Einsegnungsunterricht 1892/8. Stunde
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O HErr JEsu Christe, der Du willst, daß, wo Du bist, Deine Diener und Dienerinnen sein sollen, wir bitten Dich, räume gnädig hinweg alle Hemmnisse und Hindernisse, daß wir in Deiner Freiheit wandeln, Dir entgegeneilen, auf daß wir bei Dir unerschöpflichen und ewigen Frieden haben mögen. Amen.
Wir haben heute morgen von der Verantwortung geredet, die unser Beruf uns auferlegt. Je tiefer wir das Wort „Beruf“ fassen, desto größer erscheint uns die Verantwortung. Das Wort „Beruf“ ist ein unnachahmliches und muß uns Menschen stets ernst aufs Gewissen fallen. Denken Sie, was es heißt, berufen sein von Dem, der da ist der GOtt der Gaben und der Kräfte, und der von uns treues Verwalten der Gaben verlangt. Je mehr wir das Wort Beruf in Seiner Fülle, auch begrifflichen Fülle auf uns wirken lassen, desto mehr müssen wir fragen: „Wer bist Du, der Du mich rufest, und wer bin ich, daß ich von Dir gerufen werde?“ Darin liegt einerseits ein schweres und ernstes Gericht, andererseits ein großer Trost. Gericht: wir können den Abstand zwischen Ihm und uns durch unsere Sünden sehr verbreitern und vergrößern. Der Trost: Der euch berufen hat, der wird es thun. Nicht Ihr seid es, die da| reden, handeln, dienen, sondern mit Euch bin Ich. Wenn wir uns diesen Trost recht vorhalten, dann wird uns die Klage über mangelnden Berufseifer und Freudigkeit, über Lauheit verstummen; denn der HErr, der beruft, Der giebt auch die Kräfte. Indem Er uns beruft, ruft Er in Seinem Wort uns zu, und Sein Wort ist Kraft, und davon können wir zehren. In der Kraft des uns berufenden HErrn lassen Sie uns leben, bis es zum Scheiden geht. Den Trost soll uns niemand und nichts rauben: Er ist es, der berufen hat, Er wird aus der Thatsache Seines Berufens die Kräfte ableiten, deren wir bedürfen.Der aber ruft, ist nicht bloß ein König der Herrlichkeit, sondern auch ein König der Barmherzigkeit. Wo wir hingestellt werden, da stehen wir, und da lassen Sie uns unseren Posten ausfüllen. ER hat uns berufen, Er wird auch Gedanken des Friedens in uns sich ausgestalten lassen.
Ein Wort von der Barmherzigkeit. Das ganze Wort weist darauf hin, daß es ein ganz bestimmtes Beanspruchen unseres Herzens ist. Das Herz soll ruhen bei den Armen. Meister Eckhart sagt: „Sammle alle die Armen, Notleidenden, Elenden in deines Herzens Schrein und dann erbarme dich ihrer.“ Das Wesen der Barmherzigkeit ist ein rein individuelles. Man kann stundenlang über die Barmherzigkeit reden und doch unbarmherzig sein. Die Barmherzigkeit muß aus einem bewegten Herzen hervorgehen. „Mich jammert des Volks,“ spricht unser HErr; Sein ganzes Herz hat sich beim Anblick der Menge bewegt. Merke: Sieh den Menschen in der Not und nicht die Not im Menschen! Darin liegt der Tod aller Barmherzigkeit, wenn wir zwischen denen, denen wir Barmherzigkeit erweisen, und uns selber einen Unterschied konstruieren, dann wird die Barmherzigkeit Herablassung, dann haben wir auch unsern Lohn dahin. Nicht Herablassung hat unser HErr Christus gewollt, sondern Er hat Sich uns gleichgestellt. „Ich trage eure Krankheit und nehme auf Mich eure Schmerzen.“ Er hat unser Los mit dem Seinen zusammengestellt. Die absichtslose Barmherzigkeit, wie sie in der inneren Mission| unserer Tage hervortritt, ist eine bequeme Barmherzigkeit. Sie wird sich strafen müssen, daß sie sich nicht die Mühe nimmt oder nehmen kann, die einzelnen Persönlichkeiten anzusehen, sondern en bloc wirkt. Unsere Barmherzigkeit muß eine rein persönliche sein, wir müssen mit unserer ganzen Person dabei sein. Das Verlangen die Elenden, daß man ein persönlich in ihre Lage sich versenkendes Interesse habe. „Alle eure Sorge werfet auf Mich, denn Ich sorge für Euch.“ ER nimmt unser Leid auf Sich, als ob Er es verschuldet hätte. Wir sollen darnach streben, diese Barmherzigkeit unsers HErrn uns anzueignen, welche sich persönlich der Armen annimmt. Dann wird der in neuerer Zeit so stark hervortretende Unfug aufhören, daß man für die leiblichen Bedürfnisse sorgt und alles andere GOtt überläßt, da man alles erreicht glaubt, wenn man den Kranken richtig gebettet hat und dann ihn seinem Schicksal überläßt. „Die Seele aller Armenpflege ist die individuelle Pflege der armen Einzelseele.“ (Vincenz und Elisabeth Fry.) Sie haben zunächst nicht den Beruf, pastoral zu wirken. Der Frauen Wandel sei ohne viel Worte, aber in Kraft. Wenn an das Krankenbette eine nicht bloß christlich berührte, sondern in das Christentum eingetauchte Persönlichkeit tritt, dann ist rechte Barmherzigkeitsübung möglich. Darin unterscheidet sich die christliche Charitas von aller Humanität. Die Dame des Salons geht auch an das Krankenbett, spricht einige Teilnahme zeigen sollende Worte, schüttelt die Kissen und läßt einige Geldstücke da. Das ist ein sich Abfindenwollen mit der Barmherzigkeit: man verkümmert und verkürzt sich dabei nichts im Leben. Die christliche Barmherzigkeit wendet sich mit persönlichem Interesse an die einzelnen, mit jenem persönlichen Interesse, welchem die Seele des einzelnen wichtig ist. Der stille Wandel ohne viel Worte muß Ihnen vom HErrn geschenkt werden. Die Dame der Welt kommt und geht. Sie kommen, und mit Ihnen kommt Sein Friede. „Wo Ihr in ein Haus eintretet, so sprechet: Friede sei mit diesem Hause!“ Und wo ihr an ein Krankenbette tretet, so sprechet: „Friede sei mit diesem Kranken.“ Dann kann es sein, daß Sie| manches ungeschickt machen, aber der Kranke dankt Ihnen doch. Er fühlt, wo die Form ist und wo das Wesen. Wenn ich alle Technik hätte und Glaubenseifer und Heroismus des Tragens und Unermüdlichkeit der That und hätte das persönliche Interesse der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Wenn Sie mit Glut und Eifer die niedrigsten Magddienste an dem Kranken verrichten und nicht die persönliche Liebe zu dem Kranken haben, so wird der HErr einst sagen: „Ich habe euch nie erkannt.“ Wenn Sie aber aus Liebe bei nahendem Frühling dem Kranken nur einen Blumenstrauß geben, der ihn hinweisen soll auf unvergängliche Herrlichkeit, er wird es Ihnen danken (nicht Bekehrungsversuche dabei wittern). Das sei die Hauptsache bei aller Barmherzigkeit: persönliches Interesse für den Leidenden.Gerade für uns Christenmenschen ist das furchtbare Gefahr, daß wir für andere sorgen und die eigene Seele vergessen. Nein, zuerst muß ich für meine eigene Seele sorgen. An jenem Tage fragt man uns zunächst, ob unsere Seele geborgen ist. „Da kann dir niemand helfen,“ sagt Luther, „da stehest du allein.“ Nimm deine Seele in deine Hände. Das Mitleid mit der viel geängsteten, geplagten Seele kann uns Mitleid gegen andere geben. Hat nicht unser HErr Christus so gethan? Hat Er nicht mit Sich Selbst auch Mitleid gehabt? „Wie ist Mir so bange.“ – „Er hat Thränen geopfert in den Tagen Seines Fleisches.“ Bei allem merkt man das Seufzen des HErrn heraus, wenn Er nun heraustreten muß in eine Welt, die Sein nicht wert ist.
Was ist die Reue? Nichts anders als Mitleid mit uns selbst: Was habe ich mir gethan, wie habe ich mich gemordet, wie habe ich mir das Leben geraubt! Aus welchen letzten Beweggründen ging die Reue hervor? Aus dem Mitleid mit unserer armen Seele. Es hat jeder Mensch Stunden, wo er ruft, wie der Apostel: „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?“ Das ist der Gipfelpunkt des Mitleides mit uns selbst: „Ich zum Unglück geborner Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?“ Das ist nicht Rhetorik, sondern eine Frage, welche Antwort erwartet. Solche Stunden, in denen diese Frage entsteht, können allen Menschen kommen. Die Humanität kennt kein Mitleid mit sich selbst. Sie kennt nur Hochmut. Die Humanität ist nichts anders als das Wegwerfen der Brocken von des Reichen Tisch. Nicht weil man arm ist, hilft man den Armen, sondern weil man reich ist. Und das ist falsch. Was ich mit mir selbst empfinde, das kann ich ruhig auf den andern übertragen. „Nur der ist wirklich imstande, zu fühlen, was ein König ist, der ein entthronter König ist.“ (Pascal). Die Schwestern insonderheit, die berufen sind, in großen Städten zu wirken, sollen sich den Unterschied zwischen Humanität| und Christentum klar vor Augen stellen. Nur im Christentum ist das Zeichen des Sieges. Die moderne Humanität mit ihrer Kurzatmigkeit gräbt sich selbst das Grab. Wir wollen in großen Zügen geben und schmecken lassen, wie freundlich Er ist. Die Humanität zieht die Bestialität groß, indem sie die Gefängnisse abschafft, die Todesstrafe abschafft, die Korrektionshäuser abschafft. Man ist so human, daß man auch die Sünde als human erklärt. Wenn es zu spät ist, wird man das alles noch sehen.Joh. 17, 15: „Ich bitte nicht, daß Du sie von der Welt nehmest, sondern daß Du sie bewahrest vor dem Uebel,“ vor dem Bösen (Bösen nicht sachlich, sondern persönlich zu nehmen). „Daß Du sie von der Welt nehmest, das bitte Ich nicht, sondern daß Du sie bewahrest vor dem Weltherrn, vor dem „Mühe machenden Weltherrn,“ vor dem unruhigen und mühevollen, die Seele quälenden Versucher. Wenn sie nur des Bürgerrechts, das Ich ihnen erworben habe, inne werden und sich desselben getrösten, nur bei Dir geborgen sind!“ „Aus der Welt sind sie nicht, wie auch Ich nicht aus der Welt bin, eben deshalb heilige sie in Deiner Wahrheit, Dein Wort ist die Wahrheit.“ „Weil sie faktisch nicht mehr aus der Welt stammen, nicht mehr ihr zugehören, darum umhege sie mit Deiner Wahrheit gegenüber dem Fürsten der Lüge, dem Verleumder, dem Mühe machenden. Umhege sie mit dem Schutze Deiner Wahrheit, und die Wahrheit ist Dein Wort.“ Er ist die Wahrheit, „Ich bin das menschgewordene Wort.“ Gegenüber der Welt Täuschung, Trug, List, Tücke ist das einzige Refugium die Wahrheit. „Stelle Deine Wahrheit als Schutz und Schirm um sie her.“ „Der Name des HErrn ist ein festes Schloß, der Gerechte läuft dahin und wird beschirmet.“ Wenn wir Seine Wahrheit haben, dann gilt das spanische Sprüchwort: „Mit GOtt sind wir immer in der Majorität.“ Wir wollen lieber, so es möglich wäre, mit Christo fallen, als mit dem Herrscher der Welt siegen. (Luther.)
V. 18: „Wie Du Mich gesandt hast in die Welt, so sende Ich sie auch in die Welt.“ Ihn hat der Vater geheiligt (Joh. 10, 36) und hat Ihn als einen von der Welt Abgesonderten in die Welt gesandt. „Er kam in Sein Eigentum, aber die Seinen nahmen Ihn nicht auf.“ Der HErr hatte Ihn in die Welt gesandt als einen der Welt Entnommenen, und die Welt hat das sofort gefühlt. „Und so wie Du Mich, so sende Ich sie,“ ganz arm. Sie sollen die Welt erobern. Das ist ein Wort, dessen Gewalt wir uns nie entziehen dürfen: „Als die nichts inne| haben und doch alles haben, als die Sterbenden, und siehe, wir leben.“V. 19: „Ich weihe Mich, Ich gebe Mich ihnen hin, Ich opfere Mich in der Opferweihe für sie selbst, damit sie in der Wahrheit geopfert sind.“
Du warst in ew’ger Treue mir gewogen,
Du kamst zu mir, vergabst mir meine Schuld,
Hast mich aus heißer Lieb zu Dir gezogen,
Vertragen meine Schwachheit in Geduld:
Wo ich Dich liebte, ward ich nie betrogen.
Mich machte stark und selig Deine Huld.
Du bist allein das Ziel all meines Strebens!
Dir, Dir gebührt der Dank des ganzen Lebens. –
Er aber, der Sich für uns geheiligt hat, der höre auf das Bekenntnis der Seinen:
Die wir uns allhier beisammen finden,
Schlagen unsre Hände ein,
Uns auf Deine Marter zu verbinden,
Dir auf ewig treu zu sein.
Und zum Zeichen, daß dies Lobgetöne,
Deinem Herzen angenehm und schöne,
Sprich du Amen und zugleich:
Friede, Friede sei mit euch.“ Amen.
„Ich will den HErrn loben allezeit. Sein Lob soll immerdar in meinem Munde sein.“ Ja, gelobet seist Du, ewiger barmherziger Heiland, der Du jederzeit über die Deinen so treulich wachst, alle ihre Sünde gnädig bedeckst, und sie durch Liebe und Leid zu Dir hinziehst in lauterer Güte. Wir bitten Dich, siehe uns an, die wir noch auf dem Wege sind, beschleunige unsern Fuß, Dir entgegenzueilen, öffne unsere Lippen, Dir entgegenzujauchzen, auf daß wir einst in der Stunde des Scheidens im Triumph unsern Geist Dir übergeben, weil wir wissen, Du hast ihn erlöset, Du treuer GOtt. Amen.
„Wo ist solch ein GOtt, wie Du bist, der die Sünde vergiebt, und erlässet die Missethat den Uebrigen Seines| Erbteils? Der die Missethat dämpfet und alle unsere Sünde versenket in die Tiefe des Meeres?“ Amen.
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