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Die letzte Theatersaison (Die Gartenlaube 1889)

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Textdaten
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Autor: Rudolf von Gottschall
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Titel: Die letzte Theatersaison
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aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 618–620
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die letzte Theatersaison.

Manche neue Trauerspiele und Lustspiele sind über die Bühne gegangen, doch nur wenige sind als ein dauernder Gewinn für das Repertoire zu verzeichnen. Den größten Erfolg hat wohl das Schauspiel von Ernst von Wildenbruch, „Die Quitzows“, davongetragen; es ist in Berlin geradezu volksthümlich geworden. Abgesehen von den zahlreichen Wiederholungen am Hoftheater, hat es sich der Kaiser selbst in einer Sondervorstellung vorspielen lassen, und in einer Schülervorstellung ist es auch dem jüngeren heranwachsenden Geschlecht zugänglich gemacht worden. In Breslau und an anderen preußischen Bühnen hat es Beifall gefunden, aber auch in Straßburg, und es wird noch an manchen Theatern, wo der Berliner Lokalpatriotismus und die brandenburger Provinzialgeschichte fremdartiger gemahnen, seinen Einzug halten; denn es ist eine Dichtung voll Mark und Kraft und jedenfalls die eigenartigste Schöpfung Ernst von Wildenbruchs.

Der Charakter des Haupthelden, Dietrich von Quitzow, mag an den Goetz von Berlichingen erinnern: er ist voll stolzer, aber wilder Männlichkeit, von einem selbstherrlichen Trotz, der das Gesetz verachtet und kein anderes anerkennt als das, welches er selbst diktirt. So sagt er sich von den Pommerherzogen los, welche ins Land gefallen sind, und schließt ein Bündniß mit der Stadt Berlin, bei welchem er aber den Löwenantheil für sich in Anspruch nimmt. Dem kaiserlichen Abgesandten, welcher den Burggrafen von Nürnberg als den Statthalter der Marken ankündigt, antwortet er trotzig im Namen Berlins, aber bereits im Widerspruch mit den Berliner Bürgern. Und dieser Widerspruch steigert sich zu heftiger Gereiztheit, als er Wins, den Bürgermeister von Straußberg, gefangen auf seine Burg Friesack abführen läßt. Dem Burggrafen von Nürnberg, dem Hohenzollern, der sich in einem Monolog voll hoher dichterischer Schönheit einführt, huldigen nun die meisten Ritter und die Städte, auch die Stadt Berlin; nur Dietrich von Quitzow verharrt in unbeugsamem Trotz, wird von dem Burggrafen in die Acht erklärt und in seiner Feste Friesack belagert. Doch nicht durch die Hand der Truppen des Hohenzollern fällt Dietrich von Quitzow, er fällt durch die Hand seines Bruders Konrad, der aus der Domschule des Propstes Ortwin zu dem kaum gekannten Bruder zurückkehrt, weichherzig und edelmüthig und dem gewaltthätigen Wesen feind. Die Frau und Tochter des gefangenen Bürgermeisters nimmt er dem Bruder gegenüber in Schutz, die letztere gewinnt sein Herz. Innerlich gebrochen durch den Zwiespalt mit Dietrich und dem Hohenzollern im Herzen zugethan, erhebt sich Konrad erst zu energischem Widerstand, als Dietrich, seiner Geliebten, der polnischen Königstochter Barbara, folgend, zu den ins Land fallenden Polen mit den Seinigen durchbrechen will. Da rafft sich Konrad auf, giebt Gegenbefehl, und es kommt zu einer hochdramatischen Scene zwischen den beiden, in welcher Dietrich von Konrads Hand fällt; dieser läßt sich dann selbst tödten vom Bannerträger der Quitzows.

Betrachtet man den Aufbau der ganzen Dichtung, so verdient es vielleicht Tadel, daß dieser entscheidende Konflikt zwischen den Brüdern erst so spät zum Ausbruch kommt und sich nicht von Anfang an ankündigt. Doch das Stück ist ja mehr als eine Tragödie der feindlichen Brüder; es hat einen breiten geschichtlichen Untergrund und weite historische Fernblicke; es ist eine Verherrlichung der Herrschaft des Gesetzes, welches mit den Hohenzollern in die Mark eingezogen ist, gegenüber dem wüsten Raubritterthum, das sich oft mit des Landes Feinden verband; es ist eine Huldigung für das Herrschergeschlecht, welches dem Volke ein Vaterland geschaffen hat, und dafür wird ja Konrad von Quitzow zum Brudermörder und bringt sich selbst zum Opfer. So ist das Stück nicht in knapper dramatischer Fassung, sondern weitläufig aufgebaut, um Raum und Licht zu lassen für die geschichtliche Entwicklung. In den ersten Akten nehmen die Volksscenen einen breiten Raum ein; wie ein kleines Lustspiel, das selbst seinen Abschluß hat, spielt die Liebe des Köhne Finke, des flotten Vagabunden, zur Meisterstochter Riecke in die Handlung mit herein, und durch den Berliner Dialekt, dessen Einführung von zweifelhafter Berechtigung ist für die Zeit der Quitzows, in denen „Nante“ noch nicht geboren war, erhalten einzelne Scenen fast das Gepräge einer geschichtlichen Berliner Lokalposse; sie sind aber dabei so frisch und naiv, so gesund und kernig, daß sie nur Wohlgefallen erwecken. Die Frauencharaktere treten weniger bedeutsam hervor; einige sind nur für die Straßenscenen geschaffen; die irrsinnige Agnes, geheilt durch die in ihrem Herzen aufgehende Liebe zu Konrad, hat einen wehmüthigen Reiz; am meisten greift die kühne Polin Barbara, die etwas von Schillers Marina im „Demetrius“ hat, in die Handlung ein, als sie den Anmarsch der von ihr herbeigerufenen Polen verkündet. Die Sprache hat in den ernsten, geschichtlichen Scenen einen markigen Vollklang, bisweilen weihevollen Schwung; es ist der Ton Shakespearescher Dichtung.

[619] Neben diesem geschichtlichen Schauspiele, welches auf volksthümlicher, wenn auch provinziell beschränkter Grundlage ruht, sind in der vergangenen Saison dramatische Dichtungen zur Aufführung gelangt, welche in ihrer Eigenart beweisen, wie mannigfach das Farbenspiel unserer Talente ist und wie wenig sich auf dem Gebiete der ernsten Dramatik ein durchgreifender Stil gebildet hat.

Von Paul Heyse ist in Berlin ein Schauspiel „Weltuntergang“ gegeben worden, welches von dem Dichter als „Volksstück“ bezeichnet und in Versen von Hans Sachs, beziehungsweise in Faustversen geschrieben worden ist, die nur bisweilen durch regelrecht gebaute Fünffüßler eine Unterbrechung erleiden. Die dramatisirte Anekdote spielt im Mittelalter in einer Stadt am Rhein, welche durch konfessionellen Zwiespalt zerrüttet ist. Ein Komet steht am Himmel, und ein edeldenkender Arzt, auf dessen Weisheit das Volk vertraut, hofft, durch Verkündigung des bevorstehenden Weltuntergangs die Gemüther versöhnlich zu stimmen; doch auf dem Markte sowie im Familienleben hat diese Prophezeiung nicht sogleich die erwartete Wirkung; es lösen sich vielmehr alle Bande und man jubelt und jammert dem hereinbrechenden jüngsten Tage entgegen. Aber schließlich vollzieht sich eine That der Versöhnung: die zwei Züge der Protestanten und Katholiken, die sich unter Leitung ihrer Geistlichen auf dem Markte begegnen, verharren nicht in feindseliger Haltung; sie lösen sich auf und die Genossen von hüben und drüben reichen sich die Hände. Gleichzeitig löst sich versöhnlich der innere Zwist der Familien und zwei Liebesverhältnisse kommen zum Abschluß. Der Handlung fehlt der dramatische Zug; sie zerfällt in Genrebilder, von denen einzelne ganz allerliebst durchgeführt sind, über deren Bedeutung aber auch die ernsteren Liebeshändel nicht hinausgehen. Von den einzelnen Charakteren ist die Jüdin Judith, welche der schwedische Cornet Rochus liebt, am besten gezeichnet; als eine volksthümliche Vogelscheuche erscheint der hochmüthige und feige Sohn des Bürgermeisters, Aegidius. Neben den heiteren Volksbildern enthält das Stück manche salbungsvolle Moral, den Schluß aber bildet der stets preiswürdige Sieg der Duldsamkeit über die gehässige Feindschaft der Andersgläubigen.

Neben diesem genrehaften Kulturbild Heyses, auf welches das verklärende Sonnenlicht neuzeitlicher Humanität fällt, steht die tiefsinnige Traumdichtung Adolf Wilbrandts „Der Meister von Palmyra“, welche am Münchener Hoftheater zur Aufführung gekommen ist, eine Dichtung, die an die Calderons und Grillparzers, „Das Leben ein Traum“, „Der Traum ein Leben“, erinnert, welche uns ebenfalls das Leben und die Welt in traumhafter Beleuchtung zeigen. Doch predigt das Drama von Wilbrandt eine andere Lehre als diese; die jüdisch-christliche Sage vom Ahasveros, der nicht sterben kann, spielt ebenso in die Dichtung herein wie der alte Glaube des Lotosblumenlandes an die Seelenwanderung. „Der Meister von Palmyra“, Apelles, ein tapferer Krieger, der die Wüstenstadt von den Feinden errettet, verabscheut den Tod, „den blutlos finstern Feind der Menschheit“, und der schnöde Tod, der als Pausanias erscheint, bleich und schwarzverhüllt von Kopf zu Fuß, geht ihm aus dem Wege. Im letzten Akte verwandelt sich der Meister von Palmyra in einen Ahasver, der müde von irrer Wanderschaft den Tod anruft; doch diesem Meister gegenüber tritt nun eine weibliche Gestalt, die in immer neuen Menschwerdungen erscheint, zuerst als die Christin Zoë, die als ein Opfer der heidnischen Bewohner von Palmyra fällt, denen sie das Evangelium predigt; dann als die heitere lebenslustige Römerin Phoebe, die sich treulos von ihm wendet, dann als seine Gattin Persica und als sein Enkelsohn Nymphas, der etwas vom Goetheschen Euphorion hat; dann als die geheimnißvolle Zenobia, in der wie ein Blitz die Erinnerung an frühere Erdenwanderung in wechselnden Gestalten aufleuchtet. Und ihr gegenüber erkennt Apelles die Wahrheit, welche zugleich der Sinn der ganzen Dichtung ist:

„Es springt des Lebens Geist von Form zu Form,
Eng ist des Menschen Ich, nur eine kann’s
Von tausend Formen fassen und entfalten.“

Darum soll der Mensch nicht nach der Ewigkeit trachten, im Wechsel soll er blühn, von Form zu Form das enge Ich läutern und verklären … eine Verherrlichung der indischen Seelenwanderung! Es liegt in der Anlage dieses dramatischen Märchens, daß es in verschiedenen Handlungen besteht, die miteinander nur durch die Person des Apelles verknüpft werden. In den Dramen Calderons und Grillparzers herrscht doch immer eine einheitliche Handlung, hier zersplittert sich dieselbe in fünf Einakter. Der Kampf des Heidenthums und Christenthums giebt den bewegten dramatischen Hintergrund her. Gegen den Grundgedanken wird sich manches einwenden lassen. Diese wechselnden Gestalten haben ja kein Bewußtsein ihrer innern Einheit; wie sollen sie der Vollendung entgegenreifen? Auch im Stücke selbst bezeichnet die leichtfertige Phoebe doch keine Stufe des Fortschrittes gegenüber der apostolisch begeisterten Zoë, indeß klingt in das Traummärchen Sinn und Bedeutung mehr herein, als daß ihm eine streng logische Beweiskraft innewohnte – und „Der Meister von Palmyra“ ist das Werk eines echten Dichters, reich an poetischen Schönheiten und an tiefen Gedanken in edler Fassung und von scharfem Gepräge.

Zu diesen deutschen Dichtungen, deren dramatische Form mehr etwas Zufälliges hat, gesellte sich eine ausländische, welche am Berliner Hoftheater Begeisterung und Widerspruch fand, des Norwegers Henrik Ibsen Schauspiel „Die Frau vom Meere“. Berlin hatte seine „Ibsenwoche“, in welcher zur Feier des anwesenden Dichters die Bühnen miteinander wetteiferten, Dramen von ihm zu geben, hier „Nora“, dort „Die Wildente“ auftauchte und vor allem „Die Frau vom Meere“, an der ersten Bühne der Reichshauptstadt aufgeführt, die öffentliche Meinung beschäftigte. Die Schwärmerei des deutschen Publikums für das Ausländische stammt nicht von heute und gestern, auch ist ja das Genie an keine Landes- und Sprachgrenzen gebannt und hat das Recht, überall verherrlicht zu werden: doch ist Henrik Ibsen ein Genie? Seine Anhänger behaupten das; aber nicht im Absonderlichen prägt sich der Genius aus, er hat etwas allgemein Bezwingendes und Hinreißendes. Ibsen zeichnet mit markigen Strichen, er hat Lebenswahrheit im einzelnen; doch die innere Unwahrheit seiner Seelengemälde wird nur von denen geleugnet werden, die sich von der Kühnheit seiner Voraussetzungen und der Sophistik seiner Schlußfolgerungen blenden lassen.

Seine Phantasie hat etwas Träumerisches; aber ihre Gespinste sind wie die kalten Nebelgespinste des Nordlandes, nicht von sonniger Gluth durchleuchtet; sie haben etwas Naßkaltes, das nicht zu erwärmen vermag. Auch in der „Frau vom Meere“ weht ein Hauch dieser naßkalten Romantik. Die Heldin hat einen abenteuerlichen Seelenbund geschlossen mit einem fremden Mann, und zum Zeugniß dessen ihren Ring ins Meer geworfen. Gleichwohl schließt sie später eine bürgerliche Ehe mit einem gewöhnlichen Sterblichen, einem Landarzt seines Zeichens, und diese Ehe wird unglücklich durch die Rückerinnerung der Frau an das Seegespenst, an diesen unbekannten Fremden, den fliegenden Holländer, und durch ihre thörichten Gewissensbisse, daß sie diesem die Treue gebrochen habe. Doch der Spuk gewinnt wieder Leben; der Fremde kehrt in leibhaftiger Gestalt zurück, und der Bezirksarzt stellt es seiner Gattin anheim, ob sie jenem folgen oder treu in ihrer Ehe ausharren wolle. Da entscheidet sie sich für das letztere; das Seegespenst verschwindet im Nebel, die Frau vom Meere ist geheilt durch diese That freier Selbstbestimmung, und die vom alten Spuk erlöste Ehe wird eine glückliche. Die Sehnsucht nach dem Meere, nach der geheimnißvollen Ferne hat einen poetischen Zug, und Ibsens Muse erinnert in diesem Stücke an die deutschen Romantiker und ihre traumselige Dichtweise; aber eine gemüthskranke Heldin, welche die Seelenheilkunde herausfordert, kann nicht die Heldin eines Dramas sein, welches nicht in bloßen Stimmungen aufgehen darf. Es bleibt im Grande nur eine etwas langweilige Krankengeschichte übrig – und in diesem Sinne hat sich auch ein Theil der Berliner Kritik ausgesprochen.

Frischere Meeresluft unter dem heiteren griechischen Himmel weht durch das Trauerspiel „Nausikaa“ von Hermann Schreyer[WS 1], welches am Hoftheater in Berlin zur Aufführung kam und eine freundliche Aufnahme fand. Die Heldin ist jene Homerische Phäakentochter aus der Odyssee, welche Goethe einmal zur Trägerin eines Schauspiels machen wollte, dessen Entwurf noch vorhanden ist; doch zu einer dramatischen Heldin eignet sich Nausikaa nicht: mindestens muß, wenn dies der Fall sein soll, ihr Charakter und ihr Schicksal wesentlich umgedichtet werden, sie muß die Knospe der altgriechischen Naivetät sprengen und ein volleres leidenschaftliches Leben entfalten. We anmuthig ist bei Homer die Abschiedsscene zwischen der Jungfrau und dem göttlichen Dulder, den sie bittet, bei den Seinen ihrer eingedenk zu sein … welch ein Hauch sanfter [620] Wehmuth schwebt über derselben! Wie anders die Schlußscene unserer Tragödie: Odysseus stößt im Gewittersturm vom Ufer und Nausikaa stürzt sich ins Meer, um den Zorn des Poseidon zu versöhnen.

Einer solchen Katastrophe müssen allerdings leidenschaftliche Scenen voraufgehen, von denen die Muse Homers keine Ahnung hat. Odysseus kämpft mit einem Nebenbuhler und besiegt ihn, das Volk der Insel ist aufgeregt wider ihn, doch Alkinoos besänftigt diese Aufregung und ist bereit, dem Odysseus die Hand seiner Tochter zu geben. Da muß dieser bekennen, daß er schon verheirathet ist; schon früher wollte er dem Mädchen von seiner Penelope sprechen, doch der eifersüchtige Nebenbuhler hinderte ihn daran.

Dieser Zufall spielt eine allzu wichtige Rolle und fällt dem Rade der Handlung in die Speichen, sonst würde sie schon einen Akt früher zum Abschluß gekommen sein. Die Dichtung trägt einen goethisirenden Charakter und es fehlt einigen Scenen auch nicht ein wärmerer poetischer Hauch.

Am Wiener Burgtheater hat man den Versuch gemacht, Friedrich Hebbels Drama „Gyges und sein Ring“ aus dem Schlafe der Buchdramatik zu scenischem Leben zu erwecken, nicht ohne Glück, obschon schwerlich zu dauerndem Gewinne für das Repertoire. Das Drama birgt viele köstliche Edelsteine der eigenartigen Hebbelschen Dichtweise; es ist sogar nicht so herb gehalten wie andere seiner Dramen; doch der Stoff ist gewagt und berührt uns fremdartig, und das tragische Ende der Heldin Rhodope hat für uns nichts Ueberzeugendes.

Wie das Trauerspiel und Schauspiel, so zeigt auch das Lustspiel eine verschiedene Physiognomie, wenngleich die Eigenart der Dichter hier weniger scharf hervortritt und ein mehr gleichmäßiger und gemeinsamer Rahmen diese heiteren Lebensbilder umschließt. Da haben wir zunächst den Salonschwank, in der letzten Saison vertreten durch „Cornelius Voß“ von Franz von Schönthan, welcher mit ungleichem Erfolg über die Bühnen ging, an den norddeutschen Theatern meistens sehr gefiel, am Wiener Hofburgtheater, welches die Ueberlieferungen des echten und feinen Lustspiels wahrt, abgelehnt wurde. Das Streben nach einem gebildeten, vom Esprit durchleuchteten Gesprächston ist in diesem Lustspiel nicht zu verkennen; aber die Verwicklungen beruhen auf den Zufälligkeiten der Schwankdichtung, und was in dem Stücke komisch wirkt, hat mit der eigentlichen Lustspielhandlung nichts zu thun, sondern es sind eingelegte Späße und Scherze; es ist die Posse im Frack.

Im übrigen sind alle Motive des Stückes sehr verbraucht: prinzliches Inkognito und Namenstausch, die Intriguen eines beschränkten Hofmarschalls, der gegen sich selber intriguirt und das Gegentheil von dem durchsetzt, was er erreichen will; dafür lassen sich zahlreiche dramatische Vorlagen aufweisen. Origineller ist freilich, daß eine geistreiche Salondame einem zwar gutmüthigen, aber doch höchst unbedeutenden, fast lächerlichen jungen Manne ihr Herz schenkt; man wird dadurch überrascht und befremdet, aber eine Lustspielwirkung liegt nicht darin. Dem Schwank im Frack gehört die Scene an, wo die beiden Liebenden in ihren wärmsten Hüllen am warmen Ofen sitzen, weil der Prinz nicht sein sonst durch die hohen Orden verrathenes Inkognito aufknöpfen will und die junge Dame sich scheut, bei einem tête-à-tête ihr ausgeschnittenes Festkleid, da sie gerade von einer Hochzeit kommt, zur Schau zu stellen.

Dies letztere Motiv erscheint schon etwas gesucht; die Scene könnte übrigens in jedem andern Stücke spielen, so wenig hat sie mit der eigentlichen Lustspielhandlung zu thun; doch in diesem Auftritt wie in ähnlichen verleugnet der Dichter des „Raubs der Sabinerinnen“ nicht seine muntere Laune.

Ein echtes Salonstück nach französischem Muster ist Paul Lindaus Lustspiel „Die beide Leonoren“, welches am Deutschen Theater in Berlin zuerst mit Beifall gegeben wurde und seitdem den Weg auf sehr viele große und kleine Bühnen fand. Der Dialog hat die graziöse Feinheit der Pariser Bühnenstücke; der Stoff hätte an der Seine eine kühnere Behandlung erfahren; hier erscheint er in der gedämpften Beleuchtung, welche ihn den deutschen bürgerlichen Kreisen annehmbar macht. Ein junger Konsularbeamter macht der schönen Frau eines Justizrathes den Hof; der Gatte giebt sich die Miene, nichts davon zu bemerken, der Onkel des jungen Beamten aber wacht mit Argusaugen über diese ihm nicht unbedenklich erscheinenden Beziehungen; da erscheint auf einmal, aus einer Pension nach Hause kommend, die frische muntere Tochter des Justizraths auf der Bühne, von deren Existenz der junge Konsul keine Ahnung hatte. Die schöne Tochter einer schönen Mutter stellt diese alsbald in Schatten und mit ihrem Erscheinen ist eigentlich des Stückes weiterer Verlauf und Ausgang schon gegeben. Für den Mangel an Spannung hält die hübsche Charakterzeichnung und die gute Laune schadlos, mit welcher einzelne Scenen durchgeführt sind; gleichwohl verdienen die beiden ersten Akte den Vorzug vor den zwei letzten.

Am Wiener Burgtheater und am Berliner Theater ist ein Schauspiel „Bruder Hans“ von C. Karlweis nicht ohne Beifall zur Aufführung gekommen, ein Lustspiel mit ernsteren Zügen und jener Beimischung von edelmüthiger Gesinnung und edelmüthigen Thaten, welche stets eine rührende Wirkung hervorruft. Junker Hans ist ein brüderlicher Märtyrer, der sich ganz für seinen berühmteren Bruder Paul opfert, ihm jeden Liebesdienst erweist, bei seinen wissenschaftlichen Arbeiten mithilft, sie zum Theil selbst verfaßt und ihm überläßt und zuletzt auch bereit ist, ihm seine Liebe zu opfern. Doch das Mädchen, Martha, ist anderen Sinnes: sie liebt Hans und nicht Paul, macht auch daraus kein Hehl, und als Hans nach Afrika reisen will, hält sie ihn zurück; ja sie giebt eine Arbeit, die dieser für den Bruder gemacht hat, in seinem eigenen Namen bei den Professoren ein, nachdem sie dieselbe vom Schreibtisch Pauls einfach fortgenommen hat. Da die Professuren an dieser ungenannten merkwürdigen Universität gewissermaßen als Preise für Konkurrenzarbeiten vergeben werden, so erhält Hans den Preis, das heißt die Professur; aber Paul ist nicht unglücklich darüber; Martha hat ihm eine Strafpredigt gehalten, ihn noch vor dem letzten Aktschluß bekehrt und gebessert, und er sieht es ruhig mit an, wie sie dem aus dem Dunkel auf einmal ans hellste Licht hervorgezogenen Bruder ihre Hand reicht. Das Stück ist sehr anspruchslos und schlägt hier und dort einen sympathischen warmen Ton an; doch der edle Hans erscheint uns als ein nicht recht glaubwürdiges Naturkind in unserer Gesellschaft, und gegen die Bekehrungen auf der Bühne, durch welche plötzlich ein Charakter umgestülpt wird, darf man wohl berechtigte Bedenken hegen.

Ein Lustspiel mit einem glücklichen Grundgedanken und scharfen satirischen Schlaglichtern, „Die wilde Jagd“ von Ludwig Fulda, ist am Berliner Theater und am Wiener Burgtheater mit Beifall gegeben worden und hat dann ein Rundreisebillet für die deutschen Bühnen erhalten und verwerthet.

Die nervöse Hast in unserem gesellschaftlichen und geschäftlichen Leben, die Hetze, die niemals zur beschaulichen Ruhe und Einkehr kommt und immerfort dem äußeren Erfolg nachjagt, ist besonders in den Salonbildern des ersten Aktes recht überzeugend dargestellt.

Die junge Frau des Malers setzt auch in der Ehe diese „wilde Jagd“ fort, so daß sich das Atelier in einen Salon verwandelt und der Künstler kaum weiß, wohin er flüchten soll. Durch ihre Bekanntschaften verschafft sie dem Gatten eine Auszeichnung, und er ist außer sich, als er erfährt, daß seine Frau dabei die Hand im Spiele hatte. Es kommt indeß alles zu einem wohlmeinenden Abschluß. Ludwig Fulda hat sich durch kleine Sinn- und Spottgedichte und durch gefällige Einakter vortheilhaft eingeführt, der glänzende Einfall, das treffende Schlag- und Stichwort stehen ihm zu Gebote, und das ist für einen Lustspieldichter eine wesentliche Mitgift.

Auch an todtgeborenen Kindern fehlte es in der Saison nicht: das Lustspiel „Wilddiebe“ hat weder an der „Burg“, noch an dem Deutschen Theater in Berlin Erfolg gehabt; die wenig geschickte Nachahmung neufranzösischer Muster und vieles Anstößige, was sie zur Folge hatte, forderten den Widerspruch des Publikums heraus.

Andere ernste und heitere Stücke sind hier und dort aufgetaucht und es muß sich erst zeigen, ob es zukunftslose Nieten waren oder ob sie in der künftigen Saison größere Verbreitung finden und sich auch auf anderen Bühnen bewähren. Auch abgesehen von den „Wilddieben“ haben die deutschen Nachahmer französischer Dichtweise mehrfache Niederlagen zu verzeichnen; hoffentlich schlägt unser Drama immer mehr Wurzeln auf heimischem Boden und der Sinn und Stil unserer großen Meister bleibt in ihm lebendig. Rudolf von Gottschall.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Georg Schreyer