RE:Idas 1

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Westgriechischer Heros
Band IX,1 (1914) S. 872876
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Idas (Ἴδας Genetiv -εω Hom. Il. IX 558 usw.; -α Paus. III 13, 1; -αντος Antimachos Etym. M. p. 465, 18f= frg. 50 Kink], wegen dieser Form dort getadelt). 1) Ein westgriechischer Heros, vermutlich einst ein vorgriechischer (?) Gott. Einzeln ist er in Ätolien ansässig. In Messenien und Lakonien erscheint er als Bruder des Lynkeus in Abenteuern, die sie mit den Dioskuren in Kampf bringen. Er gehört mit ihm ursprünglich ebensowenig zusammen wie Kastor mit Polydeukes, Zethos mit Amphion. Wie diese mit dem göttlichen ,Zwillingspaar‘ κατ’ ἐξοχήν einmal identifiziert (s. Dioskuren § 1) und so ein festes Paar geworden sind, so sind auch I. und Lynkeus, als Söhne des Aphareus, einmal verbunden, [873] unzertrennlich. Sie sind als Gegner der Dioskuren Träger messenisch-lakonischer Sagen geworden. Über das ursprüngliche Wesen des I. wüßte ich nichts zu mutmaßen.

§ 1. Als sein Vater gilt Aphareus, ein messenischer Heros wie es scheint, als Mutter Arene, elische Eponyme, später mit Oibalos von Sparta verbunden. Poseidon ist dem I. in Schol. Hom. Il. IX 557 BD wohl erst gegeben, nachdem ihm die Sage einen windschnellen Poseidonwagen gegeben hatte.

A. Verbreitung.

§ 2. I. ist durch seine Sagen und verwandtschaftlichen Verbindungen gesichert für Ätolien, Elis, Messenien, Lakonien, auch Arkadien, scheint auf das südwestliche Griechenland beschränkt. In Messenien und Lakonien sitzt er nach unserer Überlieferung am festesten. Es liegt also nahe, seine Wanderung von Norden nach Süden anzunehmen. In Ätolien am Euenosflusse denkt ihn die Marpessasage. Nach Elis weist ihn seines Mutter Arene, die zwar Tochter des Oibalos von Sparta (dort sein Heroon Paus. III 15, 10) heißt, aber in Elis bei Lepreon gleichnamige Quelle und Stadt hat (Paus. V 5, 6). Zwar waren Spuren der Stadt nach Paus. V 6, 2 nicht mehr vorhanden – man hielt Samikon für identisch; vgl. auch Strab. VIII 346 – aber Hom. Il. II 591. XI 723 und Hymnus I 422 bezeugt sie. Κατὰ τὴν Ἀρήνην kämpft I. mit Apoll um Marpessa, Schol. Hom. IX 557 Tw. Nach Messenien setzten ihn Apollod. Bibl. I § 61. III 136, auch Paus. IV 2, 5, der eine messenische Stadt Arene, Gründung des Aphareus und Burg seiner Söhne I. und Lynkeus, annimmt, ebenso wie Stephanos von Byzanz, während Strabon (VIII 361) die Gleichsetzung von Arene mit dem messenischen Erana tadelt. Auch sein Vater Aphareus scheint nach dem messenischen Pharai zu gehören: Steph. Byz. s. Φαραί· πόλις Μεσσήνης ὅθεν ἦσαν οἱ Ἀφαρητιάδαι. Nach Lakonien scheinen die Kyprien 4 (s. o. Bd. V S. 1114f.) den Todeskampf des I. und Lynkeus mit den Dioskuren gesetzt zu haben, jedenfalls läßt ihn Lykophron 559 nach alter Tradition bei Amyklai und dem Flusse Κνηκίων dicht bei Sparta (vgl. Plutarch. Lykurg. 6) stattfinden. Seine Lokalisation am Grabe des Aphareus (Pind. Nem. X 65. Theocr. XXII 141. 199. 207) weist nach Sparta, da Paus. III 11, 11 dort sein ἰμνημα notiert Auch verrät seine Polemik III 14, 7 das Vorhandensein einer Überlieferung, daß I. und Lynkeus in Sparta begraben seien. Bakchylides 19, betitelt Ἴδας Λακεδαιμονίοις, erzählt von der Hochzeit des I. mit der Marpessa in L. Sparta. Über Arkadien und Mysien s. § 4.

B. Sagen

I. von Idas allein. § 3. Phoinix erwähnt nebenher in seiner Erzählung von Meleagers Zorn Hom. Il. IX 555ff.: ,Meleager lag bei seiner Gattin Kleopatra, dem Kinde der Euenostochter Marpessa und des I., der der gewaltigste der damaligen Sterblichen war und im Kampf mit Phoibos Apoll wegen der Marpessa ihm den Bogen nahm. Alkyone hatten die Kleopatra Vater und Mutter genannt, weil ihre Mutter (Marpessa) das schlimme Schicksal des ἀλκυών hatte und weinte, als Apoll sie raubte‘. Daraus geht soviel mit Sicherheit hervor, daß Apoll die Marpessa dem I. gegen ihren Willen geraubt [874] hatte, I. den Gott überwältigt und sein Weib zurückgewonnen hat. Dem entspricht die Beischrift zu einem Bilde der Kypseloslade, Paus. V 18, 2 (,Mann und eine ihm folgende Frau‘): ,I. führt Marpessa, die ihm Apoll geraubt, die Tochter des Euanos (Εὐανοῦ Fröhner Rh. Mus. XLVII 291; ἐκ ναοῦ codd.) wieder zurück, die sehr willige‘. Die Sage war berühmt, also wohl poetisch gefeiert: ein etruskischer Spiegel (Gerhard Etr. Sp. 80) und zwei attische Vasen des 5. Jhdts. (Mon. d. Inst I 20. Gerhard A. V. I 46) sind von O. Jahn Arch. Aufs. 46ff. auf sie mit Recht gedeutet. Es liegt nahe, sie auf Widerstände gegen das Eindringen des Apollonkultes zu deuten; die Konsequenz wäre, den I. für einen alten Gott zu halten. Und zwar dürfte er ungriechischer Herkunft sein.

Die Phoinixerzählung Il. IX 557 denkt I. und Marpessa in Ätolien, also auch seinen Kampf mit Apollon. Dazu paßt der 557 genannte Name des Vaters der Marpessa Euenos, der Eponym des östlichen ätolischen zwischen Kalydon und Chalkis mündenden Flusses ist. Dies ätolische Chalkis (vgl. Steph. Byz., Schol. Apoll. Rhod. I 419 aus Nikanders Αἰτωλικῶν ᾶ’) ist also in der ἱστορία des Schol. Hom. Il. IX 557 Tw. BD gemeint, wo in doppelter Fassung erzählt wird, I. habe Marpessa vom Amselfelde (Ὀρτυγία ἐν τῇ Χαλκίδι) beim Artemisfest (Ὀρτυγία ihre Geburtsstätte und ihr Beiname als ätolische Göttin durch die Sage vom kalydonischen Eber bezeugt) geraubt. In dieser aus einem mythologischen Handbuch stammenden Tradition, zu der sich Apollod. Bibl. I 61 gesellt, stellt sich die Sage in reicherer Ausgestaltung dar als bei Homer. Der Kampf wird durch Zeus entschieden, der entweder selbst einschreitet (so Schol. Tw., Apollodor und die Vase Mon. d. Inst. I 20), oder Hermes (Schol. BD) oder Iris (Vase Gerhard A. V. I 46, 1) sendet: Marpessa solle wählen; sie entscheidet sich für I. ,aus Furcht, Apoll werde sie im Alter verlassen‘ (Schol. Tw. BD. Apollodor). Wenn die ἱστορία der Homerscholien – inwieweit ihre Quellenangabe Σιμωνίδης verläßlich ist, kann man nicht entscheiden – Elis (Αρήνη) Schol. Tw. s. o.), und Apollodor Messenien als Ort des Kampfes nennen, so liegt da gute Überlieferung insofern vor, als in beiden Landschaften I. beheimatet war. Aber sie werden ihre Entstehung dem Wunsche verdanken, die ursprünglich ätolische Sage mit den späteren und geläufigeren Sitzen der I.-Sage auszugleichen.

Wie stark das ätolische Lokalkolorit in der I.-Sage ist, zeigt auch die weitere Ausgestaltung, die Antwort geben will auf die Frage, wie I. ein so begehrtes Weib wie Marpessa gewonnen habe. Sie drängt den alten Kern seiner Sage, den Kampf mit Apollon, den Marpessa als Kampfobjekt wohl nur begründen sollte, fast zurück. Sicher liegt hier eine Dichtung zugrunde. Der Erwerb der Marpessa mußte schwierig sein. Nur dem wollte sie ihr Vater geben, der seiner Verfolgung zu entgehen vermochte; wen er einholte, der war des Todes; ihre Köpfe spießte er vor seinem Hause auf. Endlich gelingt es dem I., auf einem ihm von Poseidon geschenkten Gespann (Schol. Hom. Il. IX 557) oder Flügelwagen (Apollod. I 60). Euenos aber, besiegt, schlachtet am Lykormasflusse seine Rosse und stürzt sich in seine Wellen, [875] der fortan Euenos heißt. Es sind also die uns aus der Pelops-Oinomaossage bekannten Motive hier angewandt. Ob diese oder jene früher so ausgebildet sei, können wir nicht entscheiden, sicher ist eine von der anderen abhängig. Vielleicht bezieht sich auf diese I.-Sage der Name Simonides, den Schol. Hom. Il. IX 557 Tw. für seine ἱστορία zitiert. Aber auch in Bakchylides 19 stand diese Variante.

Auch das ist nicht entscheidbar, ob zu dieser Fassung der I.-Sage der Raub der Marpessa vom Chortanz der Artemis Ortygia gehört habe; er konnte auch ganz unabhängig von ihr sein.

§ 4. Ganz isoliert steht die Überlieferung Hyg. fab. 100: Teuthrantem regem in Mysia Idas Apharei filius regno privare voluit. Quo cum Telephus Herculis filius ex responso quaerens matrem cum comite Parthenopaeo venisset, huic Teuthras regnum et [filiam] Augen in coniugium daturum promisit, si se ab hoste tutatus esset. Telephus condicionem patris non praetermisit, cum Parthenopaeo Idam uno proelio superavit. Obgleich ihre Herkunft nicht nachweisbar ist, ist die Sache glaublich, insofern I. recht wohl nach dem östlichen Arkadien gelangt sein konnte, wo Telephos am Parthenion bei Tegea im Demos Korytheia zu Hause ist. Läßt ihn und Lynkeus doch auch die Dioskurensage (§ 6) Rinder aus Arkadien rauben, Apollod. Bibl. III § 135. Ob nun freilich die Versetzung dieses Kampfes zwischen I. und Telephos-Parthenopaios nach Mysien nur poetische Willkür ist oder ob wirklich I. durch Auswanderer einst dahin überführt ist, das läßt sich nicht entscheiden. Möglich ist das letztere sehr wohl, wie Telephos und Aineias beweisen, die beide sowohl in Arkadien wie im nordwestlichen Asien festsitzen.

§ 5. Der berühmte Name ist von Dichtern und Mythographen zur Benennung von Fiktionen und Nebenfiguren benützt, so von Euphorion(?) bei Parthenius 13 für den Sohn des Klymenos, den eine vom Vater geschändete Schwester aus Rache schlachtet und ihm vorsetzt, so von Ovid. met V 90 für einen Gast bei der Hochzeit des Perseus, XIV 504 für einen Gefährten des Diomedes, von Statius für Helden (Theb. VI 553) aus Onchestos, VII 588 aus Tainaros. In der Liste der Danaiden und ihrer Freier bei Apollod. Bibl. II § 20 steht auch ein I.

II. Sagen von Idas und Lynkeus.

§ 6. Ihre echten Sagen konzentrieren sich um ihren Kampf mit den Dioskuren. Sie machen einen sehr altertümlichen Eindruck, sowohl der Kampf wie seine Motivierung. Ich habe sie oben behandelt unter ,Dioskuren‘ § 19. Um erbeutete Rinder oder Mädchen, die Leukippiden, entbrannte der Kampf. Mythische Deutung auf Sonnen-Rinder und Sonnen-Töchter (Λευκιπποι) liegt nahe, zumal die Dioskuren (s. § 5) in Theben als λευκὼ πώλω verehrt wurden.

Die Leukippiden würden demnach den Dioskuren gehören, und ebenso die Rinder. Die Apharetiden wären beidemale die Räuber, und beide Sagen nur Varianten derselben Vorstellung. Aber auf das Wesen des I. ist von hieraus nichts zu schließen.

§ 7. Als berühmtes Heldenpaar sind I. und Lynkeus unter die kalydonischen Jäger aufgenommen, umso leichter, als I. in Ätolien beheimatet war: Apollod. Bibl. I § 67. Ovid. met. [876] VIII 305. Ebenso sind sie Argonauten geworden, Apollod. Bibl. I § 111. Apoll. Rhod. I 151. Orph. Arg. I 78. Wenn Apollonios II 817. 832 (Hyg. fab. 14) I. einen Eber erschlagen läßt, der den Sohn des Lykos Idmon getötet hatte, so ist das freie Erfindung, um ihn sich betätigen zu lassen.