Ein Festtag des deutschen Volkes

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Autor: Gotthold Kreyenberg
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Titel: Ein Festtag des deutschen Volkes
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aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 502–506
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ein Festtag des deutschen Volkes.


Was schreiben, theurer Schatte,
Wir auf Dein Mal von Erz?
Seht an den Mann, er hatte
Für unser Volk ein Herz!
     Karl Simrock.

Wieder lag es vor mir, das liebliche Schwaben mit dem Glanz seiner Thäler und der Pracht sanft aufsteigender Berge, mit seinen wohlgebauten Städten und gesegneten Dörfern! Schon hatte der Eilzug das von bewaldeten Höhen kranzartig umgebene Stuttgart passirt, und ich gedachte der Worte Ulrich von Hutten’s: „Nicht leicht hat Deutschland eine schönere Gegend als diese, das fruchtbarste Gefilde, wunderbar gutes und gesundes Klima, Berge, Wiesen, Thal, Flüsse, Quellen, Wälder, Alles auf’s Anmuthigste.“

Vorbei noch an dem Stuttgart so nahen Cannstatt, dem beliebten Bade und Sorgenfrei der Württemberger, aber auch der Engländer, das Freiligrath sich zum Musensitz erkoren und von dem man nicht mit Unrecht sagt, daß es einen fast südländischen Charakter trägt. Und vorbei noch an Eßlingen, einer der fleißigsten und bedeutendsten Fabrikstädte Süddeutschlands, reich an historischen Erinnerungen. Die Chronik berichtet hier schon Mancherlei von schwäbischem Mannesmuth; denn kernfest ist der Schwabe und, wie Uhland singt, „tapfer, wenn er ficht“. Hoch klingt aber auch das Lied von Frauenmuth, von den Weiblein des in der Nähe liegenden Schorndorfs, die dem grausamen Melac, dem Verwüster der Pfalz, mit Besen, Schaufeln und Düngergabeln die Wege wiesen, – von der edlen Jungfrau Eßlingens selber, welche dem Franzmanne zum Opfer dargebracht wurde, um ihn von der gänzlichen Zerstörung der Stadt abzuhalten.

Bei Station Plochingen theilt sich die Bahn. Nicht die Sommerfrische war es indessen, die wir im Augenblicke suchten. Im Fluge ging es nun die romantischen Höhen der schwäbischen Alb entlang dem eigentlichen Bestimmungsorte zu. Mit echt schwäbischer Herzlichkeit, wie sie diesen Volksstamm kennzeichnet, hatten mich Freunde zur Enthüllungsfeier des Uhlanddenkmals nach Tübingen eingeladen.

Die Waldkronen und Felskuppen zur Linken waren wie der Prolog zu der schönen Dichtung, welche die Musenstadt selber uns weihen wollte. In der vielbesungenen Schwabenalb, die „allenthalb blau nach der Ebene winkt“, ragt in wehmüthiger Verlassenheit, einsam aber doch groß, der Hohenstaufen, dessen zum Theil entschwundene Schönheit – von der Stammburg ist bekanntlich kaum noch ein Mauerrest übrig – Uhland in seinem Fragment „Konradin“ den deutschen Freund so rührend schildern läßt, um den unglücklichen Heldenjüngling in’s Vaterland zurückzulocken. Von Metzingen aus wird Urach bald an das große Eisennetz gekettet sein. Dann hielten wir bei dem früchtereichen Reutlingen mit der „Achalm auf dem Felsen“ – Ich aber gedachte der fröhlichen Studienzeit und eines schönen Ausfluges zu dem seitab liegenden, durch Hauff’s Dichtung verherrlichten Schloß Lichtenstein, wie seine Zinnen in der Sonne glänzten, der märchenhaft schönen Nebelhöhle, in welcher im Roman der vertriebene Herzog von Württemberg und Georg von Sturmfeder zusammentreffen.

Endlich waren wir in Tübingen angelangt. Einige Mitglieder des Uhlandcomite’s, an hochrothen Bändern mit weißen Rosetten kenntlich, waren am Bahnhofe, um ihre Ehrengäste persönlich in Empfang zu nehmen. Brave Turner und Ehrengeleitsmänner mit blauen Schleifen versahen eifrig ihr Amt. [503] In der schon am Vorabend der Enthüllungsfeier ungewöhnlich bevölkerten Stadt war ich bei alten Freunden, die ich aus den Studienjahren kannte, bald behaglich untergebracht. – Und wieder wandelte ich durch die Straßen des alterthümlichen Tübingens, im fünfzehnten Jahrhundert der zweiten Haupt- und Residenzstadt Würtembergs, nach der Erbauung Ludwigsburgs der dritten, der „guten Stadt“ – mit ihrer Alma mater, genannt Eberhardina Carolina; denn der viel genannte, von Uhland so volksthümlich gefeierte Eberhard im Bart begründete bekanntlich auch die Universität.

Das Uhland-Denkmal in Tübingen.
Nach einer Skizze von Julius Hartmann in Tübingen.

Und wieder beschaute ich die kernige Holzarchitectur, nicht minder das vertrocknete „Tübinger Männlein“ und das ehrwürdige Rathhaus.

Immer aber mußte ich jenes Abends gedenken, an dem ich, vor länger als einem Jahrzehnt, still durch dieselben Straßen zu einem noch stilleren Grabe gewallfahrtet war, einem Grabe, auf welchem damals noch kein Stein, kein Schmuck prangte, – dem Grabe Uhland’s. Und noch heute ist es eine Ruhestätte, deren Ausstattung kaum einfacher gedacht werden kann. Verläßt man die modernste Straße Tübingens, die Wilhelmsstraße, in welcher sich auch das Universitätsgebäude befindet, und wendet sich hart an demselben vorbei nach links, so gelangt man bald auf den schönbelegenen Kirchhof der Stadt, der eigenthümlich viel gerade weiße Kreuze zeigt. Vom Hauptweg desselben führt rechts einer der Nebenwege etwas hinan. Mitten unter anderen Gräbern, durch kein Gitter geschieden, – denn er liebte die Eisengitter auch nach dem Tode nicht, – steht Uhland’s einfacher, kunstlos behauener granitner Grabstein und unter einem roh darauf eingemeißelten Stern nichts als der vielsagende große Name „Ludwig Uhland“.

Die Zweige eines niedrigen Baumes beschatten den Stein. Um den mit gewöhnlichen Steinen eng umfriedigten Grabhügel schlingen sich Immortellen, und Epheu rankt den Granit hinauf, ganz so, wie die Gartenlaube das Bildchen schon brachte.

Was war natürlicher, als daß ich meine Schritte abermals dem Friedhofe zulenkte; diesmal indessen lag er nicht so einsam und still. Eine Menschenmenge wogte zwischen den Gräbern. Studenten und Sänger hatten sich zu einer abendlichen Todtenfeier um das Grab des unsterblichen Dichters geschaart, und der feierliche Gesang des Liedes: „Stumm schläft der Sänger“ ertönte durch den milden Abend. Dann legte ein Mitglied der Burschenschaft Germania, welcher Uhland angehört hatte, einen mit einer schwarz-roth-goldenen Schleife geschmückten Lorbeerkranz zu Füßen des Grabes nieder.

Lind war die Luft, laubig und blumenreich die ganze Umgebung. Wie doch so anders, als damals in der blattlosen Zeit an jenem naßkalten Spätherbsttage, dem 16. November 1862, als Freunde von nah und fern, besonders aber wieder die schwäbischen Sänger mit ihren Fahnen, um welche schwarzer Flor wehte, tieftraurig am offenen Grabe standen! Drei Tage vorher, am 13. November Abends neun Uhr, hatte Uhland das Zeitliche gesegnet. Nach seiner Körperbeschaffenheit hätte er noch eine Reihe von Jahren leben können. Er war kräftig angelegt, „dickrindig und schier kötzig“, wie sich Chamisso einmal nicht gerade schmeichelhaft ausdrückte. Er fiel seiner Freundestreue zum Opfer. Als in der Februarkälte desselben Jahres Justinus Kerner in Weinsberg beerdigt wurde, hielt ihn die Rücksicht auf das eigene hohe Alter von nahezu fünfundsiebzig Jahren nicht ab, dem langjährigen und einem der treuesten Freunde und Sangesgenossen die letzte Ehre persönlich zu erweisen. Hier zog er sich eine verhängnißvolle Erkältung zu, die er anfangs gar gering zu achten schien; denn als wenige Wochen später ein anderer Jugendgefährte in Tübingen starb, wohnte er auch dessen Beerdigung bei. Doch die Glückwünsche zu seinem Geburtstage am 20. April, wo er fünfundsiebzig Jahre alt wurde und den ganz Deutschland feierte, trafen ihn bereits auf dem Krankenlager. Uhland konnte sie nicht mehr einzeln erwidern und dankte später durch die Zeitungen mit einfach herzlichen Worten. Besonders rührte ihn eine anonyme Aufmerksamkeit. Er erhielt aus einer oberschwäbischen Stadt ein Schreiben, offenbar aus weiblicher Hand, in welchem erzählt wurde, wie die Correspondentin, als sie am Feste Mariä Verkündigung „nach der Kirche spazieren gangen“, unter dem prächtigen blauen Frühlingshimmel in der Erinnerung an die goldige Schilderung in einem seiner Gedichte, dem „Waller“, mächtig ergriffen gewesen sei. Zum Dank sendete sie nun dem Dichter naiver Weise einen – Ducaten, „für den er sich eine oder zwei Flaschen recht guten Wein kaufen und beim Trinken der Uebersenderin freundlich gedenken möge.“ Uhland’s Gattin schlug vor, das Geld den Armen zu schicken. „Zweimal so viel,“ sagte der Dichter, „aber dieser Ducaten gehört mir. Der freundlichen Geberin soll auch ihr Wille geschehen!“

Sein Leiden wollte nicht mehr weichen. Vergebens gebrauchte er gegen die geistige und körperliche Müdigkeit, welche ihn bedrückte, im Sommer das Soolbad Jaxtfeld in der Nähe des schöngelegenen und aus der Geschichte bekannten Wimpfen. Wenn er eine gute Stunde hatte, so freute er sich auch da noch der lieblichen Gegend. Er saß dann gern auf der Terrasse vor dem Curhause, wo man einen herrlichen Blick den Neckar hinauf und hinunter genießt. Meist war er, wie es überhaupt seine Art war, in Gedanken vertieft, zuweilen gesprächiger. Traurig sagte er wiederholt, daß ihm das Gefühl, nicht arbeiten zu

[504] können, das Schmerzlichste in seinem Zustande sei. In der ganzen Zeit seines Leidens, seit Anfang März, schrieb er keinen Brief mehr. Kränker noch kehrte er nach Hause zurück. Seine geistigen und körperlichen Kräfte schwanden mehr und mehr. Heftige Athmungsbeschwerden stellten sich ein. Ruhig und gefaßt sah er seinem Ende entgegen. Zuletzt wurden der lichten Augenblicke seines Geistes immer weniger, – die körperliche Schwäche nahm endlich ganz überhand.

Sein Begräbnißtag war ein Sonntag. Wohl an tausend Leidtragende geleiteten den mit zwölf Lorbeerkränzen verzierten Sarg von dem Trauerhause auf den Friedhof. Zu beiden Seiten des von vier Pferden gezogenen Trauerwagens gingen je vier Studenten, der Zug selber wollte kein Ende nehmen. Die gewaltige, besonders hoch emporragende Fahne des schwäbischen Sängerbundes hatte vor nicht länger als fünf Jahren am Hause des Dichters ihre Weihe empfangen. In den trüben Novembertag hinein hallte zuerst das Lied, welchem ich jetzt am milden Sommerabend wieder gelauscht hatte. Der Geistliche, welcher damals die meisterhafte Leichenrede hielt, wohnt gegenwärtig in des Dichters Haus. Mit prophetischem Geiste sprachen damals auch Genossen der schwäbischen Dichterschule an seinem Grabe, vorab, mit schwerem Schmerze ringend, sein vertrautester Freund, der seitdem ebenfalls verstorbene Tübinger Oberjustizrath Karl Mayer, dann J. G. Fischer. Wohl tönte es wieder von den Bergen, als dieser ausrief:

– „wenn du erscheinst, du Geist der Zukunft,
Suchst du unter den Namen, die für Deutschlands
Sieg und Ehre im Vordertreffen stritten,
Und du wirst rufen: Ludwig Uhland!“ –

Und der Geist der Zukunft hat gerufen! –

Unterdessen war ich vom Friedhof zurück über den Marktplatz gegangen, den mit Uhland’s neuem Denkmale zu schmücken zur Zeit auch, freilich nur vorübergehend, angeregt wurde. Derselbe bietet, zumal in architekonischer Hinsicht, einen recht geeigneten und dankbaren Hintergrund. Dann hätte allerdings der schöne, in prachtvollem Renaissancestil ausgeführte Marktbrunnen mit dem achteckigen großen Behälter, in welchen vier Löwenköpfe das klare Quellwasser speien, aus der Mitte weichen müssen.

Tübingen liegt auf dem Rücken zweier Berge, von denen der eine, der Schloßberg, auf seiner Höhe das vom Herzog Ulrich erbaute Schloß Hohen-Tübingen trägt; der andere ist der Oesterberg. Die sogenannte obere Stadt zieht sich vom Schloß abwärts am Markt vorbei. In dieser Gegend liegt die Straße „Neckarhalde“. Hier, wo sich eine fensterreiche Häuserfront im Neckar wiederspiegelt, steht unter anderen ein schlankes, grünfarbenes Haus mit bogenartiger altmodischer Eingangsthür und hohem schmalem Giebel, Nr. 139. Zwar nach sehr kleinbürgerlichem Schnitt, bietet dasselbe dagegen die freundlichste Aussicht in’s Neckarland und Steinlachthal. Eine provisorische Gedenktafel während des Festes und früher eine jetzt weggewischte Maueraufschrift enthielten das bedeutungsvolle Datum „den 26. April 1787“. Wir stehen vor dem Geburtshause Ludwig Uhland’s, welches sein Vater, der Universitätssecretär Johann Friedrich Uhland, zu jener Zeit gemiethet hatte. Doch zogen die Eltern bald nach seiner Geburt in eine andere Wohnung um, die in der Poststraße in dem vormals Stadtphysicus Dr. Uhland’schen Hause lag. Und hier wurde Ludwig als dritter Sohn – seine beiden Brüder waren indeß früh gestorben – mit einer einzigen, acht Jahre jüngeren Schwester Luise erzogen. Er war ein lebhafter, ja kecker Knabe und zu „Schwabenstreichen“ immer bereit, sodaß er die zartere Hälfte seiner Verwandtschaft oft in Schrecken setzte. Seinen festen Willen liebte er schon früh zu zeigen und hatte sich in den sogenannten Flegeljahren den Schwur angewöhnt, ihn solle „der Teufel holen“, wenn er dies oder das thäte oder nicht thäte. Die „kluge, verständige“ Mutter scheint bei seiner Erziehung größeren Einfluß auf ihn ausgeübt zu haben, als der Vater. Eine kleine Stube, in welcher Bruder und Schwester ihre Spiele zu machen pflegten, ist unter dem Namen „Dichterstübchen“ in Tübingen bekannt. In Versen versuchte er sich dort schon früh, bereits mit elf Jahren und war sogar darin ungemein fruchtbar. Ein ziemlich langes Gedicht, das sein Lehrer lesen sollte, den er wohl oft mit solcher Lectüre behelligt hatte, gab dieser unwirsch zurück: „Meinst denn, ich habe nichts zu thun, als Dein ‚Geversel‘ zu lesen?“ Ein solches ‚Geversel‘ aus dem vierzehnten Jahre in Hexametern, in denen der Knabe, auch im Lateinischen, besonders stark war, beginnt nun allerdings vielversprechend:

 „Unter der Tannen Umschattung, am Heiligthume der Schwermuth,
Sitz’ ich verschlungenen Arms über bemoostem Gestein“ – –

Ziemlich wenig ist bekannt, daß Uhland auch schon in seiner Jugend ein nicht unbedeutendes Talent zur Malerei hatte. Zu der Zeit theilte er sogar seine Neigung zwischen Poesie und Zeichnen. Ich selber habe während meines Aufenthalts in Tübingen drei hübsch ausgeführte Aquarelle gesehen, welche höchst wahrscheinlich echt Uhlandische sind. Sie stellen zwei Sommerlandschaften und ein Winterbild dar, wie er überhaupt mit Vorliebe Landschaften zeichnete. Das größte zeigt links in der Ecke ein Castell und rechts einen kleinen viereckigen Thurm. Hinter dem Castell ist Gebüsch und Wiesenboden, dazwischen ein kleiner Fluß, der vor dem Castell einen Wasserfall und See bildet. Vor demselben sieht man ferner einen größeren runden Thurm, der im See steht und sich darin in seinem unteren Ende abspiegelt; auf dem See zwei Bauern, welche in einem beladenen Kahne überfahren.

Ferner möchte wenig bekannt sein, daß das berühmte

„Als ich mich des Rechts beflissen,
Gegen meines Herzens Drang,“ –

darauf zurückzuführen ist, daß den Ausschlag für die Wahl der Jurisprudenz eigentlich die Zuwendung eines bedeutenden Stipendiums gab. Dasselbe konnten nur Juristen oder Theologen erhalten; zur Theologie hatte nun Uhland, trotz eines großväterlichen Beispiels, wenig Neigung. Vielleicht hätte er sich von vornherein für sein späteres Studium, die deutsche und romanische Philologie, entschieden; doch galt dieselbe damals noch nicht für ein Fach- oder Brodstudium.

Als Bruder Studio, zu welcher Würde er schon mit vierzehn Jahren kam, liebte er bereits die Einsamkeit und das Wandern und Wandeln „so für sich hin“ in der an landschaftlicher Schönheit überaus reichen Umgegend seines Heimathortes. Außer der unweit von Tübingen gelegenen Wurmlinger Capelle („Droben stehet die Capelle“) sind viele andere dortige Punkte – mehr oder weniger deutlich in seinen Liedern zu erkennen – von ihm verherrlicht worden. Von zwei poetischen Freunden, mit denen er derzeit nähern Umgang pflog, setzte er dem einen in dem bekannten Gedichte „Auf der Ueberfahrt“ einen Denkstein; denn der „junge, hoffnungsreiche Gefährte“ ist ein gewisser F. Harpprecht aus Stuttgart, später ein Opfer des russischen Feldzugs.

„Dieser, brausend vor uns Allen,
Ist in Kampf und Sturm gefallen.“

Der „vatergleiche“ Freund war ein Pfarrer Hofer, Bruder seiner Mutter. Der Ort der Ueberfahrt liegt bei Cannstatt.

Dieses Gedicht leitet uns hinüber zu einer spätern Lebensperiode des Dichters. Nach absolvirtem Studium und der wissenschaftlichen Reise nach Paris war Uhland eine Zeitlang vom Ende des Jahres 1812 an in Stuttgart im Bureau des Justizministers mit der Ausübung einer Art von Staatsanwaltschaft beschäftigt, eine Thätigkeit, die er jedoch bald wieder aufgab. Dann führte er bis zu der Zeit, wo er Volksvertreter wurde, neben dem Betriebe seiner Advocatur nicht selten Armenprocesse. Doch seine erste und wärmste Theilnahme widmete er stets den vaterländischen Angelegenheiten. Seine Rückübersiedelung von Stuttgart nach Tübingen und sein Antritt der Universitätsprofessur deutscher Literatur erfolgten 1830. Von 1836 an bis zu seinem Tode wohnte er, wie eine Inschrift, kurz vor dem Feste am Uhlandshause in der Nähe der Neckarbrücke angebracht, in goldenen Lettern verkündet, behaglich angesiedelt, am Fuße des Oesterberges.

Vom Bahnhofe führt die Landstraße gerade auf dieses Haus zu, welches am Eingange zur eigentlichen Stadt liegt. Ueber demselben ziehen sich Weinberge in die Höhe. Man sieht auch das schlichte Gartenhäuschen, in dem er so viel Poetisches geschaffen. Das Wohnhaus ist ein zweistöckiges, gelb getünchtes Haus mit einem vorspringenden Unterbau, der während des Festes von einer dichten tannenen Einfassung umgeben war. Daran befindet sich auch die Ehrentafel. Auf dem Unterbau ist ein Altan angebracht; als dritter Stock kann ein schmuckloser [505] Erker mit drei Fenstern gelten; die untere Front hat je sechs Fenster. In diesem Heim war es, wo für Uhland die stillen und klaren Lebensfluthen der besten Mannesjahre dahinflossen, an der Seite seiner verständnißvollen Gattin, Emilie Vischer von Calw. Der liebethätige Sinn des Ehepaares fand, obwohl die Verbindung kinderlos blieb, reichliche Nahrung in aufopfernder Fürsorge für viele Verwandte, namentlich solche auf Seite der Frau, die zahlreiche Geschwister besaß, und für Pflegesöhne. Hier liebte er dann zwanglos mit seinen näher oder entfernter wohnenden Freunden zu verkehren, unter denen wir außer den bereits genannten noch Gustav Schwab, Pfarrer in Gomaringen bei Tübingen, Eduard Mörike, den Aesthetiker Vischer, die Gebrüder Pfizer und die noch jetzt in Tübingen lebende höchst liebenswürdige und anspruchslose Ottilie Wildermuth aufführen wollen. Hier wurde er aber auch von jenen Dichterbesuchern geplagt, die ihn meist sehr einsilbig und trocken fanden, was er unter guten Freunden nicht war. In größte Verzweiflung konnte er dabei gerathen, wenn er durch einen solchen Fremden um „eine Zeile von seiner Hand“ gebeten wurde. Aus einer gewissen Befangenheit mochte herrühren, daß er zu derartigem Improvisiren sich selten aufgelegt fühlte. In heiterer Laune rieth ihm Kerner einst zu dem Gedenkvers:

„Mit Ihrem Album
Bringen Sie mich um!“

Uhland’s Grab, dessen Geburts- und Wohn-, sowie Sterbehaus in Augenschein zu nehmen (vergleiche Gartenlaube Nr. 30), wird der Deutsche beständig lieben. Zu diesen Stätten zu pilgern, sei es in Gedanken, sei es in Wirklichkeit, gewann einen erhöhten Reiz durch die Enthüllung und Einweihung des neuen Uhlanddenkmals am 14. Juli dieses Jahres.

Warum gerade der 14. Juli gewählt wurde? Die beiden Gedenktage, Geburts- und Sterbetag, waren zu einer blumigen und sonnigen Feier gleich ungeeignet. Gerade vor neunundsechszig Jahren soll aber an diesem Tage Uhland seine „Sterbenden Helden“, das erste Gedicht von durchschlagender Wirkung, verfaßt haben.

Ein wundervoller Morgen, wie er schöner kaum gedacht werden kann, war angebrochen. Noch perlte der Thau in den Wiesen. Um mich her breitete sich das Neckarthal aus; die mächtigen, zu langen, schattigen Laubdächern in einander verwachsenen Baumgänge, welche sich neben Tübingen hinstrecken, eine Linden-, Kastanien- und Platanenallee, wie sie in solcher Ueppigkeit selten gefunden werden, waren einst der Ort für die Lieblingsspaziergänge des Dichters. An die Platanenallee grenzte der Festplatz. Zwischen demselben und dem Bahnhofsgebäude liegt der noch ziemlich unbebaute Uhlandplatz, wo die Hülle des Standbildes leis und geheimnißvoll im Morgenwinde rauschte.

Der Festplatz war schon angefüllt, und immer höher fluthete die Menge hinein und heraus die Straßen der festlich geschmückten Stadt. Zu den Eichenkränzen und halbkreisförmig aufgehängten Tannengewinden, den schwarzweißrothen und schwarzrothgelben Fahnen, Rosetten und langen Schleifen in denselben paßte nichts besser, als der eigenthümliche Untergrund der meisten Tübinger Häuser. An mit Blumen verzierten Dichterbildern und Büsten fehlte es selbstverständlich nicht, von den kleinsten und unscheinbarsten bis zur gelungenen Kolossalbüste, neuerdings vom Bildhauer Rau in Stuttgart gefertigt, die in einem Buchladenfenster ausgestellt war.

Welche rege Betheiligung des Schwabenvolkes! Neben dem schlichten Rocke des Landpastors und dem modischen Kleide des Städters die malerische Tracht des Landvolkes, die grünen Manchesterwämser und scharlachrothen, mit silbernen Kugelknöpfen besetzten Westen, – dann die bunten, mit Goldborte durchzogenen Mieder der Mädchen. – Hier und da ließ sich schon eine der hundert „weißgekleideten Festjungfrauen“, mit Epheu im Haar und die unvermeidliche schwarzweißrothe Schärpe umgethan, sehen. Und über dem Allen das ehrwürdige Schloß, in den blauen Aether ragend.

Da erblickte mich im Gewühl ein Tübinger Bekannter von der gestrigen Fahrt her. Wir gingen ein Stück Weges zusammen und er theilte mir bereitwillig mit, was er über die Vorgeschichte des Denkmals wußte.

„Schon drei Tage nach Uhland’s Begräbniß fanden sich Tübinger Freunde und Verehrer des Dichters auf dem Rathhause ein, um die Aufgabe zu übernehmen, ein dem Dichter und dem deutschen Volke würdiges Denkmal zu errichten. Wohl war es ein glückliches Zusammentreffen, daß der Ausschuß des schwäbischen, zugleich geschäftsführender Ausschuß des deutschen Sängerbundes, denselben Gedanken hegte und pflegte. Stuttgarter und Tübinger bildeten darauf einen Uhlandverein.“

„Von vornherein war gewiß im Sinne Aller, daß Tübingen die Stätte des Denkmals werden sollte?“

„Eigentlich immer. Ein Aufruf wurde erlassen, der weit über Deutschlands Grenzen hinaus den freudigsten Anklang fand. Die Sammlungen ergaben bald über zweiunddreißigtausend Gulden. Wie begeistert aber die deutsche Künstlerwelt den Gedanken aufgriff, Uhland in Erz verherrlichen zu dürfen, davon zeugten zweiunddreißig eingesandte Entwürfe mit schönen Motiven. Drei wurden mit Preisen von je tausend Gulden bedacht. Die eigentliche Wahl entschied sich für den Entwurf des Bildhauers Gustav Kietz in Dresden. Das Modell wurde 1870 bis 1872 in der Erzgießerei des engern Vaterlandes von Wilhelm Pelargus in Stuttgart ausgeführt. Beide Künstler sind heute gegenwärtig. Die Zeichnungen zum Stufenbau, Sockel und etwas massiven Geländer rühren vom Professor Nicolai in Dresden her.“

Noch am Morgen ging die Enthüllungsfeier vor sich.

Wovon soll ich aus der Reihe der Einweihungsfestlichkeiten den Lesern der Gartenlaube nun post festum berichten? Von dem schönen, langen Festzuge, an welchem unter Andern siebenundzwanzig Gesangvereine mit sechshundert Sängern theilnahmen, oder von der tiefempfundenen Festcantate, deren Componist, der Stuttgarter Musikdirector Dr. Faißt, die Aufführung persönlich leitete, oder endlich von der schönen und langen Festrede des Tübinger Professors der Aesthetik, Köstlin? Gar heiß brannte die Sonne auf den unbedeckten Festplatz. Der ergreifendste und bleibendste Moment der Feier war jedenfalls der Augenblick der Enthüllung selber. Sehr sinnig hatte man ausgedacht, von zwei jugendlichen Gestalten, den einzigen näheren Verwandten des Dichters, Kindern des einzigen Sohnes der einzigen Schwester Uhland’s, Ludwig und Luise Mayer, die Hülle wegziehen zu lassen. Rührend sah die liebliche, schüchterne Mädchengestalt dabei aus. Die Leinwand fiel – endloser Jubel, Hochrufen, Hüteschwenken und Kanonendonner!

Nun erschallte Uhland’s „An das Vaterland“ in Conradin Kreutzer’s, des schwäbischen Sohnes, den Uhland hoch verehrte, kräftiger Composition: „Dir möcht’ ich meine Lieder weihen, geliebtes, deutsches Vaterland!“ – Dann die Siegesbotschaft. Keiner hat die Uhland’schen Weisen besser nachempfunden und in Musik zu setzen verstanden, als dieser Componist. Und darauf wurden Lorbeerkränze an das Denkmal niedergelegt – vom schwäbischen Sängerbunde, von den Turnern, von der Volkspartei. Die junge Schwäbin, welche einen Kranz brachte im Namen ihrer Festgenossinnen, sprach wohl die Empfindung mancher deutschen Jungfrau aus:

„Wir haben mit Freude und Liebe auf Deine Lieder gelauscht –
Durch der Seele erstes Erwachen hat Uhland’s Harfe gerauscht.“

Urkundlich und feierlich war mittlerweile der Stadt Tübingen das Denkmal vom Vorsitzenden des Festausschusses, Rechtsanwalt Gös, übergeben worden. Die Menge verlief sich.

Da stand es nun, das neue Standbild eines der größten deutschen Dichter, blankes Erz bis auf den Sockel, funkelnd in der Sonne. Das war der Mann, dem, wie der zuletzt erwähnte Redner gesagt hatte, „das Murmeln der klaren Neckarfluthen das Wiegenlied gesungen, dem die blauen Umrisse der heimischen Berge, das saftige Grün der Thäler, das Rauschen der dunkeln Wälder, der Lerchenwirbel und das Wogen der heimischen Felder die dichterische Empfindung geweckt, dem der Kranz der Burgen, welche die Felsenhöhen der Gegend zieren, die Liebe und Begeisterung für die Vorzeit aufschloß, für den die Geschichte der städtischen Kämpfe um Bürgerfreiheit und vor Allem der den Namen Tübingens tragende Grundvertrag des Württemberger Landes auf seine Entwickelung als entschiedener Volksmann von größtem Einflusse war.“

Uhland war und ist, wie Otto Jahn sagt, ein „Hausgeist des deutschen Volkes“. Das Fest der Enthüllung seines großartigen Denkmals mußte demnach als Nationalfest angesehen werden. Leider ist uns dabei ein Tropfen Wermuth nicht erspart [506] geblieben: Die Betheiligung von Seiten der Dichter, Künstler, Gelehrten und deutschen Männer war doch nur eine specifisch württembergische. Aus anderen Theilen des Vaterlandes waren nicht einmal die namhaftesten Dichter erschienen, hatten auch keinerlei Gaben und Huldigungen ihrer Muse geschickt!

Darum stand Ludwig Uhland nun nicht minder markig und in straffer Haltung auf seinem erzenen Postamente. Die rechte Hand drückt mit ausdrucksvoller Geberde eine Rolle gegen die Brust; der linke Arm ist gestreckt, die Hand zur Faust geballt. Aeußerst gelungen erscheint die Haltung des Kopfes; derselbe leuchtet durchgeistigt, trotz der starken Bildung um Nase und Mund und der spärlich umlockten Stirn.

Von den in sitzender Stellung aufgefaßten Hochreliefs stellt das erste an der Vorderseite die Germania vor, das edle volle Weib mit dem Eichenkranze, die Linke auf den Schild, der den einköpfigen deutschen Adler trägt, gestützt, mit der Rechten im Buche der Verheißung blätternd; dann südlich die Dichtkunst mit wallendem Haar, das sinnende Haupt auf der Linken ruhend, mit der Rechten die Leier haltend; endlich nach Norden die Forschung, auf einem Sitze von Folianten, das faltige Gewand halb über den Kopf gezogen; auf ihrem Schooße ruht ein Foliant, in dem sie leicht vorgebeugt liest. Auf der Rückseite des Postaments steht die Widmung: „Ludwig Uhland, dem Dichter, dem Forscher, dem deutschen Manne das dankbare Vaterland. MDCCCLXXIII.“

So sei denn, Du Kämpfer für edle Sitte, Recht und Freiheit, für die Ehre und Herrlichkeit des deutschen Volkes, und nicht zuletzt für die Herstellung humaner Zustände in allen Schichten der Gesellschaft – sei in Deinem Standbilde ein ferneres, weit sichtbares Wahrzeichen, daß Süd und Nord sich immer mehr ineinander hineinleben! Den Frankfurtern, die Dir einst zuriefen: „Es lebe die Freiheit!“ hast Du geantwortet: „Ja, aber die Freiheit nicht ohne Einheit!“ Und in diesem Sinne hat auch Dein alter Freund Dr. Zimmermann, der „Geschichtsschreiber der Wahrheit“, auf dem Feste öffentlich für Dich gezeugt. Schaue hinaus auf den neuvollendeten Hort der Hohenzollern! Die schwäbische Alb ist eine der Ehrenketten Deutschlands. Das Anfangsglied bildet der Hohenstaufen und den Schlußstein ziert das verjüngte Kaiserdiadem. So berühren sich Natur und Geschichte. Du aber, Mann mit dem deutschen Kerngemüthe und dem „Herzen für’s Volk“, wie würdest Du Dich, Dein eigen Ich vergessend, der Wiedergeburt des Vaterlandes aus voller Seele gefreut haben! Hast Du doch gesungen:

„Wohl werd’ ich’s nicht erleben,
Doch an der Sehnsucht Hand
Als Schatten noch durchschweben
Mein freies Vaterland!“

Dr. G. Keyenberg.