RE:Ambitus 1

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Wahl, das Herumgehen des Kandidaten bei den Wählern zur Stimmenwerbung
Band I,2 (1894) S. 1800 (IA)–1803 (IA)
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Ambitus. 1) Ambitus von ambire = circumire (Macrob. Sat. I 14, 5. Varro de l. l. V 28. Fest. ep. p. 5. 16. Non. p. 242), bezeichnet ursprünglich das Herumgehen des Candidaten bei den Wählern zum Zwecke der Stimmenwerbung, dann alle rechtlichen oder unrechtlichen Bemühungen um die Wahl. In wie grossartiger und mannigfacher Weise in Rom die Wahlen gemacht wurden, das erzählen uns alle Quellen für die Geschichte der späteren Republik, namentlich aber des Q. Cicero commentariolum petitionis (de petitione consulatus ad M. Tullium fratrem). Die Ursachen lagen einerseits in der Zusammensetzung der Wählerschaft, andererseits in den grossen Gewinnen an Macht und Geld, die dem Beamten während seiner Verwaltung offen standen. Gewisse Arten von Wahlumtrieben wurden im Laufe der Zeit mit Strafe belegt; doch konnten diese Strafgesetze den eingerissenen Missbräuchen auf die Dauer nicht steuern. Die Gruppe der verpönten Handlungen war zu verschiedenen Zeiten verschieden gross. Doch ist immer in erster Linie an Bestechung gedacht worden (Fest. ep. p. 5: crimen avaritiae vel affectati honoris. Isidor or. V 26: qui largitione honorem capit et ambit; vgl. Mommsen De colleg. et sodal. Rom. 40–55). Über die qualificierten [1801] Arten des A., die als coitio und sodalicium bezeichnet werden, vgl. diese Artikel; vgl. ferner den Art. Divisores.

Livius IV 25 berichtet, dass die Tribunen im J. 322 = 432 v. Chr. ein Gesetz durchgebracht haben – tolledae ambitionis causa –, nach welchem den Candidaten das Tragen eines künstlich geweissten Gewandes verboten war. Als erstes gegen den A. selbst gerichtetes Gesetz bezeichnet aber Livius VII 15 das des Volkstribunen C. Poetelius vom J. 396 = 358, durch welches der Stimmenwerbung, wie es scheint namentlich ausserhalb der Stadt Rom, Schranken gesetzt werden sollten. Zur Erschwerung der Wahlumtriebe sollte auch das Edict des Dictators C. Maenius vom J. 440 = 314 dienen, das gegen die zum Zwecke der Erlangung von Ämtern gebildeten coitiones gerichtet war (vgl. Liv. IX 26 und den Art. Coitio). Ein Gesetz gegen A. wurde unseres Wissens erst wieder von den Consuln des J. 573 = 181 v. Chr. P. Cornelius Cethegus und M. Baebius Tamphilus eingebracht (Liv. XL 19), wahrscheinlich dasselbe, über das der ältere Cato sprach (Non. p. 470. Fest. p. 282); es scheint darin von Bestechung zu Wahlzwecken die Rede gewesen zu sein. Es folgt im J. 595 = 159 ein neues Gesetz über A. unter dem Consulate des Cn. Cornelius Dolabella und M. Fulvius Nobilior (Liv. ep. 47). Auf diese Zeit bezieht sich auch die Bemerkung des Polybios (VI 56), dass bei den Römern Bestechung zu Wahlzwecken ein Capitalverbrechen sei.

Etwa in die Mitte des 7. Jhdts. oder etwas später fällt wahrscheinlich die Einführung einer quaestio perpetua de ambitu; doch ist kein Grund vorhanden, dieselbe auf eine Lex Maria (s. d.) zurückzuführen. Dagegen ist mit viel Wahrscheinlichkeit vermutet worden (vgl. Mommsen De collegiis 44. Rinkes De crim. amb. 52ff.), dass eine Lex Cornelia, nach welcher die wegen A. Verurteilten sich 10 Jahre jeder Amtsbewerbung zu enthalten hatten (Schol. Bob. Cic. pro Sull. p. 361f. Or.), ein Gesetz des Dictators Sulla war. Schon im J. 687 = 67 schien aber dies Gesetz nicht mehr zu genügen; der Tribun C. Cornelius versuchte ein neues Gesetz mit besonders harten Strafbestimmungen durchzusetzen und bewirkte dadurch wenigstens, dass die Consuln Calpurnius Piso und Acilius im Auftrage des Senates einen Vorschlag einbrachten und promulgierten, nach welchem die wegen A. Verurteilten eine Geldstrafe zu erleiden hatten und aus dem Senate, sowie von jeder weiteren Amtsbewerbung ausgeschlossen wurden (Dio XXXVI 38[21]. Schol. Bob. a. a. O. Ascon. p. 61. 67 K.-Sch. Cic. Corn. frg. 32; Muren. 46). Dem Kläger wurden spätestens durch dies Gesetz gewisse Vorteile zugesichert, wenn er die Anklage mit Erfolg zu Ende führte; vgl. Praemia. Nach diesem Gesetze wurden P. Cornelius Sulla und P. Autronius Paetus gerichtet (Ascon. p. 79). Schon zwei Jahre darauf wurde diesem Gesetze oder einer Bestimmung desselben durch ein SC derogiert (Ascon. p. 61) und im J. 690 = 64 folgte ein SC, das gegen den A. gerichtet war und Strafschärfungen enthielt (Cic. Muren. 71; vgl. Sectatores und Lex Fabia; ferner Ascon. p. 74f.), das aber infolge der Intercession des Tribunen Q. Mucius [1802] Orestinus nicht Gesetzeskraft erlangte. Erst im folgenden Jahre, dem Consulatsjahre des Antonius und Cicero, setzte letzterer ein Gesetz durch, das zu den früheren Strafen gegen A. auch noch zehnjährige Verbannung für die des A. schuldig befundenen Candidaten festsetzte (Dio XXXVII 29. Cic. Muren. 47. 89. Schol. Bob. p. 269. 324. 361f. 309 Or.); das Gesetz enhielt u. a. Verbote gegen den Missbrauch der sectatores und divisores, sowie gegen Gladiatorenspiele und öffentliche Gastereien, die innerhalb zweier Jahre vor der Candidatur gegeben würden (Cic. Mur. 67); ferner wurde durch das Gesetz die Entschuldigung des Angeklagten, durch Krankheit verhindert zu sein beim Processe zu erscheinen, nicht gelten gelassen (Cic. Mur. 47). Im J. 693 = 61 ergingen abermals Senatusconsulte gegen die damaligen Wahlumtriebe, und der Tribun Aufidius Lurco brachte einen Vorschlag ein des Inhaltes: Geldversprechen an die Tribus sollten unverbindlich sein; wer aber wirklich zahle, der solle sein ganzes Leben lang zu einer – offenbar jährlichen – Zahlung von 3000 Sesterzen an jede Tribus verpflichtet sein; der Vorschlag erhielt nicht Gesetzeskraft (Cic. ad Att. I 16, 12f. 18, 3). Im J. 699 = 55 folgte die Lex Licinia gegen die sodalicia (über deren Bestimmungen vgl. Lex Licinia und Sodalicium). Dem A. konnte aber durch alle Repressivmassregeln nicht gesteuert werden; Cato verlangte, dass alle gewählten Magistrate vor einem Geschworenengerichte ihre Wahl verteidigen sollten, doch ging dieser Vorschlag nicht durch (Plut. Cat. min. 44). Als sich die Unruhen in Rom immer steigerten und Pompeius Consul ohne Collegen wurde (702 = 52), gehörte zu den Massregeln, die er zur Wiederherstellung der Ordnung traf, auch ein neues Gesetz gegen den A. (App. b. c. 23. Dio XL 52. Plut. Cat. min. 48; Pomp. 55. Ascon. p. 31. 33. Vell. II 47. Plin. Pan. 29); dies Gesetz kürzte ebenso wie das gleichzeitig eingebrachte de vi das Processverfahren ab, indem dem Ankläger wie dem Angeklagten für ihre Reden Maximalzeiten (2 und 3 Stunden) bestimmt wurden (Cic. ad Att. XIII 49; Brut. 324. Caes. b. c. III 1. Tac. dial. 38); die üblichen Laudationes wurden abgeschafft; die Zahl der Sachwalter und Ankläger, die Wahl des Quaesitor (aus den Consularen) wurden geregelt, ebenso Bestimmungen über die praemia (s. d.) abgeändert; die Strafe wurde verschärft. Das Gesetz sollte rückwirkende Kraft haben. Unter den ersten Verurteilten war Milo (Ascon. p. 34. 48). Caesar liess später durch Volksbeschluss viele der nach der Lex Pompeia Verurteilten zurückrufen (Cic. ad Att. IX 14. X 4, 8. Caes. b. c. III 1. Suet. Caes. 41).

Trotzdem sich die Verhältnisse durch die Einrichtungen des Principates völlig geändert hatten, sah sich Augustus doch im J. 736 = 18 genötigt, ein Gesetz de ambitu zu geben (Dio LIV 16; Suet. Aug. 34). Fünfjährige Unfähigkeit zu allen Ämtern war die Strafe des gewöhnlichen A., dagegen fiel A., begangen durch das Halten bewaffneter Banden, unter die Strafe der vis publica (Paul. sent. V 30 a). Es scheint also nur der durch Bestechung begangene A. unter das Gesetz gefallen zu sein; Mommsen vermutet (a. a. O. 72), dass auch [1803] das crimen sodalicii von nun an wieder ebenso behandelt wurde, wie der gewöhnliche A. Die Bestimmung über die Belohnung der Ankläger wurde wiederholt (Dig. XLVIII 14, 1, 2), Bestimmungen über die Zeugenführung getroffen (Plin. ep. VI 5). Als unter Tiberius die Wahlen dem Volke von Rom gänzlich genommen wurden, konnte auch von einem A. beim römischen Volke nicht mehr die Rede sein. Gegen Amtsbewerbung durch Geschenke an die Senatoren oder dergleichen musste Traian eine Verordnung erlassen (Plin. ep. VI 19). Die Lex Iulia galt nun für die Wahlen in den Municipien und Provinzen (Dig. XLVIII 14, 1 pr. Paul. a. a. O.), erlitt aber durch SC vielfache Modificationen; dem, der in einem Municipium sich auf eine durch das Gesetz nicht erlaubte Weise bewarb, ebenso dem, qui novum vectigal instituerit, und dem Ankläger oder Angeklagten, der in das Haus des Richters eindrang, wurde durch SC eine Busse von 100 Aurei und Infamie angedroht (Dig. a. a. O. § 1–4). In dem Stadtrechte von Malaca (c. 58) ist auch jede dolose Handlung zur Vereitelung einer Wahlversammlung mit einer Strafe von 10 000 Sesterzen bedroht (vgl. Mommsen Abh. d. sächs. Ges. d. Wiss. III 422). In der späteren Kaiserzeit wurde der Begriff des A. erweitert, und mit Deportation bestraft, wer durch ungerechte Protection zu bureaukratischen Ämtern zu gelangen versuchte, auch wer dieselbe Stelle eines Officium zweimal zu bekleiden versuchte (Cod. Theod. u. Cod. Iust. ad l. Iul. de ambitu IX 26). Vgl. die Artikel Fumi venditio und Suffragium.

Litteratur: Rein Crim. R. d. Röm. 701–733, woselbst auch die ältere Litteratur. S. H. Rinkes Disp. de crim. ambitus et de sodalic. ap. Rom. temp. liberae reip., Lugd. Bat. 1854. J. Telting Disp. inaug. de crim. ambitus et de sodalic. ap. Romanos, Groning. 1854. Geib Lehrb. d. D. Strafr. I 42ff.