Einsegnungsunterricht 1892/8. Stunde

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Achte Stunde. Donnerstag Abend.

 O HErr JEsu Christe, der Du willst, daß, wo Du bist, Deine Diener und Dienerinnen sein sollen, wir bitten Dich, räume gnädig hinweg alle Hemmnisse und Hindernisse, daß wir in Deiner Freiheit wandeln, Dir entgegeneilen, auf daß wir bei Dir unerschöpflichen und ewigen Frieden haben mögen. Amen.

 Wir haben heute morgen von der Verantwortung geredet, die unser Beruf uns auferlegt. Je tiefer wir das Wort „Beruf“ fassen, desto größer erscheint uns die Verantwortung. Das Wort „Beruf“ ist ein unnachahmliches und muß uns Menschen stets ernst aufs Gewissen fallen. Denken Sie, was es heißt, berufen sein von Dem, der da ist der GOtt der Gaben und der Kräfte, und der von uns treues Verwalten der Gaben verlangt. Je mehr wir das Wort Beruf in Seiner Fülle, auch begrifflichen Fülle auf uns wirken lassen, desto mehr müssen wir fragen: „Wer bist Du, der Du mich rufest, und wer bin ich, daß ich von Dir gerufen werde?“ Darin liegt einerseits ein schweres und ernstes Gericht, andererseits ein großer Trost. Gericht: wir können den Abstand zwischen Ihm und uns durch unsere Sünden sehr verbreitern und vergrößern. Der Trost: Der euch berufen hat, der wird es thun. Nicht Ihr seid es, die da| reden, handeln, dienen, sondern mit Euch bin Ich. Wenn wir uns diesen Trost recht vorhalten, dann wird uns die Klage über mangelnden Berufseifer und Freudigkeit, über Lauheit verstummen; denn der HErr, der beruft, Der giebt auch die Kräfte. Indem Er uns beruft, ruft Er in Seinem Wort uns zu, und Sein Wort ist Kraft, und davon können wir zehren. In der Kraft des uns berufenden HErrn lassen Sie uns leben, bis es zum Scheiden geht. Den Trost soll uns niemand und nichts rauben: Er ist es, der berufen hat, Er wird aus der Thatsache Seines Berufens die Kräfte ableiten, deren wir bedürfen.

 Der aber ruft, ist nicht bloß ein König der Herrlichkeit, sondern auch ein König der Barmherzigkeit. Wo wir hingestellt werden, da stehen wir, und da lassen Sie uns unseren Posten ausfüllen. ER hat uns berufen, Er wird auch Gedanken des Friedens in uns sich ausgestalten lassen.

 Ein Wort von der Barmherzigkeit. Das ganze Wort weist darauf hin, daß es ein ganz bestimmtes Beanspruchen unseres Herzens ist. Das Herz soll ruhen bei den Armen. Meister Eckhart sagt: „Sammle alle die Armen, Notleidenden, Elenden in deines Herzens Schrein und dann erbarme dich ihrer.“ Das Wesen der Barmherzigkeit ist ein rein individuelles. Man kann stundenlang über die Barmherzigkeit reden und doch unbarmherzig sein. Die Barmherzigkeit muß aus einem bewegten Herzen hervorgehen. „Mich jammert des Volks,“ spricht unser HErr; Sein ganzes Herz hat sich beim Anblick der Menge bewegt. Merke: Sieh den Menschen in der Not und nicht die Not im Menschen! Darin liegt der Tod aller Barmherzigkeit, wenn wir zwischen denen, denen wir Barmherzigkeit erweisen, und uns selber einen Unterschied konstruieren, dann wird die Barmherzigkeit Herablassung, dann haben wir auch unsern Lohn dahin. Nicht Herablassung hat unser HErr Christus gewollt, sondern Er hat Sich uns gleichgestellt. „Ich trage eure Krankheit und nehme auf Mich eure Schmerzen.“ Er hat unser Los mit dem Seinen zusammengestellt. Die absichtslose Barmherzigkeit, wie sie in der inneren Mission| unserer Tage hervortritt, ist eine bequeme Barmherzigkeit. Sie wird sich strafen müssen, daß sie sich nicht die Mühe nimmt oder nehmen kann, die einzelnen Persönlichkeiten anzusehen, sondern en bloc wirkt. Unsere Barmherzigkeit muß eine rein persönliche sein, wir müssen mit unserer ganzen Person dabei sein. Das Verlangen die Elenden, daß man ein persönlich in ihre Lage sich versenkendes Interesse habe. „Alle eure Sorge werfet auf Mich, denn Ich sorge für Euch.“ ER nimmt unser Leid auf Sich, als ob Er es verschuldet hätte. Wir sollen darnach streben, diese Barmherzigkeit unsers HErrn uns anzueignen, welche sich persönlich der Armen annimmt. Dann wird der in neuerer Zeit so stark hervortretende Unfug aufhören, daß man für die leiblichen Bedürfnisse sorgt und alles andere GOtt überläßt, da man alles erreicht glaubt, wenn man den Kranken richtig gebettet hat und dann ihn seinem Schicksal überläßt. „Die Seele aller Armenpflege ist die individuelle Pflege der armen Einzelseele.“ (Vincenz und Elisabeth Fry.) Sie haben zunächst nicht den Beruf, pastoral zu wirken. Der Frauen Wandel sei ohne viel Worte, aber in Kraft. Wenn an das Krankenbette eine nicht bloß christlich berührte, sondern in das Christentum eingetauchte Persönlichkeit tritt, dann ist rechte Barmherzigkeitsübung möglich. Darin unterscheidet sich die christliche Charitas von aller Humanität. Die Dame des Salons geht auch an das Krankenbett, spricht einige Teilnahme zeigen sollende Worte, schüttelt die Kissen und läßt einige Geldstücke da. Das ist ein sich Abfindenwollen mit der Barmherzigkeit: man verkümmert und verkürzt sich dabei nichts im Leben. Die christliche Barmherzigkeit wendet sich mit persönlichem Interesse an die einzelnen, mit jenem persönlichen Interesse, welchem die Seele des einzelnen wichtig ist. Der stille Wandel ohne viel Worte muß Ihnen vom HErrn geschenkt werden. Die Dame der Welt kommt und geht. Sie kommen, und mit Ihnen kommt Sein Friede. „Wo Ihr in ein Haus eintretet, so sprechet: Friede sei mit diesem Hause!“ Und wo ihr an ein Krankenbette tretet, so sprechet: „Friede sei mit diesem Kranken.“ Dann kann es sein, daß Sie| manches ungeschickt machen, aber der Kranke dankt Ihnen doch. Er fühlt, wo die Form ist und wo das Wesen. Wenn ich alle Technik hätte und Glaubenseifer und Heroismus des Tragens und Unermüdlichkeit der That und hätte das persönliche Interesse der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Wenn Sie mit Glut und Eifer die niedrigsten Magddienste an dem Kranken verrichten und nicht die persönliche Liebe zu dem Kranken haben, so wird der HErr einst sagen: „Ich habe euch nie erkannt.“ Wenn Sie aber aus Liebe bei nahendem Frühling dem Kranken nur einen Blumenstrauß geben, der ihn hinweisen soll auf unvergängliche Herrlichkeit, er wird es Ihnen danken (nicht Bekehrungsversuche dabei wittern). Das sei die Hauptsache bei aller Barmherzigkeit: persönliches Interesse für den Leidenden.
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 Und nun die Frage wegen des Trostes. Zum Trösten gehört besonderer Takt. Wer getröstet ist, der kann auch trösten. Wenn wir aus dem eigenen Innern wissen, was es heißt, verloren und verdammt sein und einen gnädigen Heiland haben, dann können wir auch darreichen aus der Kraft. Nicht aufdringlich und vordringlich Christum predigen, aber in der stillen Weise. Das wird die Zukunft der Barmherzigkeitsübung sein, daß man individualisiere. Je mehr unsere Zeit und unsere Kirche auf die Massenarbeit hindrängt, desto mehr haben Sie die heilige Pflicht: suchen Sie mit der Gnade zu vereinzeln. „Er nahm ihn von dem Volke besonders.“ Nur keine Massenarbeit! Das Christentum ist viel zu individuell, es verträgt das nicht. Wohlthätigkeitsbazare, Konzerte, sonstige Unternehmungen – eigentlich sollte man einer Dienerin Christi nicht sagen müssen, daß das fast durchweg zu verwerfen sei. „Hebe dich weg von mir!“ Sie beflecken sich damit. Die ganze Bazartheorie beruht auf folgendem Satz: Wir wollen euern Egoismus zur Barmherzigkeitsübung ausnützen. Das ist nichts anderes als: „Lasset uns Böses thun, auf daß Gutes heraus komme.“ Wir tolerieren damit die Sünde. Die haben Sie zu fliehen. Unser HErr Christus sagt: „Wenn Du wohlthust, so laß die Linke nicht wissen, was die Rechte thut.“ Aber hier füllt man die Rechte, damit die Linke| etwas thue. Wer nicht aus Liebe etwas geben kann – aus egoistischen Gründen braucht niemand etwas zu geben. Man beschwichtigt sein Gewissen damit: wir wollen das Gold des Fluches in Segen verwandeln, wodurch unterscheiden wir uns dann von den Jesuiten, die sagen: Der Zweck heiligt das Mittel? Mit solchen Sachen bleiben Sie unvermengt. Auf diesem Gelde ruht kein Segen. Und wo einmal der Fluch ruht, da haben wir nicht das Recht, den Segen zu provozieren.
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 Die Barmherzigkeit sei persönlich, interessiere sich für das Seelenergehen der einzelnen, suche zu trösten aus dem Born des Trostes. Aber das erste ist immer die Fürbitte für die Kranken. Ehe man mit ihnen betet, soll man für sie beten. „Werfet die Perlen nicht vor die Säue.“ Es giebt eine Art von Frömmigkeit und Tröstenwollen, die ist aufdringlich, und alle Absicht verstimmt. Man kann nicht so ohne weiteres Seelsorge üben. Erst müssen Sie die Seelen kennen und dann vom HErrn die Erlaubnis haben, etwas an ihnen zu thun. (Absichtsarbeit der katholischen Schwestern.) Sie können da nicht ein Leben anfangen, wo sich kein Leben regt. Man muß erst zur rechten Zeit einsetzen. Es ist Unglück und Unding, da ein Gebetsleben beginnen zu wollen, wo alle Voraussetzungen dazu fehlen. Werden Sie nie müde. Die Liebe läßt sich nicht erbittern. Ueben Sie die stille Beeinflussung, der sich die Leute am allerwenigsten entziehen können. Diese Barmherzigkeit mit andern muß als tiefsten Grund haben das Mitleid mit sich selbst. Darüber muß man sich recht klar werden, damit man dies Mitleid nicht mit einer Weichlichkeit verwechselt, der wir nicht das Wort reden wollen. Es geht aus dem Worte hervor: „Ihr seid teuer erkauft. Darum so preiset GOtt an eurem Leibe und in eurem Geiste, welche sind GOttes.“ Sind wir auch wirklich des Kaufpreises wert, den JEsus für uns gezahlt hat? Je mehr wir inne werden, daß wir es nicht sind, desto mehr werden wir mit uns selbst Mitleid und Erbarmen haben. „Schaffet eure Seligkeit mit Furcht und Zittern.“ Es giebt Leute, die um die Sorge für andere die Sorge für die eigene Seele vergessen. Luther sagte zu einem: „Ich will, um recht sorgen zu| können, meine Seele nehmen und in einen Holzblock eine Oeffnung bohren und meine Seele hineinlegen: Dann kommt der Teufel und holt sie.

 Gerade für uns Christenmenschen ist das furchtbare Gefahr, daß wir für andere sorgen und die eigene Seele vergessen. Nein, zuerst muß ich für meine eigene Seele sorgen. An jenem Tage fragt man uns zunächst, ob unsere Seele geborgen ist. „Da kann dir niemand helfen,“ sagt Luther, „da stehest du allein.“ Nimm deine Seele in deine Hände. Das Mitleid mit der viel geängsteten, geplagten Seele kann uns Mitleid gegen andere geben. Hat nicht unser HErr Christus so gethan? Hat Er nicht mit Sich Selbst auch Mitleid gehabt? „Wie ist Mir so bange.“ – „Er hat Thränen geopfert in den Tagen Seines Fleisches.“ Bei allem merkt man das Seufzen des HErrn heraus, wenn Er nun heraustreten muß in eine Welt, die Sein nicht wert ist.

 Was ist die Reue? Nichts anders als Mitleid mit uns selbst: Was habe ich mir gethan, wie habe ich mich gemordet, wie habe ich mir das Leben geraubt! Aus welchen letzten Beweggründen ging die Reue hervor? Aus dem Mitleid mit unserer armen Seele. Es hat jeder Mensch Stunden, wo er ruft, wie der Apostel: „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?“ Das ist der Gipfelpunkt des Mitleides mit uns selbst: „Ich zum Unglück geborner Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?“ Das ist nicht Rhetorik, sondern eine Frage, welche Antwort erwartet. Solche Stunden, in denen diese Frage entsteht, können allen Menschen kommen. Die Humanität kennt kein Mitleid mit sich selbst. Sie kennt nur Hochmut. Die Humanität ist nichts anders als das Wegwerfen der Brocken von des Reichen Tisch. Nicht weil man arm ist, hilft man den Armen, sondern weil man reich ist. Und das ist falsch. Was ich mit mir selbst empfinde, das kann ich ruhig auf den andern übertragen. „Nur der ist wirklich imstande, zu fühlen, was ein König ist, der ein entthronter König ist.“ (Pascal). Die Schwestern insonderheit, die berufen sind, in großen Städten zu wirken, sollen sich den Unterschied zwischen Humanität| und Christentum klar vor Augen stellen. Nur im Christentum ist das Zeichen des Sieges. Die moderne Humanität mit ihrer Kurzatmigkeit gräbt sich selbst das Grab. Wir wollen in großen Zügen geben und schmecken lassen, wie freundlich Er ist. Die Humanität zieht die Bestialität groß, indem sie die Gefängnisse abschafft, die Todesstrafe abschafft, die Korrektionshäuser abschafft. Man ist so human, daß man auch die Sünde als human erklärt. Wenn es zu spät ist, wird man das alles noch sehen.
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 Aus einer Welt, in der Er Sich abgearbeitet, kommt JEsus zu Seinem himmlischen Vater fürbittend für Seine ganze Gemeinde. Er spricht dies noch in der Welt, innerhalb der Grenzen Seiner bisherigen Thätigkeit, damit die Jünger haben die Freude, „das sich ergänzende Frohlocken“ Kap. 15, 11. Was für eine größere Freude giebt es für die Jünger JEsu, als die: „Er hat gesiegt, denn in Ihm haben sie selbst gesiegt.“ Das ist nicht Freude, welche ein für allemal abgeschlossen ist, sondern das ist eine Freude, welche sich immer neu verjüngt, neu füllt, weil sie aus Seiner Fülle nimmt. Das Geheimnis unserer Freude, ja unserer Berufsfreudigkeit, unserer Christenfreudigkeit liegt in dem Worte beschlossen: „ER lebt.“ „Ich komme zu Dir als Ueberwinder aller feindlichen Kräfte und habe die Welt gebrochen und besiegt hinterlassen.“ Aus diesem „Kommen zu Dir“ als Sieger strömt auf die Erlösten täglich neue Freude. „Vivit“ hat Luther in schwerer Zeit auf alle Wände und Tische geschrieben. ER lebt, warum sollte ich traurig sein? Wenn wir freilich mit einem Toten, nur in der Idee weiter Lebenden zu rechnen hätten, dann wäre unsere Freude fleischlicher Enthusiasmus; aber eure Freude soll eine reale sein, eine täglich neu sich sättigende. Christen können eigentlich im letzten Grund nicht traurig sein, weil sie sagen müssen: alles, alles ist Ihm untergeben, alle Sünde und Sündennot und alles Elend. „Hebet eure Häupter auf zu mir dem Quell euerer ewig neuen Freude. Sehet empor und denket daran, daß Ich durch Meinen Sieg täglich neue Freude euch gegeben habe. Die Freude an Ihm ist unsere Stärke. Natürlich, weil die Freude an Ihm| nicht ein bloßes Gefühl ist, nicht bloßer Affekt, sondern eine vollkommene Heranziehung Seiner Persönlichkeit an uns. „Ich bin Dein und Du bist mein, niemand soll uns scheiden.“ Die Freude an Ihm war es, welche die heiligen Apostel durchströmte und durchglühte, und die sie sprechen ließ: „Niemals werden wir müde.“ Während alle irdische Freude immer mehr verblaßt, je länger man sie genießt, wird Seine Freude immer mehr, je mehr man sie genießt. „O daß du auf Meine Gebote merktest, so würde dein Friede sein wie ein Wasserstrom und deine Gerechtigkeit wie Meereswellen“ (Jes. 48, 17), so würde dein Leben eine tägliche Quelle von unversieglichen Freuden sein. Uns ziemt souveräne Geringschätzung der irdischen Lappalien. Wie oft müssen wir uns strafen, welche Kleinigkeiten wir erhöhte, hochgeehrte Gotteskinder aufgreifen, um uns zu ärgern! ER hat uns Seinen einigen Sohn gegeben, wie sollte Er uns in Ihm nicht einen Quellborn ewiger Freuden, alles schenken; denn Er ist die absolute Freude. „Ich freue mich“, schreibt St. Paulus, „und will mich freuen in alle Ewigkeit.“ Gegenüber diesem Ideale aller Freude ist auch die idealste irdische Freude nichts. „Machet die Thore weit und die Thüren in der Welt hoch, daß der König der Ehren einziehe!“ Ps. 24, 1. Enge Herzen – geringe Freude. Je mehr unser Herz sich weitet, desto mehr Fülle der Freude. Machet euer Herz weit und laßt diesen beschränkenden Egoismus draußen, jenen alle Begeisterung erstickenden Egoismus. Der Egoismus der Sünde verkaltet, verstarrt, verkrustet uns. Wie kann ich traurig sein, seitdem ich weiß, daß Er mich liebt, daß Er für mich gelitten hat! Die Freude der Welt verrauscht. Wir sollen gegenüber einer trübseligen, an versiegenden Wasserbächen verschmachtenden Welt den Bäumen gleichen, die an ewigen Quellen gepflanzet sind. Wir haben dem Christentum viel geschadet dadurch, daß wir mit saurer Miene das Christentum vertreten. „Wenn du fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein Angesicht.“ „Wie können die Hochzeitleute trauern, dieweil der Bräutigam bei ihnen ist?“ Er ist bei uns alle Tage, „freuet euch in dem HErrn allewege und abermal sage ich euch, freuet euch!“
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|  V. 14: „Dadurch, daß Ich ihnen Dein Wort und mit diesem Wort das Prinzip der Lossagung von der Welt gegeben, das königliche Gepräge Deiner Herrlichkeit aufgedrückt habe, in dem Momente hat die Welt sie gehaßt. Sie sind durch Gnade der Welt entnommen, wie Ich dem Wesen nach der Welt entnommen bin.“ Die Welt ist nicht indifferent gegen die Christen. („Ist der nicht der Zimmermann, des Vater und Mutter wir kennen?“ Das ist das von Haß erfüllte Wort der Verwunderung.) „Euer König,“ sagt Pilatus. Das ärgert die Welt, daß wir etwas Besseres sind als sie. Sie reagiert mit sehr feinem Gefühl gegen alles, was wir ihr bieten. Wo Sie den Widerspruch der Welt merken, dann sind Sie auf der rechten Fährte. „Weil sie, obwohl in der Welt, doch nicht aus der Welt sind, obwohl Welt angehörige, doch nicht Welt zugehörige, will Ich auch gar nicht, daß Du sie jetzt aus der Welt emporhebest durch ein Gnadenwunder.“ Wie wäre es, wenn in dem Momente des Todes JEsu die Welt versunken und da gleich das Endgericht gekommen wäre? Er hat am Kreuze prinzipiell den Sieg errungen, nun müssen sich Seine Gedanken ausleben, sonst hätte Er einen Gewaltakt vollzogen. Als Er sprach: „Es ist vollbracht“ hat Er die Siegeskräfte in die Welt gelegt, als es am finstersten in ihr war, nun müssen sich dieselben ausgestalten. „Gehet hin in alle Welt“ – die Seinen sind nicht aus der Welt genommen, sondern sie sollen die Welt beherrschen. Er schont nicht ängstlich die Seinen. „Ich bitte ja nicht um falsche Schonung der Meinen, sondern sie sollen inne werden, was Ich inne geworden bin.“ „Ich will ihm zeigen, wieviel er leiden muß um Meines Namens willen“ – gilt das nicht für jeden Christen? Unser HErr will nicht allein kämpfen. „Lasset uns mit Ihm ziehen, daß wir mit Ihm sterben.“ Weigern wir uns der Züchtigung nicht! Gehet hin in alle Welt, leidet, sterbet mit Mir! Sie sollen verfolgt werden, gehaßt, geschmäht, alles das sollen Sie. Sie haben noch sehr viel in dieser Welt zu thun. Unser HErr Christus arbeitet in großen Zügen, in Flammenzügen, in Grandiosität. Wir sollen Seinen Fußspuren langsam nachgehen, mit Ihm leiden lernen und Seine Gedanken der Welt vermitteln. Es| ist ein alter Satz der Kirche: „Nie giebt GOtt Inneres außer durch Aeußeres.“

 Joh. 17, 15: „Ich bitte nicht, daß Du sie von der Welt nehmest, sondern daß Du sie bewahrest vor dem Uebel,“ vor dem Bösen (Bösen nicht sachlich, sondern persönlich zu nehmen). „Daß Du sie von der Welt nehmest, das bitte Ich nicht, sondern daß Du sie bewahrest vor dem Weltherrn, vor dem „Mühe machenden Weltherrn,“ vor dem unruhigen und mühevollen, die Seele quälenden Versucher. Wenn sie nur des Bürgerrechts, das Ich ihnen erworben habe, inne werden und sich desselben getrösten, nur bei Dir geborgen sind!“ „Aus der Welt sind sie nicht, wie auch Ich nicht aus der Welt bin, eben deshalb heilige sie in Deiner Wahrheit, Dein Wort ist die Wahrheit.“ „Weil sie faktisch nicht mehr aus der Welt stammen, nicht mehr ihr zugehören, darum umhege sie mit Deiner Wahrheit gegenüber dem Fürsten der Lüge, dem Verleumder, dem Mühe machenden. Umhege sie mit dem Schutze Deiner Wahrheit, und die Wahrheit ist Dein Wort.“ Er ist die Wahrheit, „Ich bin das menschgewordene Wort.“ Gegenüber der Welt Täuschung, Trug, List, Tücke ist das einzige Refugium die Wahrheit. „Stelle Deine Wahrheit als Schutz und Schirm um sie her.“ „Der Name des HErrn ist ein festes Schloß, der Gerechte läuft dahin und wird beschirmet.“ Wenn wir Seine Wahrheit haben, dann gilt das spanische Sprüchwort: „Mit GOtt sind wir immer in der Majorität.“ Wir wollen lieber, so es möglich wäre, mit Christo fallen, als mit dem Herrscher der Welt siegen. (Luther.)

 V. 18: „Wie Du Mich gesandt hast in die Welt, so sende Ich sie auch in die Welt.“ Ihn hat der Vater geheiligt (Joh. 10, 36) und hat Ihn als einen von der Welt Abgesonderten in die Welt gesandt. „Er kam in Sein Eigentum, aber die Seinen nahmen Ihn nicht auf.“ Der HErr hatte Ihn in die Welt gesandt als einen der Welt Entnommenen, und die Welt hat das sofort gefühlt. „Und so wie Du Mich, so sende Ich sie,“ ganz arm. Sie sollen die Welt erobern. Das ist ein Wort, dessen Gewalt wir uns nie entziehen dürfen: „Als die nichts inne| haben und doch alles haben, als die Sterbenden, und siehe, wir leben.“

 V. 19: „Ich weihe Mich, Ich gebe Mich ihnen hin, Ich opfere Mich in der Opferweihe für sie selbst, damit sie in der Wahrheit geopfert sind.“

Du warst in ew’ger Treue mir gewogen,
Du kamst zu mir, vergabst mir meine Schuld,
Hast mich aus heißer Lieb zu Dir gezogen,
Vertragen meine Schwachheit in Geduld:
Wo ich Dich liebte, ward ich nie betrogen.
Mich machte stark und selig Deine Huld.
Du bist allein das Ziel all meines Strebens!
Dir, Dir gebührt der Dank des ganzen Lebens. –

(Möller: Stille und Sturm.)

 Er aber, der Sich für uns geheiligt hat, der höre auf das Bekenntnis der Seinen:

Die wir uns allhier beisammen finden,
Schlagen unsre Hände ein,
Uns auf Deine Marter zu verbinden,
Dir auf ewig treu zu sein.
Und zum Zeichen, daß dies Lobgetöne,
Deinem Herzen angenehm und schöne,
Sprich du Amen und zugleich:
Friede, Friede sei mit euch.“ Amen.

(Zinzendorf d. J.)

 „Ich will den HErrn loben allezeit. Sein Lob soll immerdar in meinem Munde sein.“ Ja, gelobet seist Du, ewiger barmherziger Heiland, der Du jederzeit über die Deinen so treulich wachst, alle ihre Sünde gnädig bedeckst, und sie durch Liebe und Leid zu Dir hinziehst in lauterer Güte. Wir bitten Dich, siehe uns an, die wir noch auf dem Wege sind, beschleunige unsern Fuß, Dir entgegenzueilen, öffne unsere Lippen, Dir entgegenzujauchzen, auf daß wir einst in der Stunde des Scheidens im Triumph unsern Geist Dir übergeben, weil wir wissen, Du hast ihn erlöset, Du treuer GOtt. Amen.

 „Wo ist solch ein GOtt, wie Du bist, der die Sünde vergiebt, und erlässet die Missethat den Uebrigen Seines| Erbteils? Der die Missethat dämpfet und alle unsere Sünde versenket in die Tiefe des Meeres?“ Amen.



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