Die Gartenlaube (1883)/Heft 42

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum: 1883
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 42.   1883.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis Bogen. 0 Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Die Braut in Trauer.

Erzählung von Ernst Wichert.
(Fortsetzung.)
4.

Als Helene genesen war, legte ihr eines Tages die Frau Consul eine Schrift vor. „Ersieh daraus,“ sagte sie, „wie sehr er Dich geliebt – selbst vor seinen nächsten Verwandten bevorzugt hat.“

Sie las sein Testament. Robert hatte sie zu seiner Universalerbin eingesetzt.

„Nein, nein!“ rief sie, „das darf nicht sein, das will ich nicht. O mein Gott, wenn Jemand glauben könnte …“

Frau Berghen beruhigte sie. „Ich denke, wir kennen einander,“ sagte sie. „Mein theurer Robert hätte sich diesen Act sparen können. Es verstand sich von selbst, daß seine Braut mein Kind blieb. Ich würde Dich bedacht haben, wie meine anderen Kinder – seinetwegen, und weil in meinem Herzen kein Unterschied ist. Ich habe keinen Sohn mehr – Du bist mir seine Verlassenschaft. Ich weiß, daß Dein ganzes Leben, wie das meinige, der Trauer um den geliebten Todten geweiht sein wird. Leben wir denn in gleichem Leide einander zum Trost.“

Helene sank an ihre Brust und weinte sich recht satt. „Die Welt hat keine Freuden mehr für mich,“ schluchzte sie. „Ach! daß ich ihm nicht folgen kann! Für mich ist er in den Tod gegangen."

„Für Dich! Vergiß das nie," mahnte die Mutter.

Das Mädchen umarmte sie von Neuem. „Wie könnte ich das je vergessen?“

Helene hatte nicht vergessen – gewiß nicht. Sie war noch immer, wie am ersten Tage, überzeugt, nie vergessen zu können. Aber unmerklich hatte die Trösterin Zeit ihren Heilbalsam in die Herzenswunde geträufelt. Sie war thätig im Hause, beschäftigte sich mit Handarbeit zu wohlthätigen Zwecken, las viel, musicirte und malte. Wenn sich so der Tag mit nützlichen Dingen füllte, empfand sie so viel Wohlsein, als sie glaubte auch in ihrer Abgeschiedenheit nicht entbehren zu dürfen.

Sie hieß noch immer „Robert’s Braut“. Wenn man von ihr sprach, nannte man sie kaum anders, auch in ihrer Gegenwart. Was sich von kleinen Andenken an ihn auffinden ließ, wurde ihr zugetragen. Die Möbel seines Zimmers wanderten in das ihrige, seine Bücher, seine Briefmappe, seine Taschenbüchelchen, seine Abbildungen von edlen Rennpferden und wilden Jagden, seine Sammlungen aus der Knabenzeit, seine Schulhefte und Geburtstagszeichnungen, seine Uhr mit Kette, selbst seine Waffen, auf die er viel gehalten hatte. Photographien aus jedem Lebensalter hingen an den Wänden, standen auf zierlichen Gestellen, füllten ein kostbares Album. Noch nach seinem Tode war er in ganzer Figur von dem geschicktesten Künstler der Akademie gemalt, dann für sie nochmals copirt. Trat sie in ihr Zimmer, so empfing er sie; überall war er ihr gegenwärtig.

Die Schwestern wetteiferten mit der Mutter, das Andenken an den Verstorbenen zu einem wahren Cultus zu stempeln. Doch hatten sie nach einem Jahre die Trauerkleider abgelegt – sich der Sitte gefügt, wie sie sagten. Das Haus, in dem früher ein so lebhafter, gesellschaftlicher Verkehr unterhalten wurde, konnte sich nicht dauernd in ein Kloster verwandeln. Frau Selma Osterfeld bewohnte die zweite Etage. Sie öffnete wieder ihren Salon, wenn auch zunächst nicht zu lauten Vergnügungen. Von solchen war sie überhaupt keine Freundin. Schlank gewachsen, fast hager und stets bleich, hatte sie es gern, wenn man sie für ein ätherisches Wesen hielt, für eine ganz unsinnliche Natur, für eine schöne Seele. Sie sprach immer sehr leise und etwas lispelnd, liebte die strengen Odeurs und fühlte ihre Nerven durch jedes Geräusch angegriffen. Sie gab am liebsten Thees, die spät anfingen und früh beendet waren. Eine kleine Vorlesung irgend einer hochpathetischen Dichtung war mitunter Beigabe. Ihr Mann hatte das Privilegium, sich an solchen geselligen Abenden immer nur einige Minuten blicken lassen zu dürfen, oder auch gänzlich fern zu bleiben. Der Aermste war leider durch das Geschäft so sehr in Anspruch genommen, daß er sich keine Mußestunden gönnen konnte. Das Verhältniß zwischen Beiden war schwer zu bestimmen. Sie begegneten einander vor Dritten immer mit ausgesuchter Zartheit, aber von innigeren Beziehungen war wenig zu spüren. Beide sprachen von ihrer „glücklichen Ehe“. Aus derselben war nur ein Kind hervorgegangen, ein Knabe von jetzt acht Jahren. Sie sehnten sich auch nicht nach Vermehrung der Familie. Selma war glücklich, diesem einen Sproß ihre ganze mütterliche Zärtlichkeit zuwenden zu können, Osterfeld nicht unzufrieden, daß das Vermögen „zusammenblieb“. In die Erziehung mischte er sich vorläufig wenig. Er behielt sich vor, später den dereinstigen Chef des Hauses Berghen u. Comp. für seinen Beruf vorzubilden.

Helene, so vorsichtig sie sich auch nach irgend einer Seite hin äußerte, fand Osterfeld kalt, Selma überschwänglich. Sie traute seiner Höflichkeit so wenig, als ihren wortreichen Freundschaftsbezeigungen. Auch die pietätvolle Verehrung für Robert schien ihr bei Beiden etwas Erkünsteltes zu haben, das sie verstimmte. Sie sprechen nicht, wie sie denken, mußte sie sich immer wieder sagen. Und warum sprechen sie überhaupt mit mir so [678] eifrig bei jeder Gelegenheit über einen Gegenstand, der in mir die trübsten Erinnerungen wecken muß? Daß Osterfeld, sowie er sie sah, auch das Testament seines Schwagers vor Augen hatte, ahnte sie freilich nicht. Wie hätte ihr das einfallen können, da sie auf diese letztwillige Erklärung nie ein größeres Gewicht gelegt hatte, als daß sie auch darin einen Beweis von Robert’s tiefer Neigung schätzte.

Auch Vera hätte sie sich bei ganz freier Wahl nicht gerade zur Freundin ausgesucht. Sie war in ihrer äußeren Erscheinung der Gegensatz zu der viel älteren Schwester, eher klein als groß, voll und, wie man sagt, blühend, wie eine Rose. Doch fehlten ihr die zarten Farben dieser Blume; bei ihrem lebhaften Temperament erhitzte sie sich leicht und ärgerte sich dann über ihre rothen Backen. Sie hielt auf die neueste Mode und war auf drei der ersten Fachzeitungen abonnirt, konnte aber sehr ungehalten sein, wenn man sie auch nur im Scherze beschuldigte, diesen Dingen irgendwelche Wichtigkeit beizulegen. Sie wollte eher für eine Gelehrte gelten, besuchte wissenschaftliche Vorlesungen „interessanter“ Professoren und las Bücher, die sie nur zum kleinsten Theil verstand. Sie war Dilettantin in mancherlei Künsten, ihrem Können aber stets um mehrere Stationen voraus. So übte sie nur die schwierigsten Clavierstücke, ohne sie je zu bewältigen, und sprach mit Bedauern von den Leuten, die hübsche Musik machen. Sie behauptete, Partituren lesen zu können, und bildete es sich sicher auch ein. Sie malte in Oel, modellirte auch gelegentlich, um „ihren Farbensinn zu bilden“. In der Kunstgeschichte war sie so weit beschlagen, eine Reihe von Namen hersagen zu können, die den Laien verblüffen mußten. Auch verfügte sie über eine gewisse Zahl von Kunstausdrücken und machte davon namentlich in Bilderausstellungen verschwenderischen Gebrauch. Im Salon zu glänzen war ihr geheimster Ehrgeiz. Sie konnte aber auch sehr gefühlvoll sein und besaß in bewunderungswürdigem Maße das Talent, „sich aussprechen zu können“. Wie gern sie es übte, wußte Helene.

Ob Herr von Gräwenstein der richtige Mann für sie sei, konnte bezweifelt werden. Er war ein tüchtiger Soldat, verwandt und verschwägert mit hohen Militärs und sonstigen Großwürdenträgern und hatte auf ein gutes Avancement zu rechnen – wenn ihn seine Schulden nicht unmöglich machten. Davon hatte er gerade so viel aufgesummt, daß er die Verpflichtung fühlte, sich nach einer reichen Partie umzusehen. Er sprach nicht Französisch und Englisch, spielte nicht Clavier – um so fertiger freilich Karten – war wenig belesen, außer in amüsanten Romanen, deren Titel er doch nie behalten konnte, verstand von Kunstsachen gar nichts und verließ sich überall mit Vorliebe auf seinen „prakischen Verstand“. Seine Witze waren oft nicht die feinsten, aber in Damengesellschaft erfreute er sich großer Anerkennung wegen seines frischen, munteren Wesens, seiner kecken Galanterie und seiner Fertigkeit im Tanz. Mit diesen Eigenschaften konnte er kaum erwarten, bei Vera Berghen sein Glück zu machen. Doch fing er’s geschickt genug an, sie für sich zu interessiren, indem er sich ihr auf Gnade und Ungnade ergab. Er stellte sich womöglich noch unwissender, als er war, um ihr ganz staunende Bewunderung ihrer „riesigen“ Kenntnisse und Talente beweisen zu können. Das schmeichelte ihr. Welches Glück, dem Herrn Gemahl stets als ein höheres Wesen zu erscheinen, gegenüber dem rauhen Militär als die Vertreterin von Kunst und Wissenschaft zu glänzen! Diese Erwägungen gaben rasch die Entscheidung. Die Verlobung wurde gefeiert.

Und nun verstand es sich auch ganz von selbst, daß sie ihren Bräutigam liebte, stets geliebt hatte. Helene mußte sich ihre verschwenderischen Gefühlsergüsse gefallen lassen. Sie hätte ja erfahren, was Liebe sei. „Jetzt kann ich erst die ganze Größe Deines Verlustes ermessen!“ rief sie. „Wie hast Du ihn nur überleben können? Wenn ich denken sollte … o, ich müßte den Verstand verlieren! Was ist das Leben ohne Liebe? Eine Welt ohne Sonnenschein. Kann man sich denn wirklich in sie hineingewöhnen? Deine Seelenstärke ist bewundernswerth. Und daß Du nun täglich daran erinnert werden mußt, was Dir das tragische Geschick unbarmherzig geraubt hat! Ich will Dir’s nicht verdenken, wenn unsere Freude Dich traurig stimmt. Nimm auf uns keine Rücksicht und ziehe Dich zurück, so oft Dir’s so um’s Herz ist. Ich werde Dich bei Gräwenstein zu entschuldigen wissen. Das Bild unseres theuren unvergeßlichen Robert wird Dir stets die liebste, die einzig befriedigende Gesellschaft sein.“

Helene fühlte sich verletzt durch dies zudringliche Mahnen. Sie vermißte den herzlichen Ton echten Mitleids. Es war so viel Schellengeklingel dabei.

Mama Berghen hatte aber ganz Recht gehabt: Die Verlobung gab rasch dem stillen Hause ein ganz verändertes Ansehen. Gräwenstein setzte überall die heitere Stimmung voraus, in der er sich selbst befand. Nachdem die pflichtschuldigen Visiten – deren gab’s eine Unzahl, da Civil und Militär gleichmäßig bedacht werden mußten – glücklich abgethan waren, meldeten sich nun die Gegenbesuche. An den Vormittagen blieb der Salon selten eine halbe Stunde leer. Mehrere entfernter wohnende Verwandte reisten zu und nahmen in dem gastlichen Hause Quartier. Der Bräutigam führte seine Cameraden ein. Vera hatte in literarischen und künstlerischen Kreisen Bekanntschaften, die ihre Gratulationen nicht versäumten. Das Fräulein versicherte, daß ihre „Beziehungen zu Kunst und Wissenschaft“ keine Unterbrechung erfahren würden; zur Zeit ließ sie sich doch durch die muntere Unterhaltung der Officiere am liebsten fesseln.

Die Frau Consul war so in Anspruch genommen – auch für eine glänzende Ausstattung mußte ja gesorgt werden – daß sie nur mit Mühe die zum Besuche des Kirchhofs bestimmte Stunde erübrigen konnte. Endlich gab sie den Bitten ihrer Töchter nach, sich zu schonen und ruhigere Zeiten abzuwarten. Helene aber sollte nicht gehindert werden. Jedesmal trug die Mama ihr die zärtlichsten Grüße an Robert auf. Sie ließ ihn förmlich um Entschuldigung bitten, daß ihre mütterliche Liebe sich jetzt so schlecht bewähre. „Aber seine Braut soll er auch jetzt nicht vermissen.“ Für Helene wiederholten sich diese Begleitreden, fast genau mit denselben Wendungen, so oft, daß sich der Eindruck bald abstumpfen mußte. Sie saß ein halbes Stündchen unter den sich immer dichter belaubenden Bäumen und hörte dem Gesange der Vögel zu. Die Nachtigall schien ihre schönsten Lieder für ihr Kommen zu sparen. Helene war ganz zufrieden damit, allein gelassen zu sein. Sie durfte sich nun keinen Zwang anthun. Mit den Todten sprach sie nicht, auch nicht in Gedanken. Längst war innerlich erschöpft, was sie ihnen zu sagen hatte. Aber sie nahm regelmäßig ein Weißbrödchen mit, zertheilte es in kleine Krumen und warf sie den Vögeln hin. Bald war sie ihnen so bekannt, daß sie vom Eisengitter hinab hüpften und sich auf die Bank dicht neben sie wagten. Diese Fütterung war nun ihr größtes Vergnügen.

Sie dachte auch nicht daran, sich von der Gesellschaft ganz zurückzuziehen; es schien ihr ausreichend, daß sie sich mit einem möglichst stillen Antheile begnügte. Das unbehagliche Gefühl, sich im Traueranzuge zeigen zu müssen, konnte sie freilich nicht ganz loswerden. Trat sie ein, so verstummte im Kreise der Lustigen eine Weile das laute Lachen; wer mit ihr sprach, dämpfte den Ton. Die Damen des Hauses meinten andeuten zu müssen, daß sie sich durch ihr Erscheinen ein Opfer auferlege. Und ihr selbst war gar nicht so zu Muth; sie hätte recht froh sein können mit den Fröhlichen, wenn sie nicht so von außen her verstimmt worden wäre.

Unter den näheren Verwandten des Hauptmanns, die nun häufig im Hause verkehrten, war auch der Regierungsassessor von Brendeln, ein Mann erst Anfangs der Dreißiger, aber von jedem Fremden, und namentlich von jungen Damen, älter geschätzt. Sein fast über der Mitte der hohen Stirn gescheiteltes Haar war schon recht dünn und deckte nach hinten hin die Platte trotz aller Kunst des Friseurs nicht mehr vollkommen. Die über der scharfen und spitzen Nase strichartig aufgezogenen Augenbrauen und das schwarze Lippenbärtchen, dessen Zipfel dieselbe Richtung aufwärts nahmen, gaben dem bleichen, fast hageren Gesichte etwas Keckes, Gespanntes. Er trug eine Brille ohne Einfassung, und hatte die Gewohnheit, öfters mit gebücktem Kopfe über dieselbe hinweg zu sehen, wenn er einen entfernteren Gegenstand fixiren wollte.

Wenn er nicht sprach, schob er meist die Unterlippe ein wenig vor, wodurch Mund und Kinn einen übermüthigen Zug erhielten. Uebrigens galt er für einen vollendeten Cavalier. Gräwenstein behauptete in seiner derben Manier, sein Vetter Brendeln sei „der klügste Kerl“, der ihm im Leben vorgekommen sei. Er habe große Aussichten und müsse jedenfalls in das Ministerium. „Strebt auch nach Kräften,“ fügte er leiser hinzu, „ist immer der Meinung seines Präsidenten – aus Ueberzeugung natürlich. Muß Carrière machen. Es fehlt ihm nur noch eine gute Partie.“

[679] Den Damen des Hauses lauschte der Assessor sehr bald ihre kleinen Schwächen ab. Die Frau Consul überzeugte er, daß er der beste Freund ihres Sohnes gewesen sei. Mit Frau Selma Osterfeld schwärmte er gefühlvoll und entwickelte ihr die neuesten spiritistischen Probleme, für die sie sich halb gläubig interessirte. Bei Vera spöttelte er über dieselben Dinge. Er imponirte ihr durch seine Belesenheit und ließ noch weniger gelten als sie. Er hatte alle großen Gallerien gesehen und viele Ateliers berühmter Künstler besucht. Natürlich hatte er nun auch das beste Recht, über Kunst zu sprechen, gelegentlich auch zu witzeln. Vera nannte ihn einen sehr geistreichen Menschen, und damit war er es für die ganze Familie.

Helene schien Herr von Brendeln anfangs kaum zu beachten. Ein hübsches Mädchen – freilich! Aber doch nur etwas wie ein angenommenes Kind und dazu eine unglückliche Braut! Eine unglückliche, oder wie er sich selber ausdrückte: „verunglückte“ Braut war ihm eine sehr „peinliche“ Erscheinung. Er ging ihr gern aus dem Wege und begnügte sich, der Frau Consul und ihren Töchtern mit passenden Variationen über deren zarte Behandlung des armen Mädchens Elogen zu machen. Helene bemerkte wohl, daß er sich wenig um sie kümmerte, es kränkte sie aber durchaus nicht. Der Assessor war ihr recht unsympathisch, sie wußte selbst nicht warum. Sie dachte aber kaum einmal ernstlich darüber nach, so wenig interessant war er ihr.

Plötzlich änderte sich die Situation ganz auffallend. Herr von Brendeln schien nur noch für Helene Augen zu haben, mit Ungeduld ihr Eintreten zu erwarten, am Gespräch mit ihr das größte Vergnügen zu finden, ihren Rückzug aus der Gesellschaft als das Signal zu betrachten sich selbst möglichst bald zu empfehlen. Konnte er nicht neben ihr Platz nehmen, so stellte er sich hinter ihren Stuhl; durfte er sie nicht zu Tische führen, so wußte er’s doch geschickt so einzurichten, daß er ihr Nachbar links wurde oder ihr gegenüber zu sitzen kam. Das arme Mädchen müsse sich so verlassen fühlen, äußerte er sich zu der Frau Consul; es sei die Pflicht des Hausfreundes, sie mit besonderer Aufmerksamkeit zu behandeln. „Das bin ich schon meinem verewigten Freunde Robert schuldig,“ fügte er hinzu. über die Brillengläser hinweghimmelnd. Das rührte die gute Frau fast zu Thränen. Selma versicherte er, daß er eine besondere Passion für unglückliche Menschen habe und allemal sehr stark das Bedürfniß empfinde zu ihrer Aufrichtung nach Kräften beizutragen. Das fand sie sehr edelmüthig. Zu Vera sagte er:

„Wenn ich Sie so Arm in Arm mit meinem Vetter sehe – ich könnte neidisch werden. Aber meine Aussichten sind gering, einmal eines ähnlichen Glückes theilhaftig zu werden. Ich bin zu kritisch, und eine zweite Vera Berghen giebt’s nicht. So ist’s am besten, ich lasse das Suchen ganz, wenigstens so lange ich Sie immer vor Augen habe, und wähle den Umgang der einzigen jungen Dame aus der Schaar Ihrer Freundinnen, die sicher nicht gefunden sein will. Fräulein Helene ist nicht besonders geistreich, aber man unterhält sich gut mit ihr. Und von Zeit zu Zeit haben Sie ja glücklicher Weise immer noch eine Minute für mich.“ Das war zu schmeichelhaft, um nicht ganz nach Wunsch zu wirken.

Der Einzige, der den wahren Grund dieser Umwandlung kannte, war Herr von Gräwenstein. Er selbst hatte sie durch eine wichtige Mittheilung veranlaßt. Unter Brautleuten darf es bekanntlich keine Geheimnisse geben. Als unter ihnen einmal auf Helene die Rede gekommen war und der Hauptmann sie wegen ihrer unsicheren Lage bedauerte, hatte Vera ganz unbefangen ausgeplaudert, daß ihr Bruder sie in seinem Testamente zur Erbin eingesetzt habe. „Wenn man will,“ hatte sie gesagt, „ist Helene reich und dazu ganz unabhängig. Wenn sie Robert’s Antheil herausforderte, würde man ihn ihr nicht weigern können. Freilich denkt sie selbst sicher am wenigsten daran. Es war ja auch eine bloße Form, die Robert anwendete, Helene fest an unser Haus zu schließen und ihr darin eine berechtigte Stellung zu geben. Sie wird da zeitlebens gut aufgehoben und jeder Sorge entledigt sein. Helene ist ein gutes Mädchen und wird nicht vergessen, wem sie Dank schuldig ist.“

Der Hauptmann hatte so seine eigenen Gedanken darüber. Wenn er das früher gewußt hätte, vielleicht …. Er brauchte unter allen Umständen bald nach der Hochzeit eine nicht unerhebliche Summe baar, um sich mit seinen Gläubigern zu arrangiren, und Vera blieb von ihrer Mutter abhängig, die sich wieder hinter Osterfeld zurückziehen konnte. Nun war’s für ihn zu spät. Aber sein Vetter konnte vielleicht daraus Nutzen ziehen. Und wenn der schnell zum Ziele gelangte, hatte er ja freie Hand, auch seine Noth zu bedenken.

Er nahm daher Brendeln bei Seite und sagte zu ihm: „Du – ich weiß eine gute Partie für Dich.“ Brendeln zuckte die Achseln. „Nein, wahrhaftig, eine famose Partie. Aber man muß es geschickt anfangen.“ „Das wäre meine Sache,“ meinte der Assessor. Der Hauptmann lachte: „Nu – ein hübscher Kerl bist Du gerad’ nicht, und das spricht bei den Frauenzimmern denn doch immer mit.“ „Dummes Zeug,“ knurrte Brendeln, „Du hast mich zum Besten.“ – „Wahrhaftig nicht.“ – „Ist sie denn jung –?“ – „Kaum zwanzig.“ – „Hübsch –?“ – „Sehr hübsch.“ – „Und natürlich reich.“ – „Natürlich, sonst würde ich Dir gar nicht davon sprechen.“ – „Aber, zum Teufel! es ist doch ein Haken dabei?“ Der Hauptmann klopfte ihm die Backe. „Du liebe Vorsicht! An diesem Haken hängt nichts, was Dich sonderlich beschweren darf. Das Mädel ist schon einmal verlobt gewesen.“ – „Ah! Das thut nichts.“ – „Aber der Bräutigam ist gestorben.“ – „Um so besser.“ – „Wer weiß? Die Braut hat die ernstliche Absicht, ihm treu zu bleiben.“ Der Assessor lächelte. „Von wem sprichst Du denn?“ Nun wurde der Schleier gelüftet. Herr von Brendeln war sehr überrascht, wußte sich aber bald zu fassen. „Das ist mir aufrichtig lieb zu hören,“ sagte er. „Ich habe für das schöne und liebenswürdige Mädchen längst eine tiefere Neigung gefaßt. Es wäre früher Thorheit geweden, sich ihr gefangen zu geben; jetzt hat’s weiter keine Gefahr.“

Seitdem also hatte Helene sich seines ausgezeichneten Wohlwollens zu erfreuen. Sie war ganz ahnungslos und legte deshalb auch seiner plötzlichen Annäherung kein anderes Motiv unter, als daß er sich erinnere, einer so nahen Angehörigen des Hauses Rücksicht schuldig zu sein.

Er fing es sehr geschickt an, sich in ihr Vertrauen zu bringen und sie zugleich auszuforschen. Immer wußte er dem Gespräch eine Wendung zu geben, die darauf hinleitete. „Es steht geschrieben,“ äußerte er sich ein andermal, „seid fröhlich mit den Fröhlichen und traurig mit den Traurigen, oder so ähnlich. Die Vorschrift ist nicht sonderlich schwer zu erfüllen. Denn echte Fröhlichkeit steckt an, wie echte Trauer. Sehe ich einen herzlich lachen, so verziehen sich unwillkürlich auch meine Lachmuskeln; sehe ich einen schmerzlich weinen, so fließt mir das Wasser in’s Auge, er mag mich sonst so wenig angehen, als er will. Aber es giebt eine conventionelle Fröhlichkeit und eine conventionelle Traurigkeit sich dazu angemessen zu stellen, ist oft eine sehr peinliche Zummuthung.“

„Das habe ich tausendfach empfunden,“ bestätigte Helene. „Wir haben eigentlich gar kein Recht, Andere daran zu erinnern, daß uns einmal etwas recht Trauriges begegnet ist, sobald wir selbst uns nicht mehr vom Verkehr mit den Menschen ausgeschlossen fühlen. Ich thu’s ungern.“

„Der Sitte muß man sich fügen,“ meinte er. „Aber es empfiehlt sich, da auf den Tag pünktlich zu sein, weil die kleinste Zugabe schon eigentlich jede Grenze aufhebt. Es ist ja eben nur von der Form die Rede, nicht von dem Wesen der Sache. Sie wissen, mein Fräulein, daß ja selbst die Farbe der Trauer rein conventionell ist.“

Sie stimmte so willig zu, daß es ihm unmöglich entgehen konnte, wie in ihrem Gemüth das Pflänzchen Unmuth schon ganz strebsam gekeimt hatte.

„Ich würde es sehr bedauern,“ fuhr er fort, „wenn Sie sich die schönsten Lebensjahre verkümmerten. Ich denke, wir haben gar kein Recht, der Welt zu entsagen, die ja ihre Ansprüche an uns keineswegs aufgiebt. Es mag das schlaffen und sentimentalen Naturen eine Erleichterung erscheinen; sie verlieren immer sogleich sich selbst. Wer sich aber gesund fühlt, wird allemal fragen, was er Anderen sein kann; und mit zwanzig Jahren, liebenswürdig, schön –“

Nun sah sie erschreckt auf. „Herr Assessor –“

„Ich sage nur die Wahrheit,“ versicherte er, „und zu welchem Zweck? Um Ihnen zu beweisen, daß wir Gott unser Leben schuldig sind, unser ganzes Leben. Wie kommen wir dazu, abschließen zu wollen, bevor er abschließt?“

Dergleichen Reden beunruhigten sie nicht wenig. Herr von Brendeln wurde ihr durch dieselben kaum vertrauter – so ernst er sprach, der ganze Mensch hatte etwas in seinem Wesen, das dazu nicht recht zu stimmen schien – aber da die Saite, die er [680] berührte, immer gleich einen Ton gab, der ihr wohlgefällig klang, konnte sie sich ihm doch nicht entziehen. Im Gegentheil empfand sie ein ängstliches Behagen, wenn er sie über die Brillengläser hinweg in’s Auge faßte und nun auf sie zuging, um sie in’s Gespräch zu verwickeln. Er beschäftigte sich doch mit ihr, er hielt sie nicht für abgestorben, und sie nahm sich stets zusammen, vor ihm ihre frischesten Lebensgeister spielen zu lassen.

Es war ihr eine stille Genugthuung, sich irgendwie oppositionell verhalten zu können. Diese Seitensprünge waren freilich sehr harmloser Natur. Sie malte Blumen, und wählte nun mit Vorliebe immer die heitersten Farbenzusammenstellungen. Das Roth und Gelb schien ihrem Auge besonders angenehm zu sein. Vera sagte einmal: „Aber der Strauß brennt ja!“ Sie spielte Clavier, aber nicht mehr seriöse Stücke und schwermüthige Melodien, sondern Compositionen von hellster Klangfarbe und raschem Tempo, womöglich Tanzrhythmen, wenn auch nicht Tänze. Und eines Abends, als viel junges Volk versammelt war und die Unterhaltung lahm wurde, setzte sie sich an den Flügel und lockte wirklich zum Tanz, der nun rasch in Gang kam, da Herr von Gräwenstein seine Braut umfaßte und mit ihr durch den Saal wirbelte. Die Frau Consul schaute etwas verwundert drein, that aber doch nicht Einhalt. Nur als Helene auf den Walzer gleich eine Polka folgen ließ, trat sie an’s Clavier und sagte: „Willst Du nicht lieber einen Andern spielen lassen, Lenchen? Du muthest Dir viel zu.“ Das Mädchen schüttelte den Kopf. „Ich bin gern nützlich, und es erfreut mich selbst.“

Herr von Brendeln tanzte nicht. Eine Weile stand er in einer Ecke des Saals, mit gekreuzten Armen, und blickte zu der schönen Spielerin hinüber. Sie bemerkte ihn wohl und griff jedesmal eine falsche Taste, wenn sie über das Blatt hin sich überzeugen wollte, ob er seinen Platz noch nicht verändert habe. Dann wurde er dreister, trat an’s Instrument, lehnte sich an dasselbe und schaute ihr zu. „Bravo, bravo!“ zischelte er.

Sie wurde gluthroth.

„Warum tanzen Sie nicht?“ fragte sie.

„Weil Sie spielen,“ antwortete er.

„Hören Sie das ungern?“

„Im Gegentheil – es elektrisirt mich.“

„Das merke ich eben nicht.“

„Weil ich nicht hüpfe wie die Püppchen auf der Scheibe unter der Glasglocke? Auf mich wirkt gerade diese Musik anders. Ich komme von dem Gedanken nicht los, daß gerade Sie es sind, die zum Tanz aufspielt. Das bannt mich an die Stelle.“

„So finden Sie’s doch ungehörig –“

„Sie wollen mich nicht verstehen, mein Fräulein. Diese Tanzmusik reizt mich nicht zum Tanz, weil sie mir viel mehr ist als das: ein erfreuliches Zeugniß der Heiterkeit Ihres Gemüths, das mir zu viel Werth hat, als daß ich es in so banaler Weise für mich ausnutzen möchte. Und ich denke mir auch, ein ruhender Punkt muß Ihrer Empfindung genehm sein.“

„Er verstreut mich nur. Tanzen Sie doch!“

„Mit Ihnen, Fräulein, wenn Sie einen Andern spielen lassen wollen.“

„O … ich tanze nicht.“

„Heute oder morgen –“

„Nie mehr.“

„Daran glaube ich nicht. Ich bin so dreist, mich zu verschwören, selbst nicht wieder zu tanzen, bis ich von Ihnen eine Zusage erhalte.“

In diesem Augenblick stockte der Tanz und die jungen Herren und Damen brachen in ein helles Lachen aus. „Aber wie spielst Du?“ rief Vera. „Es ist ja keine Spur von Tact mehr in Deiner Polka. Jeder versucht’s auf seine Weise damit zurechtzukommen, und dabei laufen wir einander über.“

„Daran haben Sie Schuld, Herr von Brendeln,“ sagte Helene ein wenig geärgert. „Ich kann nicht zugleich auf das Spiel und auf die Unterhaltung aufmerksam sein. Es wäre wirklich gut, Sie tanzten auch.“ Sie begann wieder den Walzer und sah fest auf’s Notenblatt. Der Assessor zog sich zurück und nahm wieder in der Ecke gegenüber Stellung. Auch jetzt aber fehlte viel, daß die Musik recht tactmäßig klang. Helene setzte sie auch nur noch eine Weile fort, dann stand sie auf und zog sich bald aus der Gesellschaft ganz zurück.




5.

An einem der folgenden Tage, als Helene sich, wie nun fast immer, allein auf dem Kirchhofe befand und auf dem Bänkchen an Robert’s Grabe in einem mitgenommenen Buche las, bemerkte sie, daß sich Jemand dem Gitter näherte. Sie glaubte anfangs, der Todtengräber mache sich an den Gräbern etwas zu schaffen, da aber die Person stehen blieb, blickte sie doch auf und sah nun zu ihrer Ueberraschung Herrn von Brendeln vor sich. Die Schreckwirkung war unverkennbar. Sie mußte sich wohl so deutlich auf ihrem Gesichte aussprechen, daß er, während er lächelnd den Hut zog, wie zur Entschuldigung seiner Anwesenheit sagte: „Ich hatte keine Ahnung, Sie zu treffen, bestes Fräulein. Es ist sonst nicht meine Gewohnheit auf Kirchhöfen spazieren zu gehen, und ich kam auch heute nur aus einer Art von geschäftlicher Veranlassung her. Ein Freund schrieb mir kürzlich, daß einer seiner Vorfahren hier beerdigt sein solle, für den er sich aus besonderen Gründen interessirte, und bat mich, gelegentlich einmal nachzuforschen, ob sich die Stelle noch ermitteln lasse. So wanderte ich nun durch die Reihe der Gräber und traf auf dieses Gitter, die junge Dame fesselte meinen Schritt, und ich wagte nicht mich bemerkbar zu machen, da ich sie in ein Buch vertieft fand. Nun bin ich ertappt.“

Helene war aufgestanden. Sie sah, während er sprach, seitwärts nach dem Monument und schien die Aufschrift zu lesen. Kein Besuch an dieser Stelle konnte ihr unlieber sein als dieser. Sie fühlte das, wenn sie sich auch nicht nach dem Grunde fragen mochte. Der erste wildaufschießende Gedanke war gewesen: das ist unverschämt! Sie war überzeugt, er habe sie hier aufgesucht. Sie erwartete, wenn sie schwieg, werde er sich sogleich wieder entfernen, da das nicht geschah, fragte sie sehr kühl: „Und haben Sie nun gefunden, was Sie suchten?“

„Wenn Sie das alte Grab meinen, nein,“ antwortete er, mit den beiden Händen die Eisenstäbe festhaltend, die er gefaßt hatte. „Weiß Gott, wo der alte Herr zur letzten Ruhe eingegangen ist. Es sind da zu viele Steine und Kreuze mit verwischten Aufschriften. Man würde Tage brauchen, um mit Zuversicht aussprechen zu können, der Name stehe darauf oder nicht. Ich weiß nicht, ob meine Geduld langmüthig genug sein wird.“

„Sollte das Kirchenbuch nicht die beste Auskunft geben können?“ fragte sie wieder nach einer Pause.

„Wohl möglich,“ sagte er leichthin, und fuhr dann fort: „Uebrigens ist eine solche Wanderung über eine Gräberstätte doch recht lehrreich. Man erfährt dabei unter anderen sehr nachdenklichen Dingen, wie rasch der Mensch vergessen wird, wenn er die Augen geschlossen hat, und begreift, daß Bescheidenheit, wenn nicht eine Tugend, doch eine beachtenswerthe Klugheitsregel ist; die allermeisten dieser in die Erde eingesunkenen, mit Gras bewachsenen Steinplatten und vom Regen entfärbten Kreuze sind verhältnißmäßig sehr jung. Auf ein halbes Jahrhundert haben es die wenigsten gebracht. Wahrlich, das Leben ist kurz, aber noch viel kürzer ist das Gelebthaben. Man thäte klug, sich’s zu verbitten, so undauerhaft conservirt zu werden.“

„Sie machen da den Menschen den schweren Vorwurf der Lieblosigkeit gegen ihre Todten,“ bemerkte Helene, selbst im Ton des Vorwurfs.

„Er ist durchaus nicht beabsichtigt,“ entgegnete der Assessor, „durchaus nicht. Das Lebende hat Recht! Es ist nur natürlich, daß die Gräber verfallen. Was thut denn am Ende auch der Durchschnittsmensch, das auf dauernde Erinnerung Anspruch hätte? Man sollte sich hüten, ihn nach seinem Hingange künstlich auszuzeichnen. Wer ihm ein liebendes Andenken bewahrt, braucht keine Gedächtnißtafel, und für jeden Anderen ist sie doch leer, was auch darauf geschrieben stehen mag.“

Dem hätte Helene zustimmen können. Aber daß er ihr’s gerade an diesem Orte sagte, machte sie scheu. Sie fand das unzart und wollte es ihn merken lassen. Deshalb entgegnete sie nichts, sondern nahm das Buch auf und öffnete die Gitterthür.

„Sie wollen fort?“ fragte er.

Sie schloß die Thür ab. „Es ist wohl schon spät.“

„Hoffentlich vertreibe ich Sie nicht?“

„O–h!“

„Sie erlauben, daß ich Ihnen bis zum Wagen das Geleit gebe –“

„Bemühen Sie sich meinetwegen nicht, Herr Assessor.“

[681] 

Des Tigers Beute.
Originalzeichnung von F. Specht.

[682] „Wenn ich Ihnen nur nicht lästig falle!“ Er schloß sich ihr an. „Darf ich Ihnen den Shawl tragen – oder das Buch?“

„Die Gegenstände beschweren mich nicht.“

„Aber wenn man sich gern nützlich beweisen möchte! Ein Gebetbuch?“

Helene erröthete über das ganze Gesicht. „Nein!“ sagte sie in heftigem Ton.

Er lächelte. „Ich hätte meine Frage anders fassen sollen: doch nicht ein Gebetbuch?“

„Nein, nein!“ fiel sie nun fast ängstlich ein. „Ihre Voraussetzung war gewiß sehr gerechtfertigt: Der Platz eignete sich nicht –“

„Aber, mein bestes Fräulein,“ unterbrach er, „was für Ansichten wollen Sie mir da aufbürden? Braucht man zum Leben überhaupt ein Gebetbuch? Braucht man dazu eine bekannte Stelle? Oder glauben Sie sich in meinen Augen zu versündigen, wenn Sie das reizend schattige Plätzchen eines Friedhofes benutzen, um in idyllischer Zurückgezogenheit einen interessanten Roman –“

„Es ist kein Roman – gewiß nicht,“ versicherte sie lebhaft abwehrend.

Er warf einen Seitenblick auf das Buch. „Goldschnitt! Also wirklich kein Roman. Gut! es ist mir gleich. Eine Sammlung von schönen Gedichten, nicht wahr? Etwas für’s Herz. Vortrefflich! Für stimmungsvolle Verse ist das umgitterte Plätzchen unter der Linde ganz wie geschaffen. Wenn ich nicht irre, schlug vorhin auch eine Nachtigall in der Nähe. Poesie – das ist Gebet. Sie erhebt die weltmüde Seele zu allem Höchsten, sie idealisirt das Leben, sie macht uns gut und fromm, sie heiligt unser Fühlen und Denken. Womit besser können wir uns an dem Grabe eines theuren Verstorbenen beschäftigen?“

„Mit Gedanken an ihn,“ sagte sie rasch, aber leise.

Er blinzelte über die Brille hin. „Mein theures Fräulein, beschweren Sie sich doch nicht mit Vorwürfen, die Sie am wenigsten zu verdienen glauben können. Was verlangen wir denn von uns? Man kann nicht Jahre lang Tag für Tag in der Stimmung sein, Gedanken zu erneuern, die sich naturgemäß sehr bald erschöpfen müssen. Wohin man täglich geht, dahin trägt man auch sein tägliches Empfinden. Soll unser Gefühl nicht vollends verflachen, so müssen wir ihm ein geistiges Element zutragen. Was kann man Löblicheres thun, als sich an dem Orte, der eine ernste Bedeutung hat, mit den Gedanken erfüllen, die der Dichter in den feierlichsten Stunden seines Lebens dauernd schön geformt hat?“

Wieder sprach er nur aus, was sie selbst gedacht hatte. Aber es war ihr peinlich, daß er’s aussprach. Sie hatte, wie auch sonst schon mitunter, das Gefühl, daß er gewaltsam einen Zugang zu ihrem Innersten zu erzwingen bemüht sei. Und es war ihr, als ob sie sich um so ängstlicher verschließen müßte. Sie beschleunigte ihre Schritte.

Beim Einsteigen in den Wagen war er ihr behülflich. Konnte sie sich getäuscht haben? Nein, er hatte ihr die Hand gedrückt.

(Fortsetzung folgt.)




Aus dem dreieinigen Königreich.

Ein Beitrag zum Verständnis der kroatischen Wappenfrage.
Von Ferdinand Schifkorn.

Kroatien als Bezeichnung eines bestimmten Landgebietes gehört zu jenen geographischen „Begriffen“, welche dem Nichtösterreicher von der Schulzeit her als dunkle Punkte im Gedächtnisse haften, für deren spätere Klärung sich jedoch höchst selten Gelegenheit ergiebt.

Die breite Heerstraße der Touristen führt eben nur in die pittoresken Alpenländer Oesterreichs, um von dem großen Ausgangspunkte, der lebensfrohen Residenz, über Triest auf glatter Eisenspur oder sonniger Meeresfläche den alten germanischen Herzenszug nach dem Süden zu befriedigen; selbst ein gelegentlicher Abstecher nach Fiume, der aufstrebenden Rivalin Triests und Venedigs, erinnert nur insofern an die Existenz des „Königreiches Kroatien“, als man erfährt, daß die stets begehrlichen Magyaren auch dieses Kleinod mit eiserner Reiterfaust festhalten, ohne sich den Besitz durch rechtliche Scrupel oder liebevolle Rücksichten für die „kroatischen Brüder“ verkümmern zu lassen.

Als nun vor wenigen Wochen der elekrische Funke uns aus jenem Lande die Nachricht von plötzlich ausgebrochenen Unruhen brachte, da fehlte wohl den meisten deutschen Lesern das Verständniß für die Bedeutung und Tragweite jener Vorgänge. Warum hat denn die Anbringung eines Wappenschildes mit magyarisch-kroatischer Umschrift an dem Finanzgebäude zu Agram einen solchen Sturm entfesselt? Warum behandelte man die Revoltirenden mit einer für unsere Begriffe von staatlicher Ordnung so zarten Nachsicht? Das waren Fragen, die auf den Lippen Vieler schwebten und zum größten Theil unbeantwortet blieben.

Nur ein Blick in die Geschichte des Landes löst den Schleier dieses Geheimnisses, und diese Geschichte läßt sich zum Theil an der Hand der kroatischen Wappen erkären.

Sehen wir uns zuerst das nebenstehende an! Es ist das alte Wappen des dreieinigen Königreichs Kroatien, Slavonien und Dalmatien mit der kroatischen König Zwonimir-Krone. Es weckt in uns Erinnerungen an längst vergangene Zeiten, in denen jenes Land eine nicht unbedeutende und blühende Macht bildete. Und diese Blüthe hatte es nur der deutschen Schirmherrschaft zu verdanken!

In den ersten Jahrhunderten der neueren Geschichte bildete Kroatien eine öde Wildniß, denn sengende und plündernde Avarenhaufen hatten in ihm nach barbarischer Sitte gehaust. Als sie aber ihre Raubzüge bis nach Thüringen ausgedehnt hatten, da zog der Frankenkönig Karl der Große gegen dieselben zu Felde, nicht aus Eroberungsgier, sondern um die Grenzen seines Reiches zu schützen. 796 wurde das wilde Asiatenvolk auf’s Haupt geschlagen und Kroatien als südöstliche Grenzmark dem deutschen Reiche angefügt. Da wurden Ruhe und Ordnung in dem verödeten Lande durch kaiserliche Beamte hergestellt, stammverwandte Ansiedler wanderten von dem benachbarten Dalmatien ein, bis die Eingeborenen allmählich zur Macht gelangten und ihre Herrscher als selbstständige kroatische Herzöge auftreten durften.

Schon im Jahre 888 konnten sie als Schutzherren dalmatinischer Seestädte Venedig Trotz bieten, und ihre Herrschaft wuchs beständig, bis mit dem kroatischen Wappen, welches ein roth-weißes Schachfeld zeigte, auch die drei goldenen Leopardenköpfe des dalmatinischen Wappens und dasjenige von Slavonien vereinigt wurden. Schon um das Jahr 970 nahm der kroatische Fürst Dirzislaw den königlichen Titel an und sein Nachfolger Zwonimir wurde auch als solcher anerkannt.

Aber seine Krone sollte nicht lange das kroatische Wappen schmücken, schon gegen das Ende des elften Jahrhunderts mußte sie einer andern weichen, der ungarischen Stephans-Krone, welche auf dem zweiten von uns abgebildeten Wappen zu sehen ist. Seit jener Zeit begann die lange Leidensperiode des kroatischen Volkes, deren Folgen, wie die neusten Vorfälle zeigen, bis heute nicht verwunden sind. Kroatien wechselte seine Herrscher, bald waren es Ungarn, bald Venetianer oder Türken, welche sich als Herren und Gebieter des Landes benahmen und trotz der Fruchtbarkeit desselben keinen Wohlstand aufkommen ließen.

Das Geschick der kroatischen Nation erfuhr auch unter österreichischer Herrschaft (seit 1797) keine nennenswerthe Veränderung, denn auf Wunsch magyarischer Magnaten wurde Kroatien mit dem Gebiet der Stephans-Krone vereinigt. Eine Ausnahme hiervon bildete die sogenannte Militärgrenze, deren allmähliche Organisation in den Zeitraum von 1741 bis 1766 fällt, die sich vom adriatischen Meere bis Orsova erstreckte und, in neunzehn Regimentsbezirke eingetheilt, unter militärischer Verwaltung stand.

So blieb es bis 1848, in welchem Jahre die lange unterdrückte Erbitterung gegen die magyarische Herrschaft im ganzen Lande in hellen Flammen emporloderte. Es ist genugsam bekannt, welche Gräuel leidenschaftlicher Nationalhaß und rachsüchtige Erbitterung auf beiden Seiten in den nachfolgenden Wirren herbeiführten, ebenso, welchen bedeutenden Einfluß die militärisch organisirten [683] Truppen der Kroaten und Serben unter der Leitung des Banus und seither viel gefeierten Nationalhelden Jellacie auf die Wendung der magyarischen Erhebung 1848 bis 1849 ausübte. In Folge dieses Einfusses wurde Kroatien und Slavonien abermals von Ungarn losgelöst und unter dem alten, durch das kurze Regime Napoleon’s (1809 bis 1815) neu belebten Titel eines Königreiches Illyrien als besonderes Kronland verwaltet.

Das October-Diplom 1860 machte jedoch dieser Errungenschaft ein rasches Ende, indem es die alten politischen Verhältnisse wieder herstellte; durch den Ausgleich vom Jahre 1867 endlich wurde Kroatien und Slavonien innerhalb des Verbandes mit Ungarn ein gewisser Grad von Selbstständigkeit durch eine nationale, politische wie administrative Verwaltung zugestanden, doch bildet eine ganze Reihe von Beschwerden über Auslegung und praktische Ausführung dieser Zugeständnisse von Seite der magyarischen Regierung einen Hauptgrund des fortdauernden Zertwürfnisses zwischen beiden Nationen. Als Repräsentant dieser Zeit möge das nebenstehende Wappen dienen, welches auf den meisten Aemtern angebracht ist und in den letzten Wochen eine so wichtige Rolle spielte.

Ein so verschiedenes, wechselreiches Geschick der einzelnen Theile des dreieinigen Königreiches, wie es schon aus diesem kurzen geschichtlichen Abriß ersichtlich ist, konnte selbstverständlich nicht ohne nachhaltige Wirkung auf Land und Leute bleiben, zumal ersteres, theils durch seine Bodenbeschaffenheit, theils durch die Nähe des Meeres, schon an und für sich der verschiedenartigsten Entwicklung physischer und geistiger Thätigkeit Vorschub leistete. Abgesehen von der italienischen Bevölkerung der dalmatinischen Seestädte, sowie von der deutschen oder deutschgebildeten Agrams, ist der culturelle Unterschied zwischen der betriebsamen slavischen Küstenbevölkerung und den halbwilden Bergstämmen der Bocchesen und Crivoscianer, oder zwischen der militärisch strammen, wohlhabenden Bevölkerung der fruchtbaren Grenzdistricte und den armen verkommenen Bauern Zagoriens in der That ein so bedeutender, daß auch die Antipathie so verschiedenartiger Volkselemente, wie sie ungeachtet der gemeinschaftlichen nationalen Abstammung mehrfach zu Tage trat, begreiflich erscheint.

Dalmatien ist als der berühmteste und zugänglichste Theil Altkroatiens auch der bekannteste. Die reizend gelegenen Inseln Lusina, Curzola, Lissa, nach welcher der denkwürdige Sieg des österreichischen Seehelden Wilhelm von Tegetthoff am 20. Juli 1866 benannt wurde, und das blühende Lacroma, seit dem unglücklichen Ende seines Besitzers, des Kaisers Maximilian von Mexico, wieder vergessen in der Einsamkeit des Meeres; die Städte Zara, das alte Jadera, dessen Schiffer der Sage nach unter Cäsar gegen Pompejus kämpften; Spalato mit seinem Diocletian-Palaste und den merkwürdigen Ruinen des alten Salona, mit seinen nationalen Erinnerungen an Zwonimir, welcher in der Peterskirche zum König von Kroatien und Dalmatien gekrönt wurde; Ragusa, einst das südslavische Athen; endlich das unvergleichlich schön gelegene Cattaro – wer kennt sie nicht, sei es aus eigener Anschauung, sei es durch Beschreibungen und Abbildungen, welche die Reize der Natur wie die Kunstschätze seiner Vergangenheit preisen?

Weit weniger besucht und bekannt ist das Innere des Landes, welches mit seinen steil aufragenden Felsenbergen, so schön deren pittoreske Formen sich aus der Ferne vom azurblauen Himmel abheben, den Touristen um so weniger verlockt, als die denkbar schlechtesten Wege in die spärlichen Oasen der wilden Felsenwüste führen, und selbst in diesen die Bewirthung der gastfreien Morlaken wie deren Betten noch von keiner civilisirten Zunge gepriesen wurden.

Man sagt, daß die staatsklugen Venetianer während ihrer langen Herrschaft über Dalmatien den heerlichen Wälderschmuck seiner Berge, welcher ihrer Flotte zu statten kam, absichtlich ohne jede Schonung und Vorsicht mit Stumpf und Stiel ausrotteten, um durch die Verarmung des Landes dessen Unterthänigkeit zu sichern. Wenn es so ist, so gelang das Vorhaben nur zu vollkommen. Armuth und in Folge dieser Unwissenheit im weitesten Sinne des Wortes herrschen unter diesem Bergvolke, trotz aller seitherigen civilisatorischen Bemühungen der österreichischen Regiernug und trotz dessen unleugbarer hoher Naturbegabung.

Die Morlaken oder Illyrier, wie sich die dalmatinischen Slaven zum Unterschiede von ihren kroatischen Brüdern gern nennen, sind ein hochgewachsener, kräftiger, schöner Menschenschlag, namentlich in Bezug auf das männliche Geschlecht, da die Frauen, wenn auch in früher Jugend schön, durch vorzeitigen Kindersegen und harte Arbeit schon in der Blüthe der Jahre verwelkt und häßlich erscheinen. Nationalhaupteigenschaft ist kriegerische Tapferkeit, welche, von Geschlecht zu Geschlecht vererbt, durch den Gebrauch der Waffen vom zartesten Alter an genährt, jeden Einzelnen zum schlagfertigen Vertheidiger seiner Heimath wie seiner wirklichen oder vermeintlichen Rechte, aber freilich auch zum gefährlichen Nachbar macht.

Auch im Verkehre unter sich wie mit Fremden wissen diese rauhen, unwissenden Söhne der Wildniß eine Art patriarchalische Höflichkeit, vereint mit stolzem Selbstbewußtsein, zu bewahren, welche an diesen prächtigen Männer- und Greisengestalten geradezu bestechend wirkt; doch gehen slavophile Federn wohl zu weit, wenn sie dieses Benehmen als einen Beweis überlegener, gleichsam natüriicher Cultur im Hinblick auf andere Nationen betonen. Die dalmatinischen Bergbewohner haben diese Würde in Sprache, Haltung und Geberde eben mit den benachbarten Orientalen und vielen noch wilderen Völkern gemein, deren „überlegene“ Cultur noch Niemand zu rühmen wagte.

Daß unter der würdevollen Hülle eine ganz unbändige Wildheit verborgen liegt, bewiesen die Crivoscianer im Jahre 1869 durch ihr Verhalten gegen wehrlose Gefangene zur Genüge, aber auch an ihrer übergroßen Veranlagung zum Culturvolke wird man so lange zweifeln dürfen, als das tapfere Bergvolk bürgerliche wie bäuerliche Arbeit als den freien, wehrhaften Mann entehrend betrachtet.

Der dalmatinische Landmann arbeitet thatsächlich nur, wenn ihn die Noth dazu zwingt, sonst überläßt er die Sorge um Haus, Vieh oder Feld den Weibern, um als freier Mann die Berge zu durchstreifen, oder träumerisch hingestreckt seine Pfeife zu rauchen, am liebsten aber um bei kreisendem Becher dem von der Gusla (zweisaitiges Instrument) begleiteten Vortrage eines Helden- oder Liebesliedes zu lauschen.

Die städtische Bevölkerung Dalmatiens gehörte in ihren gebildeten Schichten noch vor wenigen Jahrzehnten ausschließlich zur italienischen Nation, in deren Händen sich daher auch die politische wie administrative Verwaltung des Landes befand. Nur in Ragusa hatte sich neben der italienischen auch slavische Bildung geltend gemacht, und wurde daselbst vor hundert Jahren (1783) das erste slavische Buch im Lande gedruckt.

Seither haben sich die Verhältnisse wesentlich verändert. Mit dem Jahre 1848 war der nationale Volksgeist erwacht, zahlreiche slavische Unterrichtsanstalten unterstützten das Streben nach Bildung, Schritt um Schritt wurde das italienische Element aus seiner dominirenden Stellung getrennt, und heute ist die slavische Nationalpartei durch den Besitz der Landtagsmajorität factisch Herrin im Lande, daher sich die früheren Herren grollend in’s Privatleben zurückziehen, wenn sie es nicht vorziehen, der Heimath ihrer Väter für immer den Rücken zu kehren.

Unmittelbar aus den dalmatinischen Bergen in das Innere Kroatiens oder Slavoniens sich versetzend, erkennt man so recht deutlich die nachhaltige Einwirkung des Verwaltungssystems auf den Charakter des Volkes. Dort wie hier hatte man Jahrhunderte hindurch unter der Kriegsfurie und wechselnder Herrschermacht zu leiden, dort wie hier wurde das kroatische Volk Fremden unterthan, Armuth und Unwissenheit waren dort wie hier die natürliche Folge; während sich aber unter der italienischen Vormundschaft, welche zwar nicht förderte, doch auch nicht unterdrückte, ein freier, lebensfroher Sinn im Volke erhielt, dessen bildungreife Elemente unter der deutsch-liberalen Regierung eine überraschend lebenskräftige Entwickelung bethätigen, schuf das magyarisch-aristokratische Comitatssystem jene unterthänige Bauernschaft, welche, seufzend unter dem dreifachen Drucke der Arbeit, Steuerlast und Willkür, ihre natürlichen Anlagen nur zu jener Schlauheit und Verstellungskunst benützt, womit sie den kochenden Zorn unter der Maske resignirter Demuth verbirgt.

Sollte auch nur der zehnte Theil der haarsträubenden Details auf Wahrheit beruhen, wie sie namentlich über die landesübliche Steuereintreibung verlauten, das Elend des Volkes und dessen verzweifelte Wuthausbrüche wären damit hinlänglich motiviert.

Abgesehen davon, daß die Steuern überhaupt ganz willkürlich bemessen werden, sollen noch viele Bauern durch wiederholte [684] Eintreibung schon bezahlter Steuern, Andere wegen rückständiger Beträge von wenigen Kreuzern um Haus und Hof gekommen und selbst das von der Regierung an die Verarmten gespendete Aussaatgetreide von den Steuer-Executoren sofort wieder mit Beschlag belegt worden sein.

Uneingeweihten mag es befremdend erscheinen, daß in einem verhältnißmäßig freien, constitutionell regierten Staate Aehnliches auch nur ausnahmsweise vorkommen kann. Abgesehen von dem berüchtigten Tisza-Eszlarer Proceß, welcher die constitutionelle Praxis magyarischer Comitatswirtschaft vor aller Welt bloßlegte, muß man sich vergegenwärtigen, daß, während die nationale Partei für die Erziehung der wohlhabenden Jugend in höheren Bildungsanstalten reichlich sorgte, während beispielsweise in Agram eine Akademie und in neuester Zeit sogar eine kroatische Universität[1] errichtet wurde, das Volksschulwesen nach wie vor vernachlässigt blieb, unter der ländlichen Bevölkerung Lese- und Schreibkundige zu den Ausnahmen gehören, und selbst diese die höhere Schriftsprache nur in den seltensten Fällen verstehen.

Erwägt man weiter, daß in Folge dessen der sogenannte Dorfnotär (Gemeindeschreiber) mit dem Gemeindevorsteher die Intelligenz des Dorfes vertritt, Gesetze erläutert und auslegt, die Gemeindesteuer bemißt etc., daß diese Beiden aber schon im eignen Interesse Hand in Hand mit den aristokratischen Gutsbesitzern und Comitatsbeamten gehen, so können die Klagen über Corruption und Willkür kaum mehr Wunder nehmen.

Das ist es, was dem Landeskundigen den sonst so freundlichen Anblick verleidet, welchen der reiche Wechsel von waldumrauschten oder rebengeschmückten Hügeln und üppig grünen Niederungen, stattlichen Herrengütern und zwischen Pflaumenbäumen hervorlugenden Dörfern für den Reisenden bietet; das ist es, was ihn erleichtert aufathmen läßt, wenn ihn sein Weg in das nicht minder wechselreiche Gebiet der ehemaligen Militärgrenzbezirke führt.

Im Westen mitunter rauhes Bergland, gegen Osten dagegen milde, fruchtbare Tiefebene, zeigt das langgestreckte Gebiet eine Gleichheit des Volkscharakters, wie sie eben nur durch eine nahezu zweihundertjährige militärische Erziehung erreichbar ist. Es ist wahr, daß der Grenzer keine Ahnung von der demokratischen Freiheit eines Schweizer Bürgers hatte, doch wußte er auch nichts von dem Drucke feudaler Adelsherrschaft. Die Militärgesetze waren streng, aber vor diesen waren Alle gleich; ja, der Sohn des gemeinen Soldaten konnte so gut Officier werden – wollte und konnte er lernen – wie der Sohn des Obersten; Lesen, Schreiben und Rechnen mußte aber Jeder lernen, wollte oder wollte er nicht. Endlich forderte man von ihm Gehorsam, nicht Unterwürfigkeit, Offenheit, nicht lügenhafte Demuth.


Otto Devrient.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.


Dies Alles machte allerdings noch keine Culturnation, höhere Ziele blieben dem Soldatenvolke verschlossen, doch schuf es eine treffliche Basis für die Zukunft, zog ein kräftiges, mannhaftes Geschlecht heran, das trotz Demuth und Arbeitslast den Kopf hoch trägt und keinen Herrn fürchtet; wenn aber ein an Disciplin und strenges Gesetz so sehr gewöhntes Volk dennoch revoltirt, wie dies als Nachspiel des Agramer Wappentumultes thatsächlich geschah, so beweist dies nur, wie schmerzlich es schon jetzt die Segnungen constitutioneller Comitatswirthschaft zu fühlen beginnt, und wie rasch der Sinn für Gesetzlichkeit durch deren Nichtachtung von oben herab erschüttert werden kann. Auch der Umstand, daß sich die Bewegung hier wie im ganzen Lande direct gegen die Magyaren oder deren Anhänger richtete, obschon die ganze Verwaltung in den Händen kroatischer Beamten ruht, läßt sich keineswegs durch den Anlaß der Wappenfrage, sondern nur durch die Nachwehen der vormärzlichen Verhältnisse erklären.

Damals waren die Magyaren thatsächlich die Herren im Lande, und wer immer von den eingeborenen Adeligen die fast königlichen Vorrechte magyarischer Gutsbesitzer mitgenießen wollte, mußte Magyare werden mit Leib und Seele, Weib und Kind. In welchem Grade diese Entnationalisirung stattfand, zeigt das drastische Beispiel von vierzehn Ortschaften in dem zwischen Agram und Sisseg gelegenen Bezirke Toropelye, deren slavische, jedoch geadelte Bewohner 1848 die Sache der Magyaren gegen ihre Landsleute verfochten. Doch die gewaltige Fluth der nationalen Volkserhebung war unbezwinglich und den vereinzelten Edelleuten blieb keine Wahl, als sich derselben so rasch als möglich anzuschließen; sie wurden wieder gute Kroaten und kämpften mit dem Volke, nach wieder hergestellter Ruhe aber spielten sie mit ihren alten Verbündeten in Comitat und Gemeinde die Herren so meisterhaft wie ehedem – und daher der Volkshaß gegen die „Magyaronen“.

Wie man sieht, wirkte die Anbringung des Wappenschildes mit magyarisch-kroatischer Umschrift an dem Finanzgebäude zu Agram nur als Zünder, welcher den lange aufgehäuften Brennstoff im Lande in Flammen setzte.

Die Partei, welche die gewaltsame Entfernung jenes Schildes am 15. August in Scene setzte, mochte zwar vor der Hand nur eine kräftige Demonstration zur Unterstützung der mannigfachen Beschwerden bezüglich des magyarisch-kroatischen Ausgleiches bezwecken, eine andere, minder scrupulöse aber benutzte die Gelegenheit, um den Volkszorn für Pläne auszunützen, deren Ziel der lebhaften Phantasie der Südslaven entspricht. Kroatien und Slavonien zählen circa 1,190,000 Slaven, die ehemalige Militärgrenze etwa 690,000, Dalmatien 430,000; rechnet man die Slaven Ungarns und jene von Bosnien und der Herzegowina mit rund 2,500,000 hinzu, so ergiebt sich auch ohne Serbien eine ganz respectable Basis für ein nationales Zukunftsreich, für dessen Verwirklichung allerdings nebst Anderem die Hauptsache fehlt: „Ein einig Volk von Brüdern!“

Alles in allem genommen hat die kleine Wappenfrage die große Nationalfrage auch im Süden der österreichischen Monarchie aufgerollt, und diese zweite Frage dürfte nicht so leicht aus der Welt zu schaffen sein wie die erste. Möge die Lösung zum Wohle Aller im Geiste nationaler Versöhnlichkeit gelingen!



[685]

Die Sage vom Doctor Faust.

Von Fr. Helbig.
II.
Klinger’s Faust Roman. – Die Sturm- und Drangperiode. – Chamisso-Schink. – Goethe’s Faust. Endliche Lösung des Faust-Problems wenigstens symbolisch – Faust kommt zur Erkenntniß der Endlichkeit und zur Einschränkung seines Thatentriebes auf die Erde. – Stolte’s Faust. – Lenau. – Die Stadien der Faust-Entwicklung. – Die Faust-Natur der Menschheit.

In dem im Jahre 1792 erschienenen, mit großer dichterischer Kraft ausgeführten Romane von Klinger:„ Faust’s Leben, Thaten und Höllenfahrten“ wird das ähnliche Problem behandelt, wie im Münchener Faust, aber im verneinenden Sinne abgeschlossen. Hier will der mit titanischer Größe gezeichnete, aber auch mit einem wahren Prometheus-Trotze ausgestattete Faust die Hölle zwingen, an die Tugend der Menschheit zu glauben, und verliert die Wette an die Hölle, denn überall, wo er die Menschen auf ihre Tugend und Unschuld prüft und versucht, erliegen sie im halben Entgegenkommen stets dem Versucher. Er, der, ein zweiter Karl Moor, auszieht, die Menschheit an ihren Unterdrückern zu rächen, muß bald an ihrer edlen Bestimmung verzweifeln und stürzt sich zuletzt selbst in den Schlamm des sinnlichen Genusses. Er, der sich vermaß die Hölle zu bezwingen, sinkt zuletzt besiegt und vernichtet ihr in die Arme.

Von jetzt ab sprossen die Fauste wie Pilze aus dem mit allerlei Gährungsstoffen getränkten Boden. Faust, der trotzige Himmelsstürmer, war ganz nach dem Geschmacke der damaligen Sturm- und Drangperiode. Selbst neben und nach Goethe traten diese Fauste noch auf mit dem Anspruche auf ebenbürtige Beachtung. So war namentlich der Faust des Reichsgrafen Julius Soden in dessen 1797 erschienenem Volksschauspiele in seiner Schwärmerei für Vaterland, Humanität und Freiheit das vollendete Ur- und Vorbild der damaligen Zeit.

Im Jahre 1808 schrieb der Dichter Chamisso einen Faust, der sich jedoch nur auf einen Monolog und das Zwiegespräch mit dem guten und bösen Geist beschränkt. Der böse Geist verspricht ihm um den Preis seiner Seele, die Schätze der Wahrheit mit den Worten: „Und was der Mensch vermag, sollst du erkennen!“ Vergebens warnt ihn der gute Geist vor dem trügerischen Pacte. Gott habe in seiner Weisheit dem Menschen die Freude des Daseins gegeben, den Glauben und die Hoffnung, die Ahnung des Unendlichen. Faust will sich damit nicht begnügen, schließt den Bund mit der Hölle und erfährt, daß sie ihn mit Sophistik betrogen, denn das, was der Mensch vermöge zu erkennen, erklärt der Teufel, sei eben nur das, daß der Zweifel des Wissens Grenze sei. Erst der Tod reiße die trennende Mauer ein. Faust verfolgt nun durch Selbstmord die Wahrheit über diese Grenze hinaus.

Falsches Geld.
Nach dem Gemälde von A. Eckhardt.

Das zweibändige Faust-Drama von Schink, das im nächsten Jahre erschien, ist eine poetische Ausführung der Lessing’schen Faust-Idee. Mephisto und Ithuriel, der Engel des Guten, kämpfen hier gemeinsam um Faust’s Seele, der mit dem Leben in verschiedene Berührung gebracht wird. Auch hier strebt Faust nach voller Gottähnlichkeit auf Erden, erreicht auch durch des Teufel Hülfe eine hohe weltliche Macht und Bedeutung, wird dann aber durch denselben höllischen Förderer seiner Pläne seiner menschlichen Ohnmacht inne. Er blickt in den Spiegel der Erkenntniß und sieht dort die ganze Thorheit seines Strebens:

„Den Vorhang, der die Welt der Geister deckt,
Wagt’ ich zu heben mit verweg’ner Hand,
Mich brüstend mit erlogner Herrschermacht,
Hielt ich das Blendwerk lügenhafter Geister
Für Wirklichkeit, der Lüge Possenspiel
Für meiner Ohnmacht hohe Wunderkraft“.

Demüthig erfleht er vom Himmel fortan nichts weiter, als bescheiden stillen Wahrheitssinn, der nur nach dem, was gut und böse ist, von Selbstsucht frei und Eigendünkel, strebt.

Hierin liegt bereits ein großer Fortschritt in der Faust-Entwickelung. Während bei Lessing der Himmel, bei Chamisso die Hölle diese Schlußwahrheit ausspricht, ist hier Faust selbst in dieselbe eingetreten und hat sich erst mit dieser Selbsterkenntniß den Zutritt zu Gott, der, wie es bei Schink heißt, die Wahrheit selbst ist, erkauft.

Allein diese Erkenntniß gewinnt Faust erst im Tode, sie kommt zu spät und kann also für ihn nicht mehr nutzbringend werden. Daß dies geschehe, muß sie bereits früher in Faust auftauchen. Der dies erkannte und die Sage nach dieser Richtung erweiterte und zum endlichen Abschlusse brachte, war Goethe.

Wie bei Lessing, gab auch bei Goethe das Puppen- und Volksschauspiel des Faust, das der Knabe Goethe öfter in seiner Vaterstadt zu schauen bekam, die erste Anregung. Einzelne Motive desselben sind denn auch in seinem Faust, wenn auch im Dienste höherer Gesichtspunkte, verwendet. Was Goethe mit mächtigem Drange zu dem Faust-Stoffe hinzog, war das Gefühl einer inneren Verwandtschaft zwischen dem Helden der Sage und seinem eigenen Selbst. „Wie er,“ so bekennt er, „hatte auch ich mich in allem Wissen herumgetrieben und war frühe genug auf die Eitelkeit desselben hingewiesen; wie er, hatte auch ich es im Leben auf allerlei Weise versucht und war immer unbefriedigter und gequälter zurückgekommen.“ „Der Faust’sche Drang, Adlerflügel zu nehmen, alle Gründe im Himmel und auf Erden zu erforschen, daneben auch die Freuden der Welt epikuräisch zu genießen,“ war [686] seinem ganzen Wesen, wie er an einer anderen Stelle gesteht, nahe verwandt.

Auch Goethe leitet seine Dichtung mit einem Vorspiel ein. Er verlegt es aber nicht, wie seine Vorgänger, in die Hölle, sondern in den Himmel. Der Herr fragt nach Faust. Mephisto schilt ihn einen Thoren, dessen Trank und Speise nicht irdisch sei, den die Gährung in die Ferne treibe. Er bittet sich die Erlaubniß aus, ihn seine Straße sacht zu führen, und wettet, daß der Himmel ihn dann verliere. Der Herr geht auf den Vorschlag ein und überläßt ihm Faust in der sicheren Voraussicht, daß nach allen Versuchen, ihn von seinem Urquell abzuziehen, der Vertreter des Bösen ihm bekennen werde, daß ein guter Mensch in seinem dunklen Drange sich des rechten Wegs wohl bewußt sei. Beim Eintritt in das Drama finden wir Faust, wie bei Marlowe und im Puppenspiel, im Studirzimmer. Er sieht die Nichtigkeit aller exacten Wissenschaften ein, ist mit sich zerfallen, unzufrieden, vergrämt, dabei arm und elend. Darum hat er sich der Magie ergeben. Der Staub der Gelehrsamkeit ekelt ihn an; er sehnt sich nach der lebendigen Natur. Er schlägt das Zeichen des Erdgeistes aus, glüht über den Eindruck wie von neuem Wein, aber der Geist erinnert ihn höhnend an seine Erbärmlichkeit, ihn, das Ebenbild Gottes, der sich der ewigen Wahrheit bereits so nahe gedünkt. Den Gedanken kann er nicht ertragen; er stürzt ihn in Verzweiflung; gleich dem Faust Chamisso’s will er sich vergiften, um im Jenseits die Wahrheit zu entdecken. Der Klang der Osterglocken hält ihn mit kindlicher Erinnerung zurück. Die Erde hat ihn wieder.

Auf dem Spaziergange vor den Thoren der Stadt beneidet Faust die Menschen um ihre einfache Lebensfreude. Sie nehmen das Leben, wie es ist, die Dinge, wie sie sind, und grübeln nicht nach Ursache und Wirkung, nach dem Räthsel der Welt. Aber er kann die Natur nicht ruhig genießen, ihm sind ihre Freuden verschlossen; der rastlose Drang seines Innern, die nie ruhende Reflexion verkümmern ihm den Genuß. Er vertieft sich dieser folgend bei der Heimkehr in das Studium der Bibel, sucht das Johannis-Evangelium zu erklären und fühlt nur neue Zweifel; er erkennt von Neuem die Schalheit alles gelehrten Wissens. Er hat glückliche, zufriedene Menschen gesehen und will sich gleich ihnen dem Lebensgenusse hingeben, will Leid und Freud’ der Erde theilen, wenn er sich auch keine Hoffnung macht, damit Befriedigung zu gewinnen.

Der Sinnengenuß soll für ihn aber nicht Selbstzweck sein, er soll nur seinem Drange nach Erkenntniß dienen. Seine höhere Natur ist nicht befriedigt durch ein ruhiges behagliches Genießen im Sinne des gemeinen Mannes. Schmerzlich soll der Genuß sein. Er will ganz aufgehen in der Menschheit, sein eigen Selbst zu ihrem Selbst erweitern.

Mephisto ist mit dieser Umstimmung Faust’s ganz zufrieden; der Gewinn der Wette däucht ihm jetzt gewiß.

So wenig, calculirt er, wie ihn die Wissenschaft befriedigte, so wenig wird Faust das Leben befriedigen. Er wird es schal und unbedeutend finden und in seiner Unersättlichkeit nie die Ruhe gewinnen, welche jeder wahre Genuß verlangt. So wird er verzweifelnd sich immer wieder der Magie und dem Teufel ergeben.

Mephisto führt nun Faust in’s Leben hinein, zuerst unter die trunkenen Gesellen in Auerbach’s Keller, deren flache Unbedeutendheit ihn anwidert, so daß er seinen Führer zum Aufbruche drängt. Diese Partie und der Gedanke der Verjüngung Faust’s sind dem Volksbuche entnommen. Charakteristisch ist hier, daß den dabei vorkommenden Hocuspocus Faust nicht selber vornimmt, sondern daß er ihn von Mephisto vornehmen läßt. Die Figur hat ein höheres Relief erhalten, der alte Hexenmeister ist überwunden.

Nun kommt die Liebestragödie mit Gretchen, in ihrem Verlaufe ganz Goethe’s eigene Erfindung. Faust empfindet hohes und seliges Glück, so sehr auch Mephisto dieser Empfindung spottet. Aber die alte Unersättlichkeit bringt ihn um den reinen Genuß. Er sieht selbst, wie er dem Abgrunde zurast, und erhebt wider sich herbe Anklage. Er führt die Geliebte in Schande und Verbrechen. Vergebens will er sie äußerlich retten und auf seine Pfade führen. Sie folgt ihm nicht; sie wendet sich an des Himmels Gnade, und dieser kündet ihr Erlösung, weil sie sich selbst überwand und der Lockung des Bösen widerstand. Faust aber stürmt ruhelos weiter; seine Erlösung ist noch nicht gekommen.

Im zweiten Theile finden wir Faust im Grünen entschlummert, die Geister der Natur umschweben ihn. Dann führt uns der Dichter an den kaiserlichen Hof. Dort ist allerlei Noth. Mephisto schafft Abhülfe durch Creirung des Papiergeldes, Faust aber läßt wie im Puppenspiele die Gestalten der Antike auftreten, nachdem er den Schlüssel dazu bei den Müttern geholt. Da ist er auf einmal wieder der alte Schwarzkünstler. Er verliebt sich in die aufgezauberte Helena, strebt nach ihr, will sie erfassen: sie verschwindet.

Dann treffen wir im dritten Acte Faust wieder in seiner alten Studirstube. Wagner macht den Homunculus, der sich gleich wie ein zweiter Faust geberdet und die Welt durchschweifen muß. Er zieht mit Faust und Mephisto nach der classischen Walpurgisnacht. Faust sucht überall die Helena. Wir finden sie in ihrer Häuslichkeit. Sie soll ihres Treubruchs halber bestraft werden. Da wandelt sich die Scene; Helena ist auf eine mittelalterliche Burg entrückt, Faust ist Burgherr; Alles kommt ihm huldigend entgegen. Aus dem Bunde mit Helena entsproßt Euphorion. Auch dieser schwingt wie Faust-Icarus sich hinauf zu den Höhen des Ruhmes und findet dort den selbst bereiteten Tod. Helena sagt Faust Lebewohl und vergeht im Hauche.

Von eigentlichen Thaten, die Faust zur Förderung seiner Entwicklung verrichtete, ist bis dahin nichts zu spüren, ebenso wenig, bis auf das Verhältniß zur Helena, von einer „Stillung“ glühender Leidenschaften in den Tiefen der Sinnlichkeit, wie das Programm des ersten Actes lautete.

Endlich im Beginn des vierten Actes tritt eine heilsame Umkehr im Charakter Faust’s ein, indem er an die Stelle des bloßen todten Lebensgenusses das lebendige Schaffen und Wirken setzt:

     „Dieser Erdenkreis
Gewährt noch Raum zu großen Thaten,
Erstaunungswürdiges soll gerathen.
Ich fühle Kraft zu kühnem Fleiß;
Herrschaft gewinn ich, Eigenthum,
Die That ist Alles, nichts ist Ruhm.“

Faust beschränkt sich indeß dabei auf die Absicht, das herrische Meer vom Ufer auszuschließen, den feuchten Breiten Grenzen zu gewinnen. Faust erhält zur Belohnung für eine durch Mephisto’s Hülfe dem Kaiser gewonnene Schlacht den Meeresstrand zu eigen. Er führt, um denselben dem Meere abzugewinnen, Dämme auf, läßt einen Canal graben, richtet einen Hafen ein, in welchen Schiffe ein- und auslaufen. Aber noch einmal überkommt ihn der alte Faustische Drang. Die errungenen Erfolge beglücken ihn nicht; es stört ihn die Nachbarschaft der friedlichen Idylle von Philemon und Baucis. Er hat das Leben durchstürmt; der Erdkreis ist ihm bekannt, aber die Aussicht nach drüben ist ihm versagt. - Endlich geht ihm die Erkenntniß auf: Ein Thor, ruft er sich zu, wer dorthin die Augen blinzelnd richtet.

„Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm,
Was braucht er in die Ewigkeit zu schweifen?
Was er erkennt, läßt sich ergreifen,
Er wandle so den Erdentag entlang.“

Mit dieser bereits lebendig bethätigten Erkenntniß gewinnt er sich den Frieden. Die Sorge flieht verscheucht von seinem Lager und beraubt ihn aus Rache des Augenlichts. Aber diese Blindheit hindert ihn nicht, weiter für die Menschheit zu sorgen. Ihr allein gilt jetzt sein Streben. Die Spur von seinen Erdentagen wird in Aeonen nicht untergehen. Im Gefühle dieses errungenen Friedens überrascht ihn der Tod. Mephisto macht nun zwar auf Grund des alten Pacts auf seine Seele Anspruch, aber die Engel entführen sein Unsterbliches:

„Gerettet ist das edle Glied
Der Geisterwelt vom Bösen.
Wer immer strebend sich bemüht,
Den können wir erlösen.“

Dieser zweite Theil des Goethe’schen Faust erfüllt allerdings in der Ausführung vom realen Standpunkte aus das nicht, was der erste Theil versprochen hat. Mephisto hat dort Faust gelobt, ihn durch die große und kleine Welt zu führen, er sollte das Leben so satt bekommen wie die Wissenschaft, und Ekel empfinden. Die Welt des zweiten Theiles ist aber zum großen Theil eine phantastische und symbolische.

[687] Dagegen ist das Faust-Thema selbst correct festgestellt, und in so weit ist Goethe’s Faust kein Fragment. Die Annahme Mephisto’s, Faust würde nach des Lebens Durchstürmung Ekel empfinden, erweist sich nämlich als eine irrige. Faust gewinnt vielmehr die Erkenntniß, daß es mit diesem unersättlichen Vorwärtsstürmen im Genuß sowohl wie in der Weisheit nichts ist, da der Mensch in den Banden der Endlichkeit lebt, die er nicht von sich abschütteln kann. Goethe’s Faust geräth aber darüber nicht in Verzweiflung, wie der von Chamisso und Klinger, und verfällt damit auch nicht der Hölle – er begnügt sich aber auch nicht mit der bloßen Selbsterkenntniß, wie bei Schink; er setzt vielmehr, wie schon angedeutet, diese Erkenntniß in Thaten um, indem er fortan das menschlich Gegebene und menschlich Erreichbare zum Ziele seines Strebens und Lebens macht, wozu er nicht die Beihülfe des Satans braucht.

Die falsche Annahme, daß Goethe’s Faust nur ein Fragment, und die richtige, daß derselbe mangelhaft durchgeführt sei, haben verschiedene Nachdichtungen von Goethe’s Drama hervorgerufen. Unter ihnen ist die hervorragendste Arbeit wohl die von Ferdinand Stolte.

Stolte gab in den sechsziger Jahren einen vierbändigen „Faust“ heraus, der sich für eine Fortsetzung des ersten Theils der Goethe’schen Dichtung ausgiebt. Stolte meint, nach dem, wie Faust in diesem ersten Theile sich versündigt habe, könne seine Wiedergeburt nur erfolgen durch Schmerz und Reue. Von Sünde und Schuld beladen tritt der Goethe’sche Faust des ersten Theils in den Stolte’schen ein und läutert sich – so zeichnet der Dichter sein Thema – in sich selbst so gründlich, daß er zuletzt im Genuß irdischer Vollendung und Freiheit rein und nach Verdienst den Himmel erlangt. Stolte läßt ihn zum Gründer eines neuen idealen Zukunftsstaates werden, in dem das von Christus verkündete Reich Gottes auf Erden zur Wahrheit wird. Dieser Stolte’sche Faust hat sich allerdings damit eher den Himmel verdient als der Goethe’sche.

Ein Jahr nach Goethe’s Tode schrieb der Dichter Lenau einen „Faust“, ohne damit wesentlich Neues zu bieten. Sein Faust ist ein Sophist, der, in der Entwickelung rückschreitend, wieder der Hölle verfällt.

Auch die anderen Faust-Dichtungen bieten für die Fortentwickelung der Sage kein Interesse, und somit enthält der Goethe’sche Faust, abgesehen von seinen Compositionsfehlern immer doch die höchste und wahre Lösung der Faust-Sage.

Der alte Zauberer und Hexenmeister ist am Ende dieser seiner irdischen Laufbahn zum Beglücker der Menschheit geworden. Anfangs war es der bloße von Uebermuth gestachelte Mensch, der sich, um den Anderen voraus zu sein, die Schranken der Natur zu überwinden und Zauberkünste zu treiben, mit dem Teufel verbunden hatte, und der, als die Folgen seines Pactes an ihn herantraten, der jammernden Verzweiflung verfiel. Dann wird die Magie und der Bund mit dem Satan für ihn nur das Mittel höherer Zwecke. Nicht um zaubern und sich irdische Genüsse verschaffen zu können, sondern aus dem Triebe nach Erkenntniß, nicht aus sinnlichem, sondern aus metaphysischem Drange, oder um mit der erlangten Zaubermacht Gutes schaffen zu können, geht er den Bund mit den Mächten der Unterwelt ein.

Jener alte Faust kommt nicht weiter als zu der Erkenntniß, daß er der Hölle verfallen ist, daß er durch den Bund mit dem Teufel sein Seelenheil verscherzte; der einer späteren Zeit angehörende Faust kam zu der Erkenntniß, daß alles Wissen in die Grenzen der Endlichkeit gebannt ist, daß mit allem Trotze und allem Auflehnen gegen diese Schranken nichts erreicht wird, daß der Mensch sich mit dem soll begnügen, was ihm Gott gegeben, die Freuden des Lebens maßvoll soll genießen, soll glauben und hoffen, streben und wirken.

Für den Faust der alten Sage gab es keine Erlösung. Der Abfall vom Glauben, der Bund mit der Hölle war eine unsühnbare Todsünde. Bete und glaube, lautete die alte Satzung, oder du bist verflucht; die neuere hieß: „Strebe und hoffe und du bist erlöst, auch wenn du geirrt und gefehlt. Und wenn selbst aus der gewollten Gutthat nur Böses entkeimte, selbst der faustische Drang nach oben dich auf die Bahn des Verbrechens drängte, hast du nur dein höheres Selbst dir gerettet, so nimmt die himmlische Barmherzigkeit dich erlösend auf.“

Ein weiteres endliches Stadium der Faust-Sage verlangte dazu noch, daß jene Erkenntniß sich umsetze in die That, daß der Mensch seine Kräfte brauche und nütze im Dienste der Menschheit, daß er nach seinem Theile mitwirke an der Vervollkommnung.

Freilich hört damit Faust auf, ein Halb- oder Ganzgott zu sein, er wird zum in sich begrenzten Menschen. Die endliche Lösung des Räthsels bedingt also die Resignation; aber das Resultat dieser Resignation ist ein wirkliches positives, während jenes Schweifen in die unendliche Ferne immer nur negative Resultate liefert. Es zeigt doch einen Zweck, während jenes zwecklos bleibt.

Damit wird die menschliche Faust-Natur nicht aus der Welt geschafft. Weder aus der kleinen Welt des Menschen, noch aus der großen Welt der Menschheitsgeschichte. Ruhelos treibt sie den Menschen von Ziel zu Ziel, nach Idealen und Wünschen, und wenn das Gewollte und Erstrebte erreicht ist, so läßt es ihn unbefriedigt und treibt ihn weiter zu andern Aufgaben, die auch dann immer nur wieder eine nette Station bilden auf dem nie enden wollenden Wege seines unablässigen Ringens und Strebens. Immer und immer wieder dringt der durch das Leid der Erfahrung nicht gewitzigte Menschengeist vor nach den dunkeln ewig verhüllten Pforten der Wahrheit. Viele gehen auf dem Wege unter, geistig todt und zerbrochen, nur wenige finden sich zurück zur Ruhe und Resignation. Und auch sie, die gelernt haben ihre Zwecke irdisch zu begrenzen, streben doch immer gerade nach solchen Zielen, die für das Maß ihrer individuellen Kraft unerreichbar sind. Auch sie unterliegen dem Fluche ihrer Faust-Natur.

Gleichwohl wird ohne diese nichts Großes geschaffen auf Erden. Alle großen Genies aus den verschiedenen Gebieten der menschlichen Thätigkeit, der Wissenschaft, der Kunst, der Politik, der Industrie tragen diesen Faust’schen Drang in sich, müssen ihn in sich tragen, wenn sie etwas Großes erreichen wollen. Unter dem zermalmenden Tritte eines solchen Faust-Genies gehen oft Tausende menschlicher Existenzen gnadlos zu Grunde, damit es die Bahn frei gewinnt für seine unersättlichen Triebe – aber das blutige Opfer ist nicht vergebens gewesen, es rettete dem Fortschritt der Menschheit Jahrhunderte.

Die Menschheit bedarf dieser großen Faust-Naturen. Sie beschleunigen das Tempo ihrer Geschichte. Jede Krisis ihrer Entwickelung wird durch das Emporsteigen eines großen, weit über alle Andern emporsteigenden Genies gekennzeichnet. Gleicht sie doch selbst in ihrem rastlosen Vorwärtsdrängen, das immer Ziele häuft auf Ziele, einem Faust.




Deutschlands große Industrie-Werkstätten.

Nr. 17. Louis Schönherr und sein Webstuhl.

Was möchte so ein biederer altägyptischer Webermeister für ein verdutztes Gesicht machen, führte man ihn an einen Webstuhl von heute! Wohl ist das mechanische Grundprincip dieser vielleicht ältesten Maschine der Welt durch Jahrtausende dasselbe geblieben, wir sehen auf den alten Wandmalereien am Nil häufig den Weber im Webstuhl abgebildet mit unverkennbarer Andeutung von Schuß und Kette, und das Linnen der Mumien zeigt genau wie das heutige gekreuzte Fadenlage.

Und dennoch würde höchstwahrscheinlich die gesammte ehrsame Leineweberzunft von Theben und Memphis mit „Gunst und Verlaub“ auf und davon laufen, wenn dieselbe einen modernen Bruder jener alten Webstühle erblicken sollte; er frißt das Garn centnerweise, geberdet sich wie toll, regt Tausende von Armen und Aermchen zu gleicher Zeit, und nur die Webstoffe wachsen mit einiger Ruhe und Behaglichkeit aus dem aufgeregten Ungethüm hervor nach der löblichen Tendenz: „Je länger, je lieber.“

Der Verfasser, zwar nicht Fachmann, aber ziemlich heimisch zwischen den Riemenscheiben der mannigfaltigsten Fabriken, nimmt keinen Anstand, den Webstuhl an seiner vieltausendjährigen Entwickelung [688] als eines der größten mechanischen Kunstwerke hinzustellen, deren sich unsere Cultur erfreut. Hier greifen so ziemlich alle nur möglichen mechanischen Vorrichtungen zusammen zu einem Werke, und dieses eine Werk kann wieder unendlich vielseitig gestaltet werden durch die fast unerschöpfliche Möglichkeit anderer Anordnungen eben dieses proteusartigen Mechanismus.

Die meisten Menschen machen denn auch große Augen vor einem arbeitenden Webstuhl, staunen und gehen wieder fort, ohne sich das Wunder erklären zu können. Und ein Wunder ist’s auch wirklich! Das eilt und schießt hin und her, das neigt und beugt sich, dreht, wendet, hebt und senkt sich; dort starke Schläge, hier die subtilsten Verrichtungen, hier zittert’s kurz und wellenförmig, dort wirkt eine behäbige mechanische Kraft in ruhigen Umgängen, oben rückt’s aus, unten setzt’s ein und an allen Stellen schier wechselt’s in toller, unerklärlicher Laune, dazwischen ertönen Signalwerke und über dem stark bewegten Fadengewirr schwebt wie eine Art heiliger Geist die Jacquard-Maschine und schiebt ihre durchlöcherten Karten in breiten Lagen hastig vorwärts, als fürchte sie, nicht nachzukommen.

Die Schönherr’sche Webstuhlfabrik in Chemnitz.0 Nach der Natur aufgenommen von E. Limmer.
1. Fabrikanlage. 2. Tischlersaal. 3. Motiv aus dem Parke. 4. Montirsaal. 5. Schmiede. 6. Verladung.
7. Eisendrehereisaal. 8. Eisengießerei. 9. Eisenhobeleisaal.


Aber es herrscht in dem argen Durcheinander eine strenge Ordnung. Nach festen Gesetzen sieht man aus den Wirrnissen die herrlichsten Phantasiegebilde von einer ganz ungeheueren Mannigfaltigkeit aufblühen. Wir kennen sie ja Alle, diese Hunderttausende von Webmustern und Webstoffen; hat doch jeder Mensch seinen eigenen Geschmack, und der modernen Weberei ist es ein Leichtes, diesem millionenköpfigen Ungeheuer zu Willen zu handeln.

Und das sollte kein Wunder sein?

Aber dieses enorme Capital von Menschenwitz und Findigkeit ist nicht auf einmal und am allerwenigsten von Einem allein angesammelt worden. Alle Culturvölker der Erde haben ihre Beiträge hierzu gestellt und unser liebes Deutschland sicher nicht die kleinsten. Wir haben einen Mann in Deutschland, einen schlichten Weberssohn aus Plauen im Voigtlande, dessen Name mit der Geschichte der Weberei verknüpft sein wird für alle Zeiten.

Die Fachleute, die diesen Artikel zu Gesicht bekommen, werden sogleich wissen, daß kein Anderer gemeint sein kann, als der Erfinder und Webstuhlfabrikant Louis Schönherr in Chemnitz. Auch der großen Leserwelt wird der Name schon begegnet sein und wär’s auch nur in einer Annonce, in der etwa eine französische, spanische, russische, italienische oder japanesische Weberei einen Werkmeister sucht, „der mit Schönherr’schen Webstühlen vertraut sein muß“.

Dieser Schönherr’sche Webstuhl ist eine Erscheinung in der Weberbranche von ganz unberechenbarer Bedeutung; doch da ich mich als Nichtfachmann ehrlich declarirte, möge das eine Fach-Autorität bestätigen: Regierungsrath Dr. Hartig, Professor am Dresdener Polytechnicum, schreibt über den Schönherr’schen Stuhl: „Jeden Freund vaterländischer Industrie muß eine solche Erfindung mit Stolz erfüllen, sie trägt durchaus den Charakter voller Originalität und löst die feinsten Probleme, welche die fabrikmäßige Erzeugung der Gewebe an den Constructeur stellt, und dazu kommt ein factischer Erfolg, wie er in der Geschichte der Weberei ohne Gleichen dasteht“ etc.

Ein solcher Mann verdient gewiß durch die „Gartenlaube“ dem deutschen Volke vorgestellt zu werden, um so mehr, als er trotz seiner erstaunlichen Erfolge schlicht und bescheiden geblieben ist und sich nicht in Stolz und Ueberhebung von den Kreisen abwendete, in denen sein Leben doch eigentlich wurzelte. Doch auch der Leser wird mir verbunden bleiben für die Bekanntschaft mit dem Erfinder und seiner Erfindung; selbst der unscheinbarste [689] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt.



Gegenstand gewinnt ja ein erhöhtes Interesse, wenn wir ein wenig in seinen „Personalacten“ herumblättern.

Täglich, stündlich, ja in jedem Augenblick haben wir Webstoffe vor Augen, sie sind das erste Culturattribut, mit welchem der nackt in’s Leben gestoßene Mensch in Berührung kommt, sie bilden auch die letzten Hüllen, den letzten Schutz, wenn wir zu Staub zerfallen, und warum sollten Männer und Maschinen, die so eng mit diesen Freunden im Leben und Tod verwachsen sind, nicht interessant sein? Diese Frage ist leider keine müßige, man will nur zu oft Fachberühmtheiten in die Fachliteratur verwiesen sehen, welche vielleicht an cultureller Bedeutung ein halbes Dutzend Berühmtheiten von der „normalen Sorte“ weit hinter sich lassen.

Louis Schönherr ist neben dem Webstuhle zur Welt gekommen; sein Vater war Handelsweber in Plauen im Voigtlande, und der Webstuhl sollte auch sein Leben ausfüllen. Sein Geburtsjahr (1817) fällt in die Zeit, da sich unser Vaterland von den schweren Kriegen langsam erholte, seine Jugend aber tritt mit jenen frischen Jahrzehnten zusammen, in welchen die ganze Welt in eine förmliche Aufregung durch die vielseitigsten neuen mechanischen Ideen gerathen war.

Es muß unserem Erfinder nicht sehr wohl in seiner Jugend ergangen sein; wir finden ihn 1826 als Kühjungen beim Schulmeister in Thierbach bei Plauen. Wasser- und Windmühlen hat auch er geschnitzelt, doch will ich diese Spielerei nicht als prophetische Erscheinung hinstellen, es haben das schon viele Knaben gethan: „Sind aber keine Weber geworden“, nach Goethe’schem Sinn.

Mit vierzehn Jahren, den Kopf voll Ideen, das Herz voll Erwartung und den Beutel voll Kupfer, wanderte der Knabe in die Fabrikstadt Chemnitz ein, wo schon so Mancher sein Glück schmiedete. Hier war ein älterer Bruder, Wilhelm mit Namen, schon längere Zeit in der sogenannten „Großen sächsischen Maschinenbau-Anstalt“ thätig, und unter dessen Protection durfte der jüngere Bruder als Drehjunge eintreten. An derselben Stelle, wo der Knabe jetzt den Besen führte, um die Eisendrehspähne zu beseitigen, sollte er einst seine wichtigsten Erfindungen machen, aus demselben bescheidenen Fabriklein sollte die größte Webstuhlfabrik auf dem Continent entstehen, und wo er für vierzehn Groschen Lohn per Woche, den Tag zu vierzehn Arbeitsstunden, wirkte, barg der Zukunft Schooß für ihn die wohlverdienten Lebensgüter – eine Wandlung, die schon an sich das innigste Interesse herausfordert.

Der ältere Schönherr war gleichfalls ein inventiöser Kopf, merkwürdiger Weise schlug bei ihm in späterer Zeit der klare mathematische Verstand in eine Art philosophischer Mystik um, die in ihrer Erscheinungsform an Jakob Böhme erinnert. Beide Brüder haben wacker mit einander geschafft, doch getrennt erfunden, der Aeltere erwarb zwei, der Jüngere zehn Patente und die weitaus wichtigsten; dies zur Klarstellung der schon mehrfach erörterten Antheilnahme der beiden Brüder an der Erfindung des Schönherr’schen Stuhls.

Den ersten Erfolg errangen die Brüder mit einander mit einer Werkzeugmaschine, die zugleich hobelte, drechselte, bohrte und Räder schnitt. Das war offenbar ein wenig zu viel auf einmal, indessen kaufte doch die sächsische Regierung die Maschine für 200 Thaler an und stellte sie auf der Brühlschen Terrasse in Dresden dem Publicum zur Schau. Sodann construirten die Brüder selbander eine Geigenmaschine. Die Maschine war gut, berichtet man, aber die Geigen waren schlecht, die sie lieferte, so schlecht, daß auch die Maschine schlecht gemacht wurde und bald [690] in die Rumpelkammer gerieth. Beide Brüder waren zu jener Zeit bereits von der Idee erfüllt, einen mechanischen Webstuhl zu erfinden, einen Webstuhl, der nicht nur das Mechanische der Weberei verrichten sollte, wie es etwa bei Herstellung von Shirtings, Kattun, Leinwand, Tibets etc. allein zur Geltung kommt, nein, er sollte auch die Handwerksvortheile des lebenden Webers wahrnehmen und sich aneignen, sie wollten mit ihrem Webstuhl mehr einen mechanischen Kunstweber herstellen, dem auch die Erzeugung der complicirteren Stoffe möglich wäre. Dazu brauchte es größerer Mittel, welche die Brüder nicht besaßen; sie theilten darum ihr Project einem russischen Edelmann mit, und mit erstaunlicher Schnelle sandte die russische Regierung den Brüdern 2000 Thaler nach Dresden, wofür sie denn auch pflichtschuldigst einen mechanischen Webstuhl für Handbetrieb erfanden, der 200 Schuß in der Minute bewirkte.

Der Erfolg war ein glänzender, der Stuhl erregte Aufsehen, und sicher wären beide Brüder über die Weichsel in das Land des weißen Czaren gegangen, doch machte man ihnen bang vor der grassirenden russischen Knute. Es ist ja gewiß auch nicht sehr angenehm, ein solches häßliches Ding als Antrieb zu neuen Erfindungen im Hintergrund zu wissen. Die sächsische Regierung, die von dieser Furcht nicht unterrichtet war, wollte sich die emsigen, anspruchslosen und doch so genialen Männer im Lande erhalten, sie gewährte dem Aelteren eine kleine Jahrespension und ermöglichte dem Jüngeren den Besuch des eben erst begründeten Dresdener Polytechnicums. Das war eitle rühmenswerte, segensreiche That. Ohne dieselbe hätten die Brüder ihren Abscheu vor der Knute wahrscheinlich doch noch überwunden, und damit wäre Deutschland um zwei Erfinder ärmer geworden und Sachsen um eine blühende Großindustrie gekommen.

Jetzt waren die Noth-, Sturm- und Drangjahre beendet und es folgt die Vervollkommnung der Erfindung und ihre fabrikmäßige Herstellung.

Eine längere Reihe von Jahren wird am besten übersprungen. Leider fand Louis Schönherr erst 1851 einen Capitalisten Namens Seidler, der den „unerhörten“ Muth hatte, 7000 Thaler für die neue Erfindung in die Schanze zu schlagen. Die ersten Anlagen waren so unglaublich primitiver Natur gewesen, daß ein Aufblühen der jungen Webstuhlfabrik ganz unmöglich erschien, jetzt aber konnte man doch nothdürftig Hülfsmaschinen beschaffen. Im Anfang behalf man sich mit Miethlocalen, später erkaufte man die vormalige sächsische Maschinenbau-Anstalt, die wir bereits kennen, da Louis Schönherr seine Maschinenbauercarriêre hier als Drehjunge begonnen.

Jetzt trat die Zeit der rapiden Entwicklung ein. 1859 ward Schönherr durch den Austritt Seidler’s Alleinherrscher in seinem Reich, 10 Jahre später waren seine Mannen bereits auf 600 Köpfe angewachsen, 1872 kam die landesübliche Umwandlung in ein Actienunternehmen, das vermehrte Capital ermöglichte bedeutende Erweiterungen, doch änderte sich sonst nichts in der Leitung. Gegenwärtig ist man nahe daran, den 22,000sten Webstuhl in die Welt hinauszuschicken und diese 22,000 Webstühle weben so ziemlich in der ganzen Welt am Ruhm deutschen Erfindungsgeistes, deutschen Fleißes und deutscher Solidität.

Die wirthschaftliche Bedeutung dieser Ziffer ist eine ganz außerordentliche, denn sie umfaßt nur schwere Webstühle für Tuche, Buckskins, Segelleinen und ähnliche schwere Stoffe. In Cottbus allein gehen über 4000 Schönherr’sche Buckskinstühle, mit Luckenwalde, Forst und Spremberg steigt die Zahl auf über 4000; sie bilden auch im Ausland die Grundlage für den Erwerb großer Industriebezirke, und dabei sind diejenigen Schönherr-Stühle ganz außer Betracht gelassen, die im In- und Ausland gegen Patentprämie in großer Zahl gebaut worden sind.

Es hat einige Schwierigkeiten, das Hauptverdienst Schönherr’s als Erfinder und Constructeur zum allgemeinen Verständniß zu bringen; man müßte auf die subtilsten Mechanismen eingehen und könnte ebenso gut die höhere Mathematik zum Gegenstand einer populären Abhandlung wählen, aber in der Haupttendenz seiner Erfindung spiegelt sich gleichzeitig auch sein Hauptverdienst. Ihm genügte es nicht, die rein mechanischen Verrichtungen der Weberei den Menschen abzunehmen, er wollte, wie schon früher angedeutet wurde, die Individualität des guten Handwebers auf die mechanische Weberei übertragen, er wollte die Handwerksvortheile in derselben nicht entbehren.

Der Handweber giebt mit der Weberlade seine Schläge, mit denen er den Schußfaden an die Kettenfaden festschlägt, in grundverschiedener Stärke, je nachdem die tausendfach verschiedenen Stoffe es verlangen; er giebt oft zwei, auch drei Schläge von wechselnder Stärke für jeden Faden, und man sollte meinen, nichts sei leichter, als diese Schläge mechanisch nachzuahmen, und doch ist ganz das Gegentheil der Fall. Es sind eben nach einem bestimmten Gefühl des Webers abgemessene elastische Schläge, die dann unter Umständen ein so weiches, sammetartiges Tuch herstellen. Schönherr hat in seinem Stuhl, im Gegensatz zu allen anderen existirenden mechanischen Stühlen, diese elastischen einfachen oder doppelten Schläge erzielt durch ein System von Excentern, dies sind ungleiche Scheiben, welche den Anschlag durch einen an sich sehr einfachen Mechanismus vermitteln, und diese Anordnung bedingte eben eine ganz eigenartige Construction des übrigen Mechanismus am Schönherr’schen Webstuhl.

Der Erfinder hat demnach erreicht, was er wollte, er hat dem guten Handweber die feinsten Handwerksvortheile abgelauscht, während der schlechte nicht mehr in Frage kommen kann. Die Tuche, wie sie der Schönherr’sche Webstuhl zu liefern vermag, erinnern in ihrer sammetartigen Derbheit an jene ehrwürdigen Zeiten, da der Enkel des Großvaters Rock trug, wenn er zur Confirmation schritt. Bei den jetzt gebräuchlichen lockeren modernen Stoffen sind solche langjährige Umwandlungen freilich unmöglich geworden, und nur diese vergängliche Mode hat in neuerer Zeit dem leichter gebauten, leichter arbeitenden amerikanischen Kurbelwebstuhl auch in Deutschland Eingang verschafft, ohne gerade dem Schönherr’schen Abbruch zu thun. Uebrigens baut die Fabrik, um dem Geschmack der Neuzeit Rechnung zu tragen, auch solche Kurbelwebstühle, die in den Schönherr’schen Werkstätten wesentlich verbessert worden sind.

Neue Errungenschaften sind die Einrichtung des Schönherr-Stuhles auf leinene Damaste, die bisher eine Domäne des Handwebers geblieben waren, aber sich freilich auch für ihn nicht sehr ergiebig zeigten. Dieser Stuhl liefert die bekannten prächtigen großen Muster in viel größerer Mannigfaltigkeit als der Handstuhl; man wird nunmehr bald auch in minder bemittelten Familien diese herrlichen Leinendamaste aufdecken können, weil die fabrikmäßige Herstellung dieselben zweifellos sehr verbilligen wird.

Die vielen kleineren Erfindungen und Verbesserungen können hier nicht aufgezählt werden.

Daß in einer Fabrik, in welcher so viel erfunden und verbessert wurde, die eisernste Solidität in der Ausführung eiserne Regel ist, kann als selbstverständlich angenommen werden, erwähnt sei nur, daß jedes Lager ohne Ausnahme mit Edelmetall ausgefüttert wird.

Zu einem Gang durch die Fabrik will ich meine Leser nicht einladen; es giebt keine interessanten Processe zu beschreiben, wie etwa in Hütten, Spinnereien u. dergl. Wir sehen wohl, wie die Tausende von Theilen und Theilchen auf den besten Hülfsmaschinen hergestellt werden, aber keine der Arbeiten kann auf ein besonders hervorragendes Interesse Anspruch erheben. In den Montirsälen stießen die Massen von Wellen und Wellchen, Rädern und Räderchen, die Bäume, die Schützen und Gott weiß was für mögliche und schier unmögliche Excenter, Wangen, Schienen und sonstige Theile zusammen, und das Zusammen kann wohl das Auge direct fesseln, aber für eine Vermittelung durch die Feder ist der Bau eines Webstuhls, wie dieser selbst, zu complicirt.

Herzlich erfreut war ich über einen seltenen Umstand: die Schönherr’sche Fabrik ist durch und durch eine deutsche. Hier giebt es keine fremden Patente, keine englischen Werkmeister, und von den 291 Hülfsmaschinen sind nur 10 ältere ausländischen Ursprungs, man verschmilzt jetzt in der Hauptsache nur deutsches Eisen, und die 750 Arbeiter hämmern, feilen und drehen nur mit deutschen Werkzeugen.

In der großartigen Tischlerei von 123 Meter Länge und 27 Meter Breite arbeiten 24 große Holzbearbeitungsmaschinen von mammuthartigen Dimensionen. Man stellt hier zuweilen Weberbäume her, die der Größe nach eigentlich in die Vorwelt gehören. Letzthin verließ ein Webstuhl die Fabrik, auf welchem 7 Meter breites Segelleinen gewebt werden soll, das ist jedenfalls der Goliath unter allen Webstühlen.

Die kolossalen Holzlager und die Dampfschneidemühle seien nur erwähnt. Für Eisenbearbeitung sind 267 Maschinen in [691] Thätigkeit. Drei Dampfmaschinen und vier vom Chemnitzfluß getriebene Turbinen bewegen das Ganze durch eine Transmission von 11/10 Kilometer Länge.

Von der geschäftlichen Leitung hat sich Louis Schönherr seit einigen Jahren zurückgezogen, wohl aber hat er sich seinen Versuchssaal vorbehalten, wo der noch in hohem Grade rüstige Herr mit einigen findigen Beamten ungestört an der Lösung weiterer mechanischer Probleme arbeitet. Mancher Fachmann gäbe vielleicht Tausende darum, könnte er hier sich stundenlang so frei umsehen, wie der Verfasser es thun durfte. Mir ist nur freigegeben, von einem originellen Schönherr-Stuhl zu sprechen, der einem interessanten Zweck dienen soll. Die Idee gehört dem Webschullehrer Knorr in Chemnitz an und kann nur mit Hülfe des Schönherr’schen Systems verwirklicht werden; es richtet sich dieselbe gegen die Falschmünzerei und interessirt sich besonders die russische Regierung dafür, die bekanntlich arg geplagt ist von förmlichen „Industriegesellschaften für falsches Papiergeld“. Ein deutscher Weblehrer und ein deutscher Webstuhlbauer sind nun darüber, gründliche Abhülfe zu schaffen. Der Webstuhl stellt ein sehr feines complicirt gemustertes Gewebe her, das auf der Papiermaschine gleich mit in das Papier einlaufen soll, aus welchem die Banknoten verfertigt werden. Die Falschmünzer werden sich in Zukunft einen Schönherr’schen Webstuhl von besonderer Construction anschaffen müssen, sodann brauchen sie eine Papierfabrik und eine Druckmaschine, und wenn sie Alles haben, fehlt ihnen noch die Hauptsache – nämlich das Webmuster. Man macht’s den Leuten wirklich recht sauer.

Persönliches ist über Louis Schönherr wenig zu berichten, sein Leben ist Mühe und Arbeit gewesen, und trotz seiner großen Erfolge ist er schlicht geblieben, wie einer der einfachsten Bürger. Inmitten seiner Fabrik, seiner Häuslichkeit ist er ein Patriarch, kein eigentlicher Herr, und auch als Familienvater kann er es mit den gesegnetsten biblischen Stammvätern aufnehmen, er braucht Niemand weiter als seine Kinder einzuladen, wenn er mit einem reichlichen Dutzend am Tische sitzen will.

In einem so erfinderischen Zeitalter kann Neues leicht das Alte stürzen, niemals aber werden die Grundprincipien der Schönherr’schen Erfindung untergehen, sie wurzeln nicht oberflächlich in der vergänglichen Mode, sondern in der alten gediegenen Handweberei, und der Name Schönherr wird geehrt werden müssen, so lange ein Volk überhaupt anerkennt, daß es einem bedeutenden Erfinder, einem rastlosen Verbesserer Ehre und Dank schuldet.

Th. G.




Blätter und Blüthen.

Otto Devrient und sein Luther-Festspiel. (Mit Portrait S. 684.) In der letzten Nummer der „Gartenlaube“ ist versucht worden, den Lesern ein Bild der Devrient’schen Bearbeitung des Faust als Mysterium zu entwerfen. In Jena, dem freundlichen und lebenvollen Universitätstädtchen Thüringens, ist nun in diesen Tagen ein nicht minder eigenartiges künstlerisches Unternehmen zur Ausführung gelangt, das gleichfalls Devrient’s Namen trägt. Es handelt sich darum, den großen Reformator Luther, seine Persönlichkeit und sein Leben dramatisch zur Anschauung zu bringen. Diese Idee ging freilich nicht von Devrient, sondern vom Gymnasialdirector Richter aus, aber Devrient griff sie mit Lebhaftigkeit auf und erwies sich auch als der Mann, sie zu verwirklichen. Sobald er von den Leipziger Faust-Aufführungen nach Weimar zurückgekehrt war, ging er mit der ihm eigenen Energie sofort an die gründlichen Vorstudien zu dem „dramatischen Luther-Festspiel“. Er vertiefte sich in den Ton jener Zeit und in die Charakteristik der Hauptfiguren und sann darauf den reichen Stoff zu gliedern. Nicht ein Bühnenstück nach den strengen Gesetzen der Dramaturgie sollte das Festspiel werden, sondern ein dramatischer Lebensabriß Luther’s, und nicht Berufsschauspieler sollten es verkörpern: wie das Ganze volksthümlich gedacht war, so sollten auch die Darsteller aus dem Volke kommen. Jena, die alte Hochburg freien wissenschaftlichen Strebens und Lebens, erwies sich als der rechte Boden für das Unternehmen. Unsere norddeutschen Universitäten haben zu allen Zeiten ein starkes protestantisches Gefühl gepflegt und zumal in den kleineren Universitätsstädten strahlt von der Hochschule eine lebhafte geistige Anregung nach allen Seiten hin in die Bevölkerung aus. Wir waren Zeuge, wie vor neun Jahren das kleine Jenenser Theater den kühnen Versuch machte, Zacharias Werner’s „Luther“ zur Darstellung zu bringen, und welches rege Interesse man diesem Experimente in allen, auch in den bürgerlichen Kreisen der kleinen thüringischen Universitätsstadt entgegenbrachte. Auch für Devrient’s „Luther“ hat sich die lebendigste und freudigste Theilnahme geäußert, die Darsteller des Festspieles, deren mehr als hundert sind, fanden sich aus allen Gesellschaftskreisen Jenas zusammen, sodaß nur zwei Rollen, die Luther’s und der Katharina (Herr Devrient und seine Schülerin, Fräulein Kühlmann), von Berufsschauspielern dargestellt werden. Nachdem das Festspiel vollendet war, hatte der Regisseur Devrient den Dichter Devrient abgelöst und unter seiner anregenden Leitung fanden die Proben statt, denen sich alle Mitwirkenden mit hingebendem Eifer und hoher Begeisterung widmeten. Man darf behaupten, daß ein Ensemble von Berufsschauspielern Devrient’s Festspiel vielleicht künstlerisch vollendeter, aber schwerlich mit der gleichen Kraft der Begeisterung und mit so volksthümlicher Wirkung dargestellt haben würde.

Wie hat nun Devrient als Dichter des Festspieles seine Aufgabe gelöst? Wie hat er den reichen Stoff angeordnet, in welche dramatischen Abschnitte zerlegt er das Leben und Wirken des großen Reformators?

Devrient hat mehrere Male den Plan seiner Dichtung geändert, bis er sich für einen Entwurf entschied, der uns Luther’s Leben von den Erfurter Klostertagen bis zum Tode in sieben Abtheilungen vorführt. Wir sehen Luther in der ersten Abtheilung im Franziskanerkloster zu Erfurt, wie der im strengen Dogma befangene Jüngling nach einem freien freudigen Gottesglauben ringt, wie ihn das Bewußtsein der menschlichen Schwäche und Sündigkeit quält, bis ihn der edle Staupitz den Ausweg aus seiner Seelenmarter zeigt, indem er ihn auf die erste und größte Wahrheit des Christenthums hinweist, auf die Vergebung der Sünden durch den Glauben an den Erlöser. Was er nun erkannt als den rechten Geist und Inhalt des Evangeliums, das lehrt er in Wittenberg mit dem ganzen Feuereifer der Ueberzeugung.

Wir finden ihn in der zweiten Abtheilung des Festspiels als den gefeierten Lehrer seiner Wittenberger Gemeinde; aber wie er erst mit sich gekämpft und gerungen, so muß er jetzt kämpfen mit den crassen kirchlichen Mißständen, über die ihm seine Romreise in Angelegenheiten seines Ordens die Augen geöffnet hat. Der Ablaßschwindel droht sich zwischen ihn und seine Gemeinde zu drängen, denn der Ablaß sichert ja Jedem Vergebung der Sünden gegen gute Bezahlung, während er, Luther, die Lehre predigt, daß Vergebung der Sünden nur erlangt werde durch wahrhafte Reue und Buße. Das gesprochene Wort dringt nicht kräftig genug durch: da schlägt er die Thesen an die Schloßkirche an. Die Kirchgänger finden den Anschlag, die Studenten übersetzen die lateinischen Thesen dem Volk und die Stimmung steigert sich zu hellem Tumult, als ein Ablaßhändler aus Halle in Wittenberg erscheint. Luther sucht den Aufruhr zu dämpfen, wird aber zu den ersten Demonstrationen gegen den Papst gereizt.

Die beiden folgenden Abteilungen zeigen uns Luther auf dem Reichstage zu Worms und auf der Wartburg; die Situationen sind die bekannten. Mit der fünften Abtheilung tritt Katharina von Bora in die Handlung ein. Luther’s Lehre ist bis in die Abgeschlossenheit der Klöster gedrungen: die Herzen erwachen, die Seelen dürsten nach Freiheit; das Weib verlangt nach seinen Rechten. Katharina entflieht aus Nimpschen mit Hülfe Luther’s, und die nächste Abtheilung schildert uns Luther’s Kämpfe mit seiner Neigung, bis die Liebe siegreich durchbricht und er, der nun die Mönchskutte abgelegt hat, seine „Käthe“ heimführt.

Bis hierher bewegt sich die Handlung rasch vorwärts und in aufsteigender Linie; nun aber macht der Dichter einen tiefen Einschnitt in die Handlung. Die letzte Abtheilung spielt im Sterbejahr Luther’s und sie muß von einer eigenthümlich ergreifenden Wirkung sein. Es ist nicht mehr der kühne, von Schaffensfreudigkeit beseelte Reformator, der hier im Kreise seiner gelehrten Freunde bei der letzten Bibelrevision sitzt. Seine Arbeitskraft ist wohl noch vorhanden, aber der frische Quell der Arbeitslust ist versiegt. Undank und Zwiespalt lähmen Luther’s Werk; der große Sieger im Geisteskampfe erlebt das tragische Geschick aller großen Männer, den Abfall der Stimmung auf dem Gipfel seines Wirkens, und diese Erfahrung hat ihn trübe und starrsinnig gemacht.

Die Grafen von Mansfeld rufen Luther auf, ihren Streit zu schlichten, und alt und matt, den Tod im Herzen, folgt er diesem Rufe. Dem Schmerz, der bangen Vorahnung Katharina’s, ihren Gatten nicht wiederzusehen, steht seine fromme Ergebenheit in Gottes Willen gegenüber. Mit dem Schlußgesang: „In Fried’ und Freud’ fahr’ ich dahin,“ von Luther und den Seinigen gesungen, gelangt das Festspiel Devrient’s zu einem wirkungsvollen Abschluß.

Es erübrigt uns nur noch einige Worte über den Lebensgang des Mannes zu sagen, von dem in der „Gartenlaube“ während der letzten Zeit wiederholt gesprochen worden ist und den wir unseren Lesern heule im Bilde vorstellen.

Am 3. October 1838 in Berlin als Sohn Eduard Devrient’s, des berühmten Theaterhistorikers, geboren, war Otto Devrient an verschiedenen Theatern als Liebhaber und Charakterdarsteller thätig, doch machte sich auch sein glänzendes Regietalent bald bemerkbar. Seine vortrefflichen Inscenirungen am Hoftheater zu Weimar hatten zur Folge, daß er an die Spitze des Mannheimer Hof- und Nationaltheaters berufen wurde. Damit beginnt Devrient’s Directorialthätigkeit, die er später in Frankfurt fortsetzte und nach vier Jahren künstlerischen Wanderlebens, während welcher Zeit er an den bedeutendsten deutschen Theatern gastirte, im nächsten Jahre als Leiter der Oldenburger Hofbühne wieder aufnehmen wird. Der jüngste der berühmten „Devrient’s“ steht heute in vollster Manneskraft, und seinem glänzenden Geiste, seiner vielseitigen und fleißigen Thätigkeit wird die deutsche Bühne sicherlich noch manche werthvolle Anregung verdanken.




Ein Stückchen Faustrecht aus neuerer Zeit. In einer der schönsten Gegenden des an Naturschönheiten so reichen westfälischen Sauerlandes liegt das durch seine Draht- und Eisenindustrie, sowie durch die trefflichen dort gefertigten Gold- und Silberwaaren bekannte Städtchen Altena.

[692] In früheren Jahrhunderten war die Bedeutung Altenas als Industriestadt eine verhältnißmäßig noch größere, als heute. Weit über die Grenzen Deutschlands hinaus wurden damals die Arbeiten seiner Messer- und Panzerschmiede gesucht, und noch der große Kurfürst hatte, um die hier betriebene Kunst zu ehren und zu fördern, den Bewohnern von Altena Befreiung vom Militärdienste zugesagt und dieses Recht für Kinder und Kindeskinder feierlich verbrieft. Diese Gnade, auf welche die wackern Altenaer nicht wenig stolz waren, sollte etwa ein Jahrhundert später zu einem höchst eigenthümlichen Vorfalle Veranlassung geben.

Noch während des Siebenjährigen Krieges hatte man jenes Recht geachtet, und außer einigen patriotischen jungen Burschen, welche in der Stunde der Noth freiwillig zu den Fahnen des großen Königs geeilt waren, hatte kein Altenaer dessen Rock getragen.

Bald nach Beendigung des Krieges sollte jedoch das alte Privilegium gewaltsam angetastet werden. Einer von den Kampfgenossen des großen Königs, der General von Wolfersdorff, ein gewaltthätiger, rücksichtsloser Mann, ein Haudegen von der alten Schule, war nach beendetem Kriege als Regimentscommandeur nach Hamm versetzt. Bei einem Besuche in Altena hatte er mit Wohlgefallen die kräftigen Gestalten der Altenaer Bürgerssöhne gesehen und dabei die Aeußerung gethan: „Schöne Leute; das wären Soldaten für mein Regiment!“

Die Altenaer machten sich, als sie diesen Ausspruch des Generals vernahmen, darob wenig Sorgen; denn sie vertrauten auf ihr altes Recht.

Nicht gering war deshalb ihre Verwunderung, als trotzdem eines schönen Tages die Kunde sich verbreitete, daß der General auf dem Wege fei, um ihre Söhne mit Gewalt zu Recruten zu pressen.

Mochte anfangs auch Mancher über diese Nachricht lachen, so verging doch der Scherz, als man den General hoch zu Roß an der Spitze einer Compagnie Grenadiere in der Richtung von Iserlohn her auf die Stadt losrücken sah.

Einen Augenblick standen die wackeren Altenaer bestürzt da ob des seltsamen Anblickes, der sich ihnen bot; aber auch nur einen Augenblick; dann war ihr Entschluß gefaßt, und man war darüber einig, daß man sein gutes altes Recht wahren und Gewalt mit Gewalt vertreiben müsse.

Die Glocken, welche seit jenem Tage, wo hundert Jahre zuvor der Oberst Barbisier, einer der Henkersknechte Ludwig’s XIV., die Stadt mit Plünderung bedroht, nur noch zu friedlichem Werke geläutet hatten, ließen in gellenden Schlägen ihren Nothruf durch das Thal erschallen, und sie hatten nicht vergebens gerufen. Von allen Seiten strömten Jung und Alt, Mann und Weib eilends herbei, um dem Feinde den Einzug zu wehren.

Schnell wurden die Thore geschlossen und in den engen Straßen des Städtchens entwickelte sich ein gar seltsames, emsiges Treiben. Ueberall in den Werkstätten und Häusern, wie auf offener Straße sah man die Bürger große Feuer anzünden und Wasser, sowie mächtige Eisenstäbe herbeitragen.

Die Aufforderung des inzwischen herangekommenen Generals, die Thore zu öffnen, wurde abgelehnt, und als Wolfersdorff mit Gewalmaßregeln drohte und seine Soldaten zum Sturme vorgehen ließ, begann der Kampf.

Während die Männer mit glühend gemachten Eisenstangen auf die Stürmenden losschlugen, gossen die Frauen von den Stadtmauern heißes Wasser auf die Anstürmenden herab, welches die Kinder aus den Häusern ihnen zutrugen.

Die armen Soldaten, welche, eines solchen Empfanges nicht gewärtig, keine Kugeln mit sich führten und lediglich auf den Gebrauch des Kolbens und des Bajonnets angewiesen waren, befanden sich den glühenden Eisenstangen und den heißen Wassergüssen der zornigen Altenaer gegenüber sehr im Nachtheil, wurden aber trotzdem von ihrem über einen solchen Widerstand aufgebrachten Führer immer auf’s Neue zum Angriffe vorgetrieben.

Nachdem man so mit äußerster Erbitterung von beiden Seiten nahezu zwei Stunden lang gekämpft hatte, mochte der General doch wohl einsehen, daß sein Bemühen vergebens fei. Eine große Zahl seiner Soldaten hatte, wenn auch nicht gerade gefährliche, so doch sehr schmerzhafte und schwer zu heilende Verwundungen davongetragen. Er entschloß sich endlich zum Rückzuge, welcher denn auch alsbald unter dem lauten Jubel der Altenaer angetreten wurde.

Während Wolfersdorff in Hamm seine Verwundeten heilen ließ und mit Grimm seiner Niederlage gedachte, veranstalteten die Altenaer am nächsten Sonntage ein feierliches Dankfest.

Der Pfarrer hatte den Text aus Jesaias 37, 29 genommen, wo der Herr zu Sanherib, dem Feinde Israel’s, spricht: „Ich will dir einen Ring in die Nase legen und ein Gebiß in dein Maul und dich den Weg wieder umführen, den du gekommen bist.“

Mit dieser originellen und für Wolfersdorff wenig schmeichelhaften Dankfeier war die Sache jedoch noch keineswegs für diesen abgethan. Die Bürgerschaft hatte nicht unterlassen, den Vorfall nach Berlin zu berichten, und Friedrich II., welcher in solchen Dingen keinen Spaß verstand, sandte seinem General folgenden kräftigen Verweis:

„Mein lieber General von Wolfersdorff!

Es ist officiell rapportirt worden, welche Disturbationen Er in dem Städtchen Altena gemacht hat. In Erwägung seiner sonstigen Meriten will Ich diese mauvaise Geschichte für diesmal pardonniren, werde Ihn aber, wenn Er sich nochmal eine solche Abnormität zu Schulden kommen läßt, nach Spandau schicken.“

Das Privilegium der Befreiung vom Militärdienst ist nun mit so manchem Anderen längst erloschen; der stolze, unabhängige Bürgersinn aber, welcher sich in dem hier erzählten Vorfalle ausspricht, ist den Bewohnern von Altena bis zur Stunde geblieben.

Im Uebrigen wird man im Gegensatze zu der sogenannten „guten alten“ Zeit, in der solche Dinge sich ereignen konnten und in der nur zu oft die Willkür und die rohe Gewalt an die Stelle des Rechtes traten, die unsrige doch wohl als die bessere neue bezeichnen dürfen.

Rudolf Scipio.




„Thiere der Heimath.“ Deutschlands Säugethiere und Vögel, geschildert von Adolf und Karl Müller. Mit Original-Illustrationen nach Zeichnungen auf Holz und Stein von C. F. Deicker und Adolf Müller. Kassel und Berlin. Verlag von Theodor Fischer. – Die Namen der Verfasser, den Lesern der „Gartenlaube“ seit langen Jahren bekannt durch eine Reihe anziehender Schilderungen aus dem Thierleben, ließen auch diesmal etwas Gediegenes erwarten. Brehm hatte es mit einigen Mitarbeitern unternommen, die Gesammtheit der Thierwelt, beziehungsweise deren biologische Eigenthümlichkeiten dem gebildeten Publicum aller Stände zugänglich zu machen, und die große Verbreitung des „Thierlebens“ dürfte als erfreuliches Zeichen des erwachenden Interesses an den Naturwissenschaften gelten. Wenn nun die Gebrüder Müller für ihr Werk die Rahmen enger gezogen haben, indem sie ausschließlich die „Thiere der Heimath“ zur Sprache bringen, so muß das ein recht glücklicher Gedanke genannt werden.

Die Aufgabe, die gewiß keine leichte war, ist in dem vorliegenden Werke in glänzender Weise gelöst. Da es Original nicht nur in Hinsicht auf das Beobachtungsmaterial, sondern auch in Bezug auf bildliche und sprachliche Darstellung, holt sich unzweifelhaft jeder Naturfreund, Forscher wie Dilettant, gern in dem auch durch äußere Vorzüge ausgezeichneten Buche Belehrung und Rath. Selbst denjenigen aber, dem das Interesse an den Werken der Natur abgegangen, dürften die lebenswarmen Thiercharakeristiken, welche die unverkennbaren Züge eines von Jugend auf im Verkehr mit der Natur geübten Scharfblicks und einer treuen Hingebung und minutiösen Sorgfalt tragen, sicherlich nicht kühl lassen, sondern sie werden in ihm den Wunsch rege machen zu eigener Beobachtung, zu einem vertraulicheren Umgang mit der Welt der lebenden Wesen, die gleichzeitig mit uns den heimischen Boden bewohnen. Es ist eben nicht Studirstubenluft, die uns entgegenweht aus diesen Blättern, sondern der würzige Hauch des Waldes, wo wir bald der Spur des flüchtigen Rehs folgen, bald auf den hämmernden Specht lauschen. Bald werden wir in’s frische Grün des Baumgartens geführt, wo der Buchfink schlägt, bald zum plätschernden Mühlrad, dem Lieblingsaufenthalt der Wasseramsel, bald an das Gebälk einer alten Scheune, wo bei Mondschein eine Marderfamilie auf das Raubhandwerk auszieht – alles lebendig, alles frisch; überall wirken Belehrung und Erzählung in wohlthuender Abwechselung, und selbst dem Humor ist an der richtigen Stelle sein Plätzchen vergönnt. Aber auch mancher beherzigenswerthe Mahnruf ist eingefügt, wo es heißt, gegen Unwissenheit, Kurzsichtigkeit und Vorurtheil zu Felde zu ziehen und einem verkannten Freunde des Landwirths die Ehre zu retten.

Wir wünschen dem trefflichen Buche die verdiente Anerkennung!

Dr.Emil A. Göldi.




Des Tigers Beute. (Mit Illustration auf Seite 681.) Der Sieger in dem gewaltigen Ringen, dessen Ausgang uns heute die meisterhafte Originalzeichnung von Friedrich Specht vorführt, ist unseren Lesern zur Genüge bekannt. Vielen aber dürfte es neu sein, daß dieses berüchtigte Raubthier Ostindiens, welches, im Gegensatze zu anderen wilden Thieren, vor der menschlichen Cultur nicht zurückweicht, sondern mitten aus belebten Dörfern sich seine Beute holt, in dem indischen Büffel einen ihm meist gewachsenen Gegner findet. Der Wildbüffel ist in der That mit so großer Kraft und solchem Muth ausgestattet, daß er im Kampfe mit dem Tiger fast regelmäßig Sieger bleibt. Man erzählt sogar, daß Büffel einmal einen Hirten, der von einem Tiger gepackt worden war, von dem Angreifer befreit und den Tiger getödtet hätten, oder, daß die Büffel einer Heerde, als sie das Blut eines angeschossenen Tigers rochen, sofort dessen Spur aufnahmen und diese mit rasender Wuth verfolgten. Darum stellt auch die indische Dichtung den Büffel als dem Tiger ebenbürtig dar. In dem von unserem Künstler mit seltener Lebenstreue dargestellten Falle verhalf dem Tiger augenscheinlich die Hinterlist zum Sieg, indem er das zur Tränke gehende Thier unverhofft überfiel.




Kleiner Briefkasten.

B. K. in Hamburg. Der vor Kurzem im „Berliner Tageblatt“ veröffentlichte und mit so vielem Beifall aufgenommene Roman „Am Horizont“ von Friedrich Friedrich ist soeben als Buch im Verlag von Wilhelm Friedrich, Leipzig, erschienen. Ebenso können Sie die früher in der „Gartenlaube“ (Jahrgang 1881) veröffentlichte Novelle von Victor BlüthgenDer Friedensstörer“ jetzt in Buchform bei Gebr. Paetel in Berlin beziehen.

G. B. in Nürnberg. Hinsichtlich der Richtigschreibung des Dialekts ist Ihr Wunsch erfüllt worden.

L. B. in Triest. Die Dichterin, welcher wir Ihre Anfrage mittheilten, wird Ihnen wohl selbst den gewünschten Bescheid geben.

Frau „Veritas“ in L. Ja, es ist richtig: der Lorenz Clasen ist der Maler der „Wacht am Rhein“, jener ersten kampfgerüsteten „Germania“.

A. K. in E. Schwindel.

Ein Abonnent in Lübeck. Wir bitten Sie um genaue Angabe Ihrer Adresse, da unser Brief an Sie als unbestellbar zurückgekommen ist.




Inhalt: Die Braut in Trauer. Von Ernst Wichert (Fortsetzung). S. 677. – Aus den dreieinigen Königreich. Ein Beitrag zum Verständniß der kroatischen Wappenfrage. Von Ferdinand Schifkorn. S. 682. Mit Abbildungen. S. 682 und 683. – Die Sage vom Doctor Faust. Von Fr. Helbig. II. – 685. Falsches Geld. Illustration von A. Eckardt. S. 685. – Deutschlands große Industrie-Werkstätten. Nr. 17. Louis Schönherr und sein Webstuhl. S. 687. Mit Abbildungen von E. Limmer. S. 688 und 689. – Blätter und Blüthen: Otto Devrient und sein Luther-Festspiel. S. 691. Mit Portrait. G. 684. – Ein Stückchen Faustrecht aus neuerer Zeit. S. 691. – Thiere der Heimath. – Des Tigers Beute. S. 692. Mit Illustration von F. Specht. S. 681.


Unter Verantwortlichkeit von Dr. Friedrich Hofmann in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Zur richtigen Würdigung dieser Errungenschaft sei erwähnt, daß die kroatische – nicht serbische – Schriftsprache erst vor etwa 50 Jahren durch den nationalen Gelehrten Gay (1809 geb.) eingeführt und 1835 die erste kroatische Zeitung unter dem Titel „Naradne Novine“ herausgegeben wurde.