Kurzgefaßte Einleitung in die heiligen Schriften (11. Auflage)/Dritte Abteilung (NT)

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Kurzgefaßte Einleitung in die heiligen Schriften (11. Auflage)
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Dritte Abteilung.
Die Prophetie des Neuen Testaments.
§ 99.
Die Apokalypse.

 1. Der Verfasser der Apokalypse nennt sich Johannes (1, 1. 4. 9; 22, 8), ohne sich den Apostelnamen beizulegen. Dieses thut aber auch der Evangelist Johannes nie, und es entscheidet also jenes Schweigen für sich noch keineswegs darüber, ob der Verfasser der Apostel Johannes oder ein anderer Johannes sei. Es sind aber deutliche Spuren in der Apokalypse vorhanden, welche für das Erstere sprechen, und die Tradition zeugt gleichfalls einstimmig dafür, daß Johannes, der Apostel, der Verfasser der Apokalypse sei. Dabei erklärt sich die Verschiedenheit der Sprache von der des Evangeliums, soweit sie vorhanden ist, teils aus der selbstverständlichen Anlehnung des Apostels an die Diktion der A.T.lichen Prophetie, teils aus der notwendigen Verschiedenheit zwischen geschichtlicher und prophetisch-apokalyptischer Darstellung, Übrigens kehren johanneische Grundbegriffe: Christus der Logos, das Lamm Gottes, das Zeugnis von Christo etc. in beiden joh. Schriften wieder.

|  1) Der Verfasser nennt sich 1, 2 einen Augenzeugen des Evangeliums, der selbst gesehen, was er von JEsu Christo bezeugt hat. Ganz so 1 Joh. 1, 1 ff., vgl. Ev. Joh. 1, 14; 19, 35. 2) Der Verfasser sagt von sich 1, 9, daß er um des Wortes Gottes und des Zeugnisses von JEsu willen auf die Insel Patmos verbannt war. Dies wird aber von der alten Kirche mit Bestimmtheit vom Apostel Johannes ausgesagt. Endlich 3) konnte nur ein Apostel an die Gemeinden Kleinasiens Sendschreiben richten, wie wir sie c. 2–3 lesen. Dem Apostel Johannes, der etwa vom Jahre 67 an in Ephesus gewirkt und von da aus die Kirche Kleinasiens geleitet, stehen solche Briefe wohl an, während sie dem angeblichen Presbyter Johannes[1] welchen viele für den Verfasser der Apokalypse halten, Befremden erregen würden. Gewiß ist, daß der Verfasser für den Apostel gehalten sein will, und daß man in der apostolischen Kirche ihn dafür halten mußte. Dies alles bestätigt sich nun durch eine sehr gesicherte Überlieferung der alten Kirche. Das Zeugnis reicht bis auf Polykarp und andere, die wie Polykarp noch Zeitgenossen des Apostels waren. Dann tritt als Zeuge für den apostolischen Ursprung auf: Papias und Melito (Bischof von Sardes) zu Anfang, Justinus der Märtyrer und der Kanon der römischen Kirche (Can. Mur.) in der Mitte, Irenäus, Tertullian und Clemens Alex. zu Ende des zweiten Jahrhunderts. Aus dem dritten Jahrhundert aber haben wir als Zeugen Origenes und Hippolytus. Das Hauptzeugnis aber für den apostolischen Ursprung der Apokalypse in der ältesten Kirche ist der damals allgemein verbreitete Chiliasmus. Der Widerspruch des Cajus – im Kampfe gegen die Montanisten, die sich besonders auf die Apokalypse beriefen – und der Aloger ist, wenn überhaupt erweisbar, der historischen Überlieferung gegenüber ohne alle Bedeutung, weil er offenbar aus der Polemik hervorgewachsen ist. Die Nichtaufnahme der Apokalypse in die (ältere) Peschîttho ist auffallend, aber sie kann Gründe haben in der eifrig antimontanistischen Richtung der syrischen Kirche. Man las das Buch aus Gegensatz gegen diese Richtung nicht vor und übersetzte es deshalb nicht – denn zum Vorlesen wurde ja das N. Testament zunächst übersetzt. Ephräm der Syrer erkannte übrigens die Apokalypse unbedenklich als Werk des Apostels Johannes an. – Erst seit der Mitte des dritten Jahrhunderts wagte man es, an ihrer Echtheit zu zweifeln. Es geschah dies im Zusammenhange mit den chiliastischen Streitigkeiten, die damals aufkamen. Aber Dionysius von Alexandrien, der dem Zweifel Bahn brach, beruft sich nicht auf Überlieferung, sondern darauf, daß die Sprache nicht die des Evangelisten Johannes sei. Dann drückt sich freilich auch Eusebius (III, 25) schwankend aus, und Cyrill von Jerusalem, wie Gregor von Nazianz nehmen die Apokalypse nicht in das Verzeichnis der kanonischen| Bücher auf; aber diese Zweifel kamen gegen die uralte, fest und wohl beglaubigte Überlieferung so wenig auf, daß die Synode von Hippo 393 die Apokalypse als kanonisches Buch erklärte. – Seitdem hat man oftmals gezweifelt, auch Luther „mangelt an diesem Buche nicht einerlei, daß er’s weder für apostolisch noch für prophetisch halten will“. Aber er bindet niemand an seinen „Dünkel“ und sein „Urteil“, und die Kirche ist seiner Meinung nicht beigetreten, sondern die Apokalypse ist noch jetzt als Schrift des Apostels und Evangelisten Johannes ein Teil des Kanon.
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 2. In der That bedarf es für die Kirche einer apostolischen Schrift, wie es die Apokalypse ist. Sie ist das prophetische Buch des N. Testaments. Ihre Absicht ist, den schließlichen Ausgang der Kirche Gottes darzustellen, namentlich soferne derselbe bedingt ist durch die Stellung der Kirche zum Weltreich. Von diesem Gesichtspunkte weissagen schon Sacharja und Daniel vom Ende Israels. Was nun diese Propheten innerhalb der Schranken der alttestamentlichen Heilsökonomie verkündet haben, das nimmt der Seher des N. Testaments wieder auf und vollendet es. – Es läßt sich dabei nicht in demselben Sinne, wie bei anderen Schriften des N. Testaments von einem geschichtlichen Anlaß sprechen. Aber nichtsdestoweniger wird die Zeit ins Auge zu fassen sein, in welcher diese Offenbarung gegeben worden ist. Es war aber dies der Zeitpunkt, wo der Gegensatz zwischen der Kirche Christi und dem Reiche der Welt sich immer mehr verschärfte. Die furchtbare Verfolgung unter Nero lag dahinten; auf sie war einige Dezennien später die Verfolgung unter Domitian gefolgt. In beide Zeiten, ins Jahr 68 oder 95 (mit mehr Recht in letzteres auf Grund des ausdrücklichen Zeugnisses des Irenäus) verlegt man die Entstehung der Apokalypse. Damals offenbarte sich der Gegensatz zwischen der Kirche und dem Weltreich, und die Kirche bedurfte der Antwort auf die Frage, wie dieser Kampf noch enden möge. Die Antwort der Apokalypse lautet dahin, daß die Kirche endlich siegen werde, wenn der HErr kommen und seine Feinde richten wird, und daß sie gerade dann, wenn es mit ihr aus zu sein scheine, ihren höchsten Triumph feiern dürfe.[2] – Auch die inneren Zustände der Gemeinden, wie sie in den sieben| Sendschreiben erscheinen, wonach in der Kirche die Zeit der ersten Liebe bereits vorüber und zu der Verfolgung von außen die Verführung im Innern getreten war, ferner die bereits ausgebildete Episkopalverfassung etc. machen es wahrscheinlich, daß die Apokalypse bis ans Ende des ap. Zeitalters herabzurücken sei. – Der Sieg über alle Feinde des Reiches Christi, die Verklärung der Gemeinde Christi durch Christi Wiederkunft ist das Thema unseres Buches.
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 3. Die Deutung der Offenbarung ist eine sehr verschiedene. 1. die Einen deuten sie auf die Zeit des Verfassers und verstehen sie von den Gerichten, die über das Judentum oder über das heidnische Rom kommen sollten, so daß sie also für uns keine weitere Bedeutung hätte, sondern nur in frommen Phantasien bestände, die ein gutmeinender jüdischer Christ der damaligen Zeit hatte. Aber dann würde das Buch allerdings das Recht verlieren, ein Buch für die christliche Gemeinde zu sein. (Die zeitgeschichtliche Auffassung.) 2. Die verbreitetste Ansicht von altersher in der Kirche ist die, daß der Gang, sei es der Weltgeschichte, sei es der Kirchengeschichte, darin vorausgesagt sei. (Die kirchengeschichtliche Auffassung.) Aber das führt zu lauter Willkürlichkeiten in dem Versuch, die einzelnen geschichtlichen Thatsachen in den einzelnen Weissagungen zu finden, und ist auch wider die Art der biblischen Weissagung, die im allgemeinen nicht einzelne Thatsachen der Geschichte vorhersagen will, sondern immer auf das Ende geht. Denn sonst würde ja auch historische Gelehrsamkeit dazu gehören, um alle die Vorhersagungen von den einzelnen römischen Kaisern und ihren Thaten, den Kriegen und Hungersnöten, den Sarazenen, Persern und Türken, den Goten und Hunnen, den Bettelmönchen und Jesuiten u. s. w. in dem Buche finden zu können, die darin angedeutet sein sollen. Aber das Buch ist ja nicht etwa bloß für die Gelehrten und die Geschichtskundigen, sondern für die Gemeinde geschrieben. Und welchen Gewinn hätten wir davon, hier einzelne Ereignisse dunkel angedeutet zu finden, welche die Geschichtsbücher viel deutlicher uns erzählen? Nein, die Offenbarung Johannis geht nicht auf die Ereignisse der Geschichte, sei es der Völker, sei es der Kirche, sondern sie geht auf das Ende. Mithin ist das Richtige 3. die endgeschichtliche Auffassung. Der letzte Gegensatz von Gemeinde und Welt und der Ausgang dieses Gegensatzes| ist ihr Inhalt, die Wiederkunft JEsu Christi ihr Thema. Was diesem Ausgang der Geschichte zeitlich vorangeht, ist nur so in das Buch aufgenommen, daß es in Zusammenhang mit dem Ende gesetzt wird.

 4. „Dieser Ausgang der Geschichte ist nicht etwa in fortlaufender Folge erzählt, sondern immer wieder wird neu angehoben, um uns von einer neuen Seite aus dem Ende entgegen zu führen. Denn da das Ganze in Form von Bildern dargestellt ist, so können immer nur einzelne Seiten zur Darstellung kommen, so daß also, wenn uns von einer Seite aus das Ende vor Augen gestellt war, es uns dann von einer andern aus wieder vorgestellt wird. So bewegt sich das Buch gleichsam in lauter Kreislinien vorwärts, von denen immer die nächste einige Schritte zurückthut, um dann auf dem neuen Wege wieder zu dem vorher schon erreichten Punkte zurückzukehren. Dies ist das Gesetz der Anordnung dieses Buches.“ Übrigens laufen die drei Gruppen (Siegel-, Posaunen- und Schalengruppe) sich doch nicht durchweg parallel. Die Posaunengruppe setzt, wie es scheint, zwischen dem 5. und 6. Siegel ein und entfaltet das letztere; die Schalengruppe aber setzt höchst wahrscheinlich bei der 5. Posaune ein, und jedenfalls weisen die letzten Kapitel der Offenbarung von c. 17 an einen ganz klaren chronologischen Fortschritt auf.

 5. Die Form, in welcher Johannes die Offenbarung von der Zukunft empfing, ist die der Vision, ähnlich wie bei Ezechiel, Sacharja und Daniel. In Bildern zeigt ihm Gott die Vorgänge der Zukunft. Diese Bilder sind nicht Erzeugnisse seiner eigenen Phantasie, sondern göttliche Offenbarung. Wie Gott sonst den Propheten seine Gedanken und Thaten etwa mit innerem Wort offenbart, so hier in diesen inneren Anschauungen. Da es denn immer nötig, daß man nicht beim Bild stehen bleibe, welches nur das Darstellungsmittel für das zu Offenbarende ist, sondern daß man die göttliche Meinung des Bildes zu verstehen suche. Dazu ist Vertrautheit mit den alttestamentlichen Propheten, sonderlich den obengenannten nötig, denn auch hier gilt’s, Schrift durch Schrift zu erklären. Dies ist nicht so schwer, als es scheint. „Der Weg der Einfalt ist auch hier der Weg der Weisheit.“

|  6. Wir geben zum Schluß eine kurze Übersicht der Offenbarung:

 Eingang 1, 1–8. V. 1-3 enthält den Titel, 4–6 die Zuneigung und 7–8 das Thema des Buches.

 Die erste Vision c. 1, 9–3, 22: Die Gegenwart der Kirche.

 Johannes schaut in der Verzückung inmitten der sieben Leuchter (der Gemeinden, welche die ganze Kirche repräsentieren) den HErrn in seiner Majestät und Macht, mit welcher er in seiner Kirche gegenwärtig ist (1, 9–20). Diese seine Macht bethätigt er an der Kirche zunächst als eine richterliche, indem er jeder Gemeinde resp. ihrem Bischof (denn der sittliche Stand des Bischofs spiegelt sich in dem seiner Gemeinde – qualis rex, talis grex) durch ein Sendschreiben Vorhalt über ihre Beschaffenheit macht, und ihr droht oder sie ermuntert. Es sind gleichsam Visitationsbescheide des Erzhirten der Kirche. Nach seinem Urteil beweist der Engel (Bischof) der Gemeinde in Ephesus zwar Schärfe und Festigkeit gegenüber den Irrlehrern und wacht mit Eifer über der Reinheit der Lehre und des Lebens, hat aber wenig Liebe mehr. De[r] Bischof der Gemeinde zu Smyrna, der in unscheinbarer Gestalt einen Reichtum inneren Lebens besitzt, hat sein Christentum vor allem im Dulden zu bewähren, steht aber in Gefahr der Verzagtheit; dem in Pergamus fehlt es nicht an Bekennermut, aber an Energie gegen sittenverderbliche Verführer; der von Thyatira hat als das Gegenbild des Bischofs von Ephesus Reichtum an Liebe, ist aber kläglich schwach gegenüber der in seiner Gemeinde herrschenden heidnischen Sittenlosigkeit; der von Sardes erscheint fast völlig erstorben; der von Philadelphia hat bei wenig Kraft große Treue und empfängt dafür auch reiche Verheißung; der von Laodicea befindet sich bei vermeintlich reichem Besitz in einem Zustand totaler Jämmerlichkeit (2, 1–3, 22).

 Die zweite Vision c. 4, 1–8, 1: Gott und die Welt.

 In einem neuen Gesichte sieht Johannes nun, nachdem er c. 2. 3 die Gegenwart der Kirche geschaut hat, die Zukunft derselben, c. 4 und 5 bilden die Einleitung und den bleibenden Hintergrund der nun folgenden Vorgänge, zunächst der Siegeleröffnung. Er sieht 4, 1–11 Gott den Vater in seiner richterlichen Majestät, die aber für uns in Gnade und Friede gehüllt ist (Regenbogen), rings um ihn die himmlische Ratsversammlung, die Geisterfürsten (nach der Zahl der priesterlichen Repräsentanten Israels?) (1–4). Von Gott geht Zorn aus (5), während das innere göttliche Leben selbst voll Ruhe und Frieden ist (6a); umgeben ist Gott von den Trägern und Symbolen seiner Weltgegenwart und ihrem und der Geisterfürsten Lob (6b–11). – In der Hand Gottes ruht das Buch mit den sieben Siegeln, d. i. das Geheimnis der Zukunft der Welt und der Kirche; niemand kann es enthüllen, als JEsus, der durch seinen Tod eingegangen ist in die Fülle göttlicher Macht und Erkenntnis (6); er empfängt es aus der Hand des Vaters, unter dem Jubel der seligen Geister und der durch ihn erlösten Menschheit (5, 1–14). – Es folgt nun die| Eröffnung der sieben Siegel. Mit der Eröffnung eines jeden Siegels rückt die Geschichte der Welt dem Ende näher; die ersten vier gehören dem gewöhnlichen Weltlauf an, die letzten aber gehen dem Ende unmittelbar voran. – Mit den ersten sechs Siegeln, 6, 1–17, enthüllen sich die Schickungen der göttlichen Weltregierung, welche das Ende herbeizuführen dienen. Das erste stellt den Siegeslauf des Wortes Gottes durch die Welt dar, ihm zur Seite geht der blutige Krieg, weiter die Teuerung, bei der man Hungers sterben muß, endlich das große Sterben besonders durch Pestilenz. Mit diesen Plagen sucht Gott die Menschen im gewöhnlichen Weltlauf immer wieder heim. Diese Nöten gehen aber aus in eine große Christenverfolgung und darauf folgen am Himmel und auf Erden die Vorzeichen des Endes aller Dinge. (Die apokalyptische Rede des HErrn, Matth. 24, 4–14 bildet hierzu die Parallele.) Mitten in diesen Gerichten wird, wie 7, 1–17 zeigt, die Gemeinde auf Erden, das Israel der Endzeit, bewahrt, während die Christen aus den Heiden in unermeßlicher Zahl durch die große Trübsal in den Himmel zur seligen Ruhe eingegangen sind. – Nun soll das siebente Siegel eröffnet werden: alles im Himmel lauscht in erwartungsvoller Stille (8, 1), denn nun soll das Ende selbst kommen und mit ihm die Welt der Ewigkeit. Ehe das nun aber vorgestellt wird, wird noch einmal zurückgegriffen, um von anderer Seite aus (11, 15 ff.) wieder dem letzten Ausgang der Gesichte entgegenzuführen, denn die sieben Posaunen greifen hinter das sechste Siegel zurück resp. schieben sich zwischen das 5. und 6. Siegel ein, vgl. 8, 3-5 mit 6, 9 ff. und 9, 4 mit 7, 3 ff.

 Die dritte Vision c. 8, 2–11, 19: Die sieben Posaunen oder die Bußgerichte über die Welt und die Vollendung der Bundesgemeinschaft mit Gott.

 Wir sehen 8, 2–5 einerseits die Engel bereit stehen mit den Posaunen, die Signale zum Gerichte zu geben, anderseits die Gebete von der bedrängten Gemeinde auf Erden um die Vollführung der göttlichen Gerichte zum Himmel aufsteigen, von wo das Zeichen der Erhörung herabkommt. Es folgen nun 8, 6–9, 21 die sechs Posaunen, womit der Fortschritt der göttlichen Gerichte bezeichnet wird. Die ersten vier Posaunen gehören zusammen und treffen vierfältig die Welt des Menschen, d. h. noch nicht die Menschen selbst, sondern nur erst ihre Lebensgüter und Lebensbedingungen, und diese nur teilweise (8, 6–12); die übrigen drei Posaunen oder Wehe treffen die Menschen selbst. Aus dem Abgrund steigt eine dämonische Verderbensmacht auf, die Menschen zu quälen (9, 1–12), und da, von woher immer die Weltmächte, die Gottesgeißeln, ihr Verderben über die Welt trugen (Babel), geht eine ungeheuere Zahl todbringender Mächte aus, die den dritten Teil der Menschheit töten, ohne daß die zwei andern Dritteile sich bekehren (13–21). (Bemerkenswert ist die Ähnlichkeit der Posaunengerichte mit den ägyptischen Plagen, nur daß letztere hier ins unnatürlich Grausige gesteigert erscheinen.)

 Ehe nun die siebente Posaune folgt, werden zwei Zwischenszenen eingeschoben, ähnlich wie c. 7 zwischen das sechste und siebente Siegel trat. Denn wie dort der geängsteten Welt die bewahrte und gerettete Gemeinde gegenübergestellt| wird, so hier der unbußfertigen Welt die Gewißheit der schließlichen Majestätsoffenbarung Gottes und die Stärkung der Gemeinde in der letzten Drangsal. Das offene Büchlein c. 10 enthält die die letzte Vollendung des Geheimnisses Gottes umfassende und das Ende der Geschichte herbeiführende Offenbarung für Johannes, und der Bericht von den zwei Zeugen 11, 1–14 zeigt uns, wie die israelitische Gottesgemeinde des Endes in schwerer Zeit sonderliche Stärkung erfahren wird, indem Gott in jenen zwei Zeugen das Prophetentum erneuert. Nun erst folgt 11, 15–19 die siebente Posaune, oder das dritte Wehe, das Gericht über die antichristliche Welt, und die Vollendung der Bundesgemeinschaft mit Gott. Das ist der Schluß des göttlichen Gerichts über die unbußfertige Welt – siehe 8, 2 –, auf welches die Zeit des neuen Jerusalem folgt. Aber vorher wird noch einmal zurückgegriffen und eine andere Seite der Endgeschichte nachgeholt.

 Die vierte Vision c. 12–14: Die Gottesgemeinde und die antichristliche Weltmacht.

 Johannes sieht die Tochter Zions d. h. die A.T.liche Gottesgemeinde mit ihrer Fortsetzung in dem christgläubigen Israel) in Wehen und den Fürsten dieser Welt, wie er lauert, um das Kind, das sie gebären soll, zu vertilgen. Gott aber rettet das Kind in den Himmel (Matth. 2; Apg. 4, 27; 3, 21) und birgt seine Mutter, das Volk Israel, s. Matth. 23, 38 f. (12, 1–6). Michael streitet im Himmel mit dem Satan, um Israel aus seiner Macht zu befreien, und siegt ob; aus dem Himmel ausgestoßen sucht Satan auf Erden die Treuen in Israel zu verderben, aber Gott schützt und rettet sie an einen sichern Bergungsort, dafür verfolgt nun Satan die Bekenner JEsu aus der Heidenchristenheit (7–17). In diesem Kampfe dient dem Satan der Widerchrist, der Beherrscher der letzten Weltmacht. Diese besteht aus zehn Fürstentümern, aus denen sich der Antichrist erhebt; sie vereinigt alle vorausgegangenen Weltmonarchien (s. Dan. 7) in sich. Dieser gottfeindliche Weltherrscher, in dem (gleichsam?) der danielische Antichrist (Antiochus Epiphanes) wiederauflebt, empfängt die Macht aus Satans Hand, und in ihm wird Satan selbst angebetet. Dieser entfaltet jetzt seine ganze Feindschaft wider Gott und dessen Gemeinde (13, 1–10). Ein anderer Diener Satans im letzten Streit wider Gott ist der falsche Prophet, der durch satanische Lüge die Welt zur Anbetung des Antichrist und des Satan selbst verführt (11–18). Während nun alle Welt dem Antichrist dient, schart sich die israelitische Endgemeinde in Zion um JEsum: sie steht im immerwährenden Geistesverkehr mit den Erlösten im Himmel und lebt ganz und gar von dem Wesen der Welt abgewandt nur Christo (14, 1–5). Jetzt aber verkündigen Engel die Katastrophe des Gerichts: die Weltstadt soll als Vorzeichen des Sturzes der Weltmacht zuerst fallen; ewig soll die Qual der Anbeter des Antichrist sein: selig wer in der Gemeinschaft mit Christo stirbt (6–13). In der Trübsalshitze dieser Zeit reift die Gemeinde Christi, um wie die Ernte eingeholt, und die üppig gewordene Welt, um dem Zorngerichte anheimgegeben zu werden (14–20).

|  Die fünfte Vision c. 15–20: Das Zorngericht über die Welt (und zwar zunächst über Babel, c. 16, 1–19, sodann über den Antichrist, c. 19, 11–21, den Satan c. 20) und die Erlösung der Gemeinde.

 Wieder versetzt uns Johannes über das unmittelbar Vorhergehende zurück in die Zeit der letzten Posaunen, wo die Welt auf die göttlichen Bußmahnungen nicht achtet und sodann der endliche Zorn Gottes sich in einzelnen Akten vollzieht. Unter dem Lobpreis derer, die im Kampf mit dem Tiere Sieger geblieben sind (der großen Schar c. 7, 9 ff.) treten sieben Engel mit den Zornschalen hervor, um durch sieben rasche Schläge Gottes Zorngericht über die antichristische Weltmacht auszuführen (15, 5–16, 21). Der Inhalt der beiden letzten Zornesschalen, die die Zornesengel ausgießen, der Untergang Babels und der Untergang des Antichrist, wird im folgenden noch näher ausgeführt. Ein Zornesengel zeigt dem Seher Babylon, die Weltstadt, welche mit dem Sinnenreiz ihrer Lust alle Völker bethört und an sich kettet, gegen die Bekenner Christi aber wütet (17, 1–6). Dann zeigt er ihm das Wesen des mit jener Weltstadt vereinten Tieres, des Antichrist. Er ist zum Erstaunen aller Völker (wie Christus) ein aus dem Tode (?) Auferstandener; sieben Weltherrscher (Sanherib, Nebukadnezar, Cyrus, Alexander, Antiochus Epiphanes, Cäsar, Karl der Große, resp. die gegenwärtige europäische Staatenordnung) sind ihm vorangegangen, er ist der achte und doch einer aus den sieben. Die übrigen Könige der Endzeit sind nur seine Vasallen. Mit ihnen vereint wird der Antichrist zuletzt aus Eifersucht die Weltstadt vernichten (7–18). Der Untergang Babels wird auf seiten Gottes laut gefeiert: ein Engel verkündigt denselben, ein zweiter Engel heißt die Kinder Gottes sich aus dem Gerichte Babels retten (18, 1–8). Die Kinder der Welt aber wehklagen über Babels Fall (9–20). Ein dritter Engel verkündet den gänzlichen Untergang und die Verödung der von Sinnenlust und dem Blut der Christen trunkenen Babel (21–24). Babels Untergang wird mit nicht enden wollendem Halleluja von der himmlischen Gemeinde gefeiert (19, 1–10).

 Nun folgt die Wiederkunft Christi zum Gericht über die feindliche Weltmacht (19, 11–16). Er überwindet siegreich die beiden Tiere, den Antichrist und seinen Propheten, und ihre Heere, womit die siebente Zornschale ausgegossen wird, während die Vertilgung Babels die sechste war (17–21). Unmittelbar an das Gericht über den Antichrist schließt sich die Bindung Satans, die erste Auferstehung und das tausendjährige Reich, die Weltzeit des Königreichs JEsu Christi, der Abschluß der diesseitigen Weltentwicklung und der Übergang der jetzigen in die künftige Welt (20, 1–6). Danach macht Satan den letzten Versuch, die Weltherrschaft an sich zu reißen, und jetzt ergeht auch über ihn das Endgericht, an das sich die allgemeine Auferstehung und das Weltgericht anschließt (7–15).

 Die sechste Vision c. 21–22, 5: Die neue Welt.

 Die Welt ist nun ganz Gottes geworden und der selige Stand der Dinge herbeigeführt, auf den es Gott von Anfang an abgesehen, und welchen| herbeizuführen alle vorhergehende Geschichte nur gedient hatte. Dieser Stand des vollendeten Lebens wird hier in, dem Diesseits entnommenen, Bildern geschildert. Vorerst schauen wir im Bilde 21, 1–8 die Vollendung der Gottesgemeinschaft der Seligen im Gegensatz zu dem Los der Verdammten, dann 21, 9–22, 5 das neue Jerusalem, als die Stätte der ewigen Seligkeit, geschildert mit dem höchsten Glanz der Farben, welche diese Erde bietet, um das zu beschreiben, was über alle Beschreibung ist. Es wird 1. die Gottesgegenwart in der h. Stadt, 2. ihre innere Abgeschlossenheit und Vollendung, 3. das Ebenmaß bei der mächtigen Größe, 4. die Pracht des Baues, 5. die Heiligkeit der Stadt, 6. die Aufnahme der Völker in dieselbe, 7. das selige Leben in ihr geschildert.

 Der Schluß der Offenbarung. Gott drückt derselben sein Siegel auf (22, 6–10), JEsus Christus gibt sein Schlußwort (12–16); aus der Gemeinde folgt die Antwort darauf (17). Dazu kommt das Schlußwort des Sehers (18–20), mit dem briefähnlichen Schlußwunsch v. 21.





  1. Der sogenannte Presbyter Johannes, der von den Aposteln, also auch von Johannes zu scheiden wäre, ist eine Entdeckung des Eusebius, der in der Auffassung der betreffenden Stelle des Papias sich eines Versehens schuldig gemacht und im weiteren dieselbe wohl auch noch mißverstanden hat. (Mit „Presbytern“ bezeichnet dort P. unmittelbare Jünger des HErrn.)
  2. In der That war unsere Offenbarung in den Zeiten der Verfolgung (z. B. für die Gemeinde zu Vienne) die Quelle reichen Trostes.
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