur und pimpelt den ganzen Tag – wenn aber so ein Mädchen, wie die Fee, der das ganze Jahr keine Ader weh thut, den Kopf hängt, da kommt Einem die Angst.“

„Nun, von der Kopfhängerei habe ich nicht viel bemerken können,“ sagte der Professor mit auffallend scharfer Stimme – man sah, wie unter dem Bart die Mundwinkel ironisch zuckten. „Der Kopf sitzt fest wie irgend einer – darauf kannst Du Dich verlassen, Heinrich!“

Er schritt mit dem Rechtsanwalt die Treppe hinauf. Auf den obersten Stufen kam ihnen Aennchen entgegen; sie war barfuß und im Nachtkleidchen, auf dem gedunsenen Gesichtchen glühten Fieberflecken und die Augen waren geschwollen vom Weinen.

„Mama fort, Rosa fort, Aennchen will Wasser trinken!“ rief sie dem Professor entgegen. Er nahm sie erschrocken auf den Arm und trug sie in das Schlafzimmer zurück – Niemand war zu sehen. Erzürnt rief er nach dem Mädchen. Eine ferne Thür ging auf und mit erhitztem Gesicht, das Bügeleisen in der Hand, kam Rosa herbeigelaufen; dort in dem Zimmer blähte sich eine ungeheure, blüthenweiße Mullwolke auf dem Bügelbret.

„Wo stecken Sie denn? Wie können Sie das kranke Kind allein lassen?“ fuhr er sie an.

„Ach, Herr Professor, ich kann mich doch nicht in Stücke theilen!“ vertheidigte sich das Mädchen, fast weinend vor Aerger. „Die gnädige Frau muß durchaus ein frischwaschenes Kleid morgen früh haben – das Waschen und Bügeln nimmt ja gar kein Ende mehr – wenn Sie nur wüßten, solch’ ein Kleid ist eine Heidenarbeit –“

Sie hielt inne, der Rechtsanwalt brach in ein lautes Gelächter aus.

„O, über die Frau im einfachen weißen Mullkleide!“ rief er und hielt sich die Seiten, denn das finster verlegene Gesicht des Professors erschien ihm urkomisch.

[420] „Die gnädige Frau meinten,“ nahm Rosa ihre Vertheidigungsrede wieder auf, „es sei ja doch nur ein leichtes Schnupfenfieber bei Aennchen, sie könnte ganz gut einmal auf ein halbes Stündchen allein bleiben; sie hat ihr allerhand Spielzeug auf’s Bettchen gegeben –“

„Und wo ist meine Cousine?“ unterbrach der Professor sie rauh.

„Die gnädige Frau sind mit Madame Hellwig in den Missionsverein gegangen.“

„So,“ schnitt er ihren Bericht kurz ab – er sah grimmig aus. „Jetzt gehen Sie und machen Sie den Plunder fertig!“ befahl er, nach der Thür zeigend, aus der sie gekommen war, dann rief er nach Friederike, aber die alte Köchin steckte mit beiden Händen in einem eben eingerührten Teig und schickte Felicitas.

Das junge Mädchen kam die Treppe herauf. Noch lag die feine Röthe innerer Bewegung auf ihren Wangen, doch ihr Auge streifte kühl und ernst das aufgeregte Gesicht des Professors. Sie blieb in ruhig fester Haltung stehen und erwartete schweigend seine Befehle. Es kostete ihm augenscheinlich große Ueberwindung, sie anzureden.

„Die kleine Anna ist ohne Aufsicht – wollen Sie bei ihr bleiben, bis ihre Mutter zurückkommt?“ fragte er endlich; einem aufmerksamen Ohr konnte es nicht entgehen, daß er seine Stimme zu einem freundlichen Ton zwang.

„Sehr gern,“ antwortete sie unbefangen, „aber ich habe ein Bedenken – die Frau Regierungsräthin liebt es nicht, das Kind mit mir zusammen zu sehen. Wollen Sie die Verantwortlichkeit übernehmen, so bin ich bereit.“

„Ja wohl, das will ich.“

Sie schritt ohne Weiteres in das Schlafzimmer und schloß die Thür. Der Rechtsanwalt sah ihr mit aufleuchtenden Augen nach.

„Fee’ nennt sie Heinrich seltsamerweise,“ sagte er zu dem Professor, während er neben ihm die Treppe nach dem zweiten Stock hinaufstieg, „und so sonderbar auch der Name auf seiner derben Zunge klingt, auf die Erscheinung paßt er prächtig… Ich muß aufrichtig gestehen, ich begreife nicht, wo Ihr, Du sowohl wie Deine Mutter, den Muth hernehmt, dies merkwürdige Mädchen Eurer alten Köchin und dem naseweisen Kammerkätzchen da unten gleichzustellen.“

„Ah – wir hätten sie in Sammet und Seide wickeln sollen, meinst Du?“ rief der Professor so heftig gereizt, wie ihn sein Freund noch nie gesehen. „Und weil dem Hause Hellwig eine Tochter versagt ist, so hätte, Deiner Ansicht nach, der leere Platz nicht vortrefflicher ausgefüllt werden können, als mit dieser Fee, oder besser ‚Sphinx‘, wie ich sie nenne… Du bist von jeher ein Schwärmer gewesen! … Uebrigens steht es Dir frei“ – sein Ton vibrirte vor innerer Aufregung – „die Tochter des Taschenspielers zur Frau Frank zu machen – meinen Segen als Vormund hast Du!“

Das feine Gesicht des Rechtsanwaltes erröthete bis unter den lockigen Haarstreifen über der Stirn. Er sah einen Moment angelegentlich durch das Fenster hinunter auf den Marktplatz – sie hatten im Gespräch das Zimmer des Professors betreten – dann wandte er sich lächelnd um.

„So wie ich das innerste Wesen des Mädchens auffasse, wird sie sich schwerlich um Deinen vormundlichen Segen kümmern; ich würde mithin lediglich auf ihre Entscheidung angewiesen sein,“ entgegnete er nicht ohne leisen Spott, „und wenn Du meinst, mein Ohr mit der Bezeichnung ‚Taschenspielerstochter‘ zu erschrecken, so irrst Du Dich gewaltig, mein sehr verehrter Professor… Du freilich, bei Deinen Grundsätzen, würdest einen solchen Gedanken nicht ohne gewaltige Nervenerschütterung ausdenken – ein Spielerskind mit warmem, raschem Herzschlag und das kühle Blut ehrenfester Kauf- und Handelsherren, das fein gemessen durch Deine Adern fließt – das ginge freilich nun und nimmer – die dort müßten sich ja sammt und sonders im Grabe umdrehen!“

Er zeigte durch die offene Thür in die anstoßende große Erkerstube. Dort an der langen Wandseite hing eine Reihe vortrefflich gemalter männlicher Oelbilder, stattliche, behäbige Gestalten mit funkelnden Diamanten an den Fingern und auf dem zierlich gefältelten Busenstreifen. Das waren verschiedene Bürgermeister und Commercienräthe, die einst den Namen Hellwig getragen hatten.

Der Professor ging hinüber in das Zimmer – die Nadelstiche des Spottes schienen an ihm abzugleiten. Er kreuzte die Arme über der Brust und schritt einigemal unter den Bildern auf und ab.

„Sie haben tadellos dagestanden im Leben,“ sagte er plötzlich stehenbleibend. „Ob Jeder ohne innere Anfechtung und Kämpfe diese makellose äußere Würde und Haltung behauptet hat – ich glaube es nicht. Die menschliche Natur hat viel Sprödes, sie widerstrebt da meist am hartnäckigsten, wo sie gehorchen muß… Alle diese Opfer sind Steine zu einem soliden Bau gewesen, und dieser Bau heißt ‚das Haus Hellwig‘. Sollen sie gefordert und gebracht worden sein, damit ein Enkel kommt und sie mit einem Fußtritt wie ein Kartenhaus umstößt? … Gott soll mich bewahren!“

Es sah fast aus, als habe er mit diesen Worten einen inneren Conflict gelöst, denn die seltene Gereiztheit, die Frank mit Verwunderung an ihm beobachtet hatte, war verschwunden, als er in sein Zimmer zurückkehrte. –

Felicitas mochte vielleicht eine halbe Stunde am Bett des Kindes gesessen haben, als die Regierungsräthin nach Hause kam. Ihr Gesicht verfinsterte sich sofort beim Erblicken des jungen Mädchens.

„Wie kommen Sie hierher, Caroline?“ fragte sie scharf, indem sie ihren Sonnenschirm auf das Sopha warf und hastig ihre feinen dänischen Handschuhe abstreifte. „Ich habe Sie doch sicher nicht um diese Dienstleistung ersucht!“

„Aber ich!“ sagte der Professor mit harter Stimme, der plötzlich hinter ihr auf der Schwelle der offenen Thür erschien. „Dein Kind brauchte Aufsicht, es kam mir barfuß auf der Treppe entgegen.“

„Nicht möglich! … Ja, Aennchen, wie konntest Du denn so unfolgsam sein?“

„Bist Du wirklich im Zweifel, Adele, wer hier den Vorwurf verdient?“ fragte der Professor noch immer sich beherrschend, aber es grollte bereits in seiner Stimme.

„Mein Gott, ich bin ja trostlos über dies pflichtvergessene Geschöpf, die Rosa! … Sie hat auf der Gotteswelt nichts zu thun, als das Kind zu beaufsichtigen, aber ich weiß schon, man darf nur den Rücken wenden, da gafft sie zum Fenster hinaus, steht vor’m Spiegel –“

„Zufällig steht sie in diesem Augenblick am Bügelbret und richtet im Schweiß ihres Angesichts ein Kleid her, das Du à tout prix morgen anziehen mußt,“ unterbrach sie der Professor, in schneidendem Hohn jedes Wort markirend.

Sie erschrak heftig. Die tödtlichste Verlegenheit spiegelte sich momentan auf ihrem Gesicht, allein sie faßte sich rasch.

„Gott, wie albern!“ rief sie, unmuthig die weiße Stirn runzelnd, „da hat sie mich wieder einmal völlig mißverstanden – ich habe häufig das Unglück!“

„Gut,“ unterbrach er sie beharrlich, „wir wollen dies Mißverständniß gelten lassen, aber wie mochtest Du ihr, deren Unzuverlässigkeit Du eben hervorhobst, Dein krankes Kind allein anvertrauen?“

„Johannes, mich rief eine heilige Pflicht!“ antwortete die junge Wittwe nachdrücklich mit einem schwärmerischen Aufschlag ihrer schönen Augen.

„Deine heiligste ist die Mutterpflicht!“ rief er – in diesem Augenblick war er sehr zornig. „Ich habe Dich nicht hierher geschickt, um in Missionsangelegenheiten thätig zu sein, sondern einzig und allein des Kindes wegen!“

„Um Gotteswillen, Johannes, wenn die Tante und mein Papa Dich hörten! … Früher dachtest Du anders!“

„Das gebe ich Dir vollkommen zu. Eigenes Denken aber wird uns stets auf den unerschütterlich festen Satz der Moral zurückführen, daß wir zunächst unsere ganzen Kräfte dem Boden zuwenden sollen, auf den uns die Vorsehung gestellt hat – und wenn Du dereinst hundert aus dem Heidenthum gerettete Kinderseelen dem Ewigen aufzählen kannst, sie werden nicht um ein Jota den Vorwurf rechtfertigen, daß Du Dein eigenes darüber hast zu Grunde gehen lassen!“

Das Gesicht der Regierungsräthin glühte wie eine Päonie. Sie rang nach Fassung und der gewohnten Sanftmuth, und es gelang ihr.

„Sei nicht so streng gegen mich, Johannes!“ bat sie. „Bedenke, daß ich ein schwaches Weib bin, aber gewiß immer nur das Beste will… Habe ich gefehlt, so ist es wohl auch hauptsächlich aus Liebe zu Deiner guten Mutter geschehen, die meine Begleitung wünschte – es soll aber gewiß nicht wieder vorkommen.“

(Fortsetzung folgt.)
[421]
Die Marienburg und ihre Herrin.


„Im Begriff, mit dem theuren Kronprinzen mich zu meiner Armee nach dem südlichen Theile meines Königreichs zu begeben, lasse ich meine theure Königin und meine geliebten Töchter zu Herrenhausen Eurer bewährten Treue, Liebe und Anhänglichkeit zurück.“

So redete König Georg von Hannover heute vor einem Jahre in seiner Abschiedsproclamation zu Magistrat, Bürgervorstehern

Lustschloß Marienburg in Hannover.

und Bürgern seiner Residenz, als er, den Rathschlägen seiner Minister und seines eigenen Gefühls folgend, die Ansprache der zweiten Kammer und die dringende Bitte der städtischen Collegien zurückweisend, statt sich mit Preußen zu verständigen und im Lande zu bleiben, den verhängnißvollen Zug nach Göttingen antrat. Er „konnte als Christ, als Monarch und als Welf nicht anders“. Der Zug nach Göttingen führte ihn nach Langensalza und zuletzt in’s Exil nach Hietzing. Er wird niemals in sein Land zurückkehren, was ihm auch davon träumen mag. Nunquam retrorsum (niemals rückwärts), sein Wappenspruch, wird in dieser Beziehung auch sein Schicksal sein. Hannover ist für ihn, um mit seinen Worten zu reden, verloren „bis an das Ende der Tage“; es ist preußische Provinz geworden und wird es bleiben, wenn die Vorsehung nicht zu Gunsten des Welfenthums ein Wunder thut, was ebenso unwahrscheinlich ist, wie es nach der ganzen Vergangenheit des Königs Georg und namentlich nach seinem Verhalten während der Luxemburger Verwickelung kaum möglich sein wird.

Auch der ehemalige Kronprinz, jetzt einfach Prinz Ernst August, ist mit ihm im Exil, desgleichen die eine der beiden Prinzessinnen. Die Königin aber blieb mit der andern Tochter wirklich im Lande, und zwar zunächst im Schlosse Herrenhausen, auf dessen Dach noch bis in den Spätherbst vorigen Jahres die Welfenfahne flatterte und wohin von Seiten der Anhänger des Hofes aus der Stadt vielfach in demonstrativer Weise gewallfahrtet wurde, während Hofdiener höherer und niederer Classe sich andererseits bemühten, durch Verbreitung von allerlei wunderbaren Gerüchten in der Stadt die Getreuen in ihrer Treue zu erhalten und die Mißvergnügten zu größerer Abneigung gegen die neue Ordnung der Dinge zu reizen. Fast jede Woche bewegten sich Processionen mit gelb und weißen Fahnen, Deputationen mit Adressen und dergl. nach Herrenhausen. Im Spätherbst endlich hörten diese Agitationen auf, indem die Königin entweder selbst einsah oder darauf aufmerksam gemacht wurde, daß es gerathen sei, sich ein anderes, der Hauptstadt ferner gelegenes Domicil zu wählen. Es würde gut gewesen sein, wenn diese Wahl auf einen Ort außerhalb der Provinz Hannover gefallen [422] wäre, und es wird versichert, daß es nicht an dem Wunsche der hohen Dame gelegen hat, wenn dies nicht der Fall war. Ihr Gemahl wollte positiv, daß sie zur Bestärkung der Hoffnung, der gegenwärtige Zustand sei nicht von Bestand, im Lande verbleibe. Königin Marie begab sich mit ihrem Hofstaat, gegen achtzig Personen, unter denen sich zwei Prinzen Solms und der frühere hannoversche Gesandte in Berlin, Geheimrath von Stockhausen, befanden, nach der Marienburg, deren Geschichte ich jetzt kurz mittheile, indem ich sie an eine Charakterskizze ihrer erlauchten Burgfrau anschließe.

Die Königin Marie Alexandrine, eine Tochter des Herzogs Joseph von Altenburg, ist seit einigen zwanzig Jahren mit dem König Georg vermählt, dem sie, jetzt neunundvierzig Jahre alt, an Alter um ein Jahr voraus ist. Etwas über mittelgroß, ziemlich voll, von blasser Farbe, zeigt sie zwar fürstlichen Anstand, kann aber jetzt nicht mehr als schön gelten. Sich in politische Dinge zu mischen, hat sie niemals irgendwelche Neigung empfunden, eher wohl in kirchliche; denn sie gilt für eine ungemein fromme und stark in den Vorstellungen moderner Rechtgläubigkeit befangene Dame. Sonst gehört zu ihrer Charakteristik, daß sie den Werth des Geldes nicht zu kennen scheint und daß sie infolge dessen einerseits gegen Andere, aber andererseits auch gegen die eigenen Wünsche eine fast grenzenlose Freigebigkeit an den Tag legte. Vor ihrer Vermählung an die bekannte Einfachheit des Altenburger Hofes gewöhnt, hat sie später als Königin keine Gelegenheit versäumt, einen außerordentlichen Luxus zu entfalten. So suchte sie vor Allem auch sich eine passende, ihrer Würde entsprechende Sommerresidenz herzustellen. Der Wunsch der Königin war Befehl, und man ging rasch ans Werk, entdeckte an den Ufern der Leine einen Bergabhang, der passend schien für den beabsichtigten Bau und wo der letztere vom Eisenbahn-Knotenpunkte Nordstemmen nur eine Viertelstunde Weges entfernt war, und fand in dem talentvollen Baurath Hase auch einen Künstler, der sich der Aufgabe, eine Burg in echt mittelalterlichem Stile herzustellen, gewachsen zeigte.

Gewisse Uebelstände, z. B. der Mangel an sonstigem Grundeigenthum in der unmittelbaren Umgebung und die Nähe von mehreren Kalkbrennereien mit ihrem Qualm, von denen eine hart am Fuße des Schloßberges liegt, wurden übersehen und das Unternehmen begonnen. Hase trat, als es etwa halb vollendet war, zurück, wohl weil er nicht zu dem Major Witte paßte, der ihm als Schloßhauptmann mit guten Diäten beigeordnet war. Der Bau verschlang große Summen und rückte nur langsam vorwärts. Ein Gerücht ging, die Bauverwaltung verwende einen sehr beträchtlichen Theil der von ihr berechneten Gelder in den eignen Nutzen. Das Gerücht trat zuletzt so bestimmt auf, daß eine Untersuchung verhängt werden mußte. Dieselbe richtete sich gegen den Schloßhauptmann und dessen Verwalter Behrends, und letzterer, vor die bürgerlichen Gerichte gestellt, wurde schuldig befunden, Arbeiter, die für den Burgbau in Dienst genommen worden, statt für diesen zu Arbeiten auf dem Witte’schen Gute Hoyersum verwendet zu haben, und wegen solcher Veruntreuung mit Arbeits- oder Zuchthaus bestraft. Witte selbst wurde vor ein Militärgericht verwiesen und saß eine Zeit lang im Officiersgewahrsam, ehe jenes aber einen Spruch fällen konnte, brach die Junikatastrophe des vorigen Jahres herein. Mit ihr hörte die Eigenschaft Witte’s als hannoverscher Militär auf, und derselbe sieht gegenwärtig seiner Aburtheilung durch das gewöhnliche Schwurgericht entgegen. Die Sache zählt zu den stärksten der vielen Scandalgeschichten, mit denen unter dem Exkönig die neueste Geschichte Hannovers bereichert worden ist.

Nach Witte wurde der Baurath Oppler mit der Vollendung der Marienburg betraut, derselbe Architekt, der die Synagogen in Hannover und Breslau baut und der es verstanden, sich namentlich durch den vielvermögenden Prinzen Solms bei Hofe angenehm zu machen. Derselbe hatte an dem bisher Geleisteten allerlei auszusetzen. Die Thürme mußten geändert werden, die innere Ausschmückung, die Möbeln sollten dem äußern Charakter des Schlosses nicht entsprechen, und die Königin ließ sich überzeugen, obwohl die gründliche Umgestaltung des ganzen Innern, die Neubeschaffung der Tapeten, die eichenen Tische, Stühle und Schränke, die zum Verdruß der hannoverschen Zunftmeister von Berlin verschrieben wurden, wieder sehr erhebliche, ja kaum glaubliche Summen in Anspruch nahmen und die Vollendung des Ganzen von Neuem um Monate verzögerten, zumal ein Sturm noch ein Uebriges that, indem er dem einen Eckthurm des Gebäudecomplexes das Dach abriß.

Seitdem die Königin die Marienburg bezogen, galt letztere als der Heerd der antipreußischen Agitationen, die vor, während und nach den Parlamentswahlen unsre Polizei in Athem hielten. Mit wie vielem Recht sie dafür angesehen wurde, bin ich zu sagen außer Stande. Jedenfalls war sie ein Sammelpunkt und Wallfahrtsort der über die Einverleibung Trauernden. Alle Wochen berichteten die Zeitungen, daß solche Getreue, adelig und bürgerlich, dort ihre Aufwartung gemacht, um durch Ueberreichung von Teppichen, Albums, Adressen und dergleichen zu demonstriren. Daß der hier sitzende Hofadel den Bestrebungen für die Welfen, die besonders im Calenberg’schen statt fanden, der Verbreitung von Proclamationen aus Hietzing, der Berichterstattung dahin und andern Ränken durchaus fremd gewesen, will auch nicht einleuchten, und daß der eine der Prinzen Solms, der hier Hof halten half, blos um die Landluft zu genießen und den religiösen Tendenzen der Königin zu dienen, hier geblieben sein sollte, ist womöglich noch unwahrscheinlicher. Der junge Herr, einer der zahlreichen Solmse, die „ihre Beine unter Vetter Georg’s Tisch steckten“ und die der Volkswitz früher als „acht um den König“ bezeichnete, galt in der Blüthenzeit des Welfenthums als intimster Berather des König und Manchem neben Wermuth als dessen böser Genius.

Wie dem aber auch sei, die Preußen fanden Veranlassung, die Marienburg allmählich genauer ins Auge zu fassen und den bis dahin ungehinderten Verkehr der Insassen des Schlosses mit Wien und der Provinz Hannover in gewissem Maße zu beschränken. Die Verhaftung des Majors von Klenck, der zwischen hier und Hietzing Postenträgerdienste leistete, „vor den Fenstern der Marienburg“ ist bekannt, die Wegbringung des Geheimraths von Stockhausen aus derselben nach Minden ebenfalls. Der Prinz Solms wurde, weil er sich noch als hannoverscher Officier gerirte, ausgewiesen. Verdächtige Besuche, wie der des Herrn von Hake auf Ohr, eines der eifrigsten Agitatoren für welfische Zwecke unter den calenberger Bauern und Kleinstädtern, fanden keine Zulassung mehr.

Zuletzt überbrachte der preußische Major von Loucadou der Königin ein Schreiben des Königs Wilhelm, in welchem derselben – selbstverständlich in den zartesten Ausdrücken, – die Wahl gelassen wurde, entweder die Marienburg und das Land zu räumen oder sich gefallen zu lassen, als Gast des Königs von Preußen betrachtet zu werden, das heißt, einen preußischen Hofstaat anzunehmen. Die Königin sandte darauf ihren Kammerherrn, den Grafen Linsingen, an ihren Gemahl, wie es heißt, um dringend zu bitten, daß man sie durch die Erlaubniß abzureisen aus ihrer peinlichen Lage befreie. Mit welcher Antwort derselbe zurückgekehrt, ist bis jetzt nicht zu sehen. Ist es, wie versichert wird, eine abschlägliche, so wird sie vielleicht die Anwesenheit des Vaters der Königin, der am 12. Juni mit der Prinzeß Therese auf der Marienburg eintraf, ausgleichen und die Sache zu einer Lösung im Sinne verständiger Würdigung der Verhältnisse führen, nach welcher eine entthronte Königin unmöglich in dem Lande, das ihr einst gehuldigt, verbleiben kann, zumal wenn ihr Gemahl sich noch als dessen Souverän und als mit dem neuen König desselben im Kriege befindlich betrachtet.

Dies in Kurzem die Geschichte der Marienburg, und nun einen Ausflug, den ich in der zweiten Woche des Juni nach derselben machte und trotz der siebenunddreißig Gensd’armen und vierhundert Soldaten, mit denen die erste Nummer der mit welfischem Gelde in Paris gegründeten „Situation“ die Burg von den bösen Preußen umstellt sein läßt, ohne Nebelkappe, blos mit einem Retourbillet nach Nordstemmen für sechszehn Silbergroschen bewaffnet, glücklich ausführte.

Die Marienburg liegt etwa dritthalb Meilen südlich von Hannover, eine Strecke, die man mit der Eisenbahn nach Hildesheim und Cassel in einer reichlichen halben Stunde zurücklegt. Mit dem Nachmittagszuge fuhr ich mit einem Freunde aus Hannover ab. Rasch wechselten im Fenster des Waggons rechts und links die Bilder der Landschaft, der schöne Baumschlag der Eilenriede, die grünen Saatfelder und die rothen Dörfer des Leinethals und der Ebene, die weiter nördlich in die Haide übergeht, das Städtchen Sarstedt, endlich die bewaldeten Hildesheimer Berge im Rahmen des linken und die hohe, dunkelblaue Mauer des Deister [423] in dem des rechten Wagenfensters, und unter letzterer im Vordergrunde, auf einem Hügelhang aus Buchenwipfeln emporsteigend, der Streitthurm und die Giebel und Zinnen einer Burg, grau im grünen Walde.

„Die Marienburg!“ sagte mein Begleiter, mich anstoßend.

Ein Pfiff der Locomotive, und „Nordstemmen!“ rief der Schaffner, indem er die Wagenthür öffnete.

Ein Bahnhofsgebäude in romanischem Stil nahm uns auf (in Hannover fand ich überhaupt Vieles gothisch oder romanisch gebaut), und ein paar Minuten später waren wir raschen Ganges auf dem Fahrwege, der sich durch Getreidefelder und ein hübsches Wäldchen nach der Burg hinschlängelt. Die beiden grünen Gensd’armen, welche die Reisenden auf dem Bahnhofe empfingen, hatten uns unbefragt und unbehindert passiren lassen. Jetzt sahen wir, uns umblickend, daß der eine uns eiligen Schrittes nachkam.

„Wollen die Herren nach der Burg?“

„Wenn wir dürfen, ja.“

„Haben Sie dort was zu thun?“

„Nichts, als uns das Schloß zu besehen, die Aussicht zu betrachten und im Wirthshaus darüber ein Glas Bier zu trinken.“

„Im Wirthshaus da oben giebt’s jetzt nichts mehr, und in die Burg selbst dürfen Sie nur, wenn Sie Legitimation haben.“

Wir hatten nur Visitenkarten und auf unsere Namen lautende Billets in die Kunstausstellung und den zoologischen Garten in Hannover.

„Das gilt nicht als Legitimation, und so werden Sie nur bis unten an den Berg dürfen. Uebrigens werden Sie noch zweimal angehalten werden.“

Damit verließ uns der Wächter des Gesetzes, um nach dem Bahnhof zurückzukehren. Wir aber setzten unsern Weg fort, ich ein wenig mit dem Gefühl, mit dem ich mich 1864 auf der Chaussee zwischen Eckernförde und Schleswig über die preußische Vorpostenkette hinausgewagt hatte. Wie damals war es unsicheres Terrain, auf dem wir uns bewegten. Wie damals hatte ich ein vortreffliches Gewissen, aber wie damals konnte doch ein unbequemes Abenteuer passiren. Indeß wollten wir nicht vergebens gekommen sein, und ein paar Stunden Verlegenheit unter Verdacht, der sich bald als unbegründet herausstellen mußte, hatten eben nicht viel zu bedeuten.

Wir durchschritten das noch vor uns liegende Wäldchen. Immer deutlicher und stattlicher trat die Burg mit ihren Einzelnheiten hervor, ein grauer Sandsteinbau aus rothen Substructionsmauern, Thürme und Thürmchen mit schwarzen Dächern, Erker und Ausbauten mit Spitzbogenfenstern. Links an der Chaussee, kurz vor der Brücke, die hier über die Leine nach dem Fuße des Burgbergs (er hieß früher der Schulenburger Berg) führt, einzelne Pfähle, dem Anschein nach einer zerstörten oder beabsichtigten Telegraphenleitung angehörig. Drüben überm Wasser rechts die böse Kalkhütte mit dunkler Rauchsäule, die man vergebens wegzukaufen versucht hatte.

Ueber die Brücke geschritten, hatten wir die Wahl, ob wir auf dem breiten Fahrwege rechts oder auf dem Fußwege, der sich links durch den Park, in den man den Wald um das Schloß verwandelt hat, zu letzterem hinaufschlängelt, weiter gehen sollten. Ein guter Genius in Gestalt eines alten Herrn mit einem Ordensbändchen, den wir um Rath fragten, rieth zu dem Fußpfade. Wir würden, meinte er, wohl noch einem Gensd’arm begegnen, aber die Burg zu besehen aus nächster Nähe, werde man uns nicht wehren.

Und so geschah es denn auch. Durch reizendes Waldesdunkel mit schimmernden grünen Lichtern wandelten wir weiter. Alles war still, nirgends einer der Cherubs in der Pickelhaube, die wir erwartet. Drei Handwerksburschen kamen seitwärts von uns auf einem andern Parkwege herauf. Endlich blickten die Wände und Fenster des Schlosses in geringer Entfernung zu unserer Linken durch die Stämme und Wipfel des Waldes, und bald nachher waren wir vor der Brücke, die über den Burggraben zu dem hintern Haupteingange des Baues führt. Ein rother Hofdiener mit breiten Goldlitzen über der Brust, Kniehosen und Gamaschen, ein Ausreiter in Uniform, ein paar Civilröcke, anscheinend gleichfalls zum Hofhalt gehörig, standen am Thore und verhandelten mit den Handwerksburschen, die Fechtens halber hier erschienen waren. Aus den kleinen Fenstern der Wohnungen über der Brücke lauschten die Köpfe von jungen Zofen herab, wie mir vorkam, neugierig, zu wissen, wer die Herren seien, die unaufgehalten in das verbotene Paradies und bis an ihr verzaubertes Schloß vorgedrungen. Möglich auch, daß sie prosaischer dachten und uns für Polizei in Incognito hielten.

Wir umschritten das Schloß auf der linken, der hinteren und der rechten Seite, weideten uns ein Weilchen an der schönen Aussicht, die man auf dem Zimmerplatz zur Rechten hinab auf das Leinethal mit seiner glänzenden Flußschlange und seinen rothen Dörfern, auf den Höhenzug des Deister, die schroffe Senkung bei Alfeld und die Hildesheimer Berge hat, und wieder störte uns keiner der gefürchteten Gensd’armen in unsern Betrachtungen. Zuletzt fragten wir an der Brücke, ob es erlaubt sei, in den Hof zu treten. Es war erlaubt, und wir machten Gebrauch davon. Die famosen Siebenunddreißig des neuen Pariser Welfenjournals sind also nicht die grausamen Cerberusse, die man sich unter ihnen vorstellt, und von einer hermetischen Absperrung der Königin und ihres Hofstaates von der Außenwelt ohne polizeiliche Legitimation ist nicht die Rede. Wir hätten jeder ein Dutzend hochverrätherischer Briefe in das Schloß bringen können. Wie Vieles von fern gesehen sich gefährlicher ausnimmt, als es ist, so auch hier.

Die Marienburg ist ein stattliches Gebäude aus grauen und gelblichen Sandsteinquadern auf einem Boden, auf welchem hin und wieder, besonders am linken Flügel, rother Sandstein zu Tage tritt. Das Ganze ist zweistöckig und vielfach gegliedert und umschließt einen Hof, der eine Tiefe von etwa dreißig und eine Breite von ungefähr achtzig Schritt hat. Die Front hat in der Mitte einen Ausbau mit Spitzbogenfenstern und rechts und links einen Eckthurm, von denen der erstere, für die Bibliothek bestimmt, zur Zeit noch der Bedachung entbehrt. Aus der linken Seitenfront tritt eine Capelle heraus, an die rechte schließt sich ein noch im Bau begriffenes Orangeriehaus – wie das Ganze in gothischem Stil gehalten – an. Tritt man über die Brücke und durch das mit den Wappen der Welfen und des Hauses Sachsen in Steinhauerarbeit geschmückte Hauptthor in den Hof, so steht man einem mächtigen, viereckigen, mit schmalen Spitzbogenfenstern versehenen Streitthurm gegenüber, aus dessen Mitte oben ein runder, in eine Zinnenkrone endender Thurm emporstrebt, während sich aus den vier Ecken kleinere Thürmchen erheben. Der große Thurm enthält eine Empfangshalle und die Treppen nach den obern Stockwerken. Die erste Etage der Vorderfront wird von der Königin bewohnt, die zweite war für den König bestimmt, eine Reihe von Zimmern auf dem linken Flügel für die Prinzessinnen, andere auf dem rechten, wenn ich recht verstand, für den Prinzen. Die Gebäude, welche hinten nach dem Walde hinaus den Hof abschließen, enthalten unten Ställe und Wirthschaftsräume, oben Gemächer für die Dienerschaft. Das Dach, welches vorn mit Thürmchen überbaute Mansardenfenster hat, ist mit schwarzen Ziegeln, die Thürme, so weit sie ein Dach haben, sind mit Schiefer gedeckt. Die Fenster des Hauptgebäudes sind mit Ausnahme derer an den Erkern, welche sich zu Spitzbogen erheben, Quadrate. Der Abhang vor der Hauptfronte wird von hübschen Kieswegen durchschlängelt, die von allerlei Wald- und Gartensträuchern eingefaßt werden. Die drei andern Seiten der Umgebung des Schlosses beschatten die Wipfel des Waldes, der den Berg ursprünglich bedeckte.

Rufe ich mir das Bild des Ganzen in’s Gedächtniß zurück, so macht es außen den Eindruck der Solidität und der Wohnlichkeit zugleich. Im Hofe aber und zumal vor dem dicken Streitthurm, der durch seine Massigkeit alles Uebrige drückt, fühlt man sich unbehaglich und wie vor einem Gefängniß.

Wir hatten genug gesehen und gingen nun den Fahrweg zurück, der von der Brücke zuerst schnurgerade durch den Wald nach dem Felde hinausführt und sich dann um die Flanke des Berges zur Leine hinabwindet. Am Saume des Waldes saß rechts über der Straße im Gebüsch eine junge Dame, die ihren Geist aus einem Buche speiste. Als sie unser ansichtig wurde, wandte sie sich seitwärts und dann wieder uns zu, wobei sie – mir schien’s bedeutsam – lächelte. Auch ich sah zur Seite, und siehe, da stand er, etwa zwanzig Schritt von der studirenden Dame, der Cherub in der Pickelhaube, der uns hätte zurückweisen sollen, als wir hinaufstiegen. Er war sogar mit einem Gewehr bewaffnet und hatte sehr drohend Posto gefaßt auf einer Erhöhung am Waldessaume, wo er den Fuhrweg überblicken konnte; aber das Gefährliche seiner Erscheinung war gemildert durch drei Frauenzimmer, die ihm die Langeweile des einsamen Wachestehens zu versüßen schienen, und so behielten wir guten Muth.

[424] Der Gensd’arm ließ uns unbehelligt passiren. Ein dritter College war nicht zu sehen. Auch Nummer Eins nicht, dem wir auf Befragen ruhig berichtet haben würden, daß seine Meinung von der Unzugänglichkeit der Marienburg für Nichtlegitimirte ein Irrthum gewesen. In bester Laune über unsern Erfolg schlenderten wir über die Kalkbrennerei und die Leinebrücke neben derselben nach Nordstemmen zurück, und wohlbehalten waren wir Abends halb elf Uhr wieder in Hannover. Ein kleines Abenteuer hätte die Tour und ihre Beschreibung unzweifelhaft gewürzt. Aber es wollte sich durchaus keins begeben. Manche Leute erleben eben keine Abenteuer, selbst wenn sie solche suchen, und so muß der freundliche Leser ohne dieses Gewürz vorlieb nehmen.




Gefängnißleben zur Schreckenszeit.
Von Johannes Scherr.


Es ist unnütz, sie zu preisen, es ist kindisch, sie zu schmähen, die große Revolution. Sie war, wie sie sein mußte; ihre Wirkungen entsprachen ganz genau ihren Ursachen, wie Blitz und Donner den ihrigen entsprechen. Man kann sie auch nicht mehr eine „Sphinx“ heißen, denn die historische Analyse hat ihre Motive bis zum größten und bis zum kleinsten bloßgelegt und klar gemacht. Wir wissen, was sie wollte, was sie erreichte, wie sie irrte, wo sie fehlte. Wir kennen ihre titanische Tendenz, bewundern ihre gigantische Kraft, segnen ihre unvergänglichen Schöpfungen und verdammen ihre Verbrechen. Und dennoch ist etwas Geheimnißvolles in diesem erhabensten Trauerspiel der Weltgeschichte, etwas, das mit der unwiderstehlichen Macht eines grandiosen Naturphänomens wirkt, dessen Gesetz noch nicht gefunden ist. Sollte es vielleicht der Riesenodem der Leidenschaft, welcher dieses Drama schwellte, sollte er es sein, der demselben diesen magischen Reiz, dieses unvergleichliche Interesse verleiht?

Oder werden wir, je mehr wir die Revolution in ihren Ursachen, Wirkungen und Folgen, in ihren Triumphen und Verirrungen begriffen zu haben glauben, nur um so mehr von dem Gefühle der Unbegreiflichkeit dieser Erscheinung angefaßt? Mir selber, der ich mich viel damit beschäftigte und auch Einiges zur Berichtigung des Urtheils über die Menschen und die Ereignisse der großen Katastrophe beigetragen zu haben glaube, mir selber ist, so oft ich mich in die Betrachtung der Revolution versenke, als stände ich wieder vor der bekannten Medusa Rondanini in München, deren tödtliche Schönheit jeden Empfänglichen mit Entzücken zugleich und mit Grauen durchschauert. Oder auch empfinde ich, die Revolutionstragödie in ihrer Ganzheit fassend, den gewaltigen Schlageindruck, welchen unser Dichter von der „Macht des Gesanges“ ausgehen läßt:

„Wie wenn auf einmal in die Kreise
Der Freude mit Gigantenschritt
Geheimnißvoll nach Geisterweise
Ein ungeheures Schicksal tritt:
Da beugt sich jede Erdengröße
Dem Fremdling aus der andern Welt,
Des Jubels nichtiges Getöse
Verstummt und jede Larve fällt.“

Das ist’s! Alle Larven fielen und die Personen des weltgeschichtlichen Dramas sprachen und handelten, wie sie waren, in ihrer ganzen Größe und in ihrer ganzen Blöße. Alles, was menschlich und was bestialisch im Menschen, kam ohne Maske, ohne Schminke und ohne Feigenblatt zum Vorschein. Helden und Heldinnen, Narren und Närrinnen, Schelme und Schelminnen, Schurken und Schurkinnen, Fanatismus und Berechnung, Begeisterung und Selbstsucht, Weisheit und Thorheit, Tugend und Laster, sie spielten nach der Natur, ganz nach der Natur, und äschyleischen Heroen und sophokleischen Heroinnen zur Seite tölpelten shakespeare’sche Clowns und rissen rabelais’sche Panurge ihre Zoten.

Sie ist immer noch nicht geschrieben, die Geschichte dieser Revolution, wie sie geschrieben sein könnte, sollte, müßte. Aber freilich, wer so sie schreiben wollte, müßte mit dem Gewissen des Tacitus die Phantasie Dante’s und mit dem Genie Shakespeare’s die Kühnheit des Aristophanes vereinigen. Bis ein solches „Ungeheuer von Vorzügen“ dermaleinst kommt, mag es gerathen sein, diese und jene Seite des großen, nie zu erschöpfenden Gegenstandes unbefangen zu untersuchen und mit rücksichtsloser Wahrhaftigkeit darzustellen, falsch Beleuchtetes in ein besseres Licht zu rücken, gäng und gäbe Irrthümer als solche zu signalisiren und also auch in weiteren Kreisen einer richtigeren Anschauung und Würdigung einer Epoche Bahn zu brechen, welche die Menschen so viel lehren könnte und würde, falls sie nur sich belehren lassen wollten.

Da hat man z. B. aus den Einzelnheiten des Pariser Gefängnißlebens während der Herrschaft des „Schreckens“ (1792 bis 1794) einen Schauderroman zusammengekleistert, welcher ganz geeignet war, Unwissenden die Haare sträuben zu machen. Laßt uns nun zusehen, wie es sich damit in der Wirklichkeit verhält. Selbst wenn wir auf den Umstand, daß wir als auf unser Quellenmaterial fast durchweg auf die Erzählungen von Gefangenen angewiesen sind, welche sammt und sonders in höherem oder geringerem Maße Feinde der Revolution gewesen, nicht das Gewicht legen, welches wir von Rechtswegen darauf legen könnten, selbst dann wird sich als geschichtliche Wahrheit ergeben, daß die „Teufelin Revolution“ auch in dieser Richtung bedeutend viel schwärzer gemalt worden ist, als sie war. Es ist ihr das auch anderweitig sattsam widerfahren. Ist es doch Historikern vom gewöhnlichen Schlage nie eingefallen, über die Thatsache nachzudenken oder derselben auch nur zu erwähnen, daß manche der Schlachten Napoleon’s, z. B. die an der Moskwa, mehr Menschen hingerafft hat, als das ganze Schreckensregiment der Revolution. Aber freilich, Napoleon war ein gekrönter Kaiser und – das Uebrige mag sich der Leser denken oder auch nicht denken, wie es ihm beliebt.

Es ist wahr, während der Schrecken regierte, strotzten die Pariser Kerker von Gefangenen. Die Zahl von achttausend mag die regelmäßige gewesen sein. Es ist wahr, daß über allen diesen Tausenden beständig das Fallbeil schwebte. Es ist wahr, daß sich der Schrecken mit dem unauslöschlichen Schandmal befleckte, auch Frauen und Mädchen um ihrer politischen Meinungen willen eingekerkert und hingerichtet zu haben. Es ist endlich wahr, daß in diesem oder jenem der Gefängnisse die Insassen mit Strenge, in einzelnen Fällen auch mit Härte behandelt wurden. Aber eben so wahr ist, daß von einer raffinirten Kerkerpein im Ganzen und Großen gar keine Rede gewesen ist. Von einem System, die Gefangenen zu quälen, ist keine Spur vorhanden. Es war ja unserem „humanen“ Jahrhundert vorbehalten, die Marter der politischen Gefangenen in ein System zu bringen. Seid Zeugen dessen, ihr Casematten des Spielbergs, ihr Einzelzellen in deutschen Zuchthäusern, ihr Käfige des Mont Saint-Michel, ihr Bagnos von Ischia und Lambessa und du, o „trockene“ Guillotine von Cayenne! Die Titanen der Revolution – und Titanen bleiben sie, mag eine servile Historik noch so sehr sich befleißen, verkleinernd an ihnen herumzumäkeln – sie hatten gar keine Zeit, mit solchen kleinlichen Bosheiten und raffinirten Grausamkeiten sich zu befassen. Sie konnten dieselben getrost den nach ihnen kommenden Rettern der Gesellschaft überlassen.

Wie bereits angedeutet worden, mischten sich, wie in den meisten menschlichen Dingen, auch in dem Gefängnißleben der Schreckenszeit die Lichter und die Schatten. Wir werden jene hervorheben, ohne diese abschwächen zu wollen. Im Gegentheil, es soll den Schatten ihr volles Recht widerfahren.

Zuvörderst ist der Irrthum zu berichtigen, daß die Verwaltung und Beaufsichtigung der Gefängnisse beim Wohlfahrtsausschuß gewesen. Der hatte Wichtigeres zu thun. Die Stadtpolizei von Paris besorgte dieses Geschäft und unterstand dabei der Controle des Sicherheitsausschusses. Die Stadtpolizei hatte aber so ungeheuer viele Arbeit, daß sie ihre Gefängnißbeamten nur oberflächlich beaufsichtigen konnte, und demzufolge hing das in den einzelnen Gefängnissen herrschende Regiment von den Persönlichkeiten der Polizeicommissäre, der Schließer und Schließerinnen, der Wärter und Wärterinnen ab. Von dem einzigen Gefängniß Du Plessis wird uns authentisch gemeldet, daß das Aufsichts- und Wartungspersonal streng, herb und hart gewesen sei, und in diesem Hause war demzufolge der Aufenthalt am peinlichsten. An den Gefangenen, auch den weiblichen, wurde bei ihrem Eintritt [425] eine Manipulation vorgenommen, welche unter dem Namen der „Rapiotage“ verrufen war. Man untersuchte sie nämlich ohne Rücksicht auf Schicklichkeit und Schamhaftigkeit und nahm ihnen Alles weg, was sie bei sich trugen. Man gestattete ihnen keine Scheere und kein Messer, sondern nur ein hölzernes Besteck, so daß sie beim Essen genöthigt waren, das Fleisch mit den Fingern zu zerreißen. Jeder Verkehr mit der Außenwelt war streng untersagt und unmöglich gemacht. Aber Einzelhaft gab es auch hier nicht: diese Grausamkeit haben ja erst die „Frommen“ unserer eigenen Tage methodisch ausgebildet und in Anwendung gebracht.

Eine ganze Reihe von Gefängnißbeamten hat sich zur Schreckenszeit durch Milde, Schonung und freundliche Fürsorge für die Gefangenen berühmt gemacht. So der Ministerialsecretär Grandpré, der Polizeicommissär Biquet, der Schließer Huyet im Port-Libre, der Schließer Benoit im Luxembourg, die Schließerin Bouchaud in Saint-Pelagie, der Schließer Vaubertrand und seine Frau in den Madelonnettes, die Schließerin Lebau in La Force, der Schließer Fontenay, die Schließerin Richard und deren Magd Rosalie Lamorlière in der Conciergerie, welche beiden Frauen Alles thaten, was nur immer sie thun konnten, um der armen Marie Antoinette die schreckliche Bürde ihrer letzten Tage und Stunden zu erleichtern.

Das strengste Gefängnißregiment wurde, wie gesagt, in Du Plessis gehandhabt. Schon weniger herb und hart ging es her in der Conciergerie, in Sainte-Pelagie, in La Force und in den Madelonnettes. Was vollends die Gefängnisse im Luxembourg, im Port-Libre, bei den Carmelitern, bei den englischen Benedictinern und Saint-Lazare betrifft, so waren das „Stutzer-Gefängnisse“ (prisons muscadines), „allwo“ – meldet Einer, der es mit angesehen – „die Gefangenen keine anderen Fesseln kannten, als die der Liebe, und wo ihnen die Tage inmitten der Gärten und Gebüsche im süßen Getändel mit ihren schönen Mitgefanginnen verflossen.“ Mit Stegreifdichtung, mit Ariengeträller, mit Gesellschaftsspielen, mit Klatsch und mit Musik vertrieb sich hier der französische Leichtsinn die Zeit und wußte es sogar zu einer neuen Art Zeitvertreib zu machen, wenn die eiserne Anklägerhand Fouquier-Tinville’s von Zeit zu Zeit in das Getändel, Getriller und Gelächter hineingriff, um aus dem in Fülle vorhandenen Vorrath einen seiner täglichen „Schübe“ (fournées) für das „rothe Ding“ auf dem Revolutionsplatz zu vervollständigen.

In den zuletzt genannten Gefängnissen verwandelten sich die Kerker förmlich in Salons, wo graziöse Frauen die Honneurs machten, wie sie früher in ihren Empfangzimmern im Faubourg Saint-Germain oder in der Rue Saint-Honoré gethan hatten. In den Madelonnettes ließ sich das Ancien Régime in der ganzen wohlgebürsteten Grandezza seiner Höflichkeit sehen. Hier schwirrte die Luft von Monseigneurs und Mesdames. Der weiland Polizeiminister machte in wohlgepuderter Perücke und Glanzschuhen, den Hut unter dem Arm, den weiland Ministern Latour du Pin und Saint-Priest seine Morgenvisite, welche ceremoniösest zurückgegeben wurde. Falls, wie zuweilen geschah, in die vornehme Gesellschaft dieses aristokratischen Gefängnisses ein armer Teufel von Spießbürger hineingewürfelt ward, nahm ihn der altfranzösische Witz zur Zielscheibe. Ein unglücklicher Krämer Namens Cortey saß mit den Herren Laval-Montmorency, de Pons und Sombreuil in der gleichen Zelle. Eines Tages machte er durch das Corridorfenster der vorübergehenden weiland Prinzessin von Monaco verliebte Zeichen und warf ihr Kußhände zu, worauf der Marquis de Pons ernsthaft zu ihm sagte: „Ihr müßt schlecht erzogen sein, weil Ihr Euch mit einer solchen Person gemein macht. Es ist ganz in der Ordnung, wenn man Euch mit uns guillotinirt, da Ihr uns als Euresgleichen behandelt.“ Die weiland großen Herren in den Madelonnettes erhoben übrigens ein großes Geschrei, als sie in Folge der Anordnung eines griesgrämigen Visitators vorübergehend genöthigt waren, von ihren Freundinnen sich zu trennen. „Il fallut donc nous séparer de vous, maîtresses adorées!“ (man mußte sich also von Euch trennen, angebetete Freundinnen) jammerte Einer. „On ne connut plus, dans notre prison, les douces étreintes de l’amour!“ (man kannte in unserm Gefängniß die süßen Banden der Liebe nicht mehr.)

Der heiterste und zugleich anständigste Ton herrschte im Port-Libre. Auch war hier die republikanische Gesinnung und Stimmung obenauf. Die Bürger Vigée und Matras dichteten und componirten Freiheitshymnen im Stile der Zeit, die Bürgerinnen Betisy und Lachabeaussière sangen dieselben und der Baron von Wittersback begleitete sie mit seiner meisterhaft gespielten Violine. An den Tagen, wo die Republik auf den Plätzen von Paris ihre antiken Feste feierte, ging es auch im Port-Libre festlich zu. Aus im Gefängnißhof aufgelesenen Ziegeln wurde der „guten Göttin Natur“ ein Altar errichtet und die Bürgerinnen sangen die eigens zu diesem Zwecke verfertigte Festcantate. Dann gaben sie den Bürgern die Hände und es wurde in großer Runde die Carmagnole getanzt, unter Anstimmung der Marseillaise. Am leichtfertigsten, geradezu lüderlich führten sich die Gefangenen beiderlei Geschlechts im Luxembourg auf. Es verging da kaum ein Tag ohne Histörchen und Abenteuer, welche ganz gut im „Decamerone“ oder im „Faublas“ stehen könnten. Auch in der ernsteren Conciergerie fehlte es nicht an solchen Geschichten. Ließ sich doch daselbst Madame de ***, welche „an Schönheit und Reinheit einer Madonna Rafaels glich“, in der Furcht vor dem Tode zu einem unglaublich scandalösen, aber ebenso wohlbezeugten wie erfolglosen Abenteuer herbei, von welcher Thatsache Notiz genommen werden muß, weil sie einen der wenigen, sehr wenigen Ausnahmefälle bildete, wo die Standhaftigkeit und der Heldenmuth, welche die weiblichen Opfer der Revolution so sehr schmückten, niedrigeren, ob zwar natürlichen Gefühlen gewichen ist. Erwähnenswerth ist wohl auch eine andere Thatsache, nämlich diese, daß im Mai von 1794 eine Durchsuchung der Gefängnisse angeordnet wurde, wobei sich herausstellte, daß die Gefangenen mitsammen im Besitze von 864,000 Livres waren, den Werth ihrer Möbeln und Schmucksachen ungerechnet. Daraus ersieht man, daß von Noth in diesen Gefängnissen keine Rede war.

Zu den Haushaltgebräuchen in der Conciergerie gehörte es, neuangekommene Gefangene so zu sagen einzuweihen, indem man, und zwar in Numero 13, die furchtbaren Scenen der Procedur vor dem Revolutionstribunal und der Guillotinirung travestirend vor ihnen aufführte. Die Mitspieler und Mitspielerinnen dieser gräßlichen Possen trugen in Ringen oder Knöpfen verborgen die berühmten von Cabanis erfundenen Opiumpastillen bei sich, womit der Doctor Guillotin, der Vater der „Dame Guillotine“, aus Mitleid die Gefangenen versorgte, damit sie „nach Belieben über ihr Schicksal verfügen könnten“. Selbstmordscandidaten also carikirten und travestirten die Tragödie der Zeit, und während die Wände der bezeichneten Kerkerkammer von Gelächter widerhallten, schrieen unter dem Fenster derselben Ausrufer die Liste derjenigen aus, „welche heute in der Lotterie der heiligen Guillotine das große Loos gezogen haben“, das heißt hingerichtet worden sind.

An der Conciergerie haftet noch eine düsterste Erinnerung. Sie war ja recht eigentlich die „Vorhalle des Todes“. Denn hierher wurden neben den ordentlichen Insassen des Gefängnisses auch außerordentliche gebracht, nämlich alle vom Revolutionstribunal Verurtheilten, um ihrer letzten Stunde entgegenzuharren. Die Schreibstube (le greffe) im Untergeschoß war das Toilettezimmer der „Dame Guillotine“. Am Eingange dieses schrecklichen Gelasses, dessen Thür füglich die Aufschrift von Dante’s Höllenpforte hätte tragen sollen – („Laßt, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren!“) – erschien Morgen für Morgen der rothbemützte Huissier, die infernalische Liste derer abzulesen, welche zu den draußen vorgeführten Todeskarren gerufen wurden. Wie Jedermann weiß, hat diese Liste ihre schrecklichste Länge erreicht (38–50–54–60–67 Personen) während der Zeit, als sich Robespierre aus dem Wohlfahrtsausschuß zurückgezogen hatte und mit seinem geliebten Hunde Brount in den Champs-Elysées und im Thale von Montmorency spazieren ging, die Hamletfrage „Sein oder Nichtsein?“ grüblerisch erwägend. … Das fahle Morgengrauen des 7. Thermidor (25. Juli) von 1794 erblickte in der Vorhalle des Todes eine zahlreiche Gesellschaft, achtunddreißig Verurtheilte. Darunter den General Beauharnais, den Gatten der künftigen Kaiserin Josephine – sie selbst war bei den Carmelitern eingekerkert –, den Herzog von Clermont-Tonnerre, den berühmten Sachwalter Lachalotais, den Fürsten von Salm-Kyburg, den Baron Trenck, den rastlosen Maulwurf von Glatz und Magdeburg, der sich schließlich in diese Sackgasse hineingewühlt hatte, aus welcher kein Entkommen mehr war. Seht ihr dort den Mann, welcher mit vorgebeugtem Oberkörper das Blatt Papier beschreibt, das er auf seinen zusammengepreßten Knieen hält? Neigt euch! Es ist Einer, den der Kuß der Muse geweiht hat, [426] der royalistische Poet André Chenier. Das von ihm zu dieser Stunde halbbeschriebene Blatt hat die Nachwelt unter die kostbarsten Reliquien der Revolution eingereiht: –

„So wie ein letzter Hauch, ein letzter Strahl des Gottes
Den Tag verklärt an seinem Schluß,
Rühr’ ich die Leier noch am Fuße des Schaffotes;
Wer weiß, wann ich’s besteigen muß?

5
Wer weiß? Vielleicht bevor der Zeiger dort im Kreise

Auf dem geblümten Zifferblatt
Den sechszigfachen Schritt der vorgeschriebnen Reise
Helltön’gen Gangs vollendet hat,
Liegt schon der Schlaf der Gruft auf diesen bleichen Zügen;

10
Vielleicht bevor es mir gelang,

Im angefangnen Vers den Reim zum Reim zu fügen,
Wird zu entsetzensheiserm Klang
Der Todverkündiger, der zum Gerüst der Schrecken
Uns schleppt mit seiner Söldnerbrut,

15
Das Echo dieses Saals mit meinem Namen wecken. – –“

Und so geschah es buchstäblich. Der arme Chenier konnte den zuletzt angehobenen Quatrain seines dichterischen Testaments nicht zu Ende bringen. Man hörte von draußen das Rollen der vorfahrenden Todeskarren auf dem Pflaster, Gewehre klirrten vor der Pforte, sie ging auf, der „Todverkündiger“ erschien mit seiner Liste und der verhängnißvolle Appell begann. Der Dichter, welcher bekanntlich einen wahrhaft juvenalischen Zorn und Haß an den Jacobinern ausgelassen und ihnen zugerufen hatte:

„Ich spei’ auf eure Namen, ich sing’ euch an den Galgen“

– ist nicht weniger muthvoll gestorben als seine Todesgefährten. Doch ward er auf dem Blutgerüst von einem flüchtig-stolzen Bedauern angewandelt über das, was mit ihm zu Grunde ging, und da hat er sich mit der Hand an die Stirn geschlagen und ausgerufen: „Ich hatte doch etwas da drinnen!“ (j’avais pourtant quelque chose là!)

Zweiundsiebzig Stunden später wurden Robespierre, Saint-Just und Couthon ebenfalls von der Conciergerie aus, wohin sie in der dritten Morgenstunde des 10. Thermidor gebracht worden waren, nach dem Revolutionsplatz gefahren. Vor der Wohnung des „Unbestechlichen“ – der war er! –, vor dem Hause des Schreiners Duplay in der Rue Saint-Honoré, zwangen die „Furien der Guillotine“ den Karren, zu halten, und tanzten um denselben her die Carmagnole, die Luft mit dem Gebrülle: „Tod dem Tyrannen!“ erfüllend. Wer das aber, wie billig, am lautesten mitschrie, war eines der infamsten Scheusale der Revolutionszeit, Carrier, der Erfinder und Veranstalter der „Noyaden“ und der „republikanischen Hochzeiten“ von Nantes. Heutzutage kann es Jeder wissen, wer überhaupt Etwas wissen will, daß zu Robespierre’s Sturze die ärgsten Schufte, Schurken und Schandbuben sich verbunden haben. Das Urtheil über diesen Sturz, über den Mann und seine Bedeutung war übrigens schon damals so wenig ein einstimmiges, als es heute ein solches ist. Auf seiner Todesfahrt wurde Robespierre von einer Frau angetreten, welche ihm zuschrie: „Fahr’ zur Hölle, Bösewicht, beladen mit den Flüchen aller Gattinnen und aller Mütter!“ Aber in einer Provinz von Süd-Frankreich ließ eine Pächterin beim Eintreffen der Nachricht, daß der „Tyrann“, dessen ganze Hinterlassenschaft an Geld und Gut in einem Assignat von fünfzig Francs bestand, am 28. Juli guillotinirt worden sei, vor Schrecken das Kind fallen, welches sie auf dem Arme trug, hob die Hände gen Himmel und rief in ihrem Patois aus: „O, jetzt ist es um das Glück des armen Volkes geschehen; sie haben Den getödtet, welcher es so sehr geliebt hat (aco n’es finit bol bounhur del paouré poble; han tuat aquel que l’aimaba tant)!“ –

Nun wollen wir versuchen, die im Vorstehenden gegebenen Umrisse mit individuellem Leben zu füllen, und zwar mit Hülfe der Aufzeichnungen eines Gefangenen der Schreckenszeit, welche Aufzeichnungen erst in allerneuester Zeit in Buchform erschienen sind. Wir meinen damit die „Memoiren“ des napoleonischen Großen und bourbonischen Ministers Beugnot. Der Mann war ein abgesagter Feind der Revolution überhaupt und der Terroristen insbesondere. Die Mittheilungen aus seinem Kerkerleben sind also sicherlich nicht in’s Rosige gemalt. Hinwider ist er aber auch zu ehrlich gewesen, um Schwarz in Schwarz zu malen, und nachdem wir seinen Bericht der erforderlichen kritischen Controle unterzogen haben, dürfen wir mit Zuversicht erklären, daß das, was wir daraus mittheilen werden, den Werth eines historischen Zeugnisses besitzt.

Beugnot, gewesenes Mitglied der gesetzgebenden Nationalversammlung, wurde am 18. Vendémiaire (9. October) von 1793 in Paris verhaftet, nachdem er den von Seiten Danton’s ihm wiederholt und deutlich zugekommenen Wink, sich davon zu machen, unbeachtet gelassen hatte.

„Verdächtig des Royalismus!“ sagte der verhaftende Polizeicommissär. „Nach der Conciergerie! Guillotinefutter!“

Man gestattete dem Verhafteten eine Auswahl von Büchern mitzunehmen; aber der Commissär und der demselben beigegebene Gensd’arme spielten dabei die Censoren. Tasso’s „Befreites Jerusalem“ fand keine Gnade in den Augen dieser Censur.

„Aber warum soll mir dieses Buch verwehrt sein?“ fragte der Verhaftete.

„Lassen Sie das Buch lieber da, Bürger,“ erwiderte wohlweise der Gensd’arme, „denn, glauben Sie mir, Alles, was aus Jerusalem kommt, hat dermalen keinen guten Geruch.“

Als der Fiaker, welcher den Gefangenen zur Conciergerie – „cette vaste antichambre de la mort“ – brachte, an der Freitreppe derselben hielt, war diese von einer Schaar jener Weiber dicht besetzt, welche bei allen Spectakeln der Revolution die Rolle des Megärenchors mit Beeiferung durchführten. Sie empfingen Beugnot mit Füßegestampf, Händeklatschen und Hohngelächter und überschütteten die „neue Beute“ mit Schimpfnamen und Geifer, so daß er froh war, als er das Gitter hinter sich hatte. Während in der Schreibstube der Name des Ankömmlings in das Register eingetragen wurde, konnte er bemerken, daß die größere Hälfte des Saals durch eine niedrige Schranke von der kleineren gesondert war. Jene stellte das weiter oben erwähnte „Toilettezimmer der Dame Guillotine“ vor und in diesem Augenblick befanden sich zwei Verurtheilte daselbst, welche ihre Schaffottoilette bereits gemacht hatten und der Ankunft Samson’s harrten. Ein Municipalbeamter richtete Trostworte an die beiden Unglücklichen und fragte sie, ob sie den Namen des Präsidenten vom Revolutionstribunal kennten, welcher den Todesspruch über sie gefällt hätte. „Nein,“ gab der Eine zur Antwort, „aber behalte denselben für Dich! Ich will den Namen eines solchen Bösewichts nicht mit in mein Grab nehmen.“ – „Wenigstens hoff’ ich,“ sagte der Andere sanft, „daß dieser Präsident kein Franzose sei!“ – gewiß in seiner Art und unter diesen Umständen ein rührender Ausdruck von Patriotismus.

Beugnot mußte noch mit ansehen, wie die Armen durch den Henker abgeholt wurden, allein zu seinem Glück; denn während des Lärmens, welcher dadurch in der Schreibstube entstand, verwechselte der sonst sehr genaue Greffier seinen Namen mit dem eines andern so eben Eingebrachten, der wegen Verfertigung falscher Assignate verhaftet worden war und dessen Name allerdings dem Namen Beugnot’s sehr ähnlich klang. Dieser Verwechselung hatte er es höchst wahrscheinlich zu danken, daß er, wie übrigens so viele Hunderte anderer Gefangener, im Gefängnisse „vergessen“, das heißt niemals vor das Revolutionstribunal gerufen und folglich gerettet wurde. Der grausame Witz von der „Lotterie der heiligen Guillotine“ war nicht blos ein Witz, sondern auch eine Wahrheit. Nur waren da die Gewinner eigentlich die Verlierer und umgekehrt.

Zunächst freilich hatte die Verwechselung mit einem Falschmünzer die unangenehme Folge für unsern Gefangenen, daß er in sehr schlechte Gesellschaft gethan wurde, in eine Zelle nämlich, in welcher bereits ein Muttermörder und ein Einbrecher saßen. Da er aber fieberkrank wurde, brachte man ihn nach der sogenannten „Infirmerie“, dem Krankensaal der Conciergerie, welchen Beugnot freilich als das „schauderhafteste Hospital auf Erden“ schildert. Die Localität erinnerte ihn so sehr an die Darstellung der Hölle auf der Opernbühne, daß er annehmen zu dürfen glaubte, der Theaterarchitekt müsse diese Infirmerie zum Modell gehabt haben. Die Einzelnheiten sind zu widerlich und riechen zu übel, um hier wiedergegeben werden zu können. Genug, es war ein Ort des Grauens, und es begreift sich unschwer, daß Gefangene, welche längere Zeit hier verweilen mußten, nach dem „Nasenstüber auf den Hals“ – „chiquenaude sur le cou“ – sich sehnten, wie ein damaliger Bewohner der Conciergerie, Lamourette, constitutioneller Bischof von Lyon, den Fallbeilschlag der Guillotine genannt hat. Ist doch sogar die Langeweile zu einem Motiv des [427] Schaffotheroismus jener Zeit geworden. „Dieses Gefängnißleben langweilt mich unerträglich“ – sagte Lauzun-Biron – „möchten sie mir doch einmal den Kopf abschlagen, damit der schlechte Spaß zu Ende wäre!“ Um den Bleidruck dieser Kerkerlangweile fern zu halten, ersannen und übten die Gefangenen die insipidesten Spiele. Herault de Sechelles z. B. spielte beharrlich „à la galoche“, bis er zum Todeskarren gerufen wurde.

(Schluß folgt.)




Die Reformatoren in der Gießhütte.


Als wenn die Erfahrung, daß unsterbliche Menschenwerke nur in der Stille und Abgeschiedenheit zu Stande gebracht werden, nicht blos für Dichter, Künstler und Gelehrte, sondern auch für die eisenzähmenden Männer der großen Industrie-Werkstätten Geltung hätte, so zurückgezogen vom Lärm der Welt, so abseits von den donnernden Straßen des modernen Verkehrs liegt der Kranz von Schornsteinen, aus deren Feuern die ehernen Heldenbilder des Wormser Lutherdenkmals hervorgingen: das alte berühmte Eisenhüttenwerk Lauchhammer. Welche Eisenbahn uns auch in dessen nächste Nähe führe, immer bleibt von der letzten Station aus noch ein stundenlanger Weg vor uns, den wir mit dem Wanderstab in der Hand oder im Wagen zu bewältigen haben, bis wir in den Winkel vordringen, welchen der preußische Regierungsbezirk Merseburg da bildet, wo er mit den Provinzen Brandenburg und Schlesien an der sächsischen Grenze zusammenstößt. Und welchen Wegen muthet man hier die Aufgabe zu, wöchentlich Hunderte von Centnern Last tragen zu müssen![WS 1] Man hat ein Straßenbild des vorigen Jahrhunderts vor sich, wenn man hier einem Lauchhammerer Frachtwagen begegnet. Lange, lange Reihen von Zugthieren, umschwärmt von peitschenknallenden und unaufhörlich zurufenden Fuhrleuten und Knechten, mühen sich ab, die oft bis an die Achse versinkenden Räder vorwärts zu bringen, und andere Arbeiterschaaren eilen mit Balken und allerlei Werkzeug voraus, um die schwachen Holzbrücken zu stützen, damit sie nicht unter der Last zusammenbrechen. Wahrlich, die wendische Bevölkerung jener Gegend hatte Recht, als sie dieses Hüttenwerk den „Hammer im Moor“[1] nannte.

Um so mehr überrascht uns das Landschaftsbild, das uns, je näher dem Ziele, mit seinen tannendunklen Hügeln, grünen Gründen und Weiherspiegeln immer idyllischer anmuthet, ohne uns übrigens von den Eisenwerken, deren Großartigkeit uns doch bekannt ist, das geringste Anzeichen zu verrathen. Erst wenn wir den letzten Hügel überschreiten, liegt Lauchhammer mit seinen zum Theil sehr stattlichen Hüttenwerks-, Wirthschafts- und Wohnungsgebäuden, die überragt sind von einem Dutzend dampfender Essen, reizend umgeben von Gärten und Wiesen, Teichen und Seen und umrahmt von sanften Waldhügeln, vor uns in seinem Thale. Wir sind durch eine Wegeswüste zu einer Oase gelangt; da wir aber den weit über Europa hinaus bekannten, von so Vielen genannten und doch von so Wenigen betretenen Ort heute vor Allem als die Geburtsstätte unseres größten Nationaldenkmals begrüßen, so thut die feierliche Einsamkeit uns wohl.

Aus dieser Stimmung werden wir allerdings herausgerissen durch das, je näher wir dem Ziele kommen, immer lauter erdröhnende Hämmern, Pochen, Klappern und Brausen, das uns in die einzelnen Werkstätten verlocken möchte; wir aber eilen mit Sehnsucht dem Raume zu, in welchem wir die Helden und Zeugen der Reformation in ihrer ehernen Wiedergeburt sehen sollen.

Die Thür öffnet sich, wir stehen in dem großen Ciselirsaal, den unsere Abbildung uns zeigt. – Armer Rietschel! – Daß Deine Augen um diesen Anblick gekommen sind! – Der Eindruck dieser Gestalten ist ein gewaltiger und doch ein eigenthümlich traulicher. Wie im Vorsaal zu einer Festversammlung stehen und sitzen sie da, die Reformatoren, fürstlichen Helden, Zeugen und Märtyrer des Evangeliums, zufrieden duldend, daß die rührigen Arbeiter ihren Schmuck vollenden, und noch Jedem nahbar, so daß man sie mit der Hand berühren kann, alle diese guten alten Bekannten von den Jahren unserer Kindheit an. Es ist uns ja so viel von jedem Einzelnen erzählt, und da sind sie nun alle, die durch Jahrhunderte Getrennten, so traulich beisammen! Wir können von Einem zum Andern laufen und bei Jedem, in seine Vergangenheit blickend, voll Ehrfurcht stehen bleiben und ihm, die Hand drücken – bis der Augenblick kommt, wo Luther auf sein hohes Postament hinaufsteigt, um noch einmal und in Ewigkeit allem Volke mit der Faust auf der Bibel zuzurufen: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir! Amen.“ – Dann setzen sich zu seinen Füßen am Postamente nieder seine vier Vorkämpfer aus vier Nationen, zum Zeichen, daß nicht Luther und seine Zeit allein, sondern seit Jahrhunderten die unterjochte Christenheit mit Rom um den reinen Glauben gerungen. Da ist Petrus Waldus, der Bürger von Lyon, welcher schon im zwölften Jahrhundert die Rückkehr zur heiligen Schrift und eine Kirche nach dem Evangelium gefordert und Beides seinen eben darum vertriebenen und verfolgten „Waldensern“ gegeben hatte. In diesem Saale sitzt er dort an der Säule des Krahns, den einst vielgebrauchten Wanderstab nun ruhend in seinem Arm. Ihm zur Rechten, im Hintergrund, hat Johannes von Wycliffe Platz genommen, der Mann aus York, welcher als Professor von Oxford seine Reformation auf das Evangelium in heimischer Sprache, als das Gemeingut Aller, gründete. Er starb zwar im Frieden 1384, aber die Universität hatte ihn ausgestoßen und das Concil zu Constanz verfluchte sein Andenken. – Vom Geiste dieses Concils ist der Mann ein Zeuge, welcher seine Stelle am Postament bereits eingenommen hat und wie sinnend und betend auf das Crucifix in seinen gefalteten Händen blickt: Johannes Huß, der Professor von Prag, dessen Asche am 6. Juli 1415 in den Rhein geworfen wurde. Er ist der Unglücklichste seiner Denkmalgenossen, denn er hat kein Vaterland mehr, das sein Andenken ehrte, seitdem die Jesuiten ihn aus dem Geist und Herzen seines böhmischen Volkes gerissen und an seine Statt eine Puppe gesetzt haben, den Johannes von Nepomuk, der nie existirt hat. – Um so freudiger kann in die lichtverheißende Zukunft seiner Nation der Mann blicken, der, des Huß Postamentnachbar, den mahnenden Finger hier uns entgegenstreckt, wie einst seinen Italienern: Savonarola. Die Priester verbrannten ihn in Florenz am 23. Mai desselben Jahres 1497, wo Melanchthon geboren ward und Luther als vierzehnjähriger Knabe gen Magdeburg zur lateinischen Schule wanderte, um „ein studirter Mann“ zu werden.

Diese Fünf werden einst den Kern des Denkmals bilden auf und an dem ehernen Postament, wie es auf der Drehscheibe in des Saales Mitte hier vor uns steht. Um diesen Kern wird zu Worms sich ein steinerner Mauerbau im Viereck erheben, dessen vordere Seite, wo Luther’s Antlitz niederschaut, für den Treppenaufgang frei und offen ist. An den vier Ecken werden, gleich Thürmen einer Burg, auf hohen Postamenten die Ecksteine der Reformation stehen: vorn zur Rechten Luther’s Friedrich der Weise von Sachsen und zur Linken Landgraf Philipp der Großmüthige von Hessen; hinter jenem Reuchlin, der hochgelehrte Humanist, und hinter diesem Reuchlin’s Schüler, der sinnig bescheidene Melanchthon. – Zwischen diesen Eckbildsäulen erheben sich, durch hohe Mauerzinnen mit jenen verbunden, noch drei Postamente für drei sitzende symbolische Frauengestalten, welche die Städte Speier, Augsburg und Magdeburg bedeuten: Speier, weil dort die Evangelischen sich den Ehrennamen Protestanten erworben, Augsburg, mit der Palme des Siegs und dem inhaltschweren Blatt der Augsburgischen Confession in den Händen, und Magdeburg, als Blutzeuge der neuen Kirche.

Auch diese Mauerzierden sehen wir im Saale zu Lauchhammer vor uns: zur Rechten die Modellstatue Melanchthon’s und vor derselben am Boden den ehernen Abguß, doch ohne Haupt, unter der Hand des Ciseleurs; zur Linken reihen sich an der Wand hin neben Luther Spalatin, Friedrich der Weise und Philipp von Hessen,[2] Luther zu Füßen sitzt die trauernde Magdeburg mit gebeugtem Haupt und zerbrochenem Schwert, und hinter Philipp ist die triumphirende Augsburg zu erkennen. Nur Speier harrt noch der Modellvollendung durch J. Schilling in Dresden.

[428]

Das Lutherdenkmal im Ciselirsaal zu Lauchhammer.

[429] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [430] Außer den genannten zwölf Statuen gehören zum Schmuck und zur Vervollständigung des Denkmals noch am Hauptpostament, das sich auf besonderer dreifacher Stufenschicht achtzehn Fuß, in einen Sockel und zwei Würfel getheilt, erheben wird, die Wappen von sechs Fürsten und zwei Städten, die am Sockel Platz finden, ferner am untern Würfel vier Erzreliefs, welche die wichtigsten Ereignisse und Errungenschaften der Reformation (Anschlag der Thesen zu Wittenberg, Reichstag zu Worms, Abendmahl und Priesterehe, Bibelübersetzung und Predigtamt) darstellen, und am obern Würfel vier Inschriften und darunter acht Portraitmedaillons von Mitkämpfern am gefeierten Werke. Auf den inneren Flächen der Mauerzinnen werden die Wappen von etwa dreißig Städten, welche zuerst der neuen Lehre ihre Kirchen und Schulen öffneten, in Erz prangen.

So wird das Denkmal einst zu Worms aufragen und durch sein wehrhaftes Bild auf den ersten Blick uns an das alte hehre Kampflied des Protestantismus mahnen, den Triumphgesang des unerschütterlichsten Gottvertrauens:

Unsere Leser wissen, daß dieses ohne Zweifel größte und würdigste Monument Deutschlands das letzte Werk des edlen Rietschel in Dresden war und daß der zu früh vom Leben Abberufene die Vollendung desselben seinen Schülern Kietz und Donndorf hinterließ; nur Luther und Wycliffe sind noch von seiner Hand modellirt. Die Beiträge aus der protestantischen Welt für das Monument sind reichlich geflossen; nach dem letzten Bericht des Wormser Comité betrug die Einnahme bis zum 18. Januar dieses Jahres 170,722 Fl., die Ausgabe bis ebendahin 196,964 Fl. Die Enthüllungsfeier des Denkmals ist für den Juni des nächsten Jahres bestimmt.

Ein Rückblick in unsern Saal läßt uns jetzt, wo das Wormser Denkmal in unserm Geiste fertig vor uns steht, hinter den Reformatorenstatuen auch andere Meisterwerke der Bildhauer- und Gießkunst sichtbar werden, namentlich das Modell des Ritter St. Georg (von Kiß), dessen Bronzeguß den Berliner]] Schloßhof schmückt, und einen Sarkophag mit der lebensgroßen Figur des Verstorbenen (des Commmercienrath Ravené); Beide contrastiren zwar ein wenig mit unserer Glaubens-Heroenschaar, lenken aber unsere Aufmerksamkeit der Anstalt selbst zu, deren Ruf und Bedeutung allein die großen Schwierigkeiten zu überwinden vermag, welche die Ungunst der Lage ihrem Betriebe bereitet.

Um nicht so viel Holz nutzlos verfaulen zu lassen und um dem armen Wendenvolke der Umgegend etwas zu thun zu geben, beschloß eine Herrin von Mückenberg vor fast anderthalbhundert Jahren hier die Anlage eines Eisenhammers. Am 25. August 1725 wurde der Hohofen in Betrieb gesetzt. In den Besitz der Gräflich Einsiedel’schen Familie kam das Eisenwerk 1776; unter ihr wurde der erste größere Kunstguß ausgeführt und 1803 die erste Dampfmaschine angelegt. Die Entwickelung ging von da an in Riesenschritten vor sich, denn während am Anfang unseres Jahrhunderts Lauchhammer erst etwa hundertundsechszig Arbeiter und Beamte hatte, zählen wir heute fünfundzwanzig Beamte, vierzig Meister und Vorsteher und tausend Arbeiter mit wohl zweitausendfünfhundert Familiengliedern, ungerechnet das sehr zahlreiche Fuhrwerkspersonal.

Der Raum unsers Artikels gestattet uns leider nicht, unsere Leser durch die ganze lange Reihe der Werkstätten dieses Etablissements zu führen, wo die verschiedenartigste Thätigkeit schon dem Vorbeigehenden mit allen möglichen Schallweisen sich bemerklich macht, wo es braust und zischt, klippert und klappert, wo man beschickt und schmilzt, formt und gießt, putzt und montirt, schleift und polirt, schmiedet und feilt, bohrt und dreht, schwärzt und bronzirt, niellirt und galvanisirt, versilbert und vergoldet, beizt und emaillirt, zeichnet und photographirt, modellirt und decorirt etc.; auch an den Niederlagen müssen wir vorübergehen, obwohl sie fast jederzeit ihre eigenen und oft recht sehenswerthe Industrie- und Kunstausstellung umschließen – war doch erst jüngst ein prachtvolles Eisen- und Glashaus für den Vicekönig von Aegypten hier zu bewundern –; wir glauben vielen unserer Leser einen nützlicheren Dienst zu leisten, wenn wir uns längere Zeit in den Räumen der Bronzegießerei und in den Ciselirwerkstätten aufhalten, die erst 1838 auf des großen Bildhauers Rauch Veranlassung in Lauchhammer begründet worden sind.

„An betäubenden Lärm muß das Ohr sich hier gewöhnen, wenn es anfangs auch den Augen schwer wird, sich durch denselben nicht beirren zu lassen. Ich werde die lautesten Hantirer im Nothfall zum Schweigen bringen.“ Mit diesem freundlichen Trost öffnete unser dem höheren Beamtenthum der Anstalt angehöriger Führer die Thür zur Gießerei. Ein riesiger Pferdekörper zog den ersten Blick auf sich; eine Anzahl Former war beschäftigt, die äußere Form für denselben zu bilden. Gleich daneben hatten andere den Oberkörper eines kolossalen Reiters in Arbeit, und quer her lag ein Pferdebein, das offenbar zu Roß und Reiter gehörte. Das sind Anfänge zu dem neunzehn Fuß hohen Denkmale, welches, nach Professor Wolff’s Modell, dem König Friedrich Wilhelm dem Dritten im Lustgarten zu Berlin gesetzt werden soll. Uns zur Linken wendend zeigte man uns eine tiefe Dammgrube, in welcher so eben der Kern – der Theil einer Form, durch welchen die innere Hohlung eines Gußstücks gebildet wird – einer sechs Fuß hohen Statue Friedrich Wilhelm’s des Vierten getrocknet wurde. Die äußere Form derselben lag in sechs größeren aus vielen kleinen Stücken zusammengesetzten Theilen daneben. Dieses Denkmal, von Prof. Blaeser modellirt, ist für die Burg Hohenzollern bestimmt. An zwei Seiten über der Dammgrube können in zwei großen sogenannten Flammöfen bis zu dreihundert Centner Bronze, die bekanntlich aus einer Legirung von Kupfer, Zinn und Zink besteht, auf einmal geschmolzen werden. Die Form einer Büste Graun’s, des Componisten, ferner einer Reiterstatuette eines englischen Generals, für einen Londoner Bildhauer, und viele kleine Gußsachen dienten nur als Staffage zu dem belebten Bilde dieser Werkstätte, über das ein gewaltiger Krahn höchst väterlich seinen nach allen Richtungen drehbaren langen Arm ausstreckt.

Unser Führer ließ nun eine schwere eiserne Thür zur Seite öffnen. Aus stockfinsterem Raum strahlte erstickende Hitze uns entgegen. Erst nachdem eine Gasflamme uns leuchtete, konnten wir in der Hölle, der sogenannten Dachkammer, eine Menge Formen zum Austrocknen über einander geschichtet erblicken, eine unentbehrliche Vorrichtung, da in ungetrockneten Formen nicht gegossen werden kann.

„Ehe wir in die Werkstätten der Ciseleure treten,“ wandte sich unser freundlicher Führer an uns, „erlauben Sie mir einige Bemerkungen über die Kunstthätigkeit des Formers und Ciseleurs. Der Former hat das betreffende Modell abzuformen, d. h. in einer Formmasse abzudrücken, welche die feinsten Eindrücke annimmt, so porös ist, daß sie beim Guß die in der Form befindliche Luft und die sich entwickelnden Gase entweichen läßt, und so haltbar, daß sie der Gewalt des Metallstromes widerstehen kann. Dieses Abdrücken geschieht in vielen kleinen Stücken, die zusammengesetzt werden und dann die ganze Form bilden. Wäre dies z. B. die Form einer großen Statue und wollte man sie so ohne Weiteres zum Guß benützen, so würde man ein massives und wegen der Menge des alsdann erforderlichen Metalls nicht nur sehr schweres, sondern besonders sehr kostspieliges Standbild erhalten. Man gießt darum den Gußgegenstand hohl und giebt ihm nur eine seiner Größe angemessene Metallstärke; dies bewirkt man durch Herstellung eines Kernes in der Form. Man belegt nämlich die ganze innere Fläche der Form mit einer weichen gewalzten Thonplatte so dick, als der Metallguß stark sein soll, dann gießt man den übrig bleibenden Raum mit einer Kernmasse aus. Ist letztere erstarrt, so nimmt man die Form in ihre Theile auseinander, entfernt nun die Thonplatte, säubert und trocknet Kern und Form und setzt dann diese wieder um jenen herum. Bei großen Statuen erhält der Kern auch wohl ein Eisengerippe. Die jetzt gußfertige Form wird mit Hülfe des Krahns in die Dammgrube versenkt und fest mit Dammerde umgeben, um sie vor dem Zerspringen zu sichern.

‚Gott bewahr’ das Haus!‘ Es kommt nun der hochpoetische Augenblick, wo der zischende Metallstrom aus dem Flammenofen hervorspringt und nach kurzem sprühendem und dampfendem Laufe durch die vom Former in der Form angebrachten Canäle unter die Erde versinkt, um als eherne Gestalt wieder aufzustehen.

Tritt aus der zerschlagenen Form das gelungene Gußstück hervor, so beginnt die Arbeit des Ciseleurs mit Feile, Meißel und Hammer. Während der Former eine mehr mechanische Aufgabe zu lösen hat, ist das Ciseliren eine Kunst, zu deren Ausübung nicht nur große technische Fertigkeit, sondern künstlerische, durch fleißiges Zeichnen, Modelliren, Studium der Anatomie, Kunstgeschichte etc. erworbene Ausbildung gehört, denn ihre Aufgabe [431] besteht darin, dem Gußstück in starrem Metall dieselbe Schönheit, Weichheit, Correctheit zu geben, wie der Bildhauer dies im Modell von bildsamem Thon gethan und wie er den Effect des Ganzen sich gedacht hat. Der Bildhauer ist der strengste Kritiker des Ciseleurs: kein Fältchen, kein Härchen des Modells schenkt er ihm. Aber der Ciseleur steht ihm nahe als Künstler. Seht, hier glättet er eine Fläche, daß sie sammetweich erscheint und doch ohne störenden Glanz, und dort kämmt er mit graciösen Zügen eine starke Haarpartie; hier markirt er einen Pelz mit leichten Flöckchen, und dort schafft er ein seidenes oder härenes Gewand; hier rectificirt er eine gebogene Schnalle und dort schmückt er den Purpurmantel mit Goldstickerei. Die höchste Sorgfalt verwendet er aber auf die Fleischtheile; ihnen weiß er eine so feine, an die Hautporen erinnernde Schraffirung zu geben, daß sie ganz den Ausdruck annehmen, welchen der Bildhauer ihnen geben wollte. Sehen Sie nun, wie unsere Ciseleure ihre Kunst verstehen!“

Mit diesen Worten öffnete unser Führer eine Thür, und – wir standen wieder in dem Saal, von dem wir ausgegangen waren, – vor den Reformatoren. Es lag ein feiner Wink in dieser Ueberraschung. Wir hatten vorhin nur die dargestellten Männer selbst bewundert, darum für die Arbeit der Künstler noch das Auge nicht frei gehabt. Jetzt betrachteten wir mit mehr Verständniß ihren Antheil am Denkmalwerke, freuten uns des Fertigen, sahen mit Theilnahme dem schweren Kampfe zu, den die Ciseleure hier mit Meißel und Feile gegen das harte Metall zu führen hatten, und verließen den Raum und das Haus mit hoher Achtung vor den Händen, die hier wirken, und den Geistern, die sie leiten.

Wenn im Mai des kommenden Jahres im idyllischen Thale von Lauchhammer das große Denkmal der Reformation öffentlich zur Schau gestellt wird, erinnert sich vielleicht mancher Leser der Gartenlaube des heutigen Artikels und beeilt sich, „die Reformatoren in der Gießhütte“ mit eigenen Augen zu sehen.
F. Hfm.




Pariser Weltausstellungs-Briefe.
Von Michael Klapp.
2. Eine Ausstellungsfahrt.


Das Lied vom Fahren. – Leiden eines Wagensuchers. – Pariser Cochers. – Speculative Milchweiber. – Milch und „Exposition“. – Aus einem Sechssitzigen. – Expositionsmenschen. – Keine Pariser in Paris. – Deutsch geschwängerte Luft. – Meine fünf Nachbarn. – Der höfliche Mann. – Glockengießer und „Trumpetenmacher“. – Der Türke von Grenelles.


Wir fahren auf’s Marsfeld! Wir fahren – ja, das ist leichter gesagt, als gethan. Wagen genug die stolzen, prunkenden alten Boulevards entlang, aber bekommen muß man einen! Wir stehen an der Ecke der Chaussée d’Antin, lauernd nach einem Gefährte, wie und was immer für eines es auch sei. Aber wo wir immer um uns blicken, sehen wir Concurrenten. Am Marsfelde hängt, nach dem Marsfelde drängt doch Alles; ach, wir Armen! würde Gretchen sagen, wenn sie zur Ausstellung gleich vielen ihrer Landsleute nach Paris gekommen wäre. Wie stolz diese Droschken und Remisewagen an uns vorüberfahren! Und wie selig lächeln die in ihnen Untergebrachten! Sie haben das harte Werk vollbracht, wir haben es noch zu vollbringen. Ruhelos rollt es an uns vorüber, hinauf, hinab – ja, giebt es denn gar keine leeren Wagen heute in Paris? Da kommt ein geschlossener Einspänner mit unbeflügeltem Trabe heran, seinem Tempo nach ist er unbesetzt. Wir springen ihm entgegen, zehn Andere thun es mit uns; wir rufen: „Cocher!“, zehn Andere rufen auch noch „Cocher!“ Der Cocher aber lächelt uns Alle so impertinent schadenfroh mit der Miene eines Foppers an und zeigt mit der Peitsche nach dem Innern seines Wagens, wo in die Ecke zurückgelehnt ein alter Herr eben eingenickt ist. O, es kommen auch leere Wagen, aber die wollen uns erst recht nicht aufnehmen; sie lassen sich lieber von reichen Engländern und Russen auf den ganzen Tag miethen, das paßt ihnen viel besser. Ich berufe mich auf die vielfachen Erlässe der Pariser Polizei, die gerade erschienen und von denen der letzte jedem offenen Wagen auf der Straße das Halten gebietet, sobald er von irgendwem begehrt wird. Aber ein Pariser Kutscher sein und sich um Kundmachungen der Polizei kümmern – „is nicht!“ wie der Berliner sagt. So ein Kerl läßt sich, wenn Du seine Nummer hast, auf der Präfectur abstrafen, und den Morgen darauf triffst Du ihn leer und er fährt Dich wieder nicht.

Die Exposition macht Widerspenstige aus ihnen Allen, es giebt in diesem Ausnahmszustand, in dem sich das Paris der Ausstellung jetzt befindet und dessen ganzer Drakonismus sich gegen die Taschen der Fremden richtet, kein Gesetz für den Cocher und kein Recht für Dich. Ja, aber es giebt doch Omnibusse? Freilich giebt es deren und nicht wenige. Da kommt einer dieser Kolosse, mit den starken, kräftigen, unschönen Schimmeln bespannt, daher gerollt. „Porte St. Martin – Exposition“ steht auf seinem breiten Schilde. Das ist gleich der rechte, aber es steht noch etwas Anderes auf einem kleinen Täfelchen, oberhalb des Conducteurplatzes, angeschrieben: „complet“, und dieses eine Wort vernichtet Hunderte von Hoffnungen in jeder Viertelstunde. Da kommt ein anderer Omnibus, aber wieder „complet“, und ein dritter abermals mit dem Täfelchen, „complet“. – Wir geben das Warten auf und gehen der Madeleine zu, dort wie am Palais Royal ist ein Specialdienst für die Exposition eingerichtet. Alle fünf Minuten geht ein Wagen, mit achtundzwanzig Menschen beladen, von hier ab, aber Geduld wird hier wieder mehr von uns verlangt, als wir haben. Wir bekommen eine Nummer, wenn wir sie wünschen, und können, sobald diese Nummer die herrschende wird, den Omnibus besteigen. Aber wann wird diese Nummer die herrschende? Wir haben Nummer 18 und soeben ist erst Nummer 8 in einen Omnibus gestopft worden. Zehn Omnibusse müssen wir an uns vorüberfahren sehen, ehe wir selbst darankommen. Und da sind wir noch nicht die eigentlichen Spätlinge dieser Omnibusschöpfungen. Und so wie hier, so geht es Tag auf Tag an allen Standplätzen der Expositionsomnibusse, geht es auf dem Bahnhofe St. Lazare, geht es am Quai des Pont Royal, von wo alle Viertelstunden ein langweiliges Dampfboot losgelassen wird. Und dabei sind in den letzten Tagen noch eine ziemliche Anzahl provisorischer Expositionsfahrer aufgetaucht: Britschken sehr unbequemer Natur und holperigen Aussehens, Tapezierer- und Möbelwagen, die von den Besitzern rasch mit Sitzen versehen worden sind und mit der großen Aufschrift „Exposition“ und die nun bepackt auf’s Marsfeld kutschiren.

Ist ja die Speculationswuth sogar in die Pariser Milchweiber gefahren! Da sah ich unlängst eine von diesen auf ihrem kleinen Wägelchen Morgens durch die Champs Elysées[WS 2] kutschiren. Sie hatte ihre Milch verkauft und da, wo diese gestanden, standen nun vier kleine Rohrstühle ohne Lehne in dem Wägelchen, alle besetzt, und draußen hing ein Täfelchen mit der stolzen Aufschrift „Exposition“. Mit Milchtöpfen kam die Frau vor einigen Stunden hier durchgefahren, jetzt fährt sie mit Expositionsreisenden, die froh waren, einen Milchwagen besteigen zu können, wieder zurück! Das wird man doch „die Milch speculativer Denkungsart“ nennen dürfen, bei der dieses Milchweib aus Passy aufgewachsen! Aber die Massen von Fremden, die sich nun in Paris herumtreiben, können es der Speculationslust der Pariser nur danken, wenn sie auf’s Marsfeld gelangen.

Da kommt gerade, während wir der Nummer 18 entgegenseufzen, so ein kleiner, sechssitziger Omnibus Freiwilliger sehr unternehmend an uns heran. Er ist leer und winkt allen, die Vertrauen zu ihm haben. Unsere Nummer 18 in Stich lassen und in das Wägelchen springen, ist das Werk eines Augenblicks. Fünf Herren haben das Gleiche gethan; wir sind auch „complet“, man nimmt uns unser Frankenstück ab und fort geht es über den Madeleine-Platz nach dem Platze „de la Concorde“ und weiter, weiter den langen, langen Weg über die elysäischen Felder der Jenabrücke zu. Nun sehen wir uns einmal unsre Reisegesellschaft näher an. Es ist nun einmal meine schwache Seite, daß mir Menschen über Dinge gehen und daß mir sogar Expositionsmenschen noch über die Exposition gehen. So oft ich in Paris einen Omnibus jetzt besteige, überkommt mich ein gewisser Drang nach anthropologischen Studien. Ein jeder Pariser Omnibus ist heute an und für sich eine recht ansehnliche Exposition, eine Exposition von Menschen, die man, ganz so wie sie es auf dem Marsfelde gethan, in Gruppen und Classen theilen könnte. So wie ich in einer solchen Exposition sitze, beginne ich meine Studien. Ich habe nämlich den gegründeten Verdacht – und ich lasse mir ihn auch nicht ausreden, so sehr man sich auch Mühe giebt – daß es in Paris derzeit keine Pariser giebt. Wo ich immer stehe, gehe, sitze, kommen mir offene und verkappte Deutsche, Engländer, Amerikaner, Oesterreicher etc. unter die Augen und Ohren. Die Luft der Boulevards ist mit berlinerischen, schwäbischen, sächsischen, wienerischen Accenten geschwängert. Du sitzest an einem der Tischchen vor dem Café riche und rauchst deine Cigarre. Neben dir sitzen zwei Herren an einem zweiten Tischchen und der eine von ihnen hat den „Figaro“, der andere die „Gazette des Etrangers“ in Händen. Du denkst nichts Schlimmes und bist aufgelegt, die beiden Herren für Kernfranzosen zu halten, denn sie trinken Absynth trotz einem Franzosen und schauen bei den vorüberwandelnden Damen zwar nicht auf Herz und Nieren, aber auf den Fuß, auch wie ein Franzos. Nun willst du auch den „Figaro“ und sagst zu einem der Herren verbindlich lächelnd: „Monsieur après vous!“ Es dauert nicht lange und er reicht dir mit der Phrase „voilà, Monsieur“ den „Figaro“. Also richtig, es sind Franzosen! Man hat sich einmal nicht getäuscht, es giebt doch noch Pariser in Paris. Da stehen die beiden Herren auf und was hörst du? der Eine von ihnen sagt: „Weißt was, fahren wir heute nach ‚Versaillch‘!“ und der Andere ruft darauf: „Garçong!“ – „Versaillch“ und “Garçong“ – du fällst plötzlich aus dem siebenten französischen Himmel zurück in den vierten preußischen. Geh nur ein paar Schritte weiter und eine Sündfluth süddeutschen Dialekts schlägt sich über dir zusammen. „Wolle mer in den Louvre gehe, müsse mer uns spute. Es ischt sonscht zu spät“ hörst du rechts von dir; links schmunzelt ein wohllebiger anderer deutscher Mund in anderer Art und sagt: „Auf’n Dreher sein Bier loß ich net schimpfen, des is Eisen!“ Und noch ein anderer und noch weniger rein deutscher Mund sagt gar neben dir: „Und nix. Pereles!“ Und dabei soll man nicht allen Glauben verlieren, daß es noch Pariser in Paris giebt? Ich habe ihn verloren und ich kann nun, so oft ich unter Expositionsmenschen bin, den Verdacht nicht lassen, es seien Alles, nur keine Franzosen unter ihnen.

[432] Ich bin hier immer gefaßt, mit den seltsamsten Menschen zu verkehren, man geht eben jetzt mit Hinterwäldlern, Antipoden, Indianerhäuptlingen und anderen wildfremden Menschen hier um; man steht mit Siamesen auf, ißt mit Menschenfressern an der Table d’hote im Hotel und legt sich mit einem der Vettern des Taikun schlafen. So bringt man hier international den Tag durch. Aber nur mit jenem Gefühl des Gefaßtseins, das ich hier überall, wo ich hingehe, mitnehme, erspart man sich in dieser Zeit seltensten Menschenumgangs jedwede Seelenbeklemmung. Ich bin gefaßt selbst darauf, daß mich nächstens im Omnibus ein Häuptling irgend einer oceanischen Insel auf einer Fahrt in den Expositionspalast fragt, wann ich morgen zu Hause sei und ob er sich die Freiheit nehmen dürfe, mich verspeisen zu dürfen. In dieser Fassung besteige ich auch den Wagen, der mich nebst fünf anderen Herren auf’s Marsfeld bringen soll. Ein Blick genügt und ich ersehe, daß ich die ersehnte Häuptlingsbekanntschaft für heute noch nicht machen kann. Einer von den fünf Herren ißt, wie ich sehe, lieber Chocolade von Menier als Menschen, wofür ich ihm sehr dankbar bin, die andern vier essen gegenwärtig gar nicht. Der Chocoladenesser ist der richtige Expositionsreisende, wie er im Buche steht oder einst stehen wird. Er hat alle Taschen voll von Annoncen, die ihm Leute auf der Straße zugesteckt und die er bereitwilligst alle in Empfang genommen, darunter: Speisezettel, billige Restaurants, Anpreisungen von „Cabinets inodores“, von Schneidern, die halb umsonst arbeiten etc. Der Mann steckt Alles oder doch wenigstens Vieles ein – das muß ein Deutscher sein, denk’ ich mir, und gedacht und angesprochen war Eines. Ich irrte mich nicht. Er kommt aus einem kleinen rheinischen Städtchen mit dem Acht-Thaler-Kölner-Zug, hat Frau und drei Töchter, denen er Alles zu erzählen versprochen, ist von Paris entzückt, von der Ausstellung noch mehr und möchte nur noch den Napoleon sehen. Das erfuhr ich in circa fünf Minuten, in der sechsten betrachtete er mich schon als seinen Freund und bot sich mir an, die Krupp’sche Kanone, die er immer nur gern „unsere Kanone“ titulirte, näher zu erklären.

Als fühle er, seine Höflichkeit, die er mich so sehr fühlen ließ, motiviren zu müssen, sagte er mir: „Gott, man muß sich hier zusammennehmen, denn was sind die Franzosen für höfliche Leut’!“ Es gelang mir nach längerem höflichen Bemühen, den Landsmann zum Rückzug auf sich selbst zu bewegen. Ich will ja noch zu meinen anderen Reisegenossen schauen. Zwei davon sind in einem recht nachdrücklichen Gespräche in einer Sprache, die mir sehr fremd. Ich weiß nur, daß der Dialog etwas wie Reitergefecht an sich hatte. Da hört man Schwerter klirren, Hufe stampfen, Waffen rasseln, es ist etwas urwüchsig Lärmendes in dieser Sprache der beiden Männer, was sprechen sie nur für eine? Ich zerbreche mir den Kopf, ich frage den deutschen höflichen Mann, er zuckt die Achseln und spricht die höfliche Vermuthung aus, es würden Tataren sein. Diese Vermuthung bricht einen Augenblick lang das Gerassel der Sprache der fremdartigen Herren und einer von ihnen sagt zu unserem nicht geringen Erstaunen zu meinem Nebenmann im Omnibus: „Belieben zu entschuldigen, wir sind Ungarn und nicht Tataren; belieben Deutscher zu sein?“ Und das sagte er in jener Gesangsfärbung, die das Deutsche im Munde eines Ungarn so komisch macht. Richtig, Baratom-Nachbar war ein Magyare. Warum habe ich ihm nicht auf die hohen Stiefeln gesehen und auf den altverfassungsmäßig aufgewichsten „Schnauzbart“, da hätte ich es gleich merken können.

Und wer war es noch obendrein, wie ich später hörte? Der Glockenmacher aus Pest, eine komische Figur des Marsfeldes. Der Mann hatte einmal der ganzen kaiserlich österreichischen Abtheilungscommission nicht geringen Schreck verursacht. Er hatte zwei Tage gefehlt und seine großen Glocken auf dem Marsfelde standen ungeläutet. Wo mochte der Glockengießer von Pest hingerathen sein? Man fing bereits an, sonderbare Vermuthungen zu hegen, da war er am dritten Tage wieder da und erzählte, wo er durch zwei Tage gewesen. Er war am 7. Mai vom Ausstellungsgebäude Abends von dem Wege in seine Wohnung, welcher ungefähr zwei Stunden vom Marsfelde entfernt war, ein wenig abgewichen und war kreuz und quer in und um Paris irre gezogen, des Französischen gar nicht, des Deutschen nur schlecht mächtig und blos im Besitze der ungarischen Sprache, die man in und um Paris herum leider nirgend spricht. So geschah es, daß er am 8. Mai Abends in seiner Wohnung ankam, um sie am 9. Morgens wieder zu verlassen und wieder auf’s Marsfeld zu wandern. Da kam er wieder auf die falsche Fährte des verflossenen Tages, irrte wieder umher und gelangte erst spät Abends auf’s Marsfeld, wo er das Ausstellungshaus bereits geschlossen fand. Nun nahm er sich endlich doch einen Wagen und fuhr wieder nach Hause, mit dem festen Vorsatze, nicht mehr auf’s Marsfeld per pedes apostolorum gelangen zu wollen. Der Mann war zwei Tage auf dem Wege von Paris auf’s Marsfeld – kann man sich der Exposition zu Liebe mehr exponiren? Und er erzählte das selbst in schlechtem Deutsch, aber mit gutem Humor, der Glockengießer von Pest! Er schien mich übrigens mit größerem Vertrauen zu beehren, als er sonst auszugeben gewöhnt war, und legte mir, als ich ihm auf Verlangen meinen Namen nannte, seine großen schweren Glocken an’s Herz. Mein Name! Was er mir für Freuden heute bereitet! – Kaum nannte ich ihn, da biegt sich der vierte Omnibusgenosse aus der Wagenecke hervor, reicht mir die Hand und – fängt auch an, Deutsch zu sprechen! „Freut mich, Herr, kennen zu lernen Landsmann meiniges! Bin ich ehrlicher Deutscher, Trumpetenmacher aus Königgrätz und bitt’ ich Ihnen sehr, Trumpeten meinige wie Trumpeten Ihrige zu betrachten.“

Und der Mann sprach das Deutsche ganz so verschnürt, wie er den deutschen Rock verschnürt trug. Hat nicht auch der Posaunenfabrikant von Jericho ausgestellt und ist er nicht auch im Omnibus und fängt mit mir plötzlich an Deutsch zu reden? Es sollte mich nicht wundern. Es giebt ja gar keine Franzosen in Paris! Da, mein fünfter Omnibusgenosse ist wenigstens ein Türke. Das ist doch etwas Fremdes. Ich bitte ihn um Feuer von seiner Cigarette für die meinige, er giebt es mir freundlichst und ich knüpfe ein Gespräch mit ihm an. Er spricht vortrefflich Französisch, ein eleganter Bursche, wie man sie unter den Türken sonst gar nicht findet, trägt den Fez mit Grazie, kurz, er hat nichts vom „kranken Mann“. Ich freue mich über die orientalische Bekanntschaft, wir steigen an der Porte Jena des Ausstellungspalastes ab, wir gehen gemeinschaftlich hinein, ich meinen Frank erlegend, er seine Photographie vorzeigend. Ich frage ihn, in welcher Gruppe er ausgestellt hat. „In der sechsten,“ sagte er, „aber ich bin ausgestellt, ich habe nicht ausgestellt. Ich bin Garçon im türkischen Café.“ Ein türkischer Garçon! Wie interessant! „Sie sind,“ frage ich ihn zum Abschied, „aus Stambul selbst?“ – „O nein,“ sagt er lachend, „ich bin aus Grenelles“ (bei Paris). Und fort ist er. Ein Türke aus einer Pariser Vorstadt! Abscheulich. Und der Kerl macht gar kein Hehl aus seiner Pariser Abstammung. Da haben Sie es. Endlich, nach langem Suchen, findet man einen Pariser und der ist, wie sich herausstellt, während der Exposition als – Türke engagirt. Und jetzt sage mir noch Jemand, es gäbe Pariser in Paris!





Freiligrath-Dotation.

Bei dem Barmer Haupt-Comité sind wiederum eingegangen: Ertrag eines Concertes auf Sanssouci in Barmen 21 Thlr. 26 Ngr.; von zwei Freunden des Dichters 14 Thlr. 22 Ngr.; von D. W. Jensen in Kiel 31 Thlr.; C. vom Hofe in Lüdenscheid 77 Thlr.; Ertrag eines Concertes in Duisburg 237 Thlr.; Wissenschaftlicher Verein in Duisburg 100 Thlr.; Rostocker Zeitungs-Expedition 79 Thlr.; von Deutschen in Montpellier 32 Thlr.; H. B. in Barmen 3 Thlr.; W. H. in Lüttich 5 Thlr.; durch die Herren Pott, Beckhaus und Herborn in Schwerte 30 Thlr.; Comité in Vlotho durch F. Schmidt 26 Thlr.; Max Richter und Genossen in Mülheim a. d. Mosel 14 Thlr. 20 Ngr.; H. Engels in Gelsenkirchen 4 Thlr.; Wilh. Nahe aus Holstein 50 Thlr.; Bremer Comité durch Consul E. von Heymann 800 Thlr.; Solinger Comité durch H. W. Lang 225 Thlr. 5 Ngr.; Beitrag von Vereinen und Bewohnern der Stadt Worms 100 Thlr.; Oldenburger Zeitung 6 Thlr.; Zeitzer Zeitung 1 Thlr. 10 Ngr.; durch Prof. Dr. Zober in Stralsund 42 Thlr.; aus Barmen: G. A. D. 5 Thlr.; L. S. 5 Thlr.; O. und S. 5 Thlr.; F. W. 10 Thlr.; C. S. 5 Thlr.; A. W. 7 Thlr.; L. E. T. 5 Thlr.; F. S. 20 Thlr.; F. K. 5 Thlr.; F. H. 5 Thlr.

Gesammt-Einnahme bis heute 6164 Thlr. 22 Ngr. 6 Pfge.

Bei der Redaction der Gartenlaube: F. W. in A. 2 Thlr.; aus Treis a. d. Mosel 1 Thlr.; O. in Greiz 5 Thlr.; E. Wfg. in Gotha 2 Thlr.; Ertrag einer Lotterie in Torgau 6 Thlr.; von einer Hochzeitsgesellschaft im bairischen Bahnhof in Leipzig 3 Thlr.; X. Y. in Leer 2 Thlr.; Bürger-Verein in Augsburg 50 fl.; zweite Einsendung der Zeitung „Deutschland“ in Weimar 5 Thlr.; Gesangverein in Gotha 35 Thlr.; W. S. 5 fl.; Deutschmann in Wittenberg 1 Thlr.; L. K. und W. S. in Magdeburg 10 Thlr.; Fräulein C. B. in Thornfield in Irland 5 Thlr.; T. in R. 1 Thlr.; Liedertafel in Eisenach 2 Thlr.; St. in Leipzig 1 Thlr.; Zorn in Stettingen 2 Thlr. 24½ Ngr.; Sammlung des Tageblattes in Gotha 17 Thlr.; Männergesangverein Teutonia in Paris 100 Franken = 26 Thlr. 20 Ngr.; dem Dichter der „Blumenrache“ ein deutsches Mädchen aus Temesvár 1 Ducaten; Männergesangverein Apollo 7 Thlr. und Fräulein R. in Chemnitz 1 Thlr.; einige Verehrer des Dichters in Altötting 14 fl. = 8 Thlr. in Erinnerung an dessen eigene Worte:

„Ruhm und Ehre jedem Fleiß!
Ehre jeder Hand voll Schwielen!
Ehre jedem Tropfen Schweiß,
Der in Hütten fällt und Mühlen.

5
Ehre jeder nassen Stirn

Hinterm Pfluge – doch auch dessen,
Der mit Schädel und mit Hirn
Hungernd pflügt, sei nicht vergessen!“

Erlös einer in Troppau unter Verehrern Freiligrath’s veranstalteten Sammlung 19 Thlr. 15 Ngr. und 42 fl. ö. W.; zweiter Beitrag der Wickrather Börse 50 Thlr.; Reinertrag der Aufführung der Schiller’schen Räuber von der Gesellschaft Thalia in Brünn 62 fl. ö. W.; Steffens und Sohn in Burtscheid 2 Thlr.; Künstler-Verein in Breslau 147 Thlr. 9 Ngr.; für 11 Exemplare von Freiligrath’s Glaubensbekenntniß 11 Thlr.
Die Redaction.




Nicht zu übersehen!
Für die mit dem dritten Quartal dieses Jahrgangs neu hinzutretenden Abonnenten unsers Blattes bemerken wir, daß wir ihnen ausnahmsweise die Nummern 21–26, mit deren erster die eben laufende Erzählung von E. Marlitt „Das Geheimniß der alten Mamsell“ beginnt, apart zum Preise von 7 ½ Ngr. nachliefern werden.
Die Verlagshandlung.




Inhalt: Das Geheimniß der alten Mamsell. Novelle von E. Marlitt. (Fortsetzung.) – Die Marienburg und ihre Herrin. Mit Abbildung. – Gefängnißleben zur Schreckenszeit. – Von Johannes Scherr. – Die Reformatoren in der Gießhütte. Mit Illustration. – Pariser Weltausstellungs-Briefe. Von Michael Klapp. 2. Eine Ausstellungsfahrt. – Freiligrath-Dotation.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Lug oder Lauch, wendisch, Sumpf, Moor.
  2. Diese Drei waren im Saale durch ihre Modelle repräsentirt, während ihre Erzstatuen auf Ausstellungen zur Schau standen, Friedrich der Weise und Landgraf Philipp in Paris, Spalatin in Chemnitz.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. dazu Nachtrag und Berichtigung in der Fußnote 1 in Das Leben in Eisen und die Kunst in Holz und Stein. Heft 34.
  2. Vorlage: Champs Elysés