Jonathan Oldstyle’s Briefe

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Textdaten
Autor: Washington Irving
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Titel: Jonathan Oldstyle’s Briefe
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Entstehungsdatum: 1802–03
Erscheinungsdatum: 1824
Verlag: Duncker und Humblot
Drucker: Johann Friedrich Starke
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer: Samuel Heinrich Spiker
Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Erste und bislang einzige deutsche Übersetzung von Washington Irvings Jugendwerk
Text auch als E-Book (EPUB, MobiPocket) erhältlich
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[I]
Jonathan Oldstyle’s
Briefe.
Aus dem Englischen
des
Washington Irving
übersetzt
von
S. H. Spiker.


Berlin,

Im Verlage von Duncker und Humblot.

1824.

[II]

[III]
Vorwort des Uebersetzers.

Der Uebersetzer glaubt, bei dem deutschen Publikum keiner Rechtfertigung wegen seiner Uebertragung der Briefe Jonathan Oldstyle’s zu bedürfen. Von einem Manne, dessen Namen bei uns so vortheilhaft bekannt ist, wird man gern auch dasjenige lesen, worin sich die ersten Spuren des Talents verrathen, das in späteren Zeiten sich so reich entfaltet hat. Diese Blätter, im J. 1802 geschrieben, erschienen damals in dem New-Yorker Morning Chronicle, einer Zeitung, welche ihren Namen von dem des berühmten Londoner Oppositions-Blattes [IV] entlehnt hatte. Der Beifall, welchen Hrn. Irving’s spätere Schriften in seinem Vaterlande erhielten, veranlaßte wahrscheinlich den Wiederabdruck dieser Blätter in seiner Vaterstadt, so wie der Ruf, den Jener in England sich erworben hatte, ihre schleunige Bekanntmachung in England; und daß man sie dort mit dem Beifall aufgenommen, den der Name des Verfassers sich überall gesichert hat, beweist wol vor Allem der Umstand, daß sie in kurzer Zeit drei Auflagen erlebt haben.

Die Tendenz dieser Blätter ist, wie man bald ersehen wird, durchaus satirisch. Was der Verfasser von dem New-Yorker Theater sagt, möchte vielleicht, wenn auch nicht hinsichtlich der Darstellung, doch in Bezug auf das Publikum und das Benehmen desselben in den Amerikanischen-Schauspielerhäusern, [V] überhaupt itzt noch, seine Anwendung finden, wenn man anders sich auf das Urtheil von Palmer, Fearon, Warden und andern Reisenden verlassen kann. – Das Ueberhandnehmen der Duelle in den Vereinigten Staaten, und die Erbitterung, mit welcher man dabei zu Werke geht, ist schon von vielen unparteiischen Beobachtern gerügt worden und die Waffe der Satire vielleicht die einzige, womit diesem Uebel wirksam begegnet werden dürfte. Bis itzt scheint jedoch das, was der Verfasser gegen diese grausame Sitte gesagt hat, von seinen Landsleuten wenig beherzigt worden zu seyn.

Der Vorbericht des Amerikanischen Herausgebers dieser Blätter enthält einige biographische Nachrichten über den berühmten Verfasser, welche zur Ergänzung [VI] der früher von mir, in meiner Vorrede zu Bracebridge-Hall, mitgetheilten dienen mögen, und die, wie ich hoffen darf, den Deutschen Lesern nicht unangenehm seyn werden.

Hr. Washington Irving ist in New-York geboren, und studirte im J. 1800 im Columbia College. Der wankende Zustand seiner Gesundheit nöthigte ihn indessen, die ernsthafteren Studien aufzugeben, nach dem Rathe seiner Freunde sich mit dem Zeichnen zu beschäftigen und deswegen eine Zeichnen-Akademie in New-York zu besuchen, welche noch itzt in bedeutendem Rufe steht. Diese Beschäftigung scheint ihn indessen nicht angesprochen zu haben: sein Arzt rieth ihm daher, eine Reise zu machen. Ehe dieß geschah, erschienen die hier mitgetheilten Blätter in [VII] der Zeitung, welche Hrn. Irving’s älterer, itzt in England lebender Bruder herausgab, und erregten schon damals bei den Freunden ächten nationalen Witzes große Erwartungen von dem Verfasser. Hr. Irving schiffte sich hierauf nach Frankreich ein, von wo er nach Italien ging und Rom und Neapel besuchte.

Im J. 1805 oder 1806 kehrte unser Verfasser nach Amerika zurück; seine Gesundheit war fester geworden, und er begann itzt, unter einem ausgezeichneten Advokaten, in New-York das Studium des Rechts. Im J. 1807 erschien sein Salmagundi, das in einzelnen Nummern herauskam und vom Januar des erwähnten Jahres bis zum Anfange des nächsten dauerte. Mehrere Nummern davon werden einem Schriftsteller beigelegt, der sich seit der Zeit [VIII] durch mehrere prosaische und poetische Werke ausgezeichnet hat (Cooper);[1] die poetischen Stücke, mit denen Salmagundi ausgestattet ist, kamen aus der Feder des ältesten Bruders unsers Verfassers, welcher seitdem gestorben ist.

Im J. 1810 faßte man in Philadelphia den Gedanken, eine Ausgabe von Campbell’s Gedichten zu veranstalten, und Hr. Irving ward aufgefodert, ein Leben des Dichters dazu zu schreiben. Er entledigte sich dieses Auftrages auf eine meisterhafte Art, und so, daß man diese Arbeit für seine gelungenste und überhaupt [IX] für das Vorzüglichste halten will, was vielleicht je in englischer Prosa geschrieben worden ist. – Das nächste Erzeugniß seiner Feder war Dietrich Knickerbocker’s Geschichte von New-York, ein Werk voller Witz und Laune, zu dem er sich durch ein sehr fleißiges Studium der Alterthümer von Neu-Amsterdam (wie die Stadt genannt wurde, auf deren Stelle das heutige New-York steht) vorbereitete und alle Bibliotheken von New-York und Philadelphia durchsuchte, um Materialien dazu einzusammeln.

Im J. 1812 begab sich Hr. Irving nach England, und trat in eine Handlung, woran bereits zwei seiner Brüder Antheil hatten, während ein dritter in Amerika zurückgeblieben war. Der ausgedehnte Briefwechsel des Hauses wurde den Händen unseres [X] Verfassers überlassen, und die Geschäfte der Handlung fielen so vortheilhaft aus, daß die Unternehmer nach dem J. 1815 die Aussicht hatten, ihren Fleiß durch einen ansehnlichen Gewinn belohnt zu sehen. Das Mißglücken einer Handelsspekulation vereitelte indessen diese Hoffnungen, und mit ihnen auch die unseres Verfassers, eine sorgenfreie Unabhängigkeit zu erlangen. Wahrscheinlich wird indeß das Publikum bei diesem Mißgeschicke der gewinnende Theil seyn, denn wir werden vielleicht hoffen dürfen, dem Wiedereintritt des Verfassers in die schriftstellerische Laufbahn noch manches geniale Erzeugniß seiner Feder zu danken zu haben.


[1]
Erster Brief.

Nichts ist für einen alten Mann unerträglicher, als alte Sitten ändern zu müssen. Die Gewohnheiten unserer Jugend werden uns, je mehr wir an Jahren vorrücken, desto theurer, und es ist uns eben so unangenehm, wenn wir sie aufgeben sollen, als wenn wir die Bäume fällen sehen müßten, unter denen wir in den glücklichen Tagen unserer Kindheit gespielt haben.

Ich selbst, der ich den Strom des Lebens mit der Fluth hinabgeschwommen bin, mich nach allen seinen Wendungen gerichtet, großentheils alle seine Eigenthümlichkeiten angenommen habe, kann mich dieses Vorurtheils nicht entschlagen. Ich seufze sehr oft, wenn ich einen Vergleich zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit anstelle, und obgleich ich wol [2] einsehe, daß, im Ganzen, die Zeiten besser geworden sind, so liegt doch selbst in den Mängeln der Sitten und Gewohnheiten, welche in meinen jungen Tagen herrschten, etwas, das sie mir unaussprechlich theuer macht.

Nichts kommt mir sonderbarer und verkehrter vor, als die Art, wie bei den Heirathen in neuerer Zeit zu Werke gegangen wird. Beide Theile halten die Sache so geheim, als ob etwas Schimpfliches in dem Verhältniß läge. Die Dame läugnet es ganz entschieden ab, daß irgend etwas der Art im Werke sey, lacht, wenn man Den oder Jenen als ihren künftigen Gatten nennt, und wettet sogar den Tag vorher, ehe die Hochzeit ist, daß davon nicht die Rede sey. Beide Theile schleichen sich so still als möglich in das eheliche Leben hinein, und scheinen ordentlich stolz auf die listige und gewandte Art zu seyn, womit sie dieß bewerkstelligt haben.

Wie verschieden waren dagegen die Sitten der früheren Zeit! Ich erinnere mich noch, wie Squire Stylish meiner Base Barbara den Hof machte. Während dieser ganzen Zeit [3] hörte man nichts, als von Berathungen und Unterhandlungen unter ihren Freunden und Verwandten; man überlegte die Sache hin und her, und beraumte endlich eine Zeit an, wo das Jawort gegeben werden sollte. Ich werde nie die erhabene Feierlichkeit dieses Augenblicks vergessen. Die ganze Familie der Oldstyles war versammelt: meine Base Barbara, so schön herausgeputzt, als es Menschenhänden nur möglich war – mit hohem Kissen, einer ungeheuren Haube, langen Taille, gewaltigem Reifrock, Manschetten, die ihr bis auf die Fingerspitzen reichten, und einem Kleide von feuerfarbnem Brokat, mit Mohnblumen, Rosen und Sonnenblumen darein gewirkt.

Nie habe ich sie so majestätisch schön gesehen. Der Squire trat mit einer zu der Feierlichkeit des Augenblicks passenden Miene herein. Er war in scharlachrothen Sammet gekleidet, sein Rock mit einer Menge von seidenen Knöpfen versehen, und die Aufschläge mit einer oder zwei Ellen Steifleinen aufgesteift: eine wohlgepuderte Perucke mit langem [4] Zopf schmückte sein Haupt, er trug Strümpfe von dunkelblauer Seide, über die Kniee aufgewickelt, die Schöße seiner Weste reichten bis auf seine Gürtelschnallen, und die Enden seiner mit der größten Zierlichkeit geknüpften Halskrause waren durch alle Knopflöcher gezogen. So angethan, schritt er gemessen in das Zimmer, seinen ebenholzenen, mit einem elfenbeinenen Knopfe versehenen Stock in der einen Hand, und mit der andern seinen dreieckigen Castorhut sanft bewegend. Das stattliche, modische Aeußere des Squire, die Annehmlichkeit und Würde seines Betragens, erzeugten ein Lächeln des Beifalls auf allen Gesichtern; meine Base Barbara verbarg ihr Antlitz hinter ihren Fächer, aber ich sah, wie sie ihren Bewunderer mit großem Vergnügen zwischen den Stäben hindurch beobachtete.

Die Sache ward mit der größten Feierlichkeit eröffnet, allein man kam bald zum Schlusse. Die Oldstyles waren genügsam – machten nur wenige Bedingungen; der Squire war galant und willigte in alle. Kurz, die [5] erröthende Barbara ward mit gehöriger Feierlichkeit in seine Arme geführt. Nun – nun ging die glückliche Zeit an: solche Meere von Arrak – solche Berge von Rosinenkuchen – solche Gastmähler und Glückwünsche – ein solches Fideln und Tanzen! Ach, wer kann an die Zeit denken, ohne zu seufzen, wenn er die Ausartung der itzigen mit ansieht: kein Brautkuchen[2] wird mehr gegessen, kein Strumpf mehr geworfen[3] – Niemand überfüllt sich mehr mit Wein bei der fröhlichen Gelegenheit – keine Tasche wird dadurch bereichert, als die des Pfarrers.

Mit großem Kummer sehe ich diese Gewohnheiten verschwinden, welche die Gastfreiheit [6] und Freundschaft meiner alten Gefährten lebendig zu erhalten beitrugen, den Pfad zum Altar mit Blumen bestreuten und einen Sonnenstral auf den Beginn der ehelichen Verbindung warfen.

Das Benehmen meiner Base Barbara und ihres Gemahles gegen einander war nach der Hochzeit so ehrbar, als vorher; ihr Betragen richtete sich immer nach dem seinigen; ihre Ansicht stimmte immer mit der seinigen überein; sie säumte nie, ihm am Morgen seine Halskrause umzubinden, ihm bei Tische die Serviette unter das Kinn fest zu stecken, ihn im Winter wohl einzuhüllen und ihn des Sonntags so schön als möglich herauszuputzen. Der Squire war der aufmerksamste und verbindlichste Ehemann, den man finden kann: er führte seine Frau mit der größten Feierlichkeit in die Kirche und aus derselben, trank ihre Gesundheit mit besonderem Nachdruck bei Tische, und fragte sie bei jeder Gelegenheit um Rath (obgleich er, wie ich gestehen muß, immer seiner eigenen Ansicht folgte), und man hörte nie etwas anderes von [7] beiden Seiten, als „mein Kind, meine Liebe, mein Täubchen u.s.w.“ Der Squire verlies nie an einem Wintertage das Haus, ohne daß ihm seine Frau aus dem Fenster nachgerufen hätte, er solle sich ja die Weste hübsch zuknöpfen. So ging denn alles sehr gut und meine Verwandte standen in dem Rufe, den sie auch, so viel ich weiß, verdienten, das glücklichste und einträchtigste Paar in der Welt zu seyn.

Ehepaare der heutigen Zeit werden wahrscheinlich über alles dieß lachen: sie sind gewohnt, einander mit der größten Gleichgültigkeit und Vernachlässigung zu behandeln. Die Frau steckt dem Mann nicht mehr die Serviette unter das Kinn fest, und der Mann legt ihr nicht mehr die besten Bissen auf den Teller; in Gesellschaft sieht man nicht mehr die kleinen unterhaltenden Schäkereien, wobei die Frau dem Manne die Backen zu klopfen und er ihr unter das Kinn zu fassen pflegte: und wo man so viele „meine Liebe und meine Gute“ hörte, als man itzt Kuchen am Neujahrtstage hat. Die Frau sieht sich itzt als vollkommen unabhängig an – sagt ihre [8] Meinung ohne Zögern heraus, wenn sie auch der des Mannes ganz entgegengesetzt ist – führt ihre Rechnung für sich, und hat sogar Geheimnisse für sich, die sie ihm nicht anvertrauen will.

Wer kann alles dieß lesen, und nicht mit mir die Ausartung der itzigen Zeit beklagen! Welcher Mann wird nicht mit Bedauern auf die glücklichen Tage der weiblichen Unterwürfigkeit zurückblicken!


[9]
Zweiter Brief.

Es giebt keinen öffentlichen Vergnügungsort, den ich so gern hätte, als das Theater. Um es jedoch mit größerem Vergnügen zu genießen, gehe ich nur selten dahin, und ich finde selten ein Schauspiel, wie unbedeutend oder lächerlich es auch seyn mag, das mir nicht einige Unterhaltung gewährte.

Vergangene Woche ward ich von einem Komödienzettel sehr angezogen,[4] der, mit großen Buchstaben, die Aufführung der „Schlacht von Hexham,[5] oder die [10] alte Zeit“ ankündigte. Das, sagte ich zu mir selbst, wird etwas Außerordentliches seyn – die alte Zeit! – Meine Einbildungskraft entflammte sich bei den Worten. Ich stellte mir in Gedanken das Bild der ganzen alten Ritterlichkeit vor. Hier wird man, dachte ich, einmal Hofsitten und wahre Höflichkeit sehen, das Schauspiel wird wahrscheinlich mit Turnieren und Kämpfen prangen, und was die Banditen betrifft, deren Namen sich auf dem Zettel so furchtbar ausnehmen, so werden die, zur Erbauung der Gallerie, wol ohne Ausnahme aufgehangen werden.

Mit diesem Glauben setzte ich mich auf meinen Platz im Parterre, und war so voller Ungeduld, daß ich kaum auf die Musik hörte, obgleich ich sie sehr gut fand.

Der Vorhang erhob sich – die Königin trat mit großer Majestät hervor; sie entsprach meinen Begriffen: – sie war gut gekleidet, sie sah gut aus, und sie spielte gut. Der Königin folgte ein artiger Herr, den ich, nach seinem Nicken und Grinsen, für den Hofnarren hielt; allein ich ward bald meines Irrthums [11] inne. Es war ein hochbetrauter Hofmann und entweder ein General, Obrist, oder hatte sonst eine kriegerische Würde. Beide redeten eine Zeitlang; da ich indessen nicht verstehen konnte, wo ihr Gespräch hinaus wollte, so aß ich unterdessen Erdnüsse.

In einem der Auftritte des Stücks belustigte mich die Dummheit eines Corporals und seiner Leute sehr, die ein sehr langweiliges Lied sangen und sehr viel Worte über nichts machten, obgleich ich aus ihrem Lachen schließen mußte, daß die Bemerkungen des Corporals sehr drollig seyn mußten. In welcher Beziehung dieser Auftritt mit dem übrigen Stück stand, konnte ich nicht begreifen: ich glaube indessen, es war ein Theil eines anderen Stücks, der nur so durch Zufall hier hinein gekommen war.

Itzt kam eine Höhle vor, worin mehrere verdächtig aussehende Kerle waren, die um einen Tisch saßen und zechten. Sie erzählten den Zuhörern, daß sie Banditen wären. Hierauf sangen sie ein Lied für die Gallerie, wovon ich aber nur zwei Verse verstehen konnte.

[12]

„Der Welschmann wär’ beinah an ’ner Maus erstickt,
Doch er zog sie heraus bei dem Schwanze.“

Als sie diesen schönen Gesang geendigt hatten, ward ihr Gelag durch den melodischen Klang eines Horns unterbrochen, und herein trat ein stattlicher Mann, der, wie ich fand, ihr Hauptmann war. Nachdem dieser würdige Mann eine Stunde lang geraset, ein halbes dutzend Male sich vor die Brust geschlagen und sein Schwert gezogen hatte, schloß der Aufzug.

Ich erfuhr, daß in dem Stücke eine Schlacht vorgekommen war, oder noch vorkommen sollte; wie, wann oder wo, konnte ich aber nicht herausbringen. Die Banditen erschienen abermals, und erschreckten dadurch die Frau des stattlichen Mannes, die Mannskleider trug und ihren Gemahl suchte. Ich konnte die Würde ihrer Haltung, ihr liebliches Gesicht und die ungezwungene Annehmlichkeit ihres Spiels nicht genug bewundern; wer aber der Hauptmann wirklich, oder warum er seiner Gattin entlaufen war, konnte [13] ich nicht herausbringen. Sie schienen indessen sehr erfreut zu seyn, einander wiederzufinden, und so endigte sich denn zuletzt das Stück, indem der Vorhang fiel. Ich wünschte, der Schauspieldirektor ließe am Schlusse jedes Aufzugs einen Zwischenvorhang fallen, so daß man das Ende des ganzen Stücks immer am Fallen des grünen Vorhangs erkennen könnte. Bei dieser Gelegenheit waren es nur die höflichen Verbeugungen der Schauspieler, denen ich diese angenehme Nachricht zu danken hatte.

Ich kann nicht sagen, daß mir dieß Stück ganz gefallen hätte: sehr viel Unterhaltung versprach ich mir dagegen von dem Nachspiel, „die Tripolitanische Prise“ genannt. Itzt, dachte ich, werden wir doch einmal Spaß für unser Geld haben, und einige von diesen tripolitanischen Schurken wie Truthühner zu unserer Unterhaltung an den Spieß stecken sehen. Der Vorhang erhob sich also – Bäume standen vorn am Theater, das Meer wälzte seine Wogen im Hintergrunde – Alles sah sehr angenehm und lachend aus. Itzt hörte ich ein [14] Geräusch hinter den Coulissen – itzt, dacht’ ich, wird ein Haufen wilder Tripolitaner kommen, mit Schnurbärten, so lang wie mein Arm. Nicht also – es war nur ein Haufen von Bauerjungen und Bauermädchen, die sich einen Spaziergang machten; es waren recht anständige junge Leute, nur war es höchst grausam von dem Schauspieldirektor, sie in Steifleinen gekleidet zu haben, da dieß sie gänzlich des Gebrauches ihrer Glieder beraubte. Sie stellten sich ganz ordentlich zu beiden Seiten der Bühne auf und sangen etwas wahrscheinlich sehr Rührendes, denn sie sahen Alle ganz erbärmlich dabei aus. Allmählig kam ein gewaltiges Ungewitter herauf. Blitze durchzuckten den Himmel, der Donner rollte und der Regen fiel in Strömen: unsere artigen Landleute standen indeß ruhig dabei, und sahen einander an, bis sie auf die Haut durchnäßt seyn mußten. Ich war über diese Gefühllosigkeit nicht wenig erstaunt, bis ich fand, daß Jeder sich fürchtete, zuerst zu gehn, um nicht seiner Unbeholfenheit wegen ausgelacht zu werden. Wie sie am Ende wegkamen, [15] weiß ich selber nicht mehr: allein ich würde dem Schauspieldirektor rathen, in ähnlichen Fällen, unter Jedem eine Versenkungs-Klappe anbringen zu lassen. Dieß würde indeß die Zuschauer um manche Unterhaltung bringen, denn es kann wirklich nichts Lächerlicheres geben, als eine Wache mit ihren Speeren, oder Hofleute mit ihren langen Kleidern, auf unserem Theater über die Bühne schreiten zu sehen.

Auftritt nach Auftritt ging vorüber. Umsonst strengte ich meine Augen an, eine Mahometanische Physiognomie zu Gesicht zu bekommen. Einmal hörte ich einen großen Lärm hinter den Coulissen, und erwartete nun, einen gewaltigen Muselmann hereinschreiten zu sehen; allein ich sah mich sehr getäuscht, denn als ich genauer zuhörte, erkannte ich an dem Fluchen, daß es nur ein Christ sey. Er kam herein – es war ein amerikanischer Seeoffizier. Er trug baumwollene Strümpfe, Beinkleider von olivenfarbenem Sammet, eine scharlachene Weste, eine erbsfarbene Jacke, einen Hut mit einer goldenen Tresse darum – [16] kurz er war ganz im Charakter der Rolle gekleidet. Ich entdeckte bald, aus seinen Reden, daß er ein amerikanischer Caper-Capitain war, den, auf seiner Rückkehr aus dem mittelländischen Meere, mit einer Tripolitanischen Prise, ein Sturm an die Küste von England verschlagen hatte. Der ehrliche Mann schien, nach seinem Benehmen zu schließen, etwas betrunken zu seyn, was ich mir nicht anders erklären konnte, als dadurch, daß – als er an das Land geschwommen war, er eine große Menge Seewasser eingeschluckt haben mußte.

Mehrere folgende Auftritte zwischen dem Capitain und seinen Matrosen wurden mit großem Halloh und Hurrah von der Gallerie aufgenommen, so wie auch mehrere unterhaltende Späße des Capitains und seines Sohnes, eines sehr drolligen neckischen kleinen Menschen. Itzt kam aber das Wahre bei dem Spaße: der Capitain wollte gern in See gehen, und der junge Mann, der sich sterblich verliebt hatte, lieber am Lande bleiben. Nun entstand ein Kampf zwischen Liebe und Ehre – [17] da hätte man das Augenwischen, das Schnauben, das Schlagen auf die Taschen sehn sollen! aber der alte Mann war unerbittlich. – Wie! ein Amerikanischer Seemann sollte seine Pflichten verletzen! (dreimaliger Freudenruf von der Gallerie) Unmöglich! Die Amerikanischen Matrosen sollen leben!! Das echte Blau[6] bleibt unbefleckt u.s.w. (ein fortwährender Donner vom Paradiese herab). Dieß war ein rührender Auftritt, hier war einmal wirkliche poetische Tiefe. Der Verfasser schien eben so wenig zu wissen, was er mit dem jungen Menschen anfangen sollte, als der alte Capitain. Es ging nicht füglich an, daß ein Amerikanischer Seemann auf fremdem Boden bleiben, noch daß man ihn von seiner Geliebten trennen konnte.

Endlich kam der letzte Auftritt. Wie es schien, hatte ein zweiter Tripolitanischer Kreuzer sich der Prise genähert, während diese eine Meile von der Küste lag. Wie ein Barbaresken-Korsar nach diesem Theile der Welt [18] gekommen – ob er durch denselben Sturm hieher verschlagen worden war, oder umherkreuzte, um einige Englische Schiffe vom ersten Range wegzucapern, konnte ich nicht ergründen. Genug, er war da. Wir sahen uns nun abermals an der Seeküste, wo wir die ganze Bevölkerung des Dorfes, in ihren Steifleinen-Anzügen, versammelt fanden, um das seltene Schauspiel zweier in voller Action begriffenen und Bord an Bord liegenden Schiffe, eines Amerikaners und eines Tripolitaners zu genießen. Die Schlacht ward mit dem gehörigen Anstande und gehöriger Schicklichkeit geliefert, und der Tripolitaner ergab sich höflicherweise, da es denn doch unanständig seyn würde, wenn er in Gegenwart eines Amerikanischen Publikums den Sieg davon getragen hätte.

Nach der Schlacht kam die Mannschaft an das Ufer, ließ, in Gemeinschaft mit dem Capitain und der Gallerie, noch einige Hurrahs erschallen, und der Vorhang fiel. Wie der alte Capitain, sein Sohn und dessen Geliebte die Sache mit einander ausmachten, konnte ich nicht erfahren.

[19] Ich wußte mir den Sinn und die Nothwendigkeit der Schlacht zwischen den beiden Schiffen nicht recht zu erklären, bis ein ehrlicher alter Landmann, der neben mir stand, sagte, er vermuthe, dieß sey die Schlacht von Hexham gewesen, da er sich nicht erinnere, in dem ersten Stücke ein Gefecht gesehn zu haben. Mit dieser Erklärung war ich vollkommen zufrieden.

Meine Bemerkungen über das Publikum werde ich bei einer andern Gelegenheit mittheilen.


[20]
Dritter Brief.

In meinem letzten Schreiben erwähnte ich meines Besuchs im Theater; meine Bemerkungen beschränkten sich indeß namentlich auf das Schauspiel und die Schauspieler. Ich werde itzt die über das Publikum mittheilen, das, wie ich versichern kann, keinen unbedeutenden Theil der ganzen Unterhaltung liefert.

Da ich einige Zeit vorher, ehe der Vorhang aufgezogen wurde, in das Haus getreten war, so hatte ich Muße genug, Bemerkungen zu machen. Ganz besonders belustigte mich die Leichtfertigkeit und Laune der Gallerie, welche, beiläufig gesagt, durch die dort aufgestellten Constables in vortrefflicher Ordnung gehalten wird. Der Lärm, welcher in diesem Theile des Hauses herrscht, läßt sich ungefähr mit dem vergleichen, welcher in Noah’s Arche [21] gewesen seyn mag: denn hier hört man das Pfeifen und Schreien aller Arten von Thieren nachahmen.[7] Dieß ersetzt einigermaßen den Mangel an Musik, da die Herren von unserem Orchester sehr sparsam mit den Proben ihrer Talente sind. Der Zorn der Götter[8] schien indeß plötzlich, durch irgend eine Veranlassung, erregt zu werden, und nun begann ein Regen von Aepfeln, Nüssen und Pfefferkuchen auf die Köpfe der ehrlichen Leute im Parterre, welche dieser neuen Art von Donnerkeilen nicht zu entrinnen wußten. Ich muß gestehen, daß es mich etwas ärgerte, als ich einen verfaulten Apfel an den Kopf erhielt, und ich war eben im Begriff, meinen Stock zu erheben und den Werfenden damit [22] zu drohen, als mich ein ganz anständiger Mann hinter mir daran verhinderte, der mir sagte, daß es ganz unnütz sey, zu drohen oder sich zu beschweren. Sie belustigen sich nur etwas auf unsere Unkosten, sagte er; sitzen Sie ganz ruhig und halten Sie Ihren Rücken hin. Mein freundlicher Nachbar wurde durch einen Wurf mit einem harten grünen Apfel, der ihn zwischen die Schultern traf, unterbrochen – er machte ein sauer Gesicht; da er indessen wußte, daß dieß alles nur ein Scherz war, so ertrug er den Wurf wie ein Philosoph. Sehr bald sah ich aber auch ein, wie weise dieß gehandelt sey: ein einzelner Donnerkeil traf nämlich den Kopf eines kleinen spitzgesichtigen Franzosen, der einen weißen Rock und einen kleinen dreieckigen Hut trug, zwei oder drei Bänke von mir saß, und ein sehr reizbares kleines Geschöpf zu seyn schien. Monsieur gerieth in gewaltige Wuth, stieg auf die Bank, drohte der Gallerie mit der geballten Faust, und fluchte fürchterlich in gebrochenem Englisch. Dieß war eine willkommene [23] Gelegenheit[9] für seine lustigen Verfolger; ihre Aufmerksamkeit richtete sich itzt ganz allein auf ihn und er blieb den übrigen Theil des Abends über, ihre Zielscheibe.

Ich fand, daß die Damen in den Logen, wie gewöhnlich, gern gefallen wollten: ihre Reize waren auf das vortheilhafteste zur Schau gestellt, jede Loge bildete eine kleine Batterie, und Alle schienen es einander in der Verwüstung, die sie rund umher anrichteten, zuvorthun zu wollen. Neben einen leichtfertigen Blick aus einer Loge, kam ein Lächeln aus einer andern, ein Seufzer aus einer dritten, und ein schmachtendes Gesicht aus der vierten brachte Alles in seine Gewalt.

Ich war sehr überrascht, einige Leute die Zuschauer durch Ferngläser betrachten zu sehn, und wußte nicht recht, ob diese Maschine einem Fehler des Gesichts abhelfen sollte, oder ob dieß eine abermalige Ausschweifung der [24] Mode sey. Jack Stylish hat mir indessen seitdem gesagt, daß Gläser vor Kurzem noch allgemein getragen worden wären; „aber, sagt Jack, das ist itzt ganz vorüber: wir pflegten sonst unsere Gläser sehr zu gebrauchen, seitdem aber so manche zähe Gesellen[10] dieß ebenfalls angenommen haben, haben die Leute von Ton den Gebrauch ganz gelassen.“

Ganz besonderes Vergnügen machten mir die Fragen des Landmannes, dessen ich in meinem letzten Schreiben erwähnt habe und der zum ersten Male im Theater war. Er erkundigte sich beständig bei mir, was dieß oder jenes bedeuten sollte, und ich erklärte es ihm sehr gern, so weit meine eigene Unwissenheit mir dieß möglich machte. – Während dieser ehrliche Mann seine Augen so im Hause rund umherwarf, ward seine Aufmerksamkeit auf einmal durch etwas angezogen. „Und wer sind Diese?“ sagte er, indem er auf einen Haufen junger Leute wies: „Dieß sind, glaub’ ich beinahe, die Kritiker, von denen ich so viel gehört [25] habe. Wahrscheinlich haben sie sich so zusammengestellt, um einander ihre Bemerkungen mitzutheilen und zu vergleichen; dieß sind die Leute, welche das Urtheil des Publikums aussprechen und von welchen dieses es erfährt, wann Beifall klatschen, oder zischen soll.“ – Kritiker! he he, mein guter Herr, sie bekümmern sich so wenig um die Grundlagen der Kritik, als um andere Zweige der Künste und schönen Wissenschaften. Es sind die Stutzer der itzigen Zeit, die hier zusammenkommen, um eine müßige Stunde zu verkürzen und ihren kleinen Unverschämtheiten, zur Unterhaltung des Publikums, freien Lauf zu lassen. Sie bekümmern sich eben so wenig um die Verdienste des Stückes oder der Schauspieler, als um meinen Rock. Sie geben sich sogar alle Mühe, höchst unaufmerksam zu scheinen; ich habe einen von ihnen, an die Vorderwand der Loge, mit dem Rücken gegen das Theater, gelehnt, den Knopf seines Stockes am Munde, auf das Publikum hinstarren sehn, ohne sich um die schönsten Augenblicke der scenischen Darstellung zu [26] kümmern, während die Augen Aller um ihn her von Thränen der Empfindung glänzten. Ich habe sagen gehört, daß Einige so sehr um Unterhaltung verlegen gewesen sind, daß sie vorgeschlagen haben, während der Darstellung im Theater Karten zu spielen. – Meines zweiten Nachbars Augen sprühten Feuer bei diesen Worten; sein Stock zitterte in seiner Hand, und das Wort Windbeutel entschlüpfte seiner Lippe. – Nun, fuhr ich fort, ich will dieß nicht für eine unbedingte Thatsache ausgeben, mein Vetter Jack hat mich wol nur zum Besten haben wollen, daß er mir dieß sagte. – Aber Sie scheinen ja ganz aufgebracht zu seyn, sagte ich zu dem anständig aussehenden Mann hinter mir. Von ihm kam nämlich jener Ausruf, während der ehrliche Landmann in stiller Verwunderung eine neue Erscheinung anstarrte. Glauben Sie mir, sagte ich, wenn Sie sie tagtäglich vor den Augen hätten, Sie würden sich an sie gewöhnen. „An sie gewöhnen,“ erwiederte er: „wie ist es möglich, daß vernünftige Leute an einem solchen Betragen Gefallen [27] finden können?“ – Mein lieber Freund, vernünftige Leute machen sich damit nichts zu schaffen, sie dulden es nur stillschweigend; diese jungen Leute leben einmal in einer nachsichtigen Zeit. Als ich ein junger Mann war, verachtete man dergleichen Streiche und Thorheiten. – Hier ging ich nun etwas zu weit, denn, wenn ich die Sache genau überlege, so muß ich eingestehn, daß die Zeit eigentlich wenige Veränderung in diesem Zweige der Thorheit und Unverschämtheit hervorgebracht hat. „Aber bewundern denn die Damen diese Sitten?“ – Nun, ich bin itzt in Damenkreisen nicht mehr so bekannt, als sonst; allein ich würde es eben nicht für sehr schmeichelhaft für meine schönen Landsmänninen finden, wenn ich glauben müßte, daß sie an dem leeren Hinstarren und den Modephrasen dieser Anbeter der Mode Gefallen finden könnten, wodurch diese neben ihrer wahren Unwissenheit, auch noch eine angenommene an den Tag legen wollen.

Hier wurde unsere Unterhaltung durch den Ton einer Glocke unterbrochen. „Itzt geht wohl [28] das Stück an,“ sagte mein Gefährte. Nein, sagte ich, das gilt nur den Musikern. Diese würdigen Herrn kamen nun aus ihren Löchern hervorgekrochen und begannen mit sehr feierlicher und wichtiger Miene ihre Instrumente, zur großen Unterhaltung des Publikums zu stimmen und zu versuchen. „Was für eine Arie ist das?“ fragte mein Nachbar, indem er sich die Ohren zuhielt. Das ist gar keine Arie, sagte ich, es ist nur eine angenehme Symphonie, die uns, als Vorbereitung aufgetischt wird. Ich, meines Theils, dächte, so sehr ich auch allen Contrast liebe, sie könnten das eben so gut in ihrer Höhle da unter dem Theater spielen. Itzt ertönte die Glocke zum zweiten Male, und nun begann die Musik wirklich: allein ich konnte nicht umhin, die Bemerkung zu machen, daß dem Landmann die sonderbaren Gesichter und Verdrehungen der Musiker selbst, mehr Vergnügen verursachten, als ihre Melodien. Was ich von der Musik hörte, gefiel mir ganz gut (obgleich einer meiner Nachbarn mir sagte, daß dieselben Stücke seit drei Jahren jeden Abend gespielt [29] worden wären[11] allein sie wurde oft von der Gallerie überstimmt, die sehr laut „Molly im Stroh“ und „Lustig sind die Schleifersleute“ und mehrere andere Lieder verlangte, die ihrem Geschmack angemessener waren.

Jede Abtheilung des Hauses hat, wie ich bemerkte, ihr verschiedenes Geschäft. So haben die guten Leute auf der Gallerie die Mühe, die Musik anzuordnen (ohne daß jedoch ihre Anordnungen mehr befolgt würden, als sie verdienen). Die Art und Weise, auf welche sie ihre Befehle ertheilen, ist die, daß sie mit den Füßen stampfen, zischen, brüllen und pfeifen, und, wenn die Musiker sich nicht daran kehren, nach dem Takt brummen. So haben sie auch das Vorrecht, eine Verbeugung von dem Johann zu fordern (ein Name, den sie jedem Schauspieler geben, der eine Bedientenrolle spielt, und hereintritt, einen Tisch wegzutragen, oder das Licht zu putzen) und auf die Schelme Acht zu geben, welche hinter dem Vorhang hervorkucken.

[30] Dieser Vorhang selbst machte übrigens meinem ehrlichen Freunde sehr viel zu schaffen. Er wollte nämlich durchaus wissen, warum der Teppich im Theater aufgehangen wäre? Ich versicherte ihn, das sey kein Teppich, sondern ein sehr schöner Vorhang. „Und was mag denn der goldene Kopf, mit abgeschlagener Nase, zu thun haben, den ich darüber sehe?[12]“ – Was der zu sagen hat, ja, das kann ich wirklich nicht sagen – obgleich mein Vetter Jack Stylish behauptet, er habe sehr viel zu bedeuten. Aber die Zeichnung[13] des Vorhangs gefällt Ihnen doch? „Die Zeichnung – ja ich kann weiter nichts dabei sehn, als daß das Ganze durch das Gewicht der goldenen Köpfe und durch den schweren Karnies, womit es verziert ist, herunter und uns auf die Köpfe kommen solle.“ Itzt fing ich an, für den Ruf unseres Vorhanges zu fürchten, [31] und war schon besorgt, er möchte den Mißgriff des Malers entdecken, der eine Harfe in die Mitte desselben gemalt und diese für einen Spiegel angesehen wissen wollte; glücklicherweise ward eber hier seine Aufmerksamkeit durch das Talg abgelenkt, das von dem Kronleuchter über dem Parterre auf seine Kleider herab tropfte. Darüber beklagte er sich laut, und versicherte, sein Rock sey funkelnagelneu. Ja, mein lieber Freund, sagte ich, das ist nicht anders: wir müssen schon, des Vergnügens willen, mit einigen kleinen Unbequemlichkeiten vorlieb nehmen. „Ganz wahr“ sagte er: „aber ich denke, ich habe die Sache doch ziemlich theuer bezahlt: erst habe ich sechs Schillinge am Eingange geben müssen, dann hat man mir faule Aepfel an den Kopf geworfen, dann habe ich mir den Rock mit Talg verdorben, und zuletzt werde ich mir noch die Kleider schmutzig machen, wenn ich mich setze, denn ich sehe, jedermann steigt auf die Bänke. Und doch denke ich, könnten sie Alle recht gut sehn, wenn sie ruhig auf dem Boden blieben.“

Itzt konnte ich unsere Gebräuche nicht [32] länger in Schutz nehmen, denn ich selbst konnte kaum Athem holen, während mich so ein Haufe baumstarker Kerle umgab, die mit ihren schmutzigen Stiefeln auf den Bänken standen. Der Einzige, der dabei gewann, war der kleine Franzos, der dadurch einen einstweiligen Schutz gegen die fliegenden Begrüßungen seiner Freunde von der Gallerie fand. Endlich ertönte die Glocke abermals, und das Geschrei: Niedergesetzt, Niedergesetzt! Hüte herunter! – war das Zeichen zum Anfange des Stücks.


[33]
Vierter Brief.

Ich werde, mit dem Folgenden, meine Bemerkungen über das Theater schließen, von denen ich fürchte, daß man sie ungebührlich lang gedehnt finden wird, wofür ich indeß keine andere Entschuldigung anführen kann, als, daß es das Vorrecht alter Leute ist, langweilig zu seyn. Und so will ich denn fortfahren.

Ich hatte einen Sitz im Parterre genommen, da man hier weniger von lautem Reden gestört wird, einer Sitte, die sich in neueren Zeiten in unsere Theater eingeschlichen hat und namentlich in den Logen herrscht. In alten Zeiten gingen die Leute in das Theater, um das Stück und die Darstellung zu sehen; ich finde aber, daß es itzt die Stelle eines Kaffeehauses oder Erholungsortes zu vertreten anfängt, wo man eine laute Unterhaltung [34] führen kann, ohne sich darum zu bekümmern, wie lästig dieß den aufmerksamen Nachbarn wird. Da diese Unterhaltung gewöhnlich ganz unbedeutende Gegenstände betrifft, so entschädigt sie selten die Letztern dafür, daß sie nur die Hälfte des Stücks hören. – Ich fand indessen, daß ich mich in meiner Lage nicht besonders verbessert und daß jeder Theil des Hauses sein eigenes Uebel hatte. Außer denen, die ich bereits erduldet, sollte ich noch eine neue Qual empfinden. Ich war nämlich in die Nähe eines sehr höflichen Mannes gerathen, der das Stück schon gesehen hatte, nun jeden Auftritt vorher erzählte, und Denen, welche um ihn her saßen, verkündigte, was itzt kommen würde, wahrscheinlich um alle unangenehme Ueberraschungen zu vermeiden, denen sie sonst hätten ausgesetzt seyn können. Wäre irgend eine Art von Plan im Stücke gewesen, so möchte dieß eine bedeutende Unannehmlichkeit gewesen seyn; da aber das Stück von dergleichen vollkommen frei war, so lag eben nicht so viel daran. Da ich gewöhnlich aus Allem, was sich zuträgt, [35] Unterhaltung zu schöpfen weiß, so belustigte ich mich itzt mit Bemerkungen über die wichtige Miene, mit der mein Nachbar seine Belehrung vortrug, so wie über die verzweiflungsvollen und ungeduldigen Blicke seiner gezwungenen Zuhörer. So bemerkte ich auch, daß er mehrere Male ganz falsche Sachen mittheilte. „Itzt werden Sie,“ sagte er: „die Königin in ihrem ganzen Glanze, von ihren Hofleuten umgeben, sehen, und wie diese so schön, wie die Geiger, und zu beiden Seiten des Theaters, wie Reihen zinnerner Teller in der Küche, dastehen.“ Dagegen aber erschien der stattliche Herr und sein zerlumpter Haufe von Banditen. Ein anderes Mal versprach er uns einen unterhaltenden Spaß des Narren, wogegen wir eine sehr schöne Rede von dem grinzenden Rathgeber der Königin hörten.

Mein Nachbar vom Lande war über die Darstellung ganz entzückt, ob er gleich von allem dem, was da vorging, nicht die Hälfte verstand. Er saß mit offenem Munde da, und starrte den stattlichen Mann an, wie dieser über das Theater schritt und in einer furchtbaren [36] Wuth sein Schwert gegen den weißen Löwen zog.[14] Wahrhaftig, das ist ein braver Kerl, sagte er, als der Aufzug vorüber war, das nennen Sie doch gewiß gut agieren!

Ja, sagte ich, die heutigen Kritiker bewundern das allerdings, ich muß aber sagen, daß ich das eben nicht besonders leiden mag. Sie hätten einen Schauspieler aus der alten Schule eine solche Rolle spielen sehen sollen, der würde sie doch noch einigermaßen mit Nachdruck gegeben haben, den hätte man doch toben und brüllen, und stampfen und wüthen sehen. Dieser ehrliche Mann giebt uns allerdings dann und wann so einen Moment im guten, alten Stile; im Uebrigen aber scheint er lieber auf ebener Erde dahin gehen, als auf den Stelzen einherschreiten zu wollen, welche bei den tragischen Helden zu meiner Zeit im Gebrauch waren.

Dieß ist ungefähr das Hauptsächlichste, was zwischen mir und meinem Nachbar während [37] des Stückes und des Nachspieles vorging, außer daß er noch die Bemerkung machte, daß es nicht übel seyn würde, wenn der Direktor zuweilen seine Edelleute und Leute vom Stande ein wenig exerciren ließe, damit sie mehr Anstand und Lebendigkeit in ihre Bewegungen brächten. – Dieß erinnerte mich an eine ähnliche Aeußerung meines Vetters Jack, wenn gleich dieser in seinem Verbesserungs-Eifer etwas zu weit ging. Er erklärte nämlich: „er wünsche, daß einer von den Kritikern des Tages, einmal die sämmtlichen Lumpenkerle vom Theater zusammennähme (wie Katzen in einen Sack) und das ganze Bündel etwas zurecht rücken möchte.“ Mir gefällt Jack’s Gedanke ganz gut, aber er ist denn doch etwas zu derb.

So hätte er noch eine andere Unschicklichkeit rügen können, die unter unsern Schauspielern eingerissen ist (obgleich ich nicht weiß, ob sie diesen Abend bemerkbar wurde) sich nämlich, zu demselben Stücke, in die Mode verschiedener Zeitalter und Länder zu kleiden, so daß, während ein Schauspieler in dem [38] Panzer und Helm Alexanders umherschreitet, ein anderer, der einen Rock mit goldenen Tressen und eine Beutelperücke trägt und einen chapeau de bras unter dem Arm hat, Taback nimmt, wie man es vor einem oder zwei Jahrhunderten gethan hat, und ein dritter vielleicht in Suwarow-Stiefeln einherschreitet.

„Aber sagen Sie mir (fragte mich der Landmann, als das Nachspiel vorüber war) was ist aus dem edlen Marquis von Montague und dem Grafen von Warwick geworden?[15] Ihre Namen nehmen sich auf dem Komödienzettel sehr stattlich aus, und doch entsinne ich mich nicht, sie im Laufe des Abends gesehen zu haben.“ – Sehr wahr – ich hätte diese ehrenwerthen Leute beinahe vergessen, aber ich vermuthe, sie waren hinter den Coulissen, und haben dort mit unsern übrigen unbekannten Freunden, den, Tripolitanern, eine Pfeife Taback geraucht. Wir müssen heutiges Tages nicht so eigen seyn, mein Freund. [39] Wenn wir die Schlacht von Hexham ohne Gefecht, und ein Tripolitanisches Nachspiel ohne einen Mahomedanischen Schnautzbart vorstellen sehen können, so müssen wir uns nicht wundern, wenn wir noch einen oder zwei unsichtbare Marquis mit in den Kauf bekommen. – Aber was halten Sie von dem Hause? sagte ich: meinen Sie nicht, daß es ein sehr tüchtiges, von innen und außen solide aussehendes Gebäude ist? Sehen Sie einmal, welch eine schöne Wirkung die dunkle Farbe der Mauer gegen die weißen Gesichter der Zuschauer hervorbringt, die wie Sterne in einer finstern Nacht glänzen. Und dann, was kann es Artigeres geben, als die Malerei vorn an den Logen, die kleinen Messieurs und Mesdemoiselles welche an den Fingern kauen, und den Zuschauern Gesichter schneiden?

„Sehr schön, auf mein Wort. Und wozu ist der Kronleuchter, wie Sie ihn nennen, der da oben in den Wolken hängt, und seinen Segen auf meinen Rock herabgeschüttet hat?“

[40] O, der dient dazu, den Himmel[16] zu erleuchten und die kleinen peruckentragenden Cupidos, welche da übereinanderfallen und womit der Maler die Kuppel verziert hat, in ein gutes Licht zu setzen. Sie sehen, wir haben den Kronleuchter hier unten nicht nöthig, da das Haus sehr gut erleuchtet ist, aber ich meine, man hätte viel Lichte sparen können, wenn der Schauspieldirektor den Maler, neben seinen andern schönen Sachen, auch dort einen Mond hätte malen, oder wenn er die Sonne hätte aufhängen lassen, deren starkes Licht unsere Augen zu Anfange des Nachspiels so sehr blendete.

„Aber, meinen Sie nicht, daß doch eine gewisse – Art von Schwere in dem Gebäude liegt? Meinen Sie nicht, daß es so eine Art von unterirdischem Ansehen hat?“

Darauf konnte ich nichts antworten. Ich muß gestehen, es ist mir oft so vorgekommen, [41] als ob das Haus ein gefängnißartiges Aeußere habe, und ich schlug dem Manne daher vor, hinauszugehn, da man schon die Lichte auslöschte und wir bald im Dunkeln bleiben würden. Wir tappten also durch den traurigen unterirdischen Gang, der vom Parterre ausführt, hin, gingen auch den armseligen, kerkerartigen Vorsaal hindurch und traten wiederum in die reinere Luft des Parks, worauf ich meinem ehrlichen Landmann eine gute Nacht wünschte und mit der Unterhaltung des Abends sehr zufrieden, nach Hause ging.

So habe ich denn eine Nachricht von den Hauptvorfällen gegeben, welche sich bei meinem Besuche im Theater zutrugen. Ich habe einige wenige von den Bequemlichkeiten und Unvollkommenheiten desselben an das Licht gestellt; die, welche es öfter besuchen, können vielleicht eine bessere Auskunft geben.

Ich will mit einigen wenigen guten Rathschlägen zum Besten eines jeden einzelnen Zweiges desselben schließen. Ich würde nämlich folgendes wünschen. Den Schauspielern weniger Förmlichkeit, weniger Bombast, weniger [42] Steifleinen; dem Orchester: neue Musik und mehr; dem Parterre: Geduld, reine Bänke und Regenschirme; den Logen: weniger Ziererei, weniger Lärm, weniger Windbeutel; der Gallerie: weniger Grog und bessere Constables, und dem ganzen Hause, von Außen und Innen, eine völlige Umwandlung.


[43]
Fünfter Brief.

Als ich eines Morgens ruhig bei meinem Kamine saß, mein zerstoßenes Schienbein pflegte und meinem Vetter Jack Stylish ein Paar Kapitel aus Chesterfield’s Briefen vorlas, empfing ich ein Schreiben von meinem Freunde Andreas Quoz: der, da er gehört hatte, daß ich davon spräche, den Schauspielern einen Besuch abzustatten und ihnen meinen Stock ein Paarmal um die Köpfe sausen zu lassen, mir folgendes schrieb, wo von ein Theil eine angelegentliche Vertheidigung derselben enthält.

An Jonathan Oldstyle.

Mein theurer Freund.

Ich sehe aus den neuesten Zeitungen, daß Sie die Stadt mit Bemerkungen über das Theater unterhalten haben. Da Sie indessen [44] nach Ihren Schriften zu urtheilen in die thespischen Geheimnisse nicht sehr tief eingedrungen zu seyn scheinen, so werden Sie mir erlauben, Ihnen einige wenige Winke zu Ihrer Belehrung zu geben.

Sie machen die Bemerkung, daß das Theater zu einem Kaffeehause zu werden scheine. – Darin haben Sie Recht, es ist ein Versammlungsort für die feinere Welt, wohin die Müßiggänger und Neugierigen gehen, um die Mode-Neuigkeiten zu hören, ihre Bekannte zu finden, und sich sehen zu lassen. Was die gewöhnlichen Leute betrifft, die des Schauspiels selbst willen in das Theater gehn, so müssen sie es mit Geduld ertragen, wenn ihre Aufmerksamkeit durch die Unterhaltung ihrer Nachbarn unterbrochen wird: dieß ist nun einmal eine Sitte, welche die Mode geheiligt hat. Man darf Leute, die in das Theater kommen, um mit ihren Freunden zu schwatzen, nicht in ihrem Vergnügen stören: sie haben ihren Thaler bezahlt, und nun das Recht, sich so gut zu unterhalten, als sie können. Was die betrifft, denen ihr Sprechen lästig wird, [45] so brauchen sie ja nur nicht darauf zu hören: sie mögen sich um ihre Sachen bekümmern.

Sie wundern sich darüber, so viele Leute Ferngläser brauchen zu sehen, und möchten gern wissen, ob diese Alle kurzsichtig wären. Ihr Vetter Jack Stylish hat Ihnen die Sache doch nicht recht erklärt, denn wenn Manche auch Gläser brauchen, weil es einmal Mode ist, so höre ich doch, daß Manche es deswegen thun, um die Gesichtszüge ihrer Freunde in unserem spärlich beleuchteten Theater zu erkennen. Seht viel Vergnügen machte es mir vor einigen Abenden, einen ehrlichen Matrosen zu sehen, der sich vorn an die Gallerie hingestellt hatte, und mit allem Ansehen eines Modenmannes das Haus, durch ein Taschen-Fernrohr recognoscirte. Ich konnte nicht umhin, ihm in Stillen Beifall zu geben, denn die Götter sitzen allerdings so hoch in den Wolken, daß, wenn sie nicht ein ungewöhnlich scharfes Gesicht haben, ich nicht füglich begreifen kann, wie sie mit bloßem Auge das erkennen können, was in der kleinen gemalten Welt unter ihnen vorgeht.

[46] So beschweren Sie sich auch, wenn ich nicht irre, über die Musik, und sagen, daß Sie eine größere Mannigfaltigkeit und mehr verlangen. Sie müssen indessen wissen, daß, wenn gleich dieß in alten Zeiten, wo die Leute noch auf die Musik hörten, ein großer Gegenstand der Beschwerde gewesen seyn würde, dieß doch gegenwärtig eine Sache von keiner Bedeutung ist, denn unser Orchester wird nur der Form wegen beibehalten. Zwischen den Aufzügen ist so ein fortwährender Lärm und Getöse, daß man nicht eine Note hören kann,[17] und wenn die Musiker auch ein neues Stück voll der schönsten Melodien spielen würden, so sind die Ohren der Zuhörer doch bereits so gut gestimmt, daß ich glaube, daß unter zehn Zuhörern neune, bei dem Herausgehen aus dem Hause sich darüber beklagen würden, daß man sie wieder mit denselben alten Stücken geplagt habe, die sie vor zwei oder drei Jahren gehört. Viele die in das Theater gehen, [47] bringen auch ihre eigene Musik mit, und wir werden so oft mit Kindergeschrei, aus Freude, und solchem Husten und Niesen aus verschiedenen Theilen des Hauses, mit der Ergötzlichkeit einer angenehmen Symphonie von einem oder zwei Schornsteinfegern auf der Gallerie, und gelegentlich mit einem Ensemble-Stück, worin sich alle Nasen-, Kehl-, Pfeif- und Stampf-Laute auf eine bewunderungswürdige Weise vereinigen, unterhalten, daß wir gar keines Orchesters bedürfen.

Bei Ihren Bemerkungen über die Schauspieler muß ich Sie, mein theurer Freund, doch bitten, etwas behutsam zu seyn. Ich möchte, um aller Welt willen, nicht, daß Sie so sehr ausarteten, ein Kritiker zu werden. Die Kritiker, mein theurer Jonathan, sind die wahre Pest der menschlichen Gesellschaft; sie bringen den Schauspieler um seinen Ruf – das Publikum um sein Vergnügen, sie öffnen ihren Lesern die Augen, daß sie die Fehler unserer Schauspieler ganz klar sehen, sie bringen unser Gefühl zu dem Zustand[WS 1] einer unglücklichen Verfeinerung und [48] vernichten alle Genüsse, woran unsere gröberen Sinne sonst Vergnügen fanden. Ich kann mich der Zeit noch erinnern, wo ich vor Lachen über die elende Possenreisserei, die närrischen Streiche und die unnatürlichen Gesichts-Verzerrungen unserer theatralischen Hanswurste, kaum auf meinem Sitze bleiben konnte, wo mich das Gebrüll und Toben eines auf dem Kothurn daherschreitenden Helden mit einer bangen Bewunderung erfüllten und ich mit Entzücken an jedem seiner Worte hing „während er die Leidenschaften in Stücke – ja in einzelne Fetzen zerriß!“[18] – Ich erinnere mich der Zeit, wo der, welcher den Mund am Besten verzerren, die Augen im Kopfe umherrollen, und seinen Körper auf die scheußlichste Art verdrehen konnte, am sichersten auf Beifall rechnen durfte. Doch ach! wie haben die Zeiten, oder vielmehr wie hat der Geschmack sich geändert! Ich kann itzt mit dem ernsthaftesten Gesichte dasitzen und ohne zu lächeln allem [49] diesem Geberdenspiel zusehen: das Springen, Schielen, die Zuckungen und das Schnauben der Schauspieler ergötzen mich nicht mehr, und was ihr Toben und Brüllen betrifft

Den ehr’nen Leuchter hör’ ich lieber drehn
Das trockne Rad auf seiner Axe knarren,

als solche bombastische Anstrengungen, um den Beifall der Gallerie zu erlangen.

Ob ich nun gleich gern eingestehen will, daß diese Kritiker dazu beigetragen haben mögen, sowol das Spiel der Schauspieler, als auch den Geschmack des Publikums zu verbessern, so daß jene Albernheiten fast gänzlich von dem New-Yorker Theater verbannt sind, so bin ich doch der Meinung, daß Sie sich eine ganz unverantwortliche Freiheit herausgenommen haben. Ein Kritiker hat, mein theurer Herr, nicht mehr Recht, die Fehler eines Schauspielers an das Licht zu bringen, als die Gaukeleien eines Taschenspielers oder die Betrügereien eines Quacksalbers. Alle Handwerker müssen leben, und so lange das Publikum die Kunststücke des Gauklers gern [50] sieht, die Arzneien des Quacksalbers hinunterschluckt, oder dem Bombast des Schauspielers Beifall giebt, thut jeder, der das Erstere zu enttäuschen sucht, nur dem Vergnügen desselben Abbruch und nimmt den Letzteren ihr Brot.

Und wie? wenn ein Schauspieler Augen hat, warum soll er damit nicht blinzeln? wenn er Zähne hat, damit nicht grinsen? wenn er Füße hat, damit nicht stampfen? wenn er eine Lunge hat, damit nicht brüllen? wenn er eine Brust hat, daran nicht schlagen? Haar’ und es nicht raufen dürfen? Wird er nicht mit Beifall von den Göttern genährt, durch Stampfen von den Irdischen ergötzt, durch Zischen aus den Logen beunruhigt?

Wenn Sie seine Thorheiten rügen, wird er sich nicht beklagen? Wenn Sie ihm sein Brot nehmen, wird er nicht hungern müssen? Wenn Sie ihn dem Hunger Preis geben, wird er nicht sterben? Wenn Sie ihn umbringen, wird nicht sein Weib und seine sieben kleinen Kinder, von denen sie sechs neben sich und eines an der Brust hat, aufstehn und Rache gegen Sie schreien? Bedenken [51] Sie das reiflich, Freund Oldstyle, und Sie werden mir zugeben müssen, daß, so wie der Schauspieler das verdienstvollste und fehlerloseste Wesen, der Kritiker das grausamste und blutgierigste in der Welt ist, wie ich Ihnen das in meinem nächsten Schreiben noch weiter beweisen will. Ihr Sie liebender Freund

Andreas Quoz.“ 

Nach der ganzen Richtung und dem Schlusse dieser Bemerkungen meines Freundes, des Herrn Andreas Quoz, kann man sie füglich eine Vertheidigung „der Rechte des Schauspielers“ nennen; seine Gründe sind allerdings sehr triftig, da sie mir aber ganz neu sind, so werde ich mich nicht übereilen, einen Entschluß zu fassen. Unterdessen glaube ich, da mein Bein viel besser geworden ist, daß ich Montag Abend nach dem Theater hinken, mir einen Sitz in einer Seitenloge nehmen, und nun beobachten werde, wie die Schauspieler es machen.


[52]
Sechster Brief.

Ich erwähnte in meinem Letzten meines Entschlusses, das Theater am Montag Abend zu besuchen. Ich begab mich demnach dahin, mit Hülfe Jack Stylish’s, der mir in einer Loge einen unbequemen und schmutzigen Platz verschaffe, den ich indessen nicht schlechter, als die aller meiner Nachbarn fand. In das Parterre wollte ich nie wieder gehen; der kleine Franzos, dessen ich in meinen vorigen Bemerkungen erwähnt habe, hatte denselben Entschluß gefaßt, denn, als ich meine Augen im Theater umherwarf, entdeckte ich seine scharfen Züge und seinen geknifften dreieckigen Hut, wie sie über den Rand des Shakespeare[19] [53] hinüberblickten. Der arme kleine Kerl fand sich indessen nicht sehr verbessert: ein gewaltiger Irländer lag nämlich, mit beiden Armen in den Seiten, auf seinen Schultern, und übersah ganz kaltblütig das Publikum, ohne sich im Geringsten an das Krümmen und die Einwendungen des erboßten kleinen Galliers zu kehren, dessen Kinn auf der Brüstung der Loge lag und, dessen kleine schwarze Augen vor Wuth und Pressung blitzten. Wie er sich losgemacht haben mag, weiß ich nicht, denn meine Aufmerksamkeit ward in diesem Augenblick gerade von einem andern Gegenstande angezogen, und als ich mich, einige Zeit nachher, umdrehte, war Monsieur verschwunden.

Ich fand, daß Alles gerade noch so aussah, als sonst. Eben die Stille, die Ordnung und Regelmäßigkeit herrschte, wie ich sie bei meinem frühern Besuche beobachtet. Der Kronleuchter hing noch ruhig am Himmel, beleuchtete die Malerei des ungenannten Meisters, womit er verziert ist, und warf einen trüben Strahl auf die Höhle, worin (nach den Lauten, die dort herauskommen, zu schließen) [54] so viele unruhige Geister eingeschlossen sind.[20]

Ich war durch Reihen von Tischen, auf denen Leckerbissen aller Art aufgehäuft lagen, nach dem Theater gegangen; hier zog eine Pyramide von Aepfeln oder Apfelsinen den Gaumen der Leckermäuler an, während dort ein Regiment von Fleischpasteten und Eierkäsen ein derberes Mahl für die Hungrigen darbot. Ich trat in die Loge und blickte mit Erstaunen um mich: nicht ein einziges Paar Kinnladen, das sich nicht bewegt hätte. Das Knacken der Nüsse und das Knirschen der Aepfel begrüßte meine Ohren von allen Seiten. Wahrhaftig, dachte ich bei mir selbst, nichts wird doch eifriger betrieben, als die Leckerei: an jedem öffentlichen Vergnügungsorte fröhnt man ihr, ja sie schleicht sich sogar in unsere Kirchen ein, wo Mancher insgeheim seinen Mundvoll verspeiset, und wenige Leute sich ein größeres Bedenken daraus machen, insgeheim zu essen, als ins Fäustchen zu lachen.

[55] Die Eßsucht herrscht in allen Klassen der bürgerlichen Gesellschaft, und es ist niemand, der nicht davon angesteckt wäre. Eßgesellschaften giebt es in jeder Straße und Gasse, und man kann sich nicht um eine Ecke drehen, ohne das Zischen der Bratpfannen zu hören, die gewürzigen Dämpfe gekochter und gebratener Speisen aufsteigen oder irgend ein hungriges Genie mitten auf der Straße rohe Austern aufschlagen zu sehen. Nächstens werden wir wohl unsere Gabeln und Messer, wie die Chinesen ihre Eßstäbe, in der Tasche tragen!

Hier wurde ich in meinen Betrachtungen durch Jack Stylish unterbrochen, der mir den Vorschlag machte, einen Blick in den Foyer zu thun, dessen stattliches Ansehn mir Jack in hochtönenden Ausdrücken beschrieb; und ich nahm seinen Vorschlag gern an. Das Zimmer entsprach meinen Erwartungen ganz, und stimmte mit dem übrigen Aeußern des Theaters überein: die Mauern waren höchst glänzend, die Fenster mit rothem Boy bemalter Leinwand sehr abenteuerlich verziert, [56] und die prächtigen hölzernen Bänke, welche an den Wänden umherstanden, hatten ein sehr einladendes Ansehn. Ich zog das Ende einer derselben nahe an einen zierlichen Ofen, welcher in der Mitte des Zimmers stand, setzte mich darauf, streckte mein lahmes Bein auf einen Stuhl, legte meine Hände auf meinen Stockknopf, stützte mein Kinn darauf, und begann nun, die Gesellschaft genauer zu betrachten und den köstlichen Weihrauch von Franzbranntwein, holländischem Wachholder und spanischen Cigarren einzuathmen.

Ich sah mich bald in einem Kreise junger Herren, welche, nach ihrem Zuwinken und Zunicken, etwas im Schilde zu führen schienen; zu gleicher Zeit hörte ich ein dumpfes Geflüster um mich her und konnte nur die Worte unterscheiden – seine Perucke zerzausen – seine silbernen Schnallen herunterreißen – alter Spötter – Rohr – dreieckiger Hut – sonderbare Physiognomie und mehrere andere Ausdrücke, woraus ich bald sah, daß ich in übele Hände gerathen war. Jack [57] Stylish schien darüber eben so unruhig zu werden, als ich; denn obgleich er selbst sehr gern einen Spaß hat, so glaube ich doch, daß der junge Mensch zu viel Liebe zu seinem alten Verwandten hegt, als daß er ihn zum Gegenstande seines Scherzes machen sollte. Um mich von hier wegzubringen, sagte er mir, mein Freund Quoz sey am andern Ende des Saales und wünsche, seinen Blicken nach, mit mir zu reden; wir gingen also zu ihm und begaben uns, da wir fanden, daß der Vorhang so eben aufgezogen werden solle, zusammen wieder in die Loge.

Auf dem Wege zog ich auf die unanständige Art der jungen Leute heutiger Zeit los, auf die unverschämten Bemerkungen über Andere, die sie beständig machen, und auf die besondern Redensarten,[21] womit sie ihre seichte Unterhaltung beständig durchweben. Jack bemerkte, [58] daß ich gerade unter einen Schwarm schlimmer Jungen gerathen wäre; und doch, Herr Stylish, sagte ich, indem ich mich plötzlich zu ihm wandte, bemerkte ich an eueren Winken und euerem Lächeln, daß Ihr mit diesen Leuten genauer bekannt zu seyn scheint, als mir lieb ist. Ich will Euch nur sagen, mein lieber Freund, daß, wenn ich Euch wieder auf so verächtlichen Albernheiten betreffe und in der Gesellschaft dieser unverschämten jungen Herren sehe, ich Euch gänzlich aus meinem Herzen verbannen werde. Mittlerweile waren wir vor unserer Loge angekommen, und der Vetter Jack mochte nun verdauen, was ich ihm so eben gesagt hatte. Ich hoffe, es wird einigen Eindruck auf ihn gemacht haben, obgleich die unbesonnene Munterkeit, die ihm eigen ist, und das Bewußtseyn der Anhänglichkeit, die in meinem thörigen alten Herzen einmal für ihn lebt, mich nicht glauben lassen, daß jener Eindruck sehr tief seyn werde,

Das Stück war bereits angegangen. Ganz besonders gefiel mir das Aeußere und das Benehmen einer der Schauspielerinnen. [59] Welche Ungezwungenheit, welche Annehmlichkeit, welche Zierlichkeit des Anstandes – das ist nicht Spiel, Vetter Jack, sagte ich – das ist Wirklichkeit.

Nach dem Stücke kam diese Dame heraus und hielt eine komische Nachrede. Es that mir sehr leid zu sehen, daß sie die Grenzlinie des Angenehmen innerhalb welcher sie zu glänzen bestimmt ist, so weit überschritt: und ich sah an dem Ausdruck, der auf den Gesichtern meiner Nachbarn sich zeigte, daß dieß die allgemeine Meinung war. Ach! sagte ich, wie sehr vergißt sie, was sie ihrer eigenen Würde schuldig ist! Dieß liebliche Gesicht ist nicht dazu gemacht, sich so unwürdig zu verzerren, noch diese angenehme Gestalt und Haltung dazu, die unbehülflichen Bewegungen des lahmen Alters nachzuahmen.[22] Nimm diesen Rath, schöne Dame, von einem alten Manne und deinem Freunde an; erniedrige Dich nie, [60] wenn Du den Ruf der Zierlichkeit, der Dir mit Recht gebührt, behaupten willst – dadurch, daß Du Dich zu einer Vermummung hergiebst.

Itzt erhob sich der Vorhang, und das Nachspiel begann. Ein lustiger Harlekin sprang hervor. Ah! sagte ich, da ist der Hanswurst. Ich sehe, er hat seinen Besenstiel und seinen Rost zu Hause gelassen, aber ich hoffe, er wird diesen Mangel durch seinen Witz und seine Laune zu ersetzen suchen. Aber wo ist sein Herr, der Marktschreier? Er wird gleich erscheinen, sagte Jack Stylish; es ist ein sonderbarer alter Kerl[23] er heißt Puffaway[24] wir werden hier Jemanden nach allen Regeln braten sehn und der komische Kerl hier wird den Bratspieß drehen. – Der Harlekin fing nun an, sehr schnell mit Redensarten um sich zu werfen: auf einmal aber zog [61] er die schwarze Kappe, die sein Gesicht bedeckte, herunter und ich erkannte – meinen alten Freund, den stattlichen Herrn!

Erstaunt fuhr ich zurück. Sic transit gloria mundi! rief ich aus, indem ich traurig den Kopf schüttelte. Dieß ist ein trauriges, aber wahres Bild des Wechsels im menschlichen Leben; – einen Abend erscheint der Mensch in königlichen Gewänden, von einem glänzenden Gefolge seiner Edeln umgeben; am nächsten, zu einem armen Hauswurst herabgewürdigt, der nicht einmal einen Rost hat, um sich zu helfen. Was meinen Sie dazu, Freund Quoz? sagte ich: glauben Sie, daß ein Schauspieler das Recht habe, so mit den Gefühlen des Publikums Scherz zu treiben, indem er ihnen so traurige Gegensätze vor die Augen stellt? – Der ehrliche Quoz, der von weicher Art ist, schüttelte wehmüthig den Kopf und sagte nichts. Ich sah indessen die Thräne des Mitgefühls in seinen Augen glänzen, und wußte ihm für seine Empfänglichkeit Dank.

Der Harlekin spielte unterdessen seine [62] Rolle fort, und mein Bedauern wuchs während seines Spiels, als er auf einmal ausrief: und Oldstyle – den wünsch’ ich zum Henker! Das Blut stieg mir in die Wangen bei diesem unverschämten Gebrauche meines Namens. Was sagen Sie aber dazu, Freund Quoz? rief ich heftig aus: das ist wahrscheinlich auch eins von Ihren „Rechten der Schauspieler.“ Wahrscheinlich wird nun das Theater das Hülfsmittel zur Verbreitung aller Pasquille und Verläumdungen werden, und unsere Mitbürger sich als Karikaturen von der plumpen Hand eines jeden Sudlers, der nur einen Pinsel halten kann, dargestellt sehen müssen! Mein Herr Andreas Quoz, ich weiß eine Zeit, wo man eine solche Unverschämtheit auf dem Theater mit lautem Gezisch begrüßt haben würde.

Nach einigem Zureden nahm ich indeß meinen Platz wieder ein und suchte den übrigen Theil des Nachspiels ruhig mit anzuhören: der Harlekin war mir jedoch so zuwider geworden, daß er mir, all’ seinem Hüpfen, [63] Springen und auf den Absätzen Herumdrehen zum Trotze, kein Lächeln abgewinnen konnte.

Unter den Rollen in dem Schauspiel war auch die einer alten Jungfer, und man hörte Scherze und Bemerkungen von dem Possenreißer und seinen Gefährten darüber, welche eben so witzig als neu waren. Scherz bei Seite, halte ich aber diese Angriffe auf weibliches Glück für eben so grausam als unmännlich. Ich bin, in meiner Anhänglichkeit an das schöne Geschlecht, immer sehr leidenschaftlich gewesen und habe immer die Ueberzeugung gehabt, daß die Frauen die stärksten Ansprüche auf unsere Bewunderung, unsere Zärtlichkeit und unseren Schutz haben. Wenn aber zu diesen noch stärkere Anfoderungen kommen – wenn wir sie alt und gebrechlich, einsam und vernachlässigt, ohne eine Hand sehen, sie auf dem Hinabwege des Lebens zu unterstützen – so muß, in der That, Dessen Herz ganz erkaltet, sein Geist ganz unmännlich geworden seyn, der die Waffe des Spottes gegen ihre vertheidigungslose Brust zu kehren im Stande ist, und die wenigen Tropfen [64] der Freude, welche der Himmel ihrem Kelch beschieden hat, vergällen kann.

Die Gestalt meiner Schwester Dorothea schwebte mir in diesem Augenblicke vor: ihr Haar ist durch die Zeit silberweiß geworden, doch ihr Gesicht durch keine Runzeln des Kummers oder der Sorgen entstellt. Sie ist immer „so milder Art gewesen“[25] daß das Alter keine Spuren auf ihrer Stirn zurückgelassen hat. Theure Schwester meines Herzens! rief ich aus, die du dich mit mir so manches Jahr des Lebens durchgequält hast, ist dieß der Lohn aller deiner Tugenden? Sollst du, die du nie, weder durch Worte, noch durch Thaten, das Gefühl eines Andern verwundet hast, das deinige durch die schreienden Beleidigungen derer, von denen du Ehre und Schutz erwarten dürftest, so verletzt sehen?

Fort mit diesem verächtlichen Possenspiel – solchen elenden, abgenutzten Kunstgriffen, [65] den Beifall der Fühllosen zu erringen. Ich will nichts mehr davon sehen: komm mit mir, Freund Quoz. Denn wenn wir noch länger verweilen, so werden wir auch unsere Gerichtshöfe beleidigen und den Charakter von Privatpersonen lächerlich machen sehen! – Jack Stylish bat mich, zu bleiben, und die Vermehrung des lebendigen Personals durch einen Esel, eine[WS 2] Gans und einen Affen, welche von dem Director ausgegangen sey, noch mit anzusehen; allein ich sagte: Nein, nein, ich will nichts mehr sehen, und damit hinkte ich mit meinem Freunde Andreas Quoz fort. Jack sagte, er wolle bleiben und doch das Ende des Spaßes mit abwarten. – Auf dem Heimwege fragte ich den Freund Quoz, wie er denn eine solche plumpe persönliche Satire zu rechtfertigen sich getraue: er schien indessen mit seinen Antworten sehr zurückhaltend zu seyn, und sagte mir, er würde seine Meinung darüber schriftlich zu erkennen geben.

Am nächsten Morgen erzählte mir Jack Stylish den Schluß des Stückes. Mehrere Schauspieler wären nach einander in ein Rad [66] gekrochen, und nachdem sie etwas gemahlen worden, als Esel, Gänse und Affen wieder herausgekommen, der Harlekin ausgenommen, der so zähe gewesen, daß das Rad ihn nicht verarbeiten können, und so sey er denn wieder als Hanswurst herausgekommen, wie er gewesen sey.


[67]
Siebenter Brief.

Ich hatte so eben meine Brille aufgesetzt, und schnitt meine Feder, um Ihnen von einem Balle Bericht abzustatten, den ich vor einiger Zeit mit Freund Quoz und meiner Schwester Dorothea besucht hatte, als ich durch folgenden Brief des Letzteren unterbrochen wurde.

Mein Freund Quoz, der, was man im gemeinen Leben nennt, ein gewiegter Mann ist, sagt gern über jeden Gegenstand seine Meinung. Er entfaltet in diesem Briefe eine mehr als gewöhnliche Kenntniß seines Gegenstandes, und scheint sein ganzes Talent aufzubieten, um durch Gründe die Wichtigkeit seines Raths anschaulich zu machen. Ich theile Ihnen hier seinen Brief ohne weitere Erörterungen mit, [68] und verspare meine Beschreibung des Balls bis auf eine andere Gelegenheit.

An Jonathan Oldstyle.

Mein theurer Freund!

Ich schreibe Ihnen abermals über einen Gegenstand, von dem ich fürchte, daß Sie seiner am Ende überdrüssig werden und daß er die mürrische Gemüthsstimmung, die (Sie verzeihen meine Freimüthigkeit!) Ihnen einmal eigen ist, noch verschlimmern dürfte. Bieten Sie indeß die gute Laune auf, von der Sie, wie ich weiß, im Grunde doch einen reichen Vorrath besitzen, und hören Sie mich ruhig aus. Die lebhafte Furcht, welche ich hege, daß Sie in den finstern Abgrund der Kritik sinken mögen, an dessen Rande Sie itzt stehen, ist die Ursach, daß ich Ihnen schreibe.

Meine Absicht ist, Ihnen die Rechte und Lasten eines Schauspielers auseinander zu setzen und dadurch, daß ich Ihnen in grellen Farben das Eigenthümliche seiner Lage schildere, Ihr gutes Herz in Anspruch zu nehmen. – Die Welt ist, mein Freund Oldstyle, von jeher [69] geneigt gewesen, den Beruf des Schauspielers als etwas Herabwürdigendes anzusehen. Was zuerst zu dieser Ansicht Gelegenheit gegeben hat, kann ich nicht begreifen; ich halte sie indessen für das Ueberbleibsel eines jener alten Vorurtheile, welche der natürliche Verstand der Welt mit jedem Tage ablegt, und ich hoffe, daß es in Kurzem, ganz verschwunden seyn wird. Warum der Schauspieler weniger geachtet seyn soll, als der Dichter, der Maler, oder irgend Jemand, der sein Talent dazu verwendet, Charaktere darzustellen, oder ein Bild der verschiedenen Thätigkeiten des menschlichen Geistes zu liefern, kann ich nicht begreifen. Ich weiß, daß Sie, mein Freund Oldstyle, ein zu freisinniger Mann sind, als daß Sie sich nicht über so kleinliche Vorurtheile erheben sollten, und daß Sie einen Schauspieler, wenn anders sein Charakter an und für sich nur gut ist, eben so sehr achten, als den, der irgend einen andern Beruf hat. Und doch wissen Sie gar nicht, welche wichtige Vorrechte dem darstellenden Künstler [70] eigenthümlich sind. Ich will sie Ihnen nennen.

Die Werke eines Dichters oder Malers mögen Sie frei beurtheilen – (sie stellen sie ja eben deswegen aus) – sie werden aufmerksam auf Ihre Bemerkungen hören und Ihren Tadel zu ihrem Besten benutzen. So können Sie aber nicht gegen einen Schauspieler verfahren; dieser bedarf keiner Belehrung mehr – sein eigenes unparteyisches Urtheil reicht hin, alle seine Unvollkommenheiten aufzufinden und zu verbessern. Versuchen Sie es, ihn über seine Irrthümer zu belehren, und Sie richten ihn zu Grunde – er wird lieber, Ihnen zum Trotz, Hungers sterben: er ist wie etwas längst Abgestorbenes, das in Staub zusammenfällt, sobald man es berührt.

Nein – wenn ein Schauspieler auf der Bühne steht, so ist er in seinem Hause, es ist seine Festung[26] er hat Sie dann in seiner [71] Gewalt, und kann Sie, von dort aus, ungestraft mit seinen Possen zu Tode langweilen, oder Sie mit seinen spitzen Bemerkungen angreifen. Sie, mein Freund, der Sie sich leicht beleidigt fühlen, mögen immerhin es hart nennen, sich so belästigt zu sehen, und noch dazu den, von dem dieß ausgeht, dafür belohnen zu müssen. Sie können sagen, daß, da Sie für ihr Vergnügen bezahlen, Sie billig auch die Freiheit haben sollten, dem Schauspieler bei seinen Bestrebungen Vorschriften zu geben, wie es der Chinese mit seinem Ohrenkitzler macht, dem er sagt, wenn sein Werkzeug ihm Schmerz verursacht, daß er des Guten zu viel thue. Darin aber irren Sie sich sehr: Sie sind ihm dagegen für die Herablassung, womit Er seine Talente, zu Ihrer Belehrung anwendet, Dank schuldig, und was Ihr Geld betrifft, so nimmt er es nur, um Ihre Verpflichtung etwas weniger drückend zu machen.

Ein Schauspieler ist, wie ich schon vorher bemerkt habe, vollkommen zulässiger Richter über seine eigenen Fähigkeiten, und kann [72] im Allem spielen, worin er will, im Trauerspiel, Lustspiel oder in der Pantomime, für so wenig geschickt ihn auch das Publikum halten mag, darin aufzutreten. Er kann, während er auf der Bühne ist, toben und brüllen, Gesichter schneiden und grinsen, wüthen und schäumen; wer kann etwas dagegen einwenden? Er wird von dem Direktor dafür bezahlt, seine Lunge und seine Glieder zu brauchen, und je mehr er beide anstrengt, desto treuer kommt er seinen Verpflichtungen nach, desto eifriger arbeitet er für seinen Unterhalt – und wer würde ihn seines sauer erworbenen Brotes wegen beneiden wollen?

Wie mancher ehrliche, träge Geist ist von diesen fühllosen Kritikern mit Gewalt zur Ausbildung seiner Talente und zur Aufmerksamkeit auf seinen Beruf gezwungen worden! Wie haben sie ihn zu fortwährendem Studium und zu unablässiger Anstrengung verdammt! Wie haben sie die öffentliche Meinung so zu leiten gewußt, daß das, was sonst ein Publikum zu einem krampfhaften Lachen gebracht haben würde, itzt weiter nichts als ein mattes Händeklatschen [73] der kleinen Herumläufer zu Wege bringt, welche dafür, daß sie die Logen aufschließen, Plätze auf der Gallerie erhalten. O! Herr Oldstyle, es geht mir innig nahe, wenn ich sehe, wie so ein armer Schauspieler stampft und tobt, und sich vor die Stirn, vor die Brust, auf die Tasche schlägt, und das Alles vergebens; wie er sich in irgend eine verzweiflungsvolle Stellung wirft und so in fruchtloser Erwartung des Beifalls seiner Freunde auf der Gallerie harrt.[27] In solchen Fällen pflege ich immer selbst zu klatschen, damit der Mann nur seine Stellung verlassen und seine Rolle ruhig weiter spielen könne.

Sie waren neulich Abends so sehr über den ungroßmüthigen und unmännlichen Gedanken (wie Sie ihn nannten), eine alte Jungfer auf eine lächerliche Art auf die Bühne [74] zu bringen, erbittert. Ich kann indessen nicht einsehen, was daran auszusetzen sey. Ist das nicht von jeher geschehen? Ist die Sache nicht durch die tägliche Gewohnheit im bürgerlichen Leben gutgeheißen? Haben wir nicht die Rolle der Base Tabitha, in der Posse, in hundert andern Stücken gesehn und belacht? Da also der Verfasser nur in dem gewöhnlichen Geleise geblieben ist, worin, vor ihm, so manche gewandelt haben, so sehe ich nicht ein, warum man ihn so sehr tadeln soll, als ob er die ganze Schuld der Originalität trüge.

Sie werden vielleicht sagen, daß es grausam sey, mit den Gefühlen irgend einer Klasse der bürgerlichen Gesellschaft Spott zu treiben, daß die Thorheit schon ein hinlänglich weites Feld für den Witz und die Satire darbiete, ohne daß man nöthig habe, dem Unglück eine lächerliche Seite abgewinnen zu suchen, daß das weibliche Zartgefühl immer mit der Geisel des Spottes verschont bleiben solle u. s. w. doch das sind Redensarten, bloße Worte.

Wenn ein Schriftsteller zu träge oder zu beschränkt ist, neue Quellen zu Bemerkungen [75] aufzufinden, so muß man ihn entschuldigen, wenn er die Gedanken Anderer zu seinem eigenen Gebrauche und Vortheile anwendet. Doch ich finde, daß ich unvermerkt auf die Rechte der Schriftsteller gekommen bin, und so wollen wir zu unserem Gegenstande zurückkehren.

Ein Schauspieler kann, wenn er „der Natur den Spiegel vorhält,“ durch seine Künste ihn so drehn und wenden, daß er den Gegenstand in jeder beliebigen Gestalt darstellt, ja, er kann sogar eine Karikatur liefern, wo der Verfasser nur ein Bild zu geben beabsichtigte: er kann es mit seinem Athem verwischen, mit seinen schmuzigen Fingern verunreinigen, so daß der Gegenstand durch das Glas, worin er gesehn wird, eine von seinem natürlichen Ansehen ganz verschiedene Gestalt erhält. Gerade heraus gesagt, mein Freund, hat ein Schauspieler das Recht, seinen Schriftsteller, sobald er glaubt, daß dieser sich nicht gehörig deutlich ausgesprochen habe, mit seinem eigenen Witz und seinen Talenten beizustehn, und sollte, in diesem Falle, der [76] Charakter von dem, was er ursprünglich zu seyn bestimmt war, ganz verschieden ausfallen, und, in dieser Gestalt mehr dem Schauspieler, als dem Verfasser des Stücks angehören, so verdient der Erstere allen Dank für feine Erfindungskraft. Und sollten seine Zusätze wirklich sonderbar und widrig seyn, so ist doch seine Absicht höchst lobenswerth und verdient volle Aufmunterung.

Bedenken Sie nur, mein theurer Herr, wie viele angenehme kleine häusliche Anordnungen durch diese ewig unzufriedenen Kritiker zerstört werden! Der ehrliche König von Schottland[28], welcher so gekleidet erschien, daß er, zu gleicher Zeit, auf den Markt und auf die Bühne gehen konnte, und neben dem Schurz und Mantel seine Halbstiefeln und schwarzen Beinkleider trug, so daß er halb wie ein König, halb wie ein Schuhflicker aussah, hat itzt die Stiefeln durchaus seines königlichen Dienstes entlassen müssen: doch macht [77] es mir sehr viel Vergnügen, ihn seinen alten Gewohnheiten so treu geblieben zu sehen, daß alle Bestrebungen der Kritiker es nicht dahin zu bringen vermocht haben, daß er von den letzteren gelassen hat. Die Stiefeln mögen sie ihm ausziehen – nichts in der Welt wird ihn aber aus den Beinkleidern bringen.[29]

Erwägen Sie nur, mein Freund, wie kindisch alle diese Bemerkungen sind. Heißt es nicht, den hohen Standpunkt, auf welchem ein Kritiker steht, geradezu herabwürdigen, wenn er sich um Beutelperucken, rothe Röcke, schwarze Beinkleider und Halbstiefeln bekümmert! Pfui, pfui, ich erröthe im Namen der Kritiker unserer Zeit, die es für eine wichtige Angelegenheit halten, ob ein Hochländer in Beinkleidern und Stiefeln oder ein Otaheitier in [78] dem Anzuge eines New-Yorker Stutzers erscheinen soll. Glauben Sie nur, Freund Oldstyle, wir sollen das Spiel und nicht das Ansehen eines Schauspielers beachten, und so lange er seine Rolle gut spielt (um mit meinem Freunde Sterne zu reden) „nicht darauf sehen, ob er in einem schwarzen, oder in einem rothen Rocke spielt.“

Glauben Sie mir, Freund Oldstyle, wenige von unseren neueren Kritikern haben gegründete Ansprüche auf den Rang, den sie annehmen. Sie mögen mir eine Frage beantworten – sind sie je in Europa gewesen? haben sie Garrick, haben sie Kemble, haben sie eine Siddons gesehen? Ist dieß der Fall, so kann ich Sie (auf das Wort zweier oder dreier meiner Freunde, die Schauspieler sind) versichern, daß sie kein Recht auf den Namen Kritiker haben. Sie mögen, so viel sie wollen, über Urtheil, Geschmack und Gefühle reden, das ist Alles Unsinn. Es ist noch erst kürzlich (im Theater) entschieden worden, daß wer nach so lächerlichen Grundsätzen [79] urtheilt, eine arge Gans ist, und deswegen recht ordentlich gerupft werden muß.

Nachdem ich so, mein Freund Oldstyle, gesucht habe, Ihnen, wiewohl auf eine ganz schwache Weise, einige von den Rechten und Lasten eines Schauspielers auseinanderzusetzen und seine unausgesetzten und uneigennützigen Bemühungen, dem Publikum zu gefallen und wie er es besser wissen muß, was diesem gefällt, als das Publikum selbst, zu zeigen, Ihnen auch den grausamen und rachsüchtigen Charakter eines Kritikers, den beständigen Zwang, den er der harmlosen Unregelmäßigkeit des Schauspielers auferlegt und die schonungslose Art, womit er ihn zwingt, aus Furcht vor Tadel, beständig seinem Beruf nachzuleben, anschaulich zu machen – lassen Sie sich erbitten, einzuhalten! Oeffnen Sie die Augen; sehen Sie, wie Sie am Rande eines Abgrundes stehn, und hören Sie auf die ernstliche Warnung

Ihres 

Sie liebenden Freundes,

Andreas Quoz. 

[80] Mein Freund Quoz schreibt allerdings mit Empfindung, und jede Zeile von ihm zeugt von dem feinen Gefühl, wodurch er sich immer ausgezeichnet hat. Ich weiß indessen durchaus nicht, auf welchen Grund hin er mich für dazu geneigt hält, Kritiker zu werden. Meine Bemerkungen sind, bis itzt, immer mehr das Ergebniß eines unmittelbaren Eindruckes, als kritischer Prüfung gewesen. Eben so wie mein Freund, Hr. Andreas Quoz, fange ich indessen an, in die Beweggründe unserer Kritiker in New-York Mißtrauen zu setzen, namentlich seitdem ich, außer seinen Gründen, noch die Versicherung zweier oder dreier, unbezweifelt parteiloser Schauspieler und eines Schriftstellers für mich habe, der, wie Hr. Quoz mir sagt, seiner Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit wegen berühmt ist; daß nämlich die Kritiker „die alleranmaßendsten, hochmüthigsten, übelwollendsten, ungroßmüthigsten, unartigsten, boshaftesten, rachsüchtigsten, widerwärtigsten, undankbarsten, verkrüppeltesten, neidischsten, abgünstigsten, boshaft-erfinderischsten, nach Persönlichkeit gehenden [81] pedantischsten, unrechtmäßigsten, tyrannischsten, verdrehtesten, dürrschenkeligsten Puppen, ränkevollsten Bösewichte und aufgeblasensten Ignoranten sind.“

Diese und manche andere eben so feine Benennungen haben in meinem Gemüthe gerechte Zweifel über die Aufrichtigkeit und Gerechtigkeitsliebe der Kritiker erregt, und damit meine Feder nicht unwillkührlich mir den Verdacht zuziehen möge, daß ich eine Sehnsucht nach allem Kritikenmachen hätte, so will ich sie itzt sorgfältig auswischen, sie einschließen, und versprechen, sie nicht eher wieder zum Vorschein zu bringen, als bis ein neues Feld der Thorheit meine Aufmerksamkeit auf sich zieht.


[82]
Achter Brief.

Vor einigen Morgen saß ich ganz ruhig, mit meiner Schwester Dorothea und Jack Stylish, und nahm meinen Kaffee mit geröstetem Brode ein, als plötzlich mein Freund, Herr Andreas Quoz hereintrat. An dem besonderen Ausdrucke, der in seiner listigen Miene, wie sie Vetter Jack nennt, lag, erkannte ich sogleich, daß er mit irgend einer wichtigen Nachricht schwanger ginge.

In einer Hand hielt er den Morning Chronicle, und mit dem Zeigefinger der andern wies er auf einen besonderen Abschnitt hin, Ich setzte eilig meine Brille auf und ergriff das Blatt mit lebendiger Neugierde. Denken Sie sich mein Erstaunen, als ich eine Verordnung unserer[30] gesetzgebenden Macht [83] fand, wonach ein jeder Bürger dieses Staats, der eine entweder geschriebene oder mündliche Ausforderung zuschickt, überbringt, oder annimmt, für unfähig erklärt wird, irgend ein Ehren- oder anderes wichtiges Amt zu bekleiden, bei einer Wahl im Staate mitzustimmen u.s.w.[31]

Das Blatt entfiel meinen Händen; ich blickte meinen Freund Andreas in stummem Erstaunen an. Quoz legte den Finger an die Nase, nickte mir bedeutsam zu, und rief aus: was sagen Sie dazu, Freund Jonathan?

Das ist ein böses Ereigniß, sagte ich mit betrübtem Tone: das wird den Muth der kecken Jugend unseres Zeitalters sehr dämpfen. Geist des Ritterthums, wohin bist du entwichen! Schatten Don Quixote’s, blickst du nicht mit Verachtung auf die Ausartung der Zeit herab?

Meine Schwester Dorothea ward von dem Funken meines Enthusiasmus ebenfalls entzündet: [84] in allen alten Ritterbüchern wohlbelesen, und entzückt über die darin enthaltenen lebendigen Beschreibungen der Heldenzeit, hatte sie den Waffenruhm früherer Tage bewundern gelernt, und trauerte darüber, den letzten Funken ritterlichen Feuers mit so rauher Hand ersticken sehen zu müssen. Ach, Bruder! sagte sie, zu welch’ einem bejammernswerthen Zustande würdigt man unsere jungen Männer herab! wie bedauernswürdig muß nicht ihre Lage seyn – bei einer so leicht reizbaren Empfindlichkeit und so sehr empfänglichem Gemüth für den Ruf der Ehre und der hergebrachten Sitte!

Ja, meine theure Dorothea, sagte ich, ihre traurige Lage geht mir von Herzen nahe. In dieser langweiligen, einförmigen, friedlichen Zeit aller Gelegenheiten beraubt, im Kampfe auf offenem Felde, der Heldenflamme, welche in ihrer Brust lodert, freien Lauf zu lassen, konnten sie bisher den erhabenen Gefühlen ihrer Seele in dem häuslichen und weniger gefährlichen Zweikampfe Luft machen, wie der Krieger in der Fabel, der, da er [85] nicht mehr Heere niedermetzeln konnte, sich damit begnügte, Kohlköpfe herunterzuschlagen.

Itzt folgte eine feierliche Pause. Ich rief mir alle die Erzählungen von alten Rittern, die ich gehört oder gelesen, ihre Liebesabenteuer, ihre Zwistigkeiten und ihre Kämpfe in das Gedächtniß zurück: wie, an einem schönen Sommermorgen, der Ritter von der goldenen Gans dem Ritter von der feurigen Fiedel begegnete; wie der Ritter von der feurigen Fiedel stolz ausrief: „wer da läugnet, daß Fräulein Fidliosa die unvergleichlichste Schönheit in der ganzen Welt sey, der soll die Stärke dieses Armes fühlen!“ wie sie beide mit gewaltiger Wuth auf einander losstürzten, und, nachdem sie bis Sonnenuntergang gefochten, der Ritter von der feurigen Fiedel als Opfer seiner Beständigkeit fiel, und in melodischen Tönen, mit seinen letzten Athemzuge, den geliebten Namen “Fidliosa“ aushauchte.

Von diesen alten Kämpfen ging ich, in Gedanken, zu andern über, die, obgleich aus neuerer Zeit, doch eben so wichtig in Hinsicht [86] ihres Ursprungs sind. Ich erinnerte mich an die wahre Höflichkeit und die wahre Abgemessenheit, womit in meiner Jugend Duelle betrieben wurden, als noch die wahre Anstandswaffe, der Degen, an der Tagesordnung war. Ausfoderungen waren auf die allerhöflichste Weise abgefaßt, und eine, die ich noch besitze, endigt sich mit den Worten: „Ihr Freund und ergebenster Diener, Nikolaus Stubbs.“ Wenn die Parteien sich auf dem Kampfplatze trafen, so wurde dieselbe Förmlichkeit beobachtet; sie zogen die Hüte ab, wünschten einander guten Morgen und halfen sich, mit der ehrerbietigsten Höflichkeit, die Röcke und Stiefeln ausziehen. Auch der Kampf selbst ging mit der gehörigen Art vor sich: da sah man keine unbeholfenen Bewegungen, keine hitzigen und unbesonnenen Stöße; alles ging kaltblütig, zierlich, mit Anstand zu. Jeder Stoß war mit seinem Sa-sa begleitet, und mit einem Lah-lah wurde man unvermerkt durch und durch gestoßen. Nichts ging über die Zärtlichkeit und Aufmerksamkeit, womit der verwundete Gegner [87] behandelt wurde: der Ueberwinder nahm ihn, nachdem er wohlbedächtig seinen Degen abgewischt, in seine Arme, fühlte ihm an den Puls, und fragte ihn, mit der größten Theilnahme, wie er sich itzt befände? Und so ging Alles auf eine feine, wohlanständige Weise zu.

Ich kann aber nicht sagen, daß ich unsere itzigen Sitten sehr bewundere: ein gezogenes Pistol von zwölf Zoll und eine Kugel von einer Unze ist eine Sache ohne sehr viele Umstände, und läßt den Anstand und die Zierlichkeit, welche der Degen gestattet, nicht zu; überdieß liegt etwas so Unangenehmes darin, wenn man die Mündung einer Pistole sich so gegenüber sieht, daß ich glauben möchte, manche unserer jungen Helden dürften sich bei dem Anblick nicht ganz wohl befinden, wenn man nicht, wie dieß zuweilen der Fall seyn soll, sich in der Dämmerung schießt.

Das Geschäft des Ladens, Pulver auf die Pfanne-Schüttens, Spannens des Hahns u. s. w. dient eben nicht dazu, Jemanden sehr zu beruhigen, und man will behaupten, daß [88] einige von unsern Kriegern, während diesen Vorbereitungen zu zittern und schiefe Gesichter zu machen angefangen haben, obgleich man dieß, und gewiß richtiger, der Heftigkeit ihres Zornes und ihren gewaltigen Muth beigemessen hat.

Ich hatte so eine Zeit lang nachgedacht, als ich mein Stillschweigen brach, und meinem Freunde Quoz einige von meinen Einwendungen gegen die Art, sich auf Pistolen zu schlagen, mittheilte.

Wahrhaftig, Freund Oldstyle, sagte Quoz, ich erstaune über Ihre Unbekanntschaft mit der neueren Sitte; glauben Sie mir, ich kenne keine Vergnügung, die, im Ganzen genommen, harmloser wäre. Allerdings mögen zuweilen ein Paar entschlossene Leute zusammenkommen, die entschieden sind, die Sache alles Ernstes auszufechten; unsere Mode-Duellanten sind indessen gewöhnlich mit einem Schuß zufrieden, und dann sind sie entweder schlechte Schützen, oder die Hähne gehen schwer, oder sie drücken das unrechte Auge zu, oder es kommt sonst etwas Anderes dazwischen, [89] so daß Zehn, ja Zwanzig gegen Eins zu wetten ist, daß sie unbeschädigt bleiben.

Darin war ich nun nicht Freund Andreas’ Meinung. Ich bin, sagte ich, von der Tapferkeit unserer jungen Leute überzeugt, und daß, wenn sie einmal auf den Kampfplatz treten, sie entschlossen sind, zu siegen oder zu sterben, allein gewöhnlich ist es der Fall, daß ihre Sekundanten friedliebenderer Art sind und nach dem ersten Schusse dazwischen treten; aber man sagt mir auch, daß sie oft nahe daran sind, zu bleiben, und daß ihre Hüte und Röcke Löcher von den Kugeln haben, was, wie Falstaffs zerhacktes Schwert, ein deutlicher Beweis daran ist, wie ernsthaft der Kampf gewesen sey.

Meine Schwester Dorothea, die von sehr leutseliger und wohlwollender Gemüthsart ist, würde ohne Zweifel den Gedanken an Duelle ganz verabscheuen, wenn sie sie nicht als die letzten Funken der Tage des Ritterthums ansähe, auf welche sie mit einer Art von romantischem Enthusiasmus zurückblickt. Sie meint, daß sie itzt den Todesstreich empfangen haben; [90] denn, sagte sie, wie können nun die Ausfoderungen zugeschickt werden, wenn man sogar die Ueberbringer derselben ebenfalls als Hauptschuldige betrachtet?

Das ist sehr leicht zu machen, sagte Freund Quoz: ein Mann schilt mich einen Lügner; sehr wohl: ich trete ihm auf die Zehen, zum Zeichen, daß ich ihn herausfodere: er nimmt mich bei der Nase, als Zeichen, daß er die Herausfoderung annimmt: und so wird die Ausfoderung, ohne Hülfe eines Dritten, richtig bestellt. Hierauf einigen wir uns über die Art, auf welche die Genugthuung gegeben werden soll: wir ziehen z. B., Loose, wer von uns fallen muß, um die Gesetze der Ehre zu befriedigen. Herr A oder B, mein Gegner, soll fallen: nun gut; er steht unten auf der Straße, ich laufe die Treppe des Hauses bis zum Boden hinauf und werfe ihm aus dem Bodenfenster einen Dachziegel auf den Kopf: kommt er mit dem Leben davon, so ist es gut – wird er erschlagen, nun so hat Niemand die Schuld: es war ein bloßer Zufall. Und so ist die Angelegenheit zu unserer [91] beiderseitigen Zufriedenheit, wie man zu sagen pflegt, in das Reine gebracht.

Jack Stylish machte die Bemerkung, daß, was Hrn. Quoz’s Gedanken, den Leuten Dachziegel auf die Köpfe zu werfen, beträfe, er dieß für eine sehr gemeine Aushülfe halte. Er, seinestheils, meine, es werde am besten seyn, wenn die gesetzgebende Macht das Gesetz hinsichtlich der Duelle abänderte, und sie, unter gewissen Einschränkungen, erlaubte: z. B. daß Niemand sich schlagen dürfe, ehe er sich nicht dazu einen regelmäßigen Schein von dem sogenannten Blut- und Donner-Amt gelöst habe; daß zwei Duellanten, zwei oder drei Wochen vor dem zu erfolgenden Duell, es in allen Zeitungen anzeigen müßten; daß die beiden Parteien sich schlagen müßten, bis Einer fiele, und daß endlich das Publikum zusehen dürfe. Dieß, meinte er, würde gewissermaßen eine Wiederherstellung der Schaugefechte des Alterthums seyn, wo das Volk mit Gladiatorenkämpfen ergötzt wurde. Wir haben itzt keine Spiele mehr, wie die Alten, ausgenommen dann und wann eine Stier- [92] oder Bären-Hetze, und dieß würde eine sehr bedeutende Vermehrung unserer gebildeten Vergnügungen gewähren.

Ich hörte ihrem Gespräch stillschweigend zu, aber ich muß gestehn, daß mir der Plan nicht ganz verwerflich zu seyn scheint. Unsere jungen Leute schlagen sich, in neun und neunzig Fällen unter Hundert, aus Furcht, mit dem Beinamen einer feigen Memme gebrandmarkt zu werden: und da sie demnach sich der Welt willen schlagen, so sollte man diese auch, da sie einen so nahen Antheil an ihren Kämpfen hat, gegenwärtig seyn und persönlich über ihr Benehmen den Ausspruch thun lassen.

Da ich den Gegenstand für wichtig halte, so nehme ich mir die Freiheit, mir ein Plätzchen im Morning Chronicle auszubitten, um ihn dem Publikum zur Erwägung vorlegen zu können.

Jonathan Oldstyle.     


Gedruckt bei Johann Friedrich Starke.

  1. Aus dessen Feder namentlich auch der kürzlich erschienene Roman herrühren soll, der unter dem Titel Koningsmarke the long Finne erschienen ist und eine versteckte Satire gegen den Verf. von Wawerley enthält.
  2. Er wurde ausgetheilt, und wer davon aß, sah in der Nacht das Mädchen oder den Mann, den er heirathen sollte, im Traum. Sp.
  3. Throwing oder flinging the stocking. Die Freunde und Freundinnen des Brautpaares setzten sich an den Fuß des Bettes, die Mädchen warfen die Strümpfe des Bräutigams, die Männer die der Braut über den Kopf, und wenn sie den Bräutigam oder die Braut damit trafen, so war es ein Zeichen, daß sie bald heirathen würden. Sp.
  4. Es ist hier von einer Darstellung auf dem Theater in New-York die Rede. Sp.
  5. Sie wurde im J. 1464 unter Eduard IV. Regierung zwischen den Anhängern der Häuser York und Lancaster geliefert, und die Letzteren gänzlich darin geschlagen. Sp.
  6. Die amerikanische Nationalfarbe. Sp.
  7. Wer den Lärmen einer Londoner Gallerie in Covent-Garden oder Drury-Lane gehört hat, kann sich einen Begriff davon machen. Sp.
  8. The gods: so nennen die Engländer die Zuschauer auf der Gallerie, wegen der Höhe, von der sie herabsehen. Auf ähnliche Art trennt man diese Abtheilung des Zuschauerraums bei uns das Paradies. Sp.
  9. Im Original steht all nuts, oder wie wir mit einem gemeinen Ausdrucke sagen würden, ein gefundenes Essen. Sp.
  10. Wir würden etwa Philister sagen. Sp.
  11. Wem fiele nicht 1824 dabei ein? Sp.
  12. Wahrscheinlich eine Verzierung am Proscenium. Sp.
  13. Hier ist ein unübersetzbares Wortspiel im Original mit den beiden Bedeutungen des Wortes design, Zeichnung und Absicht. Sp.
  14. Dieß bezieht sich wahrscheinlich auf einen Mißgriff in der Farbe des Löwen. Sp.
  15. Aus dem ersten Stück, der Schlacht von Hexham. Sp.
  16. So wie man die Zuschauer auf der Gallerie, wie schon erwähnt, spottweise the gods, die Götter, nennt, so nennt man ihren Platz the heavens, den Himmel. Sp.
  17. Das kommt in Deutschen Theatern auch nicht selten vor! Sp.
  18. S. Hamlets Rath an die Schauspieler, im dritten Aufzuge des Stückes. Sp.
  19. Vielleicht ein Rang Logen, der mit Shakespeare’s Bildniß geziert ist. Sp.
  20. Die Gallerie. Sp.
  21. Das, was man im Englischen cant oder slang nennt, die Modesprache der jungen Leute, in welcher oft Ausdrücke vorkommen, die jedem Uneingeweihten durchaus unverständlich sind. Sp.
  22. Der Epilog wurde wahrscheinlich von der Schauspielerin in irgend einer Verkleidung gesprochen, wie dieß früher auf dem Englischen Theater häufig Sitte war. Sp.
  23. Im Original steht codger, wörtlich, ein Mann der allerlei Weggeworfenes sammelt ein Geizhals. Sp.
  24. Wörtlich: Posaune aus! Sp.
  25. Hath borne her faculties so meekly, wie Shakespeare im Macbeth vom Duncan sagt. Sp.
  26. Eine Anspielung auf den berühmten Rechtsgrundsatz des Engländers, wonach Niemand ihm in seinem Hause etwas anhaben kann. Sp.
  27. Die gewaltsamen Bewegungen, gegen welche diese Satire gerichtet ist, machen auf der englischen Bühne selbst das Spiel der ersten und ausgezeichnetsten Schauspieler, namentlich Kean’s ungemein widrig. Sp.
  28. Wahrscheinlich Duncan in Shakesspeare’s Macbeth. Sp.
  29. Diese Nichtbeachtung der Wahrheit des Kostumes wird noch itzt den amerikanischen Schauspielern zum Vorwurfe gemacht. Warden sagt in seinem Account of the united states. Edinb. 1813. im 3. Bande S. 469: „In Hinsicht der Decorationen und des Kostümes lassen die Amerikaner noch Vieles zu wünschen übrig; ihre Kleidungen sind sehr glänzend, aber selten richtig. Sp.
  30. Der Nordamerikanischen. Sp.
  31. Diese Anordnung wurde für den Staat von New-York am 5. November 1816 wiederum erneuert und geschärft. Sp.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Zuständ
  2. Vorlage: einem