Leben und Sterben eines deutschen Dichters
Es war am 20. November des Jahres 1811, an einem jener seltenen schönen Herbsttage, wo die scheidende Natur noch einmal wie ein Licht im Erlöschen ihren ganzen Glanz über die Landschaft ausgießt, als ein Berliner Fuhrwerk vor dem dicht bei dem Wansee gelegenen neuen Kruge hielt. Aus dem Wagen stiegen ein Herr und eine Dame von leidendem Aussehen. Sie verlangten von dem herbeigeeilten Wirth zwei besondere Zimmer in der oberen Etage mit der Aussicht auf den See und ein Mittagbrod. Nachdem sie das letztere eingenommen hatten, ließen sie sich den Weg nach dem jenseitigen Ufer weisen, wohin sie ihre Schritte lenkten. Weder in ihrem Benehmen noch in ihren Zügen that sich der außerordentliche Entschluß kund, den sie bei ihrer Abreise von Berlin gefaßt hatten.
Es mochte ungefähr einige Wochen her sein, daß die innig Befreundeten in dem Zimmer der Dame saßen, welche Henriette hieß, und die Frau eines angesehenen und wohlhabenden Beamten war. Sie litt nach der Aussage des Hausarztes an einem unheilbaren Uebel, weit mehr aber an einem großen Lebensüberdrusse, der Folge eines reizbaren Nervensystems und einer hochgespannten Phantasie, welche keine Befriedigung in der Wirklichkeit und ihrer Umgebung fand. Eine ähnliche Verstimmung beherrschte ihren Freund, und Beide fühlten sich dadurch bald zu einander hingezogen. Er war eine jener tiefen und genialen Naturen, welche das Unglück gleichsam als die Dornenkrone ihrer geistigen Größe tragen müssen. Ein unwiderstehlicher Drang nach Wissen ließ ihn seine militärische Laufbahn mit der Universität vertauschen. Bald aber fühlte er auch hier nicht die gehoffte Befriedigung, und statt der anfänglichen Lust an philosophischen Studien erfaßte ihn ein Ekel vor der Schulweisheit, welche die ewigen Räthsel des Daseins und die ungestümen Fragen seiner nach Offenbarung lechzenden Seele nicht zu lösen im Stande war. Die Liebe eines unschuldigen und trefflichen Mädchens schien ihm einen Ersatz bieten zu wollen, aber mit selbstquälerischer Unruhe zerstörte er sein Glück, indem er an die Geliebte die überspanntesten Forderungen stellte und Opfer verlangte, die sie trotz ihrer aufrichtigen Neigung zu ihm nicht zu bringen vermochte. Gekränkt zog er sich von ihr zurück, um sich von nun an ausschließlich der Kunst zu widmen. Aber auch hier hatte er mit dem Widerstand der schnöden Welt zu kämpfen. Obgleich wie wenige begabt und ein Dichter, den Deutschland gegenwärtig zu den ersten der Nation zählt, war es ihm nicht vergönnt, die Anerkennung seiner Zeitgenossen zu erleben. Seine Schöpfungen waren zu gediegen, zu gewichtig, um mit [221] dem oberflächlichen Strom zu schwimmen. Er verschmähte es, dem Geschmack der Menge zu huldigen, und gefiel sich auch hier in einer fast gänzlich isolirten Stellung. Aber weit mächtiger war sein Schmerz um das Vaterland, welches damals unter Napoleon’s kriegerischem Despotismus die Tage seiner größten Schmach erduldete, und ohne Aussicht schien, sich jemals wieder daraus zu erheben. Kein Wunder, daß der Unglückliche verzweifelte und vom Ekel des Daseins tief erfüllt war.
Ernst und fast düster hatte er nach seiner Gewohnheit an jenem Abende neben der Freundin gesessen, als diese, um dem beängstigenden Schweigen zu entgehen, vom Sopha aufstand und an das Clavier trat. Mit wohltönender Stimme sang sie einen Psalm, die Composition eines alten italiänischen Meisters.
Als sie geendet hatte, sprang er plötzlich von seinem Stuhle auf.
„O!“ rief er mit einem aus seiner militairischen Carriere überbliebenem Ausdrucke uniformirter Begeisterung; „das war zum Erschießen schön.“
Henriette sah ihn einen Augenblick bedeutungsvoll an, und erwiderte kein Wort; nur um ihre feinen, blassen Lippen spielte ein eigenthümliches Lächeln.
Bei seinem nächsten Besuche kam sie in einer einsamen Stunde auf diese ihm entschlüpfte Aeußerung zurück. „Erinnern Sie sich,“ fragte sie ihn, „daß Sie mir ihr ernstes Versprechen gegeben haben, im Falle, daß ich Sie darum bitten sollte, jeden, selbst den größten Freundschaftsdienst zu leisten?“
„Gewiß erinnere ich mich,“ antwortete er mit einem Anstriche von galanter Ritterlichkeit. „Ich bin auch heut wie jeder Zeit bereit, Alles zu thun, was Sie von mir fordern.“
„Wohlan!“ rief das unglückliche Weib, „so tödten Sie mich! Meine Leiden haben mich dahin geführt, daß ich das Leben nicht mehr zu ertragen vermag.“
Er antwortete nicht und schien, in tiefe Gedanken versunken, kaum zu hören, was die Freundin sprach. Sie hielt sein Stillschweigen für eine Weigerung, auf die sie auch gefaßt war.
„Es ist freilich nicht wahrscheinlich,“ setzte sie mit leisem Spott hinzu, „daß Sie dies thun werden, da es keine Männer mehr auf Erden gibt; – allein – – –“
„Ich werde es thun,“ fiel der Dichter ihr in’s Wort, „ich bin ein Mann, der sein Wort hält!“
„Und Sie?“ –
„Ich werde mit Ihnen sterben. Wunderbar! Ich ging schon lange Zeit mit demselben Gedanken um, und zögerte nur mit der Ausführung, weil mir das Leben so vollkommen gleichgültig geworden ist, daß ich nicht einmal das Pulver daran verschwenden wollte. Auch täuschte ich mich noch immer mit der Hoffnung, für irgend eine große Idee mich aufzuopfern. Doch wo ist eine solche auf der Welt zu finden? – Wäre das Vaterland aufgestanden, so hätte ich wenigstens Gelegenheit gefunden, mein Blut für dasselbe zu verspritzen. Aber dies erbärmliche Geschlecht wird sich nie zu einer bedeutenden That aufraffen. Es verdient, noch mehr geknechtet zu werden, als es bereits ist.“ Eine unnennbare Trauer schwebte wie eine dunkle Wolke über das nicht unschöne Gesicht, welches einen fast kindlichen Ausdruck annehmen konnte, wenn der Dichter in heiterer Stimmung, was freilich selten geschah, einmal lächelte.
Nach dieser merkwürdigen Unterredung stand in Beiden der Entschluß fest, freiwillig ihrem Leben ein Ende zu machen. Der Dichter, welcher kein anderer, als der Verfasser des „Käthchen von Heilbronn“ und „des Prinzen von Homburg“, der später gefeierte Heinrich von Kleist war, verließ seine Freundin, und begab sich nach seiner Wohnung, um hier die nöthigen Vorbereitungen zu treffen, und seine irdischen Angelegenheiten zu ordnen.
Das Zimmer war klein und ärmlich, denn Kleist befand sich damals in der drückendsten Lage. Sein kleines Vermögen war auf Studien und Reisen draufgegangen; er besaß kaum so viel, um sein Leben kümmerlich zu fristen; auch war er zu stolz, um seine Freunde anzusprechen, oder seine Muse zum Sclavendienste um das tägliche Brod zu erniedrigen. Zu allen seinen Leiden kam noch das Gefühl der drohenden Noth. Was sollte ihm ein Leben, das er nicht zu ertragen, was nützte ihm das Genie, welches ihn vor dem Elend der Armuth nicht zu schützen vermochte? Er hatte den Versuch gemacht, und war in den Staatsdienst getreten, aber sein Geist schien nicht dazu geeignet, die unausbleiblichen Beschränkungen eines Amtes und die geforderte regelmäßige Thätigkeit eines solchen auf die Länge zu dulden. Eine Unterstützung von Seiten des Staates, welche Freunde für ihn vermittelten, stieß auf mannichfache Hindernisse und verzögerte sich, weil der damalige Staatskanzler Hardenberg Gründe zu haben glaubte, diese Wohlthat vorläufig zu verweigern. Mit seiner Familie war Kleist zerfallen, und seine ihm auch geistig verwandte Schwester Ulrike, ein Mädchen von ausgezeichneten Eigenschaften, früher seine stete Begleiterin auf vielfachen Reisen, hatte sich von ihm getrennt.
Er stand allein, fast dem Mangel preisgegeben.
Dieser Umstand war zwar nicht die Ursache seines schrecklichen Vorhabens, aber es wurde wenigstens dadurch bestärkt.
Mit einem bittern Lächeln musterte er sein übrig gebliebenes Eigenthum, das zum großen Theile in einigen Büchern und in seinen Manuskripten bestand. Darunter befanden sich zwei unvollendete Trauerspiele, „Leopold von Oesterreich“ und „Robert Guiscard“, seine liebste Schöpfung, die er drei Mal umgearbeitet und immer wieder, sich selber am wenigsten genügend, vernichtet hat. Bei einem Besuche, den er in Osmannstädt dem alten Wieland abgestattet, las er dem greisen Dichter einige Bruchstücke dieser Tragödie vor, über die sich der Dichter des „Oberon“ folgendermaßen äußerte:
„Wenn die Geister des Aeschylus, Sophokles und Shakespeare sich vereinigten, eine Tragödie zu schaffen: sie würde das sein, was Kleist’s Tod Guiscards des Normannen, sofern das Ganze demjenigen entspräche, was er mich damals hören ließ. Von diesem [222] Augenblicke war es bei mir entschieden, Kleist sei dazu geboren, die große Lücke in unserer Literatur auszufüllen, die, nach meiner Meinung wenigstens, selbst von Schiller und Goethe nicht ausgefüllt worden ist.“
Nicht minder enthusiastisch lautete das Lob, welches der verstorbene Generallieutenaut Rühle von Lilienstern und der noch lebende frühere Minister von Pfuel, die intimsten Freunde des unglücklichen Dichters, seinem Trauerspiele „Leopold von Oesterreich“ zollten. Nach mündlichen Mitteilungen des Letzteren an den Schreiber dieser Zeilen gehörte die Exposition dieses Stückes zu den großartigsten Schöpfungen der neueren Poesie.
Kleist konnte nicht einen leisen Seufzer unterdrücken, als er die vielfach durchstrichenen Manuscripte in die Hand nahm. Es war ihm zu Muthe, als wären es seine Kinder, die er verlassen sollte. Ein bitteres Gefühl überkam ihn mit einem Male, wenn er an die daran geknüpften Hoffnungen und Aussichten dachte, welche sich nie verwirklichen sollten. Hatte er nicht von einer idealen Bühne geträumt, von einem frischen Lorbeerkranze, das Haupt des Dichters zu schmücken?
Sie waren unvollendet geblieben, nicht weil der Schöpferdrang in ihm erstorben war, sondern weil der Schmerz um das verloren geglaubte Vaterland an seiner Seele nagte und die Schwingen des Genius lähmte. Er besaß nicht jene objectiv ruhige Natur eines Goethe, der zur Zeit der tiefsten Erniedrigung Deutschlands sich mit Osteologie beschäftigte und über die Natur der Wirbelknochen die Schmach und das Elend seines Volkes vergessen konnte.
Kleist nahm den lebendigsten Antheil an den welterschütternden Vorgängen in seiner Nähe. Schon im Jahre 1805 vor der Katastrophe bei Jena hatte er seinem Freunde Rühle mit vorahnendem Geiste geschrieben:
„So wie die Dinge stehen, kann man kaum auf viel mehr rechnen, als auf einen schönen Untergang. Was ist das für eine Maßregel, den Krieg mit einem Winterquartiere und der langwierigen Einschließung einer Festung anzufangen! Bist Du nicht mit mir überzeugt, daß die Franzosen uns angreifen werden, in diesem Winter noch angreifen werden, wenn wir noch vier Wochen fortfahren, mit den Waffen in der Hand drohend an der Pforte ihres Rückzuges aus Oesterreichs zu stehen? Wie kann man außerordentlichen Kräften mit einer so gemeinen und alltäglichen Reaction begegnen!
„Warum hat der König nicht gleich bei Gelegenheit des Durchbruchs der Franzosen durch das Fränkische seine Stände zusammenberufen, warum ihnen nicht in einer rührenden Rede – der bloße Schmerz hätte sie rührend gemacht! – seine Lage eröffnet? Wenn er blos ihrem eigenen Ehrgefühle anheimgestellt hätte, ob sie von einem gemißhandelten Könige regiert sein wollten oder nicht, würde sich nicht etwas von Nationalgeist bei ihnen geregt haben? Und wenn sich diese Regung gezeigt hätte, wäre dies nicht die Gelegenheit gewesen, ihnen zu erklären, daß es hier gar nicht auf einen gemeinen Krieg ankomme? Es gelte Sein und Nichtsein; und wenn er seine Arme nicht um 300,000 Mann vermehren könne, bliebe ihm nichts übrig, als ehrenvoll zu sterben. Meinst Du nicht, daß eine solche Erschaffung zu Stande hätte kommen können?
„Wenn er all’ seine goldenen und silbernen Geschirre prägen lassen, seine Kammerherrn und Pferde abgeschafft hätte, seine ganze Familie ihm gefolgt wäre, und er nach diesem Beispiele gefragt hätte, was die Nation zu thun Willens sei! – – Was ist dabei zu thun? Die Zeit scheint eine neue Ordnung der Dinge herbeiführen zu wollen und wir werden davon nichts, als den Umsturz des Alten erleben. Es wird sich aus dem ganzen cultivirten Theile von Europa ein einziges großes System von Reichen bilden und die Throne mit neuen von Frankreich abhängigen Fürstendynastien besetzt werden. Aus dem Oesterreichischen geht dieser glückgekrönte Abenteurer, falls ihm nur das Glück treu bleibt, gewiß nicht heraus. –
„Warum sich nur nicht Einer findet, der diesem bösen Geiste der Welt die Kugel durch den Kopf jagt! Ich möchte wissen, was so ein Emigrant zu thun hat? Für die Kunst, siehst Du wohl ein, war vielleicht der Zeitpunkt noch niemals günstig. Man hat immer gesagt, daß sie betteln geht; aber jetzt läßt die Zeit sie verhungern.“
Der Haß gegen die Unterdrücker des Vaterlandes steigerte sich in ihm gegen das Ende des Jahres zum heftigsten Schmerze. Er war jetzt öfters völlig außer sich, hatte keinen andern Gedanken mehr, als diesen, und sah alle Schrecken, die noch kommen sollten, mit Gewißheit voraus. Er selbst sollte ein Opfer der französischen Willkür werden und ihre Tyrannei an sich erfahren.
Im Jahre 1807 wanderte Kleist, gerade zu der Zeit, als nach der Schlacht von Eylau die Parteigänger in Preußen auftauchten, mit seinem Freunde Pfuel und zwei andern Officieren nach Berlin. Pfuel trennte sich von seinen Begleitern kurz vor der Stadt, um nach Neundorf zu Fouqué zu gehen. Die drei Andern wurden am Thore angehalten und Kleist, da er ohne Paß war und nur seinen Abschied als Lieutenant bei sich führte, als vermeintlicher Schill’scher Officier ohne Weiteres gefangen genommen und nach Fort de Joux in Frankreich gebracht. Hier saß er ein halbes Jahr in demselben Gefängnisse, das den bekannten Negerhäuptling Toussaint Louverture umschloß. Von Jour wurde Kleist nach Chalons sur Marne gebracht und endlich nach vielfachen Bemühungen seiner Freunde auf gesandtschaftliche Verwendung freigegeben und nach Preußen entlassen.
Daß sein Haß gegen die Franzosen und Napoleon durch diese unverschuldete Behandlung nur genährt werden konnte, war natürlich. Es ist sogar mehr als wahrscheinlich, daß Kleist selbst ernstlich mit dem Plane umging, sein Vaterland von dem Tyrannen zu befreien und ihn aus dem Wege zu räumen. Wenigstens erzählt Friedrich Laun in seinen Memoiren von einem derartigen Vorhaben, das Kleist jedoch bei reiflichem Nachdenken aufgegeben zu haben scheint. – Dagegen eilte er, als ein neuer Krieg zwischen Oesterreich und Frankreich im Jahre 1809 ausbrach, in das Hauptquartier des Erzherzogs Karl und wohnte der Schlacht bei Aspern bei, in der Absicht, der guten Sache seinen Arm und Kopf zu weihen. Durch den traurigen Ausgang des Feldzuges und den bald darauf erfolgten schmählichen Frieden, zu dem sich Oesterreich gezwungen sah, erlosch auch diese Aussicht, seine letzte und einzige Hoffnung.
Beseelt von dem glühendsten Patriotismus hatte Kleist bereits früher ein Drama, „Hermann“, geschrieben, das bei den damaligen Verhältnissen unter dem Siegel des Schweigens als Manuscript von Hand zu Hand ging. Er wollte damit den gesunkenen Muth seines Volkes zur neuen Thatkraft beleben. Es war kein Schauspiel, um der Unterhaltung eines müßigen Publicums zu dienen, sondern eine eherne Mahnung voll gewaltiger, fast wild zu nennender Gedanken. Ein zorniger Geist wehte aus der Dichtung, wie zündende Flammen; aber noch war die Zeit nicht gekommen, um den späten, so schön und mächtig emporlodernden Brand vaterländischer Begeisterung zu entfachen. Kleist’s Hermann blieb eine Stimme in der Wüste, welche kein Echo erweckte und fast ungehört verhallte. Eben so wenig gelang sein Versuch, in seinem Meisterwerke „der Prinz von Homburg“ das specifisch preußische Gefühl zu erwecken. Vergebens beschwor er die erhabene Heroengestalt des großen Kurfürsten, der durch die Schlacht von Fehrbellin die übermüthigen Schweden aus der Mark vertrieb, umsonst zeigte er sein unvergleichliches dramatisch Talent in einer der wunderbarsten Schöpfungen der deutschen Bühne, worin selbst die phantastischen Verirrungen des Dichters nur wie Nebel und Wolken dazu dienen, den Sieg des lichten Sonnengenius zu verherrlichen. Das Publicum nahm dieses Dichterwerk mit unverzeihlicher Kälte auf, fast erschrocken über die geschichtliche Größe und den gewaltigen Geist, der darin waltete.
Der Dichter Kleist hätte vielleicht dies Mißgeschick ertragen, aber der Patriot in ihm erlag verzweifelnd an der Kraft und dem Aufschwunge des deutschen Volkes. Die Herzen seiner Landsleute wurden erst warm, als das seinige zu schlagen aufgehört; ihr Geist raffte sich zum Kampfe empor, als der seinige bereits für immer geschieden war. Hätte er nur noch einige Jahre gewartet, so wäre er Zeuge jener allgemeinen Erhebung gewesen. Er besaß nicht jene passive Ausdauer und griff dem Schicksal vor, wie ein alter Römer sich in sein Schwert stürzend, da er die Freiheit verloren gab. – Vielleicht hätte ihn die Liebe zu einem jungen, liebenswürdigen und reichen Mädchen noch einmal retten können. Bei seinem Aufenthalte in Dresden lernte er in dem Körner’schen Hause bei den Eltern des Dichters Theodor Körner, den Freunden Schillers, ein holdes weibliches Wesen kennen, mit dem ihn bald die innigste Neigung verband. Es schien ihrer Verbindung nichts im Wege zu stehen, aber Kleist stellte auch in diesem Verhältnisse, wie in seinem früheren, zu hoch gespannte Forderungen an die Geliebte.
So verlangte er unter Anderem, daß sie ihm ohne Wissen ihres Vormundes oder Oheims schreiben sollte. Sie schlug ihm [223] diese Bitte ab, er wiederholte dieselbe in drei Tagen, in denen er sie nicht besuchte, darauf nach eben so vielen Wochen und Monaten und löste zuletzt das Verhältniß auf diese Weise völlig.
Noch während des Zerwürfnisses mit der Geliebten begann er das „Käthchen von Heilbronn“, diese Perle unserer dramatischen Poesie, zu bearbeiten; im wahren und vollkommenen Sinne eine Perle, die in dem krankhaft erregten Dichtergeiste, wie die Perle in der kranken Muschel sich bildete. Kleist wollte in seinem Drama der ungetreuen, von fremden Einflüsterungen bestimmten Geliebten gleichsam ein Ideal hinstellen, wie man lieben müsse. So entstand jenes bezaubernde Bild Käthchens, deren Liebe gleichsam eine Naturnotwendigkeit, ein magnetischer Instinct ist voll rührender Hingebung und fast übermenschlicher Treue. Der Glaube, daß eine andere Dame seine Verbindung zumeist aus Abneigung gegen ihn gestört habe, vermochte ihn, ihren Charakter verzerrt und übertrieben als intriguante, boshafte Kunigunde seinem Schauspiele zu verflechten. – Auch diese süße Schöpfung des Dichters, das reizende Käthchen, fand bei der ersten Aufführung nur wenig oder gar keine Theilnahme und erst nach seinem Tode die gerechte Anerkennung. Verstimmt und gebeugt durch das fortwährende Unglück des Vaterlandes gesellte sich noch dazu die tiefe Kränkung, daß seine bisher erschienenen Dichtungen so wenig Eingang gefunden hatten. Als er einst mit einer intimen Freundin nach jahrelanger Trennung zusammentraf, sagte er ihr zufällig im Laufe des Gesprächs eine Strophe aus einem Gedichte her. Sie gefiel ihr außerordentlich und sie fragte ihn, von wem das sei. Darüber schlug er sich mit beiden Händen vor die Stirn und sagte im tiefsten Schmerz: „Auch Sie kennen es nicht? O, mein Gott, warum mache ich denn Gedichte?“
[235] In jener Zeit, wo er das Verhältniß mit seiner Geliebten löste, hatte er wohl aus Schmerz über ihren Verlust an Selbstmord gedacht, und einen derartigen Versuch gemacht. Sein Freund Rühle fand ihn eines Tages ohne Besinnung auf dem Bette ausgestreckt. Kleist hatte eine starke Dosis Opium genommen, die ihn zwar betäubte, aber nicht tödtete. Ueberhaupt kehrte er zu den verschiedensten Zeiten seines Lebens zu der Idee des Selbstmordes vielfach zurück. Der Gedanke scheint ihn oft beschäftigt zu haben; ein geheimnißvoller, gleichsam pathologischer Zug in seiner Seele, ein krankhafter Kitzel trieb ihn häufig an, mit Freunden das „Dafür“ und „Dagegen“ zu verhandeln. So äußerte er sich einmal in Gegenwart jener bereits angeführten Freundin fast heftig über den Selbstmord: „Solch ein Mensch,“ sagte er bei dieser Gelegenheit, „kommt mir gerade so vor, wie ein trotziges Kind, dem der Vater nicht geben wollte, was es verlangte, und das danach hinausläuft, und die Thür hinter sich zuwirft.“
Ein ander Mal, ungefähr zehn Jahre vor seinem Tode, sprach sich Kleist in Gesellschaft seiner Freunde Rühle und Pfuel, an eben der Stelle vorübergehend, wo er sich später wirklich tödtete, wieder über den Selbstmord aus, wobei er besonders das Bedenken hervorhob, daß man bei einem solchen Versuche des Gelingens nie vollkommen versichert sei. Die Freunde gingen auf das für drei junge Männer seltsame Gespräch ernsthaft ein, und man nahm zuletzt gemeinschaftlich als die sicherste Todesart an, daß man zu Kahne auf ein tiefes Wasser fahre, alle Taschen voll schwerer Steine gepackt, sich auf den Bord setze, und das Pistol gegen sich abdrücke, um, wenn man sich nicht todtschieße, doch jedenfalls ertrinken zu müssen.
Nach einer mündlichen Mittheilung des Ministers von Pfuel soll Kleist diesen selbst, sowie den Dichter Fouqué mehrmals halb im Ernst, halb im Scherz aufgefordert haben, sich mit ihm zu erschießen. – Derartige Vorfälle deuten allerdings auf eine partielle geistige Störung hin, und die Spuren einer derartigen Trübung seines Verstandes lassen sich in dem Leben des Dichters nicht verkennen. Der alte Wieland schreibt von ihm:
„Herr von Kleist hatte etwas Räthselhaftes, Geheimnißvolles, das tiefer in ihm zu liegen schien, als daß ich es für Affectation halten konnte. Unter mehreren Sonderlichkeiten, die an ihm auffallen mußten, war eine seltsame Art der Zerstreuung, wenn man mit ihm sprach, so daß z. B. ein Wort eine ganze Reihe von Ideen in seinem Gehirn, wie ein Glockenspiel anzuziehen schien, und verursachte, daß er nichts weiter von dem, was man ihm sagte, hörte und also auch mit der Antwort zurückblieb. Eine andere Eigenheit und eine noch fatalere, weil sie zuweilen an Verrücktheit zu grenzen schien, war diese, daß er bei Tische sehr häufig etwas zwischen den Zähnen mit sich selbst murmelte, und dabei das Air eines Menschen hatte, der sich allein glaubt, oder mit seinen Gedanken an einem anderen Orte und mit einem ganz anderen Gegenstande beschäftigt ist.“
Auch Goethe, dessen gesunde Natur sich von dem reizbaren Wesen des Dichters abgestoßen fühlte, urtheilt in einer ähnlichen Weise und zwar mit einer gewissen Strenge:
„Bei dem reinsten Vorsatz einer aufrichtigen Theilnahme hat mir Kleist nur Schauder und Abscheu erregt, wie ein von Natur schön intentionirter Körper, der von einer unheilbaren Krankheit ergriffen ist.“
Dieser bedenkliche Seelenzustand des Dichters spiegelt sich auch zum Theil in seinen Werken wieder, wo er mit Vorliebe die dunklen Nachtseiten in der menschlichen Natur oft gewaltsam herbeizieht und in grellen Farben schildert.
Wer möchte nicht an den kranken Tasso denken, mit dem Kleist auch die Schwerfälligkeit der Zunge gemein hatte! Aber der deutsche Dichter vereinte mit der Reizbarkeit seines italiänischen Leidensgenossen den durchdringenden Verstand und die geniale Schöpferkraft eines Shakespeare, die entschiedensten Gegensätze, welche ihn durch ihre seltsame Vermischung nur doppelt unglücklich machten. Daß er Momente in seinem Leben hatte, wo er geradezu geistesabwesend zu sein schien, bezeugt eine Scene, die Frau von Rühle in Dresden auf der Brühl’schen Terrasse mit ihm erlebte. Sie gingen hier nämlich eines Tages schweigend auf und nieder, als Kleist plötzlich ohne irgend eine Veranlassung die Worte ausstieß: „Ja, ja, es ist nicht anders, Müller muß sterben, ich muß ihn in’s Wasser werfen, wenn er mir nicht seine Frau abtritt.“ – Er meinte damit den bekannten Schriftsteller und Publicisten Adam Müller, seinen besten Freund in der damaligen Zeit.
Frau von Rühle fuhr bei dieser Aeußerung erschrocken und um so mehr erstaunt zurück, da sie bei Kleist nie die mindeste Leidenschaft für die genannte Dame wahrgenommen hatte. Weil sie ihren Ohren nicht traute, ließ sie sich die Phrase nochmals von ihm wiederholen. Kein Zureden von ihrer Seite half, da er sich nicht auf nähere Erörterungen mit ihr einließ, und als er Müller bald darnach auf der Elbbrücke begegnete, machte er wirklich einen ganz ernsthaften Versuch, ihn über die eiserne Brustwehr in den Fluß zu stürzen.
Derartige Anfälle waren jedoch nur vorübergehend und immer wieder siegte seine Vernunft über diese umheimlichen Regungen einer kranken Seele. Sein ganzes Leben war ein fortwährendes Ringen mit dem Dämon in seiner Brust, ein Kampf gegen die finsteren Mächte des Schicksals, den er mit einer bewunderungswürdigen Energie immer siegreich bestand, bis er zuletzt erlag, nicht dem Wahnsinn, sondern dem bewußten Schmerze eines Mannes, welcher müde und verzweifelnd sich nach Ruhe sehnt.
Nachdem Kleist auf seiner Stube seine Manuscripte noch einmal angesehen, zog er aus einem verschlossenen Schubfache einen Haufen Briefe hervor. Die meisten rührten von seiner ersten Geliebten her, andere von seinen Freunden und Freundinnen, darunter die bekannte Gunderode, welche er am Rhein kennen gelernt hatte, und die Tochter Wieland’s, die den Dichter wie eine Schwester und vielleicht noch zärtlicher geliebt haben soll. Aus den vergilben Blättern wehte ihn ein Erinnerungsschauer an, sein ganzes Leben zog an ihm in diesem Augenblick vorüber. Auch einige Liebespfänder, vertrocknete Blumen, eine abgeschnittene Frauenlocke, Angedenken schöner Stunden, lagen dabei. Diese Schätze sollten nicht in fremde Hände fallen, nicht entweiht werden. Er zündete ein kleines Feuer im Kamine an, und verbrannte nach und nach seine Manuscripte, den ganzen Briefwechsel, sämmtliche Zeichen vergangener Liebe und Freundschaft.
„Ich brauche erst kein Testament zu machen,“ sagte er, einen halb wehmüthigen, halb ironischen Blick auf seine ärmlichen Möbel werfend, die ihm nicht einmal angehörten, sondern seiner Wirthin.
Am nächsten Tage holte er zur bestimmten Stunde Henriette ab, die ihn bereits erwartete, um mit ihm gemeinschaftlich zu sterben. Vielfach wurde das Verhältniß der Freunde als ein Liebesroman aufgefaßt, was jedoch nach den Aussagen ihrer genauesten Bekannten keineswegs der Fall war. Henriette und Kleist waren kein unglückliches Liebespaar, wie fast mit Gewißheit feststeht, kein Opfer einer zärtlichen Leidenschaft. Ihre That war einzig und allein das Resultat eines gemeinsamen Lebensüberdrusses. Während Kleist als Dichter und Patriot verzweifelte und keinen Ausweg sah, glaubte Henriette an einer unheilbaren Krankheit zu leiden, zugleich unbefriedigt in ihren Verhältnissen. Sie forderte von ihm einen Freundschaftsdienst, den er ihr nicht versagen zu können glaubte.
In dieser Stimmung traten sie ihre verhängnißvolle letzte Reise und den Spaziergang nach dem See an, an dem sie bis zum Abend in anscheinend unbefangenen und heitern Gesprächen auf und ab gingen. Wahrscheinlich suchten sie dabei die geeignetste Stelle aus, an der sie sterben wollten. Es war dies ein grüner Rasenfleck am Rande des hohen, sandigen, mit alten Föhren, Immortellen und Pilzen bewachsenen Ufers, mit der Aussicht auf das romantische Glienicke. Dort wollten sie im Schooße der Natur zusammen sterben. Sie redeten von ihrem Vorhaben gewiß mit der kalten Ruhe des Philosophen. Vielleicht entwickelte Kleist noch einmal der Freundin seine Gedanken über Tod und Unsterblichkeit, wie er es in jenem Briefe an Rühle that:
„Es kann kein böser Geist sein, der an der Spitze der Welt steht, es ist ein bloß unbegriffener. Lächeln wir nicht auch, wenn die Kinder weinen? Denke nur diese unendliche Fortdauer! Myriaden Zeiträume, jedweder ein Leben, für jedweden eine Erscheinung [236] wie diese Welt! Wie doch das kleine Sternchen heißen mag, das man auf dem Sirius, wenn der Himmel klar ist, sieht? Und dieses ganze ungeheure Firmament nur ein Stäubchen gegen die Unendlichkeit! Sage mir, ist dies ein Traum? Zwischen je zwei Lindenblättern, wenn wir Abends auf dem Rücken liegen, eine Aussicht, an Ahnungen reicher, als Gedanken fassen und Worte sagen können. Komm, laß uns etwas Gutes thun und dabei sterben! Einen der Millionen Tode, die wir schon gestorben sind und noch sterben werden. Es ist, als ob wir aus einem Zimmer in das andere gehen. Sieh! die Welt kommt mir vor wie eingeschachtelt, das Kleine ist dem Großen ähnlich. So wie der Schlaf, in dem wir uns erholen, etwa ein Viertel oder Drittel der Zeit dauert, da wir uns im Wachen ermüden, wird, denk ich, der Tod, und aus einem ähnlichen Grunde, ein Viertel oder Drittel des Lebens dauern. Und grade so lange braucht ein menschlicher Körper, um zu erwachen. Und vielleicht gibt es für eine ganze Gruppe von Leben noch einen eigenen Tod, wie hier für eine Gruppe von Durchwachungen (Tagen) einen.“ –
Noch eh’ es dunkel wurde, kehrte Kleist und seine Freundin nach dem Gasthause zurück, wo sie zur Nacht mitsammen speisten. Sie hatten sich Feder und Dinte von dem Wirthe erbeten und schrieben einige Abschiedsworte an die zurückbleibenden Freunde. Der Hausknecht, welcher die ganze Nacht wachte, hat auf dem Zimmer der Fremden beständig Licht brennen sehn und beide zuweilen gehen hören. Sie schliefen demnach wenig oder gar nicht, wahrscheinlich lasen sie in den mitgebrachten Schriften von Novalis dessen „Hymnen an die Nacht.“
Am Morgen um fünf Uhr kam Henriette herunter und bestellte den Kaffee. Auf die Frage des Mädchens, ob sie zu Mittag essen wollte, entgegnete sie, daß sie nur etwas Bouillon trinken und am Abend desto besser essen wollten. Sie baten sich ihre Rechnung aus, die sie bezahlten und quittirt zurückverlangten. Dann forderten sie einen Boten nach Berlin, dem sie einen Brief zu besorgen gaben. Nachdem sie den Bouillon genossen, bestellten sie den Kaffee, den sie am Ufer des See’s zu trinken wünschten. Dorthin begaben sie sich auch; Henriette trug, wie die Wirthin bemerkte, ein Körbchen, welches mit einem weißen Tuche bedeckt war, am Arme, worin wahrscheinlich die Pistolen lagen. Eine Aufwärterin kam nach einiger Zeit, um das gebrauchte Kaffeegeschirr zu holen; sie fand die Gäste, wie es schien, in heiterster Stimmung scherzend und lachend. Henriette gab der Frau vier Groschen für ihre Mühe und ersuchte sie, einen Tassenkopf rein auszuwaschen und wieder zurückzubringen.
Als die Aufwärterin etwa vierzig Schritte weit gegangen war, fiel ein Schuß. Nach etwa dreißig Schritten weiter ein zweiter. Die Frau glaubte, daß die Fremden zum Vergnügen schössen, weil sie beide zuvor so aufgelegt und munter gesehn, daß sie sogar wie fröhliche Kinder Steine in’s Wasser geworfen hatten und mit einander gesprungen waren. Deshalb achtete sie nicht auf die Schüsse; sie wusch zuvor den ihr übergebenen Tassenkopf aus und trug ihn zurück, wie die Dame es von ihr verlangt hatte.
Als sie auf den Platz kam, fand sie beide Personen als Leichen und in ihrem Blute schwimmend wieder.
Entsetzen ergriff die Aufwärterin, die vor Schreck betäubt dem Wirth die Mittheilung machte, daß die Fremden sich erschossen und todt dalägen. Er eilte zunächst nach den von ihnen bewohnten Zimmern, deren Thüren fest verschlossen waren. Es gelang ihm jedoch durch ein Seitenpförtchen einzudringen, obgleich dasselbe absichtlich durch vorgestellte Stühle verrammelt war. Außer einem versiegelten Päckchen, welches auf dem Tische lag, war in der Stube nichts Bemerkenswerthes vorhanden. – Nun stürzte der Wirth in Begleitung seiner Leute nach dem Platze, wo er die Leichen fand; Henriette in liegender Stellung, den Oberrock von beiden Seiten aufgeschlagen und die Hände auf der Brust gefaltet. Die Kugel war in die linke Brust, durch das Herz und am linken Schulterblatt wieder hinausgegangen. Kleist in derselben Grube, die durch einen ausgerodeten Baumstamm verursacht wurde, kniete vor ihr; er hatte sich eine Kugel durch den Mund in den Kopf mit sicherer Hand geschossen. Beide Todte waren gar nicht entstellt, vielmehr zeigten ihre Mienen einen heitern und zufriedenen Ausdruck. In den Taschen seines Rockes, welche der Wirth untersuchen ließ, um irgend einen Aufschluß über den ihm Unbekannten zu erhalten, fanden sich nur die zwei Zimmerschlüssel vor. Es wurde sogleich der Polizei in Potsdam die nöthige Anzeige gemacht.
Um sechs Uhr Abends kamen zwei Herren aus Berlin gefahren, der eine war der Kriegsrath Peguilhen, der andere der Ehemann Henriettens. Der Kriegsrath stieg zuerst aus dem Wagen und fragte, ob die beiden Fremden noch hier wären? Auf die Antwort, daß beide nicht mehr lebten, fragte er noch einmal, ob es wahr wäre? – Der Wirth sagte, daß die Fremden jenseits des Sees erschossen in ihrem Blute lägen.
Darauf stieg auch der Gatte der Entleibten aus, er trat in die Stube, warf den Hut in einen Winkel, die Handschuhe in einen andern und weinte bitterlich, jeden Trost zurückweisend. In dem Briefe, welchen Kleist an den Ehemann Henriettens geschrieben und dem abgesandten Boten zur Besorgung übergeben, hatte er den Wunsch ausgesprochen, daß ein Grab beide Körper umschließen sollte. Außerdem übertrug er demselben die Berichtigung einiger kleiner, vergessener Schulden. –
Ein zweites Schreiben hatten die Unglücklichen an die Gattin Adam Müllers, ihre beiderseitige vertraute Freundin, kurz ehe sie sich den Tod gaben, gerichtet. Der Brief legt ein seltenes Zeugniß von ihrer wehmüthig heiteren Stimmung in den letzten Augenblicken ihres Daseins ab. Derselbe lautet im Auszuge folgendermaßen:
„Der Himmel weiß, meine liebe, treffliche Freundin, was für sonderbare Gefühle, halb wehmüthig, halb ausgelassen, uns bewegen, in dieser Stunde, da unsere Seelen sich wie zwei fröhliche Luftschiffer über die Welt erheben, noch einmal an Sie zu schreiben. Wir waren doch sonst, müssen Sie wissen, wohl entschlossen, bei unseren Bekannten und Freunden keine Karten p. p. c. abzugeben. Ja, die Welt ist eine wunderliche Einrichtung! – – Leben Sie wohl, unsere liebe, liebe Freundin, und seien Sie auf Erden, wie es gar wohl möglich ist, recht glücklich! Wir, unsererseits, wollen nichts von den Freunden dieser Welt wissen und träumen lauter himmlische Fluren und Sonnen, in deren Schimmer wir, mit langen Flügeln an den Schultern, umherwandeln werden. Adieu! Einen Kuß von mir, dem Schreiber, an Müller; er soll zuweilen meiner gedenken, und ein rüstiger Streiter Gottes gegen den Teufel Aberwitz bleiben, der die Welt in Banden hält. –
„Doch wie dies Alles zugegangen,
Erzähl’ ich Euch zu andrer Zeit,
Dazu bin ich zu eilig heut. –
„Lebt wohl denn! Ihr, meine lieben Freunde, und erinnert Euch in Freud’ und Leid der zwei wunderlichen Menschen, die bald ihre große Entdeckungsreise antreten werden.
„Gegeben in der grünen Stube den 21. Novbr. 1811.
Dem Wunsche der Verstorbenen gemäß wurden der unglückliche Dichter und seine Freundin an dem Orte der That, an dem Ufer des Wansee begraben. Der Besitzer des Bodens hatte, durch einen Aufsatz von Eduard von Bülow in der Allgemeinen Zeitung, der in die Berlins Blätter überging, veranlaßt, den Gräbern die nöthige Sorge gewidmet, sie mit Rasen belegen, umzäunen und mit Bäumen bepflanzen lassen; ein junges, schönes Mädchen, die Tochter des späteren Wirthes, hatte die Hügel mit frischen Blumen geschmückt, die sie täglich begoß. Sie werden noch öfters von Verehrern und Freunden des Dichters besucht. Eduard von Bülow beabsichtigte, einen unbehauenen Granitwürfel mit Kleist’s Namen, Geburts- und Todestag neben der jungen Eiche zu errichten, die auf dem Grabe des deutschen Dichters frisch und grün emporgewachsen ist. Er bestimmte dazu den Erlös seiner Biographie von Kleist.
Ueber die That selbst wurden verschiedene Stimmen laut, unter denen wir vorzugsweise eine Aeußerung der berühmten Rahel in einem Briefe an ihren Freund von Marwitz hervorheben. Die ausgezeichnete Frau schrieb:
„Ich freue mich, daß mein edler Freund, denn Freund ruf’ ich ihm bitter und mit Thränen nach, das Unwürdige nicht [237] duldete; gelitten hat er genug. Keiner von denen, die ihn etwa tadeln, hätte ihm zehn Thaler gereicht, Nächte gewidmet, Nachsicht mit ihm gehabt, hätt’ er sich nur zerstört zeigen können.“
Fast gleichzeitig mit seinem Tode traf die Nachricht ein, daß der Staat Kleist eine ansehnliche jährliche Unterstützung gewähren wollte.
Es war zu spät!
Eine angeborene Reizbarkeit, zu der sich die Verzweiflung des Patrioten und, wir dürfen und wollen es nicht verschweigen, die gemeine Noth des Lebens gesellten, veranlaßte den Dichter, sich selbst den Tod zu geben.
Er hat den großen Befreiungskampf des deutschen Volkes nicht mehr erlebt; an der Schwelle jener großen Ereignisse warf er die Last des für ihn unerträglichen Daseins ab. Ueber seinem Grabe ging die Sonne wieder auf, die er für immer untergegangen glaubte. Ruhm und Anerkennung wurden ihm erst nach seinem Tode im reichsten Maße zu Theil und sein Name hoch gepriesen. – Er war ein Dichter und – ein Deutscher.
- ↑ Wir finden uns zu der Bemerkung veranlaßt, daß obige Darstellung auf authentischen Ueberlieferungen beruht, von denen einige hier zum ersten Male mitgetheilt werden. D. Redact.